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S . [9UR!D ANTIOUARIAT i HERAMANN BAHR | BERLIN

K. NOHRENSTRASSE 6.

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Reffautation.

der Staats-Wiſſenſchaft oder Z h eo vie des natúvlid + gefelligen Zuſtands der Chimare des künſtlich⸗ bürgerlichen entgegengeſezt

Carl Ludwig von Haller, teš ſorwerainen wie auch des geheimen Raths ber Republik Bern ꝛc.

Zweyter Band.

Erſter Tbheil. Bon den Fuͤrſtenthuͤmern oder Monarchien.

Erſtes Hauptítát. Bon den unabhaͤngigen Srundherren oder den Patrimonial⸗Fuͤrſten.

Fallitur, egregio guieguis sub principe credit servitium ž nunguam libertas gratior extat guam sub rege pio. Claudian.

Zweyte vermebrte und verbeſſerte Auflage.

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Winterthur, in ber Steineriſchen Buchbandlung. > 1820,

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Vorrede.

Gem geleiſteten Verſprechen gemäß folget hier der zweyte Sand bed Werkes, welches id mit Recht cine Reſtau⸗ ration der Staatswiſſenſchaft nennen zu können gľaube, und zu deſſen Vollendung allein id von dem Himmel ned Leben und Befundbeit erflehe. Er beſchäf⸗ tiget fich mit der näheren Entwiklung und Anwendung der frúber aufgetelíten allgemeinen Principien, umfaffet das erſte Hauptſtük der Fürſtenthümer oder Monarchien, nemlich die Lehre von den Patrimonial⸗Staaten oder den auf Haus- und Länder⸗Beſiz gegründeten Herrſchaften, und enthält überhaupt das eigentliche Staatsrecht im en⸗ geren Sinne, inſofern man darunter die Wiſſenſchaft von der Entſtehung, der Ausübung, den Schranken der Kane desherrlichen Gewalt verſteht, und dabey auch nothwen⸗ dig von ihrer Veräußerung, ihrer Erweiterung und ih. rem Untergange reden muß, zumal ſie ebenfalls auf die wechſelſeitigen Rechte und Verbindlichkeiten Einfluß ha— ben. Alles das wird jedoch hier nicht blos nach den Ge⸗ ſezen der ſtrengen Gerechtigkeit, ſondern auch nach den

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Geboten der mildernden Liebe und den Regeln der Klug⸗ heit abgehandelt, auch zum belehrenden Contraſt in ſte⸗ tem Gegenſaze mit ben disber herrſchenden, auf der fal⸗ ſchen Idee delegirter Volksgewalt beruhenden revolutio⸗ nären und bodenloſen Principien. Dieſes Staatsrecht iiſt im Weſentlichen zugleich das Allgemeine, zumal es auch bey den militäriſchen, den geiſtlichen Staaten, und den den Republiken oder freyen Communitäten gilt, in⸗ ſofern ſie alle ebenfalls unabhängige Grundherren ſind oder mit der Grundherrlichkeit zuſammenſchmelzen; nur daß hier auch auf die Modiſicationen Rükſicht genommen werden muß, welche durch die veränderte Natur ˖ ded herr⸗ ſchenden Subijekts, oder den beſonderen Zwek ded urſprüng⸗ lichen Verbandes veranlaffet werden, die mit und nebſt den übrigen exiſtiren. Wie außerordentlich reichhaltig auch dieſer Band ſey, wird bad bloße Inhalts⸗Verzeich⸗ niß beweiſen, deſſen aufmerkſames Studium ſchon an ſich lehrreich ſeyn dürfte, indem es die Analyſis ded ganzen Buches enthält, und nicht in bloßen Ueberſchriften beſteht, Vondern jedes einzelne Capitel in ſeine einfachen Haupt⸗ ſJäze auflöst. Sn der Ausführung mögen die Gelehrteren, die wiſſenſchaftlichen Geiſter erkennen, wie fruchtbar, wie befriedigend, tie genügend das einfache Principium iſt, welches die Befugniſſe der Fürſten auf eigene, natür⸗ liche und erworbene Rechte gründet, und mie wenig man nöthig bat zu der Grille einer künſtlich geſchaffenen Staats⸗ Einrichtung und delegirter Volksgewalt ſeine Zuflucht zu nehmen. Diejenigen aber, denen der Himmel nicht ſo

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vid Scharffinn verliehen bat, 4m ben Geiſt des Ganzen lebendig aufzufaſſen, alles aus der oberſten Idee herzu⸗ leiten und wieder auf dieſelbige zurükzuführen: dürften wenigſtens in dieſem Buch einen reichen Schaz von Kenntniſſen, Einßchten und geſunden Rechts⸗ oder Klug⸗ heits⸗Regeln finden, deren Benvzung und Befolgung auch das mittelmäßige Talent (welches ſtets das gewöhn⸗ liche iſt) in Staatsgeſchäften brauchbar machen, ja ſo⸗ gar große Dinge hervorbringen kann. Daß die Fürſten⸗ thümer durch Stiftung. einer natürlichen Herrſchaft und. durch Erwerbung der Unabhängigkeit entſtehen, und daß die drey Arten von Monarchien, die grundherrlichen, die militäriſchen und die geiſtlichen die einzig denkbaren ſind, fich auch in verjüngtem Maaßſtab in. allen Privat» Vera haältniſſen wieder ſinden: wird in dem 23ſten und 2aſten Capitel gezeigt. Den Urſprung aller erb⸗ und grundherr⸗ lichen Staaten leite ich, wie billig, aus ſeinem erſten Keime, dem FamilienVerbande ber (Čap, 25); aber die Stiftung, die rechtliche und liebevolle Natur, die all⸗ mählige Erweiterung dieſes mabrbaft himmliſchen Ver⸗ hältniſſes, welches in unſeren ſogenannten Naturrechts- Compendien als ſo deſpotiſch dargeſtellt, zum Theil ſogar brutal und ärgerlich behandelt wird, glaube ich einerſeits gründlicher, anderſeits mit mehr Seele und Gefühl be. ſchrieben zu haben, als es bisher geſchehen iſt. Der Son phiſtik unſerer Zeiten wegen, welche die Evidenz ſelbſt beſtreitet und bezweifelt, mußte ich auch den natürlichen Urſprung ded Eigenthums beweiſen: und wiewohl ich hier

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nichts eigentlich neues ſagen Tonnte, indem biť berühm⸗ teſten Juriſten und Philoſophen aller Zeiten das nemliche behaupten: (o dürfte dod) dieſe Dedurtion theils gedräng⸗ ter und vollſtändiger ausgefallen, theils mit mehr illu— ſtrirenden Beyſpielen beſtätigt ſeyn, als man ſie anders— wo finden wird. Steht der unahbánaige Grundherr, det natürliche Fürſt vollendet ba: fo gehen wir zu feinen Be fugniſſen über, und zwar vorerſt zu denjenigen, die aus ſeiner Freyheit, ſodann zu denen die aus ſeinem Eigen⸗ thum flieſſen, ohne ſie jedoch alle materiell aufzábľen > vielweniger erſchöpfen zu Tónnen (Cap. 26). Das erſte dieſer Rechte, die Queile aller andern iſt die ſogenannte Souverainität oder die vollkommene Freyheit ſelbſt (Čap. 27), kraft deren ein Fürſt nur den göttlichen Ge⸗ ſezen unterworfen iſt, welche die Haltung der Verträge und Verſprechungen bereits in ſich begreifen. O! möch—⸗ ten alle Völker ſich überzeugen, wie zulänglich dieſelben für alle Bedürfniſſe und Wünfſche der Menſchen ſind; môchten alle Fürſten erkennen, mad es heißt cin Statt⸗ halter Gottes ſeyn, gleich anderen Menſchen, aber in hö— herem Grade, mit Macht von ihm ausgerüſtet, ſeine Ge⸗ ſeze der Gerechtigkeit und des Wohlwollens ſelbſt erfül⸗ len und ihre Ausübung von anderen handhaben und be— günſtigen! Treten wir in die einzelnen Aeußerungen jener Freyheit und die Regeln ihres Gebrauches cin: ie frey, human, wie natürlich und ungezwungen ergiebt ſich alles aug dem Principio des eigenen Rechts? mie zurúť. ſtoſſend, tie widerſprechend iſt dagegen die Grille eines

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Social⸗Contrakts und übertragener Regierungsgewalt, welche bald zu anarchiſchen, alle Bande der Menſchheit umſtürzenden, bald zu harten, unmenſchlichen Conſequen⸗ zen führt, und nur eine allgemeine vollendete Sklaverey zur Folge hat. Wie leicht erklärt ſich jezt die ſonſt ſo ſchwierige Materie von Krieg und Frieden, ſobald man die Kriege nicht mehr als Volkskriege betrachtet, und die beyden Fragen von dem Recht der Kriegsführung und der Pflicht der Hülfleiſtung gehörig von einander una. terſcheidet. Wie fällt ba die Gonfeription, dieſe Stla⸗ rerey des 18ten Jahrhunderts, hinweg, mie freundlich erſcheinen die ehemaligen Verhältniſſe, welche Fürſten und Völker zu wechſelſeitiger Hülfe verbanden, und die zwar rechtlich getrennt, aber durch Liebe vereinigt, durch individuelle Verträge geknüpft, dennoch zuſammen ein Ganzes, ein Herz und eine Seele ausmachten (Cap. 28). Gleich überraſchend, aber bis zur Evidenz bewieſen, wird man die correſpondirende Behauptung ſinden, daß auch bie Friedens⸗Schlüſſe, Verträge, Bündniſſe und Geſandtſchaften nur die eigenen Angelegenheiten der Fürſten betreffen oder betreffen ſollen, und daß das nem⸗ Hide Recht, nad) dem Maaße ihres Befugniſſes oder ih⸗ ver Kräfte, im Kleinen auch von allen anderen Menſchen ausgeübt wird (Gap. 29). Bey dem ZOften Capitel iſt der Wunſch meines Herzens, daß es dazu beytragen möge, bie alte Gaſtfreundlichkeit gegen die Fremden zurükzuführen, und ihre einfachen Pflichten beſſer kennen sw. lehren; ſelig würde ich mid ſchäzen, men. dadurch

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nur in einem einzigen Land das Schinden und Plagen der Fremdlinge aufhörte, welches blos eine Folge der falſchen Staats⸗Principien und ded durch ſie erzeugten Argwohns iſt. Sd darf mir ſchmeicheln, daß das ZLfte Capitel von den Fürſtlichen Beamten und Dienern vorzüglich die Aufmerkſamkeit der Gelehrten anſprechen werde: nicht nur wegen der vollſtändigen, theils rechtlichen, theils moraliſchen Entwiklung dieſes viel beſprochenen Verhält⸗ niſſes, ſondern auch wegen dem ſtrengen Beweis, daß alfe jene ſogenannten Staats⸗Beamte nur für die. eigenen Ange⸗ legenheiten der Fürſten beſtimmt ſeyen, dem neuen und küh⸗ nen Verſuch ſie alle aus dieſer Idee herzuleiten, ihre natür⸗ liche Filiation gleichſam bey dem erſten Keime aufzufaſ⸗ ſen, und nach Maaßgabe der erweiterten, wahren oder eingebildeten Bedürfniſſe, bis in alle ihre ungeheuren Ver⸗ zweigungen zu verfolgen. Dieſe Filiation iſt zwar blos aus meiner Imagination hervorgegangen, gleichſam a priori errathen worden, aber zuverläßig der Satur: und Erfah⸗ rung angemeſſen: und wenn man je dazu bie Daten fin⸗

det, ſo möchte ich die Geſchichtforſcher auffordern, der Entſtehung und allmähligen Erweiterung der Fürſtlichen Aemter und Bedienungen in einzelnen Staaten nachzuſpü⸗ ren, denn es dürften ſich daraus die frappauteſten Be. ſtätigungen und die lehrreichſten Reſultate ergeben. Die⸗ jenigen, bdie (id) noch nicht an bie ſchöne Idee freyer natürlicher Verknüpfungen und an das Principium des eigenen Rechts der Fürſten gewöhnen können, werden glauben, daß ich wenigſtens bey der Materie von der

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Geſezgebung (Čap. 32) anftofien, und wäre es auch nur ſuppletoriſch, 34 der. Idee delegirter Volks⸗Gewalt meine Zuflucht nehmen müſſe. Sie ſollen ſich in ihrer Erwartung betrogen finden, und mir auch da nicht bie geringſte Inkonſequenz vorwerfen können. Auch das Recht der Geſezgebung, ber verbindlichen Willensaußerung, iſt auf eigenes Recht begründet und beſchränkt, und nach Durchleſung dieſes Capitels wird niemand mie mehr be. haupten wollen, daß andere Menſchen nicht auch Geſeze geben. Schwerlich dürfte je dieſe wichtige Materie (9 klar und einleuchtend, (o beſtimmt und zugleich fo prať. tiſch fruchtbar abgebandeľt worden ſeyn, alý 69 bier in vic cm einzelnen Capitel geſchehen iſt, und wenn es mit gelingen ſollte, die Welt auch nur zum Theil von der Dual unſerer heutigen Geſezmacherey, von der Legis⸗ ferirungs⸗Wuth, beſonders über ſogenannte Civil⸗ oder Privat⸗Angelegenheiten zu befreyen, fo glaube id ihr hierdurch einen großen Dienſt geleiſtet zu haben. Auch biť Frage von den Privilegien und Diſpenſatio— nen (Čap. 33) wird nun hoffentlich auf ewig berichtiget nnd abgethan, der eiſerne Aberglaube gebrochen ſeyn, nach welchem man ſogar alle Gnade und Barmherzigkeit aus der Welt verbannen, und behaupten wollte daß man von keinem menſchlichen Geſez ſolle diſpenſiren dürfen, auch wenn das höhere natürliche Geſez es gebietet. Was anders entſteht aus dieſem Gözendienſt menſchlicher Ver⸗ ordnungen, als daß man ſich dagegen vermißt, ſtets die Verlezung ded gottlichen Geſezes zu erlauben, und von

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einem Gebot 4t diſpenſiren, von welchem allein niemand diſpenſiren darf! Welches Licht wird nicht über die ganze Materie von ber Gerichtsbarkeit verbreitet, ſobald man von dem einfachen Principio ausgeht, daß ſie ang natürlicher Hülfs⸗Anrufung und unparteyiſcher Hülflei⸗ ſtung entſpringe (Cap. 34). Wie anders erſcheinen jezt die mannigfaltigen kleineren Gerichtsbarkeiten oder Hülf⸗ leiſtungen, die unſer wahnſinniges Zeitalter aufheben wollte, und dadurch noch den Menſchen einen Dienſt zu erweiſen meynte. Wie natürlich erklart fi) das Straf⸗ recht, welches ben den Privat⸗Perſonen nur wegen der Schwierigkeit oder der Unmöglichkeit ſeiner Ausübung mehr beſchränkt iſt? Wie einfach ergeben ſich alle Ver⸗ hältniſſe zwiſchen dem Fürſten und ſeinen beſtellten "Ut. terrichtern? Wie belehrend, wie befriedigend find nicht alle übrigen Conſequenzen, die aug jenem Principio gezo-⸗ gen werden, ſo weit man ſie nur immer treiben mag, ohne dabey das Geſez der Liebe und ſeine Verbindlichkeit zu vergeſſen? Auch dieſes reichhaltige Capitel glaube ich „dem aufmerkſamen und wiederholten Studio der Gelehr— ten empfehlen zu dürfen.

Nach ben angebornen Rechten der Fürſten folgen die erworbenen oder diejenigen, welche aus ihrem Eigen⸗ thum fließen, und auch neue Verhältniſſe, neue Pflichten hervorbringen. Die Capitel von Domainen und Bee galien, vo Taxen und Sporteln und don Steu⸗ ren oder Auflagen, verbunden mit demjenigen waß

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tm sten Band Úder bdie Fürſtliche Defonomie, als Regel der Klugbcit, vorkommen wird, entbalten zufammen ben» nahe bie ganze ſogenannte Cameral⸗ oder Finanz⸗Wiſſen⸗ ſchaft. Hier aber werden dieſe Gegenſtände mehr in recht⸗ licher Rükſicht behandelt, und ich darf mir ſchmeicheln dabey theils viele und große Irrthümer berichtigt, theils weſentliche, aber oft vergeſſene, Regeln der Gerechtigkeit, der Liebe und Klugheit eingeſchärft zu haben. Domaie nen und Regalien erſcheinen in ihrem wahren und wohl⸗ thätigen Lichte als Capitalien und als eine zwar einträg⸗ liche aber auch gemeinnüzige Fruchtbarmachung derſelben. Möchte man beherzigen, was hier über die Poſten und Zölle, die Münzen, bie Bergwerke u. ſ. w. geſagt wor⸗ den iſt, und was ehmals allgemeine rechtliche Uebung war! Wenn ich den Fürſten die unbeſchränkte Diſpoſition fiber alles was das ihrige iſt, einräume: fo Din ich bin. © gegen weit entfernt ihnen dať Privat⸗Vermögen der Un⸗ terthanen, unter dem Vorwand von Staatsbedürfniſſen, zur willkührlichen Verfügung zu überliefern. Gleichwie ich mit der Geſchichte und dem geſunden Verſtand behaupte, dať die Domainen nicht National⸗Güter, ſondern eigen⸗ thümliche Güter der Fürſten ſeyen: ſo ſind mir ihre Schulden auch nicht National⸗Schulden, es ſey dann, daß fit von der Nation, d. b, von den Erſten und Dor. nehmſten derſelben, freywillig übernommen worden wären. Alles Vermögen in einem Land iſt entweder Eigenthum ded Landesherren. odber Privat⸗Eigenthum der einzelnen Individuen oder Corporationen; ein drittes ſogenanntes

b ô1]

Staats⸗Eigenthum, was weder dem Fürſten noch Private Verſonen gehöre, erkenne id) nicht, ſondern halte cd für eine falſche verderbliche Erfindung unſerer revolutionären Zeit, welche zwar den Schaden der Fürſten beabſichtigte,

aber zur gerechten Strafe weit mehr noch zum Schaden

ber Völker ausſchlagen wird. Auch die beſcheidenen Ta⸗ ren und Sporteln (Gap. 36) wird man jest unter ci nem andern Geſichtspunkt betrachten, und dabey die große Unklugheit ihrer Abſchaffung erkennen. Was endlich ben lei⸗ bet heut zu Tag fo viel beſprochenen Gegenſtand der Stena ven und Auflagen betrifft, fo laſſe id bie Sachkun—⸗ digen ſelbſt beurtheilen, ob je alle dahin gehörigen id). tigen Fragen, ſo ungezwungen, in einer ſo natürlichen Ordnung, und zugleich in einem ſo engen Raum richtiger beantwortet worden ſeyen (Cap. 37). Das 38ſte Capitel von ben Liebespflichten oder den gFemeinnüzigen An—⸗ ſtalten der Fürſten enthält im Kleinen eine ganze Fürſten⸗Moral, jedoch auf die: höheren, mehr Kräfte vor⸗

ausſezenden Wohlthaten beſchränkt, und umfaſſet mit we⸗

nigen Worten bad Weſentliche von allem demjenigen, was unſere Politiker in ihren Staats⸗Verwaltungs⸗Syſtemen als Mittel zur Beglükung und Emporhebung der Völker fordern oder anpreiſen, jedoch von Irrthümern oder Aus⸗ wüchſen geſaäubert und. ſtets ber Gerechtigkeit untergeord⸗ net. Da hoffe ich den Fürſten für alles was ſie Gutes. thun, auch wieder ben Dank der Völker zu verſchaffen, und vorzüglich den verderblichen Irrthum auszurotten, nach welchem man. ihnen Unmögliches aufbürden, alle

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nur immer denkbaren nüzlichen Anſtalten und Borforgen als Zwangs⸗Pflichten auflegen, oder gar behaupten wollte, daß fc ausſchlieſſend dem ſogenannten Staat obliegen und von den Privat⸗Perſonen oder Privat⸗Verbindungen, welche dergleichen ſonſt viel mehrere und beſſere ſtifteten, nicht errichtet, nicht nach eigener Einſicht verwaltet wer⸗ den dürften. Zuverläßig find die Schranken der Bane desherrlichen Gewalt noch nie ſo beſtimmt und nach⸗ drüklich ausgeſprochen, nie aus dem einfachen allgemeinen Princip mit ſo vielen und verſchiedenartigen Beyſpielen illuſtrirt worden, als cd im Z39ſten Capitel geſchehen iſt. In den Hütten der Armen wie in den Palläſten der Ge⸗ waltigen will ich dieſe Lehre predigen, und ſie wird von beyden gebilliget werden, darum weil die göttliche Wahr⸗ heit alle gerechten Wünſche befriediget, alle Intereſſen ausgleicht. Laßt uns ſehen, ob ihr nicht endlich auch die Gelehrten beyſtimmen, ſeitdem ſie wiſſenſchaftlich begrün⸗ det und entwikelt worden iſt. Möchten aber auch alle Fürſten, Miniſter, Landtags⸗Deputirte und andere Volks⸗ Fürſprecher, zumal in unſeren Tagen, dieſes Capitel Be. herzigen und ſich daraus überzeugen, wie dürftig, wie unnöthig, wie illuſoriſch alle die geprieſenen poſitiven Be⸗ ſchränkungen, die ſogenannten Chartres, bie pacta con- venta, die papiernen Conſtitutionen und Organiſationen find, wie ſie das Uebel ſtets noh arger machen und den Defpotismus ſelbſt herbeyführen, den ſie hindern ſollten. Die Parallele, welche im 40ften Capitel zwiſchen den Fürſten und allen Privat⸗Obern, ja ſogar zwiſchen den

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Fürſten und allen Menſchen in Abſicht ihrer Rechte und Pflichten gezogen wird, iſt zwar eine Art von Wieder⸗ holung, dürfte aber doch als Recapitulation deſſen was anderswo Nut zerſtreut geſagt worden, nicht überflüſſig und in ihrer gedrängten vollſtändigen Durchführung lehr⸗ reich fenu. Wird man mir noch Einſeitigkeit, Defpotiú- mus u. ſ. w. vorwerfen dürfen, wenn ich nicht blos mit leeren Worten behaupte, daß alle Menſchen (der Quelle und dem Zweke nach) die nemlichen Rechte und bie nent» lichen Pflichten haben oder haben ſollen, ſondern materiell beweiſe und im einzelnen aufzähle, daß ſie dieſelbigen auch wirklich beſizen und ausüben, ſtets ausgeübt haben, und daß der Unterſchied nicht in. verſchiedenen Rechten und Pflichten beſteht, ſondern nur in ungleichen Glüks— gütern, d. b. in verſchiedenen Mitteln die nemliche gr. laubte Freyheit zu gebrauchen, oder über mehr oder we— niger Gegenſtände auszudehnen? So ſind auch die Pflich⸗ ten an und für ſich durchaus die nemlichen; allen Men⸗ ſchen, dem König wie dem Bettler, iſt das nemliche gött⸗ liche Geſez der Gerechtigkeit und Liebe gegeben, nur ſind bey jedem die Gegenſtände verſchieden, auf welche ſich daſſelbige anwendet. Wie einfach und dod) wie erſchö⸗ pfend werden hier die Pflichten der Unterthanen gegen ihre Fürſten aufgezählt, wie einleuchtend werden ſie durch ihre natürliche Subordinirung in Rechts⸗Pflichten, Lie⸗ bes⸗-Pflichten und Klugheits⸗Regeln, wie überraſchend, wie beruhigend iſt nicht das Reſultat, daß ſie die nem⸗ lichen ſind, die man gegen alle anderen Menſchen auch

<v bat. Auch das 41fte Sapiteľ iſt nr zur Ergänzung einer ſcheinbaren Lüke, und um mich gar keinem Vorwurf von Einſeitigkeit auszuſezen, beygefügt worden. Wo hat noch ein Staats⸗Rechtslehrer die Mittel der Unterthanen sur Sicherung ihrer Rechte mit ſolcher Beſtimmtheit und Freymüthigkeit, zugleich aber mit mehr Gefühl für wech⸗ ſelſeitige Pflicht und Schonung abgehandelt! Auch dieſe Doctrin mil id unbeſorgt ben Thronen mie den Hütten vorleſen dürfen, und vertraue auf Gott, dať ſie im Sn. nern des Gemüths von beyden wird gebilliget werden. Iſt doch die himmliſche Wahrheit niemalen ſchädlich, wenn ſie mit reinem Herzen geſucht, und nicht blos auf einer Seite beleuchtet, ſondern in ihrer vollen Klarheit dargeſtellt wird. Liegen etwa dieſe gerechten Mittel nicht in den Händen der Völker? können ſie nicht beynahe von jedem einzelnen Menſchen angewendet werden? und wahr⸗ lich wenn man ſie mehr benuzte, ſo würde man niemals nöthig haben, zu dem traurigen Extrem eines gewaltfa⸗ men Widerſtandes zu ſchreiten, welches die bisherigen Staatslehrer nur von Seite ſeiner Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit behandelt, aber auf ſeine Unklugheit oder Gefährlichkeit nur wenig, und auf ſeine Schwierig⸗ leit obeť relative Unmöglichkeit gar keine Rükſicht ge. nommen haben. Wie begreiflich wird nun auch die Materie, welche dem pſeudophiloſophiſchen oder revolu⸗ tionären Syſtem ein ewiger Stein des Anſtoßes iſt, nem⸗ lich die Veräuſſerung und die Erblichkeit der Landesherrlichen Macht, ſobald man ſie ebenfalls

XVI

auf eigene Rechte begründet und bei chrántt (Gay. 42), Dab id beh dieſem Anlaß aud bie natürliche Theorie aller Erblichkeit Úberbaupt aufnebmen, die Rechtmäßig— felt ber Teſtamente u. ſ. w. beweiſen mußte: wird man mir ebenfalls wegen der alles bezweifelnden Sophiſtik un. ſerer Tage verzeihen. O! wie lebendig ward da mein Wunſch, auch für Privat⸗VPerſonen die unbeſchränkte, nicht durch Geſezes⸗Zwang, ſondern nur durch väterliche Liebe temperirte Teſtirungs-Freyheit, die religioſen ne ſtitute ber Subſtitutionen, der Fidei-Commiſſe u. ſ. w. wieder hergeſtellt zu ſehen, wenn alles Gute und Herr⸗ liche, was bie Revolution zerſtört und zertreten bat, all⸗ mählig wieder aufkeimen und blühen ſoll. Die Commu⸗ nen, die zerſtreuten Kranken und Armen, die Religion und Wiſſenſchaften, die Kirchen und Schulen batten oder haben zum Theil noch in den für ſie geſtifteten Gütern ihre fortdaurenden Subſtitutionen und Fidei-Commiſſe: warum ſollten die begüterten oder begütert werdenden Geſchlechter, bie Pflegeväter ded übrigen Volks, die Säu⸗ len und Stüzen des geſelligen Verbandes nicht auch die ihrigen haben dürfen, ſie, die doch alle übrige Induſtrie befruchten und beleben müſſen, deren Exiſtenz die erſte Bedingung alles National⸗Wohlſtandes ausmacht? Was doch der Neid für ein ſchlechter Rathgeber iſt, und wie die leidige Mißgunſt ſich ſelbſt beſtraft! Um dem Näch—⸗ ſten nicht cin Aug zu gönnen, ſticht man ſich lieber beyde

aus! Wollen dann die ſonſt fo achtungswürdigen, mitte leren Claſſen, oder die gelehrteren unter ihnen, nicht

V——

XVII

einſehen, daß grade fene vollkommene Teſtirungs⸗Frey⸗ heit, die Subſtitutionen und Fidei⸗Commiſſe, ihnen das natürliche, von niemand beſtrittene Mittel an die Hand geben würden, durch Tugend und wohlerworbnen Reich⸗ thum das Anſehen ihres Geſchlechts daurhaft emporzuhe⸗ ben, und mit gutem Gewiſſen, ohne jemand Unrecht zu thun, allmählig in die ſo ſehr beneidete Claſſe der Er⸗ ſten und Vorderſten zu treten. So dann in unſerm Eu⸗ ropa nichts mehr auf die Dauer und Zukunft, ſondern alles nur auf bie ſchyell verfließende Gegenwart und egoi⸗ ſtiſchen Selbſtgenuß berechnet werden? Hunger und Peſt, innere Kriege und Volkerwanderungen werden zulezt noch die Folge unſerer alles iſolirenden, alles in ſchuzloſe Vogel⸗Freyheit "und Gleichheit bed. Elends zerſtrenenden Geſeze ſeyn, wo niemand mehr dem andern nüzen odev helfen kann. Dad AZfte Capitel zeigt ausführlich der Natur und Erfahrung gemäß, wie die Patrimonial⸗GStaa⸗ ten, aus einem urſprünglich kleinen Anfang, ſich allmäh⸗ lig und rechtmäßig durch neue Erwerbungen oder vortheil⸗ hafte Verträge bis auf einen nicht zu betimmenden Grad erweitern können: und den Beſchluß macht das Aufte Ca⸗ pitel von dem Verluſt ber Unabbängigkeit oder dem Mn. tergang der Staaten, welcher durch alle Arten von abſoluter oder relativer Schwächuug erfolgt. Die Ma⸗ krobiotik oder die höͤhere Staats⸗Klugheit, welche jene Gcfahren 3 vermeiden oder zurükzuſchieben lehrt, und bereits ausgearbeitet vor. mir liegt, mußte wegen Mangel an Raum auf den driteen Baud verſpart werden/ b

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der zugleich das zweyte Hauptſtuk von den mšfitávitáen Staaten enthalten, und, wenn Gott mit das Leben ſchenkt, vermuthlich auf Oſtern 1818 erſcheinen wird.

Dieſe kurze Anzeige Ted gegenwärtigen zweyten Ban⸗ ded glaubte ich ſelbſt verfaſſen zu müſſen, auf daß meine Leſer gleich Anfangs bey jeder einzelnen Materie auf den weſentlichen Geſichtspunkt hingelettet werden, und auf daß nicht, wie es bey dergleichen Büchern oft zu geſche⸗ hen pflegt, jn andern öffentlichen Anzeigen nur unbeden⸗ tende Rebenſachen herausgehoben, aber die Hauptſache vergeſſen werde. Er iſt weniger polemiſch als der erſte, mehr aufbauend als niederreiſſend, mehr für das praktiſche Leben, add für die blos wiſſenſchaftlichen Köpfe beſtimmt. Wenn jener erſte Band vorzüglich Krieg führte, fo dictirt dieſer ben Frieden, aber ohne mit der Hoölle und ihren Principien im geringſten zu capituliren. Er zwingt die uberwundenen Feinde ſich vor. der alten Wahrheit zu beu⸗ gen, ahre Majeſtät zu ehren, wie in dem Urſprung fe auch in ber Ausübung der Landesherrlichen Macht die Oberherrſchaft Gottes zu erkennen: aber gerade deßwegen aͤſt auch ber Friede erfreulich und großmüthig, läßt je. dem das Seine, mid giebt den beihörten Menſchen in herrlicher Privat⸗Freyheit überſchwenglich wieder, mag ÚC an der unmsglichen, doch niť geneſſenen collectiven olfý » Sotverainitát verloren zu haben wähnen. Der bisherige leidige Kampf beſtand darin, daß nad) falſchen Orundſazen die Závin ſich in alle Angelegenheiten dex

XIX

Volker, und dieſe hinwieder ſich in alle Geſchäfte der Fürſten miſchen ſollten, wobey es beyden zuſammen ſchlecht gieng und beyde unzufrieden waren. Sollte der Friede nicht darin zu finden ſeyn, daß nad dem Willen Gottes jeder das Seinige beſorgt, und übrigens nur Liebe und wechſelſeitige Hülfleiſtung das Getrennte wieder zuſam⸗ menknüpft? So ſey danu auch dieſer Band mit Muth und Zuverſicht in die Welt geſendet, und der Geiſt des Guten und Wahren, der doch Koh in vielen Gemüthern wohnt, i anderen nen auſgeregt werden kann, môge ibn ſchüzen und begleiten! Redlich habe ich in demſelben ein⸗ zig und ausſchlieſſend der Ehre Gottes gedient, in jeder Linie mein Gefühl für das höchſte Geſez ausgeſprochen, alles von dem Göttlichen hergeleitet und wieder auf das Goͤttliche zurükgeführt. Er wird zwar auch viel zu fám» pfen und zu dulden haben, doch weniger als der erſte, aber zulezt zuverläßig triumphiren; auf den Felſen der Natur gegründet, werden die Pforten der Hölle, bie Be. múbungen aller Sophiſten, diefe Doctrin nicht überwäl— tigen. Bon dem Saamen, den ich hier in reichem Maaß ausſtreue, wird, wie von jeder guten Lehre, etliches zwar auf den Weg fallen und von den Prieſtern des Irrthums vertreten oder durch die unvermeidliche Beymiſchuig des böſen Geiſtes verfälſcht werden; etliches auf unfruchtba⸗ ven Felſen, auf verdorrete Seelen, mo es keine Wurzel faſſen kann, die das Gute zwar hören und loben, aber nicht feſthalten und bey der erſten Anfechtung abfallen; etliches von den Dornen des Egoismus, der weltlichen

xx Sorgm und Freuden, der Einſettigkett welche die Vor⸗ theile der Gerechtigkeit nur für ſich und nicht für andere will, erſtikt werden; etliches aber gewiß auch ein herrli⸗ ches Gemüth treffen, das hundertfältige Früchte bringt, deren ich mich zum voraus innigſt erfreur. Sn dem Au⸗ genblik, wo ich dieſes ſchreibe, herrſcht drükende Noth in allen Landen; viele Taufende ringen mit leiblichem Hunger, aber das Brod des geiſtigen Lebens, das Wort Gottes, die himmliſche Wahrheid, tit noch viel theurer und ſeltener. Hilf, o Herr! dieſem doppelten Mangel, gieb uns an beydem cine geſegnete Ernde; ſpeiſe die Hun⸗ grigen, aber ſättige auch diefenigen, die nad) Gerechtig⸗ keit und Liebe hungern und dürſten. Es weichet der al⸗ les erſtarrende Froſt, bie Knoſpen der Baume öffnen ſich, die Erde ſcheint ſich wieder mit mannigfaltigen Blumen zu bedeken; o! laſſe auch das Eis des Irrthums bre⸗ den, bie Knoſpe der Wahrheit und Gerechtigkeit ſich ent⸗ falten, herrlich aufblühen, und in tauſend verſchiedenen Formen sur milden Frucht heranreifen. Erwärme Luft und Erde, aber erwärme vor allem unſeren Geiſt, und un⸗ ſer, nur durch die Entfernung von dir, erſtarretes Herz.

Geſchrieben in Bern, am žten May 1547, |

KRY

Innhalts⸗Anzeige.

Erſter Theil. Von ben Fuͤrſtenthuͤmern oder Monarchien.

Orey und zwanzigſtes Capitel. Entſtehungs⸗-Art der Fürſtenthümer oder freyen Einzelherrſchaften. S. 3—.10,.

I. Die Zúrfentbámer entſtehen aug der Natur be Dinge felbét und find daber bie erſten, zabhlreichſten und dauerxhafteſten Etaaten. ©, 3 4. .

HI. - Bemeid dieſes Sazes aus ber Bernunft, aus der alltemei⸗ nen Erfabrung und aué NAuteritáten. ©. 4—6,

111. Beſondere Entſtehungsart der einzelnen Fúrftentbúmec. Bow eben berab durd Stiftung einer natuͤrlichen Herrſchaft und durch Erwerbung der Unabbaͤngigkeit. S. 7.

IV. Alle Monarchien find daher urſpruͤnglich klein geweſen. S. 8.— 10,

Bier und zwanzigſtet Capitel. Eintheilung der Monarchien. ©. 11 19.

E Grundlage derſelben von den verſchiedenen Principien ber Oberherxſchaft Beriunchmen. S. 11 12.

a. Erb: und Grundberrliche. Verhaͤltniß eines Haus⸗ und Orundúcecen zu ſeinen Dienern, Leuten und andern Hoͤrigen. (Patrimonial⸗Gtaaten). |

b. Militárif de. Berbáltniť eines Anfuͤbrers zu ſeinen

Begleitern und: Getreuen. (Beneralat),

©. Seiſtlich e. Verhaͤltniß eines Lehrers su ſeinen Juͤngern

und Glaͤubigen. (Hierarchien, Theokratien).

ZXTI

11.

11.

Correſpondirende Privat⸗Verbaͤltniſſe. ©. 1< 16. ,

Moͤgliche Vereinigung dieſer drey Principien der Oberherr⸗ ſchaft. ©. 17— 19.

E r 8 Hauptſtuͤk.

Von den unabhaͤngigen Grundherren oder den

Patrimonial⸗Fuͤrſten.

Fünf und zwanzigſtes Capitel. Natürlicher Ur»

I.

II.

411.

IV.

ſprung derſelben und ihrer Herrſchaft. S. 20 60.

Natuͤrlicher Urſprung der Ehe und der Familie. Rechtliche

und liebevolle Natur dieſes Verhaͤltniſſes. ©. 20.

Jede Familie iſt das vollkommene Ebenbild eines monarchi⸗

ſchen Staats, die Unabhaͤngigkeit allein abgerechnet. S. 285.

Die erſten unabhaͤngigen Familien⸗Haͤupter, mithin die

erſten Fuͤrſten, finden ſich nothwendig unter ben freyen Land⸗

Eigenthuͤmern. Beweis dieſer Wahrheit aus der Natur der

Sache, aus der Geſchichte und aus dem allgemeinen Sprach⸗

gebrauch. ©. 28 36.

Natuͤrlicher Urſprung des Grund⸗ Elgentbumé ſelbſt. ©. 35. ff.

bemiefen:

s. Aus feíner Nothwendigkeit, Allgemeinheit und Unzerfoͤr⸗ barkeit. S. 38 42.

b. Aus der Uebereinſtimmung deſſelben mit dem naturlichen

Rechtsgeſez. S. 42— S4.

©. Aus der allgemeinen Erfahrung ned in unfeven Tagen. ©. 45. ff.

d. Aus der Nutoritát der beruͤhmteſten Philoſophen und Jus riſten aller Zeiten. G. 54.

e. Veranlaſſung des entgegengeſezten Irrthums blos aus der Zweydeutigkeit des Worts Gemeinſchaft. ©. ss. Ein unabbaͤngiger Land⸗ Eigentbuͤmer iſt ein vollendeter Fuͤrf. ©. 57 60.

ZEXIIE

Sechs und zwanzigſtes Capitel. Natürliche Des

I.

H.

duction aller Landesherrlichen Rechte. ©. 61 —63. Ausſchließende Begruͤndung derſelben auf allgemeine Dena ſchen⸗Rechte uno ermorbene Privat⸗-Rechte (Freyheit und Eigenthum).

Nothwendige Beſchraͤnkung diefer Deduction auf die vorzuͤg⸗ lichſten Befugniſſe oder Freyheits⸗Aeußerungen.

Sieben und zwanzigſtes Capitel. Landesherrliche

I.

+1.

HI.

Rechte. 4. Eigenthümliche Sonverainität. Höchſtes Glüksgut niemand alá Gott über ſich zu haben. ©. 64—69,

Gie if nichts anders alg die Unabhaͤngigkeit odev vollkommene Freybeit ſelbſt. S. 64.

Lraft derſelben iſt cin Fuͤrſt nur den gôttlicken oder natúta lichen Geſezen unterworfen. S. 65. Zulaͤnglichkeit derſelben fuͤr alle Beduͤrfniſſe. Jde Vorzug vor allen menſchlichen. S. 66 68.

EV. Religiofer und ſchoͤner Sinn der Benennung eines Statt..

hal ter Gottes. ©. 6.

Acht und zwanzigſtes Eapitel. Fortſezung.

HI.

1M.

2. Leitung aller Berhältniſſe mit ſeinen Nachbaren. Krieg und Frieden. S. T0—t14..

Dad Nedt Krieg zu fabren berubt auf tem Net ber Selbſuvertheidigung Der Krieg des Fuͤrſten iſt ſein Krieg und betrifft feine eigene Sache. S. 71.— 78. Die Verbindlichkeit zur Huͤlfleiſtung von Seite ber Unter⸗ thanen bernýt. mie jeder andere Dienít a) auf blod merali: ſcher Pflicht, b) auf eignem Intereße, ©) auf: beſonderen Dienſtvertraͤgen. ©. 79— 34

Daberige abſelute Ungerechtigkeit der Genfcription und der gezwungenen Advocatorien. Ihre Geſchichte. Sie ſind eine Frucht der revolutionaͤren Etaats-Princinien. ©. 24, ſi.

IV.

V. , TT

! 4

II.

čl.

xxrv

Ein Fuͤrſt ſoll i der Regel ben Krieg auf eigne Koſten FB» ren. Seine Unterſtuͤzung berubt wieder sui Liebespfiicht und eignem Intereſſe. S. 95 96,

Beweis, daß das Recht Krieg zu fuͤhren auch von alfen an⸗ deren Menſchen ausgeuͤbt wird, und daß ſie im kleinen auch Truppen, Waffen und Feſtungen halten. ©. 94. ff.

Neun und Iwanzigſtes Capitel. Fortſezung.

3. Friedens⸗Schlüſſe, Verträgge, Bündniſſe, Be. ſandtſchaften. ©. 145 130,

Dad NRedt dazu berubt auf der allgemeinen Freybeit. Die Vertraͤge des Kúrften betreffen nur feine cigene Sade und er ſtipulirt auch nur úber diefe. ©. r16.

Auch bie Befandten merben nur fúr bie eigenen Rechte und Intereſſen der Fuͤrſten geſchikt, wenn ſie fon nebenýce auch den Unterthanen nuͤzlich ſeyn koͤnnen. S. 119. | Das Recht fr cigne Sade Bundniſſe ju ſchlieſſen, koͤmmt auch andern Menſchen zu und wird báufia von ihnen ausge⸗ uͤbt. Vollſaͤndiger Beweis dieſes Soes aus Vernunft und Erfahrung. S. 122 130.

Dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 4. Möglichſte

Beſchüzung ſeiner Unterthanen im Ausland. Hoſpi⸗ talität gegen bie Fremden in eigenem Band. S. 131 140,

Die Beſchuͤzung der Hntertbanen im Ausland iR cine mora⸗ liſche Pflicht, aber ber Moͤglichkeit untergeordnet und (el nur in gerechten Dingen geſcheben. ©. 131.

Die Hoſpitalitaͤt gegen Srembe iſt ehenfal cine moraliſche Pflicht. ©. 133.

. In wie weit frembe Domizílianten dem Súrften und ſeinen

Geſezen unterivorfen fepen? ©. 195 199. Sn mie weit ciu Fuͤrſt auf weggezogene oder abweſende Un⸗ terthanen ned cinige Nedte haben köme? ©. 139. ff,

xxv

Ein und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. S. An⸗

1.

1I.

111.

Iv.

ſtellung, Beförderung und Verabſcheidung aller fele ner Beamten und Diener. S. 141 174, Das Recht dazu beruht darauf, daß alle dieſe Beamte nur

ſeine Diener nud nur fuͤr ſeine Seſchaͤfte beſtimmt find. S. 141 142.

Beweis dieſes lezteren Sazes aus der Matur der Sache, aus

ibren Verrichtungen, Benennungen u. ſ. w. ©, 143. Natuͤrliche Rechte und Verbaͤltniſſe zwiſchen den Fuͤrſten und

ihren Beamten, nad der Tbeorie aller Dienſtvertraͤge, der all⸗ gemeinen Gerechtigkeit und ergaͤnzenden Billigkeit. S. 145. Geneſis oder natuͤrliche Filiation aller der unzaͤbligen beut zu Tage exiſtixenden Fuͤrſtlichen Aemter und Bedienungen aut einem einfachen beſcheidenen Urſprung. Beweist daß ſie alle nur Diener oder Bevollmaͤchtigte der Fuͤrſten ſind. S. 153.

Zwey und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

VÍ.

6. Oberfte ll und Handhabung feiner Ge⸗

Definition eines Geſejes forint und NA menſchlichen Ge⸗ ſeze insbeſonders, «lg verbindliche Willens⸗ Weuferung. Ihre Verbindlichkeit berubt theils auf ihrer Uebereinſtim⸗ mung mit dem natuͤrlichen Recht, theils auf der Macht den Willen zur Vollziehung zu bringen. S. 177.

.Alle Menſchen geben Geſeze fo weit ihr Recht und ihre

Macht reicht. Beweiſe davon. ©. 178 183.

Die Fuͤrſtlichen Seſeze find von ben Privatgeſezen nicht ibrer Natur, ſondern nur dem Grade nad verſchieden. S. 183. Das Recht der Geſezgebung iſt, mie bie Macht und Freybeit uͤberhaupt, durch dať natuͤrliche Geſez, d. h. durch fremde Rechte beſchraͤnkt. S. 197 190,

Eintóciíung der Fuͤrſtlichen Geſeze nad ben Perſenen denen fit gegeben werden. S. 190.

XXVI

a. Geſeze die cin Fuͤrſt ſich ſelbſt und zum Theil auch feinen Nachfolgern auflegt. ©. 100 191. b. Geſeze bie ben Beamten und Dienern gegeben werden. (Dienſt⸗Inſtruktionen) S. 193. | ©. Geſeze welche die Unterthanen angeben. Dieſe leztern find bie feltenficu und aud bie unnoͤthigſten von allen. Beweis dieſes Eazes in Abſicht auf die Civik⸗ und Molís zey⸗Geſeze. Criminal⸗ odber Straf s Gefeze geboͤren nidt bieber, fie (ind nur Snfiruttienen fúr bie Richter. G, | 195 213. , , VII. Menſchliche Befeze find nicht allgemein, nicht fúr alle gleich, nicht indiſpenſabel. Dieſe Charaktere kommen nur den natuͤr⸗ lichen oder goͤttlichen Geſezen zu. ©. 413 215.

Drey und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 7. Ausnahme von Geſezen, Privilegien und Gnaden. S, 216 230,

IL Das Befugniß bazu berubet auf ber Freyheit felnen Willen zu aͤndern, infofeen dadurch kein fremdes Recht beleidigt wird. S. 216,

11. Ein Fuͤrſt iſt zwar nidt úder bie natuͤrlichen, nech uͤber fremde nicht von ihm gegebene Gefeze, webl aber uͤber ſeine eigenen. S. 217 219.

HI. Allgemeine Negel zur Ertheilung von Difpenſationen und

Privilegien. Sie find erlaubt und moraliſch geboten in allen

Faͤllen wo der Grund des Geſezes aufhoͤrt. S. 219.

IV. Anwendung dieſer Regel a) guf Geſeze, die cin Fuͤrſt ſich ſelbſt auflegt, b) auf ſolche die er ſeinen Beamten ertheilt, beſonders auf Strafgeſeze oder Begnadigungen, c) auf Ei⸗ vil⸗ und Polizey⸗Geſeze. ©, 219— 229.

V. Widerlegung der Einwuͤrfe. ©. 229— 230.

Vier und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 8. Oberſte Gerichtsbarkeit. S. 231 —271.

J. Natuͤrlicher Urſprung und Weſen der Gerichtsbarkeit. Si— |

Hl. ,

III.

VI.

VII.

"XYVIE

entfvrinot aug Haͤlſcanrufung und (k nichts weiter als un⸗ partheyiſche Huͤlfleiſuna. S. 232— 234.

Sie if kein ausſchlieſſendes Souverainitaͤts⸗Recht, ſondern wird im kleinen von jebem Menſchen ausgeuüͤbt. Vaͤterliche, Hausberrliche, Patrimonial⸗Gerichtsbarleit u f w. ©. 234 240.

Ein Fuͤrſt bat aber tbeils die ausgedehnteſte, theils bie oberſte und bôdíte Gerichtsbarkeit. ©. 240 248.

Er kann Diefelbe ſowobl in eígener Merfon als in ſeinem Nas

men durch Beamte ausútben laſſen. ©. 245 250.

Disfe richterliche Beamte find des Fuͤrſten ſeine Diener oder

Gehuͤlfen, mithin keineswegs von ihm unabbaͤngig und nicht

zu Richtern uͤber ihn geſezt. S. 250 264.

Die Gerichtsbarkeit an ſich, als Huͤlfleiſtung betrachtet, iR

eine moraliſche Pflicht (Wohlthat), S. 264 - 269. Daraus

erklaͤrt ſich:

a. Die Notbwendigkeit ihrer Anrufung. ©. 265.

b. Die Moͤglichkeit ihrer Verweigerung unter gewiſſen Um: fánben, zu gewiſſen Zeiten ac. ©, 265 267,

Die Ausuͤbung ber Gerichtsbarkeit aber nad dem Befez ber

Gerechtigkeit iſ firenge Rechtspflicht. S. 270,

Fünf und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

II.

9. Dingliche Rechte des Fürſten. Domainen und Regalien. S. 272— 309,

Grene Diſpoſition uͤber ſein Vermoͤgen, ſeine Einkuͤnfte und ſeine Ausgaben, oder die ſog enannten Staats + Finan⸗ zen. S. 272 277. Domainen (ind eigenthuͤmliche Guͤter der Fuͤrſten und nicht National » Gúter, daber auch veraͤußerlich, infofern nicht frúbere Ťeftamente oder Familien⸗Vertraͤge im Meg ſtehen. S. 277 281.

Die ausſchlieſſende Benuzung von gewiſſen Gewaͤſſern,

XAVIJY

Msraͤſten, Waldungen 1, ſ. w. fließt aus dem Eigenthuw uͤber die Domainen. ©, 293.

U. Regalien find eine Fruchtbarmachung von Capitalien, aus⸗ ſchlie fend vorbehaltene Induſtrial⸗ unt ernehmungen. Recht⸗ liche Grundſaͤze darúber. ©. 284 286.

1V. Entwiklung dieſer Grundſaͤze in Abſicht auf die Jagd und Fiſcherey (fo zwar eigentlich zum Recht der Domainen ges bôven), die Zoͤlle, die Voſten, die Muͤnzfabrikation, bie Berg⸗ werfe , ben Salz⸗ und Zabať : Sandel, die Pulver⸗ und Sals peter s Fabrifation sc. Gedanken úber bie Erwelteruns der Regalien. S. 196 307.

V. Nidt ausſchlieſſende Induſtrial⸗Unternehmungen, allerley Mauufakturen, Fabriken u. a. Anfalten. Jore Zwekmaͤßig⸗ keit. G. 307⸗ 309,

Sechs und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 10. Taxen und Sporteln. S. 310 316,

I. Natur und Entſtehungtart derfelben. ©. 410 %13.

11. Ibre Rechtmaͤßigkeit und Billigkeit unter gewiſſen Schran⸗ ken. Ebend.

111. Ibre Vortheile ſowobl fňe bie Portenen alé fir bie Beam⸗ ten und fúr bie Fuͤrſten ſelbſt. S. 313.

IV. In der Negel follen fe den Beamten als cine Belobnung ih⸗

rer außerordentlicheu Arbeit zuťommen. S. 315.

Sieben und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 11. Bon Steuren und Auflagen. S. 317 354,

1. Ein Fuͤrſt iſt natuͤrlicher Weiſe nicht befugt ſeinen Untertbas nen einſeitig Steuren aufzulegen. Contributionen auf uͤber⸗ wundne Feinde, und Steuren auf Leibeigene beruben auf einem ganz andern Grund. Ein Fuͤrſt ſoll in der Regel aus eigenem Vermoͤgen leben. S. 318 322.

HI. Beftátigung dieſes Sazes aus der Satur der Sache und der gausen Geſchichte. ©. 3212 326

XXIX

III. Steuren oder Beyhuͤlfen muͤſen angeſucht und freywillig zu⸗ geſtanden werden. Abermalige Beſtaͤtigung dieſes Sazes aus der allgemeinen Erfahrung. ©. 326 332. 1V. Die uUnterſtuͤzung dec Fuͤrſten von Seite ihrer Volker berubt aber auf moraliſcher Pflicht und auf eigenem Jutereſſe⸗ S. 332 335: | | V. Die Steuren muͤſſen von den Freveren des Landes verlaugt werden, d. h. ven denjenigen, die mit dem Fuͤrſten in direk⸗ ter, unmittelbarer Verbindung ſtehen. Daherige natuͤrliche Compoſition der Landſtaͤnde. Sie repraͤſentiren nur ſich ſelbſt nicht das Úbrige Belf. S. 335 339. Vi. Dať Eigentbum und bie Berwendung der Steuren geboͤrt ť dem Fuͤrſten, wofern bep ihrer Bermilligung nichts anders vorbehalten worden. S. 339 341. VII. Einzelne ſpaͤter hinzugekommene Untertbanen find den fruͤber eingefuͤhrten Steuren unterworfen, nicht aber ganze neuer⸗ worbene Provinzen oder Gemeinden. S. 341. VIII. Gegenſtaͤnde der Steuren und Auflagen. S. 343. Sie koͤnnen unendlich mannigfaltig ſeyn. ©. 342 343. Eine vollkommene proportionelle Gleichheit zu erzielen iſt abſolut unmoͤglich. S. 341 346.- Alle Auflagen daben ihre Incoweniente. Die minder fuͤhlbaren oder die freywilligen, und diejenigen die ſich den freywilligen am meiſten naͤhern, find bie beßten. ©, 349. ff.

Acht und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. Mo⸗ raliſche Pflichten der Fürſten. Gemeinnüzige An⸗ ſtalten. S. 354 3714.

I. Beſchraͤnkung dieſer Deduktion auf die hoͤheren und ſeltneren mehr Kraͤfte vorausſezenden Wohlthaten-· S. 354 356.

m. Gemeinnuͤzige Anſtalten zur Befoͤrderung der Sicherheit, des

Woblſt andes, der Wiſſenſchaften, zu Unterffúzung der Kran⸗

fen und Armen ꝛe. S. 456 359.

II. Dergleichen Anſtalten find Wohlthaten, nicht rechtliche Schub⸗

XXX

digkeiten, und werden nicht ausſchließend von den Fuͤrſten geleiſtet. Die meiſten und beßten derſelben verdankt man Prívať : Períonen und Privat⸗Vereinigungen, beſonders aber der ehriſtlichen Bitdie. S. 359 365.

IV. Es ift ſogar doͤchſt ſchaͤdlich und ibrem Aufkommen bindetlich ſie ausſchlieſſend zur Sache ber Fuͤrſten zu machen, und ib⸗ nen als angebliche Zwangspflicht aufzulegen. S. 365 366.

V. Beweis dieſer Wahrbeit aus der Natur der Sache und aus der Erfahrung unſerer Cage. ©. 367 371.

Neun und dreyßigſtes Capitel. Bon den Sdran: fen ber Landesherrlichen Gewalt. S. 372— 416.

1. Unmoͤglichkeit nad dem pſeudophiloſophiſchen Staats : Spftem die Schranken der Fuͤrſtlichen Gewalt zu beftimmen- Es fúbrt zur volllommenſten Sclaverey. Daberige falſche Des finttionen ded Deſpotismus. S. 373 376.

M. Die Sdranten der Fuͤrſtlichen Gewalt befteben in dem was alle menſchliche Freyheit begránst, nemlid in frermden Nech: ten. Ihre Pflichten find die nemlidhen wie die aller anderen Menſchen: nicht zu ſchaden und zu nuͤzen nad ibrem Der: moͤgen. ©. 376 378.

III. Poſitive Vertráge koͤnnen zu den natúrliden Befugniffen oder eigenen Rechten etwas hinzuſezen oder davon wegnehmen. ©. 37% 379.

a. Benípiele ſolcher Vertráge, beſonders der wichtigern: Gapitutationen, pacta conventa, Koͤnigliche Urkunden, Chartres etc. ©. 378 387.

b. Beurtheilung berfelben. Sie find 1) ibrem Inbalt nad) meiſt unbedeutenúd : 2) ſelten noͤthig und werden nuť durch vorangegangenes großes Unrecht veranlaſſet; 3) obne Nes ligiofitát durchaus unnúz und illuſoriſch; 4) oft ſogar ſchaͤdlich und der Ungerechtigkeit foͤrderlich. €. 388- 393.

IV. Der Deſpotismus i nichts weiter als gewaltſame Ueber⸗

XXKXI

ſchreitung dets eigenen und Beleidigung fremden Rechts; eine Laͤſion von Seite bed Maͤchtigeren. ©. 394. V. Fruchtbare Entwiklung und Veftátigung dieſes einfachen

Grundſazes.

a. aus den gewoͤhnlichen kleineren Mißbraͤuchen oder Unge⸗ rechtigkeiten. S. 395 401.

b. aus den groͤßeren und allgemeinen Bebrúfungen, die man nur dem pícudoptilofováiícken (revolutionáren ) Staats⸗ Syſtem verdankt. Jhre Schaͤdlichkeit fúr Fuͤrſten und Bôlter. S. 401 410:

VI. Durch welche geredite Mittel Súrfen bie freven Handlungen ihrer Unterthanen leiten und lenkten koͤnnen. Hoͤheres Regie⸗ rungs⸗Talent. S. 410 416:

Vierzigſtes Capitel. Bon den Rechten und Pflich⸗ ten ber Untertbanen. S. 417 434.

1. Die Nedte der unterthanen And ibrer Duclle und ibrem SBefen ad) Ne nemlichen wie bie ber Fuͤrſten. Dee Unter⸗ ſchied beſteht nicht in verſchiedenen Befugniſſen, ſondern nur

in verſchie denen Mittein gleiches Befugniß auszuuͤben, b. 0- in ungleichen Glútsgútern. S. 417 419,

11. Beweis daß es kein einziges fogenannt čantesberrtidncé Necht giebt, welches nicht in kleinerem Maaß auch von anderen Menſchen ausſsgeüͤbt werde. ©. 419 42 .

“M. Die Pflichten der Unterthanen find ebenfalls die nemlichen mie bie ber Fuͤrſten, und pen den Pflichten gegen alle an⸗ dern Menſchen durchaus nicht verſchieden. Sie beſtehen in Rechtspflichten, Liebespflichten und Klugbeits-Regeln, beyde leztere doch unter dem Vorbehalt, Nie ſelbſt Unrecht zu thun. ©. 425 434.

Ein und vierzigſtes Capitel. Von den Mitteln

der Unterthanen zur Sicherung ihrer Rechte. ©, 435 468,

I. Worauf es ben dem gangen Problem ankoͤmmt. ©. 436.

KXXII

II,

111.

IV.

VI.

Erſtes Mittel. Eigene Väidterfú ung, verbunden mit riner

guten allgemein verbreiteten Doctrin uͤber bie wechſelſeirigen

Rechte nnd Verbindlichkeiten. S. 436 442,

Zweytes Mitteľ. Mancherley Arten von indirektem, nega⸗

tivem Widerſtand. S. 442 446.

a. Wohlgegruͤndete Vorſtellungen bey der Quelle bed Un⸗ rechts ſelbſt.

b. Gewiſſenhaftigkeit die dem Boͤſen wenigſtent nicht due dem Unrecht ſeinen Dienſt verfagt.

e. Kluger Verſchub, Maͤßigung und mitderung in der Aus⸗ fuͤhrung.

Drittes Mittel. Sich von der ſchaͤlichen Gewalt zu tren⸗

nen, auf Vortheile Verzicht zu leiſten um den Beſchwerden zu entgehn. S. 448 450. Beantwortung der Frage: ob Nothwehr, gewaltſamer Wi⸗ derſtand und Krieg gegen Fuͤrſtliche Bedruͤtungen je erlaubt fen? Er if zwar nach dem natuͤrlichen Geſez, der Erfab⸗ rung und dem aligemeinen Urtheil nicht abſolut unrechtmaͤ⸗ bis, ©. 450 461. aber

a—. gewoͤhnlicher Weiſe nidt môglich , aus wangel an erit-

ten und wegen der zahlloſen Schwierigkeiten ſelcer Ver⸗ bindungen. S. 461 465. b. in ben meiſten Sálen niát klus, Webt nur vráhre Ue⸗ bel nach ſich. S. 465 466, c. folí in ſeiner NHueúdung durch Menſchlichteit und Liebe gemaͤßigt werden. S. 466. Leztes und ſicherſtes Mittel. Vertrauen auf goͤttliche Huͤlfe, d. b. tbeils auf die Kraft bet Natur, die ſich fortdaurendem Unrecht widerſezt, theils auf die Unzerſtoͤrbarkeit des Pflicht⸗ geſe zes und die natuͤrlichen Strafen ſeiner Verlezung. ©. 467 468.

4

NIYBIER

31069 nd vierrigſtes Capitel. Bon der Veräu—⸗

É

gßerung der Landesherrlichen Macht und der Erblich⸗ keit der Staaten. ©. 469 529, unmoͤglichkeit dieſelbe nad dem berrſchenden nfeudovbilofos phiſchen Staats⸗Syſtem zu rechtfertigen. S. 470 471. Recht der. Veraͤußerung uͤberhaupt Pan veraͤußert vur ei⸗ gene Macht und eigene Rechte, nicht die der Unterthanen. S. 471 478. Ň Erblichkeit insbeſendere. Ihr wahrer und. einziger Grund iſt die Erblichkeit der eigenthuͤmlichen Guͤter u und Be⸗ ſizungen. S. 479 484: Natuͤrliche Grbfolge ben Unabbaͤngigen. Sie berubt auf dem Dillen des Erblaſſert. S. 484. ff.

Natuͤrlicher Urſprung und Rechtmaͤßigkeit der. Teſtamente Ibre Allgemeinbeit in allen Zeiten und Laͤndern unter ver⸗ ſchiedenen Formen. Urſpruͤnglich unbeſchraͤnkte Teſtixungs⸗ Frevheit. ©. 485.— 495, | Daberige verſchiedene Uebungen auch in Fuͤrſelichen Haͤuſern CThbeilbarkeit und Unthbeilbarkeit. Leztere iſt aus auffallenden Convenienz⸗Gruͤnden die gewoͤbnliche Regel und in dieſem Fall meiſt mit dem Rechte der Erſtgedurt verbunden. G, 495 502. .Natuͤrliche Veranlaſſung, undenkliches Nitertbum , allgemeine Verbreitung, partielle Unterbrechung, und allmá6lige Wie⸗ derberſtellung dieſes Rechts der Erſtgeburt. ©. 602 517 .Moͤaqliche Bedingungen ber Erheseinſezung oder. Erbesaus⸗ ſchlieſſung. S. 517.

VII, Sogenannte Secundo⸗Genituren, als ſeltene Aucnabmen—

von der Regel. ©. 514 623. .

EX. Grund des Vorzugs der Soͤhne vor ten Toͤchtern. Moaliche

Erbfolge auf Toͤchtern. S. 523.

X. Weitere Succeſſions «Ďednungen ben Ermanglung, von. Kin dern. ©... 525. | :

I

2

XXXIV

.Moͤaliche Erbfolgsſtreitigkeiten wie unter Pridat⸗Perfonen,

wegen dem Mangel oder der Unbeſtimmtheit der Fuͤrſtlichen

Deſgtamente und Hausgeſeze. S. 527 529,

Orey und vierſigtes Gapitel, Von der Erwei⸗

terung der Grund⸗ oder Landetherrlichen Macht. S, 530 5%1. -

1. Urſpruͤngliche Kleinbeit aer Staaten obne Aucnabm. Zwek⸗

maͤßigkeit diefer kleineren Staaten. Rechtliche Moͤglich⸗ keit ihrer Erweiterung ©. 531 534

JI. Beſondere Mittel bazu:

1, Durch Einfúórung ber Untbeilbarkeit und ded Rechts der Grftgeburt. S. 534— 559.

z, Durch allerley redtmáfiae Erwerbungs⸗Arten, Kaͤufe, Taͤuſche, Schenkungen, Heyrathen, Erbſchaften u. ſ. w. 6. 539 $42.

3. Durch Erobevungen und darauf folgente Abtretungen. Ihre Rechtmaͤßigkeit unter gemiffen Umſtaͤnden. In wie fern der Eroberer mehr Rechte erwerben kann, als der vorige Beſizer ihm abzutreten befugt War? ©. 552 550,

4. Durch allerley vortheilbafte Vertraͤge, ohne Er⸗

werbung von Territorial⸗Beſizungen: S. 640,

a, gleiche und ungleiche Bundniſſe. ©, 542 564.

b. unbehbina te und bedingte Unrerwerfungen Reunions-Vertraͤge, Infeudationen, Schuz⸗ und Schirmberrſchaften, Caͤpitulationen x. Ihre rechtliche Woͤglichkeit. S. 564 S6L.

e. eingelne Bervituten von Seite anderer Staaten, Ibre Nuͤzlichkeit unter gewiſſen Umſtaͤnden. S. s6r. f.

111. Daß die Landesberrliche Macht frevlich auch durch Mih⸗

braud ber Gewalt oder ſogenannte Uſurpation er— weitert werden kann. Invaſionen, Spoliationen, Reunionen, jed willkuͤbrliche Mediationen 26. ©. s70. f. Staatsrechtliche Bemerkurgen daruber:

XXXV

1. Sie find zwar immer unrecht, aber, mie unter Privat + Pero ſonen, nicht immer zu hinderen moͤglich. S. 571.

2. Einzelne Mißbraͤuche machen nicht alle aͤbrigen Beßzungen unrechtmaͤhßig S. 572 573.

3. Die Ujurpation beziebt ſich unmittelbar nur auf den vori⸗ gen Beſizer, nicht aber auf Veffen Untertbanen. Leztere find 4um Widerſtand gegen den Uſurpator zvar beredbtiget, aber nicht abſolut verpílichtet. ©. 573 576.

4. Langer, unwiderſprochener Beſiz, madt zulezt aud die Uſurpation zum wirklichen Recht. Die Verjaͤhrung gilt auch zwiſchen Unabbaͤngigen, wenn ſchon ohne beſtimmten Zeitpunkt. ©. 576— 581.

Vier und vierzigſtes Capitel. Bon dem Berfuft

1,

der Unabhängigkeit oder dem Untergang der Staaten. G. 582 602.

Sie erfolgt uͤberhaupt durch abſolute oder relative Schwaͤchung der Macht. ©. 583:

1. Durd allzuvicle Theilungen ded freyen Grund⸗Eigen⸗ thums. S. 5894-

2. Durd freywillige Veráuferungen des Landes. ©. 585.

3. Durch gaͤnzliche Ausloͤſchung ded Fuͤrſtlichen Geſchlechts, ohne natuͤrliche oder teſtamentlich eingeſezte Nachfolger. ©. 587“

4. Durch Streitigkeiten, ungluͤklich gefuͤhrte Kriese und nach⸗ theilige Friedensvertraͤge. S. 5960.

S. Durch bedingte oder unbedingte Unterwerfungen. S. 592,

6. Durch Nebernabm allzuvieler einzelner Servituten. ©. 594.

7. Durch unrechtmaͤßige Gewalt. S. 595.

"$. Durch den Berluf der relativen Macht. ©. 598. Dagegen iſt es nicht richtig, daß der Staat bloß durch ben moͤglichen Untergang ded Volks, z. B. durch Auswanderung oder Zerſtreuung der Unterthanen zu Grund gehe. Er ſtebt und faͤllt mit dem Fuͤrſten uno ſeiner Unabhaͤngigkeit. €. 600. ff.

11141141141

1111111

11

Drukfehler.

Lin. 1. der Note No ſtatt Excaso lies excuas o.

17. ſtatt Leibes⸗Pflichten [. Lie bes⸗pfliche ten.

2, ſtatt dadurch [. ba dur d.

8. ſtatt Faͤhigkeiten I. Sábiaťejt.

4. (der Sčote Sto 11) Ňatt Aemterlaufl. Ae m⸗ terkauf.

3. (ber Note 25) ſtatt Garde de sceaux b. Garde des sceaux. |

15. flatt ſchaffte l. ſchuf.

2. (der Note Mo 31) ſtatt Minister [. Mi- nistre.

17. fiatt menſchenlichen [. menſchlichen.

2. (von unten) ſtatt daß von I. und daßvon.

Seitenzabl ſoll ſtehen 218.

» (0l fteben 219.

9, ffatt bem l. ben.

2 (der Note 34) ſtatt assumantur [, assn- m untur,.

6. ebendaí. flatt judica ordinario [, judicia, ordinaria.

21, fiatt gerinfúgioe [. geringfúgige..

Seitenzabhl ffatt 250 [. 272,

1L fatt Flußbeet I. Slufbett. -

11. fľatt 15) [. 14)

11, ftatt au dh fo viel L auch um fo vieľ:

3. ftatt augaefúbrten l. aufaefúbrter.

4. ſtatt indem bey allen [. indem ben al: len Verrraͤgen. . fat Es [. v.

69. fat Vermaltungen I, Vermaltung.

2, (bet Note 53) Ňatt penant Í, peccant und

fatt čanz [. sacra.

3. (bet Note 63) fatt inflntere [. inflectere: 2, (ber Note) fatt Hoppes I. Hobbes.

2, (ber Note 27) fatt Sut-chum l. Sut- ch uen.

. (von unten) ffatt domo [. donis.

12, fiatt Aurelien (. Mutelian.

Reſtauration der Staats-⸗BWiſſenſchaft oder Theorie des

natúrlid : gefelligen Zuſtands.

Zweyter Band.

Erſter Tbeil. Von den Fuͤrſtentbuͤmern oder Monarchien.

Erſt es Hauptſtuͤl. Bon ben unabbaͤngigen Grundherren oder den Patrimonial⸗Fuͤrſten.

Zwerter Vand. A

Erſter Theil. Von den Fuͤrſtenthuͤmern oder Monarchien.

Drey und zwanzigſtes Capitel.

Entſtehungsart der Fuͤrſtenthuͤmer oder freyen Einzelherrſchaften.

L Die Fuͤrſtenthaͤmer entſtehen aus det Natur der Dinge ſelbſt und ſind daher die erſten, zahlreichſten und dauerhafteſten Staaten.

TÍ. Beweis dieſes Sazes aus der Vernunft, aus der allgemeinen Erfahrung und aus Autoritaͤten.

NI. Allgemeiner Urſprung der einzelnen Fuͤrſtenthuͤmer. Bon oben herab durch Stiftung einer natuͤrlichen Herrſchaft und durch Erwerbung der Unabhaͤngigkeit.

IV. Alle Monarchien (ind daher urſpruͤnglich klein geweſen.

Da, wie wir in dem vorigen Band erwieſen haben, ein Fürſt nichts weiter als ein begüterter, mächtiger und niemanden unterworfener Menſch, mit andern Worten ein unabhängiger Herr iſt, !) da ſein Fürſtenthum auf eige⸗ ner Macht beruht, die hinreichend iſt über andere Men⸗

1) Cap. 18, S, 473 480,

ň

ſchen zu herrſchen und ſelbſt niemanden zu dienén > fo er⸗ giebt ſich von ſelbſt, daß die Fürſtenthümer oder Monar⸗ chien die erſten und natürlichſten, die zahlreichſten und dauerhafteſten Staaten geweſen ſeyn müſſen; denn fe entſpringen aus der Natur der Dinge ſelbſt ohne allen poſitiven Willen, ohne künſtliche Veranſtaltung der Mens fen. Ein Individuum iſt nemlich ſchon durch die Nas tur vorhanden und gegeben; jede Familie bildet ſchon eine kleine Monarchie, in einer größeren eingeſchloſſen, jeder einzelne Menſch ſogar iſt König und Monarch in dem Kreiſe ſeines Gebiets, nur ein kleiner und minder⸗ mächtiger, durch Natur oder Vertrag einem Höheren bald mehr bald weniger unterworfen: und um in vollem Sinne ein Fürſt oder König zu heiſſen, bedarf er urſprünglich weiter nichts, als auf dem Theile des Erdbodens, den er occupirt oder anbaut, ſeine daraus entſpringende, ihm durch die Begünſtigung der Natur zugewandte Unabhän⸗ gigkeit zu behaupten, oder ſich eine ſolche hintenher durch eigene Kraft und Anſtrengung oder rechtmäßigen Vertrag zu erwerben. 2? Daher beſtaͤtiget cd auch die Geſchichte aller Zeiten und Länder, daß die Monarchie unwider⸗ ſprechlich die erſte und aͤlteſte aller Herrſchaften oder ſo⸗ genannten Verfaſſungen geweſen, und es iſt durchaus Na⸗ tur- und Geſchichts⸗widrig, was die revolutionären oder von der Grille des Social⸗Contracts ausgehenden Staats⸗ lehrer behaupten, daß die Menſchen vorerſt in der Anar⸗ chie, dann in der Demokratie, ſpäterhin in ber Ariſto— kratie gelebt hätten und erſt am Ende zu der Monarchie gekommen wären. 2) Sm Gegentheil lehret die Geſchichte 2) ©, oben Čap, 19. von der Erwerbung der Nnabbánaigfeit, 3) Pufendorf, den man, der Abſicht nad, nicht unter bie

x

der älteſten Zeiten, daß ber. Erdboden urſprünglich in allen Ländern von einer unzählbaren Menge kleiner Kö— nige oder Fürſten gleichſam beſäet mat, + daß durch Meſſung der Kräfte oder durch natürlichen Wechſel der: Glüksgüter bald viele ſolcher kleinen Staaten von einem. größeren dienſtbar gemacht, bald ein großer wieder in viele kleine aufgelsst worden, und daß die: wenigen Re⸗ publiken überall viel ſpäter, die Ariſtokratien bey Ver⸗ treibung Der Könige, und die ſogenannten Demokratien oder großen Volks⸗Corporationen erſt nad Verjagung der Vornehmen, oder nach ihrem allmähligen Ausſterben entſtanden find, S Alle alten Schriftſteller, ſelbſt re⸗

revolutionaͤren zaͤhlen kann, war zum TDheil ſchon dieſer Meyv⸗. vung; Montegauieu ebenfalls, und unter ben. neueren Bat ſie Sonnenfels am grellſten beynahe mit obigen Wor⸗ ten ausgeſp ohen. Offenbar floß ſie aus ber falſchen Grund⸗ Idee eines urſpruͤnglichen duͤrgerlichen Contrakte, bie man nicht verlaſſen wollte und doch mit der Wirklichkeit zu accom⸗ modiren ſuchte. Daf einige dieſer und aͤhnlicher Schriftſteller gleichwohl bintenúce die Monarchie als die beßte Verfaſſung darſtellen, als ob man zulezt ihr Ideal in bee baͤuslichen Verfaſſung geſucht bátte: geſchab nicht aus aufrichtiger Ue⸗ berzeuguna, ſondern ar cine Wendung der Klugheit, um ſich gegen die Tuͤrſten, unter denen man lebte, ben Ruͤken zu fiácrn.

4) Dieſe intereffante und. illuſtrirende Wahrheit wird ſeines Orts ben dem Čap, von der Erweiterung der Landeshberrlichen Ge⸗ tvalt und unter den hiſtoriſchen Beſtaͤtigungen naͤher ausge⸗ fúbrt werden.

5) Exeuso jugo regio. vel ejectia: optimatibus mie Baebmerť ſich ausdruͤkt, J. p. x. Wieland in ſeinen wizigen Auffás zen: „über das adttlie Recht ber Obrigkeit“ und „Luſtreiſe in's Elyſinm“ macht bie nemliche Be⸗ merkung. Die Griechiſchen Republiken, Rom und Carthage,

6

publikaniſche die ſonſt intereffítt gemefen wären den Re⸗ publiken den Vorzug des Alterthums einzuräumen, bes zeugen dieſe Wahrheit noch zum Ueberfluß. Man kennt den Ausſpruch des Ariſtoteles: „Urſprünglich feyen „die Städte ſelbſt von Königen regiert worden, wie jezt „noch bie Volker.“ 6) Cicero,7 Salluft, 8) Pau—⸗ ſanias, 9) Juſtin 14) und Tacitus "1 melden cine ſtimmig: alle alten Bôlfer hätten ehmals Königen ge⸗ horcht, Rom und die Griechiſchen Städte ſelbſt ſeyen anfänglich unter der Herrſchaft von Königen geſtanden. Das war auch nad) ber Natur der Sade gar nicht ante ders möglich, weil Gewvoſſenſchaften oder republicaniſche Conſociationen erſt durch ganz beſondere Umſtände oder Bedürfniſſe gebildet werden müſſen, ohne welche die Men⸗ ſchen su ſolchen Communitäts-Verhältniſſen gar nicht

die Italieniſchen Staͤdte im Mittelalter, die Schweizeriſchen Staͤdte und Laͤnder, die vereinigten Niederlaͤndiſchen Staaten, bie Amerikaniſchen Colonien u. ſ. w. hatten fe nicht alle ihre fruͤhern Koͤnige oder Fuͤrſten?

6) Initio a regibus gubernabantur civitates et nunc etiam gen- tes. Ex iis namgue gui in regum imperio essent conve-

- niebant, "omnis ením domus regia imperio administratur. Arist. I, Pol. 1.

7) Omnes antiquæ gentea regibus ranča paruerunt, Cic. 5. de Legg.

8) Regnum iní térria nomen primum fuit. Sallust.

9) In regum et hos fuiase priscia temporibua imperio satis omnibus constat. Tota enim Gracia olim regibus paruit, guum nonadum Respublicm inatituta fuissent, Pausanias de Beotia L. IX.

ro) Principio rerum, gentium Nationumgue imperium penes reges erat. Justinus IL. I.

11) Urbem Romam a princípio reges habuere. Tac, annal,

7 ſo geneigt ſind als man glaubt. Gleichwie übrigens die Fürſtenthümer die älteſten und zahlreichſten Staaten ſind, ſo ſind ſie auch die dauerhafteſten von allen; denn ſie ha⸗ ben ihre Wurzel in der NRatur der Dinge ſelbſt, welche zwar nach ihrem ewigen Geſez einzelne dergleichen Ver⸗ bindungen vergehen, aber ſtets wieder neue und ähnliche entſtehen laͤßt. Hingegen kommen die Republiken nicht nur viel ſpäter und ſeltener vor, ſondern ſie dauren auch gewöhnlich nicht ſo lange, weil ſie nur ein Werk der Menſchen ſind, und am Ende werden ſie meiſtentheils wie⸗ der in Fürſtenthümer ufgelöst.

Was dann überhaupt die Entſtehungs⸗Art der einzel⸗ sen Fürſtenthümer betrifft: (o ergiebt ſie ſich von ſelbſt aus de oft erklärten Begriff dieſer lezteren. i12) Fürſten ſind unabhängige Herren, Menſchen die über andere ge⸗ bieten, ſelbſt aber niemanden dienen, und wir haben bereits ausführlich gezeigt, theils mie alle Herrſchaft über⸗ haupt entſteht, 23) theils wie die Unabhängigkeit oder bie höchſte Gewalt erworben wird. 19) Demnach bilden ſich die Monarchien oder Fürſtenthümer gleich allen herrſchaft⸗ ficben Verhältniſſen in der Belt von oben herab, d. h. ſie gehen alle von einem einzelnen Menſchen aus, der durch eigene überlegene Macht und glükliche Um⸗ ſtaͤnde entweder bepeitý unabhängig war oder es in der: Folge geworden iſt. Das untergebene Vollk hingegen bil⸗ det und erweitert ſich durch ſueceſſive Aggregation,

12) Gap. 17: Definition der Staaten überhaupt. Cap. 18. Beſon⸗ dere Deſinition der Fuͤrſten.

13) Gap. 13. von dem Ueíprung aller Herrſchaft. +4) EA 19, von der Erwerbung der Unabhaͤngigleit.

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d. b. durch Anſchließung einzelner Menſchen, die mit den Ihrigen in ſeine Dienſte treten oder ſonſt von tb abhän⸗ gig werden. 15) Das Volf ik ur ſprünglich nicht vor dem Fürſten, ſondern im Gegentheil der Fürſt exiſtirt zuerſt und ſammelt die Untergebenen nach und nach durch mancherley Berhältniſſe und ſehr verſchiedene Dienſtver⸗ träge um ſich her, 56) woraus auch folget, daß er über ſie geſezt iſt, nicht aber ſie über ihn gebieten. Zwar läßt es ſich denken, daß die Unabhängigkeit auch vor der Herr⸗ ſchaft exiſtire, mie 4, B. ben dem erſten Beſiznehmer und Anbauer eines unbewohnten Erdſtrichs, der ſeine Unter⸗ gebenen erſt ſpäterhin anwirbt oder in ſeinen Dienſt auf⸗ nimmt; allein gewöhnlich geht das Herrſchen ſelbſt der Unabhängigkeit vorher, 17 d. b. man iſt meiſtentheils ſchon früher Herr und Privat⸗Oberer als man ein Fürſt wird. Aber in beyden Fällen bildet ſich die Herrſchaft immer von oben herab. Wer alſo durch eigene Macht andere Menſchen zu nähren, zu ſchüzen, zu leiten veľa mag, ſie mittelſt deſſen von ſich abhángig machen oder in ſeinen Dienſt ziehen kann, der ſtiftet cine Herrſchaft, und wer mit dieſer Herrſchaft bis zur eigenen Unabhän⸗

15) G. T. I. p. 548 339. |

16) Pufendorf abnúdete (don dieſen Uvíprung: aFieri etiam, «Potest ut monarchia constituatur per unicum duntaxat pac- «tum , si nempe multi citra antegressam inter ip 808 con- « ventionem , (obne Social : Eontraft) guisgue pro se, simul a ayt diversa tempore , uni sese subjecerint, ad eum fere « inodum, guo exercitus ex convenis et mercenariis con- « Stantes colliguntur.“" J. an. g. L. VII. c. 2. $. 9. Wie iR es moͤglich, fa nabe ben der Wahrheit zu ſeyn und fie bod nidt aufzufaſſen? Die leidige fire Idee ven einer kuͤnſtlichen societas civílis erflaͤrt es alleiin.

17) S. T. I Pp. 475:

9

gigfcit geľanat, es fen daß ihm die Macht dazu vez

frúberen Beſizern gegeben worden obeť daß ex fie ſelbſt erworben habe, oder daß ſie ihm durch zufälliges Glük angefallen ſey: der ſtiftet ein Fürſtenthum, welches mit der Macht und Unabhängigkeit auf ſeine Erben oder ano bere Nachfolger übergehen wird.

Aus dieſer Entſtehungsart der Monarchien oder Für⸗ ſtenthümer folget nothwendig, daß ſie urſprünglich alle klein geweſen ſeyn müſſen; denn bie Kräfte wachſen all⸗ mählig und der erſte Anfang einer Herrſchaft iſt allemal gering. 18) Eben dieſes beſtätiget auch bie allgemeine Er⸗ fahrung und Geſchichte auf cine höchſt frappante Belfe/ zum deutlichen Neben⸗Beweis, daß ſie nicht aus einer Vereinigung mehrerer Hausväter künſtlich gebildet, ſondern durch ein einzelnes freyes oder freygewordenes Haus⸗ oder Vrivat⸗Weſen natürlich entſtanden ſind. Wie ſie ſich aber in ber Folge auf mannigfaltigen Wegen rechtmäßig

vergrößeren, die Verhältniſſe eines Menſchen mit vielen

andern in immer größeren Kreiſen angeknüpft werden kön⸗ nen: das werden wir ſeiner Zeit in dem Capitel von der Erweiterung der Landesherrlichen Gewalt ausführlich ent⸗ wikeln. Man darf auch nur die äußere Geſtalt der wirk⸗ lichen oder je beſtandenen großen Reiche betrachten, um ſich zu überzeugen, daß dieſe Erweiterung nach und nach geſchehen ſeyn muß und daß ſie nicht durch einen Social⸗ Contract unter dem Volk entſtanden fen können. Wie

18) Nemlich um mid genau auszudruͤken: bie Herrſchaft if bey ibrem Urſprung allemal klein. Man kann aber auch bereits eine gtoße und ausgedehnte Herrſchaft beſizen, bevor ſie ſelbſt⸗

£ fámig, d. h. ein Staat wird.

-

10 lächerlich wäre es nicht 41 behaupten, daß 4. B. bie Ein⸗ wohner von Kamdſchadka und die Tataren an der Gränze

von China mit den mehrere tauſend Meilen von ihnen ent⸗

fernten Lief⸗ und Kurländern und dieſe wieder mit den Bewohnern der Krimm und mit Georgien jenſeits des Kaukaſiſchen Gebirges, Völker von hunderterley Zungen und Sitten zuſammengetreten und übereingekommen wären einen Zaar aus deutſchem Stamm zu ihrem gemeinſchaft⸗ lichen Oberhaupt zu erwählen; daß bie Spanier in Eu⸗ ropa ſich mit den Mexikanern und" Peruanern in Nord⸗ und Süd⸗Amerika in einen Staat vereiniget, die Britten an der Themſe, die Indianer am Ganges, die Bewohner von Canada und ſo viele Inſeln des Weltmeers zuſammen ein gemeines Weſen errichtet hätten. Wenn auch gar keine Geſchichte vorhanden, alle Zeugniſſe verlohren wä⸗ ren, die uns über den Urſprung dieſer Verhältniſſe beleh⸗ ren: ſo müßte die Abſurdität jener Idee in die Augen ſpringen. Nimmt man hingegen den ganz einfachen na⸗ türlichen Saz auch nur als Hypotheſe an, daß ein Fürſt nichts anders als cin ftarť begüterter durchaus freyer Menſch iſt, daß er mehrere weit von einander entlegene Güter beſizen oder nach und nach erwerben, und theils durch dieſelben, theils durch mancherley Verträge mit Menſchen von allerley Gegenden und Zungen in Berüh⸗ rung und rechtliche Verhältniſſe kommen kann: ſo läßt úd) ſowohl das Faktum ſelbſt, als ſein möglicher, recht⸗ mäßiger Urſprung leicht erklären. Die ganze Geſchichte beſtätiget es aber ohne Ausnahme, daß das große Gebiet einzelner Monarchien nur allein auf dieſem Wege entſtan⸗ den, und. daß hiemit jene Idee keine Hypotheſe mehr, ſandern allgemeine und nothwendige Wahrheit iſt.

11

Vier und zwanzigſtes Capitel. Eintheilung der Monarchien.

1. Die Grundlage derſelben iſt von den verſchiedenen Principien der Oberherrſchaft berzunebmen.

a. Erb: und Grundberrliche. Verbaͤltniß eines Haus⸗ und Grundherren zu ſeinen Dienern, Leuten u. a. Hoͤrigen. (Datrimonial : Staaten.)

b. Militaͤriſche. Verbaͤltniß eines Anfúbrerý 4u ſeinen Bes gleitern und Getreuen. (Beneralat.)

c. Geiſtliche. Berbáltnié eines Lehrers su ſeinen Juͤngern und Glaͤubigen. (Hierarchien, Tbeokratien.)

II. Correſpondirende Privat : Verbaͤltniſſe.

III. Moͤgliche Vereinigung dieſer drey Principien der Oberherrſchaft.

Eine allgemeine Eintheilung der Fürſtenthümer oder Monarchien kann nicht von ihrem Umfange, noch von zu⸗ fälligen Benennungen odber Titulaturen, 1) noch von den mannigfaltigen inneren Verhältniſſen, b. b. ben GSewohn⸗ heiten und poſitiven Verträgen, durch welche die Macht der Herrſchenden in ihrer Ausübung bald mehr bald we⸗ niger beſchränkt oder erweitert wird, >) ſonderu nur al. lein von der Grundlage der Herrſchaft ſelbſt, d. h.

1) 3. B. etwa nad Kayſerthuͤmern, Koͤnigreichen, Herzogthuͤ⸗ mern, Grafſchaften u. ſ. w. |

s) untefhdrántte befAdrántte abfolute bes dinote deſpotiſche geſezliche einfade gemiſchte sc. Med dag find vage Inhaltsleere Nusdrúťe , bie mehr oder tveniger auf die einen fo aut als auf die andeen haſſen.

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vor derjenigen Macht hergenommen werden, durch welche daš herrſchaftliche Verhältniß urſprünglich veranlaſſet oder gebildet worden, und dieſe Eintheilung iſt nicht nur die einzig beſtimmte und erſchöpfende, ſondern auch in allen ihren Reſultaten die fruchtbarſte.

Nun giebt es nach der Natur der Sache, welche auch durch die ganze Geſchichte beſtätiget wird, nur drey Haupt⸗ kräfte und daraus entſpringende Verhältniſſe, wodurch einzelne Menſchen fremde Bedürfniſſe befriedigen, dadurch zu einer großen Herrſchaft über andere gelangen, mit oder ohne ihre Hülfe unabhängig werden und alſo Monarchien ſtiften können: 10 das Verhältniß eines begüter— ten Hausund Grundherren zu ſeinen Kin— ber, Dienern und andern Hörigen. 3) 2% Das Verhältniß eines Anführers zu ſeinen Begleitern und Getreuen (Waffengefährten, Dienſtmannen.) 3? Das Verhältniß eines Lehrers oder geiſtigen Oberhaupts zu ſeinen Jüngern und Gläubi— gen. Durch Reichthum und ausgedehnte Ländereyen ver⸗ mag man zahlreichen Menſchen Nahrung und Wohnung zu verſchaffen, mithin ihrem erſten Bedürfniß, der noth⸗ wendigen und angenehmen Erhaltung des Lebens, abzu⸗

- 3) Ich nehme hier und in der Folge das Wort boͤrig nicht in ber gehaͤſſigen Nebenbedeutung, wo man damit den Begriff der Knechtſchaft oder Leibeigenſchaft verbinder, ſondern in dem urſpruͤnglichen wabren Sinn fuͤr jeden Menſchen der unter der Dependenz eines andern ſteht, ihm etwas zu Chun oder su leiſten ſchuldig ifſ. Man ſehe Moͤſers patriot. Phan⸗ taſien Zo. III. p. 187. „Bon dem wichtigen Unter⸗ ſchiede zwiſchen ber Hörigkeit und Knechtſchaft.“ Die einfache Bedeutung jenes Worts zeigt ſich noch in allen Zuſammenſezungen: Angehoͤrig, Hofhoͤrig, Kirchhoͤrig, Ge⸗ richts hoͤrig u. ſ. w.

43 helfen. Durch hôheren Mutb und geſchikte Anweadung phyſiſcher Kraft erlangen ſie Sicherheit, werden vor den Gefahren geſchüzt, welche ihnen entweder von äußeren Feinden, oder urſprünglich von wilden Thieren, oder von andern Uebeln der Natur drohen, und nebenher iſt ſie oft cin Mittel um ſich Eigenthum und Nahrung su er» werben. Endlich durch höhere Weisheit oder Geiſtes⸗ Kraft bewahrt man die, Menſchen vor mancherley Irrthü⸗ miern und Abwegen, vor dem ungerechten oder unklugen Mißbrauch ihrer eigenen Freyheit, welcher nothwendig eine Menge von Uebeln oder natürlichen Strafen nach ſich ziehen müßte, die doch jeder gern zu vermeiden wünſcht. Der Glaube an höhere Weisheit, zumal in den wichtig⸗ ſten Dingen, iſt daher auch ein Bedürfniß der meiſten Menſchen, indem nicht jeder alles wiſſen kann, und den einen dazu die Macht ded Geiſtes, den andern die Gele⸗ genheit zu ihrer Erwerbung fehlt. +) Aus jenen drey veľa ſchiedenen Principien der Oberherrſchaft, der Ueberlegen⸗ heit an Eigenthum, an Muth oder Tapferkeit, und an Geiſt oder Wiſſenſchaft und den ihnen entſprechenden all⸗ gemeinen Bedürfniſſen des Lebens⸗Unterhalts, des Schu⸗ zes und der Belehrung, S verbunden mit dem zufälligen Glüksgut perſönlicher Unabhängigkeit, entſtehen alfo die drey in der Welt vorkommenden Arten von Monarchien, nemlich 10 die Patrimonial ⸗Staaten oder bie ur abhängigen Erb. und Grundherren. 6) 2% Die

4) S. bierúber T. I. p. 1135. ff. was von der Sefte gefagt wor⸗ den, bdie alle hoͤhere Mutoritát in geiſtigen Dingen abſchaffen zu koͤnnen mábnte,

5) Naͤhrſtand, Wehrſtand, Lehrſtand, wie die Alten Woblſtand, Sicherheit und Bildung wie die Neuern ſich ausdruͤken.

6) principes, domini, patres familias, von den Roͤmern biswei⸗

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militäriſchen Staaten oder die unabhängigen Feldherren (das Generalat.) 7) 3% Die geiſtli—⸗ chen Staaten (Hierarchien, Theokratien) oder die unabhängigen geiſtlichen Herren. S Ariſtote— les ahndete ſchon dieſen verſchiedenen Urſprung der Mo⸗ narchien, wiewohl er ihn nicht beſtimmt genug aufgefaßt noch in ſeinen Conſequenzen verfolget bat, 9) und mit Recht lehrten zwar die älteren Philoſophen, daß aus Pa⸗ triarchen, Anführern und Lehrern die Monarchien cite ſtanden ſeyen, aber ſie irrten theils darin, daß ſie ent⸗ weder nur die eine oder die andere dieſer Entſtehungs⸗ Arten für die einzige und ausſchlieſſende angaben, 10?

len auch reges genannt. Mud das Griechiſche Wort Deſpot fat urſpruͤnglich den nemlichen Sinn. S. T. I. p. 456.

7) imperatores, duces, Heerfuͤhrer, Herzoge. Ebmals Wat auch ſogar det Ausdruk Krieg sberr diplowatiſch gebraͤuchlich. G. Reichsabſchied de 1542. und Ludens Staateweisbeit. 1811,

8) pontifices, Pábfte, oberfte Prieſter.

9) Úle die 4u dem koͤniglichen Nang erboben worden, find Wobl⸗

—ntbáter der Nationen und Staaten geweſen, benen (ie vor⸗ „geſezt waren. Dieſe Wohlthaten beftanden bey cinigen darin, „daß ſie ihr Vaterland vor der Knechtſchaft (der gezwunge⸗ „nen Dienſtbarkeit) bewahrten, wie 4. B. Kodrus, oder „darin daß ſie es von der Knechtſchaft befreyten, wie Cy⸗ „rus (Anfuͤbrer), oder daß ſie das Land zuerſt anbauten, „oder neue Laͤndereyen erwarben (Grundberren), wie z. B. bie „Koͤnige ber Macedonier, der Lacedaͤmonier und ber Mo⸗ ꝓ„loſſen.“ Pol. L. V. c. 10. ſ. neberſe ſung von Garve I, 458.

j0) Silmer, Adami u. a. wollen alles auf die väterlicke Herr⸗ ſchaft zuruͤkfuͤhren, andere, tie 5. S. Batterer, leiten alle Sônige von Krieger und Anfúbtern ber. Wieder andere wollen, daß urſpruͤnglich nur Prieſter und Theokratien exiſtirt haͤtten. |

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theils vergaßen fie daš weſentliche unterſcheidende Merk⸗ mal beyzufügen, daß ber Patriarch (der begüterte Haus⸗ vater), der Anführer oder Lehrer ſelbſt unabhängig ſeyn, keinem Höheren dienen mußte, um ein Fürſt zu heiſſen; und endlich iſt es unbegreiflich, wie ſie nicht zugleich eingeſehen haben, daß dieſes nicht nur vor Alters ſo ge⸗ weſen iſt, ſondern daß in der ganzen Geſchichte und noch in unſeren Tagen, alle Monarchien ohne Ausnahm ur⸗ ſprünglich aus einem dieſer dreh Verhältniſſe hervorge⸗ gangen ſind.

Die nämlichen Arten von Herrſchaften ſieht man auch in allen Privat⸗Verhältniſſen. Den Erb. und Grund⸗ herren entſprechen im kleinen alle Hausväter und Bane desbeſizer, große und kleine Edelleute, überhaupt alle diejenigen welche durch Grund⸗Eigenthum, Capitalien oder Induſtrial⸗Unternehmungen, einer Menge von Men⸗ ſchen Arbeit und Verdienſt verſchaffen und ſie dadurch in ihrer Abhängigkeit erhalten. 1 Den militäriſchen Staa⸗ ten correſpondiren alle untergeordneten militäriſchen Be⸗ fehlshaber in dem Kreiſe ihres Gebiets, alle Colonial⸗ Auführer, Caravanen⸗Häupter, Schiffs⸗Capitäne, Häupt⸗ linge, Inſurrektions⸗Chefs u. ſ. w. 123) Den Geiſtlichen endlich alle freyen und beſoldeten Lehrer in Beziehung auf ihre Schüler und Gläubigen, alle Kirchen⸗Vorſteher,

11) 3. B. Handelsleute, Fabrikanten, Manufakturiſten u. ſ. w. Neber wie viele Leute herrſchen ſie nicht, und oft ſtrenger als man glaubt! | |

13) Mud Slibústieré, Condottierié, Freybeuter, Corſaren, ſogar bie Náuberbanden s wobey das Ungerechte nicht in ber Berbins dung, ſondern nur in dem Gebrauch der Macht, in der Ber leidigung fremden Eigenthums beſteht.

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beſonders alle Stifter von herrſchenden wiſſenſchaftlichen Doetrinen, die man in höherem Sinne auch Schulen zu nennen pflegt, alle Sektenhäupter u. ſ. w. 13) Allein da dergleichen Verbindungen theils allzuzahlreich und nicht. in jeder Rükſicht ſelbſtſtändig ſind, theils auch gewöhn⸗ licher Weiſe nicht lange fortdauren: ſo werden ſie, als gemeine und vorübergehende Erſcheinungen, nicht bemerkt, wenigſtens nicht unter die Reihe der Staaten, d. h. der Mächtigen und Freyen gezählt, wiewohl ihre Häupter im kleinen die nemlichen Rechte ausüben, das Verband durch⸗ aus das nemliche iſt, und ihnen zum vollkommenen Staat nichts weiter als die Unabhängigkeit fehlt. |

Wirft man einen näheren Bliť auf ben Urſprung und die Natur dieſer herrſchaftlichen Verbältniſſe: fo veríteht ſich von ſelbſt, daß hier wie überall das Haupt immer vor den Gliedern, der Obere vyr den Untergebenen exi⸗ ſtirt. Der Vatriarch, der Hand» und Grundherr iſt vor ſeinen Kindern und Dienern da, denn jene hat er erzeugt, dieſe ſind erſt hintenher gekommen, um in ſeinem Dienſt Nahrung und Annehmlichkeiten des Lebens zu ſuchen. Bey einem militäriſchen Verband, es mag nun blos auf Ber. theidigung des eigenen, oder auf erlaubten Gewinn, oder auf ungerechte Erwerbung von fremdem Gut ausgehen, iſt der Anführer vor ſeinen Begleitern; der Chef macht urſprünglich die Rotte und nicht die Rotte den Chef, denn jene muß erſt von dieſem zuſammengeſucht, ange⸗ worben und gebildet werden. Endlich iſt klar, daß auch

13) Gewiſſermaßen auch die Handwerker, daher ſie auch Mei fet, Lehrmeiſter, ihre Schuͤler hingegen Zebriunge heiſſen.

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der Lehrer oder das religioſe Oberhaupt zuerſt vorhanden ſeyn muß, bevor er Jünger und Glaäubige ſinden kann. Leztere können ihm die Einſicht oder Wiſſenſchaft nicht geben, die ihnen ſelbſt abgeht. So wenig die Kinder ih. ren Vater, die Diener ihre Herren, die Soldaten ihre Hauptleute gemacht haben, ſo wenig haben die Gemein⸗ den ihre Prieſter gemacht: ſondern im Gegentheil die Prieſter haben urſprünglich die Gemeinden geſtiftet oder um ſich her verſammelt, woraus dann auch die Herrſchaft der erſteren über die lezteren folgt, da hingegen das Ver⸗ hältniß umgekehrt ſeyn müßte, wenn die Untergebenen ihre Oberen geſchaffen hätten. In allen dieſen Verbin— dungen liegt auch gar nichts ungerechtes, ſondern im Gegentheil lauter Liebe und wechſelſeitige Wohlthat, welche allein die Menſchen an einander knüpſt. Sie ſind theils durch die freundliche Ordnung der Natur, theils durch freywillige Verträge veranlaſſet. Niemand veräuſ⸗ ſert dabey ſeine Rechte oder opfert ſeine Freyheit auf; der Herrſchende wie der Dienende ſucht und findet ſeinen eigenen Vortheil, er giebt was er entbehren kann und erhält mad ihm abgeht, jeder contrahirt nad ſeinen Hülfs⸗ mitteln, ſeinem Bedürfniß, ſeinem Zwek; bey veränder⸗ ten Umſtänden kann ſogar das Verhältniß aufhören, der Dienſt⸗Vertrag ſeine Endſchaft erreichen, welch' alles wir theils ſchon oben überhaupt gezeigt haben, 19) theils un⸗ ten bey jeder beſonderen Art von Herrſchaft noch näher entwileln werden.

Inzwifſchen, wenn auch bie Monarchien, fo mie bie 14) ©. T. J. p. 351 354. von dem Urſprung der geſelligen Ver⸗ báltnifje, und ©, 365. segg. ím Gap, von dem Uríprung als let Herrſchaft. Zweyter Vand. B

$8 |

Pribat⸗Herrſchaften, ſich in grundherrliche, militaͤriſche und griſtliche abtheilen laſſen: ſo ſind doch dieſe drey ver⸗ Ichiedenen Kräfte oder Prineipien der Oberherrſchaft ſehr sít mit einander vereiniget. Ihre Unterſcheidung iſt in der Theorie nothwendig und wegen ben Conſequenzen die daraus folgen wichtig. Aber auch hier nöthiget uns nur das Bedürfniß eines deutlicheren Lehrvortrags zu tren⸗ nen was die Natur zuſammengefüget bat, um es nad» Dev ebenfalls wieder zu verbinden. So kann z. B. der Hausvater oder Landeigenthümer zugleich Anführer und Lehrer ſeyn, mithin nebſt der grundherrlichen Macht auch eine militäriſche und geiſtige beſizen. Eben ſo können die Feldherren und Prieſter durch mancherley Erwerbungs⸗ titel in der Folge liegende Güter erwerben, mithin die grundherrliche Gewalt mit ber militäriſchen oder geiſtli⸗ chen vereinigen. 18) Dad leztere iſt ihnen ſogar unent⸗ behrlich nothwendig, wenn ſie eigentliche Fürſten werden und die Dauer ihrer Herrſchaft ſichern wollen. Denn úm Ende kann doch niemand unabhängig ſeyn oder blei⸗ Ďe, te müſſe dann einen eigenen freyen Grund und Vo. den beſigen, auf welchem er niemand zu dienen genöthi⸗ get iſt, und ob c gleich Nomaden⸗Staaten, wandernde kriegeriſche Horden, gegeben bat: fo mar doch der San. desſtrich, den ſie augenbliklich einnahmen, immerhin als ihr temporäres, nachher wieder derelinquirtes, Eigen⸗ thum zu betrachten. Daher beweiſet auch die ganze Ge⸗

15) Et rex et pontifex et in sua justitia populos judicabat mie Jor nandes ven den alten Gotbiſchen Koͤnigen melbet. Er war Feldhauptmann, Prieſter und oberſter Richter. Die Macht tvar erblich, weil ſie auf Grundeigenthum beruhte. Job, + Maͤller Welt geſch. I, 410.

£9.

ſchichte, daß die militäriſchen und geiſtlichen Staaten am Ende immer mit der Grundherrlichkeit zuſammenſchmel⸗ zen, und bey derſelben allein cine Barantie ihrer Sort. dauer finden. Die Benennung aber wird immer von dem erſten und urſprünglichen als dem vorzüglicheren herge⸗ nommen, von demienigen Verhältniß, welches der Anfang und die Quelle, die Wurzel und Mutter der übrigen ge. weſen ift. Wir wollen jebem derſelben ein beſonderes Hauptſtük widmen.

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“—

Erſtes Hauptítúť.

Von den unabhángigen Orunds

herren oder den Patrimonial⸗

Fuͤrſten.

U

Fuͤnf und zwanzigſtes Capiteľ.

Natuͤrlicher Urſprung derſelben und ihrer

IV.

Herrſchaft.

Natuͤrlicher Nefyrung der Ebe und ber Familie. Rechtliche und liebevolle Natur dieſes Verhaͤltniſſes.

.Jede Familie iſt das vollkommene Ebenbild eines monarchiſchen

Staats, die Unabbaͤngigkeit allein abgerechnet.

·Die erſten unabhaͤngigen Familien ⸗Haͤupter, mitbin bie

erſten Súrften, finden ſich nothwendig unter ben frenen Land⸗ Eigenthumern. Beweis dieſer Wahrheit aus der Natur der Sache, aus der Geſchichte und aus dem allgemeinen Sprach⸗ gebrauch.

Natuͤrlicher Urſprung des Brund : Eigentfums ſelbſt, bewieſen:

a. aus ſeiner Nothbwendigkeit, Allgemeinheit und Unzerſtoͤr⸗ barkeit:

"b. aus der unebereinſtimmung deßelben mit dem natuͤrlichen

Rechts⸗Geſez“

c. aus der allgemeinen Erfahrung, noch in unſeren Tagen.

d. aus der Autoritaͤt der beruͤhmteſten Philoſophen und Juri⸗ ſten aller Zeiten.

v. Veranlaſſung des entgegengeſezten Irrthums blos aus der Zweydeutigkeit des Worts Gemeinſchaft.

Ein unabhaͤngiger Land⸗Eigenthuͤmer iſt cin vollendeter Fuͤrſt.

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Gas erſte herrſchaftliche Verhältniß, die erſte natürliche Aggregation von. abhängigen oder dienſtbaren Menſches geſchieht allerdings durch die Verbindung von Mann und Weib, durch Zeugung der Kinder, zugehörige Familie, eigenthümlichen Wohnſiz, und ſchon dieſe Herrſchaft be. ruht auf höherer Macht und ihr correſpondirendem Be. dürfniß; ſie iſt von Gott gegeben und keineswegs vom Volke delegirt. So hat die freundliche Natur die Men—

ſchen geſchaffen, daß ſie ungeachtet aller Reichthümer bed.

Erdbodens, doch ohne geſellige Verbindung, ohne wech⸗ ſelſeitige Hülfe theils ſchlechterdings nicht leben können, theils nur cin elendes, freudenloſes Leben führen wür⸗ be. 1) Sie ſollen einander lieben (das göttliche Ge⸗ ſez erfüllen) und nur allein dadurch glüklich werden kön— nen. Daher ſchuf Gott bereits zweyerley Menſchen, zwey Geſchlechter, zwar mit gemeinſchaftlichen aber auch mit ganz verſchiedenen Kräften und Aulagen; cin männliches und ein weibliches, ein ſtärkeres und ein ſchwächeres, aber beyde zu wechſelſeitigem Vortheil; jenes zum Schaf⸗ fen, Erhalten, Beſchüzen, dieſes zur freundlichen Hülf⸗ keiſtung, zur Anmuth und Freude des Lebens; jenes für bie größeren und wichtigeren, dieſes für die kleineren, all⸗ täglichen, aber deßwegen nicht minder nöthigen Sorgen; 2) jenes gleichſam zum Repräſentant der Kraft und Gerech⸗

tigkeit, dieſes zum Fürſprecher der Liebe und Klugheit,

deren Vereinigung allein das Geſez erfüllt und den Be. dürfniſſen ber Welt entſpricht. Zwiſchen dieſe Geſchlech⸗

1) S. T. I. G. 300 und 344 347. 2) Gerade mie in einem Reich der Oberſte die wichtigſten, die Diener bie minder wichtigen Geſchaͤfte beſorgen.

a

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ter nun, und gerade wegen A ihren verſchiedenen Kräften, bat die Natur die innigſte Liebe gepflanzt, in ihr Herz eine Sympathie gelegt, welche ſie durch zarte Neigung und unwiderſtehliches Bedürfniß an einander zieht. Der Mann ſucht das Weib und wirbet um daſſelbe, er giebt Nahrung und Schuz und iſt eben deßwegen der Erſte, der Hôbete, der Herrſchende; das Weib hingegen willigt cin, verſpricht trene Hülfleiſtung, liebreiche Zuneigung, und iſt eben deßwegen die Dienende, aber nicht wie eine gezwungene Sclavin, ſondern (wie es auch in andern Verhältniſſen ſeyn ſoll) mit ſreyer Menſchenwürde als eine geliebte und ſelbſtliebende Freundin. So iſt der Eh⸗ ſtand göttlichen, natürlichen Urſprungs; von keinem menſchlichen Geſezgeber weder erfunden noch eingeführt, ſondern allgemein, nothwendig, unzerſtörbar, durch die ganze Schöpfung herrſchend wie alle Anſtalten der Natur; früher oder ſpäter muß ſich faſt jeder Mann mit einem Weibe verbinden, um eine Gefährtin oder Gehülfin ded Lebens zu haben, 3) und bisweilen, men auch nicht im⸗

3) „Und Gott der Herr (prach: „Es iſt nicht gut, daß der Menſch „allein ſey, ich will ihm eine Gehuͤlfin machen, die um „ihn fen. 1. B. Moſ. II, 13. Es ik ein craſſer und mei⸗ ner Ueberzeugung nach ganz falſcher Gedanke, den Zwek der Ehe in Befriedigung wilder Triebe oder auch in der Fortpflan⸗ zung des Menſchengeſchlechts zu ſezen. Er beftebt weſent⸗ lic) nut in wechſelſeitiger lebenslaͤnglicher Huͤlfleiſtung. Der Beweis davon liegt darin, daj erſterer Zwek auch außer der

Ehe moͤglich waͤre, lezterer nicht; und daß dieſer wahre Zwek immer erfuͤllt werden kann, der andere aber ſtets ungewiß bleibt. Notarien moͤgen, durch falſche Doetrinen verfuͤhrt, in Eh⸗Contrakten von Fortpflanzung des Menſchengeſchlechtes ſpre⸗ chen und dadurch daš jungfraͤuliche Zartgefuͤhl beleidigen: aber kein Mann der cine Heyrath ſchließen will, pflegt ſeiner Braut

23.

mer, entitebt durch ein Wunder Gottes mittelſt dieſer in⸗ nigen Vereinigung, eine neue Produktion; neue lebendige Weſen, zarte Abdrüke der väterlichen Kraft und der müt⸗ terlichen Zier, lächeln den Urhebern und Erhaltern ihres Lebens mit Dank und Liebe entgegen, und ſind durch bie Ordnung der Natur ſelbſt von ihnen abhängig. MIL. mählig wird der freundliche Kreis vergrößert, cd. erwei⸗ tert ſich das Reich des Manns, zum deutlichen Beweis/ daß Liebe und wechſelſeitige Hülfleiſtung die Mutter alles Segens, alles Glükes iſt. To findet ſich nun eine Macht relativ größer als die elterliche? wo iſt ein Bedürfniß dringender als das eines unmündigen Kindes, dem außer dem Leben alles andere mangelt? und ſiehe, es hat die Natur gerade in jene Ueberlegenheit die innigſte Liebe gepflanzt, die hülfloſeſte Schwäche mit einer ſchüzenden

von Kinderzeugung zu reden, wohl aber von Zuneigung und Gefaͤbrtſchaft des Lebens. Auch wuͤrde daraus folgen, daß alle

kinderloſen oder kinderlos gewordenen Ehen aufgeloͤst werden múften, welches wieder nicht geſchiebht nad geſchehen kann,

ohne die Schließung der Eben ſelbſt zu bindern. Wenn bis⸗

weilen auch vor menſchlichen Geſezen und Gerichten Tren⸗

nunags⸗Geſuche wegen Zeugungs⸗Unfaͤbigkeit erlaubt ſind: fo wird doch ein ſelches Begehren nach allgemeinem Gefuͤbl als eine fcanbalófe, d. h. dem natuͤrlichen Geſez widerſtreitende

Handlung angeſehen. Nicht im Augenblik aufgewachter Triebe denkt der Mann an die Ehe, ſondern gerade in den beſſern

und rubigen Momenten, wo cr den Plan. ſeines Lebens macht,

aͤußerer Zerſtreuungen muͤde, bie Einſamkeit ſcheut und ſeine

Huͤlfloſgkeit zu fuͤhlen anfaͤngt. Requlariſirung und Vered⸗

ung bed Geſchlechtstriebs, gemeinſchaftliche Erziehung allfaͤl⸗

liger Kinder, find wohl freundliche Nebenzweke der Natur,

bie Familie cin zufaͤlliger Segen ber Ehe, aber nicht ihr dis

gentlicher Zwel, nicht ihre Bedingung felbľa

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erſt ben Bedürfniſſen ohne allen Begendienft abhilft, ſo⸗ dann das Wachsthum der eigenen Kräfte begünſtiget, die Kinder zur Freyheit groß zieht, jedoch auch dieſes nicht eher als bis ſie ihnen zum Vortheil und nicht zur Bea ſchwerde gereicht, bis ſie entweder von des Vaters Liebe ſeine Güter geſchenkt erhalten oder deſſelben zur Erhal⸗ tung des Lebens ſonſt nicht mehr nöthig haben, und ohne daß ſie ihn je in ſeinen Rechten beleidigen, noch eine Mitherrſchaft über das ſeinige anſprechen dürfen. +) endlich auch die Sorge für die Verwaltung jenes kleinen Reichs dem Vater und ſeiner Gefährtin zu ſchwer, ver⸗ mag er durch die Frucht ſeines Fleiſſes, oder durch er⸗ worbnes Eigenthum, oder durch die ihm von früheren Wohlthätern zugefallnen Güter, auch anderen Menſchen Nahrung und Schuz anzubieten und dagegen ihre Arbeit einzutauſchen: fo wird er bald neue Gehülfen, nete Die—

4) Abermal das vollkommene Bild einer rechtmaͤßigen Herrſchaft. Freylich mit dem Unterſchied, daß ein Vater allerdings mehr intereſſirt iſt die Kraͤfte, mithin die Freyheit ſeiner Kinder zu beguͤnſtigen, weil ex ſie ſonſt erhalten muͤßte und nicht immer erhalten kann. Auch iſt es leichter ſich von-der vaͤ⸗ terlichen Herrſchaft zu befreyen als von einer hoͤheren, weil jenes nur febr geringe Kraͤfte vorausſezt, welche die Natur

fot jedem Menſchen giebt; lezteres außerordentliche Mittel und Gelegenheiten erfordert. Aber auch ein Fuͤrſt ſoll das natuͤrliche rechtmaͤßige Wachsſthum ber Kraͤfte ſeiner Unterge⸗ benen nicht hindern und ihnen die Fruͤchte davon nicht miß⸗ goͤnuen, z. B die Verlaſſung ſeiner Dienſte, ſeines Landes nicht verſagen, vertragsmaͤßige Befreyung von gewiſſen Be⸗ ſchwerden unter Umſtaͤnden geſtatten u. ſ. w. Jn dieſem Sinn koͤnnen ſie allmaͤblig freyer werden, aber nie in dem Sinn, daß (ie ben Fuͤrſten in ſainen eigenen Rechten beleidigen, ſich ſeiner Guͤter bemaͤchtigen oder gar uͤber ihn herrſchen duͤrf⸗ ten, als worin der Charalter der heutigen Revolution beſtand.

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net finden, bie ſelbſt wieder die ibrigen haben können, und fo ift bie Familie in weiterem Sinne gebildet cin Verháltniť von lauter Freundſchaft und wechſelſei— tiger Wohlthat, in welchem úbrigený das nemliche Pflicht⸗ geſez herrſchet wie in allen andern, jedem das Seine zu laſſen und das Seine zu geben, Verträge zu halten (was ſchon aus dem, erſteren Gebote fließt) übrigens einander. zu nüzen (o viel man kann, Liebespflichten zu erfüllen, zu allen guten Werken bereit zu ſeyn, nur daß hier wie anderswo, das erworbne Seinige eines jeden, mithin das Obiekt der Schuldigkeit verſchieden, auch die Berührung näher und eben deßwegen zur Beſeitigung von Colliſionen die Liebe nothwendiger iſt. S)

In einer jeglichen ſolchen Familie findet man zwar, die Unabhängigkeit abgerechnet, bereits das vollkommene Ebenbild eines monarchiſchen Staates. Der Hausvater oder Hausherr iſt in ſeinem Hauſe unabhängig, von allen Bewohnern deſſelben hat ihm niemand zu befehlen, ſelbſt die ganze Geſamtheit derſelben iſt nicht über ihn geſezt. Im Gegentheil herrſchet er über ſie, nicht aus delegirter, ſondern aus eigener Macht und nur ſo weit ſein eignes natürliches oder erworbnes Recht geht, auch eben deßwe⸗

5) Wie mager, hart und troken, ja ſogar falſch wird nicht das Familien-Recht in unſern Naturrechts⸗Compendien abgehan⸗ delt, als waͤre nur Tyranney in dem freundlichſten Verband der Menſchheit! Nicht einmal das Recht handeln ſie richt ig ab, geſchweige daß ſie von der Liebe ein Wort reden.

6) Gerade wie in einem Fuͤrſtenthum. Es iſt eine ang dem pſeu⸗ dophiloſophiſchen Staats⸗Syſtem fließende Maxime ded Deſpo⸗ tismus, von allen Untergebenen die nemlichen Dienſte und die nemlichen Pflichten fordern zu wollen; nur bie natuͤrlichen

A

a6 abgerechnet, jedem Fremden den Zutritt in ſein Ďaug verſagen oder die Bedingungen der Aufnahm nach ſeinem Gutdünken vorſchreiben. Hier findet man bereits einen Oberherren der nicht von ſeinem Hausvolk geſchaffen iſt, Kinder ded Hauſes (VPrinzen vom Geblüt) bie dod) ſchon mehrere Vorzüge und Begünſtigungen genieſ⸗ fen, die nicht dienen, ſondern nur abhängig find, die ſo⸗ gar Anſpruch und Hoffnung auf die künftige Herrſchaft haben; ferner die verſchiedenen Claſſen von Untergebenen, mancherley Diener und Beamte mit dem Recht ihrer Anſtellung, Verabſcheidung und bisweilen ſogar graduellen Beförderung; vorübergehende Arbeiter, Zinsleute, Einſaßen und deren Zubehör, Báfte oder hereinge⸗ kommene Fremde u, ſ. w. Hausadel oder Haus—⸗ ſtände, d. b. die Freyeren und Höheren, die nur mit dem Hausherren allein in Verbindung ſtehen und denen hinwieder andere hörig ſind; Geſezgebung, verbind⸗ liche Willensäußerung theils über allgemeines Recht, theils über beſondere Hausſachen; Aufſicht und Urtheil über ihre Vollziehung, Abänderung oder Aufhebung dieſer Geſeze und Diſpenſation von denſelben; Gerichts⸗ barkeit überall wo er ſich und ſeinen Hausgenoſſen Hülfe ſchaffen kann, d. h. wo ſeine Macht zureicht; zwar keine Auflagen, aber mancherley Einkünfte von Capitalien und Induſtrial⸗Unternehmungen (Domainen und Rega⸗ lien) ſogar indirekte Abgaben zum Vortheil aller Haus⸗ genoſſen, 7? freye Diſpoſition über dieſe Finanzen

Pflichten ſind bey allen Menſchen die gleichen, die vertrags⸗ maͤßigen faſt ben jedem ungleich.

+) 3. B. fuͤr Beleuchtung, gemeinſame Bewachung des Hauſes, Anſtalten gegen Feuersgefabr u. ſ. w. wie man dieß in großen Haͤuſern oft ſieht.

Nn

u. ſ. w. Hier endlich iſt in allen wechſelſeitigen Rechten und Pflichten die auffallendſte Aehnlichkeit mit einem Fürſten und ſeinen Unterthanen. 8) Sezet die Unabhän⸗ gigkeit hinzu, laſſet das Verband, welches den Haus—⸗ herren ſelbſt an einen noch höheren knüpft, in Gedanken wegfallen: fo iſt ſein Fürſtenthum vollendet. Alsdaun wird er in jeder Rükſicht ſich ſelber helfen müſſen, ſeine Verhältniſſe mit anderen Menſchen nicht nach dem Willen eines Oberen, ſondern nach eigenem Willen oder nach Verträgen feſtſezen (Krieg führen und Frieden ſchlieſſen) ſeine Haus⸗Geſezgebung und häusliche Gerichtsbarkeit wird fortan die oberſte ſeyn, weil kein Höherer ſie auf⸗ zuheben vermag, über ihn ſelbſt aber wird niemand mehr richten, darum weil er keinen Höheren über ſich hat, der den Ausſpruch vollziehen könnte.

.Allein nach ber Ratur ber Sache iſt es nicht wohl mög⸗ lich, daß ein bloßer Hausvater oder Hausherr, ohne ei⸗ genes Land, ganz unabhängig, mithin ein wahrer Fürſt ſeyn könne. Denn entweder iſt das Haus mit eigenem Grund und Boden umgeben und alsdann iſt ſein Beſizer

8) Bonus princeps non alio debet esse animo in suos cives guam bonus pater familias in suos domesticos: guid enim aliud est regnum guam magna familia, guid rex nisi plurimerum Pater. Erasmus de instit. princ. conf, oben No. 4.

„Es iſt ein Grundſaz bey den Cbineſen ber fo alt iſt alý sibre Monarchie: daß der Staat eine große Familie iſt, „daß cin Fuͤrſt gegen ſeine Unterthanen das ſeyn ſoll, was ss čin Vater gegen ſeine Kinder iſt, und daß ee ſie mit eben „der Liebe regieren ſoll. Dieſe Begriffe ſind von Natur in „die Herzen aller Chineſer gegraben und alle ihre Buͤcher s find damit angefuͤllt.“ v, Neal Staatgtunú I, 467.

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ſchon cin Grundherr, oder es ſteht auf dem Grund eines anderen und in dieſem Fall iſt er durch die Natur der Dinge in mancherley Rükſicht von lezterem abhängig, ohne nur auf die meiſt hinzukommenden vertragsmäßigen Servituten und freywilligen Dienſt⸗Verhältniſſe Rükſicht zu nehmen. Wenn auch der Grundbeſizer den Boden auf welchem daš Haus und ſogar ſeine nächſten Umgebungen ſtehn, eigen⸗ thümlich abtreten und frey erkennen wollte: fo wäre der Hausherr immer noch von dem Land eines anderen Um. ringt und eingeſchloſſen, mithin relativ gegen denſelben zu ſchwach und aus mancherley Gründen, ſelbſt ſeiner phy⸗ ſiſchen Exiſtenz, 4. B. des Zugangs, ber Befeurung, ded Waſſers wegen, von ihm abhängig und eben deßwe⸗ gen in allen Colliſionen zur Nachgiebigkeit gezwungen. Er müßte durch die Gewalt der Umſtände, d. h. durch den Zwang der Natur, durch das Geſez der Nothwendigkeit, ſelbſt zu ſeinem eigenen Vortheil, demjenigen dienſtbar werden, der ihm ſo viele Vortheile verſchaffen oder ent⸗ ziehen kann, wie es auch zu allen Zeiten den kleineren von den Beſizungen eines größeren ganz umſchlungenen

Grundherren ergangen iſt, ſobald ſie durch eigene Macht

ihre volle Freyheit nicht behaupten konnten, und dabey durch Zufall von dem Schuz eines Dritten und Mächti⸗ geren verlaſſen waren.

Die erſten mächtigeren und unabhängigen Menſchen, oder mit andern Worten die erſten Fürſten, finden ſtch alſo nothwendig unter den freyen Landeigenthü— mern, und zwar unter ſolchen deren Eigenthum groß genug oder deren Rage fo glüklich iſt, um nicht nur ſelbſt von Bedürfniſſen frey, wenigſtens von höherer Macht un⸗ abhängig zu ſeyn, ſondern auch fremde Bedürfniſſe be

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fricbigen, anderen Menſchen Nahrung, Wohnung und Bes quemlichkeiten des Lebens verſchaffen, und dagegen ihre Dienſte eintauſchen zu können. Dieſe find die eigentlichen Patriarchen, die Patrimonial-Fürſten, die Erb. und Grundherren ele man, wenn fe mebrere audgedehbnte Gründe beſizen, bisweilen and Lan⸗ des⸗Herren zu nennen pflegt. Dad Correlatum Der» ſelben find Familien-Glieder, Diener, Leute, Hörige, Unterthanen u. ſ. w. die der Grundherr ſich alle unter mancherley Verhältniſſen und ſehr ver ſchiedenen DienſtVerträgen, nad und nach ag⸗ gregirt, ſie in ſeinen Schuz oder in ſeinen Dienſt auf» nimmt. Daß nun dergleichen mächtigere Familien⸗Häup⸗ ter, Landeigenthümer oder Grundherren, die allererſten, älteſten, häufigſten Fürſten geweſen und noch ſind: das beweiſet nicht nur die Vernunft aus der Nothwendigkeit det Sache und der Unmöglichkeit ihres Gegentheils, ſon⸗ dern auch die Geſchichte aller Zeiten und Länder, das Zeugniß der weiſeſten und ſelbſt der gemeinſten Menſchen, der allgemeine uralte, ja noch jest übliche Sprachge⸗ brauch. Gleichwie die väterliche, Haus⸗ und Grundherr⸗ liche Eigenſchaft die erſte Ueberlegenheit, Nahrung und Wohnung das erſte Bedürfniß der Menſchen iſt: ſo mußte auch nothwendig aus jener die erſte natürliche Herrſchaft, aus dieſem die erſte natürliche Abhängigkeit oder Dienſt⸗- barkeit entſpringen. Dieſe urſprünglichen, zugleich mit dem Menſchen⸗Geſchlecht entſtandnen Verhältniſſe ſind file bie Erhaltung und Fortpflanzung ber phyſiſchen Exi⸗ ſtenz ſchlechterdings unentbehrlich. Die Menſchen müſſen vorerſt leben, zu dieſem End einen ausſchlieſſenden Wohn⸗

9) principes, domini, patres familias.

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ſiz baben, den Erdboden bauen oder ſeine freywilligen Früchte benuzen, welches bereits nicht ohne wechſelſeitige Hülfe geſchehen kann; Sicherſtellung gegen allfällige Be⸗ leidigungen, Cultur ded Geiſtes ſind erſt ſpätere Bedürf⸗ niſſe, und jener Schuz oder dieſe Belehrung fonnten, ſo weit ſie nöthig waren, urſprünglich auch von dem De. begüterten Familien⸗Haupte ſelbſt gegeben werden. 70) Man kann ſich ſogar den natürlich⸗geſelligen Zuſtand der Menſchen urſprünglich nicht anders denken, als unter dem Bild einer großen Menge unabhängiger Haus⸗ oder Grund⸗ herren, und eben dieſes Bild (dieſe Idee) ſtellt uns die Geſchichte aller Länder realiſirt dar; was unſer Geiſt als nothwendig erkennt, das erſcheint auch in der Wirklichkeit vor unſeren Augen. Selbſt diejenigen welche einen künſt⸗ lichen Sociul⸗Contrakt für die Gründung der Staaten annehmen, wollen ihn ja aus früheren unabhängigen Hausvätern hervorgehen laſſen, die über ihre Weiber, Kinder und Diener nad Familien⸗Recht geherrſchet hät⸗ ten, für ihre Perſon aber fo frey geweſen wären als fest die Könige und Kayſer. Allein die unzähligen Patriar⸗ chen, kleinen Könige und Fürſten von denen die älteſten hiſtoriſchen Urkunden nicht nur bed ebräiſchen Volks, fot» dern aller Länder des Erdbodens zeugen: was waren ſie anders als freye Grundherren, unabhängige Landeigenthü⸗ mer, wie ſchon ihr kleines Gebiet, ihre unbeſtrittne Erb⸗ fu 6, ihre Benennung ſelbſt bemeist, 112) Und iſt es

10) So mie z. S. der Hirten⸗Koͤnig Abrabam vom Namen des Herren predigte, obgleich ſeine Herrſchaft nicht auf dieſem Fundament, ſondern auf ſeinem Reichtbum und dem Patriar⸗ chat beruhte.

11) Artig und richtig ſagt Job. v. Muͤller: „Ja! die Griechen v batten Loͤnige, dieſe Koͤnige waren die Planters mie Abra⸗

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nicht aus der Geſchichte von vielen taufenden ſelbſt der größeren Staaten, mit allen Umſtänden bekannt, daß ſie aus einer urſprünglich kleinen Grundherrſchaft hervorge⸗ gangen und in der Folge allmählig gewachſen ſind. Auch haben die weiſeſten Männer aller Zeiten den - Urſprung ber Fürſten ſtets aus jenem natrürlichen Verband herge⸗ leitet. Die meiſten der älteren behaupten einſtimmig, daß Patriarchen oder begüterte Hausväter die erſten Fürſten geweſen, und es iſt merkwürdig, daß dieſe Idee, aller Schulgrillen und falſchen Doctrinen ungeachtet, immer wieder kommt, ſtets ihre neuen Vertheidiger findet und ſich ſelbſt den Sophiſten im Vorbeygang aufdringt; allein gleichwie die Wahrheit unzerſtörbar iſt, ſo kann auch ihr Gefühl nie ganz ausgerottet werden. 12) Undere find der vollen Wahrheit noch näher gekommen, wiewohl ſie ihr ebenfalls nicht treu geblieben find, noch dieſelbe bitie reichend entwikelt haben, ja ſich ſogar vor dieſer Eutwik⸗ lung zu fürchten ſchienen, als ob die Ordnung Gottes je ſich ſcheuen müßte, in ihrem vollen Glanz geoffenbaret zu werden. 13) Aber ſie ſahen doch im Geiſt bie mögliche

„ham, wie unſer alter Adel und die Amerikaniſchen Eng⸗ „laͤnder. Wenn Kinlochs 2000 Jucharten in Florida und „ſein Kenſington, Kinlochsfurt und Wenven beyſammen lá, „gen: fo haͤtt' ibn Homer den Koͤnig Franecis Kinloch ge⸗ „nannt.“ Briefe an Bonſtetten 1777. Saͤmtliche Werke T. XIII. ©. 235. Schade um ſo ſchoͤne Blike in die Natur, daß ſie nicht zur Erkenntniß der vollen Wabrheit fuͤhrten. 14) Opinionum commenta delet dies, nature judicia conſirmat. 13) Sie ſchienen 3u beſorgen, die Theorie fáme zu deſpotiſch her⸗ aus, menn man bag Vríncip des haus⸗ und grundherrlichen Verbaͤltniſſes confeauent befolgte, obgleich nichts freyeres zu denken iſt. Dagegen ſcheute man ſich nicht die monſtruoͤſe, alle Privat⸗Rechte zerftórente Nſurpation der Roͤmiſchen Caͤ⸗

32 | Erweiterung jenes väterlichen odber hausherrlichen Ver⸗ hältniſſes ein und erkannten, daß nicht nur im Anfang der Welt, ſondern auch in ſpäteren Zeiten Fürſten auf dieſe Art entſtehen konnten und wirklich entſtanden Ánd. 14)

ſaren zum Ideal anzunehmen. Da hatte man doch das Ver⸗ gnuͤgen ven einer fruͤheren unterdruͤktten Volks⸗Corporation ausgehen zu koͤnnen!!

14) Job. v. Muͤller in obiger Siele it. T. XV. p. 374. Aeuſ⸗ ſerſt merkwuͤrdig aber iſt Garve in ſeiner Ueberſezung der Politik ded Ariſtoteles und den Anmerkungen zu derſel⸗ ben T. II. p. 23. wo et bie Stamms⸗Regierungnach dem Nedt ber Erftgeburt alé in den aͤlteſten Seiten Úder den ganzen Erdboden ausgebreitet, ſelbſt in unfern Zei⸗ ten unter nomadiſchen Voͤlkern fortdaurend, und noch vor kur⸗ zem in Schottland exiſtirend ausgiebt. Ferner p. 41. wo folgende merkwuͤrdige Stelle vorkoͤmmt: JA dieſem unſerm „Deutſchland ſehen wir Fuͤrſten auf zweyerley Art entſtehen. „Erſtlich aus bloßen Edelleuten, die durch Kauf und Hey⸗ „rath immer neue Guͤter erwerben, dieſelben endlich durch ei⸗

„stien großen allgemeinen Titel, und durch dag Geſez der Un⸗ s theilbarkeit in ber Erbfolge, zu einem ſolchen Ganzen ma⸗ | 33 Chen, mit dem Úmfange ibrer Befiznngen zugleich auch den „Umfang ihrer Nedte ausdehnen, und fo endlich alš Maͤchte „des zweyten Ranges auftreten. In keinem Staate iſt dieſes „Aufbluͤhen eines neuen Staats aus einem adelichen Hofe „ſo gut von ſeinem erſten Anfange an zu verfolgen, als in „der Geſchichte von Wuͤrtemberg ꝛe. Die zweyte Entſtehungs⸗ „art der deutſchen Fuͤrſten ſey die durch erblich gewordene „große und mit betraͤchtlichen Territorial⸗Guͤtern verbunde⸗ „nen Aemter der Herzoge, Grafen und Markgrafen.“ Alſo wieder Land⸗Eigenthuͤmer die unabhaͤngig geworden:! Wie iſt es moͤglich bey ſolch einzelnen ſchoͤnen Beobachtungen nicht auf das allgemeine Princip geleitet zu werden? Wenn hat dann jene Verbreitung Úber. den ganzen Erdboden aufaebórt? Iſt nicht das Fundament aller Patrimonial⸗Staaten das nemliche?

33

Endlich Bôtvejfeť dieſes auch ber Sprachgebrauch aller Völker, welcher als ein unverabredetes Zeugniß aller Men⸗— ſchen anzuſehen iſt und dod nicht überall falſch ſeyn, nicht ſtets die Natur der Dinge falſch ausdrüken wird. Wir haben bereits anderswo gezeigt, daß in den meiſten Sprachen die Benennung der Fürſten theils überhaupt von höherer Macht, beſonders aber von der Eigenſchaft

eines Haus⸗ und Grundherren hergenommen iſt, und

wollte man mehrere vergleichen oder kennte man die Ety⸗ mologie noch beſſer, ſo würde man dieſe Beobachtung noch mehr beſtätiget finden. Die Titulaturen, welche ſie ſich ſelbſt geben oder die ihnen von anderen beygelegt werden, alle Redensarten die zwiſchen ihnen und ihren Untergebenen üblich (ind, der ganze ſogenannte Canzley⸗ ſtyl, führt auf das nemliche, Verhältniß hin, fest daſſel⸗ bige voraus und iſt ihm durchaus angemeſſen. "5) Cene

15) Dieſer alte Canzleyſtyl if uͤberhaupt aͤußerſt merkwuͤroig und lehrreich. Einfach und kunſtlos floß er aus der Natur der Dinge und ſpiegelte dieſelbe mit reiner Treu zuruͤk. Nicht ohne Abſicht hat man gegen denſelben vor einigen Jahrzehen⸗ den ſo ſehr deklamirt und allmaͤhlig einen abgeſchmakten, unver⸗ ſtaͤndiichen, pſeudophiloſophiſchen Sprachgebrauch untergeſcho⸗

ben. (S. T. 1. S. 224.) Man wollte ae Spuren der alten Ver⸗ baͤltniſſe vertilgen, auf daß niemand ſich daran erinnere, und die Fuͤrſten ſelbſt vergeſſen moͤchten was ſie eigentlich ſind. Stets wiederholte falſche Redens-Arten bringen den Irrthum mie dag Gift in die Seele. Sie find cin Vehikel der Verfuͤh⸗ ťung, dem in die fánge aud der Stártíte nicht widerſtebt. San glaubt zulezt die Sache dem Zeichen anarmefjen, ftatť daš Scichen nad Der Šade abzuaͤndern. Indeſſen bat man jenen Canzleyſtyl nicht ganz und nicht uͤberall verderben, viel⸗ weniger aus den fruͤberen Urkunden vertilgen koͤnnen; er iſt nech immer eine fruchtbare Quelle der Wabrheit und ie aͤlter,

Zweyter Vand. C

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Titulaturen ſind und waren ehmals gewoͤhnlich aus der Benennung der verſchiedenen Guter zuſammengeſezt, mel. che der Fürſt beſizt, ſie zeigen wie dieſe Güter nach und nach an ihn gekommen ſind, und auf welchem Grund ſeine Herrſchaft in Den verſchiedenen Theilen ſeines Be. biets beruht. 16) Es reden die Fürſten noch jezt und

i -

je lebtreicheť und unverfálicbter. Im deutſchen Reich . B. war er bis auf die neueſten Zeiten beynahe unveraͤndert ge⸗ blieben, und zeigte immer noch die wahre Natur der alten urſpruͤnglichen Verfaſſung an. In England iſt der Canzleyſtyl ebenfalls noch jezt durchaus monarchiſch und widerlegt auf's deutlichſte die Sophiſtereyen, welche durch Montesquieu und ben Genfer Delolme uͤber die Natur der engliſchen Verfaſſung in die Koͤpfe gebracht worden ſind.

16) Man ſchlage ben erſten beßten fuͤrſtlichen Titel in Buͤſchings Erdbeſchreibung nad, einem in jeder Ruͤkſicht, auch fuͤr bie alte ſtaatsrechtliche Geſtalt von Europa vor der franzoͤſiſchen Revolution, elaſſiſchen und unſchaͤzbaren Buch, beſonders meil darin auch nicht eine Spur der falſchen pſeudophiloſophiſchen Grundſaͤze anzutreffen iſt. Der Litel bes Koͤnigs von Preußen z. B. lautete folgendermaßen: Sónig von Preußen, Mark⸗ s graf zu Brandenburg, ſouverainer und oberſter Herzog von „Schleſien, ſouverainer Prinz von Oranien, Neuſchatel und „Valengin, wie auch der Grafſchaft Glaz; in Geldern, zu „Magdeburg, Cleve, Juͤlich, Berg, Stettin, Pommern, der s. Caffuben und Wenden, zu Meklenburg und Croſſen Herzog;

» Burggraf zu Nuͤrnberg, Fuͤrſt su Halberſtadt, Minden, Gas

„min, Wenden, Schwerin, Razeburg, Oſtfriesland und „Moͤrs; Graf von Hohenzollern, Ruppin, ber Mark, Nas „venſpurg, Hobenſtein, Teklenburg, Schwerin, Lingen, Buͤ⸗ „ren und Leerdam; Herr von Ravenſtein, ber Lande Nofieť,

Stargard, Laumburg, Buͤtov, Arlay und Breda 26." Ce

haͤtte um vollſtaͤndig su ſeyn noch viel weitlaͤufiger ſeyn koͤn⸗ nen, denn jede dieſer groͤßeren Beſizungen war urſpruͤnglich wieder aus vielen kleineren zuſammengeſetzt. SR abet in jes

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redeten 31 allen Zeiten von ihrem Haus und ibrer Sa. milie, von ihren Gütern und Beſizungen, von ihren Die⸗ nern mancherley Art, von ihren natürlichen oder vertrags⸗ weiſe erworbenen Rechten, von den ihnen ſchuldigen Dienſtpflichten u. ſ. m. Aehnliche Ausdrüke kommen bin. wieder vor, wenn die Unterthanen zu ihren Fürſten reden. Daher war auch ehmals im Eingang aller landesherrli⸗ chen Verordnungen ſtets eine vollſtändige Aufzählung aller jener dem Fürſten untergebenen, oder ſonſt verpflichteten Menſchen-Claſſen enthalten; in väterlich freundlichem Styl wurde 3. B. im Namen ded Fürſten zu ſeinen Be. amten und Dienern, Vaſallen und Lehenleuten, Untertha⸗ nen, Einſaßen und anderen Bewohnern ſeiner Bottmäßig⸗ keit die Rede geführt, und ihnen dabey, unter Entbie. tung des landesherrlichen Grußes, ſein weiterer Wille zu erkennen gegeben: eine Formalität die um deſto weni⸗ get vernachläßiget werden ſollte, da ſie theils die natür⸗ liche relative Befugniß zum Befehlen anzeigt, theils auch den rechtlichen Grund in ſich ſchließt, warum und in wie weit ein jeder ſolche Verordnungen zu ehren und zu befolgen ſchuldig ſey? 17) Wo alſo Vernunft und ihre

nem Zitel nicht beynahbe die ganze Geſchichte der Monarchie enthalten, wiewobl nicht in ebronologiſcher Ordnung? Iſt nicht auch hier die auffallendſte Aehnlichkeit mit andern großen Pri⸗ vat s Herren, Die ſich ebenfalls von ihren vielen Beſizungen nennen? Uebrigens iſt die Weitlaͤufigkeit der Ditel allemal ein Zeichen aͤcht grundherrlicher, aus vielen Guͤtern entſtandener Staaten, da hingegen die ſtolze Kuͤrze der Titulaturen ein Charakter und eine natuͤrliche Folge der militaͤriſch gegruͤnde⸗ ten Reiche iſt. Man kann berde auch daran von einander un⸗ terſcheiden, ſelbſt wenn man ihre Geſchichte nicht kennte.

17) Wie troken und zuruͤkſtoſſend iſt nicht dagegen die heutige For⸗ mel beſchließen und verordnen, welche von dem gebie⸗

%

Brobe die Erfahrung, Yutoritát der meifeften und bad“ Zeugniß der gemeinften Menſchen, fr den nemlichen Saz UÜbereinſtimmen, 100 man zeigen kann daß cine Sade nicht nut ibrer Natur nad) (o feyn muß, fonderu daß Sie auch allentbalben wirklich fo if, und von allen am Geiſt geſunden Menſchen dafür gehalten und anet» kannt wird; da iſt die Demonſtration vollendet, da entſteht eine Verſtand und Sinn ergreifende Evidenz, welche der mathematiſchen nicht nur gleich kömmt, ſon⸗ dern ſie vielleicht ſogar übertrifft: da wird alſo wohl kein Zweifel übrig bleiben, daß die erſten und meiſten Fürſten aus unabhängigen Landeigenthümern beſtanden, aus dem Haus-⸗ und Grundherrlichen Verhältniß hervorgegangen ſind.

Die entſteht aber das Grund⸗Eigenthum ſelbſt? SK #8 natürlichen Urſprungs oder durch künſtlichen Vertrag und willkührliches Geſez von Menſchen eingeführt? Dieſe Frage die wir eigentlich unter geſunden Köpfen nicht für ſtreitig halten ſollten, müſſen wir hier wenigſtens be. rühren, um den Sophiſtereyen derjenigen zu begegnen, die in ewigem Widerſpruch mit ſich ſelbſt, bald von na⸗ türlichen Menſchen⸗Rechten reden, und bald ſie wieder Jäugnen ſobald man aus ihnen die geſelligen Verhältniſſe erklären will; bald die Staaten zur Sicherung des vorher beſtehenden Eigenthums erſchaffen laſſen, bald hinwieder ——

teriſchen decrété et. décrete ber franzoͤſiſchen National⸗Ver⸗ ſammlung nachgeahmt iſt, und wobey niemand angeredet wird. Man weiß nicht ob dergleichen Verordnungen zu den Hotten⸗ toten oder zu ung ſprechen. Der erſte Gedanke der einem da: ben einfaͤllt, iſt: „»Was geht mid euer beſchließen und ver⸗ morduen AN

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behaupten, daß die Staaten das Eigenthum geſtiftet hät— ten, und mit ber Bezweiflung ſeines natürlichen Ur— fprungs, das Fundament der ganzen Theorie erſchüttert, die Evidenz ſelbſt um ihre Glaubwürdigkeit gebracht zu haben wähnen. 18) Die Lehre, daß das Eigenthum nicht natürlichen Rechtens, ſondern künſtlichen poſitiven Úra fprungs ſey, widerſpricht zwar dem geſunden Menſchen⸗ Verſtand, der täglichen Erfahrung und der Behauptung aller großen Juriſten; ſie iſt gleich vielen ähnlichen Doc» trinen nur eine Folge des Stolzes falſcher Weiſen, der keinen oberſten Grund der Dinge, keinen Schoöpfer und Geſezgeber der Welt mehr anerkennend, alles von menſch⸗ licher Erfindung und Willkühr herleiten will. Gkeichwie unſere neuen Philoſophen daš angeborne Pflicht⸗Geſez läugnen, Gerechtigkeit und Liebe ſelbſt zu menſchlichen Inſtituten herabwürdigen, d. h. von willkührlichen

Conventionen abhängen laſſen: fo wollen ſie auch die Fakta

und Erſcheinungen der Natur geſchaffen haben. Der Eh⸗ ſtand, das Eigenthum, die Sprache, die menſchliche Bea ſellſchaft, die Dependenz der einen von den anderen, die Autorität ded Vaters und die Abhängigkeit bed unmündi—

18) Es if bedaurlich, daß man in unſern Tagen wegen ber Ver⸗ derbniß der Wiſſenſchaft auch nicht den geringſten Saz als ausgemachte und anerkannte Wahrheit vorausſezen kann, ſon⸗ dern alles erklaͤren und beweiſen muß. Su bin id) genoͤthi⸗ get in dieſem Bude uͤber die Staatswiffenſchaft beynahe bas ganze Naturrecht aufzunehmen und zu reformiren. Ich bitte den Gelehrteren ab fúr dieſe Weitlaͤufigkeit die nicht meine Schuld iſt. Uebrigens iſt dieſe Deduction des Eigenthums⸗ Rechts gedraͤngt, vollſtaͤndiger als ih (le irgendwo angetrof⸗ fen, und duͤrfte in mancher Ruͤkſicht lehrreich ſeyn. Ladocti diecant et ament nieminise. periti.

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„gen Kindes, bie Ungleichheit ber Kräfte ſelbſt: alles fo von menſchlichen Geſezen und Inſtituten herrühren; bob Natur und ihrem Schöpfer bleibt faſt nichts überlaſſen. Stan muß ſich wundern, daß ſie nicht auch Sonne, Mond und Sterne gemacht haben wollen, darum weil man etwa tm bürgerlichen Contrakt übereingekommen ſey, daß dica ſelben ben Staatsgenoſſen zur Beleuchtung dienlich wä⸗ ren. Es mögen uns dieſe ſtolzen Sophiſten ein Land auf dem Erdboden zeigen, wo jene Verhältniſſe nicht. beſtühn⸗ den oder uns beweiſen wenn? wo? und von wem? ſie je eingeführt worden ſeyen. Die geringſte beſcheidene Be⸗ obachtung würde ſie gelehrt haben, daß alle dieſe ſoge⸗ nannten Imnſtitute durch einwohnende Triebe und freundliche Ratur-Geſeze von ſelbſt gegeben, cin. Theil Dev ewigen unveränderlichen Ordnung Gottes ſind.

Daß insbeſondere das Eigenthum natürlichen Ur. ſprungs ſey, beweist ſich (hon überhaupt aus ſeiner Not ba wendigkeit, Allgemeinheit und Unzerſtörbar— keit. Denn alle erworbenen Rechte ſind nichts anders als die Früchte der angebornen, und die nothwen⸗ digen Bedingungen zu ihrer Ausübung. Man kann bie erſteren nicht verwerfen, ohne auch die lezteren zu belei⸗ digen, ja gar zu vernichten. Ohne Eigenthum, ohne ausſchließenden Beſiz und Gebrauch fäußerer Sachen, könnte der Menſch ſchlechterdings nicht leben, vielweni⸗ ger ſeine geiſtigen und körperlichen Kräfte zu eigenem oder fremdem Nuzen anwenden. Die Speiſe die er ißt, das Kleid das ihn bedekt, der Plaz auf welchem er ruht oder den er zu ſeiner Wohnung einnimmt, das Werkzeug mit welchem ex arbeitet, mu ß einmal auf kürzere oder Táne gere Zeit ſein Eigenthum, oder ihm von einem anderen,

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deſſen Eigenthum ed war, zum ausſchließenden Gebrauch übergeben worden ſeyn; hier iſt ſogar keine Theilung, keine Gemeinſchaft möglich. 19) Daher läßt ed ſich auch ſchlechterdings nicht denken, daß kein Eigenthum ſey, bie naturwidrige Idee widerſpricht ſich ſelbſt, ſobald man ſie verdeutlichen will. Ihr möget von dem ſogenannten Ue⸗ berfluß der einen abſtreifen fo. viel Ihr immer wollet, die: Oauer des Beſizes beweglicher oder unbeweglicher Gü⸗ ter i Gedanken noch fo ſehr verkürzen, oder die Gemein⸗ ſchaft vieler Dinge nad) Willkühr ausdehnen: fo werden— immer unzählige andere zum ausſchließenden Privat⸗Ei⸗ genthum übrig bleiben, und mo. danu die Gränze zwi⸗ ſchen dem Nothwendigen und dem Entbehrlichen, zwiſchen dem temporären und dem fortdaurenden Beſiz? Mad Ihr⸗ aber gemeinſchafthiches Eigenthum nennet, iſt ent⸗ weder noch gar keines oder es iſt ausſchließendes Eigen⸗ thum mehrerer vereinigten Menſchen, aber nie aller zu— ſammen. 20) Ohne Eigenthum, ohne das Recht zur Be⸗

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19) Wie⸗ſoll ber Menſch ſich naͤhren, wenn er bie genommene Gvpeiſe nicht eſſen, das Waſſer nicht trinken (mit dem ange⸗ bornen Seinigen vereinigen) duͤrfte, wie ſich kleiden oder vor dem Ungemach der. Witterung ſchuͤzen, wenn er bad Fell oder bie Wolle des Tbiers nicht verarbeiten, nicht tragen, das Holz nicht verbrennen, noch zu Erbauung von Haus und Dad vermenden. darí, wenn jeder befugt wáre ihm ſolches wieder zu entreiſſen. Wie ſoll er ohne irgend einen ausſchlie⸗ ßenden Punkt bes Erdbodens auch nur wohnen, ſtehen, fizen oder ſchlafen koͤnnen? So zeigt ſich die Abſurditaͤt der Mey⸗ nung ven einer willkuͤhrlichen Einfuͤhrung des Eigenthums, gleich beym erſten Anblik. 20) Corporations⸗Eigenthum, welches auch Privat⸗Eigenthum iſt« Gemeinden laſſen ihre Allmenden nicht durch jedermann be⸗ nuzen. |

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ſiznahm und ausſchließenden Benuzung äußerer Dinge, wären die Menſchen elender als die Thiere ſelbſt, und nur auf dieſe Welt geſtellt, um im Angeſicht aller Reich⸗ thümer der Natur und mit herrlichen aber unnüzen Kräf—- ten ausgerüſtet, im nemlichen Augenblik wieder jämmer⸗ lich zu Grund zu gehen; das erſte Menſchenpaar ſelbſt hätte obrne ſolches nicht beſtehen können, die Fortpflan⸗ zung des Menſchengeſchlechts wäre unmöglich geweſen. Alſo iſt das Daſeyn des Eigenthums mit dem Daſeyn der Menſchen unzertrennlich, ſeine Abweſenheit nicht denkbar, zum deutlichen Beweis, daß ed nicht menſchlichen Ur⸗ ſprungs iſt. Auch beſtand und beſteht es daher zu allen Zeiten, in allen Ländern, unter allen Völkern, cd iſt gll— gemein und eine Anſtalt der ganzen Natur. Die Thiere ſelbſt haben ihr äußeres Eigenthum, es iſt keines das nicht etwas erwerbe, hervorbringe, ausſchließend benuze und das Seinige heftig vertheidige; einige ſammeln ſich ſogar Vorräthe, und Ihr möget dieß nun Inſtinkt oder ein Analogon des nemlichen Pflichtgeſezes heiſſen: ſo er⸗ kennen ſie ſogar fremdes Eigenthum an; denn ob es gleich unter ihnen, mie unter den Menſchen, auch Räuber giebt, ſo iſt dieſes doch nur eine Ausnahme von der Regel; im Allgemeinen, ohne Noth oder ohne vorangegangene Be⸗ leidigung, verdrängt nicht leicht eines das andere von ſeinem Wohnplaz, nimmt keines dem andern ſeine Speiſe weg; ſie occupiren ad ihnen herrenlos ſcheint und ent⸗ halten ſich von anerkanntem fremden Beſiz; fe nehmen was ihnen gegeben wird, und gleichwie ſte das Ihrige bes haupten, unſchuldiger Erwerbung aber ruhig zuſehen: ſo be⸗ fürchten ſie die Strafe, wenn ſie ſelbſt geraubet haben und (udca ſich derſelben durch ſchnelle Flucht zu entziehen. 21)

21) Wie ciu gewiſſes moraliſchez Gefuͤbl, ſelbſt non Dankbarleit

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Endlich bônat e$ and gar nicht von dem Willen Der Menſchen ab, ob Eigentbum ſeyn folle oder nicht: woll⸗ ten ſie es abſchaffen, fo fónnten fe es nidt, es it im Ganzen unzerſtörbar mie alles was göttlichen Ur⸗ ſprungs iſt. Geſezt, ein Gewalthaber oder eine fanatiſche mächtig gewordene Sekte wären wahnſinnig genug, um durch ein Geſez alles Eigenthum in ihrem Lande aufhe⸗ ben zu wollen: (o wird die Ausführung ihres Willens un. möglich, das Geſez der Natur mächtiger als daš ihrige ſeyn. Höchſtens dürfte das Eigenthum auf kurze Zeit un⸗ geſcheuter und häufiger als vorher beleidiget werden, aber den Beraubten wird immer noch manches übrig bleiben; die Räuber ſelbſt würden das Ihrige behalten wollen und das Eigenthum wenigſtens unter ihnen anerkennen. 22) Sa! id getraue mir ſogar zu behaupten, daß jene Či. genthums⸗Verlezungen oder Beraubungen ſelbſt nicht ein⸗ mal viel häufiger geſchehen würden als ſonſt; denn alle Welt würde ſich gegen cin ſolches Geſez als einen Be. weis der Verrüktheit oder der Vermeſſenheit gegen Gottes Ordnung empören, ſeiner Ausführung widerſtreben und ihre Ehre darein ſezen, demſelbigen nicht zu gehorchen. Unter dem Schein des Rechts oder des Eigennuzes kann man zwar die Menſchen zu vielen Freyeln verleiten, aber

und Wohlwollen, ſogar ben allen Thieren berrſche, bat auch Su. v, Real gezeigt Staatskunſt T. III. S. 244 286.

22) Justitie tanta vis est, ut ne illi guidem qui maleficio et

sselere pascuntur, possint sine ulla particula justitie vi- vere. Nam gui eorum cuipiam gui una latrocinantur, fu« ratur aliguid aur eripit, is sibi ne in latrocinio guidem relinguit locum: ile autem gui .archipirata dicitum, nisi s2guabiliter predam dispertiat, aut interficiatur a socii6, aut relinguatur. Cicero de offic. II. 11.

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nie [ieben ſie bie Gerechtigkeit mehr, nie fühlen ſie ihre Nothwendigkeit tiefer, als wenn man ihr offenbar und allgemein den Krieg ankündigt. Das Geſez eines ſolchen Gewalthabers würde im Grunde nichts anders heiſſen, als daß er dem Eigenthum ſeinen Schuz entziehe; allein erſtlich hat man dieſen Schuz nicht immer nöthig, da man nicht immer und nicht von jedermann beleidiget wird, und zudem könnten die Eigenthümer ſtets noch ſich ſelber ſchüzen oder ſich wechſelſeitige Hülfe leiſten. So kann man wohl das Eigenthum von einzelnen verlezen, ſchwächen, zerſtören, aber daß gar keines ſey iſt unmöglich; und gleichwie man das natürliche Geſez zwar übertreten aber nicht abſchaffen, einzelne geſellige Verhältniſſe auflöſen aber nie alle zerítúren kann: 23) fo haben auch alle We. ſchädigungen, Vernichtungen und Beraubungen fremden Eigenthums nichts weiter zur Folge, als daß die Bee ſizungen der einen entweder verlezt und vermindert wer⸗ ben oder mit Unrecht in andere Haände übergehen, nie aber dať überhaupt kein Eigenthum mebr exiſtire.

Sollen wir nun dieſe allgemeine Natur⸗Anſtalt, die Ordnung Gottes rechtfertigen? Es wäre Vermeſſenheit, ſie rechtfertiget ſich ſelbſt. Uns bleibt nur übrig ihre Weisheit noch tiefer zu erforſchen, zu erkennen und zu zeigen, wie ſie auch mit den Geſezen der göttlichen Gerechtigkeit übereinſtimmt, mie Natur⸗ und Pflicht⸗Ge⸗ ſez auch hier im Einklange ſind, und die Entſtehung des Eigenthums nicht nur durch jenes veranlaſſet und noth⸗ wendig, ſondern auch durch dieſes erlaubt, geboten und heilig iſt. Eigenthum erwerben heißt eine Sache, die

23) ©, T. I. S, 401 UND 346 3475.

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vorher niemanden oder auch cínem anderen gehört bat, zur ſeinigen zu machen, in feinen red tmáfgigen Beſh zu bringen, ſo daß ſie mit Ausſchluß aller andern ge⸗ braucht werden dürfe. Dieſes kann entweder einſeitig durch eigenen Willen und eigene Kraft, oder durch frema den Willen und deſſen Annahme, d. b. durch allerley Ber. träge geſchehen. Von der lezteren oder abgeleiteten Er⸗ werbungsart, die ſchon früheres Eigenthum vorausſezt, reden wir hier nicht, ſondern nur von der erſteren, als der urſprünglichen. Pie kann man auf dieſe Art rechtmäßig erwerben? Worauf beruht die Pflicht der übrigen Menſchen ſolche Erwerbung zu reſpektiren und andern das Ihrige zu laſſen? Daß erſteres nad dem natürlichen Geſez erlaubt und möglich, lezteres eben deßwegen durch das nemliche Geſez geboten ſey: kann aus der Vernunft bis zur Evidenz bewieſen und die Rich⸗ tigkeit des Vernunftſchluſſes in der ganzen Erfahrung nachgeſehen werden. Sobald der Menſch, vermöge ſeiner natürlichen Freyheit, befugt iſt ſein Leben nicht nur noth⸗ dürftig, ſondern mit möglichſter Bequemlichkeit und Ane nehmlichkeit zu erhalten, 24) ſobald er ſogar nach dem in ſein Herz geſchriebenen Geſez des Wohlwollens die Pflicht hat, ſich und andern zu nüzen, ihre Exiſtenz zu ſichern und ihren Zuſtand zu vervollkommnen: 25? fo muß er auch nothwendig berechtiget ſeyn, diejenigen äußeren Dinge und Produkte des Erdbodens zu gebrauchen, ohne welche er jenes Befugniß nicht ausüben oder dieſe Pflicht nicht erfüllen kann; alles jedoch in ſo fern er dadurch keinen andern in ſeinem Recht beleidiget,

24) Achenwall et Pätter jus nat. $. 106, 25) Ibid. $. 107.

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denn ohne dieſe Beſchränkung behaupte ich, daß er auch vidht einmal das Recht zu leben babe. Nun aber gehö⸗ ven bie äußeren Dinge und Natur-Produkte, bevor ſie VON jemand zu dem Seinigen gemacht worden, urſprüng⸗ lich niemanden, gerade deßwegen weil ſie niemand mit fh auf die Welt bringt; ſie find weder Privat⸗ noch gemeinſchaftliches (corporatives) Eigenthum, denn lezte⸗ res hätte erſt durch Vertrag geſtiftet werden müſſen, ſon⸗ dern ſie find herrenlos (res nullius), ſtehen jedem zur Erwerbung oder zum Gebrauche offen, 26) und wer ſie alſo zuerſt in Beſiz nimmt, der beleidiget kein frem⸗ des Recht, ſondern er übt nur eine erlaubte Handlung aus und erfüllt ſogar eine Pflicht, wenn ihm die betref⸗ fende Sache zu ſeiner oder anderer Erhaltung nothwendig iſt. Demnach bleibt es ewig dabey, daß bie Occupation oder Beſiznahm einer niemanden gehörigen Sache mit dem

26) Man pflegte dafuͤr auch wohl den Ausdruk einer urſprung—⸗ lichen Gemeinſchaft (communitas primaeva) aller Dinge su gebrauchen. Aber dieſer zweydeutige Ausdruk Gemeinſchaft gab gleich wieder zu falſchen Begriffen An⸗ laß, indem man ihn bald dahin verſtehen wollte, als ob jene Dinge urſpruͤnglich ein Geſamt⸗ oder Communitaͤts⸗Eigen, thum aller Menſchen geweſen und nachher das Privat-Eigen⸗ thum des einzelnen durch einen Theilungs-Vertrag entſtan⸗ den waͤre, mithin man dabey Vorbehaͤlte haͤtte machen koͤn⸗ nen u. fí. m, Allein dieſe ganze Anſicht iſt falſch, Natur: und Geſchichtswidrig. Ein ſolches Eorporations- oder Mit⸗Eigen⸗ thum konnte urſpruͤnglich nicht exiſtiren, es iſt vielmebr dag ſeltenſte und kuͤnſtlichſte von allen; denn dazu haͤtte vorerſt die Societaͤt oder Corporation ſelbſt geſtiftet und dann das Eigenthum erworben werden müͤſſen, welches wieder nur durch Occupation und Ausſchließung anderer geſchehen konnte. Dieſen Mißverſtand haben Výtterť und Achenwall (jas mat.) am beßten aufgedekt.

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geäußerten Willen der Zueignung, die urſprüngliche recht⸗ mäßige Entſtehungsart des Eigenthums iſt, und wer hier der erſte an der Zeit geweſen, der iſt quch der vorzúgiie chere am Recht. 27? So war es AU nicht nur in den älteſten Zeiten, ſondern ſo entſteht das Eigenthum noch heut zu Tag in allen Ländern, und zwar nicht nur das bewegliche, ſondern auch das unbewegliche, indem die Natur ſo reich iſt und ſtets ſo viel neues ſchafft, daß eine unermeßliche Menge von Dingen noch immer herrenlos, keines Menſchen Eigenthum geworden und ſelbſt noch bey weitem nicht alle Ländereyen occupirt ind. Dad ungezähmte wilde Thier im Wald, der Vogel in der Luft, der Fiſch im Meer, ſo viele Millionen Produkte aller Naturreiche auf,

über und unter der Erde, die von keinem Menſchen oceupirt,

von keinem angeſprochen ſind, 28) oder häufig wieder des

CO SE >, O ö

27) prior tempore, potior jure. So ſagt auch Cicero: Thea- trum cum commune sit, recte tamen dici potest, ejus esse cum locum guem guisgue oceuparit. De finib. c. 20.

28) Ausſchließende Jagd⸗ und Fiſcherey-Rechte beruben nicht bars auf, daß den Berechtigten die Thiere, Voͤgel, Fiſche u. ſ. w. gehoͤren, (es ſey dann in eingeſchloſſenen Waldungen oder Gewaͤſſern) ſondern es gehoͤrt ihnen das Land auf welchem ge⸗ jagt, das Ufer an welchem gefiſchet wird, und von deſſen Gebrauch ſie mithin andere auszuſchließen befugt ſind, ſobald ſie dazu den Willen aͤußern; daher auch nach dem natuͤrlichen Recht jeder nur auf eigenem oder berrenloſen Gut zu jagen befugt iſt, nicht aber auf fremdem, es ſey dann mit Einwil⸗ ligung des Eigenthuͤmers. Indeſſen wird auch dieſes aus⸗ ſchließende Jagdrecht gar nicht fuͤr alles, ſendern nur fuͤr die nuͤzlichen oder ſeltenen Thierarten angeſprochen. Wem iſt noch verboten geweſen ſchaͤdliche oder gemeine Thiere zu fangen, Schmetterlinge oder andere Inſekten zu jagen, Schneken, Froͤ⸗ ſchen und tauſend andere Thiere zu ſammeln, oder Muſcheln und

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relinquirt und verlaſſeu werden, 29) gehören noch heut zu Tag niemanden, ſind res nullius, und werden, ohne daß je cin menſchliches Geſez noch cin Vertrag darüber beſtan— den habe, täglich vor unſern Augen das Eigenthum des erſten, der ſie erlegt, gefangen, in Beſiz genommen, und verbleiben ſein fo lange ex fie behaupten will, d. b. fo lang er keinen entgegengeſezten Willen geäuſſert oder ſonſt zu erkennen gegeben hat. Eben ſo iſt es mit dem Land⸗ obeť Grund⸗Eigenthum beſchaffen, das man zwar weder vernichten noch mit fi) forttragen kann, das aber gleich⸗ wohl fo gut als das bewegliche eines ausſchließenden Ve. ſizes und ausſchließender Benuzung fähig iſt, und wo überdieß gewöhnlich noch menſchliche Arbeit hinzukömmt, deren Frucht dem Beſiznehmer ohne neue Beleidigung nicht wieder entriſſen werden kann. Ein gewiſſer Grad von Territorial⸗Beſiz muß nothwendig exiſtiren und iſt ſchlechterdings unentbehrlich. Der Plaz, den ein Menſch mit ben Seinigen urſprünglich auf dem Erdboden cín. nimmt obne einen andern daraus zu verdrängen, der Raum auf welchem er ſeine Wohnung baut, iſt einmal ſein erſtes Grund⸗-Eigenthum und verbleibt daſſelbe fo lang er es behalten will. Selbſt bey Nomaden oder Hir⸗

Steine aufzuleſen, einzelne wilde Pflanzen zu brechen, Veil⸗ chen und Erdbeeren zu pfluͤken ꝛc. Merkwuͤrdig iſt bdie Induͤ⸗ ſtrie der geringeren Volksklaſſen. Die erſte Materie ihrer Ar⸗ beit koſtet ihnen gewoͤhnlich nichts, ſie wird ohne allen Wider⸗ ſpruch aus dem Schooße ber noch großentheils herrenloſen Nas tur veeupirt. |

s9) Alles abgehende, tveggevorfene oder von den einen nicht mebe werthgeſchaͤzte, gleich wieder fúr andere einen Werth hat und von ihnen occupirt wird; eine unermeßliche Menge von Dingen.

AT

ten⸗Völkern exiſtirt ein ſolches, wenigſtens cin temporä⸗ res; denn bie Weid-Pläze, die Jagd⸗Neviere, die Hüt⸗ ten oder Zelte ſind während dem Beſize ausſchließend und der Unterſchied beſteht nur darin, daß dieſes Eigenthum wegen der ſchwachen Bevölkerung jener Theile des Erd⸗ bodens und der Menge vacanter Ländereyen, gleich der von einer Flotte bedekten Meeresfläche, häufiger als ſonſt wieder verlaſſen (freywillig aufgegeben derelinquirt) und dafür neues in Beſiz genommen wird; zulezt aber ſinden doch die Wanderungen cin Ziel und man muß ſich auf⸗ einer bleibenden Stätte niederlaſſen. Darf nun der Menſch einen kleinen Raum des Erdbodens zu ſeiner Woh⸗ nung einnehmen: ſo wird es ihm auch erlaubt ſeyn, ei⸗ nen größeren zu ſeiner angenehmen Erhaltung, Nahrung und Bewegung zu oceypiren; denn hier hat bie Natur, außer der Regel der Gerechtigkeit, kein Maas beſtimmt und keinen Gränzſtein geſezt, inner den Schranken ber ewigen Pflicht niemand in dem Seinigen zu beleidigen, geht die rechtliche Freyheit des Menſchen hier wie überall ſo weit als ſein Wille und ſeine Macht. Auch iſt dieſe Srenbeit niemanden ſchädlich, da bie Welt groß genug iſt, kein Menſch alles zu oecupiren vermag, vielweniger es nöthig hat oder auch nur gebrauchen könnte; da man auch auf fremdem Eigenthum wohnen und leben kann, ja ſogar wegen der wechſelſeitigen Hülfleiſtung noch annehm⸗ licher als in der Einſamkeit; da ferner das Grund-Ei⸗ genthum ſelbſt durch den Tod ſeiner Beſizer und durch tauſenderley Verträge ſtets wieder vertheilt wird oder in andere Hände übergeht, und da endlich immerfort eine unzählbare Menge von Gegenſtänden, Natur. und Kunſt⸗ Produkten wieder derelinquirt, in bie Maſſe der herren⸗ loſen Dinge zurükgeworfen und neuerdings der allgemei⸗

48 nen Ocepation pred gegeben werden, 20) ja man bat Beufviele genug, Daf dieſes auch mit Ländereyen und Wohnungen geſchieht, wenn etwa die unfreundliche Nas tur oder die Ungerechtigkeit der Menſchen dem Beſize (cis nen Bertb beniímmt. So iſt bad Grund. Cigentbum tie daš bewegliche, 31 aͤllen Zeiten blog durch frúhere Beſiznahme entítanben, mie die Geſchichte fo vieler Ein⸗ ſiedler und urſprünglichen Anſiedler beweiſt, und fo ent⸗ ſteht es noch jezt häufig auf die nemliche Weiſe; der wahre Naturſtand bat auch in dieſer Rükſicht nicht auf: gehört. Laſſet ſelbſt in unſeren Tagen jemand cín Land in Beſiz nehmen das niemanden gehört, und durch münd⸗ liche, ſchriftliche oder ſymboliſche Erklärungen, 37) bes ſonders aber durch Bewohnung, Einzäunung, Anbau und ähnliche Zeichen 32) ſeinen Willen zu erkennen geben, daß es ſein Eigenthum verbleibe: ſo wird es von jeder⸗ mann unwiderſprochen dafür anerkannt, und ohne Geſez noch Vertrag derjenige vor der ganzen Melt als ein Räu⸗

30) Dieſe Betrachtungen moͤgen hinreichen um die laͤcherliche, kin— | diíche Furcht zu befcitigen, dať je cit einzelner oder wenige Menſchen alleg occupiren fúknten, fo daß den andern oder dent Nachkommen nichts uͤbrig bliebe. Was nuzten tbnen die groͤß⸗ ten Laͤndereyen, oͤhne bie Huͤlfleiſtung anderer Menſchen, und dieſe koͤnnen ſie nicht erhalten, ohne wieder etwas von ih⸗ rem Eigenthum abzugeben. So wechſelt der Beſiz immer und ewig.

31) Inſcriptionen, Publikationen, Ausrufungen, Aufpflanzung von Wappen, Fahnen, Kreuzen, Graͤnzpfaͤblen u. ſ. w. mie dieſes alles auch wirklich uͤblich iſt.

32) Befeſtigung der unbeweglichen, Verwahrung der bewegli⸗

- hen Dinge, Vertbeidiaung von beyden, weitere Bearbei⸗ tung U. ſ. w. lauter coneludente Beweiſe ded Willens der Z eignung. |

49 der gelten, der ihm ſolches entreiſſen mil. Auch iſt die⸗

ſer Fall nicht etwa nur möglich, ſondern er geſchieht viel häufiger als man glaubt. Wie viele unbewohnte JInſeln des Meers, wie viele Theile von Wäldern und Wüſteneyen auf

nicht das Eigenthum des erſten der ſich dort anſiedelte und

die Gegend urbar machte. Von dem inneren unbewohnten

Amerika weiß man es ganz beſtimmt, daß dort alltäglich neues Grund⸗Eigenthum lediglich durch Occupation, Číta zäunung oder Anbau entſteht und ſelbſt in unſerem fo ſtark bevölkerten Europa, dürften ſich davon in verwüſteten vder unwirthbaren Gegenden, in großen Wäldern, abge⸗ kegenen Thälern, auf hohen Gebirgen u. ſ. w. Beyſpiele

ſinden, wenn man ſolche beobachten oder darüber nach⸗

forſchen wollte. Wie kann man alſo über den Urſprung des Grund⸗Eigenthums grübeln und zu Dichtereyen ſeine Zuflucht nehmen, da Vernunft und Erfahrung überein⸗ ſtimmend beweiſen, daß es gleich dem beweglichen zu allen Zeiten durch Oceupation entſtanden iſt und erſt in der Folge durch Vertrag erworben wird?

Müſſen wir jezt noch die zweyte Frage beantworten, warum andere Menſchen ſchuldig ſeyen fole de Befiznabm zu reſpektiren and ſich der von anderen occupirten Dingen zu enthalten. Dieſe Verbind⸗ lichkeit zu läugnen heißt fo viel als die Pflicht der Ge⸗ rechtigkeit, das göttliche Geſez ſelbſt wegläugnen. Denn was einer rechtmäßig, d. h. ohne Beleidigung anderer in Beſiz genommen und ſich zugeeignet hat, das kann ihm doch offenbar ohne Unrecht nicht mehr entriſſen wer⸗ ben, 33) er mag nun die Sache wirklich in ſeiner körper⸗

55) Si hæc conditio est ut guisguid in usum hominis cessit, Zweyter Band. | D

dem feſten Land der drey Welttheile werden und wurden

so lichen Gewalt haben oder and nur den Willen deť Zu⸗ eignung und fortdaurenden Behaltung zu erkennen ge⸗ ben. 34) Denn ſobald bie Handlung ber Beſiznahme ſelbſt rechtmäßig geweſen, ſo muß auch die Störung oder Ver⸗ nichtung derſelben nothwendiger Weiſe unrecht ſeyn. Sie würde den Beſiznehmer in ſeinem rechtmäßigen Willen

proprium sit habentis, profecto guidguid jure possidetur injuria aufertur. OGuintilian. | Welche Geiſtloſigkeit, welch eraſſe Begriffe fest es nicht vet: aus, nur den phyſiſchen Beſi; oder die koͤrperliche Inbabung als rechtmaͤßig anerkennen zu wollen, weil ſie obne Bewalt an ber Perſon nicht entriſſen werden koͤnne. Der Rechtsgrund der urſpruͤnglichen Erwerbung des Eigenthums beruht nicht auf ber koͤrperlichen Beſiznahm ſelbſt, ſondern darauf daß dieſe koͤrperliche Beſiznahm cin Zeichen obet Zeugnif des Nilleng iſt, die berrenloſe Sache fortan als ausſchlie⸗ ßendes Eigenthum zu gebrauchen, bie Ausuͤbung dieſes Wil⸗ deng aber niemand in demi ſeinigen beleidiget. Und ſo berubet auch die Fortdauer des Eigenthums⸗Rechts nicht auf der fort⸗ daurenden phyſiſchen Gewalt oder koͤrperlichen Inhabung, bie immer nur auf kurze Zeit und fuͤr aͤußerſt wenige Segenſtaͤnde moͤglich ict, ſondern auf dem fortdaurenden Willen tie oeceupirte Sache als die ſeinige zu behalten. Dieſer einmal ausgedruͤkte Wille wird aber, als zum Vortheil des Eigen⸗ thuͤmers gereichend, beſtaͤndig praͤſumirt, ſo lang nicht durch deutliche und unwiderſprechliche Zeichen ein entgegengeſezter Wille geaͤußert worden iſt. Und einen Menſchen in ſeinem rechtmaͤßigen Willen zu ſtoͤren, ihm den Gegenſtand oder die Früchte deſſelhen zu entziehen, iſt ſo gut eine Beleidigung, als wenn man ihm Gewalt an ſeiner Perſon angethan haͤtte. Dieß sur Wiederlegung der Kantiſchen Spizfindigkeiten von einem phyſiſchen und einem intell igiblen Befiz, einer pos- sessio phenomenon und possessio nonmenon, wovon tie leztere unverbindlich oder mur proviſoriſch rechtmaͤßig fenu felle u, w.

24

51.

firen, ibn die Früchte einer erlaubten Handlung rau⸗ den, welches ſchon an und für ſich nach dem natürlichen Geſez eine Beleidigung iſt. Mit einem Wort dem Recht oder dem Befugniß der Oecupation correſpondirt die Pflicht ſolches zu reſpektiren; man kann nicht das cbe ſtere zugeben ohne auch bdie leztere anzuerkennen. So⸗ bald alſo das Faktum einer ſolchen Handlung und der Wille ihres Urhebers die occupirte Sache als die ſeinige zu behalten, bekannt wird: ſo entſteht in dem nemlichen Augenblik für alle anderen Menſchen die Verbindlichk eit ſich dieſer Sache und ihrer Benuzung zu enthalten, in⸗ dem ſie von nun an nicht mehr herrenlos, ſondern das Eigenthum eines anderen iſt. 35) Zur Begründung dieſer Verbindlichkeit iſt mithin auch gar keine Einwilligung oder Anerkennung, 35) kein menſchliches Geſez, kein Vertrag, ja nicht eiumal die Idee oder die Vorausſezung eines ſolch allgemeinen Vertrages 37? nothwendig. Denn ſollte

35) Cent. Achensrall et Putter jus nat. $. 57 et 111, 356) Conf. ibid. $. 116,

37) Fant bedient fi dieſes wunderlichen Ausdruks eines zwar nie geſchloſſenen, aber bod in der Idee a priori all⸗ gemein gültigen Anerkennungs-Vertraas. Mies tavb. Rechtslehre pag. 87. Maš daš fúr bodtónente aber finnfeete Morte find! Jene ſogenannte Idee iſt nichts Anders als das angeborite natuͤrliche Geſez ſelbſt iedem das Seine zu laſſen, deſſen Anerkennung man durch jenen ſeltſa⸗ men Sprachgebrauch auszuweichen ſuchte. Man koͤnnte eben fo gut behaupten, es babe niemand cín Recht oder nur cin proviſoriſches Recht auf fein Leben: denn um ſolches definitiv zu madjen, müßten vorher alle anderen durch einen Bertrag oder bie Idee eines Vertrages eingewilliget

haben, ihm dieſes Leben auch zu laſſen. Dergleichen Sophi⸗

ſtereven werfen alle. natuͤrliche Gerechtigkeit uͤber den Haufen,

2

die Ausübung ded angebornén Befugniſſes niemand gebd> rige Dinge zu occupiren und als die feinigen zu gebrau⸗ ichen, erſt von der Einwilligung anderer abhängen: (o müßte dieſen lezteren bad Recht zukommen, fene von der Benuzung ſolcher Dinge auszuſchließen, mithin das Sie genthum über herrenloſe Sachen zuſtehen, welches abfurd iſt und ſich ſelbſt widerſpricht. Das Dee ceupations/Recht der einzelnen wäre ſogar kein Recht mehr oder durchaus unnüz, wenn es ohne die hinzukom⸗ mende Einwilligung der übrigen nicht ausgeübt werden könnte; denn mit Einwilligung anderer, d. b. aus Gnade und Wohlthat, begeht man nur ſolche Handlungen zu denen man ſonſt nicht berechtiget wäre, und kann auch fremdes Eigenthum, nicht nur vacante Dinge in Beſiz nehmen. Die Falſchheit der Lehre von einer für die Gültigkeit des Eigenthums nöthigen fremden Einwilli⸗ gung, und die Wahrheit des entgegengeſezten Bernunfte ſchlußes, daß ſolche Einwilligung nicht nöthig oder na⸗ türliche Schuldigkeit iſt, läßt ſich auch an den Handlun⸗ gen, dem Gefühl und dem Urtheil aller Menſchen (dem Ausſpruch der Natur ſelbſt) erkennen. Es beſtätiget die allgemeine Erfahrung, daß ohne weiteren Vertrag der nie beſtanden hat, 38) ja nicht einmal möglich iſt, die Verbindlichkeit anderen das rechtmäßig in Beſiz genom—

und waͤren den Dieben und Moͤrdern gar bequem: denn um ungeſtraft zu bleiben, brauchten ſie nur zu fagen, ſie wuͤßten von ſolchen Vertraͤgen nichts und haͤtten ihre Stimme dazu nicht gegeben.

38) Qui accedente demum religuorum hominum voluntate juste introductam rerum proprietatem censent, vera jura volligunt ex figmento, Bätter et dchenwail jus nať. S. 116. Mn scholiir,

5%,

mene zu laſſen, überall vott den Menſchen als allgemeine Regel anerkannt, ja befolget wird, und diejenigen welche ſie verlezen von jedermann als ungerechte Räuber ange⸗ ſehen und beſtraft werden, ja: ſogar in ihrem Gewiſſen ſich ſelbſt dafür anerkennen müſſen. Man kann die Probe da⸗ ron jeden Augenblik an Kindern und allen. Claſſen der Menſchen machen, und dergleichen Experimente zum Bea weis von rechtlichen oder moraliſchen Lehrſäzen (über die Gültigkeit non. Pflicht⸗Geſezen) find eben fo lehrreich, eben ſo überzeugend als diejenigen, welche zur Beſtäti— gung von phyſiſchen Theorien (der Exiſtenz von. Natur⸗ Geſezen) angeſtellt werden. So lang unter Kindern ir⸗ gend cin Gegenſtand, ein Ball, cine Frucht u. ſ. w. noch niemanden gehört: fo ſtreiten ſe ſich darum, ſte kämpfen wer der erſte ſey, ihn zu nehmen; ſobald ihn aber eines ergriffen und jn ſeine Gewalt gebracht bat, fa, fordert es ſelbigen als ſein Eigenthum und er wird als ſolches an⸗ erkannt, wenr (con. ber phyſiſche Beſiz nicht immer fotto daurt. Man. werfe Geld oder andere Gegenſtände von Werth unter verſammeltes, einander upbekanntes VolŤ ,. oder beweiſe durch irgend cin anderes Zeichen des Wil⸗ lens, daß man darauf keinen Anſpruch mehr macht: die Menge wird zuſammenlaufen es aufzufaſſen, das Geld iſt noch herrenlos; ſobald es aber einer behändiget hat, ſo wird es ihm von Rechtenswegen gelaſſen, und wenn auch bisweilen darüber Streit entſteht, fo betrifft er nicht bie: Regel (in welcher alle einig ſind), ſondern nur das Šaľa. tim wer ed. zuerſt in Beſiz genommen babe. Und ſieht mon. nicht im täglichen Leben tauſend Beyſpiele vor Au⸗ gen, daß ohne Kampf noch Streit, ohne Belehrung, obne Uebereinkunft, auch zwiſchen ben unbekannteſten Wenſchen, jeder dem anderen die frühere Veſizuahme

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eines Plazes, einer niemand gehörigen Sade, #uhid 415 laſſen pflegt? Wer wird dann, wenn er einen Raum auf dem Erdboden eingenommen, Waſſer aus einer Quelle geſchöpft- die Frucht von einem herrenloſen Baume ge. pflükt, wilde Kräuter geſammelt, einen Stein ab dem Feld oder eine Muſchel im Neer aufgeleſen, Inſekten gefangen oder cin wildes Thier erlegt hat u. ſ. w. alle andere Menſchen um ihre Einwilligung fragen, wie ſollte cr dieſes auch nur bemertítelligen fónnen? Würde ibn nicht jedermann für verrükt halten, wenn er ſolche Zu⸗ ſtimmung verlangte oder auch nur für nöthig hielte? und mit Recht: denn die Mißkennung der natürlichen Geſeze iſt allerdings cite Art von Verrüktheit, eine Verläug— nung deſſen, was angeboren iſt, was allen Menſchen vor Augen liegt, und dagegen die Annahm einer falſchen Idee, einer Regel die nirgends exiſtirt. 39) Daher ba. ben auch die gründlichſten Philoſophen und Rechtsgelehr⸗ teni aller Zeiten, mit Vernunft und Erfahrung überein⸗ ſtimmend, den Urſprung des Eigenthums ſtets aus frü— herer Beſiznahme und dem natürlichen Rechts⸗Geſez er⸗

39) Praktiſch wird bekanntermaßen dieſer Wahnſinn wenn man auch nach einer ſolchen falſchen, aber fuͤr wohr gebaltenen, Idee bandelt. Bey unſeren Philoſophen bleibt er freylich nur in der Theorie; denn ich habe noch keinen geſehen, der fuͤr die Beybebhaltung erworbnen Eigenthums alle anderen Men⸗ ſchen um ihre Einwilligung gefragt bátte, eben fo wenig als einen der Legate und Erbſchaften augíd:lug, meil ex Teſta⸗ mente und Erbfolge fr ſinnſos und unvernúnftia augaab, oder ein fettes Amt, einen etutraͤglichen Dienſt verweigerte, weil er das Dienen čer Würde des Menſchen zuwider bielt, oder ci vortheilhaftes Lehen verſchmaͤhte, meil ex docirte, daß das Lehenſyſtem ein Greuel der Menſchheit ſep.

55

Flárt, 407 während andere nur durch den zweydeutigen Ausdruk einer urſprünglichen Gemeinſchaft aller Dinge zu dem entgegengeſezten Wahn einer willkührlichen Einführung des Eigenthums verleitet worden ſind, +0 dabey aber zum deutlichen Beweis ſeiner Falſchheit nie⸗

40) Schon die roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſagten: Dominium Terum ex naturali possessidne originem ciepit. Von der angeblicden Nothwendigkeit einer fremden Einwilligung wiſſen fie nichts. Gleicher Meynung find Hert und Barbevrac im ihren Noten zu Pufendorf L. III. c. 5. 6. 5. und L. IV. €. 4. S. 4. Locke du gouvernement civil Ch. 4. ber dieſes ungemein deutlich und populár beweißst. Cumčerland de legg. nat. Schmauß Net der Natur S. 479, Coccejž Grotius illustratus L. II.. c. 2. 6. 2. Achenwall und

"Pátter, welche diefe ganze Materie am gruͤndlichſten und in jeder Ruͤkſicht vortrefflich aus einander geſezt haben jas mat. $. 57. 106. 107. 111. 116. Garve Abhandlung úder Giceto von den Pflichten T. H. ©, 16, le Trosne de Vordre soeial 178t:. Unter den neueren deutſchen Natur⸗ teditglebrern Hopfner M R. p. 57—71. artené droit des gens $. 35. segg. fufeland Lehrſ. deg M. X: 5790. Schaumann wiſſenſchaftl. N. M. 1794. Tafin⸗ ger N. R. 1794. Jakob philoſ. Rechtéelehre 1795. und viele andere mehr.

s) Dabin gebôrt vorzuͤglich Grotius, ber zwar bierúder dußerſt ſchwanfend iſt, und nicht recht weiß wozu ex ſich entſcheiden Will. Pufendorf, ber die nemlicbe irrige Meynung einer communitas primæva von Grotius angenommen. J. H. Boekmer jus publ. univ. ebenfalls durch frúbere Nuteritát dazu verleitet. Neuere Sopbiíten laͤugnen den natuͤrlichen Urſprung des Eigenthums nur deßwegen, weil ſie das ange⸗ borne natuͤrliche Geſez ſelbſt laͤugnen, und daher alles nur ton erdichteten Vertraͤgen oder vým allgemeinen Willen her⸗ leiten wollen.

56 malen conſequent bleiben können, ſondern ae Augenblike mit ſich ſelbſt in Widerſpruch verfallen. 42)

4%) Man wird nidt fordeven, daß id hier bie Theorie von dem Urfprung des Eigenthums ganz vollſtaͤndig entwikle. Es ver⸗ ſteht ſich von ſelbſt, daß zu ſeiner vollendeten Rechtmaͤßiakeit die Occupation 1) phyſiſch moͤglich, 2) wirklich geſcheben und 3) bie occupirte Sache in ber That herrenlos geweſen (cn muß. Aus der erſten Regel folaet, daß unkoͤrperliche Dinge gar nicht, und das weite Meer, die Luft u. f. m. Nie ganz oceupirt werden koͤnnen, wie wohl dieſes bey einzelnen Dheilen derſelben allerdings moͤglich und rechtmaͤßig iſt. Daber auch nicht geſchloſſen werden kann, daß bie Schiffahrt, Fiſcherey u. ſ. w. uͤberall jedermann frey ſeyn ſolle. Die bekannte Stelle aus Ovid: Ouid prohibetis aguis - usús communis aguaram etc. etc.“ bat nad dem ganzen Zuſammenhang der ſchoͤnen Fabel, nuť auf das Schoͤpfen und Trinken des fliefz ſenden Waſſers Bezug, wo der ausſchlieſſende Gebrauch nies manden nuͤzlich, die Gemeinſchaft niemanden ſchaͤdlich iſt. ©. Metamorph. A. VI, v. 349 ff. Nach der zweyten Regel muß die Handlung ber Befignabm ( Betretung odber Bez bôntigung) und der Mille der Zueignung durch dufere Zeichen bewieſen ſeyn, von welchen oben gevedet worden (S. 48. Nro 32 und 33.) Obne lezteren macht ſelbſt der koͤrperliche Beſiz kein Eigenthum aus, ſondern č nuv eine voruͤbergebende Innhabung oder Detention. Aus der dritten Regel ergiebt ſich, a) daß keine Menſchen oceupirt werden duͤrfen, weil dieſe bereits ſich ſelbſt gebdren, Eigen⸗ thuͤmer ibrer geiſtigen und koͤrperlichen Kraͤfte find: und milí man alſo bie lezteren zu ſeinem Vortheil benuzen, ſo kann ſolches nur mit ihrer Einwilligung, aus Woblwollen oder durch Vertrag, geſchehen, es ſey dann zur Strafe, wo ein ganz anderer Rechtsgrund eintritt. b) Gleichwie man aber auch Dinge occupiren kann, die man zwar fuͤr berrenlos haͤlt, die aber doch einen dem Beſiznebmer unbekannien Eigenthuͤmer baben: fo entſteht daraus die ſogenannte occupatio putativa, der vermeynt rechtliche Beſiz oder die Beſiznahme iu guten

ST

Dieſemnach iſt es gewiß, dbať das Eigenthum vor al⸗ len menſchlichen Geſezen beſtanden hat und es beſteht noch häufig ohne dieſelben. Kein einziges Geſezbuch hat je das Eigenthum eingeführt oder angeordnet, vielmehr Ánd die Geſeze erſt aus dem Eigenthum oder wegen demſelben entſtanden, nicht um ſolches zu ſtiften, ſondern um einem jeden fo viel möglich bad Seinige zu ſichern. Daher nann⸗ ten auch die Alten ſchon die Göttin Ceres, die perſonifi⸗ zirte Idee des Akerbaus, Ceres legifera, 23) weil erſt durch Akerbau und Eigenthum die Geſeze veranlaſſet wor⸗ den ſind. 14) So iſt au) das Eigenthum nicht aus dex Staaten, ſondern im Gegentheil die Staaten oder Herr⸗ ſchaften ſind aus dem Eigenthum (dem angebornen und dem erworbnen) hervorgegangen. Denn ſobald irgend ein Menſch cin mehr oder weniger ausgedehntes Grund⸗Ei—⸗ genthum occupirt oder fonft redhtmákia erworben bat, auf welchem er unabhängig leben, anderen Menſchen Dienſte anbieten und das er mit den Seinigen ohne frem⸗ ben Schuz gegen jedermann ſelbſt vertheidigen fann: ſo finden ſich bey ihm alle Beſtandtheile eines monarchi⸗ ſchen Staats, weit mehr noch als ben einem bloßen Haus⸗ vater. Er iſt für ſeine Perſon unabhängig, nicht nur von allen ſeinen Dienern und Grundhörigen, ſondern auch von benachbarten gleich Freyen; er hat einen ſeſten

SDreuen, welche ihre beľannten unbeſtrittenen Regeln bat, Die zulezt auf den einfachen Saz hinauslaufen, daß man die Sache zuruͤkſtellen ſolle, ſobald ber wahre Eigenthuͤmer bekannt und erwieſen wird. | ,

43) Prima Ceres unco glebam dimovit aratro: prima dedit fru- ges , alimentague mitia terris: prima dedit leges: Cereris sumus omnia munus. ©vid. Met. V. v. 541. segg.

«4) So fagt auch Jo h. v, Muͤller in feinee koͤrnigten Sprache

58 . Siz auf eigenem Grund und Boden, ein von anderen abgeſondertes, bald zuſammenhängendes, bald zerſtreutes Gebiet; und Untergebene werden ſich nach mannigfaltigen Verhältniſſen und Verträgen freywillig an ibn anfchlief. fen. Der Band - Eigentbúmer herrſchet alfo natúrlid) und rechtmäßig über feine Familie, über mancherley Be. amte, Diener und Knechte, es ſey zur Erleichte⸗ rung ſeiner Perſon, oder zur Beſorgung ſeines Hauſes, oder zur Beſtellung der Gründe, oder zur Verwaltung ber Einkünfte u. ſ. w. über Pächter und Úntertba- nen, denen er entweder gegen Geld oder Naturalzins oder blos gegen beſtimmte Arbeits-Leiſtung einen Theil ſeiner Gründe zur Benuzung übergiebt, über Lehens—⸗ träger und Vaſallen denen ſie blos gegen zu leiſtende Treu und Beyhülfe, jedoch nicht gang eigenthümlich, überlaſſen werden, über Tagelöhner und vorúberge. hende Arbeiter, über fremde Einſaßen, die ſich auf dem Lande des Eigenthümers anſiedlen, weil ſie von ihm oder ſeinen Leuten durch Künſte, Gewerbe und Handel ej. sen beſſeren Lebens⸗Unterhalt zu finden hoffen, über zeit⸗ liche Domizilianten u. ſ. w. +5? Alle dieſe Leute nebſt derſelben Zubehör, d. h. mit ihren Kindern und Familien, die hinwieder ihre Diener und Untergebene mancherley Art haben können, ſind, wenn auch in ſehr verſchiedenem von den alten Galen: „Landbau gab Eigenthum und das Ci: genthum veranlaßte Geſeze.“ Schweizer-BGeſch. I. zr. 45) Eine ausfuͤhrlichere Parallele dieſer vollkommenen Aebnlich⸗ keit oder vielmebr Identität ſ. ſchon T. I. 449 451 ben dem Unterſchied zwiſchen den Staaten und andern geſelligen Verhäältniſſen und oben p. 26 u. 26 bey ben bloßen Haus vaͤrern und Hausherren. ir wollen ſie alſo hier nicht weiter entwikeln.

58 Grad, dem Grundherren hörig, ihm tnmitteľbar oder mittelbar verpflichtet, durch ihre Bedürfniſſe von ihm abhängig, weil er ihnen Unterhalt und Annehmlichkeiten des Lebens verſchafft, weil ſie entweder durch foͤrmliche Verträge in ſeinen Dienſten ſtehen oder von denjenigen abhangen die ihm verpflichtet ſind, oder endlich nur weil ſie auf ſeinen Gütern wohnen, wo er der mächtigere, der oberſte Herr iſt, wo ſie des Friedens, ſogar des Schu⸗ zes benöthiget, ſich ohne offenbaren Schaden, keiner Col⸗ liſion mit ſeinem rechtmäßigen Willen ausſezen können. Was aber dieſes Herrſchen ſey, daß es nicht in einem unbedingten willkührlichen Befehlen über alles und jedes, ſondern nur in einem Höherſeyn, in mehrerem Voermö⸗ gen natürliche Rechte auszuüben, in dem Beſize nüzlicher Macht beſteht; daß es gleichwie auf eigenes Recht be gründet ſo durch eigenes Recht beſchränkt, fogar durch das Geſez der Liebe temperirt und veredelt, weit entfernt anderen ihre Freyheit zu rauben, im Grunde nichts wei— ter als reciproeirliche Hülfleiſtung, cin Austauſch mech. ſelſeitiger Wohlthaten iſt: das wollen wir hier nicht wie— derholen, Da dieſes alles ſchon bey mehreren Gelegenhei—⸗ ten von uns berührt worden iſt 96) und unten ben den Schranken der landesherrlichen Gewalt und ben den Schluß⸗

46) T. I. ©. 352 353. ben der Natur aller gefelligen oder herrſchaftlichen Werbáltniffe uͤberhaupt. ©. 407 409. von den Schranken aller Macht oder bem allgemeinen Pflichtgeſez. S. 612 ff. beym Schluße der Einleit ung. T. II. ©. 28 ff. ben der Eintheilung der Monarchien, und €. 24 ff. bey det Natur einer Familie oder dem Familien-Recht. Man iſt erſucht diefe Stellen nachzuleſen um in den Geiſt des Ganzen einzudringen. Das Bud bátte kein Ende, wenn ich die nemlichen Wahr⸗ heiten bey jeder Gelegenheit wiederholen muͤßte.

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Betrachtungen über bie grundherrlichen Staaten noch aus⸗ führlicher gezeigt werden ſoll.

Freylich ſind nicht alle Landbeſizer Fürſten, wiewohl die Unabhängigkeit erſt bey ihnen anfangen kann. Der cine bat vielleicht ſein Gut nicht vôllig zu eigen, ſondern von einem Höheren unter gewiſſen Verbindlichkeiten em⸗ pfangen, der andere iſt durch mancherley Verträge dienſt⸗ bor, der dritte durch ſeine relative Schwäche und nach— barliche Verhältniſſe abhängig; einem vierten fehlt viel⸗ leicht mehr die Benennung als das Weſen der Sache. Aber laſſet dieſe zufälligen Hinderniſſe durch Umſtände wegfallen, einen Grund⸗Eigenthümer, der ſich und an⸗ dere von den Früchten ſeines Landes nähren kann und eben daher bereits Herr über viele Menſchen iſt, unab⸗ hängig ſeyn oder werden: 47 fo wird ex im nemlichen Au⸗ genblik ein vollkommener Fürſt ſeyn, und iſt einmal die⸗ ſes Verhältniß vorausgeſezt oder wirklich vorhanden; mie natürlich, wie ungezwungen werden ſich daraus alle lan⸗ desherrlichen Rechte und deren Schranken ergeben? Wie begreiflich wird nun die Erblichkeit und das Veráuífe. rungs⸗Recht der Staaten, d. h. der ſelbſtſtändigen wie der Privatherrſchaften, der unabhängigen wie der veľa pflichteten Beſizungen? Wie leicht läßt ſich aus einem kleinen Anfang die Entſtehung der großen Reiche und hin⸗ wieder der Untergaung ber Staaten erklären, mie einleuch⸗ tend endlich die natürliche Klugheit zu ihrer Erhaltung und Befeſtigung ableiten? Wohlan! wir wollen in das Allerheiligſte dringen, die Eingeweide der Wiſſenſchaft ſelbſt erforſchen.

47) Vergl. Cap. 19, Ben der Erwerbung der Unabhaͤngigkeit.

61

Sechs und zwanzigſtes Capitel.

Natuͤrliche Deduktion aller Landesherrlichen Rechte.

I. Ausſchließende Begruͤndung derſelben auf allgemeine Men ſchenrechte und erworbene Privatrechte (Freyheit und Ei⸗ genthum.)

11. Nothwendige Beſchraͤnkung dieſer Deduktion auf bie vorzůg⸗ lichſten Befugniſſe oder Freyheits⸗Aeuſſerungen.

Wenn nach den bisher erwieſenen Grundſäzen ein Fürſt überhaupt und cin Patrimonial⸗Fürſt insbeſondere nichts weiter als ein begüterter, mächtiger und unabhängiger Menſch, cin ſelbſtſtändiger Hery iſt, 1? wenn ex urſprüng⸗ lich vor ſeinem Volke beſtanden und von demſelben keine Gewalt empfangen bat, 2) wenn ſeine Herrſchaft auf ele gener Macht und eigenem Recht, auf der doppelten Baſis der Unabhängigkeit und ded Grund⸗-Eigenthums beruht und er nebſt der Ausübung allgemeiner menſchlichen Frey⸗ heit im Grunde nur ſeine eigene Sache regiert: 3) fo müſſen auch alle ſeine Befugniſſe oder ſogenannt Landes⸗ herrlichen Rechte nur allein aus ſeinen eigenen Ned ten hergeleitet werden können, d. h. aus allgemeinen Menſchen⸗Rechten, die ihm fo gut als den übrigen Sterb⸗ lichen zukommen, uno aug erworbenen Privat⸗Rechten,

1) Cap. 16 und 18. it. Gap, 22, z) Gap. 12, T. I. ©, 338. it. ČAP, 72, 3) Čap. 2% No. 1 und No. 3*

62 |

mit anberen Worten and Freyheit und Cigentbum. +) Wir wollen es verſuchen eine kurze Skizze dieſer rein Landesherrlichen Rechte zu entwerfen, wie ſie nicht von Menſchen geſtiftet, nicht aus abgetretner oder veräußer⸗ ter Privat⸗Freyheit entſtanden, noch aus irgend einer gemeinſamen Convenienz eingeführt, ſondern aus der Na⸗ tur det Sache ſelbſt fließend, von Gott gegeben und auf den nemlichen Felſen wie die Rechte aller andern Men⸗ ſchen gebaut find, Zwar iſt es nicht möglich, mie ci. nige Staatslehrer ſich ſeltſam bemühet haben, alle Be. fugniſſe, die einem Fürſten zukommen, der Materie nach aufzuzählen; es fällt ins Lächerliche, beynahe jede Hand⸗ lung, jede Aeuſſerung erlaubter Freyheit, zu einem beſon⸗ deren Necht machen zu wollen.) Auch inner den Schranken des Natur⸗ und Pflicht⸗Geſezes S find bie Gegenſtände un. endlich, auf welche er gleich anderen Menſchen ſeine rechtmä⸗ ßige Krenbeit anmenden kann, und mit ſteigenden Kräften nimmt auch der Kreis dieſer Freyheit zu, es werden die Mit⸗ tel zu ihrer Ausübung vervielfältiget. Die Wiſſenſchaft muß ſich nothwendig nur auf die wichtigeren, mehr in die Augen ſallenden Landesherrlichen Befugniſſe beſchränken,

4) Lezteres im weiteren Sinne betrachtet, wo man nicht nur aͤußere Dinge, ſondern auch vertragsmaͤßig verſprochene Hand⸗ lungen und Leiſtungen der Menſchen darunter verſteht.

5) Nach der Art, wie einige, beſonders aͤltere Staatslebrer, die Rechte der Fuͤrſten aufzaͤhlen wollen, muͤßte man bald auch ſagen, die Fuͤrſten haͤtten ein Recht zu ſtehen, zu gehen, zu flien, zu eſſen, zu trinken, zu ſchlafen, ſich zu kleiden 20. Solche Enumeration bleibt immer unvollſtaͤndig und ſollte ſie auch bis in den Saturn binaufreichen.

6) vhyſiſcher und moraliſcher Moͤglichkeit, wie die Alten ſich aus⸗ druͤtten.

63 diejenigen welche die Šúrften von anderen Menſchen me. ſentlich zu unterſcheiden ſcheinen, und auch von den bisherigen Staatslehrern zum Theil für ausſchließend Angegeben worden ſind. Die Zeit wird kommen, wo man kein beſonderes Staats⸗Recht mehr ſchreiben, ſondern daſſelbe nur in dem natürlichen Recht überhaupt, bey der Lehre von den Dienſt⸗ und Societäts⸗-Verhältniſſen, ab. bandeľn und hôdhfteng auf deren Vlodification durch höhere Macht und Freyheit beyläufige Rükſicht nehmen wird. Wir aber, die das Eis des Irrthums brechen und der Wahrheit ihre Bahn eröffnen, müſſen vorerſt noch zeigen, daß die Rechte, welche man Landesherrlich zu nennen pflegt, auf der nemlichen Grundlage wie die Rechte aller anderen Menſchen beruhen, mit ihnen durchaus die neme lichen ſind, und ſich von denſelben nur allein theils durch Benennungen, theils durch die Größe und Wichtigkeit der Gegenſtände unterſcheiden, über welche ſie ausgeübt werden.

a | Sieben und zwanzigſtes Capitel. Landesherrliche Rechte.

1 © Gigentlicke Souberainitaͤt. Hoͤchſtes Gluͤks⸗ gut niemand als Gott úber ſich zu haben.

I. Sie iſt nichts anders als die Unabhaͤngigkeit oder volltommene Freyheit ſelbſt.

II. Kraft derſelben it cín Fuͤrſt nut den girtichen oder natuͤrli⸗ chen Geſezen unterworfen.

III. Zulaͤuglichkeit derſelben fuͤr alle Beduͤrfniſſe. Ihr Boja vor allen menſchlichen. |

IV. Neligiofer und ſchoͤner Sinn ber Benennung eines Statt: halter Gottes. |

Das erſte und weſentliche Recht eines Fürſten, die Quelle aller übrigen, dasjenige was ihn eigentlich zum Fürſten macht, das einzige wodurch er ſich weſentlich von anderen Menſchen unterſcheidet 1) oder über ſie hervor—⸗ raget, iſt das ſeine Unabhängigkeit oder vollen— deten Freyheit. Kraft derſelben iſt er auf ſeinem Gebiet der einzige ganz Freye und niemanden auf Er. den dienſtbar, weil er in keinem Verhältniß gegen irgend

1) Auch dieſes nicht immer, denn wir haben T. J. S. 343 u. 452 gezeigt, dať auch die Fuͤrſten durch ibre Vertraͤge unter ein⸗ ander oft ſolche Verpflichtungen cingeben, daß ſie von ben gewoͤhnlichen Dienſt-Verbaͤltniſſen anderer Menſchen blos dem Namen nach unterſchieden ſind. Allein die unvollkom⸗ mene menſchliche Wiſſenſchaft muß irgendwo cinen Ruhepunkt ſuchen.

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zemand ſteht, aus welchem dieſe Pflicht bevgeľcitet eta gen könnte; er bat alſso nicht menſchliche Befehle, 2) die niemand ihm zu geben befugt iſt, niemand gegen ihn zu vollziehen vermöchte, ſondern nur allein Gott oder die göttlichen Geſeze über ſich zu erkennen, d. b, die Geſezr der Natur⸗Nothwendigkeit, deren Einſicht und kluge Be⸗ folgung Weisheit genennt wird, und die Geſeze der ins Herz geſchriebenen Pflicht, die in Gerechtigkeit und thä⸗ tigem Wohlwollen beſteht. 3) Verträge find die einzige poſitive Vorſchrift, denen bie Fürſten unterworfen find, uno dieſe ſollen fte halten, nicht weil ihr Mille ſie ge— ſchloffen bat, denn dieſer Wille könnte geändert werden, ſondern weil durch ſolchen Vertrag der andere Theil ein Recht erworben hat, was ihm ohne Beleidigung nicht entriſſen werden kann, und mithin die Pflicht Verträge zu halten ſchon aus dem göttlichen Geſeze fließt. Die Sú. nige ſtehen alſo freylich unter einem Geſez, aber nicht unter einem menſchlichen, ſondern nur unter dem göttli⸗ chen oder natürlichen. > Gott iſt der König der Könige,

u) princeps legibus (sc. humanis) solutus. avurévŠvvos negue rationibus reddendis negue pene humanæ obnoxius,

3) Ouis ergo imperabit priuneipi? Lex omnium, rex morta- lium atque immortalium, ur ait Pindarus, non ea foris

acripta, i9 libris aút lignis iusculpta: sed viva In ipsius corde ratiô, semper una habitans atgue excubans, et ani- mum nuňguam sinenš és5e princípatus vacuum. Plutarch ad prinč. indoct.

4) €o verftebt es auch Braeton, wenn ee vor dem Kônig fir England ſagt: Onod rex sub lege esse debeat, cujn šit Dei Ficarius, evidenter adparet. Ueberhaupt men man in álterer Zeit blog das Wort Šefez, lex, la loj, ſchlecht⸗ weg gebrdudite: fo mard daťunter immer nur das allgemeing natuͤrliche (goͤttliche) Geſez verſtanben, und es wuͤrdiget das

Zweyter Vand E v

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ſein Geſez das höchſte aller Befeze, 5? Daffeľbe iſt fe Me nicht nur deßwegen verbindlich, meil es ihnen gleich anderen Menſchen in das Herz geſchrieben, von höherem Willen und höherer Macht herrührt, auch ſeine Befol⸗ gung mit Vortheilen, ſeine Verlezung mit Nachtheilen begleitet iſt: 6) ſondern man fordert die. Anerkennung zenes Geſezes billig deſto eher von ihnen, da ſie zur Ge⸗ rechtigkeit nicht ſo leicht durch menſchliche Gewalt ge⸗ zwungen werden können, folglich dem in ſie geſezten Zu⸗ trauen deſto eher entſprechen ſollen, und überhaupt zum Unrecht weniger Veranlaſſung 7? und sur Ausübung von Wohlthaten mehr Mittel und Gelegenheit als andere Menſchen haben. Auch iſt dieſes Geſez für alle Bedürf⸗ niſſe hinreichend, es legt den Fürſten mehrere und zwek⸗ mäßigere Pflichten auf als alle Menſchen⸗Sazungen es thun könnten. Denn die menſchlichen Geſeze haben im⸗ mer viele Lüken, die natürlichen keine; jene ſchreiben viel unnöthiges und überflüſſiges vor, dieſe nur das noth⸗ wendige; jene ſind ſehr oft ſchädlich, dieſe nie; jene wer⸗ den bald vergeſſen oder ſinken zu todten Formen herab, dieſe ſind allen Menſchen bekannt, ſtets lebendig und ver⸗

erhabene Wort Geſez herab, ſolches allen menſchlichen Der: ordnungen, Vorſchriften und Befehlen beylegen zu wollen die ſtets wandelbar, febr oft thoͤricht und ungerecht find.

5) Rex ego sum regum, lex est mea maxima legum : te facie regem , tu reciam dilige legem. ©, Bakmer jus puôl, univ. p. 593.

) Ouicguid a vobis minor extimescit, major hoc vobis do- minus minatur, omne sub regno graviore regnum est. Se- neca. ©. aud T. I. p. 403 408. von der Verbindlichkeit des allgemeinen Pflichtgeſezes.

1 ©. 1.1. p. 575 566-

OT

altern nicht; jene ſind wandelbar wie der Mille und die Launen der Menſchen, dieſe ewig die gleichen; jene ben einer künſtlichen Auslegung nöthig, ſie laſſen ſich deuten und drehen wie die unvollkommenen Worte in de⸗ nen ſie ausgedrükt ſind, über dieſe urtheilt faſt jeder Menſch richtig und man kann ſie nur in einem Sinn ver⸗ ſtehn; jene ſind oft ſchwer, ja unmöglich zu erfüllen, dieſe leicht; jene als läſtige Feſſeln reizen zum Wider⸗ ſtand, ja zur gänzlichen Wegwerfung, dieſe flößen immer⸗ hin Ehrfurcht ein; die ungeſtrafte Uebertretung von jenen iſt, als Zeichen der Macht, oft mit einer Art von Ehre begleitet, die Verlezung von dieſen zieht immer Schande nach ſich und geſchieht nie ungeſtraft. S? Alſo iſt für die Völker nichts zu beſorgen, wenn auch die Fürſten nicht unter menſchlichen Geſezen ſtehen, die man ohne⸗ dem nicht gegen ſie zu vollziehen vermöͤchte. Was nad der Natur der Dinge nicht anders möglich iſt, das iſt Gottes Ordnung, und was Gottes Ordnung iſt, kann nie⸗ malen ſchädlich ſeyn. Es bieibt immer cin oberſter Geſez⸗ geber, einer der weiſer und mächtiger iſt als alle menſch⸗ lichen, dem man noch lieber folgt als dieſen. Daber iſt es aber auch für die Völker ſo wichtig, daß wahrhaft religiöſe Grundſäze allgemein herrſchend ſeyen, daß die Fürſten in der That Gott und ſein Geſez über ſich erken⸗ nen. Darin finden ſie die einzig mögliche und zugleich die ſicherſte Garantie gegen jeden Mißbrauch der höchſten Gewalt. 2 Iſt dieſe Gewiſſenhaftigkeit ſchon bey Privat⸗ Perſonen unentbehrlich und durch keinen Zwang zu erſe⸗

8) Vergl. T. I. p. 400 403. von den Eigenſchaften ber natuͤr⸗ lichen oder adtruichen Vflichtgeſeze. |

9) Vergi. was hiecaͤber ſchon T. I. p. 450 -442 geſagt worden.

ss

300: maš ſoll erſt den Mächtigen, den Unabhängigen zu⸗ rükbinden, als theils die ewige Ordnung der Natur, theils das heilige ins Herz geſchriebene Geſez der Gerech⸗ tigkeit und des Wohlwollens, welches mit Recht als ein höherer göttlicher Wille betrachtet wird, dem jeder un⸗ terworfen ſey? 10) Und wenn man alſo die Fürſten in aälteren Zeiten Statthalter Gottes nannte, (o lag dieſem Ausdrut gar kein Stolz, ſondern ein ſchöner und tiefer Gedanke zum Grund. "Den bie Macht oder die Glüksgüter, wodurch ſie herrſchen, haben ſie doch nur von ihm. Sie ſollen die erſtere nach ſeinem Willen und

10) Wie ſehr bie Nuͤzlichkeit der Religion zur Beſchraͤnkung der fuͤrſtlichen. Gewalt ſich bisweilen felbf den revolutionaͤren Schriftſtellern im Vor beygang aufdringt: daruͤber ſehe man Ír. Klein, der ſich 1789 in ſeiner Apologie gegen die treff⸗ lichen Schloſſerſchen Vriefe úber di Preußiſche Geſezgebung, folgenderm aßen austrúft: „Ed kann immer ſeyn, daß man⸗

Zcher Fuͤrſt, der ſein Recht nicht aug dieſer Pflicht (eines „Volks⸗Beamten), ſondern aus einer ihm von Gott verliebes „nen Macht herleitete, beſſer fuͤr ſeine Unterthanen ſorgte als diejenigen, welche es bey aller Gelegenheit laut ſagten (wer „find dieſe?), dať ſie nur die Beamten bes Volks waͤren.

„Denn bey jenem vertrat die Idee ſeiner Abbaͤngigkeit von

s Gott und der damit verbundene Gedanke, daß in Beziebung „auf Gott alle Menſchen gleich ſind, die Stelle der Heber Azeugung, daß cr nur ein Diener ſeiner Unter—⸗ otbanen fena.“ Schloſſers Briefe V. 12. an bes merfe bie Schlauigkeit und den verſtekten Jakobinismus Dielce Ausdruͤke. Die Nibángiateit ven Gott, vom Herrn der Na⸗ tur und vom Scfezueber der Pflicht, ein vor Augen liegendes Faktum, ſoll blofe Idee, Meynung die offenbare Er⸗ dichtung hingegen, daß cin Fuͤrſt nur Diener ſeiner Unterha⸗ "nen fen (eine Ungereimtheit die ſich ſelbſt widerſpricht) ſoll Se, wißheit, Ue berzeugung ſeyn!! Und das ſchrieben Mit⸗ glieder der Koͤnigl. Preußiſchen Geſezgebungs⸗Commiſſion!!

á8:

zu ſeinen Zweken ausüben, gleichwie dieſes ſubordinirter Weiſe von anderen Menſchen auch geſchieht. Von der Liebe des Guten und dem Haß des Böſen beſeelt, ſelbſt kein Unrecht zu thun und anderen Recht zu verſchaffen, mit ſeiner Macht wohlzuthun, zu nüzen, zu helfen und

wechſelſeitige Liebes⸗Pflichten unter den Menſchen er⸗ muntern, begünſtigen, belohnen: 12) das heißt Gottes Geſez üben und handhaben, ſein Reich (die Herríchaft. ſeiner Gebote) beförderen, erweiteren, ein treuer Statt⸗ halter Gottes ſeyn; das iſt im Kleinen auch die Pflicht aller anderen Menſchen, nur daß bie Mächtigeren zu be. rer Erfüllung mehr Kräfte und Gelegenheit haben, und

daher, nach einem von menſchlichen Verhältniſſen herge⸗ nommenen Bild, Gottes erſte Beamte oder Statthalter genennet werden. Thun ſie aber ſeinen Willen nicht, üben (€ weder Gerechtigkeit noch Liede: fo ſind ſie auch nicht mehr ſeine Statthalter, ſondern undankbare Söhne, die fſich gegen den oberſten Herren und Geſezgeber auflehnen. Jener Titel, weit entfernt den Hochmuth zu begünſtigen, legt alſo den Fürſten eine ſchwere, ja Demuth erwekende Laſt auf, und die neueren Sophiſten, welche ihn verwer⸗ fen, die Religion abſchaffen, für ſchädlich ausgeben oder wenigſtens als eine dem Staat gleichgültige Privat⸗Mey⸗ nung betrachten wollten, haben auch hierdurch der Welt unglaublich geſchadet, und ſtatt der milden, jedermann ſchüzenden göttlichen Geſeze, nur phyſiſche Gewalt, menſch⸗ liche Willtühr und gränzenloſes Unrecht herbeygeführt.

m) Wozu bie Fuͤrſten unglnublich viele mit der Gerechtigkeit gang

kefke hende Mittel in ihren Haͤnden bahen.

-

"0.

Acht und zwanzigſtes Capitel. Fortſezung.

a“ Leitung aller Verhaͤltniſſe mit ſeinen Nach⸗

NI.

IV. ren. Seine Unterſtuͤzung von Seite des Volks berubr mieber

V.

baren Ärieg und Frieden.

Dad Recht Krieg zu fúbren berubi auf dem Recht ber Selbſt⸗ vertbeidigung. Der Krieg des Fuͤrſten iſt ſein Krieg und de⸗ trifft feine eigne Sadie,

. Die Verbindlichkeit zur Huͤlfleiſtung ab Seite ber Untertba⸗

nen berubt mie jeder andere Dienſt, a. auf blos moraliſcher Pflicht, b. auf eignem Intereſſe, o. auf beſonderen Dienſt⸗ Vertraͤgen.

Daberige abſolute Ungerechtigkeit der Conſeription und der ge⸗ zwungenen Avocatorien. Jbre Geſchichte. Gie find eine Frucht

—“

cia Fuͤrſt ſoll in ber Negel ben Krieg auf eigne Koſten fúb-

auf Liebespflicht und eignem Intereſſe. Beweis, daß das Recht Krieg zu fuͤhren auch von allen ande⸗ ren Menſchen ausgeuübt wird, und daß ſie im Kleinen auch

Truppen / Waffen und Feſtungen halten.

Aus welchem Grund kömmt den Fürſten das Recht zu, die Verhältniſſe mit benachbarten Staaten, mit anderen gleich Freyen (Fürſten oder Republiken) zu beſtimmen, Krieg zu führen, Frieden zu ſchlieſſen, Bündniſſe und andere Verträge einzugehen? Unter welchen Bedingune gen ſoll oder darf es ausgeübt werden? Worauf beruht die Verbindlichkeit der Unterthanen ihren Fürſten in der⸗ gleichen Kriegen beyzuſtehen oder Hülfe zu leiſten? Iſt

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endlich feneď Befugniß ci ausſchlieſſendes Najeſtäts⸗ Recht, oder kömmt es im kleinen nicht auch anderen Menſchen zu? Das find abermal Fragen bie nach den. disherigen falſchen Doetrinen fo ſchwer und unbefriedi⸗ gend, nach den wahren Grundſäzen ſo leicht und einfach zu beantworten ſind. Wären die Fürſten Beamte des Volks und nur für ſeine Zweke vorhanden, wie etwa der Bürgermeiſter in einer Stadt⸗Gemeinde: fo lieſſe ſich ale lerdiags nicht erklären, mie ſie befugt ſeyn könnten, im Namen dieſes Volks, nach ihrer Willkühr einſeitig Kriege zu erklären, zu führen, zu beendigen, vielweni⸗ get für ihre Privat⸗Nechte Krieg anzufangen und dazu alle Kräfte der Nation zu gebrauchen, dieſelbe gegen aus⸗ waͤrtige Staaten zu verpflichten, über ihre Rechte und Intereſſen einſeitig zu ſtipuliren, ſolche ſogar aufzu⸗ opfern U. ſ. w. ©) Dergleichen Aufträge exiſtiren nicht und laſſen ſich nicht einmal präſumiren, denn man. präſumirt den Willen ber Menſchen nur da wo er ihnen vortheil⸗ haft und nicht wo er naͤchtheilig Hl. Ganz anders aber, und für beyde Theile beruhigend, erſcheint die Sache, wenn man von einem unabhängigen Grundherren und ſei⸗ nen eigenen Rechten ausgeht. Alsdann verſteht ſich von. ſelbſt, daß er vermöge ſeiner natürlichen Freyheit be⸗

s) Daber auch unſere vom Contrát social und der Volks⸗Sou⸗ verainitát anfoebenden Staatslehrer ſtets dieſe Fragen leiſe

beruͤhren oder mit ſichtbarer Abneiguug bebandeln, und die eonſequenten unter ihnen jene Befugniſſe ber Volk zuſprechen. Auch mav es in der franzoͤſiſchen Revolution (dem Triumph nee Príncipien) eines der erſten Dekrete, dem Koͤnig dať Recht von Krieg und Frieden ju entziehen. Demnach war er bereits weniger frey als der geringíke Unterthan in ſei⸗ uci Land.

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fuat čít, ſein Haus und ſein Land, ſein Eigenthum und

überhaupt alle ſeine natürlichen oder erworbenen Rechte gegen Angriffe feindſeliger Nachbaren oder gegen dro⸗ hende Gefahren zu vertheidigen, (Krieg zu führen) nach erhaltner Satisfaktion, oder wenn cr will auch ohne die⸗ ſelbe, mit geweſenen Feinden Friedens⸗ und mauncher⸗ ley andere Verträge su Khlieſſen, in denſelben von

ſeinen Rechten zu cediren, oder mit Einwilligung ded o

anderen Theils deren neue zu erwerben, ſeinen Freunden gegen einen dritten, von welchem ihm Gefahr erwachſen könnte, Hülfe zu leiſten, überhaupt mit anderen gleich Freyen, mit denen er in Verhältniſſen oder nachbarlicher Berührung ſteht, zu Vermeidung von Streitigkeiten und wechſelſeitigen Vortheil Conventionen aller Art abztte ſchlieſſen u. ſ. w. Denn jener Kampf ſowohl als dieſe

*

Verträge betreffen nur ſeine eigene Sade und das Be. - fugniß dazu fließt aus dem Recht der Selbſt⸗Erhaltung,

der allgemeinen Freyhert. ) Iſt bie Selbſthülſe zur

4) Der Inbegriff aller dießſorts zwiſchen ben Furſten ſelbſt,

ſowohl im Frieden ala im Krieg beſte henden natuͤrlichen Rechte und Verbindlichkeiten, macht daš ſogenannte Voͤlkerrecht aus, welches aber unrichtig dieſen Namen fuͤhrt und eigent⸗ lich das Staatenrecht, das Recht der Fuͤrſten unter einander, oder daš Recht zwiſchen Unabhängigen genannt werden ſollte. Es iſt mit dem natúrliden (noch jest geltenden) Privatrecht durchaus das nemliche, oder unterſcheidet ſich von demſelben nur durch die Groͤße der Gegenſtaͤnde, durch Formen und Benennungen (ſ. T. I. S. 341.). Anderen das Ib⸗ rige zu laſſen und zu geben, Vertraͤge zu halten, auch Wohl⸗ wollens⸗Pflichten zu erfuͤllen, und ben frever Wabl zwiſchen ver: ſchiedenen Befugniſſen Klugheits⸗Ruͤkſchten eintyeten zu laſ⸗ ſen: das iſt die Summe deſſelben, wie bey jedem anderen Recht. Gewalt der Waßen nicht ohne guten Grund und nicht

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Handhabung der“ Gerechtigkeit, zur Abwendung wirkli— cher Beleidigungen oder zur Sicherheit für die Zukunft r

ohne Noth su gebrauchen, nemlich nur menu andere Mitteľ fruchtlos (ind, ím Kriege ſelbſt die Menſchlichkeit zu beobach⸗ ten, das Recht der Vertheidigung nicht ins Unendliche zu treiben, ſondern dag geringere Uebel vorzuziehen, wenn es gleichwohl ſeinen Zwek erreicht, uͤbrigens ſeine Kraͤfte und den wahrſcheinlichen Erfolg zu Rath zu ziehen: das ſind die natuͤrlichen Geſeze der Kriegsfuͤhrung mie der Privat⸗Selbſt⸗ duͤlfe (ber großen wie der kleinen Kriege). Allein dieſe Nex. geln der Gerechtigkeit, der Menſchlichkeit und Klugheit, oder die dießorts zwiſchen den Fuͤrſten durch Uebung und Vertraͤge ſanetionirten voſitiven Formen und Gebraͤuche, koͤnnen tit hier nicht abhandeln, weil uns dieſes zu weit von unſerem Zwek abfuͤhren wuͤrde, und weil wir Gelegenheit haben werden ei⸗ niges davon bey dem Abſchnitt von den Erhaltungs⸗Mitteln ber Staaten zu beruͤhren. Grotius iſt in jener Disciplin immer noch ber Meiſter. Wir aber betrachten bier (um in ber gewoͤhnlichen Sprache zu reden) das Kriegt⸗ und Friedens⸗ Recht nicht voͤlkerrechtlich, ſondern ſtaatésrechtlich, d. h. nicht in Beziehung auf diejenigen gegen welche, ſondern in Beziehung auf die eigenen Unterthanen mit deren Huͤlfe Krieg gefuͤhrt wird. Dieſe Unterſcheidung iſt wichtig, beweist aber wie nabe und innig beyde Discivlinen mit einander verwandt find, und mie ſchwer cd iſt bas ſich wechſelſeitig vorausſezende, gleichzeitig ausgeuͤbte, von einander zu unterſcheiden. Auch iſt es hier wiederum auffallend, daß bey jeder ſogenannten Rechtsdoetrin, das bloße ſtrenge Recht das wenigſte, Moral | und Rlugbeit (tvozu man audy berestiget (ft) bad meiſte aus⸗ machen und dieſe drey ſchlechterdings nicht von einander zu trennen ſind. Das Voͤlkerrecht (wie ſchon der Name beweist), iſt durch die nemlichen falſchen Srund : Princípien mie dag Staatsrecht verdorben worden. Ueberall geht man von einer erdichteten Volks⸗Corporation aus und laͤßt alles von (br odev | wenigſtens fúr fie und in ihrem Mamen geſchehen; wodurch dann bie ganze Doctrín verunſtaltet und den Voͤlkern ſelbſt

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ſchon den Privat⸗Perſonen Bad) göttlichen und menſchli⸗ chen Geſezen erlaubt, nothwendig, ja ſogar gewiſſermaſ⸗ fen Pflicht, und wird von ihnen unter bloßen Beſchrän⸗ kungen bet Möglichkeit, der Menſchlichkeit und Klugheit nach dem Maas ihrer Kräfte oder ihres Willens häufig ausgeübt: 3) ie vielmehr muß ſie den Mächtigen und Unabhängigen erlaubt ſeyn, die einerſeits zu ihrer Aus⸗ .„ Úbung mehr Mittel haben, anderſeits blos auf dieſelbige beſchränkt (nd und ohne ſie ganz hülflos wären. Daß aber der Gegenſtand, um welchen Krieg geführt wird oder ein Vertrag geſchloſſen werden ſoll, im Allgemeinen nicht die Sache des Volks, ſondern die Sache des Für⸗ fen (ty: iſt durch Nachdenken und Beobachtung gleich leicht zu erkennen. Dad Volk eines Fürſten iſt eine zer⸗ ſtreute Menge von Menſchen, ein Aggregat von abhängigen oder freywillig dienſtbaren Lenten mit unendlich verſchie⸗ denen Verpflichtungen; ſie haben nichts gemeinſames als

cin ſchlechter Dienſt geleiſtet wird. Doch find einige dieſer Buͤcher ziemlich brauchbar, wofern man nur ſtatt des Worts Volk uͤberall das Wort Fuͤrſt hinſezt. Die Litteratur ded ſo⸗ genannten Voͤlkerrechts kann man in jedem Compendio deſſel⸗ ben leſen. Auch hat man eigene Repertorien daruͤber, mie z. B. das bekannte Werk des Herrn von Ompteda. Mit der verſtaͤndigſten Auswahl ik ſie in ded Herrn von Martens Précie du droit des gens moderne de ľEurepe. 2 Edit. Gôttingen , 180:. angezeigt, einem der vortrefflichſten Hand⸗ buͤcher, ſowobl was das natuͤrliche Recht als die poſitiven Ue⸗ bungen betrifft, jedoch nicht obne alle Beymiſchung der herr⸗ ſchenden irrigen Begriffe uͤber die Natur der Staaten, denen der Verf. zwar moͤglichſt auszuweichen ſucht, aber ohne die entgegengeſezten wahren Grundſaͤze zu kennen und rein auf⸗ zuſtellen.

| 8) ©, T. I. 414 425.

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ihren gemeinfamen Herren; unter ſich ſelbſt aber machen ſie kein Ganzes, keine Communität aus und können alſo nicht in corpore beleidiget werden; die meiſten Untertha⸗ nen eines Fürſten ſtehen ſogar mit fremden Potentaten oder Republiken in wenig oder gar keiner Berührung, das Unrecht kann immer nur einzelnen widerfahren. Auch beſtätiget daher die algemeine Erfahrung, daß faſt alle Kriege nur wegen ben eigenen Rechten und Intereſſen der Fürſten ſelbſt unternommen werden, daß die erſte Ur⸗ ſache und der Zwek derſelben die Völker an und für ſich nichts angeht, obſchon die Folgen des Kriegs ſie in mannigfaltiger Rükſicht intereſſiren können. Wenn aber auch einzelne Unterthanen der Fürſten oder ganze Claſ⸗ fen derſelben, z. B. Reiſende, Gränzbewohner, Sláubie ger u. ſ. w. in Handels⸗ oder anderen Privat⸗Verhält⸗ niſſen von fremden Mächten beleidiget werden und der Fürſt ſich ihrer annimmt, ihnen werkthätige Hülfe leiſtet, fúr ſie die Gerechtigkeit erzwingen will: fo iſt es immer noch ſeine eigene Sache zu entſcheiden, ob er zu ſolchem Zrveť einen Krieg anfangen oder ſich mit anderen Mit teln begnügen wolle, ob der Gegenſtand des Kampfes und ſeiner Aufopferungen werth ſey, ob er mit Hoffnung cie nes glüklichen Erfolgs geführt werden könne und nicht für ben Fürſten und ſeine übrigen Unterthanen viel gröſ⸗ ſere Uebel herbeyziehen würde. 6) Gerade darin nun daß

4) ©$ iR bemerfengmettb und außerordentlich lebrreich, daß in álteren Seiten wo man noch keine Spíteme fánnte, daß bie Getalt der Fuͤrſten ihnen vom Volk Úbertragen und nur als Jen fuͤr das Volť beßimmt (ty: dennoch nicht felten fogar Kriege zum Sduj von einzelnen beleidigten Unterthanen ges fúbrt wurden, z. B. wegen geſperrtem Handel, neuen Zoͤllen, dene girter Juſiz u. ſ. w., waͤhrend man hingegen in neueren

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der Krieg bed Fürſten fein Krieg, der Gegenſtand def» ſelben ſeine Sache iſt, liegt auch der Grund, warum er ihn allein zu erklären, zu führen und zu beendigen befugt iſt, und es wäre ſogar eine Ungerechtigkeit, wenn andere ſich darein miſchen, ihn in ſeinem rechtmäßigen Willen ſtören, ihm ſein Recht oder die Mittel zu deſſel⸗ ben Handhabung abſprechen wollten. In ſofern er alſe zu ſolchem Krieg keine fremde Hülfe verlangt, oder ſich dieſe Hülfe an Mannſchaft und materiellen Mitteln durch eigenes Vermögen zu verſchaffen weiß: hat er darüber niemanden Rechenſchaft zu geben, vielweniger fremde Einwilligung zu verlangen.5) Wohl aber iſt es möglich,

Zeiten, ungeachtet der herrſchenden Doetrinen, kein Bevſpiel

mehr davon ſieht. Jene werkthaͤtige Huͤlfleiſtung geſchab das

mals aus Liebespflicht, aus Ebrgefuͤhl, aus Religioſitaͤt oder

wie man ſich ſchoͤn ausdruͤkte zur Ehre Gottes, d. 6, ſeines

Geſezes. Unſere duͤrren Staats⸗Soſteme haben die alte Trieb⸗

feder verworfen und die neue (die vorgebliche Beauftragung) „M todt und unfruchtbar geblieben.

g) Im Tuͤbinger⸗Vertrag von 1614, der nach kangen buͤrgerli⸗ chen Unruhen und ruinoſen Kriegen geſchloſen wurde, ver⸗ ſprach Herzog Ulrich von MBúrtemberg „feineu Krieg ohne „Rath und Wiſſen der Landſchaft (der Landſtaͤnde) vorzuneb⸗ „men, ſofern auderé Herzog Ulrich von ihnen »Huͤlfe baben wolle, ©. Moͤſers Beytrag zum Staa⸗ ten⸗ und Voͤlker⸗Rechte I, 384. Dieſer Beyſaz iſt ſehr lehr⸗ reich; er. beweiſt 1) daß zvar der Herzog (damals noch kein Souverain) Krieg fuͤhren fonnte nach ſeinem Belieben, daß aber 2) auch die Huͤlfleiſtung ven Seite der Landfſtaͤude frey⸗ willig war, und ſie mithin eine vorber nicht exiſtirende Be⸗ dingung darauf ſezen konnten. Eben fo iſt es noh beut su Tag mit dem Koͤnig von England, Er kann Krieg fúbren, fo viel er will, wofern ce čón aus eigenem zu beſtreiten ver“ moͤchte. Indem er obce dazn fo febr der Untyrſuͤzung ſeines

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nüzlich und immerhin von allen klugen Fürſten geſchehen, den Unterthanen die Veranlaſſung und den Zwek ſolcher, in ihren Folgen, allerdings auch fie berührenden Un⸗ ternehmungen zutraulich und aufrichtig bekannt zu ma⸗ chen, nicht meil ſie ſolches an und für ſich ſchuldig mä. ren, ſondern um ſelbige dadurch mehr zu begeiſtern und ſich einer willfäbrigen und ausgedehnteren Hülfe von ih⸗ rer Seite zu verſichern, S) indem der lebendige Eifer, die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit ded Kriegs, ale lerdings viel zur Erhöhung ber Streitkräfte und zum glük⸗ lichen Erfolge beyträgt. Das iſt auch bekanntermaſſen der Grund der ehmals üblichen jezt aber and) abgekom⸗ menen odber in anderer Form 7)? geſchehenden Manifeſte,

Parlaments bedarf, wird er auch obne Vertrag genoͤtbi⸗ get, ibm fo viele Mittheiluugen zu machen. Das Vergnuͤ⸗ gen uͤber die Sachen ihres Koͤnigs, als waͤren es die ihrigen, oͤffentlich zu reden, ihren Geiſt an groͤßeren Gegenſtaͤnden zu üben (ein Vergnuͤgen, das allerdings ſeinen Werth hat und fuͤr welches ich ſelbſt nicht ohne Gefuͤhl bin), haben bie Engs laͤnder theuer erfauft.

6) Schon Pufendorf macht bie wichtige nnterſcheidung: Ob- servandum tamen est duplici snodo rationem reddi, vel «ut superiori, gui nisi eandem ipsi adprobavero, acta mca « rescindere et ponam infligere insuper gueat, vel ut æquali, « cui simpliciter mea gesta probari volo, eo duntaxat fine, «ut vir bonus ac prudens ab ipso habear posteriori modo « 5% pe conantúr famæ curiosi princípes rerum suarum ra- « tiones univergo orbi reddere, tuende existimationís causa s «id guod nibil snbjectianis arguit." De j. n. et g. L. VII. Cap. VI. $. 3.

7) 3. B. durch Generals⸗Befehle, Proklamationen, Beľanntma: chung eines Theils ber Verhandlungen, veranlafte Vrívaťs

Schriften, Zeitungs-⸗Artikel u, ſ. w. Alles ſeit der Revolu⸗ tion von Frankreich nachgeahmt.

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wodurch mon nicht die Einwilligung zum Krieg zu erhal⸗ ten, ſondern eigene und fremde Völker von der Gerech⸗ tigkeit ſeiner Sache zu überzeugen, die Schuld des Kriegs auf ſeinen Feind zu wälzen und ſich dadurch deſto mehr Anhänger zu erwerben ſucht.

Iſt nun ein Fürſt befugt Unrecht mit Gewalt abzu⸗ treiben, d. h. Krieg zu führen: ſo hat er auch das Recht ſich diejenigen Mittel und Kräfte zu verſchaffen, wodurch derſelbe glüklich geführt werden kann, alles in ſofern ee dabey niemand in dem ſeinigen beleidigt. Es iſt daher unnöthig beyzufügen, mie es von einigen Staatslehrern weitläufig geſchieht, S) ba cr deßwegen auch berechti⸗ get ſey, Armeen oder Kriegsdiener zu werben, ſie in re⸗ gelmäßige Haufen zu ordnen, mit Ober⸗ und Unter⸗Be⸗ fehlshabern zu verſehen, ſelbige zu bewaffnen, zu beklei⸗ ben, in allerley andern Fertigkeiten zu üben, ſie in ge—⸗ funden und kranken Tagen zu verpflegen, Disciplin und Kriegszucht vorzuſchreiben, die Invaliden zu verſorgen, Feſtungen anzulegen und mit Beſazungen zu verſehen, Caſernen und Gpitäler zu baucno eigene militäriſche Schulen zu errichten, überhaupt alle Kriegs⸗KErforder⸗ niſſe herbeyzuſchaffen, die Armee ſelbſt anzuführen oder das Commando einem anderen zu übertragen, den Sol. daten gewiſſe Privilegien einzuräumen u. dgl., eine Auf⸗ s) beſonders von Scheidemantel Staatsrecht T. I. p.504—334.

und auch ſchon von Boehmer in ſeinem Úbrigené febe reich⸗

baltigen Jus publ. univ. p. 516 segg. jus exercitum con- scribendi, jus armorum instruendorum , jus armamentaria publica instituendi, jus fabricandi arma, jus exstruendi fortalitia, jus prasidiarium etc. welche er alle meitlňufig ausfuͤhrt. |

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zählung die noch unentlich weiter getrieben werden könnte. Das alles verſteht ſich von ſelbſt, und iſt ein freyer Ge⸗ brauch, den der Fürſt von ſeinem Vermögen, von ſeinem Eigentbmný » Nedhte macht. Nöthiger als dieſe Anzeige des dürren Befugniſſes, wären die Klugheits⸗Regeln zu ſeiner zwekmäſſigen Ausübung. Allein die Fragen mie. eine Armee auf die vortheilhafteſte Weiſe errichtet, ver⸗ waltet und gebraucht werden könne? gehören theils nicht in das Staats⸗-Recht, ſondern in bdie Kriegs⸗Wiſſen⸗ ſchaft oder einen Theil der inneren Staats⸗Klugheit, theils hängt ihre Beantwortung auth von Umſtänden und Hülfsmitteln ab, ſo daß ſich darüber wenig oder keine Regeln geben laſſen, die in allen Ländern gleich mög⸗ lich, gleich zwekmäßig wären: und die beßte Maxime wird immer diejenige ſeyn, in dieſer Rükſicht ſeine Be⸗ dürfniſſe möglichſt zu verminderen und ohne Ueberſpan⸗ nung ber Kräfte ſich nad ben vorhandenen Hülfömitteln zu richten.

Eine andere ſtreng rechtliche und wichtige Frage iſt es hingegen, worauf die Verbindlichkeit der Ún. terthanen beruhe, ibrem Herren in derglei— chen Kriegen Hülfe zu leiſten? Iſt der Krieg des Fürſten ſein eigener Krieg, der Gegenſtand deſſelben ſeine eigene Sache, erklärt er ibn blos nad ſeinem Wil⸗ len: ſo könnte man fragen, warum dann die Unterthanen ihm hierin beyſtehen, Perſonen und bisweilen auch Gü—⸗ ter zu ſeinem Nuzen aufopfern ſollen, ob er nach dieſen Grundſäzen nicht auf ſeine eigenen perſönlichen Kräfte beſchränkt bleibe? Wir antworten, daß man eben ſo gut fragen könnte, warum man einem Fürſten in ande⸗ ren Dingen Hülfe leiſtet, die auch ſeine Sache ſind; daß

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der Kriegsdienſt auf dem nemlichen Grunde beruht wie ijeder andere Dienſt, und Daf cin mächtiger begüterter Menſch, der ſo vielen anderen Ehre und Reichthümer verſchaffen kann, von deſſen Exiſtenz das Wohl ſo vieler anderen abhängt, ſtets Leute genug ſinden wird, die ihm au ſeiner Vertheidigung beyſtehen, ihm Kriegsdienſte mie friedliche Dienſte leiſten, ja ſogar die erſteren noch eher weil ſie wegen dem dazu erforderlichen Muth und den da⸗ muit verbundenen Gefahren mehr Glanz und Auszeichnung verſchaffen. Die Verbindlichkeit zum Kriegsdienſt iſt alſo freylich keine abſolute, ſich von ſelbſt verſtehende, unbe⸗ dingte Zwangspflicht, ©) ſie iſt im allgemeinen, außer in Biüchern, nie dafür angeſehen worden und braucht auch gar nicht dazu gemacht zu werden; aber ſie hat ihren drey⸗ fachen Grund in der Natur, und beruhet theils auf mo⸗ raliſcher Pflicht, auf evidenter Billigkeit, theils auf dem eigenen Intereſſe der Unterthanen, theils auf beſonderen Dienſt-Verträgen. Nichts iſt natürlicher und billiger als auf der Seite desjenigen zu kämpfen, mit dem man in geſelliger Verbindung lebt, mit ihm auch die Gefahren zu theilen, wenn man die Vortheile ded Verbandes genieſſen und ſolche auf bie Zu—⸗ kunft ſichern will. Wo iſt das unnatürliche Kind welches nicht ſeinen Vater, der Diener welcher nicht im Fall der Noth auch ſeinen Herren vertheidigte? Zudem haben die Unterthanen auch ihre Streitigkeiten, ihre Kriege unter einander, in welchen der Fürſt durch ſeine Gerichtsbar⸗ keit und bisweilen durch thätige Gewalt ihnen Hülfe lei⸗

—— —c

9) Was ſich ſchon daraus ergiebt, daß ſie nicht in einer blos nes gativen Unterlaſſung, ſondern in einer poſitiven Haudlung beſteht.

81 fet, ihnen den Frieden verſchafft, 31 ihrem Recht ver: hilft: warum ſollten ſie alfo nicht hinwieder ihrem Für⸗ ſten beyſtehen, ihm zu ſeinem Recht verhelfen, auch ſeine Perſon und ſein Eigenthum zu ſichern ſuchen, wenn er mit ſeines gleichen in Streitigkeiten und Kriege geräth.

Diefe reciprocirliche Billigkeit iſt fo auffallend, daß ſie

die moraliſche Schuldigkeit beynah zur rechtlichen macht. Auch iſt ſie daher zu allen Zeiten von ben Volkern an⸗ erkannt worden, und wofern der Grund des Kriegs nur

einigermaſſen ſcheinbar geweſen: hat es einem Fürſten

Bod) nie an freywilligen und zahlreichen Gehülfen zu ſei⸗— nen Kriegen gemangelt. Ja! man ſah im Fall der Noth oft ganze Nationen ohne Zwang herbeyeilen und mit ei⸗— nem unverdorbnen Ehrgefühl, einem Entbuſiasmus und einer Ausdauer kämpfen, welche manchmal ſelbſt die des Fürſten und feiner mehr verweichlichten Umgebungen über⸗ trifft. Gleichwie aber doch ale Leibespflichten ihre Brán. zen in ber Möglichkeit ihrer Erfüllung haben, To) und niemand von anderen fordern kann, daß ſie ihre Kräfte unbedingt, einſeitig und gänzlich für ihn aufopfern: ſo ſieht man auch in der ganzen Geſchichte, daß das Maas und die Dauer jener freundlichen Hülfleiſtung, häufig durch billige Verträge zwiſchen den Fürſten und ihren Unterthanen beſtimmt worden iſt, 11) daß ſie z. B. nur von den zum Kriege tauglichen leicht entbehrlichen Män⸗

SO OOP CO —— ji

10) Waͤhrend bie Rechtspflichten, al blog negatív, ſtets und von jedermann erfuͤllt werden koͤnnen.

11) Dieſe Vertraͤge waͤren aͤußerſt merkwuͤrdig zu ſammeln, wenn unſere Geſchichtſchreiber etwas in der Geſchichte zu lernen, in ihr die Beſtaͤtigung der wahren Rechtephilofophie zu ſehen verſtuͤnden.

Zweyter Vand. $

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nern angeſprochen wurde, Ďaľd auf eine gewiſſe Zeit, 12) bald auf einen gewiſſen Raum oder Landes⸗-Diſtrikt 13) beſchränkt war, daß bey längerer Dauer oder größerer Enifernung wenigſtens Lebensmittel und Sold gereicht wer⸗ den mußten, daß man oft dafür wichtige Privilegien, Befreyung von anderen Schuldigkeiten, erhielt u. ſ. w. und eben weil dergleichen freywillige oder temporäre Hülf⸗ leiſtung in hartnäkigen Kriegen nicht zureichend war, iſt man auf den Gedanken verfallen, nach und nach ſtehende Truppen zu errichten, und benuzte die Willfährigkeit der Unterthanen, um ſtatt des perſonlichen Dienſts, der in bie Länge zu beſchwerlich fiel, von ihnen Geld oder Na⸗ tural⸗Beyträge zu erhalten und damit bleibende Truppen⸗ Eorpý anwerben und beſolden zu können. 19) Zudem bat es die Natur alſo geordnet, daß mit jener moraliſchen Pflicht der Hülfleiſtung ſich meiſt noch das eigene In— tere ſe ber Unterthanen vereiniget, und daß ſie daher deſto weniger verweigert, ja ſogar auf die Einhaltung der vertragsmäßigen Veſchränkungen nicht immer gedrungen wird. Denn da, wie wir genug gezeigt haben, die Macht

12) Bey den Hungarn z. B. nur drey Monat. Sismondi VI, zob: bey den Englaͤndern unter Wilhelm dem Eroberer nur: vierzig Tag. Muͤller Weltgeſch. TI. 213.; ſo auch im ali: ten Frankreich. ſ. v Neal Staatskunſt T. V. p. 190.

13) 3. B. auf die Bránzen ded Reichs pder einer gewiſſen Pro⸗ vinz U. ſ. w.

14) Wobey freylich bie Voͤlter nicht bedacht baben, daß ſie da⸗ durch die Macht aus den Haͤnden liefern, durch welche man ihrer noͤtbig hat, und wodurch die Fuͤrſten zur Dankbarkeit und wechſelſeitigen Gerechtigkeit intereſſirt werden. Die Traͤg⸗ „belt ſchmiedet ſich ſelbſt ihre geſſeln, und das iſt auch ihre natuͤrliche Strafe.

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rines Fürſten ſeinen Unterthanen nüzlich iſt, da er ib nen auf tauſenderley direkten und indirekten Wegen Nah⸗ rung, Schuz und Annehmlichkeiten des Lebens verſchafft: fo iſt es klar, daß ſie mit ſeiner Schwächung odber Ver. nichtung auch alle jene Vortheile ganz oder großentheils verlieren müſſen. Ihre Rechte, ihre Intereſſen find zwar, dem Gegenſtande nach, nicht die nemlichen wie die des Fürſten, aber ſie ſind mit denſelben unzertrennlich ver⸗ bunden, ihre Exiſtenz hängt von der ſeinigen ab, und das Gefühl dieſes verflochtenen Intereſſe giebt neue Gründe zur thätigen und ausdaurenden Hülfleiſtung ab. Endlich beruht die Verbindlichkeit zum Kriegsdienſt auch auf be. ſonderen Verträgen oder Verſprechungen, wodurch dann die blos moraliſche Pflicht zur ſtrengen Rechts⸗Schul⸗ digkeit erhoben wird. Dahin gehören die ehmaligen Va⸗ ſallſchaften und Lehens Verträge, wodurch man cin zelnen Männern ganze Güter zur Benuzung gab und dieſe wieder dergleichen an Unter-Vaſallen vertheilten, blos um ſich dagegen ihrer Hülfleiſtung im Kriege zu ver⸗ ſichern: 15) ferner die ſogenannten Schuz⸗ und Schirm⸗ herrſchaften, eine Art von Bündniß, kraft welchem man einzelnen Communen, geiſtlichen Ständen oder min⸗ dermächtigen Fürſten, Schuz gegen alle ihre Feinde ver⸗ ſprach unter der Bedingung, daß ſie hinwieder dem Schirm⸗ herren in ſeinen Kriegen zuziehen ſollen; dahin eine Menge von Verträgen, durch welche andere Streitigkeiten durch ähnliche Verſprechungen beſeitiget wurden; dahin endlich die geworbnen Corps von bewaffneten Dienern oder die ſtehenden Armeen, wo jeder einzelne freywil⸗ lig angeworben wird und gegen verſprochenen Kriegsdienſt

15) welche zwar auch nicht undef chrániť war, S. oben No. 12,13,

Nahrung, Wohnung, Kleidung mb Sold erhält. Dak Ainsbeſonders dieſe lezteren, nad) ber Natur ihres Dienſt⸗ Vertrags, ſchuldig ſeyen, nicht nur den Fürſten zu ver⸗ rheidigen und ſeinen dießörtigen Beſehlen zu gehorchen, ſondern überall hinzuziehen und zu kämpfen, wo er es für ſeinen Dienſt und ſeine Sicherheit nöthig erachtet, verſteht ſich von ſelbſt. Freylich werden auch hier nur erlaubte Dienſte verſtanden, denn das natürliche Geſez wird immer ſtillſchweigend vorausgeſezt; ſcheint dem Die⸗ nenden irgend ein Krieg ungerecht, oder werden ihm Handlungen geboten die er ſeinem Gewiſſen und höheren Pflichten zuwider hält: ſo iſt ihm erlaubt den Dienſt zu verlaſſen, aber er kann nicht zu gleicher Zeit den Sold ziehen und den Gehorſam verweigern, nicht die Vortheile des Verbandes genieſſen ohne die Pflichten deſſelben zu erfüllen. 16)

Freywillige Zuneigung, inneres Gefühl reciprocirli⸗ cher Billigkeit, eigenes Intereſſe und mannigfaltige Ver⸗ träge werden alſo einem Fürſten immerhin Gehülfen ge. nug zu ſeinen Kriegen verſchaffen. Ob er aber berechti⸗ get ſey ſeine Unterthanen auch mit Gewalt zum Kriegs⸗ dienſt und ſelbſt dn ſtehende Truppencorps zu zwingen, ſel⸗ bige zu dieſem End nach heutiger Art auszuheben und dieſen Zwang ſogar auf alle Claſſen und Stände auszu—⸗ dehnen, mithin höhere, freywillige, beſtimmte Dienſte, einſeitig ia ſchlechtere, gezwungene und unbeſtimmte zu verwandeln, oder gar durch Avocatorien ſeine geweſenen, in fremden Landen ruhig angeſeſſenen Unterthanen, un⸗ ter Bedrohung ſtrenger Strafen, zum Kriegsdienſte zurük⸗

16) Hievon wird bey dem Abſchnitt von den militaͤriſchen Staa⸗ ten mehr geredet werden.

zurufen: das iſt eine Frage, bie ſich nad ben gefundee Begriffen des Staatsrechts und der wahren Natur der fürſtlichen Gewalt freylich nicht beiahen läßt. Gleichwie ein Fürſt nur ſeine eigenen natürlichen oder erworbenen Rechte bat. die lezteren allerdings ſehr ausgedehnt ſeyn mögen und er zu Ausübung der erſteren mehr Mittel als andere beſizt: ſo iſt hingegen der Körper ſeiner Untertha⸗ nen nicht ſein Eigenthum, er gehört einem jeden als das erſte ihm von der Natur gegebene But. Außer den all⸗ gemeinen Menſchenpflichten haben ſie nur verſprochene Schuldigkeiten zu erfüllen, und mehr darf von ihnen rechtlich nicht gefordert werden. Selbſt die Beamten und Diener, die in unmittelbarem Sold des Fürſten ſte⸗ Ben, find demſelben nicht alle Arten von Arbeiten und Dienſtleiſtungen ſchuldig, ſondern nur beſtimmte, zu de⸗ nen ſie ſich freywillig verpflichtet haben; und fo wenig ALK. irgend cin Privatherr berechtiget iſt, alle von ihm abhän⸗ gigen (nicht leibeigenen) Menſchen wider ihren Willen su den nemlichen Dienſten zu zwingen: 4. B. einen Päch⸗ ter zu einem Tagelöhner, einen Hofmeiſter zu einem La⸗ kayen U. ſ. V. zu machen, oder über derſelben Söhne und. Diener einſeitig zu diſppniren: ſo wenig kann auch cin Fürſt oder unabhängiger Herr, ohne Mißbrauch der Ge⸗ walt, dazu befugt ſeyn; ſeine Unabhängigkeit, ſein hö⸗ heres Glük diſpenſirt ibn nicht von dem natürlichen Be. ſez anderen das Ihrige zu laſſen und Vertráge 41. hal⸗ ten. Kriegsdienſte ſollen mithin fo. gut. als friedliche Dienſte freywillig ſeyn; wenn der Zwang zu erſteren er⸗ laubt wäre, ſo wüßte man nicht, warum der leztere nicht eben (o rechtmäßig ſeyn ſollte, "7 und warum ce

č1) Nad den Doctrinen uͤnſerer heutigen Staatslehrer wuͤrden

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nteht auch auf Weiber 18) und Ňinder ausgedehnt wer— den dürfte, Da dieſelben in mancherley Rükſicht dem Štaaté nüzen können und es an Phraſen nicht mangeln wird, um ſelbſt die niedrigſten häuslichen Dienſte, unter dem Vorwand von Staatszweken oder Staatsbedürfniſſen, zu beſchönigen. Auch beweist die ganze Geſchichte, daß der Kriegsdienſt ungezwungen war; es mußten die Corps von bewaffneten Dienern (die ſtehenden Armeen) überall frey⸗ willig geworben werden, und die Conſcription, dieſes UML ſelige Geſchenk des achtzehnten pſeudophiloſophiſchen Jahr⸗ hunderts, exiſtirte vormals in keinem einzigen Rand, 19) Wir verdanken ſie einzig den verkehrten (revolutionären) Staats⸗Principien, dem angeblich philoſophiſchen Staats⸗ recht, welches ſich für Freyheitsbringend verkündigte und

wir bald auch noch bie Civil⸗ Gonfeription crleben. Es tváre ja viel bequemer und woblfeiler alle Beamten ebenfalls nach Willkuͤhr auszuheben.

18) 3. B. fuͤr Marketenderinnen, Koͤchinnen, Bataillons⸗Waſche⸗ rinnen, Spital⸗Waͤrterinnen ꝛe. warum nicht auch zum Ver⸗ gnuͤgen odev zur Recreation des Staats⸗Oberhaupts oder ſeiner Gebuͤlken, um in ſchoͤnen Armen Erholung fuͤr bie ſchwere Arbeit zu finden?

19) Dem, der bie Nevolutiong + Vrincipien zertruͤnmert, der den Fuͤrſten wahrlich viele und große Dienſte leiſtet, ihre Eriftenz und ihre Rechte auf unerſchuͤtterlichen Felſen gruͤndet, wird es wohl auch erlaubt ſeyn cín Wort fuͤr die Prívať : Srenbejt der Unterthanen zu ſprechen. Um den Abſcheu gegen die Re⸗

volutions⸗Principien allgemein zu machen, muß gezeigt wer⸗ den, daß ſie den Fuͤrſten und den Voͤlkern gleich verderblich ſind. Senug und nur zu viel wirft man mir vor, daß ich bloß das Recht des Starken vertheidige: o! laßt mich auch das Recht des Schwachen ehren! wage es fúbón und vertraue auf Gott. |

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Sklaverey gebracht bat. 29). Auch fe iſt ejne Folge der auf herrſchaftliche Verhältniſſe fälſchlich übertragenen re⸗ publikaniſchen Grundſäze und Benennungen. In einer Republik ſind ſreylich die einzelnen Bürger, welche zu— ſammen die freye Gemeinde ausmachen, zum Kriegsdienſte, gleichwie zu vielen andern Beſchwerden, verpflichtet/ darum weil ſie da wirklich der Souverain (die kriegfüh— rende Perſon) ſind, der Krieg ihr Krieg iſt, und ſie ihn meiſtentheils auch nach ihrem Willen erklären, führen und endigen. Aber eben deßwegen gilt dieſe Verpflich⸗ tung nur für die eigentlichen Bürger, b. h. für die Mit— glieder Der ſouverainen Corporation, nicht für derſelben. Unterthanen. Denn auch eine Republik kann dieſe lezteren, d. b. ihre äußeren Diener und Angehörige, nidht. mit Gewalt zum Kriegsdienſt zwingen, ße helfen ihr ebenfalls nur freywillig aus Liebe, aus Ehrgefühl, aus

20) ja ſogar bringen mußte. Daber auch bie Conſcription in allen unſern ſtaatsrechtlichen Compendien docirt wird. Wie kann man ſich dann hintenher darúber beklagen, wenn der⸗ gleichen Lehren in Anwendung gebracht werden? Die ſoge⸗ nannten Philoſophen, die Apoſtel der Freybeit und Gleichbeit, tie angeblichen Fuͤrſprecher des Volls, (ind damit in ibren, Syſtemen febr freygebig. Jedoch will keiner derſelben davon getroffen werden. In den neueſten naturrechtlichen Handbuͤ⸗ chern bemerke id ſogar, daß ſie ſich ſelbſt wohlweislich aus⸗ zunehmen verſuchen, unter dem Vorwand, daß ſie dem Staate ſonſt viel nuͤzen. Sie deklamiren gegen Privilegien und wol— len die erſten Privilegirten ſeyn. Der Nuzen, den (ie dent. Staate leiſten, if eben nicht weit ber. Uber find dann bie > Akerbauer, die Handwerker, die Handelsleute, die Civilbeam⸗ ten, alle uͤbrigen Claſſen, welche das Band der menſchlichen Geſellſchaft zuſammenhalten, nicht auch dem Staate nuͤtzlich ? ©! wahrlich mehr als jgne Pſeudo⸗Weiſen!

68 eigenem Intereſſe und kraft beſonderer Verträge. Die

Geſchichte der heutigen Conſcriptionen iſt daher nicht ſehr alt. 21 Bor den ſtehenden Truppen, wo die mächtigſten Fürſten ſelbſt im Frieden nur etma cine geringe Leib⸗

wache hatten, zogen ſie mit ihren dazu tauglichen Leuten

in Krieg, und dieſe folgten ihnen freywillig aus Anhäng⸗

lichkeit und eigenem Intereſſe, oder in Angriffs- und Eroberungs-Kriegen um Sold, aus Liebe zum freyen mie litäriſchen Leben, aus Hang nach Ehre und nach Beute.

Sn Zeiten ber Noth mar jedermann bey der Hand/ aber

nach hergeſtelltem Frieden wurden (le alle wieder entlaſ⸗ ſen, und manche Kriege mußten aufhören nicht aus Man—⸗ gel an Menſchen oder Unterthanen überhaupt, ſondern aus Mangel an Gehülfen und. eigenem Vermögen. Bis— weilen mochten wohl mehr oder weniger gezwungene Nude hebungen geſchehen ſeyn, aber der Mißbrauch wurde nicht zur Regel ſelbſt gemacht, ſondern mit dringender Noth entſchuldiget. Allmählig weil die temporäre und frey— willige Hülfe unzureichend ſchien, wurden, beſonders von franzöſiſchen Königen, die ſtehenden Armeen eingeführt; ihnen folgten die übrigen Potentaten aus Nothwendigkeit nad, aber die Soldaten zu dieſen Armeen mußten frey—⸗

21) Mir kennen die Roͤmiſche Conſcription nicht ſehr genau. Sie ſcheint urſpruͤnglich auch nur fuͤr die roͤmiſchen Buͤrger gegol⸗ „fen zu haben. Nachher als die Republik de facto nicht mebr exiſtirte, erklaͤrte man alle Einwohner fuͤr Buͤrger, blos um ſie zum Kriegedienſt zwingen zu fónnen. Daber (hon Dion. halicarnass. lib. X. de morbosa civitate Romana ſpricht: Cum moderatos delectus habere deberent, illi eos gui mi- litiam detrectabant vi cogere ceperunt, nullam excusatio- 3 nem admittentes,- nulli veniam dantes, sed penia lege statutig et in eorum corpora et boua acerbe utenteg.

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svillia mit ſtarken Handgeldern geworben werden, und fo ftarť mav damals das gefunde Gefühl fúr Gerechtigkeit und perſoͤnliche Freyheit, daß man fogar bie von offence Gewalt noh himmelweit verſchiedenen Kunſtgriffe und Schleichwege der Werber, wodurch ſie bisweilen den freyen Willen zu überliſten wußten, in ganz Europa ver⸗ abſcheute und mit ſchüzenden Formen zu hindern ſuchte. 22 Erſt als in der Folge die ſtehenden Armeen in Kriegs— und Friedenszeiten ſo zahlreich wurden, daß man weder freywillige Soldaten genug ſinden, noch das Hand. oder Anwerbungs-Geld bezahlen konnte, als zu gleicher Zeit

22) In meinem Vaterland z. B. hatte ehmals die Republik vier capitulirte Regimenter in fremden Kriegsdienſten. Die Haupt⸗ leute mußten die Soldaten auf eigne Koſten anwerben und waren faſt alle ſelbſt von der regierenden Claſſe, d. h. von

der freyen Buͤrgerſchaft. Es waͤre mithin ihr boͤchſtes In⸗

tereſſe geweſen, bie Necruten fo leicht und woblfeil als moͤg⸗ lich zu erhalten. Dem ungeachtet mußte 1) jeder Werber vor allem cin Patent von der Regierung ſelbſt erhalten. 2) Jes der oft mit 20 bis 25 Louisd'or angeworbene Rekrut vor dem Abmarſch, einer unparteviſchen, aus Gliedern der Regierung beſtehenden, Rekruten⸗Kammer vorgeſtellt werden. Dort ward er, neben Entſcheidung allfaͤlliger Streitigkeiten, in Abweſenheit deg Werbers von dem Praͤſidenten befragt, ob er ohne ČI noch Gewalt, ungezwungen und ungedrungen in Kriegsdienſt gebhe? Antwortete ex bejabend, (o ward ibm ſein Mille gelaſſen. Konnte ex das Gegentheil mit Umſtaͤnden beweiſen, ſo ward er freygelaſſen, und der Werber hatte oft ſein Handgeld verloren oder wurde gar noch geſtraft. Auch zogen damals bie Rekruten jubelnd mit Geſang und Klang— zu ibrem Regiment. Es mag nicht unwichtig ſeyn, bisweilen die alten Uebungen aufzuzeichurn. Sie werden ſonſt ganz vergeſſen; man hat keinen Begriff mehr von der ehmaligen Frevheit.

4 die revolutionären Vrincivien auffamen, daß das Volk der eigentliche Souverain, der Fürſt nur ſein Beamter oder Bevollmächtigter ſey; daß er zu Staatszweken über Perſonen und Eigenthum der Bürger difponiren könne, da alle Kriege National⸗Kriege ſeyen, nur im Na⸗ men der Nation und für die Nation geführt würden: da verfiel man auf den Gedanken, die ſogenannten Bürger mit Gewalt zum Kriegsdienſt auszuheben und dieſe ſonſt unbekannte Maßregel mit jenen Grundſäzen zu beſchöni— gen. Friedrich Wilhelm J., König von Preußen, gab das erſte Beyſpiel dazu, weil er ſein kleines Land, mit ziem⸗ lichem Zwang, zu einer der erſten militäriſchen Mächte erh eben wollte. Jedoch geſchah es noch mit vieler Scho⸗ nung und mannigfaltigen Exemtionen. 23) In Oeſtreich ward die Eonfcription tiu J. 1772 durch den philoſophiſch genannten Kayſer Joſcoh II. eingeführt, aber in den Nie⸗ derlanden, i Tyrol, inn Hungarn und im Mayländiſchen hatte ct ſie, aus Furcht vor, einer allgemeinen, zum Theil wirklich ausgebrochenen, Inſurrektion niemalen durch ſezen können. Sn Frankreich iſt ſie erſt mit ber Re⸗ volution durch die Dekrete der ſogenannten National⸗ Verſammlungen entſtanden, und zwar Nad) der ganz cie genen Inconſequenz dieſer Sophiſten⸗Regierungen, zur nemlichen Zeit wo ſie die Handhabung der Menſchenrechte, bie individuelle Freyheit, zum alleinigen Zwek ihrer künſt⸗ lichen Staaten aufſtellten. In allen andern Ländern exi⸗ ſtirte ſie gar nicht, und diejenigen, die dem Strom der Zeiten und fremdem Uebervrang widerſtehen konnten, ſind

33) Es tar nur eine Canton⸗pflichtigkeit zur Rekrutirung gewiſſer Regimenter, und die Rekruten hatten neun Monat im Jabr Urlaub. ©, Buͤſchings Erdbeſchreib. T. III. P. V. G, 383.

91 noch auf den heutigen Tag davon befreyt geblieben. 24) Allein obgleich dieſe traurige Erfindung, die uns fürwahr das Recht benimmt über die Sklaverey anderer Welttheile zu klagen, überall den größten Widerwillen erregt, und namenloſes Unglük veranlaſſet: ſo ſcheint ſie doch theils aus Noth, theils aus freywilliger oder gezwungener Nach⸗ ahmungsͤſucht immer ſtrenger und allgemeiner werden zu wollen. 25) Daß aber dem ungeachtet die Fürſten und ihre Rathgeber hier der Sache nicht recht trauen, und ein geheimes Gefühl das Ungerechte der Conſcription nicht mißkennen läßt: beweist unter anderem auch der Umſtand, daß ſie in ihrer vollen Ausdehnung ſchlechterdings nicht vollzogen werden kann, und man überall genöthiget iſt ſie einiger Maßen zu mildern; daß z. B. in Frankreich, wo man ſie anfänglich unbedingt auf jedermann ausdehnen wollte, ſpäter cin Loſskauf geſtattet ward, bab in andern Ländern ſehr viele geſezliche Exemtionen herrſchen, daß man wieder in andern abſichtlich durch bie Singer ſieht und das Geſez nicht ſtrenge exequiren darf, daß man das Gehäſſige ihrer Anordnung und Ausführung ſtets auf wirk⸗

24) England, Spanien, Daͤnemark, Schweden und die Tuͤrkey haben die Conſcription noch jet nicht. Sn Rußland iſt fe blos auf die leibeignen Bauern beſchraͤnkt. In den deutſchen Staaten exiſtirte ſie erſt ſeit dem ſogenannten Rheinbund, in Itolien ebenfalls nur ſeit der Franzoͤſiſchen Herrſchaft. Sn Bayern ward Anfangs 1806 ein Cantons-⸗Reglement, und 1912 durch eine ſogenannte Verbeſſerung deſſelben die franzoͤ⸗ ſiſche Conſeription eingefuͤhrt. Vorber beſtand das fiebende Heer dieſes Staats nur aus 12,000 Mann, nachher aus 30,000,

25) Gott ſey Dank iſt ſie ſeit Herſtellung der alten Ordnung in Frankreich und Sardinien wieder aufgehoben worden. (Ge⸗

ſchrieben 18145 det Text Ao. 1812.)

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liche oder ſcheinbare National⸗Behörden, Neidhávätde Provinzial⸗Verwaltungen, Stände, Dominien u. ſ. M zu wälzen ſucht, daß dabey nicht mie ſonſt in eigenem Na⸗ men der Fürſten geredet, ſondern ci ganz anderer re— publikaniſch klingender Sprachgebrauch angenommen wird uf. w.; lauter Umwege und Verhüllungen, welche nicht nöthig, ja ſogar zwekwidrig wären, wenn das Geſez mit der natürlichen Gerechtigkeit und Billigkeit zuſammen⸗ ſtimmte. Die Gonfcription iſt aber auch zur Vertheidi—⸗ gung der Fürſten und Nationen nicht nöthig; natürliche Anhänglichkeit, eigenes Intereſſe und freywillige Ver⸗ träge werden mehrere, auch beſſere Kriegsdiener liefern als offene Gewalt, und es iſt daher nicht zu zweifeln, daß dieſer Zwang wieder wegfallen werde, wenn einmal bie entſezlichen Kriege, unter denen Europa ſeit fünf und. zwanzig Jahren ſeufzet, aufgehört haben, die widerna⸗ türlich überſpannte Lage ber Dinge einem ruhigern Zu⸗ ſtand Plaz gemacht haben wird und beſonders Die revoľite tionären Staats⸗Grundſäze mehr aus den Köpfen und den Büchern verſchwunden ſeyn werden.

tit den ſogenannten Avocatorien, wodurch man die Dienſtpflicht ſogar auf weggezogene ehmalige Unter⸗ thanen ausdehnen und freye Menſchen wie entlaufne Skla⸗ ven oder Leibeigne behandeln mil, bat ed cine ähnliche Bewandniß. Dať cin Šúr it in Zeiten ber Noth ſeine in feindlichen odev fremden Landen angeſeſſene, oder auf ge⸗ wiſſe Zeit domilizirende Unterthanen, bey ihrer Tren und Anhänglichkeit zur Zurükkunft aufrufen, gleichſam einen Appell an ihre Vaterlandsliebe machen könne: verſteht ſich von ſelbſt und iſt eine erlaubte Handlung, die bisweilen ſoegar klug ſeyn kann. Aber dieſe Zurükkunft von Rech⸗

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tens wegen 31 forderen, auf die Unterlaſſung einer frey⸗ willigen Liebespflicht, deren Erfüllung oft unmöglich iſt oder unter Umſtänden für die betreffenden Perſonen mit dem Ruin ihres Wohlſtandes, ihrer ganzen ökonomiſchen Exiſtenz begleitet ſeyn kann, ſtrenge Strafen zu ſezen, ſelbige für cin Verbrechen zu erklären u. ſ. w. iſt eine of⸗ fenbare Beleidigung rechtmäßiger Privat⸗Freyheit, und ſelbſt des Eigenthums, war auch vor den neueren verkehr⸗ ten Staats⸗Prinzipien in keinem Staate üblich, und kann nur gegen feindſelig geſinnte, in fremden Landen gegen ihren Fürſt mit verrätheriſchen Anſchlägen umgehende Perſonen, gleichſam als Kriegs⸗Maßregel odber als Con⸗ tumaz⸗Strafe gerechtfertiget werden. Es ſcheinen dieſe Avocatorien ebenfalls von Republiken nachgeahmt worden zu ſeyn, wo unter gewiſſen Umſtänden ber Dienſt in frem⸗ den oder feindſeligen Landen ben Verluſt des Bürger⸗ rechts nach ſich zieht, weil collidirende Rechts⸗Pflich⸗ ten nicht zu gleicher Zeit ausgeübt werden können, man nicht zu gleicher Zeit flir ſich ſelbſt und gegen ſich ſelbſt Krieg führen kann. Deßwegen gilt dieſe Regel auch nur für die eigentlichen Bürger, nicht für die Unterthanen der Republik. In Fürſtenthümern aber iſt gar keine ſolche Bürgerſchaft, mithin kein Bürgerrecht vorhanden; hier exiſtirt nur natürliche Abhängigkeit von höherer Macht oder freywillige Dienſtbarkeit; ſobald aber ein Menſch, der kein Leibeigener iſt und ſich kein Verbrechen hat zu Schulden kommen laſſen, dem Dienſt und ſeinen Vorthei⸗ len entſagt, das Gebiet ſeines Fürſten verläßt, aus dem natürlichen Verband mit demſelben heraustritt: fo iſt er auch nicht' mebe ſein Unterthan, und es kann alſo der er⸗ ſtere keine beſonderen Rechte mehr auf ibn haben. Sei⸗ nen Aufenthalt verändern, ſeine Dienſte und ſeine Arbeit

/

nad) eigener Wahl diefem obeť. jenem anzubieten, über bie Bedingungenň felbft coutrabiten zu können: das ume terícheidet den frenen Diener von dem Leibeigenen odeť Sklaven; bingegen nur cinem dienen zu dürfen und biee ſem dienen zu müſſen, 3u beſtändigen Z Dienſtleiſtungen ver⸗ bunden zu ſeyn und ſich denſelben nie entziehen zu kön⸗ cn: das iſt ber Charakter der Knechtſchaft, mag ſie auch noch fo ſehr unter ſchönen Worten verhüllet oder veľa ſchleyert werden. Ein freyer Menſch, der ſich ſeines beſ⸗ ſeren Fortkommens wegen, von einem Lande in das ate dere begiebt, alldort ſein Gewerbe treibt oder Dienſte nimmt, kann nicht mie cin Deſerteur betrachtet oder be⸗ handelt werden. Der leztere bat einen förmlichen Dienſt⸗ Vertrag, einen feyerlichen Eid gebrochen; gewöhnlich raubet er noch das Eigenthum ſeines Herrn, trägt Hand⸗ geld, Waffen, Kleidung u. ſ. w. mit ſich fort, und iſt mithin allerdings ein Verbrecher; der erſtere hingegen bat keine Pflichten verlezt, niemand bad Seinige genom⸗ men; es war kein natürliches Geſez, kein Verſprechen, welches ihm dieſe Veränderung ſeines Aufeuthaltes verbo⸗ ten hätte, und man kann alſo auch nicht befugt ſeyn, darauf hintenher eine Strafe zu ſezen. 26)

26) Wer liest ſie nicht mit Entſetzen die vielen Publicationen in oͤffentlichen Blaͤttern, wodurch junge Leute aus allen Staͤn⸗ den und Claſſen, wandernde Handwerksgeſellen, Kaufleute, Studirende, Reiſende, ſelbſt bereits angeſtellte Maͤnner, als

waͤren ſie Deſerteurs, unter ſchweren Straſſen gegen ſie und ibre Eltern, zur Zuruͤkkunft fuͤr ben Militaͤrdienſt aufgefor⸗ dert werden. Wo bat man ebmals ſolche Beyſpiele geſeben? Gegen die groͤßten Verbrecher pflegt man nicht ſo zu Werk zu gehen. Uber 'das alles verdanken tit den neuen philoſo⸗ phiſch genannten Staats⸗Principien. Geſchrieben Ao. 1812.)

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Weil ferner der Krieg ded Fürſten nur ſein eigener Krieg iſt: ſo ſoll er ihn in der Regel auch auf eigene Koſten führen. Das Vermögen oder das Eigenthum feiner Unterthanen darf er ſo wenig als ihren Körper zum Behuf ſeiner Kriege einſeitig und willkührlich in Beſchlag nehmen, denn das hieße ſie in ihren eigenen Rechten beleidigen und ſeine Freunde gleich mie ſeine Feinde behandeln. Auch ward jene natürliche Regel eh⸗ mals ſtrenge befolgt, und ſo weit das Vermögen reicht wird ſie noch heut zu Tage anerkannt; entgegengeſezte Maximen ſind ebenfalls nur mit den revolutionären Staats⸗ grundſäzen aufgekommen. Es iſt bekannt, wie in älteren Zeiten ſelbſt die größten Potentaten oft Domainen ver⸗ kaufen oder verpfänden, Negalien abtreten, Pflichten er⸗ laſſen (Freyheiten oder Privilegien ertheilen) mußten

u. ſ. w., blos um die Koſten zur Führung ihrer Kriege aufzubringen, und wie viele derſelben aus Mangel an pe⸗ kuniariſchen Hülfsmitteln unterlaſſen oder früher beendi⸗ get werden mußten. Damals waren auch dieſe Kriege den Volkern nicht fo verderblich als man wähnt; ſie wur⸗ ben (m Gegentheil oft für viele unterwürſige Herrſchaf⸗ ten und Gemeinden die Veranlaſſung zu höherer Macht und Freyheit; ohne gewaltſame Umſtürzung compenſirte ſich alles von ſelbſt; denn mad der cine verlohr obeť ab⸗ trat ſfiel natürlicher Weiſe dem andern zu, au der Ver⸗ armung von jenem gieng der Reichthum von dieſem her⸗ vor; die Schwächung oder Auflöſung eines Reichs war zugleich eine Schöpfung von mehreren neuen. Späterhin bey dem vermehrten Metallgeld, dem befeſtigten Credit und den ausgedehnteren Verbindungen, ſuchten die Für⸗ ſten die Mittel zur Kriegsführung durch beträchtliche in aller Welt eröffnete Geldanlehn aufzubringen, woraus

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auch die melften ſogenannten Staatš . oder vieľmeby KD. niglichen Schulden und mit ihnen neue Reichthums⸗Quel⸗ len für die Unterthanen entſtanden ſind. Noch in unſern Tagen, vor und während den erſten Jahren der franzö— fiſchen Revolution, wurden daher die Kriege von ben übri— gen Europäiſchen Souverains ohne Belaſtung der Unter⸗ thanen auf Fürſtliche Koſten geführt: in eigenem oder Freundesland wurde alles bezahlt, und man erinnert ſich noch des Entſezens, welches die erſten in Frankreich vor⸗ genommenen Requiſitionen veranlaßten. Erſt in der Folge, als theils durch die Verarmung Europens oder wegen dem durch falſche finanzielle Maßregeln verſcherzten Bu. trauen, die freywilligen Geld⸗Anlehen keine Aushülfe mehr verſchafften, bie Kriege aber dennoch beſtändig forte dauerten: fo fieng man an, bie Koſten bed Kriegs auch durch die Unterthanen bezahlen zu laſſen, die Armee⸗Be⸗ dürfniſſe durch Requiſitionen herbeyzuſchaffen, überhaupt das Privat-Eigenthum wie Staats- oder fürſtliches Cie genthum zu betrachten und zu dieſem End die Maximen aufzuſtellen oder zu benuzen, daß jeder Krieg cin Volks— Krieg ſey, im Namen bed Volks und für das Volk ge— führt werde, fo daß wir auch dieſe Unſicherheit alles Cp genthums, gleich wie den Verluſt der Privat⸗Freyheit, den revolutionären Staats⸗Principien verdanken.

Obſchon aber auf der einen Seite.die Rechtsregel gilt, daß die Fürſten ihre Kriege auf eigene Koſten führen ſol⸗ len: ſo iſt es auf der anderen nicht minder wahr, daß die Unterſtüzung der Fürſten von Seite ihrer Völker aller⸗ dings der Billigkeit angemeſſen und meiſtentheils auch den lezteren ſelbſt nüzlich it. Denn da die Intereſſen der unterthanen mit denen be Fürſten in mannigfaltiger Rük⸗

9T ſicht verbunden und beynahe unzertrennlich verflochten (nd, dadurch den Ueberfall des Landes und den Ruin des Fürſten auch ſie in Unglük verſezt, durch ſeine geſicherte Unabhängigkeit hingegen auch ſie gerettet werden; ſo iſt nichts natürlicher, als daß die Völker ihrem Fürſten auch beyſtehen, ihn zu Führung des Kriegs nicht nur mit Mannſchaft, ſondern auch mit andern Bedürfniſſen unter⸗ ftúzen. Dad Gefühl dieſer Billigkeit iſt auch fo allgemein, daß Kriegsſteuern meiſtentheils willig aufgenommen und gerne bezahlt werden, wofern der Krieg nur einigermaſſen nöthig oder ehrenvoll ſcheint, beſonders aber wenn ſich cin glüklicher Erfolg deſſelben hoffen läßt, und aus der⸗ zleichen Steuern oder AKÝ andern die zu Verzinſung oder Bezahlung von Kriegs⸗Schulden bewilligt wurden, find bekanntermaſſen nad und nad die meiſten Auflagen ent⸗ ſtanden. Natürliche Anhänglichkeit, eigenes Intereſſe und freywillige Verträge werden auch hier unendlich mehr leiſten als ungerechte Gewalt. Denn das Geld ſtrömt aus allen Caſſen und Winkeln hervor, wenn man den freyen Willen aufzureizen, die wahre Saite des menſchlichen Herzens zu treffen dem Trieb nach Ehre und Nuhm, nach Freyheit und ſelbſt nach wohlverſtandenem Intereſſe irgend einen Vortheil zu zeigen verſteht, 27 ba es ſich hingegen vor dem Zwang allenthalben verbirgt, ja gleich⸗ ſam verſchwindet, die Gewalt nirgends weniger als in Erpreſſungen nüzt und der Erfahrung zufolg immer nur langſame und kärgliche Reſultate bewirkt.

27) SBoju cín Maͤchtiger, beſonders cín Fuͤrſt (o viele Mittel in Haͤnden bat. Das find ſchlechte Financiers bie immer nur Auflagen und Auflagen vorzuſchreiben wiſſen. Geben die Menſchen ihren Koͤrper um Geld ber, warum nicht auch ihr

Beld um andere Vortheile?

Zweyter Vand.

9%

Wenn endlich die Fürſten für ihre Sade, mit ihren Leuten und auf ihre Koſten, Krieg im Großen führen: ſo üben ſie hierin kein anderes Recht aus, als maď im klei— nen jedem andern Nenſchen ebenfalls zukömmt, ja ſogar häufig ausgeübt wird, und ed zeugt von wenig Nachden⸗ fen oder geringem Scharffinn, wenn die bisherigen Staats⸗ lehrer behaupten, daß das Recht Krieg zu führen ein ausſchließliches Recht der Furſten ſey, fo daß es von der Souverainität unzertrennlich, in keinem Fall [von einem Untergebenen oder einem ſogenannten Privatmann ausgeübt werden dürfe. 2% So viel verſteht ſich freylich von ſelbſt, daß nur der Fürſt allein ſür ſein ganzes Gebiet Krieg beſchlieſſen kann, weil außer ihm kein einzelner weder das Recht noch die Mittel hat über die Dienſtleiſtungen aller Einwohner eines Landes zu gebieten, indem ſie nicht von ihm, ſondern nur von dem Fürſten abhäugig ſind. Die Könige ſelbſt führen ebenfalls nur Krieg mit ihren Leuten und nicht mit fremden. Eben ſo iſt es klar, daß auch die untergeordneten Magiſtraten, Genuerale, Statthalter u. ſ. w. nicht befugt ſeyn können, ohne Vorwiſſen und Einwilligung ihres Fürſten, in def. ſelben amen einen Krieg anzufangen, ſelbſt wenn cin hinreichender Grund dazu vorhanden wäre. Denn durch ein ſolches Unternehmen, beſonders gegen einen mädti. gen Feind, könnte nicht nur daš ganze Land in Gefahr und größeren Schaden kommen, ſondern wenn auch dem Fürſten ſelbſt eine Beleidigung zugefügt worden iſt: ſo ſteht es allein an ihm zu entſcheiden, ob er dieſelbe auch

a48) Grotius Bat bereits dieſe Frage unterſucht und, bey vieler Zuruͤkhaltung, das Kriegsrecht der Privat-Perſonen doch nicht ganz zu laͤugnen gewagt. de jure b, 3. P. L J ©. 3. $, 3. segg.

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wirklich rächen wolle obeť nicht, ob nicht andere Mittel zu ſeinem Recht zwekmäßiger ſeyen u. ſ. w. Seinem Urtheil, ſeinem Willen hierin vorzugreifen hieße ihn of⸗ fenbar in ſeinem Rechte beleidigen, obgleich die Umſtände bisweilen ſo dringend ſeyn können, daß keine Zeit zur Berathſchlagung übrig bleibt und der Wille des Fürſten, wenigſtens zu vorläufigem Widerſtand, ſich allerdings präſumiren läßt. 25) Mit Recht wurden alſo Cneius Manlius 30) und Julius Cäſar 3] angeklagt, daß ſie ohne Vorwiſſen ded Römiſchen Senats jener ben Gallo—⸗ Griechen, dieſer den Deutſchen den Krieg angekündigt hätten, fo mie die Römer die Auslieferung ded. Hannibal forbertén, meil ce während dem beftebenden Frieden Sagunt belagert babe. 32) Allein das mird auch gar nicht Deftritten: fondern es frágt ſich nur, ob nicht auch cin Privatmann oder mehrere zuſammen, für ihre Sache, ſo weit ihr Gebiet oder ihr Bermôgen reicht, berechtiget ſeyn kön⸗ nen, gegen innere oder äußere Feinde für ſich Krieg zu

29) Dag iſt eigentlich ein Notbfall, d. b. cin ſolcher mo die Anwendung der gewoͤhnlichen Regel entweder nicht Noͤglich iſt oder zwekwidrig waͤre. S. Boehmer jus publ. univ. P- 313. 314. Note 1. audy Crotius j. b. er p. L. I. c. 5. $. 5. und Gronovius welche die conjectura voluntatis in dringendem Notbfall zu Abtreibung wirklicher lúčia

zugeben. 30) Liv. L. XXXVIII. c. 45. segg. ſ. Grotius l, e. st) Bell, Call. L. IV. c. 11. 8egg. V

32) Auch im Šabr 1797 wurde der damalige Beneral Buonaparte in ben gefezgebenden Nátben von Frankreich angeklagt, daß er cigenmächtia ben Venetianern den Krieg ertlárt babe, und obne bie Revolution vom a4ten Sept. 1797 (18 Fruca tidor) wuͤrde diefe Auklage vielleicht Folgen gehabt baben,

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Führen, d. h. Gewalt mit Gewalt abzutreiben: und ſo beſtimmt kann die Šrage nad) Vernunft und Erfahrung im Allgemeinen unmöglich geläugnet werden. Krieg iſt nichts anders als Selbſthülfe, Widerſtand gegen erlittene oder beſorgte Beleidigungen; die Art der Waffen und die Menge ber Hülſteiſtenden macht nicht den Krieg gus, ſon⸗ dern die Meſſung der. Kräfte, der Kampf su Behauptung ſeines eigenen Rechts. Solchen Krieg führt man fren- lich nicht gegen Obere oder Mächtigere, weil man nicht kann, nicht gegen Untergebene oder Schwächere, meil man es nicht nöthig hat, ſondern (wie die Fürſten) gegen ſeines gľeiddeny und cd iſt wohl kein Menſch der nicht in ſeinem Leben mehrere mal Krieg geführt habe, bald mit dieſen bald mit jenen Waffen, bald allein und bald mit Hülfe von andern; hier mie in allen anderen Núť. ſichten, iſt zwiſchen den Fürſten und den Privat⸗Perſonen kein anderer Unterſchied als der zwiſchen dem Großen und dem Kleinen. Wir wollen nicht wiederholen was oben von der Selbſthülfe oder dem natürlichen Recht des Widerſtands überhaupt ausführlich gezeigt worden iſt: 33) daß es in gerechten Sachen nach Vernunft und Erfah⸗ rung, nach göttlichen und menſchlichen Geſezen jedermann zukomme, und in ſeiner Ausübung nur durch das Maas der Kräfte beſchränkt, durch Menſchlichkeit und Klugheit temperirt werde: (gerade wie diefes bey bem Kriegs⸗Recht des Fürſten auch der Fall iſt) die dort angeführten Gründe und Beweiſe gelten auch hier: denn was iſt jeder Wider⸗ ſtand gegen thätliche Gewalt oder jede mit Widerſtand kämpfende Selbſthülfe anders als ein kleiner Krieg? Sollte man aber dergleichen Kämpfe nicht für Kriege halten wol⸗—

33) T. I. ©. 414 425-

£01

len, meil ba die Feinde nicht in großen Maſſen getúdet: werden, oder es nicht zum Feſtungs⸗Belagern und Län— der⸗Eroberen kömmt: (o bat man auch Beyſpiele genug von: Privat⸗Kriegen in größerem Maaßſtabe. Die ganze Be. ſchichte iſt voll von Beweiſen, daß abhängige Städte und Communen, auch einzelne Vaſallen und geringere Edel—⸗ leute, ſelbſt Aebte und Biſchöffe, dem Verhältniß gegen ihren Oberherren unbeſchadet, für ihre eigene Sache, mit eigenen oder geworbenen Truppen, förmliche Kriege führten, nicht etwa nur in anarchiſchen Zeiten während dem ſogenannten Fauſtrecht, ſondern auch in geordneten uno gebildeten Staaten, 39 nicht in Folge eines königli⸗ chen Privilegii oder als Ausnahme von der allgemeinen

34) Man leſe nur Muͤllers Schweizer⸗Geſchichte, ſo wird man die zahlloſen Beweiſe davon auf jeder Seite finden. Nicht etwa nur ven Seite ber verbúndeten in der Folge frey⸗

gewordenen Staͤdte und Laͤnder, fondern auch von anderen die ſonſt treu und feſt an dem Verband mit ibren Fuͤrſten hiengen. Freyburg, das noch fo lang Oefſtreichiſch blieb, wie viel Kriege fuͤhrte es nicht bald mit bald gegen andere Herren und Staͤdte? Im sten Zuͤrcher⸗Krieg (1443) ſchikten ſelbſt gemeine Krieger und Edelleute aus Schwaben und. Helvetien denen von Schwyz Abſagbriefe. v. Müller IF. 660, uUnd das waren bod Zeiten von mádtigen Kavfern. Auch nad Sismondi Hist. des republ. d'Italie I. 403. war das

la législation- étoit fondée sur le droit ďe defense naturelle et sur celni de se faire justice à s0i méme etc. Sein ganzes Werk iſt ja nichts anders alé eine ermúdente Auf—⸗ zaͤhlung von Kriegen und Schlachten zwiſchen einze lnen Stͤdten der Gemeinden, Grafen, Markgrafen, Praͤlaten und gerín: geren Edelleuten, welche die Souverainitaͤt weder beſaßen neb praͤtendirten. Und dieſe Kriege wurden von den Kanjcky:

Recht Krieg zu fuͤhren allen Privat-Perſonen erlaubt. Tdute

102

,

Regel, ſondern in Folge eines natürlichen, von niemand beſtrittenen, ſelbſt von dem Fürſten anerkannten Rechts, 35) ſo daß gerade die Verzichtleiſtung auf dieſes Befugniß ſich niemals von ſelbſt verſtand, ſondern in beſonderen Ver⸗ trägen förmlich ausgedrukt werden mußte, und auch da noch bie Fälle von dringender Gefahr und abgenöthigter Vertheidigung immerhin vorbehalten arén. 35) Seit der befeſtigten Ruhe, den entſtandenen größeren Staaten⸗ Maſſen, beſonders aber ſeit den faſt überall verlegten ſte— henden Truppen, ſind zwar dieſe Privat⸗Kriege weniger nöthig mithin auch ſeltener geworden, 37 aber dennoch

und Koͤnigen ſelbſt gar nicht als Rebellionen, ſondern als rechtmaͤßige Handlungen erlaubter Selrrertheidiguns angeſe⸗ hen. ibid.

$6) Einige lieſſen ſich freylich dafuͤr zum ueberfluß noch Kapſerl.

Divlome ertheilen. Allein daraus kann nicht geſchloſſen wer⸗

den, daß es ſonſt nicht haͤtte ausgeuͤbt werden duͤrfen. Wie

oft verlangt man nicht von Maͤchtigeren Bewilligung fuͤr an

und fuͤr ſich ganz erlaubte Handlungen, blos aus Klugbeit

um hintenher allfaͤllige Schwierigkeiten und Einſprachen zu

vermeiden, und in der Ausuͤbung ſeines Befugniſſes deſto tubiger zu ſeyn.

36) Dergleichen Vertraͤge giebt es, jedoch ſelten, und dann iſt die Verzichtleiſtung auf das vorige Recht blos als eine ein⸗ zelne Servitut zu betrachten, die foͤrmlich bewieſen ſeyn muß. In den Capitulationen der Argauiſchen Staͤdte Zofingen, Aarau und Brugg mit Bern (1415) verſprachen die erſtern: „obne „Bewilligung von Bern keinen Krieg fuͤr (id ſelbſt anzu⸗ „faugen, Nothwebhr gegen ſchnelle Gefabr vorbehalten.“ Muͤller Schw. Geſch. III. 52 u. 57. Mitbín beſaſſen ſie vorher jenes Recht unbedingt, und doch waren ſie nicht ein⸗ mal unmittelbare Reichsſtaͤdte, ſondern oͤſtreichiſche Provin⸗ zial⸗Staͤdte.

57) Ob bie Freyheit oder die wahre Gerechtigkeit dabey gewonnen

t03

nicht ohne Beyſpiel. So läßt es ſich unter anderem gar wohl denken, daß cin Fürſt die ſogenannten Duelle, welche nichts anders als ein feyerlich angeſagter Krieg unter Priv at⸗Perſonen find, geſtatte oder ſich um dieſelben, ſo lang keine Klage entſteht, gar nicht bekümmere, weil ſie ſeinen Rechten und Intereſſen fremde ſind; und wenn er ſie verbietet, ſo kann er ſolches nur aus dem Grunde thun, weil er entweder den Frieden in ſeinem Lande ge⸗ handhabet wiſſen will oder die Mißbräuche zu verhüten fucht, welche von dergleichen allzuhäufigen, unbeſchränkten VPrivat⸗Kriegen entſtehen könnten, in welchem Fall ſeine Vindikation gegen den muthwilligen Urheber und Beleidi— ger nicht ein Verbott der Duelle ſelbſt, ſondern lediglich eine dem unterdrükten Schwächeren geleiſtete Hülfe iſt. Wir wollen zwar dieſe Privat⸗Kriege und ihre Mißbräuche

habe, moͤchte ich ſehr bezweifeln. Die Idee des Geſezes war lebendiger, der Bewegarund zu ſeiner Beobachtung dringen⸗ der, wenn man uͤberall ſeine Handhabung ſah. Auch der Raͤchtige bedenkt ſich zweymal, wenn ex von Seiten des Be⸗ leidigten ploͤzlichen Widerſtand und Strafe beſorgen muß. Italien mar nie bluͤhender und reicher als im 14ten u. 15ten Jahrhundert waͤbrend den vielen kleinen Kriegen. Akerbau, Handel, Kuͤnſte, Wiſſenſchaften, alles ſtand im boͤchſten Flor, Denn dieſe Kriege daurten nicht beſtaͤndig, cd war auch manchmal Friede; ſie uͤbten nur die Kraͤfte und ſtaͤrkten das Selbſtgefuͤhl, dieſe Quelle aller großgen Dinge. Auch wurden ſie unter benachbarten noch mit ziemlicher Schonung gefuͤhrt, und ſelten oder nie endigten ſie mit Zerſtͤrung der einen Partey, ſondern meiſtentheils mit Herſtellung der Gerechtig⸗ keit, mit einem wahren Frieden. Was helfen dagegen unſere hangwierigen, ekelbaften, am Ende gewoͤhnlich zu nichts fuͤhrenden Prozeſſe und Schreibereyen, zu deren Vermeidung tie meiſten lieber Unrecht dulden und welche fuͤr den Mádtia 9e wabrlich eine ſchwache Zuruͤkbhaltung ſind?

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keineswegs empfehlen; allein fo ſehr auch unſere neuen Philoſophen gegen dieſelben überhaupt deklamiren und ſolche ſogar für Mordthaten ausgeben wollen: 38) fo ſagt hingegen die Natur der Sade und bad allgemeine Ge— fühl, dať fit an und für ſich nicht unrechtmäßig find, fa vielleicht mehr als man glaubt zur wahren Gerechtigkeit, zur wechſelſeitigen Erfüllung ſchuldiger Pflichten bey⸗ tragen; zumal da es eine Menge von Beleidigungen giebt, wider die ſchlechterdings kein fremder Richter helfen kann noch helfen würde. 39) Mud find die Duelle be. kanntermaſſen nur wegen entſtandenen Mißbräuchen ver— bothen worden: und wie tief ſie in der menſchlichen Natur

38) Alldieweil ſie gegen wirkliche Mordthaten, z. B. den Kinder⸗ mord, ſehr nachſichtig ſind. Man ſiebt dieſen verkehrten Geiſt ſogar in mehreren neueren Criminal-Geſezbuͤchern.

39) Wenn jemand z. B. einen Offizier oder jeden anderen Ehren⸗ mann eine feige Memme, einen niedertraͤchtigen Menſchen u. ſ. to. ſchilt, fo kann ihm dawider kein Richter helfen, et muß ſich ſelbſt belfen, d. b. bas Gegentbeil des Vorwurfs beweiſen, und an wem eher als an dem ungerechten Injurian⸗ ten? Hinwieder wenn jemand einen rechtſchaffenen, in Amt und Ebre ſtehenden, Gelehrten boshaft und unbegruͤndet als einen Dummkopf, einen Ignoranten, Luͤgher oder Betruͤger darzuſtellen ſucht: ſo kann ihm dawider ebenfalls kein Richter delfen, denn dieſer vermoͤchte der Welt den Glauben nicht zu benebmen; der Injurirte muß ſich ſelbſt belfen, ſeine Ueberlegenheit bed Geiſtes beweiſen, ben anmaſſenden Sophiſt demuͤthigen, ihn dem Spott und der Verachtung b er Welt preis geben, es gleichſam auf das Experiment ankommen laſ⸗ ſen, welchem von beyden ſie mehr glauben, wen ſie mehr hochachten werde. Die nemliche Bewandniß bat es faſt mit allen Angriffen perſoͤnlicher Ehre und es iſt: ſogar grauſam⸗ ben beleidigten Rechtſchaffenen ſolche Selbſthuͤlfe verbieten zu wollen.

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liegen, zeigt ſich unter anderem auch dadurch, daß fie al. ler Verbote und Strafen ungeachtet, ſchlechterdings nicht gehindert, nicht zerſtört werden können, daß die Urheber ſolcher Geſeze ſie ſelbſt übertreten und ihre Uebertretung pon anderen nicht ungern ſehen, daß ſie von allen Úbri. gen Menſchen eher für eine Ehre als für eine Schande be⸗ trachtet werden, und dať endlich die Duelle gewiſſermaſ⸗ ſen allgemein ſind; denn es iſt gar nicht richtig, daß ſie nur unter gewiſſen Claſſen herrſchten, aus Standed. Vorurtheil entſprungen wären u. f. w. Alle Stände, Alter und Geſchlechter haben ihre Art von Zweykämpfen oder Privat. Kriegen, nur daß ſie jeder mit ben Waffen führt die er hat oder zu führen gewohnt iſt, und daß ſie nicht immer mit Solennitäten und conventionellen Förmlich⸗ keiten begleitet ſind, nicht immer ihre Zeugen und Kampf⸗ richter haben. Weiter iſt noch heut zu Tag, die eigentli⸗ che Nothwehr ungerechnet, in allen Fällen wo der fremde Richter überflüſſig, oder wo er zu entfernt iſt und nicht helfen kann, wie z. B. an abgelegenen Orten, in Wüſte⸗ neyen, auf dem Meere u. ſ. w. oder wo die Gegenpartey denſelben nicht anerkennt, wie z. B. während bürgerli⸗ chen Entzweyungen, der Krieg, d. h. die Anwendung der Gewalt zur Vertheidigung ſeiner Rechte allgemein erlaubt und üblich. Mon Caravanen⸗Häuptern und Schiffs⸗Capi⸗ tainen wird er gegen aufſtoſſende Feinde unwiderſprochen ausgeübt, und niemand hält ſie für Land-oder Seeräuber, ſobald ſie nicht zuerſt beleidigen, ſondern nur erlittene oder gedrohte Beleidigungen abtreiben und ſtrafen. Auch ſogar ge⸗ gen auswärtige Feinde kann jeder Privatmann ſo viel an ihm Krieg führen, ſobald er einen rechtmäßigen Grund dazu hat und die Umſtände dieſen Kampf möglich machen. Der Fürſt unter welchem er lebt, kann ihm dieſen Krieg ge.

106 ſtatten odev verbieten, lezteres aber rechtmäßiger Weiſe nur dann, wenn er von dergleichen Unternehmungen Ge⸗ fahr für ſich ſelbſt beſorgt oder wirklichen Schaden leidet. In ſolchem Fall gehorchet der Unterthan und leiſtet Ver⸗ zicht auf die Ausübung ſeines Rechts, nicht aus Pflicht gegen den äußern Feind, ſondern aus Pflicht oder wenig⸗ ſtens aus Klugheit gegen ſeinen eigenen Herren, von wel⸗ chem er ſonſi viel größeren Schaden befürchten müßte. Jene Gefahr iſt aber nicht vorhanden, und das Kriegsrecht der Privat⸗Perſonen gegen auswaͤrtige Feinde kann unbedenk⸗ lich geſtattet werden, ſobald der Fürſt ſelbſt ſich mit der nemlichen Macht im Krieg befindet, oder ihm dieſer Kampf wegen Local⸗ und anderen Verhältniſſen ohnehin gleich⸗ gültig ſeyn kann. So führten im 16ten Jahrhundert bie ſchweizeriſchen ſogenannten Anſprecher, d. b. zer⸗ ſtreute vormalige Kriegsdiener, wegen verſprochenem aber nach beendigtem Krieg nicht bezahltem Sold, einen förmli⸗ chen Krieg gegen Ludwig XII. König von Frankreich, an welchem ihre Obrigkeiten, die herrſchenden Städte und Länder keinen Theil nahmen, ibn ſogar ungern ſahen, aber zu ſeiner Hinderung weder die Macht beſaſſen noch das Befugniß zu haben glaubten. +0) So bat noh im Jahr 1760 ein Kaufmann Roux von Marſeille, dem König von England den Krieg erklärt und ihm ſogar ein Mani⸗ feſt zugeſchikt, welches der König von Frankreich um ſo weniger hinderte, da damals beyde Kronen ohnehin mit einander im Krieg begriffen waren. So führte unlängſt Miranda, obgleich von den Engländern unterſtüzt, auf ſeine eigene Rechnung, gegen die Spanier in Süd⸗Amerika

40) S. Fudi$ Maylaͤnd. Feldzuͤge der Schweizer 1810. T. I. Hauptſt. VII.

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Krieg. So find auch alle Corſaren auf dem Meer und ale Freybeuter ouf dem feften Rand, als dergleichen Privat⸗Kriege gegen auswärtige Feinde zu betrachten. Ihre Rechtmäßigkeit kann nicht wohl bezweifelt werden, wenn die Corſaren u. ſ. w. entweder ſelbſt beleidiget wor⸗ ben find, oder ihrem beleidigten und kriegführenden Für⸗ ſten Hülfe leiſten, oder gar von demſelben durch offenes Patent als ſeine Bundesgenoſſen anerkannt werden, wo⸗⸗ bey aber freylich der Krieg nur gegen den eigentlichen Feind oder ſeine bewaffneten Hülfsvolker, nicht gegen ruhige Unterthanen, friedliche Reiſende oder Handels⸗ leute geführt werden ſollte. Ein ähnliches merkwürdiges und zur Beſtätigung jener Grundſäze ſehr lehrreiches Bey⸗ ſpiel, war in unſeren Tagen der Krieg der franzöſi— ſchen Emigrirten gegen ihre Feinde, die in Frankreich herrſchenden Revolutions⸗ßRegierungen; ein Krieg, den (ie von fremden Bándern aus bald in geordneten Truppen mit offener Gewalt, bald durch geheime, aber deßwegen nicht minder wirkſame, Feindſeligkeiten mit Reden, Schriſten, Correſpondenzen, Kundſchaften, erregten Inſurrektionen A. ſ. w. auf alle mögliche Art zu führen ſuchten. Ihnen war nichts vorzuwerfen, ſie waren die kriegführende be. leidigte Partey, keine Rebellen, ſondern rechtliche Feinde, theils für ſich ſelbſt, theils als treue Bundsgenoſſen ihres Königs; man ſchadete ihnen auf jede Weiſe, warum hätten ſie nicht hinwieder ſchaden dürfen? Auch ſaͤh man, daß diejenigen Fürſten, welche entweder ſelbſt mit der franzöſiſchen Revolutions⸗Republik im Krieg begriffen waren, oder denen, ihrer Lage wegen, die ganze Sache gleichgültig ſeyn konnte, dieſem Krieg ruhig zuſahen, ihn nicht nur für gerecht, ſondern auch für nüzlich hielten. Die ſchwächeren hingegen, die wegen nachbarlichen Local⸗

408 Verhältniſſen oder geſchloſſenen Friedens-Verträgen, von dergleichen Unternehmungen augenſcheinliche Gefahr für ſich ſelbſt beſorgen mußten, von denen die Verhinderung dieſer Feindſeligkeiten als Bedingung ded Friedens ge. fordert wurde, konnten den Privat⸗Krieg der Ausgewan⸗ derten allerdings verbieten, nicht weil ſie ihn an und für fich für unrechtmäßig hielten, ſondern meil er ihren eige⸗ nen Rechten nachtheilig wurde; und dieſem Verbot waren die Ausgewanderten zu gehorchen ſchuldig, nicht aus Pflicht gegen ihren Feind, ſondern aus Pflicht gegen den Ter⸗ ritorial⸗Herren, von welchem ſie die Hoſpitalität genoſſen und der ſie ihnen entweder verweigern oder ein ruhiges ihm unſchädliches Verhalten zur Bedingung machen konnte. »h Endlich iſt es in Kriegen oft auch der Fall, daß ein Fürſt ſeine Unterthanen gegen äußere durchziehende und plün⸗ dernde Truppen aus Nangel an Macht nicht ſchüzen kann oder aus Furcht vor größeren Uebeln und aͤnderen Neben⸗ Intereſſen nicht ſchüzen will, und alsdann iſt ex. nicht be. fugt denſelben zur unmittelbaren Vertheidigung ihrer Perſo⸗ nen und ihres Eigenthums, das Recht der Selbſthülfe abzuſprechen oder ihnen ſogar dieſelbe unter ſchweren Strafen zu verbieten: wie es in dem franzöſiſchen Revo⸗ lutions⸗Krieg von einigen deutſchen Reichs⸗-Fürſten ge⸗ ſchehen iſt. Wohl kann er ſie warnen, d. h. ihnen die Regel der Klugheit zu Gemüth führen, ſich nicht gegen entſchiedene Uebermacht in einen ungleichen Kampf ein⸗ 41) Ob es víngegen cine fluge Handlung geweſen, diefen“ arieg der Emigrirten zu binderen oder ibnen ſogar die Hoſpitalitaͤt zu verweigeren, ob ſelbſt bie Schwaͤcheren damit ihren Zwel erre ichten, iſt eine ganz andere Frage, die ich meines Letá im Allgemeinen verneinend beantworten muß.

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zulaſſen, welcher vielleicht noch größere Uebel herbey⸗

ziehen würde; er kann dieſer Warnung ſogar durch Ent⸗ ziehung gewiſſer von ſeiner Willkühr abhängenden Vor⸗ theile, einigen Nachdruk geben; aber den ſchuzlos gelaſſe⸗ nen Menſchen noch das Recht der Nothwehr gegen Mord, Raub und Mißhandlungen zum Verbrechen machen zu wol len: iſt eine Grauſamkeit, von der man, außer in den neue⸗ ſten Zeiten, kein Beyſpiel geſehen und die zum Theil ihren Grund ebenfalls in den Sophismen der revolutionären Staatslehre hat, ſo wie ſie auch nur zur Begünſtigung ihres Triumphes empfohlen und ausgeübt worden iſt. +2)

Die nemliche Bewandniß wie mit der Kriegführung überhaupt, hat es auch mit dem Recht Truppen oder bewaffnete Diener zu halten, Waffen-Vorräthe oder ſogenannte Zeughäuſer zu beſizen, Feſtungen anzulegen, 4. B. ſeine Wohnung mit Schanzen oder Gräben zu umgeben, und mit allen andern Mitteln der Vertheidigung. Gleichwie die Fürſten dieſe Befugniſſe nach eigenen Rechten, in Folge ihrer natürlichen Freyheit und zu ihrer Selbſt-Erhaltung ausüben: fo find ſie auch ben ihnen nicht ausſchlieſſend. Der Grund warum Private Perſonen dergleichen Sicherheits⸗Mittel entweder gar nicht

42) S. hieruͤber die 8 T. I. 391 ff. Die deut⸗

ſchen Jakobiner erhoben ein entſezliches Geſchrey, wenn man in Deutſchland das Volk bewaffnete um es den Franzoſen entgegen zu ſtellen, oder wenn die Einwohner ſich irgend⸗ wo ſelbſt vertheidigten. Dagegen prieſen ſie es himmelboch, wenn man in Frankreich mit Kartaͤtſchen und Guillotinen das ganze Volk zwang in Maſſa aufzuſtehen, um den Ufur⸗ patoren zu helfen und Deutſchland zu verheeren und um⸗ zuſtuͤrzen.

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oder nicht in fo bobem Grade befizen, liegt nidt darin, daß ſie in dem vorgeblich bürgerlichen Vertrag darauf Verzicht geleiſtet hätten, oder daß es mit der Eigenſchaft eines Unterthans unverträglich wäre, (denn beydes iſt falſch) ſondern darin, daß ſie zu dergleichen Anſtalten und Unternehmungen entweder nicht reich genug ſind, oder daß ſie derſelben gar nicht bedürfen, weil ſie von ihren friedlichen Nebenmenſchen nichts zu beſorgen haben, und jene Anſtalten gegen den ungleich mächtigeren Landesherrn doch nicht hinreichen würden. Inzwiſchen ſind ſie von der Souverainität nicht unzertrennlich und in geringerem Maaße auch bey Privat⸗Perſonen wirklich vorhanden. Denn was ſind Truppen anders als bewaffnete Diener? Haben begüterte Individuen und Gemeinden nicht ihre bewaffneten Jäger, Forſtbeamte, Flurſchüzen, Polizeydiener, Dorf⸗, Stadt und Schloßwächter, die bisweilen ſogar in kleine reguläre Corps eingetheilt ſind? Darf man ja ſelbſt unverſtändige Thiere zu ſeiner Bewa⸗ chung und Vertheidigung halten, warum nicht auch Men⸗ ſchen von denen doch weniger Mißbrauch zu beſorgen iſt? Aber auch in größerem Umfang iſt die Truppenhaltung von Seiten begüterter Privat⸗Herren nicht ohne Beyſpiel. So waren z. B. die deutſchen Fürſten, Grafen, Biſchöffe, Aebte u. ſ. w. ehmals keine Souverains, ſondern nur große Beamte und Vaſallen des deutſchen Königs, und doch konnten ſie nach Belieben ſo viele Truppen oder Solda⸗ ten halten al ſie deren zu bezahlen vermochten. Unter den polniſchen Magnaten, obgleich ſie unter einem König lebten, gab es ſolche die mehrere tauſend Mann ſtehender Truppen beſoldeten, unter den Hungariſchen Großen thun dieß einige in geringerem Grade noch jezt, und in allen andern Ländern wird man gewiß bey großen und reichen

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Herren aͤhnliche Beyſpiele von Leibwachen und kleinen Garniſonen finden. Eben fo werden auch in Friedens⸗ zeiten niemand die Waffen gezählt oder weggenommen, die er bey ſich im Hauſe hat; ja es würde ſogar ſchwer zu beſtimmen ſeyn mad eine Waffe fen, da die Men⸗ ſchen faſt alle Dinge deren ſie zu ihrer Exiſtenz bedür⸗ fen, auch in Waffen zu ihrem Dienſt verwandeln oder als ſolche gebrauchen können. Von Meſſern, Degen, Schwerd⸗ tern und Spießen, Bogen, Pfeilen u. ſ. w. nur nicht zu reden: ſo giebt es z. B. Liebhaber der Jagd, die eine ziemliche Anzahl von Feuer⸗Gewehren aller Art beſizen, und niemand findet daß ſie dadurch cin Souverainitäts⸗ Recht uſurpiren, oder daß dazu cine beſondere Bewil⸗ ligung des Staats-Oberhaupts erfordert werde. Dieſe Waffen nebſt Zubehör müſſen irgendwo aufbewahret werden, und ein ſolcher Aufbewahrungs⸗Ort heißt im kleinen eine Waffenkammer, Rüſtkammer, im großen aber, beſonders wenn eigene Gebäude dafür vorhanden (nd, ein Arſenal oder Zeughaus; mo iſt aber bie Gränze zwiſchen dieſem und fenem? ie würde mon auch Privat⸗ Waffen⸗ Fabrikanten und Büchſenſchmiede dulden, wenn es nicht erlaubt wäre einen Vorrath an Waffen zu halten oder die Partie kularen dergleichen nicht beſizen dürften? Ueberhaupt feat es ſchon einen hohen Grad von Mißtrauen (welches durch beſondere Handlungen gerechtfertiget ſeyn muß) oder einen bereits entſtandenen inneren Krieg voraus, wenn ein Fürſt ſeine Unterthanen wehrlos zu machen ſucht, ja im vollen und ausgedehnten Sinn iſt dieſes nicht einmal möglich. Selbſt fremde Sieger, welche bed) bdie Einwohner ded überwundenen Landes mehr oder weniger als ihre Feinde oder als Gehülfen ihrer Feinde betrachten können, pfle⸗

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gen fit nicht immer zu entwaffnen, ſondern nur auf ganz beſondere Veranlaſſungen, entweder aus Noth um ſich ſelbſt mehr Waffen zu verſchaffen, oder bey fortgeſezten und ferner befürchteten Feindſeligkeiten als Maßregel zu ih— rer eigenen Sicherheit. Wie viel weniger wird ſich der natürliche Fürſt ſolche Maßregeln erlauben, der mit fee nen Unterthanen nicht in feindlichen, ſondern in fried⸗ lichen Verhältniſſen lebt, in ihnen lauter Freunde und Anhänger, gewiſſermaßen ſeine eigenen Truppen ſieht, und mithin ihre Kräfte nicht zu ſchwächen nöthig hat, ſondern eher noch ſelbſt Waffen austheilt, als deren zu entziehen gedenkt. Was endlich die ſogenannten Feſt un⸗ gen betrifft, ſo fragen wir erſtlich: was iſt eine Feſtung anders als eine künſtliche Verſicherung, wodurch man dem fremden Angriff nicht nur menſchliche Gewalt, ſon⸗ veru die Kräfte ber Natur entgegenſezt? Iſt es etwa den Privat⸗Perſonen verboten Schloß und Riegel an ihre Thüren zu legen, ihre Fenſter mit eiſernen Gittern zu befeſtigen, Aeker, Gärten und Weinberge mit Zäunen, Mauren 24) und Palliſaden zu umgeben, kleine Gräben zu ziehen, Erdwälle oder Terraſſen aufzuführen, die theils zum Veranúgen , theils zur Vertheidigung dienen können, feuerfeſte Keller und Gewölber zu erbauen, in die man ſich zur Noth verbergen kann u. ſ. w. Man wird mir vielleicht einwenden, das ſeyen nur kleine Verſiche— rungen gegen Privat-Gewalt, nicht wirkliche Befe ſt i⸗ gungen, wie dann unſere heutige Wiſſenſchaft überhaupt mehr in Worten als in Sachen beſteht, und man der

Wahrheit ſtets mit Wortgezänke zu entgehen ſucht. AlIl.

44) in welche oft ſogar Glasſcherben angebracht find, um bie Ue⸗ berſteigung zu erſchweren.

443

Tein wo bôvt die kleine Verſicherung auf, mo fángt bie. Vefeftigung an? if dieſes je durch Geſeze beſtimmt wor⸗ den und ſieht man nicht auch hier einen unmerklichen Fortgang vom kleinen zum großen? Die höheren Befe⸗ ſtigungen ſind den meiſten Partikularen zu koſtbar oder unnüz, und doch beweiſen die Menge der noch jezt vor⸗ handenen, mit Mauren, Gräben und Schanzen förmlich befeſtigten Schlöſſer und Provinzial⸗ Städte, daß auch abhängigen Individuen und Gemeinden die Fortiſikation ihres Gebiets erlaubt ſeyn kann, ohne daß ſie deßwegen die Souverainität prätendirten oder die Pflichten gegen ihren Landesherren weniger treu erfüllten.

Allerdings iſt es hingegen richtig und ſteht mit dieſen Grundſäzen in keinem Widerſpruch, daß wenn in ruhigen Zeiten, irgend ein mächtiger Unterthan, ohne bekannte Veranlaſſung, zahlreiche Corps von bewaffneten Die⸗ nern errichten, außerordentliche Waffen⸗ und Munitions⸗ Vorräthe ſammeln oder bedeutende ungewöhnliche Feſtun⸗ gen anlegen wollte: der Landes⸗Fürſt, aus Sorge für ſeine eigene Sicherheit, ihm nach vorher verlang⸗ ter Auskunft, dieſe Rüſtungen unterſagen oder ihre Ein⸗ ſtellung fordern und auf allfällige Weigerung ſolche ſogar erzwingen kann, nicht meil jene Sicherheits- odber Ver⸗ theidigungs - Mitteľ allgemein verboten wären, ſondern weil davon ein ungerechter Gebrauch vermuthet wird. Denn dergleichen, alles gewöhnliche Maas überſchreitende Rü⸗ ſtungen find offenbare Indizien von feindſeligen Abſich⸗ ten, es ſey gegen die übrigen Unterthanen oder gegen den Fürſten ſelbſt, über welche man ſogar von benachbar⸗ ten oder fremden Fürſten, deren Recht doch nicht beſtrit⸗ ten wird, bisweilen Auskunft verlangt: wie vielmehr von

Zweyter Mud. H

"14" einem Privatmann der Ňe weniger norhig bat. Wollte der Unterthan hierüber keine befriedigende Erklärung ge⸗ ben, ſondern ſich blos auf ſein Recht berufen und z. B. behaupten, daß andere Perſonen dergleichen Vertheidi⸗ gungs⸗Mittel ebenfalls beſizen, daß das Maas derſelben nirgends beſtimmt fen u. ſ. w.,, fo kann ihm der Fürſt das alles überhaupt wohl zugeben, aber ihm hinwieder lediglich ſein eigenes Recht entgegenſezen, kraft tel. chem er nicht nur Feindſeligkeiten abzutreiben, ſondern denſelben auch zuvorzukommen befugt iſt. In dieſer Col⸗ liſion nun giebt der Schwächere nad, er cedirt von (cie nem Recht, wählt unter zwey Uebeln das geringere, und ſchließt gleichſam einen ſtillſchweigenden Šriedené » Ber. tťag , um einen Krieg zu vermeiden ben er bod) nicht beſtehen könnte. Solche Nachgiebigkeit findet zu Beybehaltung des Friedens oft auch unter Fürſten ſtatt; was aber zwiſchen ihnen ein Vertrag genennt wird, das pflegt man von Seiten eines Schwächeren oder Un⸗ tergebenen Gehorſam zu heiſſen: allein in beyden Fällen iſt die Sade die nemliche; und niemals kann daraus ge⸗ ſchloſſen werden, daß es überhaupt und im allgemeinen verboten ſey, Diener zu bewaffnen, Waffen⸗Vorräthe zu halten oder ſein Eigenthum künſtlich zu befeſtigen, indem nicht ber Gebrauch, ſondern nur der NRißbrauch bed Befug⸗ niſſes, d. b. nicht die gerechte, ſondern nur die unge⸗ rechte Anwendung der Freyheit unterſagt oder verhin⸗ dert wird.

119

Neun und zwanzigſtes Capitel.

Fortſezung.

M Frudens⸗ Scluͤſſe, Vertraͤge, Buͤndniſſe, Geſandtſchaften.

Í. Das Recht daju berubt auf der allgemeinen Freybeit. Die Vertraͤge des Fuͤrſten betreffen nur ſeine eigene Sade und cr ſtipulirt auch nut uͤber dieſe.

II. Auch die Geſandten werden nur fuͤr die eigenen Rechte und Intereſſen der Fuͤrſten geſchikt, wenn ſie (don nebenher auch den Unterthanen nuͤzlich ſeyn koͤnnen.

III. Das Recht fuͤr eigene Sache Buͤndniſſe zu ſchließen und Ge⸗ ſandte zu ſchiken, koͤmmt auch anderen Menſchen zu, und wird haͤufig von ihnen ausgeübt. Vollſtaͤndiger Beweis dieſes Sa⸗ zes aus Vernunft und Erfabrung.

Kaum wird es nöthig ſeyn, noch ein Wort von Frie⸗ dens Schlüßen, Bündniſſen und anderen Ver trägen, von dem Recht Geſandte zu ſchiken u. ſ. m. beyzufügen, da dieſes alles auf den nemlichen Grundſä—⸗ zen beruht und auch ſchon bey anderer Gelegenheit ben. läufig berührt worden iſt. ) Wer für ſich ſelbſt Krieg führen kann, wird auch Frieden ſchließen dürfen, und gleichwie ein Fürſt nur für ſeine eigenen Rechte Krieg führt: 2) fo ſtipulirt er im Frieden auch nur über eben

1) T. I. S. 327 328. ben Widerlegung der Grille eines buͤr⸗ gerlichen Contrakts und der angeblich abgetretenen Prívaťs Freyben.

2) Oben Gay. a8.

“46

Diefeľben : und gerade darin liegt der Grund (o mie die Schranke ſeines Befugniſſes. Er iſt gleich berechtiget in ſolchen Verträgen, wie in allen anderen, entweder von ſeinen eigenen Rechten zu cediren oder mit Einwilligung des gegneriſchen Theils dergleichen neue zu erwerben; andere Menſchen thun ja daſſelbe auch. Daß aber die Gegenſtände, über welche Friede geſchloſſen wird oder Verträge gemacht werden, nur die Rechte und Intereſſen der Fürſten ſelbſt und nicht die der Nation betreffen: iſt eben ſo leicht und aus den nemlichen Gründen zu bewei⸗ fen, mie daß der Krieg nur ihre eigene Sade fen. 3) Man darf nur bie wirklich beſtehenden Friedens⸗JInſtru⸗ mente und ſogenannten Staats⸗Verträge aufmerkſam durchleſen um ſich davon zu überzeugen; die älteren be. ſonders ſind in dieſer Rükſicht außerordentlich merkwür⸗ dig und lehrreich. In der Regel ſoll alſo freylich ein Fürſt in ſeinen Friedens ⸗Verträgen nicht über Dritt⸗ mauns Rechte ſtipuliren, wenigſtens nie zu ihrem Nach⸗ theil, ſondern nur zu ihren Gunſten, weil da ihr Wille präſumirt werden kann und ed eine den betreffenden Ber. ſonen erwieſene Wohlthat iſt. Selbſt die Privat⸗NRechte ſeiner Unterthanen kann ex alſo nicht rechtsgültig abtre— tell, und auch dieſer Grundſaz ward in ben älteren Strie. denný ⸗Verträgen mit der gewiſſenhafteſten Sorgfalt be. obachtet, fo daß jene Vrivať - Nedhte entweder ausdrük⸗ lich vorbehalten wurden, oder wenn man (ie gar nidht mehr, fo wenig als die ſeinigen, ſchüzen konnte, man we⸗

nigſtens ihre Schonung dem Sieger oder dem neuen Her⸗

ren anempfahl, und ſelbige faſt niemalen verweigert wurde, ſondern ſich gewoöhnlich von ſelbſt verſtand. +) Sie wer⸗

3) Eiehe oben Cap. 28. 4) Die aͤlteren Friedens⸗Vertraͤge, bie Herr von Martens in

4

den ſogar noch Bent su Tage nidt abgetreten, denn die Unmöglichkeit eines ferneren Schuzes kann man nicht eine Abtretung nennen; aber das iſt hingegen nicht zu läugnen, daß bey den neueren riedený » Verträgen und. Provinz⸗ Abtretungen auf die mitverflochtenen Rechte dop: Unterthanen zu wenig Rükſicht genommen wird; daß man ſie entweder ganz vergißt und mit Stillſchweigen über⸗ geht, oder daß wenigſtens die betreffenden Artikel bloß in allgemeinen Ausdrüken zu flüchtig und nachläßig abge— faßt ſind, wodurch dann der Wechſel der Herrſchaft un⸗ gleich empfindlicher wird als er ſonſt geweſen wäre, und nad) den wahren Prinzipien ſeyn ſollte. Solches aber ge⸗ ſchieht nicht nur deßwegen, weil überhaupt die Liebe gewi⸗ chen iſt und der Egoismus Ďe den Großen wie ben den. Niedrigen einſchleicht: fondern cd bat ſeinen Grund vor⸗ züglich in den falſchen Prinzipien, nach welchen man ſich einbildet, daß die Kriege nicht zwiſchen den Fürſten, ſon⸗ dern zwiſchen ben Völkern geführt werden, und gleichwie man im Namen der lezteren Frieden ſchlieſſe, man alſe auch zu ihrem Nachtheil zu ſtipuliren befugt ſen.

Iſt cin Fürſt nicht mäͤchtig genug um ſich gegen einen anderen ſeinesgleichen zu vertheidigen, oder erfordert es ſonſt (ein Intereſſe ſcch nähere oder entferntere Freunde zu machen, bald Hülfe zu empfangen und bald hinwieder zu leiſten, zu Vermeidung vo Colliſionen, oder zu Ben. behaltung guter Nachbarſchaft, auf Rechte zu verzichten, bie er ſonſt hätte ausüben können, oder. Pflichten zu Úbev.

ſeinem Recueil de traités publics ete. (o fleiſſig geſammelt bat, liefern bietúber die frappanteften Benípiele. Wir werden anderswo bey. dem Gap. von ber DBeráuferung und der Erb⸗ lichleit der Staaten. mehr Gelegenheit haben davon zu reden

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nehmen, 41 denen er ſonſt nicht verbunden gemefen: fa wird er auch befugt ſeyn dergleichen Vertraͤge einzuge⸗ hen, mithin allerley vorübergehende oder fortdauernde Bündniſſe zu ſchließen, alles jn (o fern ee dabey in⸗ ner den Schranken ſeines eigenen Rechtes bleibt, niemand beleidigt, mithin nur ſich und das Seinige verpflichtet. Von anderen fürſtlichen Cowentionen die bald zu Beſeiti⸗ gung eines vorhergegangenen Kriegs unter der Geſtalt einer Friedens⸗Bedingung, bald ohne dieſe Veranlaſſung mitten in wirklichem Frieden geſchloſſen werden, als wie 3. B. von Gränzherichtigungen, Käufen, Bet. käufen, Täuſchen, Schenkungen, Ehpacten, Teſtamenten, Erbverträgen u. ſ. w. wollen wir nur nicht reden; es verſteht ſich von ſelbſt und wird nicht beſtritten, daß die Fürſten gleich allen andern Menſchen dergleichen Verträge in unendlicher Zahl und Mannigfal⸗ tigkeit zu ſchlieſſen befugt find, und daß ihnen als unabbátie gigen Menſchen weder Form noch Inhalt derſelben vor⸗ geſchrieben werden kann, wof ern nur daš allgemeine Ge⸗ ſez der Gerechtigkeit beobachtet wird. Dieſe Verträge bes treffen offenbar nur bie eigene Sade ded Fürſten; © oder die Staatslehrer, welche etwa zwiſchen ben fürſtlichen Private⸗ Verträgen und den ſogenannten Staats⸗ obeť National⸗Verträgen diſtinguiren möchten, ſollen uns die Gränze zeigen, wo die erſteren aufhören und. mo bie lez⸗ teren anfangen Allemal werden ſie an dieſem Verſuche ſcheitern und zulezt einſehen lernen, dať die ganze Di. ſtinktion ungegründet iſt und daß es in Fürſtenthümern

———

€) Man wird doch 4. SB. nicht behaupten wollen, daß die Voͤlker ſich beyrathen und daß die Ehe eines Fuͤrſten cin Nas tional⸗Vertrag ſey. |

+11), ſchlechterdings keine National⸗Verträge geben kann, da gum. weil die-Nation, als Communität betrachtet, gar- nicht exiſtirt und nicht eine vereinigte, ſondern nur eine zerſtreute Menge von Menſchen iſt. Selbſt bie ſogenann⸗ ten Handels⸗Verträge, deren es zwar wenige giebt, und die bey beſſeren Rechts/-VPrinzipien oder freundliche⸗ ren Geſinnungen gar nicht nöthig wären, können nicht dahin gerechnet werden. Denn es wird in denſelben nicht ſtipulirt wie und womit die Unterthanen unter einander handeln ſollen: ſondern die Fürſten verpflichten ſich wech⸗ ſelſeitig fúr ibre Perſon, dieſen oder jenen Waaren des fremden Landes freye Einfuhr auf ihrem Gebiete zu ge. " ſtatten, die Ausfuhr von andekn nicht zu verbieten, ſie nicht mit übermäßigen Abgaben oder Zöllen zu beſchweren, den handelnden Perſonen gewiſſe Erleichterungen oder Hülfleiſtungen zu verſchaffen u. ſ. w. lauter Dinge die in. ihrem Befugniß liegen, von ihrem Willen abhangen, zum Theil ihre eigenen Intereſſen und Einkünfte berüh⸗ ven, wenn gleich die Reſultate derſelben auch ben, Un⸗ terthanen bald vortheilhaft bald nachtheilig ſeyn können.

Maš. endlich das Recht Geſandte zu ſchiken. oider zu empfangen betrifft: fo iſt es auffallend, dať: dieſes Befugniß lediglich aug ber natürlichen Freyheit fließt und ganz und gar nicht ausſchlieſſend mit ber Son. verainitát verknüpft iſt. Vor noch nidht Langer Zeit marea die beſtändigen Geſandſchaften unbekannt, ſo wie ſie noch in anderen Welttheilen nicht üblich ſind und ſelbſt in un⸗ ſeren Tagen bie kleineren Staaten, beſonders die Repu⸗ bliken, entweder aus Beſcheidenheit, oder wegen Mangel an veranlaſſenden Geſchäften, oder zu Vermeidung der Unkoſten dergleichen nicht zu unterhalten phͤegen. Hatten

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die Fürſten wichtige oder weitlaͤufige Geſchäfte unter ein⸗ ander, welche nicht perſönlich und auch nicht ſchriftlich beſorgt werden konnten: ſo mußten ſie nothwendiger Weiſe gleich den Privat⸗Perſonen Bevollmächtigte ernennen und abordnen, welche ben beſcheidenen Namen von Ge—⸗ ſandten oder Prokurirten trugen. S Auch iſt be⸗ kannt, daß die heut zu Tag üblichen verſchiedenen Titel und Benennungen dieſer Geſandten in älteren Zeiten ebenfalls nicht exiſtirten, 7) ſondern núť nad und nad theils aus Eitelfcit um ſich von den Privat Perfonen 41 un⸗ terſcheiden, theils der Nang- Ordnung oder der gebofften mehreren Ehrenbezeugungen ivegen, ím iSten, 16ten und 17ten Jahrhundert durch Uebung entſtanden, an und für ſich aber gar nicht weſentlich ſind, und keine verſchiedenen Verrichtungen anzeigen. 8) Mögen gleich die beſtändigen Geſandſchaften ihren Urſprung theils in der Neugierde um von allen wichtigen oder merkwürdigen Ereigniſſen des fremden Staates unterrichtet zu ſeyn, theils in der Eitel⸗

6) de Martens droit des gens moderne. $. 185. 5) ibid. S, 191. Ň s) Miniftee ded zten, sten und zten Nangš: Paͤpſtliche Zezati a latere Nuntii, Ymbaffaboven, Gottſchafter, Groß⸗ Bottſchafter, Magni Legati): auffetorbentlicke © cfandte, bevollmaͤchtigte Miniſter; Nefiden: ten ( Minístres residena ) Befdáftgtrágert, Jater- nuntil, Úgenten (jest blof fúr Vrivat : Befdiáčte ge⸗ braͤuchlich) :c. lauter verſchiedene Ausdruͤke fúr bie nemlide Sade, die zum Theil fogať fononym find. Bey Gonferens gen oder Unterhandlungen zwiſchen Fuͤrſten und ibren Un⸗ terthanen pflezt man die Geſandten der erſteren Commiſ⸗ ſarien, die der lezteren Deputirte zu nennen. Allein Nauch hier iſt in dem Weſen det Sade gar kein unterſchied. S. v. Martens a, 4- D.

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feit baben um ftetš in bem Rreife der Mächtigen und Freyen bemerkt und gezählt 31 werden: fo (ind ſie doch an und für ſich ein guter Gebrauch um freundſchaftliche Verhältniſſe durch die Gegenwart angenehmer Perſonen zu unterhalten und zu befeſtigen, wechſelſeitige Wünſche mundlich zu unterſtüzen, Mißverſtändniſſe, die durch bloß ſchriftliche Verhandlungen ſo leicht entſtehen können, zu heben, Streitigkeiten zu beſeitigen und bisweilen ſelbſt dem Ausbruch von Kriegen vorzukommen. Es werden aber dieſe Geſandte vorzüglich nur wegen den eigenen Rech⸗ ten und Intereſſen des ſie abordnenden Fürſten ge. ſchikt, wie ſchon die Natur der vorkommenden Geſchäfte ſelbſt beweiſt; denn ob ſie gleich auch ben in dem frem⸗ den Land ſich aufhaltenden Unterthanen ihres Fürſten mit⸗ telbar nüzlich ſeyn, ihnen manche Gefälligkeiten erweiſen, in Verlegenheiten beyſtehen, ihre Privat⸗Geſchäfte be. günſtigen können und daher auch von ihnen als ihre na— türlichen Gönner und Beſchüzer angeſehen werden: ſo iſt doch dieſes nur cine Folge ded freundſchaftlichen landsmän⸗ niſchen Verbandes, nicht rechtliche Schuldigkeit, ein bloſ⸗ fer Neben⸗Vortheil und nicht der Hauptzwek ihrer Sen. dung. Bon den Beglaubigungs⸗und Empfehlungs⸗Schrei—⸗ ben, den Vollmachten und Inſtruktionen mit denen die Geſandten verſehen ſeyn müſſen, von den üblichen con. ventionellen Privilegien deren man ſie genieſſen läßt, oder den freundſchaftlichen Begünſtigungen die man ihnen zu erweiſen pflegt, ſo lange ſie davon keinen dem ſie empfangenden Fürſten ſchädlichen Mißbrauch machen 9) —— O ——

9) Die Heiligkeit oder“ die Unverlezbarkeit ihrer Perſon, ibre fogenannte Exterritorialitaät, wodurch man ibnen bie Macht beg Landesherren beynahe gar nicht fúblen laͤßt

122 u. f. w. iſt hier nicht ber Ort 44 reden, da die Ab. handlung der dießörtigen ſehr verſchiedenen Formen und Gewohnheiten und ihres rechtlichen oder blos morali⸗ ſchen Grundes, nicht in das eigentliche Staatsrecht, ſondern in das ſogenannte Völkerrecht gehört, d. h. nicht auf das Verhältniß zwiſchen den Fürſten und ihren Un⸗ terthanen, ſondern auf das Verhältniß der Fürſten unter einander ſelbſt Bezug hat. Dieſe Bemerkungen mögen alſo hinreichen, um die Rechte der Fürſten in Abſicht auf ihre auswärtigen Ver. hältniſſe zu begründen und die darüber herrſchenden Irr⸗ thümer zu berichtigen. Alles wird klar ſobald man nicht von erdichteter delegirter Volks⸗Gewalt, ſondern von cie gener Macht und eigener Freyheit ausgeht. Wären die Fürſten nicht befugt, Frieden zu ſchließen, Verträge und Bündniſſe einzugehen, Geſandte zu ſchiken oder zu em. pfangen: ſo hätten ſie in der That weniger Rechte als bie geringſten Privat⸗ Perſonen. Denn gleichwie dieſe lezteren ebenfalls ihre Streitigkeiten und Kriege haben: 10

und ſie gleichſam fo anſiebt als ob ſie das Gebiet ibres cis genen Fuͤrſten nie verlaſſen haͤtten; ihre Exemtion von der gewohnlichen Civil- und GCriminal s © es richtsbarkeit, wobey man menigftené ſchönendere Formen gegen ſie gebraucht, bie ebenmaͤßige Immunitaͤt ihres Hauſes, die freye Ausuüͤbung ihrer Religion (sa- cres privés) ete., welches alles jedoch gar nicht allgemein, noch vielweniger unbedingt iſt, ſondern ſeine Schranken darin hat, daß es den Rechten des Fuͤrſten und ſeiner Un⸗ terthanen nicht nachtheilig ſey. S. Martens droit des gens moderne, Cap. V, VI et VIE.

10) ©. oben Gap. 28,

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fo ſchließen ſie ach häufig unter cinander Frieden. Wo iſt ihnen je verboten geweſen Feindſchaften auszuſöhnen, Streitigkeiten beyzulegen, über eigene Rechte und entgegen⸗ ſtrebende Anſprüche nad) Gefallen zu tranfigiren, bald in eigener Perſon, bald durch Prokurirte oder Vermittler, denen ſie die gutſindenden Inſtruktionen geben können.

Oft werden ſogar über dergleichen Privat⸗Friedens⸗Ver⸗

träge förmliche Inſtrumente aufgeſezt, wenn ſie ſchon nicht, wie die der Fürſten, in alle Zeitungen eingerükt oder von fleißigen Gelehrten in bändereichen Büchern geſam⸗ melt und der Nachwelt überliefert werden. Hat nicht faſt jede nur etwas begüterte Privat⸗Perſon ihr eigenes Haus - Úrdiu, ihre kleine Diplomatik, b. b. ihre Sammlung von Urkunden und Familien-Docu—⸗ menten, die ihre geſchloſſenen Verträge, ihre erworbe⸗ nen Rechte, gleichſam ihre auswärtigen Verhältniſſe, be⸗ weiſen und aufbewahren? Von anderen Verträgen und Verkommniſſen aller- Avt iſt gar kein Zweifel, da b die Privat⸗Perſonen dergleichen unter einander fo gut als die Fürſten ſchließen, und, wenn die Umſtände es begünſtigen, ſogar mit den Fürſten ſelbſt. Oder ſollen ſie etwa in eigener Sade nicht Bündniſſe eingehen dürfen, welches Recht zwar nicht überhaupt, aber wegen eingetretenen Colliſionen oder bezeigten feindſeligen Ab⸗ ſichten bisweilen beſtritten wurde? Allein mad iſt cin Bünd⸗ niß anders als eine Verbindung oder Zuſammentretung mehrerer Menſchen zu irgend einem gemeinſchaftlichen Zwek? Iſt nicht jede Stadt. oder Gemeinds⸗Bürger⸗ ſchaft, jede Haudwerker⸗Zunft, jebe Orden, jede Han⸗ dels⸗ oder gelehrte Geſellſchaft u. ſ. w, mit e in em Wort jeder Societäts⸗Vertrag cine Art von Bündniß zu wech⸗ ſelſeitiger Verſtaͤrkung und Hülfleiſtung? Pflegt man nicht

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felóit fede Heyrath einen Bund, cine Allianz 41 nennen? - Bon folh unſchädlichen Bündniſſen oder Verbindun⸗ gen iſt bod) nie die Rede gemefen, da b fie den Untertha⸗ nen verboten ſeyen. Ah! was wären bie Menſchen, wie könnten ſie beſtehen ohne dieſen Innbegriff unendlich mannigfaltiger Conſociationen, der ihnen erſt den Werth der Liebe fühlen läßt, und auch den Schwachen zeigt wie mächtig ſie durch wechſelſeitige Wohlthaten werden. Allein felbſt bie eigentlichen Vertheidegungs⸗, wahre Shu und Truz⸗Bündniſſe, welche man gewöhnlich unter dem generellen Namen von Bündniß zu verſtehen pflegt, wurden im allgemeinen nie beſtritten, ſondern als na. türliches Recht anerkannt, wofern dabey die Rechte des Landesherren nicht gefährdet oder gar ausdrüklich vorbe⸗ halten waren. 1 Durften abhängige Individuen und Communen zum Schuz ihrer eigenen Rechte Krieg führen, wie wir oben genug bewieſen haben, warum hätten ſie nicht auch ſich wechſelſeitige Hülfe verſprechen und leiſten können? Die ganze Geſchichte, beſonders die deutſche, Schweizeriſche und Italieniſche iſt fo voll von derglei— chen Bündniſſen, daß es ermüdend und endlos wäre ſie alle anzuführen. 12 Sie wurden nicht etwa nur in anar⸗

1) Bœnmer jus publ, univ. pag. 344 345. Martens droit des gens moderne $. 47. wobey gať nibt richtig iſt, da man dieſes Recht ben Stádten ꝛc. bewilliget habe, es exi⸗ ſtirte ohnehin. S. von Múller Schweizer⸗Geſchichte II. ©. 706 bey Anlaß des Bunds zwiſchen der Stadt St. Gallen und ben Appenzellern; II. 750. wegen dex Eidgenoſſen Bund uͤberbaupt; III. 597 588. bey Anlaß des Bunds der Staͤdte Bern und Solothurn mit Baſel im J. 1441., welche Stellen febr merkwuͤrdig nachzuleſen find.

m) Schmids Geſchichte der Deutſchen, putters Reichsge⸗

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chiſchen Zeiten und mider ben Millen der Fürſten, fons dern mit ibrem Beyfall, kraft allgemeinen natúrlichen

Befugniſſes, geſchloſſen und beftanden mit und neben der

gewiſſenhafteſten Ehrfurcht für die mabren fürſtlichen Rechte. 13). Das waren die ſchönen Zeiten jenes Geiſts der Conſociationen, durch welchen Europa ſich emporhob und alles im Werden und Blúben begriffen war, der grellſte Contraſt mit unſerem heutigen alles iſolirenden, aber auch alles zertruümmernden Egoismus. Hat man je den ſo mächtig gewordenen Hanſeatiſchen Bund, den Rheiniſchen Städte⸗Bund von 1235 gegen Fehden, Straßenraub und ungerechte Zölle, den Band. friebený- Bund von 1327, die häufigen und fo un⸗ ſchuldigen Rhätiſchen Bünde, die deutſchen Bane Erbſchaften und Kreis-Aſſociationen, für Ver. brechen oder nicht vielmehr für ſchöne und lobenswürdige Handlungen angeſehen? Auch der EGidgenofiícne Ďund zwiſchen den drey Waldſtädten von 1315, dem mehrere ähnliche vorangiengen, der in Deutſchland häufig ſeines gleichen hatte 14) und mit Vorbehalt der Landesherrlichen Rechte gegen jede fremde unrechtmäßige Gewalt gerich⸗ tet war, wurde von Kayſer und Reich als eine allgemein

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ſchichte, Muͤllers Schweizer⸗BGSeſchichte, Sismondi Hist. des républ. d'Italie u, ſ. tm. entbalten davon auf jeder Seite Bevſpiele. Eben fo die Geſchichten anderer Laͤnder.

13) Den Staͤdten in ber Waadt erlaubten bie Srafen von

Savoyen ohne Anſtand unter fid und mit anderen Buͤndniſſe zu ſchließen, wofern nur die Pflichten gegen den Fuͤrſten da⸗ rin vorbehalten wurden. von Muͤller Schweijer⸗ Geſch II. 366. ad ann. 1364.

14) Spittler Europ. Staaten⸗BGeſch. II. 10.

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erlaubte Handlung betrachtet und gutgeheiſſen. Er ward erſt dann beſtritten, als er in der Folge ſich immer er⸗ weiterte, ſogar mit benachbarten Oeſtreichiſchen Städten und Ländern geſchloſſen, anfänglich Colliſionen veran⸗ laßte 1% und mittelſt derſelben bald die eigenen Rechte der Fürſten zu berühren und zu beeinträchtigen anfing: ein ſchwieriges Verhältniß, aus welchem freylich, zumal bey der wechſelſeitigen unſreundlichen Stimmung, am Ende entweder die Vernichtung des Bundes oder die gänz⸗ liche Unabhängigkeit deſſelben hervorgehen mußte. Der⸗ gleichen Bündniſſe können freylich, wie jeder Mißbrauch der Freyheit, in ihren Folgen fremden Rechten nachthei⸗ lig werden, und aus dieſer Beſorgniß wollte König Hein⸗ rich 1. im J. 1231, ſtatt einzelne Bündniſſe aufzulöſen, den Reichsſtädten überhaupt das Recht Bünde zu machen abſprechen; allein wie es allen menſchlichen Geſezen geht, die wider die Natur und das natürliche Recht anſtoßen, iſt auch dieſes nie zur Ausübung gekom⸗ men. 16) Im Gegentheil iſt das 13te, 1416 und 15te 15) Vorzuͤglich durch das Buͤndniß der Stadt Luzern mit den Waldſtaͤdten 13323 ber lezteren mit Bug und Glarus. Der Oeſtreichiſchen Staͤdte Feldkirch, Weſen, Gaſter und Windek mit Appenzell 1405 u. ſ. w. Es iſt aͤußerſt lehr⸗ reich in Muͤlhblers Schweizer«⸗ Geſchichte bie Veranlaſſung dieſer Buͤndniſſe genau zu leſen, und wie hiebey urſpruͤng⸗ lich nicht die mindeſte Abſicht zum Grunde lag, dadurch bie Rechte des Hauſes Oeſtreich zu beeiutraͤchtigen.

Senkenberg, R. Abſch. I 13 f. ſ. von Muͤller Schweizer⸗Geſch. III. 648. Note No. 185. Die goldene Bulle, deren Verfaſſer zwar den Buͤndniſſen auch nicht guͤnſtig ſchien, druͤkt ſich doch behutſamer aus, und redet vor: zuͤglich nur von unerlaubten (feindſeligen) Buͤndniſſen: colligationibus illicitis. Zuſammenverſchwoͤrungen und ge⸗ ſezwidrigen Geſellſchaften.

16

—R

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Fahrhundert voľ von einer unzählbaren Menge kleinerer, von niemand angefochtener noch beſtrittener Bündniſſe, die freylich nicht von ſo bedeutenden Folgen wie jene größeren geweſen. Die Reformation veranlaßte ihrer neue zwiſchen den verſchiedenen Religions Vartenen, und obſchon ſie ſeit der befeſtigten Ruhe gleich den Privatkriegen weniger nöthig, mithin auch ſeltener ge⸗ worden, fo find ſie dod auch ſeither nicht ohne Bey⸗ ſpiel. Der Weſtphäliſche Friede beſtätigte noch dieſes Recht allen und jeden Ständen des Reichs, nicht als etwas neues, ſondern als ein altes und bekanntes Be⸗ fugniß, 17) und die Zeiten dürften vielleicht bald wie⸗ der kommen, wo Privat - Nerbindungen nicht unnö⸗ thig ſeyn werden, um in unſerem zerrütteten Europa allmählig wieder einen rechtmäßigen geſelligen Zuſtand zurützuführen. 18)

Selbſt Vertheidigungs⸗/SBuündniſſe gegen mögliche Bedrükungen von Seite der eigenen Fürſten find in der Geſchichte nicht ohne Beyſpiel. 19 Diefe find cd, welche mit Recht am meiſten beſtritten worden und die irrige

17) Instr. Pac. Osnabr. Art, VIII, 6. 2. Cap. Imp, Art, VI. S. 4. ſ. auch Muͤllers Fuͤrſtenbund p. 263.

18) Freylich von anderer Art alg diejenígen, welche alles zer⸗ truͤmmert und uͤber den Haufen geworfen baben.

19) Eines ber merkwuͤrdigſten iſt Dad der Landſchaften Saanen und Oeſch mit ber Stadt Bern, gegen ben Grafen von Greyvers (1403) welch lezterem bod jene Landſchaften im Allgemeinen ſebr treu und anbaͤngig waren. Ferner der Bund ber Appenzeller (Gotteshausleute von St. Gallen) mit Glarus und Schweiz im 14ten Jahrh., lange bevor (ie nur an Unabhaͤngigkeit dachten.

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Meinung veranlaßten, daß alle Bündniſſe überhaupt den Unterthanen verboten ſeyen. Kann man ſie gleich nicht „Ámmer und nicht unter allen Umſtänden für abſolut un⸗ rechtmäßig halten, (wie ſie dann bisweilen auch ohne böſe Abſicht geſchloſſen wurden): fo find ſie doch immer

ein Zeichen von Mißtrauen und mehr oder weniger feindſe⸗

ligen Geſinnungen, welches ſchon eine Art von feinerer Iniurie in ſich enthält, die Gemüther entfernt und eben dadurch eine Mutter alles Zwiſtes wird. Dergleichen ihm ſchädliche Bündniſſe nun, fo wie die wirklichen Inſur⸗ rektionen (die auch durch eine Verbindung geſtiftet werden) kann cin Fürſt allerdings hindern oder aufzulö⸗ ſen trachten, nicht weil ſie Bündniſſe, ſondern weil ſie

wirkliche oder vorbereitete Feindſeligkeiten find: nidht meil .

er bas Recht bat den Úntertbanen alle Verbindung unter cinander 4u verbieten, ſondern weil ex befugt iſt fi) und (eine eigenen Rechte in Sicherheit 31 ſtellen. In ſolchen Colliſionen kann man auch bisweilen des Friedens wegen auf die Ausübung eines einzelnen Befugniſſes Verzicht thun. Es hat hier die nemliche Bewandniß wie mit den Waffen⸗-Vorräthen, den Privat-Befeſtigungen u. ſ. w.; man beſtreitet nicht die Freyheit ſondern nur ihren un. rechtmäßigen Gebrauch, nicht das Recht, ſondern das Unrecht; Bündniſſe, wie alle andern Handlungen, ſind erlaubt wenn ſie niemand beleidigen, und verboten (oa bald ſie den Rechten eines dritten nachtheilig werden.

Endlich iſt es auch gar nicht richtig ꝛe) und weder in

£o) was doch unſere Staats⸗ und Voͤlterrechts Lehrer behaup⸗ ten, einige zwar mit Clauſeln und Ausnahmen, die Das Prinzipium gleich wieder aufheben.

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der Vernunft nod in der Erfahrung gegründet, daß da Recht Geſandte zu ſchiken, cin Privilegium oder cin aus— ſchließendes Recht der Fürſten ſey. Dieſes Befugniß iſt ein Recht aller Menſchen, welches freylich nur von de— nen ausgeübt wird, die es bedürfen oder das Vermögen dazu haben. So viel bezweifelt zwar niemand, daß die Privat⸗Perſonen unter einander ſich häufig ihre Boten, Geſandte oder Mittels-Perſonen ſchiken, ſobald es für ihre Geſchäfte oder Unterhandlungen nöthig iſt, und daß auch hier in verjüngtem Maßſtab die nehmlichen Rechts⸗ regeln, Uebungen und Gebräuche wie unter Fürſten be— obachtet werden; daß aber Privat-Perſonen und Privat⸗- Geſellſchaften bisweilen auch an auswärtige ſouveraine Herren und Republiken, Agenten, Deputirte, Geſandte ſchiken, ſie mit Beglaubigungs-⸗Schreiben, Vollmachten und Inſtruktionen verſehen: davon iſt ja Die ganze Bee ſchichte und die tägliche Erfahrung von Beyſpielen voll. Man pfilegt zwar darauf zu antworten, daß ſie ſolches nur für ihre eigenen Geſchäfte thun; allein wir haben bewieſen, daß dieſes bey den Fürſten der nemliche Fall iſt. Uebrigens ſieht man ja bey allen innerlichen Ent— zweyungen eines Staats oder auch in anderen Gele⸗ genheiten, wo Individuen und Corporationen bey freme den Potentaten gemeinſchaftliche Intereſſen zu be— treiben oder zu unterſtüzen haben, daß ſie zu dieſem End ihre beſonderen Deputirte an dieſelben abſchiken. Erfordert ed das Intereſſe des fremden Fürſten der— gleichen Perſonen zu begünſtigen, ſo werden auch ihre Geſandten empfangen und angehört, soft ſogar verlangt, im entgegengeſezten Fall aber verweigert, gerade wie dieſes bey feindſeliger Stimmung bisweilen auch ge— gen die Geſandte der Fürſten geſchieht. Wenn demnach

Zweyter Vand. J

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bie Vrívať « Perſonen an auswärtigen Höfen gewöhnlich gar keine oder wenigſtens nídht permanente Vefandte zu unterhalten pflegen, (o kömmt ſolches nur daher, daß ſie dergleichen nicht bedürfen oder nicht zu bezah⸗ len vermögen; ſonſt aber iſt zwiſchen den Fürſtlichen Ge⸗ ſandten und den Privat⸗ Abgeordneten kein anderer Unterſchied, als daß die lezteren minder vornehme Gäſte find, und daher auch von den fremden Potenta» ten nicht mit fo hohen Ehrenbezeugungen empfangen werden, wie diejenigen welche von ihres Gleichen herkommen.

MNE 431

Dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

4. Moͤglichſte Beſchuͤzung ſeiner Unterthanen

im Ausland. Hoſpitalitaͤt gegen die Frem⸗ den in eigenem Land.

I. Die Beſchuzung der Unterthanen im Ausland (ft eine mora⸗

liſche Pflicht, aber der Moͤglichkeit untergeordnet und ſoll nur in gerechten Dingen geſchehen.

II. Die Hoſpitalitaͤt gegen Fremde iſt ebenfalls eine moraliſche Pflicht.

III, In wie weit fremde Domizilianten dem Fuͤrſten und ſeinen Geſezen unterworfen ſeyen?

AV, In wie weit čin Fuͤrſt auf weggezogene oder abweſende Un⸗ terthanen noch einige Rechte haben koͤnne?

Man pflegt es als ein beſonderes Recht der Fürſten an⸗ zuführen, ihren Unterthanen auch ſogar im Ausland möglichſten Schuz zu verſchaffen, und hinwieder den Fremden in eigenem Land die Hoſpitalität zu geſtatten oder zu verweigern, ihnen dazu die beliebigen Bedingun— gen vorzuſchreiben u. ſ. w. 7? Das erſtere iſt inner den Schranken der Gerechtigkeit nicht nur erlaubt, ſondern ſogar eine moraliſche Pflicht, deren Erfüllung dem Fürſten ſowohl zur Ehre als zum Vortheil gereicht, indem ſie ſein Anſehen (die Idee ſeiner Macht) vermehrt und die Bande der Dankbarkeit vervielfältiget, wodurch die Unterthanen an ihren natürlichen Herren geknüpft ſind. Sie kann

—— ————— —— ———

1) jus hospites recipiendi et pellendi.

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aber gleich allen Liebespflichten nicht nothwendig und nicht immer von dem Fürſten gefordert werden, meil ihm oft dazu die Gelegenheit und auch die Kräfte mangeln. So viel verſteht ſich freylich von ſelbſt, iſt aber doch nicht unnöthig zu erinneren, daß der Schuz der Unterthanen im Ausland ſich nur auf gerechte, nicht aber auf unge⸗ rechte Dinge beziehen ſoll, wie wenn man z. B. ſeinen Einfluß dazu mißbrauchen wollte, ſie der fremden Be. richtsbarkeit in ihren Streitigkeiten, der verdienten Straft ben Vergehungen zu entziehen, ihnen unbillige Begün⸗ ſtigungen zum Nachtheil der Eingebohrnen zuzuwenden u. ſ. w. Der Schuz der Ungerechtigkeit iſt ſchon in cie genem Lande unerlaubt, aber außer demſelben wird er gar unerträglich und zieht unauslöſchliche Erbitterung nad ſich, indem ex ben höchſten Brad deſpotiſcher Herrſch⸗ ſucht anzeigt. Auch ſoll dieſer Schuz ſelbſt in gerechten Sachen mehr bittsweiſe, durch mundliche oder ſchriftliche Empfehlungen, als befehlsweiſe geſchehen; denn nicht nur iſt es ungereimt da befehlen zu wollen wo man keine Macht beſizt ſeinem Befehle Nachdruk zu geben, ſondern man richtet auch mit erſterem mehr aus, und es zieret ſelbſt den mächtigeren Landesherren hierin das Freyheits⸗GEe— fühl des ſchwächeren Nachbaren zu ehren, welches bey jedem auf ſeinem Gebiet außerordentlich reizbar iſt, und nad welchem man ſelbſt bie Gerechtigkeit wohl freywil⸗ lia erfüllen, aber ſich nicht abtrozen laſſen will. > Erſt wenn alle freundſchaftlichen Vorſtellungen vergeblich ſind, mithin feindſelige Abſichten ſich zeigen und der Gegenſtand 2) Als goͤttliches Geboth und nicht als Menſchenbefebl. Dag nemliche Gefuͤhl wird man uͤberbaupt bey allen edlen Ge⸗ muͤtbern finden, denen eben deßwegen bie vielen menſchlichen

Geſeze unertraͤglich find, |

133:

ſelbſt von Wichtigkeit iſt: da wird ed erlaubt und biswei— len nüzlich, zum Schuz der eigenen Unterthanen Retor⸗ ſionen oder Repreſſalien zu gebrauchen oder gar Gewaldt der Waffen anzuwenden: mie wir dann geſehen haben, daß in älteren Zeiten ſelbſt förmliche Kriege zur Abwen— dung von dergleichen Privat⸗Beleidigungen geführt wor⸗ den ſind. |

Hinwieder den Fremden in cigenem Šand Eintritt, Durchpaß, Zuflucht, Nufentbalt und Schuz zu gewähren: iſt nicht nur ein Recht oder Befugniß des unabhängigen Grundherren, ſondern cine reziprozirliche natürliche Ho— ſpitalitäts⸗ Pflicht, die ohne dringende Noth und außer⸗ ordentliche Umſtände nie verweigert werden ſollte. Bar- barorum est hospites pellere ſagten ſchon bie Alten, und ben dod (0 (chr abgefonderten Oebrácen befab[ No. ſes miederbolt die Fremdlinge nicht 31 plagen, ſondern dieſelben freundlich aufzunehmen, und zu bedenken daß

ſie ſelbſt auch Fremdlinge geweſen find. 3) es ja über⸗

all angenommenes Recht, wenigſtens allgemeine Uebung der Menſchen, eine Liebespflicht die beynah an ſtrenges Recht gränzt, daj jeder dem Beſizer unſchädliche Be. brauch ſeiner Sade, mie z. V. der Durchpaß auf Straſ⸗ ſen die dazu gemacht ſind, der Tranſit von Waaren, der Aufenthalt u. ſ. w. unbedenklich geſtattet werden ſolle, s) tie viel mehr wenn die Erfüllung dieſer Humanitäts⸗ Pflich⸗ ten noch dazu nicht obne Belohnung bleibt. Der Zufluß

3 3B. Moſ. XX. 33. 5. B. Mol. X, 19.

4 weil fie mit gar keiner Aufopferung begleitet iſt.

s) úber die concessio innoxii transitus per nostras terras f. Grotius j. b. et. p. L. II. c. 2. $. 13. 16. 17, Ul Fufendorf j. n, et g. L. III. c. 3, S. 6.

eo

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von Sremden insbeſonders ward ehmals in allen Ländern als eine Ehre angefehen, deun et iſt in Der That cin Zei⸗ den von freundlichem Zutrauen, cin Beweis dať man in dieſem Land entiveber vortreffliches fiebt oder daß da Be. rechtigkeit und Liebe in höherem Grade herrſchen, mit. hin ſich freyer und glüklicher als anderswo leben läßt. Dieſes Zutrauen foll man den Fremden erwiederen, ſo lang ie ſich deſſelben nicht unwürdig machen, bie Gäſte freundlich behandeln, ja man pflegt ſogar ſie in gewiſſen Rükſichten noch mehr als die Einheimiſchen zu begúniti. gen, eben deßwegen weil ſie ſchuzloſer als andere ſind

und ſich nicht fo leicht ſelber helfen können. © Uebrigens

r,

6) 3. B. in der Prozeßform zu Beurtheilung ihrer Streitigfeie ten, kuͤrzere Formen und Dermine, beſondere Tribunalien oder Commiſſionen, Vorrang in der Zeit des Urtheils u. ſ. w. Wenn man uͤberhaupt eine Vergleichung anſtellen wollte, wie die Fremden vor der franzoͤſiſchen Revolution in allen Laͤndern aufgenommen wurden und mie ſie jest behandelt werden, man wuͤrde es kaum glauben koͤnnen. Damals reiſete und wohnte jedermann ungebindert, fo lang er ſich kein Verbrechen zu Schulden kommen ließ; die Paͤſſe ſelbſt wa⸗ ren keine Bewilligung zum Reiſen, ſondern urſpruͤnglich ein bloßes Zeugniß, daß in dem Heimaths-Ort keine anftefende Krankheit herrſche, fuͤr hoͤhere Staͤnde eine Empfehlung und oft wurden ſie gar nicht gebraucht. Man frug die Fremden nicht ter ſie im Fall der Verarmung erhalten müſſe, ſondern uͤberließ ihnen die Sorge dafuͤr ſelbſt, traute etwas auf rechtlichen Fleiß, und auf die Privat⸗ Woblthaͤtigkeit. Jezt muß auch der rechtſchaffenſte und nuͤzlichſte Mann fuͤr die gerinaſte Reiſe einen Paßport ba: ben und fann ibn oft nur mit vieler Muͤbe und Zeitverluſt erhalten. Derſelbe muß von mehreren concurrirenden Be⸗ boͤrden ausgefertiget, von fremden, oft entlegenen Mini⸗ ſtern viſirt, mit ſchweren Sporteln bezahlt, an Reſidenz⸗

, 135 aber iſt der Fürſt nadý firengem: Nedt allerdings befugt (wo nicht beſondere Verträge oder Servituten im Weg ſtehen) jedem ihm nicht anſtändigen Fremden den Eintritt in ſein Land zu verſagen, oder ihm den freneren Aufent⸗ halt zu verweigern, ſobald er davon Schaden oder Nach⸗ theil für ſich ſelbſt beſorgt, und über die Wirklichkeit oder Wahrſcheinlichkeit dieſes Schadens iſt er der alleinige Richter. Wird ja daš nemliche Recht auch von jedecz Hausherren oder Land⸗ Eigenthümer ausgeübt, warum nicht auch von einem Mächtigen und Unabhängigen?

Eine intereſſante Frage, ſo unbedingt und oberfläch⸗ lich ſie auch in unſeren heutigen Compendien beantwortet wird, iſt es hingegen: im wie weit fremde Domizilian—⸗ ten dem Fürſten und ſeinen Geſezen unterworfen ſeyen, oder in wie fern er über eigene Unterthanen die aus (tie em Lande ziehen noch einige Rechte haben Tónne? Schwer iſt es ſchon in. wahren Fürſtenthümern Fremde vor, Ein. heimiſchen genau zu unterſcheiden und ſolche die ſich auf

Orte geſchikt, ſeine Vorweiſung auf jeder Station beſchei⸗ nigt werden u f. w. Der Reiſende wird wie cín. Verbre⸗ cher ſignaliſirt, um ja. das große Ungluͤk zu. verbindern, daß nicht etwa ein anderer unter ſeinem Namen reiſen koͤnne; iſt er endlich an dem Orte ſeiner Beſtimmung angelangt, muß er ſich wieder gleich einem Strolchen vor. Polizey⸗ bebôrden ſtellen, ſich mit einer Menge von. Papieren legiti⸗ miren, Toleranzſcheine, Aufenthaltsbewilligungen, Sicher⸗ heitskarten u. ſ. W: bezahlen, bisweilen Buͤrgſchaften leiſten, unter einer beſtaͤndigen. Aufſicht ſtehen u. ſ. w. Alles das iſt eine Folge ded: durch die franzoͤſiſche Revolution er⸗ zeugten Argwobns, und zum: Tbeil dex falſchen Prinzipien, nad welchen man ieden fremden Reiſenden oder Einwohner wie einen Feind betrachtet, alldieweil natuͤrlicher Weiſe ge⸗ rade die entgegengeſezte Praͤſumtion beſteht.

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unbeſtimmte Zeit in etnem Lande niederlaſſen, einen cit. träglichen Beruf treiben oder ſich gar Güter ankaufen und auf denſelben wohnen, ſind von anderen Unterthanen die in keiner beſonderen Dienſtpflicht ſtehen und nach Belieben fortziehen konnen, gar nicht verſchieden. Auch iſt es in ben meiſten Staaten durch Uebung oder pyfítive Be. ſeze ausgemacht, wie lang oder unter welchen Bedingun⸗ gen jemand als ein Fremder oder als ein Einheimiſcher zu betrachten fen, 7 zumal menu etwa den lezteren beſon⸗ bere Beſchwerden obliegen oder beſondere Vorzüge einge— räumt (nd. Fremde in engerem Sinn ſind diejenigen bie ſich nur vorüubergehend im Lande ded Fürſten aufhal⸗ ten, ihre früheren Verhältniſſe nicht aufgeben, anderswo ihren gewöhnlichen Aufenthalt und bekannten Beruf haben, und wieder dahin zurük kehren. Dieſe find nicht Bür⸗ ger, denn in Monarchien giebt es ohnehin keine Bürger, auch nicht Unterthanen im eigentlichen Verſtand, ſondern ſie find Gäſte und nad dieſer Eigenſchaft zu beurtbeje len. Alſo haben ſie zuvörderſt alle natürlichen Nechtspflichten zu erfüllen, denn dieſe find fe ſchon als Menſchen jedermann ohne Ausnahme ſchuldig. Außerdem ſind ſie natürlicher Weiſe der höheren Macht ded Landesfürſten unterworfen, mithin von derſelben ab. hängig, und dieſer Umſtand legt ihnen zwar keine neuen

7) 8. B. zwey oder zehenjaͤhriger Aufenthalt (mie in Oeſt⸗ reich), Geburt im Lande (wie in England), Grundeigenthum mit Wohnſiz verbunden, Anſtellung im Fuͤrſtlichen Dienſt, bisweilen eine beſondere Erklaͤrung und foörmliche Anerken⸗ nung (Naturaliſation). Die Nothwendigkeit dieſer poſitiven Vorſchriften bemeist eben, daß ohne dieſelben keine natuͤrliche Regel beſteht, und ihre Verſchiedenheit zeigt, daß ſie blok will kuͤbrlich ſind oder nur auf dem praͤſumirten Willen des bleibenden Aufenthalts beruhen.

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Pflichten auf, giebt ihnen aber einen Beweggrund det Klugheit deſto mehr, nicht nur ſich aller Rechtsverlezun—⸗ gen zu enthalten, ſondern auch eines ruhigen, wohl⸗ wollenden, beſcheidenen Betragens ſich zu befleiſſen, um dadurch theils das ihnen bezeugte Zu⸗ trauen zu rechtfertigen, theils Colliſionen und Feindſchaf⸗ ten zu vermeiden, die ihnen, ihrer relativen Schwäche we⸗ gen, hier gefährlicher als andern werden müßten. Alles unzeitige Pochen und Trozen auf eigenes Recht, wodurch ſie, wie man zu ſagen pflegt, den irdenen Topf gegen den ehernen anſtoſſen laſſen wollten, alle unbeſcheidene Anmaſſung, alles Einmiſchen in innere Parteyungen, alles liebloſe Tadeln von beſtehenden Geſezen, Reglemen⸗ ten, Sitten, Gebräuchen u. ſ. w. wäre an Fremden nicht nur im höchſten Grade unſchiklich, ſondern auch der ge⸗ meinſten Klugheit zuwider. 8) Sie ſollen mit einem Wort Freunde nicht Feinde des ſie aufnehmenden, ihnen Gutes erweiſenden Landes ſeyn. Kraft dieſer natürlichen Abhängigkeit find übrigens die Fremden freylich ben poſi⸗ tiven Geſezen des Landes fürſten unterworfen, aber nicht allen, ſondern nur denjenigen, welche ſie angehen, der⸗ gleichen es dann äußerſt wenige giebt. Beſondere Dienſt⸗ pflichten haben ſie nicht zu erfüllen, weil ſie in keinem Dienſt, keinem Amte ſtehen aus welchem ſie hergeleitet werden könnten. Daher find. ſie auch nicht zum Kriegs- dienſt verpflichtet und man pflegt ihn auch nicht von ih⸗ nen zu forderen ſelbſt meny in außerordentlichen Fällen die Eingebornen dafür angeſprochen wür den, wiewohl er der Regel nach auch bey dieſen freywillig iſt. Direkte Steuren, beſonders Verfonal - Stenren ſind ſie ſtreng 8) Decet peregrinum ut se valde accommodet civitati» Euripides. |

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rechtlich nicht ſchuldig, ſie Madden auf keinen bleibenden Vortheil von dem Verbande Anſpruch, können alſo auch nicht verpflichtet ſeyn zu ſeiner Erhaltung beyzutragen, und wenn man AU). ſagen könnte, daß ſie während ihrem Aufenthalt von der Macht des Fürſten vorübergehenden Nuzen ziehen: fo. wäre cd unſchiklich und kleinlich, deß⸗— wegen von fremden Gäſten Tribute einzufordern und ſich gleichſam die geringſte Liebespflicht bezahlen zu laſſen. 2 Von den fogenannten „indiretten Abgaben können ſie hin⸗ gegen nicht befreyt ſeyn, theis weil (wie wir bald zeigen werden) dieſelben eigentlich keine Auflagen ſind, ſondern entweder für einen wirklichen Gegenwerth oder auch frey⸗ willig bezahlt werden, theils meil es unmöglich oder un⸗ ausführbar wäre ſie davon auszunehmen. Beſizen ſie Gü⸗ ter in dem ihnen fremden Land und es haften Steurer oder Abgaben auf allen ähnlichen Gütern, ſo ſind ſie auch dieſe zu bezahlen ſchuldig, nicht bloß des Schuzes wegen, ſondern weil ſie in dieſer Hinſicht gar nicht als Fremde angeſehen werden können. Ihre Privat⸗Verträge werden ſie freylich nach den üblichen Formen des Landes ein⸗ richten müſſen, theils meil keine auderen exiſtiren, theils weil nur dieſe gültig und für die Gegenpartey verbindlich ſind. Jn vorfallenden Streitigkeiten, ſie mögen als Klä⸗ ger oder als Beklagte erſcheinen, ſind ſie natürlicher Weiſe dem Richter des Wohnorts unterworfen, nicht wegen will⸗ kührlichen Conventionen, ſondern weil nur dieſer ih⸗ nen gegen andere, odber anderen gegen fe Hülf und Recht verſchaffen fann. Iſt es hingegen um bie Materie des Urtheils, um die etwa von früheren Verhältniſſen und Verträgen herrührenden Privat⸗Rechte bed. Fremden

8) ©. bieruͤber v. Wuͤrtemberg: Moͤſer s Beytraͤge zum Staats⸗ und Voͤlker⸗Recht I. 541.

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zu tbun: (o kann ihm dieſe ber Nidter ded zufälligen Wohnorts nidt abſprechen, und er bat alfo die Exiſtenz biefer ermorbenen Rechte (die ohnehin ben jedem verſchie⸗ ben (ind) nicht nad) den elgenen Landesgeſezen und Ue⸗ bungen, fondern nad den (n dem Heimaths⸗Ort ded Fremden geltenden Rechten, Verträgen und Gewohnhei⸗ ten zu beurtheilen, welche in ſolchem Fall gleich anderen Urkunden und Beweiſen dem Richter vorgelegt werden müſſen. 10) Läßt ſich der Fremde Verbrechen oder Ber. gehungen zu Schulden kommen, fo wird cb nad) den Be. ſezen oder Uebungen des Landes beſtraft, nicht weil er ein Bürger des Staats iſt, ſondern weil man ſich gegen ihn in Sicherheit ſezt, nicht weil dieſe Geſeze ihm, ſondern weil ſie den Richtern gegeben ſind. Doch pflegt man bisweilen gegen fremde Verbrecher, je nach ihrem Stand oder der Natur ded Verbrechens, auch andere, Palo ſtrengere bald ſchonendere, Strafmittel anzuwen⸗ den, je nachdem ſie dem Zwek der Strafe angemeſſen ſind. Alſo ergiebt ſich das rechtliche Verhältniß der Fremden überall aus der Natur der Sade, und einzelne Verle⸗ zungen abgerechnet ſtimmt auch die Praxis aller Länder mit dieſer einfachen Theorie überein.

Die nehmlichen Grundſäze beantworten auch die entge⸗ gengeſezte Frage: in wie fern ein Fürſt über eigene Un⸗ terthanen die aus ſeinem Lande ziehen noch einige Rechte haben könne? Ueber ſolche die ſein Gebiet und ſeinen Dienſt gänzlich verlaſſen, ſich ſeiner Macht und ſeiner ro) Dieſer Grundſaz findet vorzuͤglich ben Erbſtreitigkeiten, Te⸗

ſtamenten, Matrimonial : Verbáltnijfen u. ſ. w. ſeine Ane

wendung, wird aber ben den verkebrten Grundſaͤzen unſerer

Zeit ſehr oft mißlennt und vernachlaͤßigt.

£40 NA

Herrſchaft tn feder Rükſicht entziehen, in fremden Dienft, fremde Verhältniſſe tteten und dabey keine befonderen Pffichten verlezen, die etwa cin Straf⸗Recht begründen könnten: hat er eigentlich keine Rechte mehr, denn ſie find alsdann nicht mehr ſeine, ſondern Unterthanen des fremden Staats, mie mie dieſes ſchon oben bey Anlaß der Avocatorien bewieſen haben. Die Mißkennung die— ſer Regel iſt nur mit dem Deſpotismus der neueren Revolutions⸗Prinzipien entſtanden. Iſt aber der abivee ſende Unterthen nur auf kurze Zeit weggezogen, hat er nicht alle Vortheile des früheren Verbandes aufgegeben, beſizt er noch Eigenthum, will er bekleidende Aemter und Dienſte beybehalten u. ſ. w. ſo iſt er in dieſer Rükſicht immer noch abhängig, ber Macht nicht gänzlich entzo⸗ gen, MA hat gegen ibn noch mehrere Zwangsmittel in - Sônden. Gleichwie ee in ſolchem Fall in Rükſicht Des. Staates wo er ſich zeitlich aufhält, für einen Fremden

git, fo gilt er in Rükſicht ded Staates, aus welchem ex

abweſend iſt, für einen Einheimiſchen. Doch geht auch hier die Herrſchaft nicht weiter als die Macht, die NÉ. hängigkeit nicht weiter als das Bedürfniß; die erſtere äußert ſich daher mehr auf zurükgebliebene Sachen als auf die fortgezogene Perſon, und ſoll übrigens, wie jede andere, nicht zur Beleidigung, ſondern zur Beſchüzung des abweſenden Unterthans, nicht zur Ungerechtigkeit, ſondern zur Handhabung der wahren Gerechtigkeit auge⸗ wendet werden.

144

Gin und dreyßigſtes Capitel.

Fortſezung. 59 Anſtellung, Befoͤrderung, und Verabſchel⸗ dung aller ſeiner Beamten und Diener.

I. Das Recht daju beruht darauf, daß alle dieſe Beamte nur ſeine Diener und fuͤr ſeine Geſchaͤfte beſtimmt (ind.

.II. Beweis dieſes lezteren Sazes aus der Natur der Sache, aus den Verrichtungen und Benennungen der Beamten u. ſ. te

NI, Natuͤrliche Rechte und Verbaͤltniſſe zwiſchen den Fuͤrſten und ihren Beamten, nach der Theorie aller Dienſtvertraͤge, der allgemeinen Gerechtigkeit und ergaͤnzenden Billigkeit.

IV. Geneſis oder natuͤrliche Filiation aller der unzaͤhligen, heut zu

Dag exiſtirenden fuͤrſtlichen Aemter und Bedienungen, aus

einem einfachen beſcheidenen Urſprung. Beweis daj Ge alle nur Diener oder Bevollmaͤchtigte der Fuͤrſten ſind.

Waren die Fürſten nur oberſte Beamte der Nationen, von ihnen geſezt und nur für ſie beſtimmt: ſo lieſſe ſich nicht erklären, wie ſie das Recht haben könnten, alle ſo⸗ genannten öffentlichen oder Staats⸗Beamte zu ernennen, zu inſtruiren, zu beförderen, zu verabſcheiden, die Aemter und Stellen ſelbſt zu errichten oder wieder auf⸗ zuheben u. ſ. w. Solche Gewalt hat noch keine Repu⸗ blik ihrem Präſidenten oder Ehrenhaupt übertragen, ſie würde allein hinreichen den Beamten zum Herren zu ma⸗ chen und die Republik ſelbſt zu vernichten. M Allein auch | 1) Mie dieß in Rom geſchah, von welcher Ufurpation bie Ju⸗

riſten ſtets ihre Grundſaͤze hernahmen und mo dod das Nehk

142 !

dieſes 44 jeder Zeit von allen Fürſten ohne Wiederſpruch ausgeübte Befugniß, erklärt ſich aus ihrer Freyheit und ihrem Eigenthum; aus der einfachen Thatſache, daß die ſogenannt öffentlichen oder Staats-Beamte nicht die Diener des Volks, ſondern nur die Diener des Fürſten und auch nur für ſeine eigene Sache, zu ſeinen Zweken und zu ſeiner Erleichterung beſtimmt ſind. Alsdann iſt es klar, daß die ganze Regulirung ſeines groſſen Haus— weſens, die Anſtellung, Beförderung und Verabſchei⸗

dung aller ſeiner Beamten und Diener, 2 bie Beſtim⸗

mung ihrer Functionen, die vorläufige Feſtſezung aller Bedingungen, der Dauer des Dienſtes, der Beſoldung oder anderer Vortheile u. ſ. w. ihm als unabhängigen Grundherren gleich jedem anderen Herren zukömmt; er übt auch hier nur ein allgemeines Menſchenrecht aus. An ihm ſteht es, die Anzahl ſeiner Beamten und Diener nach

ſeinen Bedürfniſſen oder Hülfsmitteln zu mehren oder zu

minderen, neue Aemter anzuordnen und alte abzuſchaffen, bie wechſelnden Individuen anzuſtellen oder vielmehr i ſeinen Dienſt auf - und anzunehmen, ſie mit Beförde⸗ rungen, Anwartſchaften oder anderen Vortheilen zu bes lohnen, ſie unter Umſtänden wieder zu entlaſſen, ihnen jebe durch die Natur ihres Dienſtes gerechtfertigte Sn. ſtruction oder Vorſchrift zu ertheilen u. ſ. w. wie dieß von jedem anderen Herren geſchieht, der viele und ver⸗ ſchiedenartige Diener zu halten vermag.

ODO —————— ————— ŽE, r nov. Oy

zur Beſezung aller Aemter nicht übertragen, ſondern gleich allen andern von den Imperatoren an ſich geriſſen wor⸗ den iſt.

2) Jus magistratuum creandorum et dimittendorum, jus munerum conferendorum etc. svit bie álteren Juriſten ſich republikaniſch ausdruͤkten.

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Daß aber alle hohen und niederen ſogenannten Staatá. Beamte nur allein Diener bed Fürſten und núť für ſei— ne Geſchäfte beſtimmt ſeyen, 3) wenn ſchon ihre Ber

richtungen mittelbar und nebenher auch dem Volke nüzlich

ſeyn können: das beweist ſich aus Allen Umſtänden und aus der Natur ihrer Verrichtungen ſelbſt. Gleichwie ſie von dem Fürſten ernennt werden, ſo ſind ſie auch, außer Gott, nur ihm allein verpflichtet, ſchwören ihm den Eid, werden von ihm und nicht von dem unterge⸗

benen Volke bezahlt. Zwiſchen den Beamten der Fürſten

und denen anderer begüterter Privat⸗Perſonen © iſt in Benennungen und Verrichtungen die auffallendſte Aehnlich⸗ keit, welche wir theils ſchon oben berühret haben, theils unten noch mehr erweiſen werden. Es beſtätiget dieſes auch der allgemeine ältere Volks⸗ und Canzley⸗Sprach⸗ gebrauch, nach welchem fürſtliche Aemter überall ein

Dienſt odber Herrendienſt heiſſen und der ganze nie

begriff aller Beamten die fürſtliche Dienerſchaft

genannt wird. S Selbſt das fest fo hoch geadelte Wort

9) nicht ministri publici ſondern ministri prinecipis.

4) Siehe z. S. uͤber bdie Dienerſchaft Ruſſiſcher Großen: Wi⸗ chelhauſen Gemälde von Moſskau G. 317 319. Ich wuͤnſchte ſehr von irgend einem großen und vornehmen deutſchen Privathaus cin vollſtaͤndiges claſſifieirtes Verzeich⸗ niß aller ſeiner beſoldeten Beamten zu erhalten, theils fuͤr bie innere Haus⸗ oder Hofhaltung, theils fuͤr die Beſor⸗ gung der Guͤter und Einkuͤnfte, der allfaͤlligen Gerichts⸗ barkeit, bdie Canzleyen u. ſ. w. Namen und Beſoldungen waͤren hiebey ganz unnoͤtbig, die Natur der Stellen iſt mir allein midtig. In meinem Vaterland fehlt mit zu ſolchen Nachforſchungen die Gelegenheit.

5) Auch ber gelehrte Puͤtter nennt ſie bloß bobe und nie⸗ dere Bediente. Im wuͤrtembergiſchen Vertrag vou

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Minifter bedeutet im Grunde nichts weiter als einen Diener. Es giebt daher auch gar keinen reellen oder weſentlichen Unterſchied zwiſchen den ſogenannten Staats⸗ dienern und den perſönlichen Dienern des Fürſten; dieſe Diſtinction, die einige Juriſten haben aufſtellen wollen, 6) iſt blos willkührlich und ſcheinbar; die Gränzlinie kann niee mals beſtimmt angegeben werden, denn der Feldmarſchall der die Armee eines Fürſten commandirt, der Schazmei⸗ ſter der allen ſeinen Gütern, Einkünften und Ausgaben vorſteht, der Geſandte der ſeine Geſchäfte ben auswärti— gen Potentaten beſorgt, ſind ſo gut des Fürſten ſeine Diener, d. h. Hülfleiſter, als der geringſte Schreiber

——— è —— ee

Muͤnſingen de 148: heiſſen ſie: „Canzler, Schreiber, Amtsleute und all andere Diener und Knecht. S. von Moͤſer Beytraͤge zum St. u. V. R. I. 364. Wie doch die Zitulatuten immer geſteigert werden! Auch Dr. Pertz in ſeiner Geſchichte der Merovingiſchen Hausmayer (Hannover 1919) erkennt, dať alle die nachher fo wichtig gewordenen Beamte, nur Haus⸗Beamte des Koͤnigs geweſen und aus ſeinen perſoͤnlichen Beduͤrfnißen hervorgegangen ſehyen. S. 5. Pufendorf bat es verſucht die vorgeblichen minietros publicos und bie ministros principis privatos von einatis der zu unterſcheiden. Er rechnet unter bdie erſteren bie presides provinciarum , die militia terrestris et maritima, bie prefecti ærarii et collectores redituum, qui juri di- cendo et exseguende justitie presunt: bie legati ad ex- - teros, bie consiliarii, scribs etc. De j. n. et g. L. VII. C. 2. $. 24. Allein bdie geringfke fcbárfere Betrachtung zeigt mie grundlos und willkuͤhrlich diefe Unterſcheidung čít. Ben einem Ufurpator mie Auguſtus und den roͤmiſchen Gás faten, da fonnte man freylich zwiſchen ibren perſoͤnlichen Dienern und den Beamten der fruͤheren Republik diſtingui⸗ ren oder ſubtiliſiren, aber nicht ſo bey einem natuͤrlichen Fuͤrſten.

6

Nana

445 und Hausdiener, nur in verſchiedener Rükſicht, zu vera ſchiedenen Geſchäften und mit unendlich verſchiedenem Anſehen, welches ſich nach dem Maaße der anvertrauten

Macht und der zu dem Dienſt erforderlichen Kenntniſſe graduirt.

Demnach ſind alle Rechte und Verhältniſſe zwiſchen einem Fürſten und ſeinen Beamten blos allein nach der Lehre von den Dienýt Bertrágen überhaupt, nad der allgemeinen Gerechtigkeit und wo dieſe nicht auslangt, nad) den moraliſchen Pflichten zu beurtheilen, die zi» ſchen einem nicht nur gerechten, ſondern auch wohlwol⸗ lenden Herren und einem gleichgeſinnten Diener ſtatt fin⸗— den. Dieſe Verhältniſſe ſind daher nichts weniger als willkürlich oder deſpotiſch, ſondern frey, human und ge⸗ genſeitig. Vorerſt ernennt cin Fürſt nur ſeine Diener, gleichwie die Privatherren und Corporationen des Volks die ihrigen auch ernennen. Die Anzahl derſelben iſt blos eine Sache der Klugheit, hängt von Bedürfniſſen und Hülfsmitteln ab; ein Fürſt iſt befugt ſo viele Beamte und Diener zu halten. als er braucht oder zu bezahlen vermag. In ihrer Auswahl iſt er vollkommen frey, verſteht ſich unter denjenigen die das Amt verlangen oder annehmen wollen, denn der Zwang zum Dienſt iſt nicht erlaubt und wäre auch eher ſchädlich als nüzlich, indem ein gezwungener Diener nur ſchlechte Hülfe leiſten würde. ŠÚ er Fremde oder Einheimiſche in ſeinen Dienſt auf⸗ nehmen wolle, hängt blos von ſeinem Gutfinden ab, ? wofern kein Vertrag, kein entgegengeſeztes Verſprechen

7) S. hieruͤber auch Boehmer j. Pp. B. Pag. 492. Zweyter Vand. K

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im Wege ſteht. S) Der den eigenen Unterthanen zu ge⸗ bende Vorzug mag im Allgemeinen der Liebespflicht wie auch der Klugheit angemeſſen ſeyn, iſt aber nicht ſtreng rechtlich, nicht ohne Ausnahm, und es wäre ſogar unklug ſich hierin ganz die Hände zu binden. ?) Schreibt ciu Fürſt in Rükſicht der Anſtellung und Beförderung ſeiner Beamten gewiſſe Bedingungen der Bewerbungs⸗ Fähigkeiten oder ded ſucceſſiven Vorrükens vor, ie 4. B. čin gewißes Religionsbekenntniß, cin beſtimmtes Alter, vollbrachte Studien, abgelegte Proben, frühere Arbeit in dem beſtimmten Fach, verheyratheten oder ledigen Stand u, f. w. fo find bad im Grunde nur Geſeze, bie et fi ſelbſt giebt, Maximen Der Billigkeit und Kluabeit Die er angenommen bat, um ſich ſelbſt die Wahl zu er. leichtern, ber Beſchwerde allzuvieler ermüdender Bewer⸗ bungen auszuweichen und ſich der Treu und Fähigkeit ſeiner Diener zu verſichern, an welche Vorſchriften er aber rechtlich nicht gebunden iſt und von denen er beliebige Ausnahmen machen kann. Der ſogenannte Verkauf der Aemter, d. h. die Bedingung einer bey dem Antritt des Amtes an den Fürſten zu bezahlenden Geldſumme, welche zulezt nur auf cine Beſoldungs - Verminderuna hinausläuft, iſt zwar an und für ſich nicht ungerecht, 10) »Aber unanſtändig und eines großen Herren unwürdig.

. 8) Welches in einigen Reichen, z. B. in Hungaren, der Fall iſ uno cin febr weſentliches Privilegium der Unterthanen ausmacht, aber allemal ſeine ganz beſonderen Veranlaſſungs⸗ Gruͤnde hat.

9) qui hoſtem feriet, is mihi Carthaginensis erit, fortis- simus Hannibal dicere solebat,

10) G, auch Boehmer jus publ. univ. p. 497.

| AST Mag man ihn gleich mit Sophismen zu beſchönigen ſuchen,

wie z. B. daß auf dieſe Art nur vermögliche mithin befe

ſer erzogene Menſchen zu den Aemtern kommen: "D (o führt er doch zu dem großen Irrthum, allen Werth der Menſchen nur nach dem Beſiz des Reichthums abzumeſſen, welcher allein betrachtet der ſchlechteſte von allen Vor⸗ zügen iſt, und weil ce auf (o vielen, unedlen und uner⸗ laubten Wegen erworben werden kann, die unſicherſte Garantie der Moralität abgiebt. Dabey iſt der Reiz zu groß, des ausgegebenen Geldes auf allerley Weiſe wieder einzukommen 12 und endlich verleitet der Aemter⸗Verkauf zu dem noch ſchädlicheren Mißbrauch, eine Menge neuer unnüzer Aemter zu errichten, blos um ſie verkaufen zu fónnen, mithin auf eine verſtekte Art große Geld⸗Sum⸗ men aufzunehmen und ſie unter dem Namen von Beſol⸗ dungen theuer zu verzinſen. Die willkührliche Verſe— zung der Beamten, wenn ſie ſich nicht, wie bey den Militär⸗Stellen, durch die Natur des Dienſtes von ſelbſt verſteht, ſcheint mir nicht gerecht, wenigſtens nicht billig außer als Strafe, 133 indem es ſich gar nicht präſumiren läßt, daß der nehmliche Dienſt und der nehmliche Sold

11) ©. Richelieu Testam. politique Ch. f. sect. 1. ch, 4. auch ſoqar Montesguieu bat die in feinem Frankreich einaerúbrte venalité des charges zu redtfertigen geſucht. Den dortigen Aemterlauf foll der Canzler V Hopital eingefúbrt baben, an: geblich als Mittel gegen die Hofgunft, vermuthlich aber blog aus Selhbetúrfniť.

Alezander Severus optime dixit: ego vero non patiar mercatores poteſstatum: necesse est enim ut gui e€mit vendat. Lamprid. c. a9.

13) Bey den kirchlichen Aemtern wird daher eine ſolche Muta⸗ tion immerhin alé ejne Art von Strafe angefeber.

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12

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dem Beamten an jedem moͤglichen Orte gleich angenehm fen. Die Stellen können auf Lebenslang,, auf beſtimmte Zeit, oder auf wechſelſeitiges Wohlgefallen (ad bene placitum) ertbeilt merben, fo Lang Der Beamte dem Vienít und der Dienſt ihm anſteht. Die Beſoldung fann ber Landesherr urſprünglich nad ſeinem Gutfinden beſtimmen, auch wohl erhöhen, aber ohne rechtlichen Grund nicht einſeitig vermindern, weil ſich hiezu die Einwilligung des Beamten nicht präſumiren läßt. 14 Erfüllt er ſeiner Seits die Bedingungen des Vertrags, ſo ſoll der Fürſt auch bie ſeinigen halten; die richtige Be. zahlung dieſes Soldes iſt eine heilige Schuld und darf, sbne vorangegangenes Vergehen, nicht gezuket noch ge. ſchmälert noch verzögert werden. XS) Was dann die wichtig⸗ ſten Punkte ber Anſtellung, Beförderung und Verabſchei⸗ duny betrifft: fo iſt es vorerſt immer unklug an einem Für⸗ ſten, wenn er ſich nicht die Ernennung aller ſeiner Beamten ſelbſt vorbehält, ſondern nach einem in neueren Zeiten theils aus Bequemlichkeit, theils aus verkehrten Begriffen und ſcheinbaren Vorwänden entſtandenen Syſtem, die Beſezung der geringeren Bedienſtungen, den höheren Beamten, d. h. den unmittelbaren Vorgeſezten über⸗ läßt, ſtatt etwa blos auf ihre Empfehlung und ihren Vorſchlag billige Rükſicht zu nehmen. 16) - Denn durch

14) In Nothfaͤllen, bey außerordentlichem Ungluͤk u. ſ. w. wird ſich dieſe Einwilligung leicht finden, wenn man daber offen⸗ herzig zu Werk geht.

rs) Clamitat in cœlum vox sanguinis et sodomorum , vox oppressorum , merces detracta laborum,

16) So follten 4. B. im Militaͤr alle Offiziersſtellen von dem Fuͤrſten felbfš ernennt oder menigflené das Patent in ſeinem Namen ausgefertiget werden, nicht von den Hauptleuten,

149 die: Abtretung jenes Befugniſſes vermebrt ber Fürſt all: zuſehr die Macht ſeiner höheren Diener und ſchwächt hingegen die ſeinige; ſtatt das natürliche Band ber Abs hängigkeit und Zuneigung an ſich ſelbſt zu knüpfen, knüpft er es an einen andern, indem der niedrige Beamte nun⸗ mehr nicht ſowohl dem Fürſten als demjenigen der ihn ernennt hat, pflichtig und dankbar wird. Auch wirkt cd mächtig auf das Ehrgefühl, ſelbſt der geringeren Claſſen, wenn ſie ſich überzeugen Diener des Fürſten, nicht blos bie Knechte ſeiner Knechte zu ſeyn, und daß dieſer Wes ſichtspunkt ſtets bey ihnen lebendig erhalten werde, iſt für die gewiſſenhafte und freudige Erfüllung bed Dienſtes kei— neswegs gleichgültig. Es ſchadet auch ſelbſt der gerechten und nothwendigen Subordination nicht, welche zulezt auch ihre Gränzen hat und nur für den Dienſt des Für⸗ ſten, nicht aber gegen denſelben gilt. Eben ſo unklug wäre es an einem Fürſten ohne gang beſondere Gründe in einer Claſſe gleicher Beamten und Diener bie natürli⸗ de Vorrükung nad Alter und Dienſt-Jahren zu unterbrechen, weil eine ſolche Uebergehung den Muth und die Hoffnung aller übrigen Arbeiter niederſchlägt, fa ſogar eine Art von Beſchimpfung der zurükgeſezten iſt, mithin auch den Eifer und die Liebe zum Dienſt erkaltet, welches demſelben ungleich mehr Nachtheile bringt, als wenn auch hie und da ein fähiger Mann etwas länger auf Beförderung warten muß. Man pftegt zwar dagegen

Oberſten oder Regiments⸗Inhabern. Dans les Monar- « Chies,? ſagte (hen Bodin, „les meindres Offices⸗ „ď Huissiers, Sergeans, Greffierk, Trompettes, Grieurs, «50nt pourvus par le prince et jusgues aux mesureura, «arpenteurs, longayeura auires Officiera semblables: Be Rep. 1. c.. 10. ,

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hochtönend abzuſprechen, ale Beförderung folle nur nA Verdienſten geſchehen; allein Verdienſte ſind unſichtbare Vorzüge die nicht gemeſſen, nicht mit Händen gegriffen werden können, bie jeder zu haben glaubt und worüber das Urtheil äußerſt trüglich iſt. Die Gunſt der Mächti— gen, die Protection einer Partey, daš Poſaunen einer ſektiriſchen Verbrüderung 17) können eben fo gut ihren Freunden Verdienſte andichten, Reputationen ſchaffen, und finden dabey noch den beſten Vorwand ihre Unge rechtigkeit zu beſchönigen; ja es iſt gewiß, daß bey der Marime alle Beförderung nur dem Verdienſte zuzuwen⸗ den, weit mehr noch als jezt, dreiſte Stümperey tie be— ſcheidene Einſicht, der geſällige Schmeichler den ſtillen Redlichen und das Schimmernde allemal das Wahre ver⸗ drängen würde. 18) Aber dem ohngeacht kann der Fürſt an cine ſolche Rangordnung nad Alter und Dienſt-Jah—⸗ ren von Rechtens wegen nicht gebunden werden. Denn im Grunde exifirt hier immer cin neuer Vertrag, die untergeordneten Beamten haben kein eigenes Recht zu den höheren Stellen, ihre Beförderung iſt bloße Rükſicht

der Billigkeit oder der Klugheit, und in außerordentlichen

dállen, d. b. in ſolchen wo die Anwendung der gewöhn⸗ lichen Regel offenbar ſchädlich wäre, kann ber Fürſt al⸗ lerdings von ſeiner vollen Freyheit Gebrauch machen, um ſo da mehr als das Beßte des Dienſtes immer der höchſte Zwek iſt und. nur wegen dieſem tm Allgemeinen bie na—

17) Iſt baͤufig der Fall geweſen. Man koͤnnte aus unſeren Zeiten frappante Beyſpiele vadon anfuͤhren. S. oben T. I. pag. 155,

18) S. hieruͤber die geiſtreiche Abhandlung, keine Befoͤrde⸗ rung nad Berbienfen, in Moͤſers patrietifácn Phantaſien T. 2. XL.

5t.

türliche Vorrükung Befoľget wird. Mad endlich bie wil la— kürliche Verabſcheidung der Beamten und: Diener betrifft, ein Befugniß über welches in neueren Zeiten fo. ſehr geſtritten worden: 19) fo kann ſolches an und für ſich einem Fürſten unmöglich abgeſprochen wer⸗ ben. Wird es ja auch von jebem Privatmann ohne Widerrede ausgeübt. Kann der Vertrag, deſſen Dauet ohnehin nur auf wechſelſeitiges Wohlgefallen beſtimmt iſt, von dem Diener aufgeſagt werden, warum nicht auch von dem Herren? Und in welcher peinlichen ja ſogar ſklavi⸗ ſchen Stellung wäre nicht cín. Fürſt, wenn er einen un⸗ würdigen oder unfähigen Beamten, oder einen ſolchen der ihm durch ſein Betragen verhaßt oder verdächtig gewor⸗ den, wider ſeinen Willen dennoch behalten und beſol⸗ ben müßte? Die Nenſchen bleiben nicht immer mie: ſie waren, der beßte kann ſchlecht, der eifrigſte träg, der fähigſte unbrauchbar werden, und doch iſt nicht alle⸗ mal Grunds genug vorhanden ſolchen Beamten als Ver⸗ brechern den. Prozeß zu machen, welches fte noch dazu der öffentlichen Beſchimpfung Preis geben würde. Aber auf der andern Seite kann nicht geläugnet werden, daß die Ausübung jenes Rechts durch die Billigkeit beſchränkt wird, und daß es von klugen Fürſten nicht ohne viele

19) Eben deßwegen weil man in unſeren beutigen Naturrechts⸗ Syſtemen auf die ergaͤnzenden Vorſchriften der Moral und bie Regeln der Klugheit gar keine Ruͤkſcht nehmen mil. Dann ſuchen ſie den unvermeidlichen Luͤken und Inconve⸗ nienzen jenes bloßen einſeitigen Rechts dadurch auszuweichen, daß (ie Liebespflichten zu Zwangspflichten machen; die nemli⸗ chen Herren, welche alles naturwidrig zer ſpalten, ſind wieder die erſten alles unter einander zu werfen und dadurch die ganze Wiſſenſchaft zu verfaͤlſchen. . |

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bat mit fürſtlichen Bedienungen dod) nicht gang die nemli—⸗ he Bewandniß tie mit Privatdienſten. Sie ſind hervor—⸗ ragender, bekannter, ſchwerer zu erſezen; ihr Verluſt iſt für die Ehre ungleich kränkender. Und einen Beamten höherer Art, der einen Dienſt verſieht zu deſſen Erlangung er vielleicht viele Studien, Zeit und Arbeit verwendet, auf deſſen Beſiz er ſeine Ehre und ſein ganzes Glük ge. baut, dem er vielleicht andere vortheilhafte Erwerbungs⸗ Mittel aufgeopfert hat, ohne wichtige Gründe von Untreu oder gänzlicher Unfähigkeit zu verabſcheiden: iſt deßwe—⸗

gen unbillig, weil er nicht leicht einen neuen Dienſt von gzleicher Art wieder ſinden kann, durch bdie Länge der

Zeit vielleicht zu anderen untauglich geworden iſt und ihm daher durch bie Entziehung ſeines Amtes cin großer Schade zugefügt wird. Der Kor an macht es dem Maho— metaner zum religioſen Gebot: „Du ſollſt einen alten „Diener nicht verlaſſen, wenn ihn Alter oder Krankheit

„verhindern dir nüzlich zu ſeyn,“ und aus ähnlichem Ge⸗

fühl pflegen auch in unſerem chriſtlichen Europa derglei⸗ cher Verabſcheidungen entweder nicht ohne Unterſuchung

und Urtheil oder nicht ohne Beylaſſung ded Gehalts zu

geſchehen; ja cd find ſogar freundliche Uebungen vorhan-

„ben, Beamte die in treuem Dienſt alt und untauglich ge⸗

worden, entweder mit ruhigen Stellen, oder mit Penſio⸗ nen ohne Dienſt zu belohnen, und dieſe Wohlthaten bisweilen auch auf ihre Wittwen und Kinder auszu—⸗ dehnen.

Man würde übrigens erſtaunen, wenn man in der

Geſchichte nachforſchte, wie gering urſprünglich (ſelbſt in

grafen Reichen) die Anzahl, mie beſcheiden die Benen—

Vorſtcht und Schonung gebraucht werden ſoll. Denn es

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nungen aller ber zahlloſen Aemter und Bedienungen as teni, unter deren Laſt fest die Völker erliegen und von denen die Finanzen faſt aller Fürſten niedergedrükt wer⸗ ben. Auch find noch viele jener Benennungen, ſelbſt in den heutigen Staaten, übrig geblieben, welche die ur⸗ ſprüngliche Einfachheit aller Dinge beweiſen. Wir wol—⸗ Jen es verſuchen eine kurze Geneſis, gleichſam die natürli⸗ de Filiation aller jener fürſtlichen Aemter und Bedie⸗ nungen zu entwerfen, wie ſie aus den Umſtänden und den allmählig ſich mehrenden Bedürfniſſen von ſelbſt fließen. Sn unſern ſtatiſtiſchen Büchern und in ber Be. ſchichte die nie in dieſem Sínn erforſchet und bearbeitet worden iſt, findet man zwar zu ciner ſolchen Darſtel⸗ lung wenig Data; auch kann ſie freylich niemalen voll⸗ ſtändig werden: denn wer wollte ſie alle zählen, die unendlich vielen Hülfleiſtungen, deren cin reicher, mäch—⸗ tiger und dazu unabhängiger Herr entweder zu ſeiner nothwendigen Exiſtenz und Sicherheit, oder zu ſeiner Bequemlichkeit, oder zu ſeinem Vergnügen bedarf, oder auch nur zur Befriedigung ſeiner Eitelkeit wünſchen kann. Die Skizze wird aber dennoch intereſſant bleiben, bad übrige begreiflich machen und vorzüglich ben Ďaupte Grundſaz beſtätigen, daß alle ſogenannten Staats⸗Be⸗ amte im Grunde doch nur Diener oder Bevollmächtigte des Fürſten und nur für ſeine Zweke, ſeine Geſchäfte beſtimmt ſind, wenn ſchon das kurzſichtige Aug der meiſten Menſchen ein ſolch großes Hausweſen weder zu faſſen noch zu üherſehen vermag.

Die erſten Diener, nicht in Abſicht der Wichtigkeit des Gegenſtandes, aber der Zeit und dem Bedürfniß Nad, find diejenigen fúr bie nothwendige, angenehme

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und bequeme Bedienung ber Perſon bed Fürſten odber ſei⸗ ner Familie, oder für die Beſorgung des Hauſes in dem er wohnt, und welches man nach der deutſchen Sprache einen Hof nennt, weil es nach Art der zerſtreuten Land⸗ ſize mit einem Hof, d. b. mit einem befriedigten, um⸗ ſchloſſenen Plaz und dazu gehörigen Grundſtüken umgeben war: eine Benenttung, die nebenher ad wieder bewei— ſen mag, daß die Fürſtenthümer ſelbſt aus ſolchen freyen Landſizen oder Herrenhöfen hervorgegangen ſind. Dieſe nun ſo ſehr geſuchten und geſchäzten Hofämter nannte man ehmals das Hofgeſinde, und die Edel—⸗ leute, d. h. die freyen und angeſehenen Männer, wollten ſie nicht einmahl annehmen, bis ſie allmählig durch Ar⸗ muth dazu genöthiget wurden, oder bis man nach einge⸗ führtem Lehen⸗Syſtem die Wendung erfand, auch dieſe Bedienungen als Lehen zu erklären, dadurch ihr Anſe— hen zu heben, ſelbige in gewiſſen Familien erblich zu machen, mithin gleichſam in ein Eigenthum zu verwan⸗ deln. Ihre Benennung und ihre Claſſification bat mit der Dienerſchaft eines jeden großen und vornehmen Hau⸗ ſes die auffallendſte Aehnlichkeit, nur daß die Titel der Fürſtlichen Hofämter allmählig immer höher geſteigert wurden, um ſie von gleichartigen Privatdienſten zu unter⸗ ſcheiden. Aus den Haus⸗Meyern oder Haus⸗Hof—⸗ meiſtern, welche die Ober⸗Aufſicht über daš ganze Bee ſinde führen (den maitres ďhôtel), find die Hof Ma r. ſchalle und Ober⸗Hofmarſchalle, die Maires obeť grands Maréchaux du páľais entſtanden. 29) Außerdem

30) Die vielfáltigen und alle gleichbedeutenden Lateiniſchen Ueber⸗ fezungen dieſes deutſchen Titels, als z. ©. Major, Senior, princeps , prapositus , przfectus , Rector, Gubernator,

- moderator, domus regis, domus regalis, Aule, palatis

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findet man faft in allen Hofhaltungen Dberíta Stali. meiſter, Ober⸗Jägermeiſter, Obeť Geremos nicn -Meifter, Obert. Kámmerer, mit ben me merern oder Kammer-Herren und Kammer Jun: kern; Ober-Küchenmeiſter, Nuffeher über die Mo⸗ bilien und Kleidungen (grands maitres de la garde- robe), Oberít- Shenten und Mundſchenken, Truchſeßen oder Vorſchneider u. ſ. w., von denen. jeglicher wieder cine unzählbare Menge anderer“ Bedien⸗ ten oder Gehülfen unter ſich hat, bis ſie ſich zulezt in die niedr igſten und gemeinſten Hülfleiſtungen verlieren. »10 Es wäre intereſſant zu wiſſen, wie wenige dieſer Hof⸗ ämter oder Hofbedienungen urſprünglich, ſelbſt in bedeu⸗ tenden Fürſtenthümern, beſtanden; aber in allen ſind ſie nach und nad ben zunehmendem Reichthum und vergröſ⸗ ſerter Prachtliebe, immerfort faft. ing Unendliche ver. mehrt worden. 22) Zulezt wurden verſchiedene dieſer Nem.

u. ſ. w. cf. in Pertz Geſchichte der Merovingiſchen Haus⸗ meyher €. 13.

21) 3. B. Nnter Stallmeifter, Reit-Pagen, Neit: knechte, Rutíder, Roßwarter u. ſ. -, Hof: und Jagd-Junker, Maffentráger, Buͤchſenſpanner, Jaͤgerburſche Pagen, Kammerdiener, Lakaven, Heiduken, Mobren, Laufer, Zimmerpuzer, Trom⸗ peter, Pauker Hof⸗ und Mundkoche, Kuͤchen⸗ junge dazu die geiſtlichen Hofaͤmter, Hof⸗Kaplane und Hof⸗Prediger, Groß-⸗Almoſenier u. ſ. we, die Hof: und Leibaͤrzte 16. ꝛc. ꝛce. ferner die faſt eben fo zahlreichen weiblichen Hof⸗Chargen u. ſ. w.

22) Den Hofſtaat des Koͤnigs David ſ. 1Chron. XIX, 15. und XXVIII.: den von Salomo x Són. IV, 35. und IX, 23. Er batte mit dem heutigen febr viel aͤhnliches. Das Weſent⸗ liche iſt doch uͤberall daſſelbe. Den Hofſtaat der heutigen Fuͤr⸗

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ter auch bloße Viteľ obne Arbeit, die ſelbſt vor großen und vornehmen Herren, der Auszeichnung odeť Der das mit verbundeneu Einkünfte wegen, geſucht wurden.

Allein die Exiſtenz eines Fürſten iſt nicht blos in fei. ner Wohnung eingeſchloſſen, noch auf müßigen Genuß der Freuden des Lebens beſchränkt. Er beſizt eine Menge naher oder eijtfernter Güter und Einkünfte, ex ſteht in mancherley Verhältniſſen mit ſeinen Beamten, ſeinen Un⸗ terthanen und mit ſeinesgleichen, d. h. mit anderen Für⸗ ſten ſelbſt; dieſe veranlaſſen eine Menge von Geſchäf— ten, welche er nicht alle ſelbſt beſorgen will, noch viel weniger mündlich abthun kann. Zur Erleichterung des Fürſten in dieſen ſeinen Geſchäften, welche man heut zu Tag die Regierung nennt, find alſo Schreiber er— forderlich, zumal da nothwendig auch mit Abweſenden geredet und ihnen der Wille oder die Entſchließung des Fürſten kund gethan werden muß. Das iſt der Urſprung der ſogenannten Miniſter, die im Grund nichts weiter als die erſten Secretairs oder Geheimſchreiber ded Kö⸗ nigs ſind. 23) Eine ſolche Stelle fest bereits cine Art von Gelehrten voraus, der in Rechten und Formen er⸗ fahren, der Verhältniſſe kundig, mehrere Sprachen ver⸗ ſtehen und ſich in denſelben anſtändig muß ausdrüken kön⸗ nen. Auch iſt ſie nothwendig mit vielem Einfluß verbun⸗ den, welches wieder ihr Anſehen hebt. Statt der vielen Miniſter nun, die wir in unſeren Tagen ſehen, hatten

ſten fann man in allen Hof: und Staats⸗Calendern, iu. Kre⸗ bels genealog. Handbuch u.f. w. leſen.

23) In England und. Frankreich werden ſie noch auf den heutigen Tag secretaires du roi genannt. Auch in andern Staaten. © Krebels genealog. Handbuch.

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die Fürſten urſprünglich einen Schreiber 249 oder Hof⸗ ſchreiber und ſeine Schreibſtube hieß die Canzley, daher er bisweilen auch Hof⸗Canzler und nachher et⸗ was vornehmer, oder in Beziehung auf auswärtige Mächte Staats⸗Canzler genannt wurde. Dieſer legte dem Fürſten bie Geſchäfte vor, ſie mochten nun in Bittſchrif⸗ ten von Privat⸗Perſonen, oder in Meldungen und Ein. fragen der verſchiedenen Beamten, oder in Schreiben von auswärtigen Mächten, odber in ded Canzlers eigenen Vor⸗ trägen und Gutachten beſtehen. Er erhielt hierüber des Fürſten Entſchlüſſe oder ſonſtige Befehle, beſorgte deren Ausfertigung, bewahrte das Fürſtliche Siegel 25) und führte wahrſcheinlich auch die Aufſicht über das Haus⸗ Archiv. Lange Zeit hindurch waren dieſe Canzler die ein⸗ zigen Miniſter der Fürſten, 26) wie man es noch heut zu Tag in den meiſten kleineren, beſonders deutſchen Für⸗ ſtenthümern fab. 27) Oft fanden und bildeten ſich unter

24) Caſpar Schlik (Graf), Koͤnig Sigmunds Schreiber. Selbſt Reichs⸗Referendarien wurden fo genennt, mie am Griechiſch⸗ Kayſerl. Hofe zvroyoa Das Vnovoa Val. Muͤllers Sámel: zer⸗Geſch. 111, 416.

25) Daber die Siegelbemabrer, Groß⸗Siegelbewab—⸗ vet, Garde de sceauz, welche Wuͤrde gewoͤhnlich mit der Canzlerſtelle vereiniget iſt.

26) Sn Frankreich war vor Alters der Canzler oder Staat$ s Nes ferendaríng ber eigentliche Geſchaͤftsmann des Kôniad: unter ihm ſtanden Sekretairs; Notarien beſorgten bie Expeditionen. J. v. Muͤller Welt-Geſch. II, 524.

27) Seit der franz. Revolution hingegen, will auch der kleinſte Fuͤrſt eine Menge von Miniſtern haben, und unſere Pbiloſo⸗ phen wollen ſogar aus der reinen Vernunft wiſſenſchaftlich de⸗ duciren, daß wenigſtens ein halbes Duzend Miniſter ſeyn muͤſſen, wobey dann freylich einer mehrere Portefeuil⸗

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denſelben treffliche Köpfe, die durch tretie Anhänglichkeit an ihren Herren, gründliche Geſchäfts⸗Kenntniß und helle Ueberſicht des ganzen Zuſammenhangs, ſelbſt großen Rei⸗ chen mit ausgezeichneter Würde vorſtanden. Vermehr⸗ ten ſich aber die Geſchäfte zu (cbr, oder wurde der Canz⸗ ler alt und unvermögend, oder war er zu vornehm und nicht arbeitſam genug, ſo mußte man ihm Unterſchrei—⸗ ber oder Subſtituten zugeben, die man in Frank⸗ reich noch in unſern Tagen, gleichwie in Handelshäuſern, lediglich commis oder premiers commis, 2%) in Deutſch⸗ land aber, wegen der dieſer Nation eigenen Titelſucht, Hof- und Staatsräthe nennt, vermuthlich weil ſie ft in cin Collegium oder einen Rath verſammelt werden, wo jeder ſeine Arbeit dem Canzler vorlegen und darüber referiren muß. Bald wollten auch dieſe ſich die Arbeit leichter machen oder waren in der That nicht hinreichend; fie forderten neue Gehülfen, unter mancherley Bründen und Vorwänden, denen nicht immer auszuweichen iſt, mußten die Fürſten ſtets mehrere Leute und Schreiber anſtellen, deren Zahl bey manchen heutigen Reichen ins Unglaubliche geht 29) und großen Theils cín Grund des

les ſoll vereinigen, d. b. mit mebr als einer Brieftaſche zum Fuͤrſten fahren koͤnnen. O! der revolutionaͤren Abgeſchmakt⸗ heiten!

28) jezt ſeit der Revolution chel. de bureau oder Chefs de di- vision,

29) In einem mir befannten großen Etoat eiftiete unge faͤhr fols gende Gradatiou: In jeder Canzley, d. b. in jedem Miniſt erio 1) der Miniſter oder Canzler, 2) Gebeime Nátbe, meiſt ein blofer Titel, 3) ber Vice⸗Canzler, 4) Staats⸗ Náthbe, cine ganz neue Creation, gewiſſermaßen úber die Miniſter, obgleich an Nang und Cinfiuf unter ihnen, s) Hof⸗

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in neueren Zeiten eingeſchlichenen langſamen, mechani⸗ ſchen, allen Geiſt ertödenden Geſchäftsganges iſt, den man

ſonſt in Monarchien nie hätte vermuthen ſollen.

Indeſſen wäre ein ſolcher Canzler mit ſeinen vielen

oder wenigen Gehülfen immer nur eine einzige Canzley

geweſen. Allein damit war es bald wieder nicht genug. Erhielt der Fürſt mehrere Länder, beſonders ſolche in denen etwa eine andere Sprache geredet wurde, oder ver⸗ mehrten ſich fonſt die Geſchäfte durch erweiterte Bedürf⸗ niſſe und Verhältniſſe: fo wurde die Laſt auch einem ein⸗ zigen Canzler zu ſchwer und wenn er zulezt auch nur die Ausfertigungen hätte durchſehen und die Unterfchrift beſorgen ſollen. Dabey würden ſich ſelten Männer ge⸗ funden haben, die einer ſolchen Maſſe verſchiedenartiger

Befcháfte gewachſen geweſen wären. Man ſchaffte daher

mehrere Canzler, mehrere Kanzleyen, bald nad) den Län—⸗

dern, welches 'auch die natürlichſte und beßte Eintheilung

iſt, wie ſie noch heut zu Tag in Oeſtreich beſteht, 30?

bald nach den Fächern oder Gegenſtänden, welche neuere

Methode hingegen viele Inconveniente hat, indem ſie die

Ueberſicht des Ganzen unmöglich macht, die meiſten Ge⸗

ſchäfte in verſchiedene Fächer einſchlagen, überhaupt in

raͤthe, 6) Hof⸗Seeretairs, als Subſtituten ber Hofe raͤthe, 7) Hof⸗Coneipiſten, eine neue Creation, da ſonſt bie Secretairs concipitten, $) Concípiffené:Weceffifen, Canzliſten, Aeceſſiſten, Negiftranten, Praťtis fanten >c. In dem neueten Frankreich mar bie Zabl ſolcher Beamten noch viel groͤßer und gieng ing Unglaubliche.

39) Die Bôbmiích » Oeſtreichiſche, die Hungariſche, Siebenbúte giſche, Galliziſche Hof⸗Canzley, dann bie Hof: und. Staatés Canzley, bie Hof⸗Kriegs⸗Canzley, bie Hofklammer 16. ehmals bie Reichs⸗Canzley u. ſ. w.

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der Realität gar nidt fo geſöndert find wie man ſie in dem Kopf oder auf dem Papier zerſpalten kann, und da⸗ her dann entweder einſeitig und unvollkommen, oder nur nad teitláufigen Communicationen zwiſchen Den verſchie⸗ denen Canzleyen, ja ſogar nad verderblichen Colliſionen und Oppoſitionen zu ſpät und ſchlecht abgethan werden. Aus dieſen neuen Canzlern entſtanden die Kriegs⸗Mi— niſter, welche vor den ſtehenden Armeen gar nicht nö⸗ thig waren und nur ſeit denſelben aufgekommen ſind; die Finanz-Miniſter, fr welche man ſonſt etwa zu Mb. nahm der Rechnungen von den Herrſchaften, Führung der Haupt-Caſſa und Anweiſung der Ausgaben einen Ober⸗Schaffner, Rent⸗-oder Schazmeiſter hatte, der oft die Oekonomie empfehlen und mehr auf Vermin⸗ derung der Ausgaben als auf Vermehrung ber Einnah— men ſehen mußte; ferner die Miniſter für die auý> wártigen. Geſchäfte, welche vormals nidht fo häufig waren und von dem Fürſten ſelbſt mit feinem Canzler leicht abgethan wurden; die Juſtiz-Miniſter, alldie— weil man ſonſt glaubte, daß die Juſtiz in allen möglichen Geſchäften erforderlich ja ſogar die Hauptſache ſey, und die wenigen Gegenſtände welche in Abſicht der Privat⸗ oder ſogenannten Civil⸗-Juſtiz vor den Fürſten gelangen müſſen, gar wohl einem Obergericht oder der gewöhnlichen Canz⸗ fen anhängig gemacht werden konnten; die ſogenannten Polizey-Miniſter, eine neue Art von Groß⸗-Inqui⸗ ſitoren, welche noch vor einem halben Jahrhundert uhbe. kannt waren, maſſen daš allgemeine Auskundſchafts⸗/Sy⸗ ſtem in Zeiten von Ruhe und wechſelfeitigem Zutrauen unnöthig iſt, ſonſt aber jeder Miniſter in ſeinem Fach, jede Provinzial⸗Verwaltung, jede Stadt-Magiſtratur in ih⸗ rem Bezirk, Polizey, d. h. gute Ordnung hielt und die

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imeine Sicherheit ju beförderen ſuchte. Durch den Ein⸗

fuß der verkehrten (revolutionären) Staats⸗Principien,

nach welchen man nicht mehr die Sache des Fürſten, fotia

dern die Brivat » Sade aller Unterthanen regkeren zu

müſſen glaubte, ſahen wir ſogar in neueren Zeiten Mi⸗

niſter des Akerbaus, des Handels, der Volksauf— klärung, der Künſte und Wiſſenſchaften, auch Cult-Miniſter (wie man ſich nad einem revolutionä⸗ ten Gallicismus lächerlich ausdrükt) u. ſ. w., von denen aber die erſteren im Grunde doch nicht mit dem Handel und Akerbau, ſondern mit ben fürſtlichen Straßen, Brü⸗ ken, Häfen, Zöllen u. ſ. w., die lezteren höchſtens mit den boh dem Landesherren geſtifteten Schulen uud Un— terrichts⸗Anſtalten ſich beſchäftigen, bdie Cult⸗-Mini— ſter dann in catholiſchen Ländern durchaus unnüz 310 und in proteſtantiſchen eben fo leicht entbehrlich ſind, zu⸗ mal die wenigen kirchlichen Angelegenheiten bey denen die Autorität des Landesherren eintreten muß, gar wohl von einem Ober-Conſiſtorio, Kirchen-Convent u. dgl. re⸗ ferirt und von der gewöhnlichen Canzley ausgefertiget werden können, auch dieſe ganze Inſtitution auf dem fal⸗ ſchen Grundſaz beruht, daß Religion und Kirche eine Sache der Fürſten oder eine willkührliche Staats-Anſtalt ſey. Alle dieſe neuen Canzler oder Miniſter mußten nun wieder ihre Räthe oder Gehülfen, Kriegs-Räthe,

31) Ueber die Ungereimtheit und die Schaͤdlichkeit des ſogenannten

Minister des cultes in Frankreich ſ. 4mi de la réligion du Roi T. IX. p. 37. €r mat von Buonaparte cingefúbrt, cin wahrer Quaͤler der Kirche, batte init aleicher Verachtung Catholiken, Proteſtanten und Juden zu adminiſtriren und es mußten auch die geringſten Sachen vor ihn und ſeine Bu⸗ reaux gebracht werden. Zweyter Vand. g

..

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Rammer. odber Finanz-Räthe, Gebeime Náthe, Juſtiz- und Polizey Nátbe, Gommeriictie Räthe, Kirchen- und Schul⸗Räthe, nebſt einer Menge von Unter⸗Eekretärs, Goncipificn, Canzliſten,

Regiſtranten u. ſ. w. haben. Gleichwie aber die Natur am

Ende ſtets wieder zu einer Art von Einheit zwingt: fo war über alle dieſe Miniſter und Canzleyen, wenn ſie ihre Geſchaͤfte dem Fürſten vortrugen und dieſer nicht etwa aͤuf ber Stelle ſelbſt entſchied, bed) wieder cine Ober⸗ Auffſcht und cine Canzley in ber Núbe des Fürſten nö— thig, um ſeine endlichen Reſolutionen oder unmitteľa baren Befehle (Hand-Billets) augzufertigen. Dieſe "heift man das Cabinet, vermuthlich weil der Fürſt ur⸗ ſprünglich in ſeinem Cabinet ſelbſt ſchrieb, ihren Vorſte⸗

Her aber bald oberſten Canzler, bald Cabinets⸗

Miniſter u. ſ. w.,, der nun wieder ſeine Cabinets⸗ Räthe und Cabinets⸗Sekretäre, nebſt dem gan—⸗ zen Gefolge von Unterſchreibern, Aufwärtern und Be. dienten haben muß. So iſt aus einem einfachen Urſprung die unzählbare Menge von Hofbeamten, Miniſterien und Canzleyen entſtanden, die mit ihren Familien und Die⸗ nern in allen Haupt⸗ und Reſidenz⸗Städten den größten Theil der Bevölkerung ausmachen, die an Beſoldungen, Schreibmaterialien, Geräthſchaften und anderen Bedürf⸗ niſſen ungeheure Summen koſten, und deren Canzleyen und Archive cine. Menge weitläufiger Gebäude erfordern » welche zuſammengenommen mancher bedemenden Stadt gleich kommen würden.

| Bey dem allen (ind dieſes nur noch die Veamte in der Reſidenz ſelbſt und zwar ben meitem nicht vollſtändig. In den Ländern, d. b. in den verſchiedenen Cutern vad

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163 Herrſchaften, welche ein Fürſt Befist, auf welchen er

nicht überall ſelbſt wohnen kann und deren Vereinigung

man erſt hintenher, nad Art der Römer, den ſtolzen Namen Provinzen gab: bat der Fürſt natuͤrlicher Weiſe

Anter-Beamte nöthig, nicht wie man nad) neueren

Prinzipien glaubt, um die darauf wohnenden Menſchen

zu regieren, ſondern um ſeine Sache zu regieren, ſei⸗ nen eigenen Geſchäften vorzuſtehen, b. b. um ſeine Do—

mainen zu verwalten, die Einkünfte zu beziehen, die nú. thigen Ausgaben zu beſorgen, über alles Rechnung zu geben, dabey dann auch den Unterthanen in ſtreitigen und nicht ſtreitigen Angelegenheiten freundliche Hülfe zu Jeiſten, b. h. das Recht zu ſprechen. Dieſe Beamte hieſ⸗ ſen Verwalter, Schaffner, Einzieher, oder wenn ſie zugleich eine Art von Jurisdiktion beſorgten, Amt⸗ leute, Oberamtleute, auch Vögte (von Advoca- tus) Landvögte, Burgvögte, Schloßvögte 32) U. ſ. w. wie ſie auch von anderen begüterten Privat⸗ Herren gehalten werden. Denſelben ward nebſt einem Amtsweibel, als Abwärter und Gerichtsdiener, vor⸗ züglich noch ein Amt- odber Landſchreiber zugegeben, welcher allein hinreichend war wenn er nur die Geſchäfte

ded Fürſten oder des Amtmaunns beſorgen ſollte, aber

Subſtituten haben mußte, wenn er zugleich der gea woͤhnliche öffentliche Schreiber ber Unterthanen in ihren Privat⸗Angelegenheiten ward, und von dieſen Neben⸗ Verrichtungen den größeren Theil ſeiner Einkünfte zog. Lange Zeit hindurch waren dieſe Landvögte ꝛc,, außer etwa den Zoll⸗Einnehnern, die einzigen Beamte in den

32) Im Mittelalter advocatus, provisor villze ſ. Montag Geſch. der ©. Staatsbuͤrgerüchen Freyheit T. I. p. 131.

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Zändern oder Herrſchaften, mie dann dieſe glüklicht Einfachheit vorzüglich noch in der alten Schweiz beſtand, wo bie freyen Städte und Länder nach und nad unvermerkt zur Unabhängigkeit gelanget waren, mithin die früheren Gewohnheiten um fo mehr beybehielten, als Republiken

überhaupt nicht neuerungsluſtig ſind, und menu die Noth

nicht das Gegentheil erfordert, faſt alles auf dem nemli⸗ hen Fuße ſtehen laſſen. 33 Waren indeſſen jene fürſtli⸗ den Herrſchaften ſehr zahlreich, fo daß ihre unmittelbare Berührung mit den Haupt⸗Canzleyen den lezteren zu be⸗ Ichwerlich ward, oder machten ſie zuſammen cin beträchtli⸗ ches Land aus, welches etwa ſchon vorher einen eigenen Herren gehabt hatte: ſo wurde über eine gewiſſe Zahl dieſer Amtsverwaltungen ste Oberbebörde geſezt, und aus dieſen find bie ſogenanuten Provinzial⸗Regie⸗ rungen oder Gubernien entſtanden, welche allein mit den Stellen oder Canzleyen bey Hofe correſpondirten, die minderen Geſchäfte aber von ſich aus beendigten. Hier war nun wieder unter einem Regierungs⸗Präſi— denten oder Gouverneur;, cín Collegium von Regie⸗ rungs⸗Räthen erforderlich, welche ſich nad der Ana⸗ logie der den Amtleuten obliegenden, und zum Theil vor das Gubernium kommenden Geſchäfte, in Oekonomie, d. b. Land-Räthe úno Juſtiz-Räthe abtheilten und wie ſich von ſelbſt verſteht, gleich den Hofſtellen, mit einer nicht geringen Zahl von Unterbeamten, Schreibern und Dienern ausgerüſtet werden mußten, alle aber im

33) In der neuen Schweiz ſeit 1798 it es and nicht mehr fo,

und ſelbſt die partiellen Wiederherſtellungen von 1802 und 1814 bahen viel von dem heilloſen Revolutions⸗Unweſen ji. heu gelaſſen. |

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Grunde nur die Sache des Fürſten beſorgten oder in der Gerichtsbarkeit ſeine Stelle vertraten. Bald wollten auch⸗ dieſe Provinzial⸗Regierungen, der Menge von Geſchäften wegen, wieder in Kammern abgetheilt ſeyn, oder es kam auch die neuere Doctrin der ſogenannten Gewalten⸗ Trennung auf, ein Spaltungú - Syſtem, nad welchem bald kein Beamter zwey Dinge entweder zugleich oder nach einander hätte beſorgen dürfen, und aus dieſer dappelten Veraulaſſung entſtanden die, von den eigentlichen Guber⸗ nien, getrennten Appellations-Gerichte, welche

aber oft mit den erſtern in Colliſton kommen, indem es gar

nicht (o leicht zu entſcheiden iſt, was eine Rechts⸗Sache und maď eine Oekonomie⸗ oder ſogenannte Adminiſtrations⸗ Sache ſey, auch meiſtentheils beydes mit einander ver⸗ bunden, mithin die Trennung unmöglich iſt, wenn man nicht über alles Prozeſſe haben oder die Juſtiz im eng⸗ ften Sinn blos auf ſogenannte Civil⸗Sachen, d. b auf ſolche Streitigkeiten und Rechtsfälle beſchränken will, die den Landesherren gar nichts angehen und nur zwiſchen ben Privat-Perſonen, als ſolchen, unter einander ſtatt haben. Wurde nun von einem dieſer Appellatjions ⸗Ge⸗ richte, denen man doch nicht unbeſchränkte Competenz er⸗ theilen kann, an den Fürſten appellirt: fo ſchien cd. un⸗ ſchiklich die Unterſuchung dieſer Streitigkeit, wie ſonſt, ben gewöhnlichen Canzley⸗-Referenten aufzutragen; es mußte daher bey Hofe die nemliche Trennung wie in den Provinzen eingeführt, mithin über alle Appellations⸗Ge⸗ richte cin oberſter Gerichtshof oder eine oberſte Juſtiz-Hofſtelle, bald mit abfoluter bald mit be⸗ ſchränkter Compentenz, errichtet werden, die nun wieder cine Menge von Unterbeamten haben, ehmals aber fit: Linem einzigen Staat beſtanden, ſondern tie wir bey

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dem Abſchnitt von ber Gerichtsbarkeit zeigen werden, alle neueren Urſprungs ſind. Ueber dieſelben aus ſah man in unſeren Tagen bisweilen noch Juſtiz⸗-Mini—⸗ ſter und Caſſations⸗Tribunale, welche leztere eine Revolutions⸗Erfindung ſind, nach welcher der König oder ſeine oberſten Behoöͤrden, wegen ber vorgeblichen In⸗ dependenz der richterlichen Gewalt, zwar nicht ſelbſt ent⸗ ſcheiden, noch die Urtheils⸗Sprüche der unteren Tribu⸗ nalien corrigiren, wohl aber hingegen, wenn ſie den Ge⸗ ſezen und Formen widerſprachen, ſollten caſſiren und den Prozeß an cin neues Tribunal weiſen können, woinit dann freylich den Parteyen nicht geholfen iſt, und zulezt doch wohl ein Untergericht wird gefunden werden, mel. ches dem Willen der ecaſſirenden Machthaber entſpricht und ſich ihre Weiſung zur Regel dienen läßt. 5. Sa vervielfältigen ſich die Räder der Maſchine immer mehr, ohne daß die Geſchäfte weder beſſer noch geſchwinder ge⸗ hen; täglich werden neue, meiſt überflüſſige Dienſte er⸗ richtet, ſelten oder nie wieder abgeſchafft, und die Be. ſoldungen jener entſezlichen Menge von Beamten freſſen faſt in allen Staaten die natútlichen Einkünfte von Domainen und Regalien auf, mit denen ehmals faſt alle Ausgaben der Fürſten, ohne Steuren noch Auflagen reichlich beſtritten werden konnten.

Kommen nun gar noch Auflagen und ſtehende Armeen hinzu: ſo ſchwindelt dem Verſtand vor der Menge von neuen Beamten, welche wieder für dieſe ete fordert werden; man begreift zulezt kaum, wie es möglich iſt, daß ein einziger Menſch ſo viele Diener halten könne,

34) Dum vitant stulti vitia, in pejora currunt.

| 167 daß in großen Reichen nicht nur hunderttauſende, ſondern vielleicht mehrere Millionen Menſchen in dem direkten Dienſt und Sold eines einzigen ſtehen, von ſeiner Macht abhängen und ibn. hinwieder durch ihre Hülfe mädhtig- machen. Und doch iſt hierin nichts unbegreifliches, wenn man die unmerklichen Fortſchritte vom kleinen zum großen betrachtet, und bedenkt daß die Natur für das Glük oder das Vermögen eines Menſchen kein abſolutes Maas bes ſtimmt bat. Gleichwie Millionen Aeſte, Zweige und Blätter aus einem einzigen Stamm ihre Nahrung ziehen: ſo iſt es auch mit den Verzweigungen der Menſchen die durch ungleiche Glüks-Umſtände veranlaſſet, werden. SE größer daš Vermoöͤgen, die ökonomiſche Kraft, deſto mehr kann ſie anderen nüzen. 35) Nun lebt ein Fürſt nicht bloß aus ſeinen Gütern, Capitalien u. ſ. w. und alſo nährt— er ſeine Diener auch nicht blos durch dieſe. Welche Menge von Angeſtellten erfordern nicht ſchon die Regalien, die wir oben nicht berührt haben und die nicht einmal zu. den Auſtagen gerechnet werden können; die Zohl⸗ und— Poſtbeamten, diejenigen welche bey der Münz⸗Pul⸗ ver. und Salvpeter-Fabrikation, den Bergwer— ten, dem Salzhandel und anderen dergleichen großen Induſtrial- Unternehmungen angeſtellt find, der Forſt⸗ Beamten nur nicht zu erwähnen, bie genau zu reden unter die Domginen.-Verwalter gehören oder ihnen untergeordnet ſind. Sind aber neben dieſen Regalien noch wirkliche Auflagen vorhanden, es ſey daß ſie als eigentliche Steuren urſprünglich dem Fürſten bewilliget, oder willkührlich eingeführt und ſtillſchweigend angenom⸗

35) Biel warten auf die Perſon des Furſten und ſind alle Ficunda des, der, Geſchente giebet. Prou. XL. Ga.

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men morden: Mauth⸗-Anſtalten, mo man grofe Län⸗ Deť » Bránzen mit Aufſehern und fogeňannten Einbruchs⸗ oder Ausbruchs-GStationen (bureaux ďentrée et de sortie) úberbeft: Grundſteuren, bey denen alleg Band ausgemeſſen, cabaftrirt, gefcházt und in Tabellen gebracht werden muß; Häuſer⸗Steuren, bey denen ähnliche Operationen erforderlich ſind, Gewerbſteuren, Srb: ſteuren, Handänderungs -Gebühren und die mannigfaltigen Sonfumtioné oder ſogenannten indir ek⸗ ten Steuren u. ſ. w., fo läuft die Zahl der dazu erforderlichen neuen Finanz-Bedienten und Fiſkal—⸗ Agenten faſt ins Unermeßliche. Welche Legion von Ober⸗und Unter Einnehmern, Caſſirern, Bu de haltern, Rechnungs-Reviſoren u. ſ. w. nebſt dem ganzen Gefolge von Schreibern und Büreali— ſten ſehen wir hier nicht neuerdings entſtehen. 36) Was endlich die ſtehenden Armeen betrifft, die noch vor einem Jahrhundert in allen Staaten äußerſt gering waren, dergeſtalt daß man kaum ſo viel Soldaten hielt als heut zu Tag Offiziere: ſo ſind die eigentlichen Kriegs⸗ Knechte oder bewaffneten Diener aller Waffengattungen vom Generaliſſimus oder Feld-Marſchall bis zum gemeinen Soldaten herab, die doch in großen Reichen auf drey bis viermalhunderttauſend Mann anſteigen, viel-⸗ leicht nicht einmal bie größere Zahl. Der Troß von Beamten/ welcher für die Oekonomie obeť Verwaltung

36) Necker rechnete 1784 ím alten Frankreich die Zabl aller Agens du fisc, depuia les premiers chefs jusques aux plus petits buralistes ou collecteurs auf 250,000 Men⸗ ſchen. Des Finances de la France I. 195. Im neuen Frankreich ſeit der Revolution ſie gewiß dreymal faͤrker.

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einer fold ungeheuren Familie erforderlich iſt, bie

gleich unmündigen Kindern bequartirt, bekleidet, bes waffnet, in geſunden und kranken Tagen verpfleget, Des ſoldet, unterrichtet, mit einer unermeßlichen Menge großer und kleiner Bedürfniſſe gusgerüſtet werden muß, dürfte leicht eine eben ſo große Zahl von neuen Beamten und Dienern veranlaſſen, deren man ehmals faſt gang entbeh⸗

ven konnte. In keinem Staats- oder Adreß ⸗KCalender findet man ſie vollſtändig aufgezaͤhlt, ſonſt würden bie bloßen Namens⸗Verzeichniſſe Fürſtlicher Diener mehrere dike Bände ausfüllen. Man denke nur an bie Menge von Schreibern, die bey den Compagnien, Bataillonen,

Regimentern, Diviſionen, General⸗ Commanden und

General⸗Stäben blos fir die Ausfertigung der gewöhnli—⸗ chen Befehle und Meldungen gehalten werden müſſen; at die Werbungs- und Conferiptioný Beamte, daš Remontirungs-Perſonale welches um defto zahlreicher iſt, wenn eigene Beftútte und Vúter für bie Erzeugung von Pferden gehalten werden müſſen; an die Menge ber Ober- und Unter-Kriegs-Commiſ—

ſärs, für alles was auf Inſpektion, Beſoldung und

Caſſen⸗Weſen Bezug bat: an die geſammte Verpflee

gungs-Branſche fir den Einkauf, bie Beforaung > 11b Bertbeilung aller Lebený - und Bohbnungd - Bea“

dürfniſſe die oft in mehreren hundert Haupt⸗ und Filial⸗ NMagazinen niedergelegt find an die Monturs-Bran⸗ ſchen oder Monturs-Regien für die periodiſche Be⸗ kleidung der Truppen und ihre Ausrüſtung mit ſo vielen andern Nebenbedürſniſſen; an das zahlreiche Zeug—⸗ haus⸗Perſonale, die Haupt- und Feldzeug Aemter, mit allen ihren Arbeitern für die Fabrikation ded Ge— ſchüzes, der Handwaffen, der Munition, des Pulvers

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der Realität gar nicht (o geſöndert find Sole man ſie in dem Kopf oder auf dem Papier zerſpalten kann, und da⸗ her dann entweder einſeitig und unvollkommen, oder nur nach weitläufigen Communicationen zwiſchen den verſchie⸗ denen Canzleyen, ja ſogar nach verderblichen Colliſionen und Oppoſitionen zu ſpät und ſchlecht abgethan werden. Aus dieſen neuen Canzlern entſtanden die Kriegs-Mi— niſter, welche vor den ſtehenden Armeen dar nicht nö⸗ thig waren und nur ſeit denſelben aufgekommen ſind; die Finanz-Miniſter, für welche man ſonſt etwa zu Ab. nahm der Rechnungen von den Herrſchaften, Führung der Haupt-Caſſa und Anweiſung der Ausgaben einen Ober⸗Schaffner, Rent-oder Schazmeiſter hatte, der oft die Oekonomie empfehlen und mehr auf Vermin⸗ derung der Ausgaben als auf Vermehrung der Einnah—⸗ men ſehen mußte; ſerner bie Miniſter für die aus⸗ wärtigen Geſchäfte, welche vormals nicht fo häufig waren und von dem Fürſten ſelbſt mit ſeinem Canzler leicht abgethan wurden; bie Juſtiz-Miniſter, allbie. weil man ſonſt glaubte, daß die Juſtiz in allen möglichen Geſchäften erforderlich ja ſogar die Hauptſache ſey, und die wenigen Gegenſtände welche in Abſicht der Privat⸗ oder ſogenannten Civil-Juſtiz vor den Fürſten gelangen müſſen, gar wohl einem Obergericht oder der gewöhnlichen Canz⸗ ley anhängig gemacht werden konnten; die ſogenannten Polizey-Miniſter, cine neue Art von Groß⸗Inqui— ſitoren, welche noch vor einem halben Jahrhundert unbe— kannt waren, maſſen bad allgemeine Auskundſchafts⸗Sy—⸗ ſtem in Zeiten von Ruhe und wechſelſeitigem Zutrauen unnöthig iſt, ſonſt aber jeder Miniſter in ſeinem Fach, jede Provinzial⸗Verwaltung, jede Stadt⸗Magiſtratur it ih. rem Bezirk, Polizey, d. b. gute Ordnung biele und die

161 zemeine Sicherheit zu beforderen ſuchte. Durch den Ein⸗ Nuf der verkehrten (revolutionären) Staats-Principien, nach welchen man nicht mehr die Sade des Fürſten, fotia dern die Privat-Sache aller Unterthanen regleren zu müſſen glaubte, ſahen wir ſogar in neueren Zeiten Mi⸗ hifter des Akerbaus, Handels, der Volksauf— klärung, der Künſte und Wiſſenſchaften, auch Cult-Miniſter (wie man ſich nad) einem revolutionä⸗ ten Gallicismus lächerlich ausdrükt) u. ſ. w., von denen aber die erſteren im Grunde doch nicht mit dem Handel úno Akerbau, ſondern mit ben fürſtlichen Stragen, Brü—⸗ fen, Häfen, Zöllen u. ſ. w., die lezteren höchſtens mit der von dem Landesherren geſtifteten Schulen uud Un— terrichts⸗Anſtalten ſich beſchäftigen, die Cult⸗-Mini— ſter dann in catholiſchen Ländern durchaus unnüz 310 und in proteſtantiſchen eben fo leicht entbehrlich find, zu— mal die wenigen kirchlichen Angelegenheiten bey denen die Autorität des Landesherren eintreten muß, gar wohl von einem Ober-Conſiſtorio, Kirchen-Convent u. dal, re⸗ ferirt und von der gewöhnlichen Canzley ausgefertiget werden können, auch dieſe ganze Inſtitution auf dem fal— ſchen Grundſaz beruht, daß Religion und Kirche eine Sache der Fürſten oder eine willkührliche Staats-Anſtalt ſey. Alle dieſe neuen Canzler oder Miniſter mußten nun wieder ihre Räthe oder Gehülfen, Kriegs-Räthe,

31) Neber die Ungereimtheit und die Schaͤdlichkeit des ſogenannten Minister des cultes in Frankreich ſ. 4mi de La réligion du Roi T. IX. p. 37. €r mar von Buonaparte cingefúbrt, ein wahrer Quaͤler der Kirche, Ďatte mit aleicher Verachtung Catholiken, Proteſtanten und Juden zu adminiſtriren und es mußten auch die geringſten Sachen vor ihn und ſeine Bu⸗ reaurx gebracht werden. Zweyter Vand. ý

162

Sammér odev Finanz-Räthe, Bebetme Näthe,

Juſtiz- und Polizey Nátbe, Commerzien— Räthe, Kirchen- und Schul⸗Räthe, nebſt einer Menge pon Unter ⸗Sekretärs, Concipiſten, Canzliſten,

Regiſtranten u. ſ. w. haben. Gleichwie aber die Natur am

Ende ſſtets wieder zu einer Art von Einheit ztvingt: (o war fiber alle dieſe Miniſter und Canzleyen, wenn ſie ihre Geſchäfte dem Fürſten vortrugen und dieſer nicht etwa aͤuf ber Stelle ſelbſt entſchied, dech wieder cine Ober⸗ Auff dt und cine Canzley in der Nähe bed Fürſten nö—⸗ thig, 5m feine endlichen Reſolutionen oder unmittel⸗ baren Befehle (Hand. Billets) angzufertigen. Dieſe "heift man dať Cabinet, vermuthlich weil der Fürſt ur⸗ ſprünglich in ſeinem Cabinet ſelbſt ſchrieb, ihren Vorſte⸗

her aber bald oberſten Canzler, bald Cabinets—

Miniſter u. ſ. w.,, der nun wieder feine Cabinets⸗ Räthe und Cabinets⸗Sekretäre, nebſt dem gan—⸗ zen Gefolge von Unterſchreibern, Aufwärtern und Be.

dienten haben muß. So iſt aus einem einfachen Urſprung die unzählbare Menge von Hofbeamten, Miniſterien und

Canzleyen entſtanden, die mit ihren Familien und Die⸗ nern in allen Haupt⸗ und Reſidenz⸗Städten den größten Theil der Bevölkerung ausmachen, die an Beſoldungen, Schreibmaterialien, Geräthſchaften und anderen Bedürf⸗ niſſen ungeheure Summen koſten, und deren Canzleven und Archive cine. Menge weitläufiger Gebäude erfordern, welche zuſammengenommen mancher bedeunenden Stadt gleich kommen würden. |

| Bey dem allen (ind dieſes nur noch die Beamte in der Reſidenz ſelbſt und zwar bey weitem nicht vollſtändig. In ben Ländern, d. b. in den verſchiedenen Gútern und

1

1

163 Herrſchaften, welche ein Fürſt beſizt, auf welchen ce nicht überall ſelbſt wohnen kann und deren Vereinigung

man erſt hintenher, nad Art der Römer, den ſtolzen Namen Provinzen gab: bat der Fürſt natürlicher Weiſe

Unter⸗Beamte nöthig, nicht wie man nad) neueren

Prinzipien glaubt, um die darauf wohnenden Menſchen zu regieren, ſondern om ſeine Sade zu regieren, ſei⸗ nen eigenen Geſchäften vorzuſtehen, d. h. um ſeine Dos mainen zu verwalten, die Einkünfte zu beziehen, die thigen Ausgaben zu beſorgen, über alles Rechnung zu geben, dabey dann auch den Unterthanen in ſtreitigen und nicht ſtreitigen Angelegenheiten freundliche Hülſe zu leiſten, d. h. das Recht zu ſprechen. Dieſe Beamte hieſ⸗ ſen Verwalter, Schaffner, Einzieher, oder wenn ſie zugleich eine Art von Jurisdiktion beſorgten, Amt⸗ leute, Oberamtleute, auch Vöogte (von Advoca- tus) Landvögte, Burgvögte, Schloßvögte 32) u. ſ. w. wie ſie auch von anderen begüterten Privat⸗ Herren gehalten werden. Denſelben ward nebſt einem Amtsweibel, als Abwärter und Gerichtsdiener, vor⸗ züglich noch ci Amt⸗ oder Landſchreiber zugegeben, welcher allein hinreichend war wenn er nur die Geſchäfte des Fürſten oder des Amtmaunns beſorgen ſollte, aber Subſtituten haben mußte, wenn ex zugleich der ge⸗ woͤhnliche öffentliche Schreiber der Unterthanen in ihren Privat⸗Angelegenheiten ward, und von dieſen Neben⸗ Verrichtungen ben grúferen Theil ſeiner Einkünfte zog. Lange Zeit hindurch waren dieſe Landvögte ꝛc., außer etwa den Zoll⸗Einnehnern, die einzigen Beamte in Den

22) Im Mittelalter advocatus, provisor ville« ſ. Montag Geſch. ber T. Staatsbuͤrgerchen Freybeit T. I. p. 131.

ON 0

LZLändern oder Herrſchaften, mie dann dieſe glüklicht Einfachheit vorzüglich noch in der alten Schweiz beſtand, wo bie freyen Städte uno Länder nach und nad unvermerkt sur Unabhängigkeit gelanget waren, mithin die früheren Gewohnheiten um fo mehr beybehielten, als Republiken überhaupt nicht neuerungsluſtig ſind, und wenn die Roth nicht das Gegentheil erfordert, faſt alles auf dem nemli⸗ chen Fuße ſtehen laſſen. 33) Waren indeſſen jene fürſtli⸗ den Herrſchaften febr zahlreich, fo daß ihre unmittelbare Beruhrung mit den Haupt⸗Canzleyen den lezteren zu bes Ichwerlich ward, oder machten ſie zuſammen cin beträchtli⸗ bed Rand aus, welches etwa ſchon vorher einen eigenen Herren gehabt hatte: ſo wurde über eine gewiſſe Zahl dieſer Amtsverwaltungen čine Oberbebörde geſezt, und aus dieſen Ánd die ſogenanuten Proviunsial - Negie.e rungen oder Guͤbernien entſtanden, welche allein mit den Stellen oder Canzleyen bey Hofe correſpondirten, die minderen Geſchäfte aber von ſich aus beendigten. Hier war nun wieder unter einem Regierungs⸗Präſi⸗ denten odber Gouverneur; ein Collegium von Regie⸗ rungs⸗-Räthen erforderlich, welche ſich nad der Ana⸗ logie der den Amtleuten obliegenden, und zum Theil vor das Gubernium kommenden Geſchaͤfte, in Oekonomie, d. b. Land-Räthe und Juſtiz⸗Räthe abtheilten und wie ſich von ſelbſt verſteht, gleich den Hofſtellen, mit einer nicht geringen Zahl von Unterbeamten, Schreibern und Dienern ausgerüſtet werden mußten, alle aber im

33) In der neuen Schweiz ſeit 2798 iſt es anch nicht mehr fo, und ſelbſt bie partiellen Wiederherſtellungen von 1802 und 1814 boben viel von dem heilloſen Revolutions⸗Unweſen |. heu

gelaſſen.

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Grunde nur die Sache des Fürſten beſorgten oder in der Gerichtsbarkeit ſeine Stelle vertraten. Bald wollten auch bicie Provinzial⸗Regierungen, der Menge von Geſchäften wegen, wieder in Kammern abgetheilt ſeyn, oder es kam auch die neuere Doctrin der ſogenannten Gewalten⸗ Trenn ung auf, cin Spaltungs⸗ Syſtem, nad welchem bald kein Beamter zwey Dinge entweder zugleich oder nach einander hätte beſorgen dürfen, und aus dieſer dappelten Veranlaſſung entſtanden die, von den eigentlichen Guber⸗ nien, getrennten Appellations-Gerichte, welche aber oft mit den erſtern in Colliſſon kommen, indem 08 gar nicht (o leicht zu entſcheiden iſt, was eine Rechts⸗Sache und was eine Oekonomie⸗ oder ſogenannte Adminiſtrations⸗ Sache fe, auch meiſtentheils beydes mit einander vera. bunden, mithin die Trennung unmoöglich iſt, wenn mat nicht über alles Prozeſſe haben oder die Juſtiz im eng⸗ ſten Sinn blos auf ſogenannte Civil⸗Sachen, d. b, auf ſolche Streitigkeiten und Rechtsfälle beſchränken will, bie den Landesherren gar nichts angehen und nur zwiſchen den Privat-Perſonen, als ſolchen, unter einander ſtatt haben. Wurde nun von einem dieſer Appellations⸗Ge⸗ richte, denen man doch nicht unbeſchränkte Competenz er⸗ theilen kann, an den Fürſten appellirt: fo ſchien es un⸗ ſchiklich die Unterſuchung dieſer Streitigkeit, wie ſonſt, den gewöhnlichen Canzley⸗Referenten aufzutragen; es mußte daher bey Hofe die nemliche Trennugg wie in den Provinzen eingeführt, mithin über alle Appellations⸗Ge⸗ richte ein oberſter Gerichtshof oder eine oberſte Juſtiz-Hofſtelle, bald mit abſoluter bald mit be— ſchränkter Compentenz, errichtet werden, die nun wieder eine Menge von Unterbeamten haben, ehmals aber in Rajci einzigen Staat beſtanden, ſondern wie wir bey

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dem Abſchnitt von der Gerichtsbarkeit zeigen werden, alle neueren Urſprungs ſind. Ueber dieſelben aus ſah man in unſeren Tagen bisweilen noch Juſtiz⸗Mini—⸗ ſter und Caſſations ⸗Tribunale, welche leztere eine Revolutions⸗Erfindung ſind, nach welcher der König oder ſeine oberſten Behörden, wegen ber vorgeblichen In⸗ dependenz der richterlichen Gewalt, zwar nicht ſelbſt ent⸗ ſcheiden, noch bdie Urtheils⸗Sprüche der unteren Tribu⸗ nalien corrigiren, wohl aber hingegen, wenn ſie den Ge⸗ ſezen und Formen widerſprachen, ſollten caſſiren und den Prozeß an ein neues Tribunal weiſen können, woinit dann freylich den Parteyen nicht geholfen iſt, und zulezt doch wohl ein Untergericht wird gefunden werden, mel. be dem Willen der caffirendcn Nachthaber eniſpricht und ſich ihre Weiſung zur Regel dienen läßt. 59 Sa- vervielfältigen ſich die Räder der Maſchine immer mehr, ohne daß die Geſchäfte weder beſſer noch geſchwinder ge⸗ hen; täglich werden neue, meiſt überflüſſige Dienſte er⸗ richtet, ſelten oder nie wieder abgeſchafft, und bie Be. ſoldungen jener entſezlichen Menge von Beamten freſſen faſt in allen Staaten die natürlichen Einkünfte von Domainen und Regalien auf, mit denen ehmals faſt alle Ausgaben der Fürſten, ohne Steuren noch Auflagen reichlich beſtritten werden konnten.

Kommen nun gar: nád) Auflagen und ſtehende Armeen hinzu: ſo ſchwindelt dem Verſtand vor der Menge von neuen Beamten, welche wieder für dieſe er⸗ fordert werden; man begreift zulezt kaum, wie es möglich iſt, daß ein einziger Menſch ſo viele Diener halten könne,

34) Dum vitant stalti vitia, in pejora currunt.

| 167 daß in großen Reichen nicht nur hunderttauſende, ſondern

ielleicht mehrere Millionen Menſchen in dem direlten Dienſt und Sold eines einzigen ſtehen, von ſeiner Macht abhängen und ibn. hinwieder durch ihre Hülfe mächtig machen. Und doch iſt hierin nichts unbegreifliches, wenn man die unmerklichen Fortſchritte vom kleinen zum großen betrachtet, und. bedenkt daß die Natur für das Glük oder⸗ das Vermögen eines Menſchen kein abſolutes Maas bes ſtimmt bat. Gleichwie Millionen Aeſte, Zweige und Blätter aus einem einzigen Stamm ihre Nahrung ziehen— ſo iſt es auch mit den Verzweigungen der Menſchen die durch ungleiche Glüks⸗-Umſtände veranlaſſet werden. It größer daš Vermbaen, die ökonomiſche Kraft, deſto mehr kann ſie anderen nüzen. 35) Nun lebt ein Fürſt nicht blog. aus ſeinen Gütern, Capitalien u. ſ. w. und alſo nährte ev ſeine Diener auch nicht blos durch dieſe. Welche Menge von Angeſtellten erfordern nicht ſchon die Regalien, bie wir oben nicht berührt haben und die nicht einmal 41. den Auſtagen gerechnet werden können; die Zoll⸗ und— Poſtbeamten, diejenigen welche bey der Münz⸗Pul⸗ ver⸗ und Salpeter-Fabrikation, den Bergwer—⸗ ten, dem Salzhandel und anderen dergleichen großen Induſtrial⸗ Unternehmungen angeſtellt ſind, der For ſte Beamten nur nicht zu erwähnen, bie genau zu reden unter bie Domainen-Berwalter gehören oder ihnen untergeordnet ſind. Sind aber neben dieſen Regalien noch wirkliche Auflagen vorhanden, es ſey daß ſie als eigentliche Steuren urſprünglich dem Fürſten bewilliget, oder willkührlich eingeführt und ſtillſchmeigend angenom⸗

35. Viel warten auf. die Perſon des Fuͤrſten und ſind alle Freunde des, der, Geſchenke giebet. Proum. XMA. .

468

men morben: Mauth-Anſtalten, tvo man große Län— Der - Bránzen mit Aufſehern und ſogenannten Einbruchs⸗ oder Ausbruchs-Stationen (bureaux ďentrée et de sortie) überdekt; G rundſteuren, ben denen alles Land ausgemeſſen, cadaſtrirt, geſchäzt und in Tabellen gebracht werden muß; Häuſer-Steuren, bey denen ähnliche Operationen erforderlich ſind, Gewerbſteuren, Erb. ſteuren, Handänderungs ⸗Gebühren und die mannigfaltigen Conſumtions- oder ſogenannten indirek⸗ ten Steuren u. ſ. w., ſo läuft die Zahl der dazu erforderlichen neuen Finan z-Bedienten und Fiſkal⸗ Agenten faſt ins Unermeßliche. Welche Legion von Ober⸗ und Únter„Einnebmern, Čaffitertu, Buch⸗ haltern, Rechnungs-Reviſoͤren u. f. w. nebft dem ganzen Sefolge von Schreibern und Büreali— ften ſehen wir hier nicht neuerdings entítehen, 36) Was endlich die ſtehenden Armeen betrifft, die noch vor einem Jahrhundert in allen Staaten äußerſt gering waren, dergeſtalt daß man kaum ſo viel Soldaten hielt als heut zu Tag Offiziere: fo ſind die eigentlichen Kriegs⸗Knechte oder bewaffneten Diener aller Waffengattungen vom Generaliſſimus odber Feld-Marſchall bis zum gemeinen Soldaten herab, die doch in großen Reichen auf drey bis viermalhunderttauſend Danu anſteigen, viel⸗ leicht nicht einmal bie größere Zahl. Der Troß von Beamten, welcher für die Oekonomie oder Verwaltung

86) Necker rechnete 1794 im alten Frankreich die Zabl aller Agens du fisc, depuia les premiers chefs jusques aux plus petits buralistes ou collectenrs auf 250,000 Mens. ſchen. Des Finances de la France 1. 1x95. Sm neuen Frankreich feit der Revolution tar fie gewiß dreymal Kaͤrker.

169

einer fold ungeheuren Familie erforderlich iſt, die

gleich unmündigen Kindern bequartirt, bekleidet, be⸗ waffnet, in geſunden und kranken Tagen verpfleget, be⸗ ſoldet, unterrichtet, mit einer unermeßlichen Menge großer und kleiner Bedürfniſſe ausgerüſtet werden muß, dürfte leicht eine eben ſo große Zahl von neuen Beamten und, - Dienern veranlaſſen, deren man ehmals faſt ganz entbeh⸗ ren konnte. In keinem Staats- oder Adreß⸗Calender findet man ſie vollſtändig aufgezaͤhlt, ſonſt würden die bloßen Namens⸗Verzeichniſſe Fürſtlicher Diener mehrere dike Bände ausfüllen. Pan denke nur an bie Menge von Schreibern, die bey den Compagnien, Bataillonen, Regimentern, Divifionen, Beneral - Commanden und General - Stáben blos fir die Ausfertigung der gewöhnli— den Befehle und Vieľdungen gebalten werden müſſen;

an die Werbungs- und Eonſcriptions Beamte, bad Remontirungs-Perſonale welches um defto zahlreicher iſt, wenn eigene Beftútte und Güter fúr die Erzeugung von Pferden gehalten werden müſſen; an die Menge der Ober⸗- und Únter - Kricgý - Gommife ſärs, für ale maš auf Inſpektion, Befoľbung und

Caſſen⸗Weſen Bezug bat: an die gefammte Berpflee

gungs-Branſche fúr ben Einfauf, bie Beſorgung und Vertheilung allce Rebený und Wohnungs- Be. dürfniſſe die soft in mebreren bundert Ďaupt » und Filial⸗ Magazinen niedergelegt find, an die Monturs Brane hen obet Monturý Negien fúr die periodijche Bea kleidung der Truppen und ibre Ausrüſtung mit fo vieľen andern Nebenbedürfniſſen; an das zahlreiche Zeu ge haus⸗Perſonale, die Haupt- und FeldzeugAemter, mit allen ihren Arbeitern für bie Fabrikation bed Be. ſchüzet, der. Handwaffen, der Munition, des Pulvers

410 | und Salpeters, nebſt der Beſorgung der dießörtigen Bot.

räthe u. ſ. w.; an das Militär „Schiſf-und Fuhr⸗

weſen, welch lezteres oft in ganze Diviſionen und De⸗ taſchements abgetheilt iſt; an Dad ausgebreitete S a.h ie. tátg - ÚŠefen, die ganze Hierardýie der oberſten Feld⸗Aerzte, Staabý. und Garniſons⸗AMerzte, Regimentá. und Bataillons Ober. ynd Un⸗ ter Aerzte, Chirurgen, nebft ben Medifamena te Regien, dem Feld-Apotheken-Perſonale, de InvalidenHäuſern und allen Spital - V ee ámten, Rranfenwártern u. ſaw.; ferner an čie militäriſchen Unterrichts Anſtalten, an bad Zehr⸗, Haus- und Dienſt⸗ Perſonale in Fürſtlichen Militär-Schulen, Kadetten⸗Häuſern, Inge— nieur „Akademien u. ſ. w.; an die Geiſtlichkeit, welche wenigſtens in chriſtlichen Armeen für den religio⸗ (cn Unterricht fo ie für den äußeren Gottesdienſt dô, halten wird und abermať eine gan ze Hierarchie von Ar⸗ mee⸗Biſchöffen, Feld Superioren, Feld⸗und Garnifoná - Kaplánen oder Predigern bildet; endlich an bie Militár Zuftig « Beanite obeť fogee Banntci Nuditoriate fúr dié Beurth eilung der Bern brechen, die Entſcheidung der Civil⸗Streitigkeiten, oft ſogar für die Beſorgung ded Pupillarweſens u. f tv.: ſo wird man ſich einen ſchwachen Begriff von der Menge von Beamteten machen konnen/ welche für die: ľonomiťche:

Verwaltung einer Armee nothwendig ſind; atd) läßt ſich

daraus ermeſſen, welch ungeheure Koſten ſie erfordert, wie vielen Menſchen ſie aber hinwieder Nahrung oder Verdienſt giebt und manche unter ihnen ſogar bereichern

kann. Beſizt cin Fürſt neben ſeiner Land⸗Macht noch

dar. eine Sce⸗Macht oder ſogenaunte Mi Litáv Marie

471 ne: fo ſteigt die Zahl ber dazu erforderlichen bewaffne⸗

ten und unbewaffneten Diener vielleicht auf das dop⸗ pelte.

Wir wollen nichts von der ſogenannten beſondern Polizey reden, einer neuen Namiftfation zahlreicher und koſtbarer Beamten, die ehmals unbekannt, oder als Innbegriff guter Ordnung und Aufſicht jeder andern Be⸗ bôrde in ihrem Fache anvertraut war, inſofern ſie aber cin allgemeines Auskundſchaftungs⸗ und Rapportirungs⸗ Syſtem der Reden und Handlungen bezwekt, offenbar mehr auf die Sicherheit bed Fürſten als auf die der Un⸗ terthanen berechnet, dennoch aber fir jene mie für biefe leicht entbehrlich und nur cin Broduťt bed Argwohns der neueren Zeiten iſt. Wir fügen auch nichts von den aus⸗ wärtigen Gefandten nebſt ihrem Gefolge von Räthen und Schreibern oder dem ſogenannten diphematiſchen Perſonale ben, welches vor den ſtehenden Geſand⸗ ſchaften auch nicht exiſtirte, nicht ſowohl aus Bedürfniſ⸗ ſen als aus Eitelkeit nach und nach immer vermehrt wor⸗ den, gleichwohl aber noch jezt nicht allgemein iſt. Auch haben wir ſchon anderswo bewieſen, daß ſelbſt deje Ge⸗ ſandten eigentlich und vorzüglich nur bie Geſchäfte bek Konigs beſorgen, wenn fe ſchon hintenher auch den Pri⸗ vat-Perſonen in ihren Angelegenheiten nüzlich ſeyn kön⸗ nen. Was endlich die in dem Fache der Erziehung und ded öffentlichen Unterrichts angeſtellten Be⸗ amte betrifft: ſo können zvar nur die Lehrer und Bore ſteher der von den Fürſten ſelbſt geſtifteten und beſolde⸗ ten Schulen, Akademien und Univerſitäten darunter gerechnet werden; die übrigen find Vrivat - Ynftalten, Beamtete von einzelnen Individuen odev Corporationen /

412

und es iſt ſelbſt ein Jrrthurn, men man die Diener der Kirche unter die Fürſtlichen Beamte rechnet, da ſie dieſes in catholiſchen Ländern durchaus nicht und (04. gar in proteſtantiſchen nicht in jeder Rükſicht ſind. Auch ſehe ich gar keinen Nuzen, ſondern vielmehr großen Schaden dabey, wenn man Religion und Wiſſenſchaften blos zur Sache der Fürſten oder des ſogenannten Staates wachen, mithin ihrer direkten Herrſchaft unterwerfen und einer prekären Exiſtenz blos geben wollte. Sie blühen viel beſſer und reiner im Gefühle der Selbſt⸗ ſtändigkeit, geliebt von ihren Freunden, unterſtüzt von denen die ihrer nöthig haben, ob wir gleich nicht läug⸗ nen wollen, daß ſie auch von den Mächtigen der Erde weſentlich erleichtert und begünſtiget werden können.

Per vermag es nun zu faſſen und mit einem Blik 44: überſehen, all dieſes Heer von Hofbeamten und Hofcanz⸗ leyen, von Oekonomie⸗Vorſtehern, Juſtiz⸗Verweſern, Kriegs- und. Finanz⸗Bedienten, und von. Angeſtellten in ſo vielen andern Fächern, die am Ende doch in dem Dienſt eines einzigen Menſchen ſtehen, der durch ſeine Macht ſo vielen andern nüzt, empfangene Wohlthaten mit Gegen⸗Wohlthaten erwiedert, und indem er die. Befriedigung ſeiner Wünſche ſucht, auch die Wünſche von Millionen anderer befriedigt. Welch ungeheuren Auf⸗ wand veranlaſſet nicht dieſe Menge von Beamten und. wie leicht lieſſen ſich bie zerrütteten Finanzen grofer: und kleiner Monaxchen herſtellen, wenn man in dieſer Rükſicht ſich auf das Nothwendige beſchränken, zur alten. Beſcheidenheit zurükkehren und nach dem Beyſpiel der Privathäuſer vor allem ſeine Dienerſchaft teformiren.

vollte. Sollte man. es aber bedauren oder gar anſtöſſug

i 173

finden, daß fo vieľe rauſend Menſchen nur in dem Dienſt des Fürſten ſtehen und nur für ſeine Geſchäfte, nicht aber für die bed Volks beſtimmt ſeyen. DI der Thorheit unſers Zeitalters und ſeiner verkehrten Wiſſenſchaft! gerade in jener Beſchtänkung liegt die Garantie der ſchönſten, erfreulichſten Privat⸗Freyheit. Die Fürſten können und ſollen nicht alles beſorgen, dem Volk und ſeinen verſchiedenen Claſſen bleibt auch noch etwas zu thun übrig; ihnen iſt nicht aller Ruhm verſchloſſen ſich ſelbſt zu nüzen und zum Flor des geſelligen Verbandes beyzutragen. Oder wollet ihr etwa lieber, daß die Fürſt⸗ lichen Beamten unter dem Vorwand der Volksregierung ſich in alle Privat⸗Angelegenheiten miſchen, die Unter⸗ thanen gleich unmündigen Kindern in allem regieren oder reglementiren, mithin einen eben fo kleinlichen als un⸗ erträglichen Deſpotismus ausüben ſollen? Man hat in neueren Zeiten Verſuche genug gemacht, Beamte an ſol⸗ chen Orten anzuſtellen wo ſie für den Dienſt des Fürſten nichts zu thun hatten, oder für Zweke die demſelben fremde ſind. Aber find nicht lauter Bedrükungen und Vlas kereyen die Folgen davon geweſen? Was haben ſie genüzt die vielen Polizeybeamte und Kundſchafter aller Art 37) als ben Völkern zur Qual, die ſogenannten Handelsdirek⸗ toren die den Handel eher zerſtören als befördern, die Erziehungs⸗Commiſſare, bie ſich ſogar in den Privat⸗ Unterricht und die Kinderzucht miſchen, als ob ſie nicht cine Sáde der Eltern wäre u. ſ. w.? Die Fürſtlichen Beamten mit den Angelegenheiten des Volkes beſchäftigen

37) worunter ib auch alle ſtatiſtiſchen Tabellenmacher, bie Auf⸗ ſchreiber der Menſchenzahl, ded Viehs, der Landesprodukte u. ſ. w. verſtehe.

274

zu wollen, bat den doppelten Rachtheil, daß die Intereſ⸗ (en des Fürſten und die ded Volks beyde gleich ſchlecht be⸗ ſorget werden, jene weil man ſie vernachläſſiget, dieſe weil man nichts davon verſteht und dabey ſtets fremde Rechte beleidiget. Unter dem einen wie unter dem an⸗ deren leiden jezt die Volker, 28) zum deutlichen Beweis, daß das pſeudophiloſophiſche Staatsrecht überall Be. drükungen veranlaßt, auch da wo man ſie nicht beab⸗ fichtigte, während hingegen alles gut geht, wenn der Fürſt ſeine Sache regiert und andere die ihrige regieren läßt, übrigens wechſelſeitige Liebe waltet, und wo es nöthig iſt jedem zu ſeinem Recht verholfen wird.

98) Es beift auch hier: quidquid delirant reges, plectuntur Achivi. Denn biefe Verkebrtheit nicht ſeine, fonderu lautet frembe Sade regieren zu wollen: iſt cin wahres

delirium.

175

Zwey und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

6. Obare Geſezgebung und Handhabung felnee

VI.

Geſeze.

Definition eines Geſezes überbaupt und der menſchlichen Ge⸗ ſeze ingbefenderé, als verbindliche Willensaͤuſſerung.

. Ibre Verbindlichkeit beruht theils auf ihrer Uebereinſtimmung

mit dem natuͤrlichen Recht, theilt auf ber Macht ben Willen zur Vollziehung su bringen.

.Alle Menſchen geben Geſeze ſo weit ihr Recht und ne Macht

reicht. Beweiſe davon.

. Die Fuͤrſtlichen Geſeze find von ten Vrívať s Befegen nicht

ibrer Natur, fendern nur dem Grade nad verſchieden.

Daš Recht der Sefezgebung ik, wie bie Macht und Freybeit

úberbaupt, durch das natuͤrliche Geſez d. b. durch fremde

Rechte beſchraͤutt.

Eintheilung ber Fuͤrſtlichen Geſeze, nach den Perſonen denen

fie gegeben werden.

a. Gefeze, die cin Fuͤrſt ſich ſelbſt und zum Theil auch fe nen Nachfolgern auflegt.

b. Geſeze, die den Beamten und Dienern gegeben werden (Die s Infiructisnen).

©. Geſeze, welche bie Unterthanen angeben. Diefe lezteren |

find bie feltenffcn und auch bie unndthigſten von allen. Beweis dieſes Sazes in Abſicht auf bie Civil s und Polizey⸗ Geſeze. Criminal⸗ oder Straf s Befege geboͤren nidt hie⸗ ber s fie find nur Inftructionen fuͤr bie Richter.

VII. Menſchliche Geſeze ſind nicht allgemein, nicht fuͤr alle gleich,

nicht indiſpenſabel: dieſe Charaktere fommen nur den natuͤrli⸗ chen oder goͤttlichen Geſezen zu.

"476

Wir foramen úún zu dem wichtigſten und anſcheinend

ſchwierigſten Punkt der Landesherrlichen Befugniſſe, nam⸗

lich zu dem Recht der Geſezgebung, ein Wort mit

welchem, zumal in unſeren Tagen, der entſezlichſte Miß—

brauch getrieben wird, eine Maͤterie, über welche ſelbſt unter den Gelehrten die wunderlichſten Begriffe herrſchen,

und welche ſich gleichwohl aus den eigenen Rechten des Fürſten, aus ſeiner Freyheit und leinem Eigenthum ſo klar und befriedigend entwikeln läßt. Was iſt ein Ge⸗ ſez überhaupt? Was ſind die menſchlichen Geſeze indbe— ſonders? Worauf beruht ihre Verbindlichkeit? Iſt das Recht Geſeze zu geben ein aͤusſchließendes Recht der Für⸗ ſten oder wird es auch von andern Individuen und Cor⸗ porationen ausgeübt? Wenn lezteres erwieſen werden

kann, wodurch unterſcheiden ſich dann die Landesherrli⸗ chen Geſeze don anderen Privat- Geſezen oder Verord⸗

nungen? Wie weit erſtrekt uͤch dieſes Geſezgebungs— Recht, oder was ſind ſeine natürlichen Schranken? Wem werden die Geſeze gegeben, oder welches ſind die Haupt⸗ Claſſen derſelben? Gehen ſie alle Menſchen an? find ſie für alle gleich? iſt ed nöthig ſie allen bekannt zu mas hen? u. ſ. w. Das find die Hauptfragen, die wir hier behandeln wollen, und wobey wir abermal einen Wald von Irrthümern werden ausrotten müſſen.

Man kann von einem Geſez überhaupt keine andere oder beſſere Erklärung geben, als dať ed cine verbint.

liche Willens Neufferuný, © cine gebietende Ne.

1) Es iſt merkwuͤrdig, daß diefe abre Definitlon auch fogať von denjenigen gebraucht wird, welche fonft bag Geſez blog fuͤr das Produkt ded allgemeinen Volkswillens

Ň ATT Veľ des Verhaltens fen, Dieſe Definition läßt ſich vorerſt auch auf die göttlichen Geſeze anwenden, ſowohl auf die zwingenden Naturgeſeze als auf die Pflichts- oder Freyheits⸗Geſeze, welche mit Recht als ciu verbindlicher

Wille Gottes betrachtet werden, der in erſterer Rükſicht durch die Ordnung der Natur und unwiderſtehliche Ge⸗

walt, in lezterer durch die in das Gemüth aller Men⸗

ſchen gepflanzte Stimme des Gewiſſens geoffenbaret wird.

Ihre Verbindlichkeit beruht auf der Macht und der Weis⸗ heit des Geſezgebers, d. b. des Urhebers der Natur, und auf den mit ihrer Befolgung oder Verlezung unausbleib⸗ žid) begleiteten guten oder ſchlechten Folgen 2) (Beloh⸗ nungen und Strafen). Auch iſt es nicht überflüſſig zu bemerlen, daß das heut zu Tag (o febr verſchwendets und profanirte Wort Geſez (lexy Ja. lot), ſchlechtweg und vbne weitere Beſtimmung gebraucht, in älteren Zeiten vᷣeynahe nur allein von dem allgemeitzen göttlichen Geſez verſtanden und nicht mit den waudelbaren menſchlichen Verordnungen verwechſelt ward.

au sgeben. So ſagt 4. S. Sieyes: uCelui .seul fait la aloi gui crée dans ceux guelle frappe ľobligatlon mo- "V arale de sy soumettre. Pňes sud les inoyens ďezécu- «tion? p. 12. und ebentnfcíhft: „La loi mest gue la avolonté manifestée de celui gal a le droit ďobliger.? In jenem erſteren engrren Sinn if rigentlich Gott „ber cin: zige Geſezgeber. Nach der lezteren Erklaͤrung aber ergiebt ſich von ſelbſt, daß unter gewiſſer Beſchraͤnkung jeder Menſch Geſeze zu geben befugt čít, und daß gerade Dag Volk, ale eine zerſtreure Menge von Meuſchen betrachtet, (obne ae. meinſchaftlichen Willen) daju gar kein Necht haben kann, vder wenn es auch eine Corvoration bilden ſollte, keineswegs ausſchließend Geleze zu geben befugt waͤre. | 3).©. T..1. Čap. XIV. p. 408 497: .. . Aweyter Paud. M—

478

Allein and bie Menſchen koönnen allerdings einen ver⸗ bindlichen Willen äußern, mithin Geſeze geben, theils fb ſelbſt, theils ihren Dienern, oder denen die von ih⸗ "nen abhängen, theils allen anderen Menſchen, in fo fern ſie Mittel beſizen, ihrem rechtmäßigen Willen Effekt zu verſchaffen. Die moraliſche Verbindlichkeit dieſer menſch⸗ lichen Geſeze beruhet darauf, daß ſie ſtets auf bad na. türliche Geſez mäffen zurükgeführt werden können, daß ſie mithin entweder nur ſolche Handlungen vorſchreiben, bie man dem Geſezgebenden vhnehin ſchuldig iſt, folglich bloß eine Applicativn des natürlichen Geſezes ſind ſelbi⸗ ges erfrifchen und handhaben, oder daß ſie aus dem Recht über eigene Sache ſleßen, daß ber Geſezgebende ſeinen Willen (welchen "man nicht immer vorher wiſſen kann) úder Dinge dufert, die in der Sphäre ſeines Befugniſſes liegen, Úder die Art wud Weiſe wie ex daſſelbe reſpektirt wiſſen, UÜber ME Bediugungen, nad welchen tv anderen Menſchen die Beunzung ſeiner Sache geſtatten oder ſie da⸗ von ausſchließen will n.f. w. Zu beydem iſt man ſchon durch das natürlicht Tgöttliche) Geſez verbunden, denn das Bibot) dem geãußerten rechtmäßigen Willen eines an⸗ deren nicht zu widerſtreben, iſt ſchon in der allgemei⸗ nen Regel, niemand zu beleidigen, enthalten. Kömmt noch die Macht hinzu, jenem rechtmäßigen Willen Effekt zu verſchaffen: ſo wird er zu einem Geſez im engeren Sinn; die Verbindlichkeit, welche zwar ohnehin exiſtir⸗ te, wird gleichſam zum phyſiſchen Bedürfniß oder wenig⸗ ſtens zur Negel ber Klugheit. Aeußert bhingegen ciu Menſch einen unrechtmäßigen Willen, d. h. fordert er Handlungen, die man ibn weder abnebiu ſchuldig iſt, poch ſolche, die aus dem Nedht über eigene Sade fließen, und bat zugleich die Macht zur Erfüllung dieſes Willent

-479) zu zwingen: fo iſt dieſes freylich (für viejenígeu die dt ter dieſer Macht ſtehen) And) cin Geſez, aber ciú unge⸗ rechtes, das keine wahre Verbindlichkeit begründet, deſ⸗ ſen freywillige Befolgung (wenn die Handlung ſelbſt an und für ſich erlaubt iſt) höchſtens Nachgiebigkeit oder Klug⸗ heit heiſſen kann, deſſen gewaltſame Vollziehung aber mit Recht Tyrauncy oder Mißbrauch der Gewalt genennt wird, er mag nun von Fürſten oder, was eben ſo oft heſchieht/ von Vridatperſonen ausgeübt werden.

Dennach verſteht. es ſich nun von feb: daß unter gewiſſen Beſchränkungen alle Menſchen einen verbindli⸗ chen Willen aäußern, mithin Geſeze geben können, und fo febr es auch in unſeren ſtaatsrechtlichen Büichern docirt vwerden mag, bab bad Recht der Geſezagebung ein aus. ſchließendes, ja charakteriſtiſches Kennzeichen der höchſten Gewalt ſey: ſo iſt die ganze Natur und Erfahrung damit in vollendetem Widerſpruch. Die Privat⸗Perſonen, ſie ſeyen Individuen oder Corporationen, geben wirklich eine Menge von Geſezen, die bisweilen febr. viele Menſchen angehen und von ihnen vollzogen werden müſſen. 2) Vor⸗ erſt legen ſie ſich dergleichen wechſelſeitig durch ihre Ver⸗ träge auf, woraus daun insbeſonders die Civil⸗Geſeze entſtehen, die ihrer Natur nach (wie wir bald zeigen werden) ganz und gar nicht in Fürſtlichen Verordnungen, ſondern in den Verträgen und Gewohnheiten (ſtillſchwei⸗ „genden Verträgen) der Privat⸗-Perſonen unter einander beſtehen und gerade deßwegen Civil⸗Geſeze heiſſen, meil ſie nicht nur die einzelnen Bürger angehen, ſondern auch

3) Berol. T. I. p. 183. ſf. ben Anlaß der Inſtruktion zur Ver⸗ fertigung cineg Ruſſiſchen Geſezbuchs.

„0 N von ihnen ſelbſt gegeben ſind. Aber auch durch einſe iti⸗ gen Willen entſtehen viele Privat⸗Geſeze, und in dia ſer Rükſicht giebt ſie überhaupt jeder Obere ſeinen Unter⸗ gebenen, wenn ſie auch ſchon nicht immer Geſeze heiſſen, ſondern oft mit anderen Namen, als da find Deťvete, Beſchlüſſe, Brerrordnungen, Reglemente, Be— fehle, Juſtruktionen, Statuten, vublikatio⸗ Red Bf w. bezeichnet werden. $ Pflegt nicht jeder Menſch zu ſagen, ich habe mir dieſes oder jenes zum Geſez gemacht, ich babe den Meinigen dieſe oder jene Vorſchrift gegeben? bat nicht jeder ſeine Autonomie ſo weit fſein Recht und ſeine Macht reicht? Sind z. V, nicht alle Teſtamente auch Erbs⸗Geſeze, verbindliche Vor⸗ ſchriften für die Erben und oft für eine Reihe von Deſcendenten? Geben nicht alle Bäter, alle Haus⸗ und Grund⸗Herren ihren Kindern, Dienern und Beamten, alle Unternehmer oder Eigenthümer von größeren gemein⸗ nüzigen Anſtalten in Hinſicht auf derſelben Einrichtung und Benuzung Vorſchriften, Inſtruktionen, Reglemente u. ſ. w. heraus, die oft ſogar gedrukt und an das ganze Publikum gerichtet find? Leſen wir nicht in allen Zeitun⸗ ých und Intelligenz⸗Blättern, Statuten, Ordnungen, Geſeze und Reglemente von allerley Cordorationen, Uniperſitäten und Akademien, Städten, Gemeinden und anderen Privat Societáten über ihre innere Einrichtung, ihre Finanzen, ihre ſogenannte Polizey u. ſ. w., fir welche, wenn ſie Drittmanns Rechte nicht berühren, ſo

4) Gerade wie die Fuͤrſtlichen Geſeze auch. Erſt ſeit der Fran⸗ zoͤſiſchen Revolution if die Lächerlichkeit aufgekommen, fakt zeden unbedeutenden Veſchluß oder Beſehl ciu Geſez zu veanen.

st

wentg eine Landesherrliche Einwilligung verlangt wird als für jede andere Privat⸗Handlung oder Willens⸗ Aeuſſerung? Vergebens ſucht man dieſen Einwendungen dadurch auszuweichen, daß, man zu Logomachien ſeine Zuflucht nimmt und zwiſchen väter lichen odev bauda. herrlichen Borfdriften, Räthen, Verträgen, BGemeinds⸗,Statuten und eigentlichen Geſezen künſtlich unterſcheidet. S Dieſe Subtilitäten ſind mehr ſpizſindig und wizübend als ſolid und lehrreich. Der Unter⸗ ſchied iſt nicht weſentlich, denn alle jene Willens⸗Aeuſ⸗ ferungen oder Regeln ded Verhaltens find nur verſchie⸗ dene Arten von Geſezen und unter dieſem allgemeinen Be⸗ griff enthalten, oft ſogar nur andere Worte für die nemli⸗ che Sache. Väterliche und haushexrliche Vorſchriften find väterliche und Hausgeſeze, Gem eindſs⸗- und Socie⸗ täts⸗Statuten find Geſeze fir die Mitglieder dieſer Corporation oder biť welche von ihnen abhängen, Ver⸗ träge find Geſeze, welche man. ſich durch wechſelſeitig ůbereinſtimmenden Willen auflegt, doch (ina unter gewiſ⸗ fen Umſtänden die Verträge, zumal zwiſchen Mächtigen. und Bedürftigen, oft mehr dem Worte alý. der Sade nach von einem einfeitig empfangenen Geſeze unterſchie den. © Gin. Rath (consilium) iſt freylich kein Geſez; die Verbindlichkeit wird hier nicht aus dem Willen bed.

s) wie Hobbes, Pufenderf und nach ihnen auch Boͤhmer j. P. Dn. RpaG. 385 segg. gethan haben: quomodo lex differet

a preceptis patrum, dominorum, a dogmaje x cansilie,, pacto et statutis civiratum subordinatarum,.

6) Daber man auch ben Friedens⸗ und andern Nertrágei, wenn die Bedingungen zu hart ſcheinen und man ſie doch nicht wohl ausſchlagen kann, zu ſagen pflegt: det ejne Theil habe dam. andern Geſere vorgeſchrieben u. ſ. w.

182

Rathgebenden, ſondern aug der Natur der Sache her du leitet; die Annahm bed Raths iſt nicht Schuldigkeit, fotia dern hängt von freyer Willkühr ab: doch iſt auch ein Rath, deſſen Befolgung man ohne große Geſahr und Nachtheil nicht verweigern Ľan, faſt einem Geſeze gleich zu achten, und oft wird cin Geſez oder Befehl in bie mildere Form oder ſchonendere Benennung eines Rathes eingekleidet. Was endlich die Befehle betrifft: fo es nicht wahr, daß ſie nur einzelnen Menſchen gegeben werden; man pflegt fa auch ganzen Armeen Befehle zu ertheilen, und oft werden Fürſtliche Dekrete und Geſeze lediglich Befehle genannt; V] ein Befehl iſt allerdings ein Gefſez für den der ihn empfängt, nur führt dieſes Wort den Nebenbegriff mit ſich, daß es dabey vorzüglich auf den beſtimmten Willen des Mächtigeren, auf ſchnelle Vollziehung und meiſtentheils nur auf einzelne Handlun⸗ gen abgeſehen iſt. Freylich ſind alle Vorſchriften von Privat⸗Oberen, alle Communitäts⸗Statuten u. ſ. w. nur auf ihre eigene Sade, nur auf bie Gränzen ihres kleinen Gebiets beſchränkt; aber bad nehmliche iſt auch bey den Fürſten der Fall, auch ſie geben die Geſeze nur

in ihrem Gebiet, nicht Fremden, ſondern nur denen, bic von ihrer Macht abhängen; freylich ſind bie Privat⸗ Geſeze den ſogenannten Staats⸗, d. b. den Geſezen ded: Landesherren untergeordnet und fúnnen von (bm aufge⸗ hoben werden, Ciedbodh auch dieſes nicht willkührlich, ſon⸗ dern nur aus gerechten Urſachen); deßwegen heiſſen ſie aͤuch Privat Befeze, nicht Fürſtliche Geſeze; daß aber alle Vorſchriften und Bertráge von Privat⸗Oberen oder 7) Vorzuͤglich bey militaͤriſchen Regenten, Die gewoͤhnlich ſolch

militaͤriſchen Stol in allen Dingen derbehalten.

Brivat⸗ Socletáten nur aus Zulaſſung oder gar aus Dele⸗ gation Der Fürſtlichen Gewalt und in ihrem Namen ge⸗ ſchehen (wie einige docirt haben) 8) iſt durchaus nicht richtig, ſondern die Befugniß dazu fließt aus der Frey⸗ heit und aus dem Eigenthum, und es wäre cine eben fo. lächerliche als unausführbare Tyranney, den Menſchen alle verbindlichen Willens⸗Aeuſſerungen und Vorſchrif⸗ ten über eigene Sach unterſagen zu wollen.

Gleich allen anderen Menſchen, und aus dem nem— lichen Grund, iſt mithin auch ein Fürſt, als ein viel beſizender mächtiger und dabey ganz; freyer Menſch in neoch höherem Grade befugt, fo, meit. ſein Necht und ſeine

Macht geht, einen verbindlichen Willen zu. erklären, mito bin Geſeze zu geben, ihre Vollztehung zu be— wirken, ſie auszulegen, abzuändern, davon zu diſpenſiren- und ſelbige wieder aufzuhe— ben. ». Das alles find nichts weiter als verſchiedene Aeußerungen ſeiner rechtmäßigen Freyheit. Von ihm ſind alle Einwohner ſeines Landes unter eint oder anderen Verhaltniſſen abhänugig, folglich bat er auch inner dex Schranken ſeines eigenen Rechts und nad dem Maaß ihrer Verbindlichkeit, über alle zu gebieten. Seine Geſeze find auch von den Geſezen der Privat⸗ Perſonen nicht ihrer Natur, ſondern nur dem Grade nad verſchieden. Sie haben oft eine ganz ähnliche Ver⸗

a ———

O V

8) unter. anteren Bohmer j. p. n. pag. 402..

9) Jus legum. condendarum. et tollendarum, jus. interpretandi : leges, jus dispensandi etc. wie (id die aͤlteren Juriſten aus druͤken, bie ſtets (o vile jura machen als “s erlaubte Sante. langen giebt.

18a anlaffung, aͤhnlichen Gegenſtand und Zwek; nur ſind fi hervorragender, bekannter, beruhmter, und gehen ge. wöhnlich mehrere Leute an; ſie find nicht die einzigen Geſeze im Land, aber bdie oberſten (well ber Fürſt ſelbſt der oberſte iſt) und können von niemand anders als von ihm ſelbſt aufgehoben werden; als worin das einzige weſentliche Merkmal beſteht, welches ſie von ähnli⸗ ſchen Privat⸗Verordnungen und. Willens⸗Aeußerungen unterſcheidet. Sbré Verbindlichkeit beruht, wie die aller menſchlichen Geſeze, theils auf ihrer inneren Rechtmäßig⸗ keit, d. b. auf ihrer Uebereinſtimmung mit dem natürli-⸗ chen Geſez aus welchem ſie müſſen hergeleitet werden können und dem ſie wenigſtens nicht widerſprechen dürfen, theils auch auf der Macht ihre Vollziehung zu bewirken, welche danu bey einem Fürſten größer als bey anderen Menſchen iſt, und es ſey durch Belohnungen oder durch Strafen einen neuen Beweggrund ihrer Befolgung hin⸗ zuſezt. Demnach iſt der Mille ded Fürſten das Geſez für alle ſeine Untergebenen und nicht der allgemeine Volks⸗Wil⸗ be, der als corporativer Wille gar nicht exiſtirt, nicht erkannt, nicht geäußert werden kann, welchen der Fürſt gar nicht über ſich zu erkennen ſchuldig iſt und der auch nicht gegen ihn vollzogen werden könnte. Man kann hier⸗ aus auch die Abſurdität der geprieſenen neueren Doctrin abnehmen, nad) welcher man die ſogenannt geſezgebende und vollziehende Gewalt von einander trennen, jene dem Volk zuſprechen, dieſe allein dem Fürſten einräumen wollte. Wir würden derſelben nicht einmal erwähnen, wenn ſie nicht eine Zeit lang ſo vielen Lärm gemacht und ſo vieľe Köpfe verwirrt hätte. Bekanntermaſſen iſt ſie

462. zuerſt von Monteganicu erdichtet, oder wenigſtens in ihrer Grellheit aufgeſtellt worden. Tout seroit perdu ruft ce mit lächerlichem Dünkel aug: si le méme hômme pou-! voit donner des loix et les faire exécuter. Und bod: iſt dieſes 31 allen Seiten von Allen Fürſten in der Welt geſchehen, es geſchieht noch heut zu Tag ſogar von jedem einzelnen Menſchen, der irgend einen Willen dufert, ihn vollzieht oder vollziehen läßt und ſelbſt über die Erfül⸗ lung oder Nichterfüllung dieſes Willens urtheilt; es iſt die nothwendige unveränderliche Ordnung der Natur. Das wäre cin ſeltſamer Geſezgeber der ſeinen Willen nicht auch vollziehen laſſen könnte, ſondern dieſes ven dem: Gutſinden eines anderen erwarten müßte. Eben ſo ſelt⸗ ſame handelnde Gewalt die keinen Willen haben dürfte. Allein dieſe ſogenannte Theorie war nichts weiter als der erſte Schritt zum praktiſchen Revolutions⸗Syſtem, cine verſchleyerte Wendung um das Volk zum Herren oder zum Souverain zu machen, den Fürſten nur zu ſeinem Diener herabzuwürdigen. 10) Montesquieun ließ ſich zwar nicht in bie weiteren Fragen cín, was dann cin Geſez ſey oder nicht ſey, wer das Volk vorſtellen ſolle u. ſ. w. Philoſophen ſeiner Art bekümmern ſich nicht um derglei⸗ "den Schwierigkeiten, ſie weichen ben Fragen klüglich aus, deren Beantwortung ihnen ſogleich die Abſurdität des Prinzipiums zeigen müßte. Auch giengen die ſpäte⸗ ren Jünger ſeiner Schule bald weiter und konnten nicht begreifen, warum das einmal fr ſouverain und geſezge⸗ bend ausgegebene Volk nicht auch ſeine Geſeze ſolle voll⸗ ziehen und den dazu beſtellten Dienern Befehle geben können. Seine Lehre ward mit Recht von denjenigen ſelbſt

19) Vergl. T. I. S. 33. Note 7. u. p. 57. Ň

verworfen, die den Haupt⸗Grundſäzen ſeines Syſtems ergeben waren. Pufendorf, der doch auch die Fürſtli⸗ che Gewalt vom Volk ausgehen ließ, erklärt die Idee ſolcher Spaltung als cin zweykopfiges Ungeheuer, von denen das eine Willen ohne Macht, das andere Macht ohne Willen befúfe. . Boehmer nennt ſie ebenfalls ein mongtrum reipublicæ, i23 Rouſſeau, der bie Ge⸗ ſamtheit des Velks zum alleinigen Herren machen wollte, vergleicht die Anhaͤnger dieſer Spaltungs⸗Theorie mit je⸗ nen Taſchenſpielern oder Gauklern in Japan, die ein Aind in der Luft in Stüke zerhauen um dieſelben ſogleich wieder zuſammen zu faſſen, und in (o. fern nad) Montes⸗ auien, jene beiden Gewalten noch bazu, von einander unabhängig ſeyn, ja ſogar ſich beſtändig entgegenſtreben ſollten: ſo vergleicht Sieyes einen ſolchen Staat mit einem Wagen, an welchem hinten und vornen zwey Pferde angeſpaunt wären, und beyde Kutſcher ſtets auf ſolche zuſchlügen, fo daß ber Wagen nie von. dem Vlas käme. 13).

Dieſe Spaltungs⸗Ooetrin iſt alſo ſelbſt in dem Geiſt des Syſtemes falſch, welches das Volk zum Souverain und Geſezgeber machen will; denn wäre es dieſes, ſo

muüßſte es auch ſeine Geſeze vollziehen oder deren Vollzie⸗

hung bewirken können. Aber einen wahren Fürſten, d. h. einen mächtigen und unabhängigen Menſchen anzuerkennen und ihm das Geſezgebungs⸗Recht über ſeine Unterthanen abzuſprechen: iſt eine Ungereimtheit die ſich ſelbſt wider⸗

u.) ©. ſeine beredte und wijige Beſtreitung dieſer Lehre do Jj. net 5. L. VII. c. 4 $. 9. 14.,

12) Jus publ. univ. pag. 211. et 219. 13) Opinioa sur le jury constitutionnaire (m SJ, 17964,

18

fricht. Denn fofite er 4. S. nur die vollziehende Gemalt haben, fo múften andere ihm Geſeze geben., mithin wäre er nicht mehr unabhängig, ſondern zum Diener gemacht, ſeine Diener aber zu Herren über ihn erhoben, welches der Natur des Verhältniſſes widerſpricht und folglich abſurd iſt. Daß cin Fürſt keine Geſeze geben dürfe,/ heißt mit einem Wort eben fo viel al daß cr keinen Willen haben und weniger Rechte beſizen ſolle als der geringſte Privatmann in ſeinem Land. Er iſt der Herr, der ober⸗ ſte, der geſezgebende, ſeine Beamte und Diener bie ſiud die vollziehende Macht, und überhaupt werden die Geſeze von denen vollzogen denen ſie gegeben find, <4

Iſt aber dieſes Geſezgebungs⸗Necht unbeſchränkt, er⸗ fireft es ſich über alle Perſonen, Sachen und Handlun⸗ gen IS oder wird gar alles gerecht was einmal von der ſogenannten Staats⸗Gewalt befohlen worden, fo daß, wie Hobbes und die neueren Atheiſten dociren, ein ungerech⸗ teý Geſez gar nicht einmal möglich wäre? Keineswegs! Eine abſurdere und entſezlichere Tyranney koönnte nicht erfunden werden, als diejenige die aus ſolchen Doetrinen fließt. Wir haben Ke zum Theil während der Revolution, b. b. während dem Triumph jener Prinzipien erlebt.

14) Neber bie Dbheilung ber Gewalten vergleiche auch meine (ae tyriſche Schrift: »„Jdeen ju einem allgemeinen pís loſophiſchen Krankenrecht nach dem Grundſaz der Theilung der Sewalten. 1808 in dem litterar. Archiv der Akademie zu Vieru. ster Jabrg. ©. 447 474: nie auch mein Handbuch der allg. Staa⸗ tenkunde ím Abſchnitt von den Nepudliťen S. 234 237

75) mie Pufendorf at de j. Dn. et g. L. vii. €. 4. $. 2. u. viele andere.

480+.

Nein! alle menſchliche Geſezgebung iſt, wie die Macht und Freyheit überhaupt, durch das höhere natürliche Ge⸗ ſez, d. b. it andern Worten, durch fremde Rechte be⸗ gränzt. Die oben entwikelten Gründe ihrer Verbindlich⸗ keit "6 zeigen zugleich ihre natürlichen Schranken an. Gin ungerechtes Geſez iſt dasjenige welches fremde Rechte heleidiget, in die Freyheit oder das Eigenthum von ate deren gewaltthätig eingreift, Handlungen oder Unterlaſ⸗ ſungen gebietet, die mit den Rechten oder Intereſſen des Fürſten in keiner Berührung ſtehn. Wer würde es nicht für cine empôtente Thranney halten, men: man. z. B. den Menſchen überhaupt durch Geſeze das Eſſen, Trin—⸗ ken, Wachen und Schlafen verbieten, oder Raub, Mord und Ungerechtigkeit als Pflicht gebieten, Tugenden oder erlaubte gleichgültige Handlungen zu geſezlichen Verbre⸗ chen, und Berbrechen zu geſezlichen Tugenden made wollte.? 17 Ein gerechtes Geſez aber, der Gegenſaz eines ungerechten iſt alſo dasjenige was keine fremden Rechte beleidiget, was mit dem natürlichen Geſez übereinſtim⸗ mend, entweder nur eine Erneuerung und Anwendung deſ⸗ ſelben iſt oder aus dem eigenen Recht des Fürſten,

aus ſeiner Freyheit und: ſeinem Eigenthum fließt; cin. Ge⸗

ſez wodurch ce im Grund nur über ſeine Sache, ſeine Intereſſen gebletet, und keine anderen Handlungen oder

M) T. 1. S. 403. f. it. oben ©, 176, .

17) Ber entſezte ſich nicht uͤber die Bonapartiſchen Dekrete die alles rechtmaͤßige Privat⸗ Efgentbum, maď aug Engliſchen Manufafturen berkam, verbrennen oder zerſchmettern ließen u. ſ. w. Wer batte nicht aͤhnlichen Abſcheun vor den fruͤhe⸗ ren Dekreten der Franzoͤſiſchen National⸗Verſammlungen, de⸗ nen gar kein Recht, kein Eigenthum heilig war, deren Mille alicín alles recht machen ſollte ?

SN 489 Unterlaſſungen vorſchreibt als die man ihm und den Seini⸗ gen entweder natürlich oder vertragsmäßig ſchuldig iſt. 18) Hierin liegt auch bad einfache Criterium woran ſelbſt der gemeinſte Menſchen⸗Verſtand die Rechtmäſſigkeit oder Unrechtmaͤſſigkeit eines Geſezes beurtheilen kann und wir werden bald Gelegenheit ſinden, ſolches bey den ver⸗ ſchiedenen Geſez⸗Arten mit intereſſanten Beyſpielen zu beleuchten. Mehr als jene natürlich ſchuldigen oder ver⸗ tragsmaͤßig übernommenen Pflichten kann der Fürſt ſtreng rechtlich von ſeinen Unterthanen nicht forderen, wohl aber bisweilen von der freywilligen Zuneigung oder von ihrer Klugheit erwarten, welche freylich eine Triebfeder unendlich vieler Handlungen find I) und wodurch matu, zumal in Colliſionen, oft ded Friedens wegen nachajebt, d. h. auf die zeitliche Ausübung einzelner Befugniſſe Ver⸗ zicht leiſtet. Wenn aber cin Fürſt ſeinen Unterthanen

18) Barruel iſt ungemein nab dey dieſem Prinecipio geweſen Rvohne es beſtimmt auszudrüken. Sn ſeinen Mémoires sur le Jocobiniame T. II. p. 6x. wo er das Geſezgebungs⸗Necht der ebmaligen Ednige von Frankreich rechtfertiget, ſagt er: daſſelbe ſey beſchraͤnkt geweſen x) durch die urſpruͤnglichen und natuͤrlichen Geſeze der Gerechtigkeit, s) es babe ſich nicht dahin ausdehnen koͤnnen, das Eigenthum, die Sicherheit und buͤegerliche Freyheit zu verlezen (fremdes Recht). 3) Noch weniger babe es gegen die Vertraͤge, Gewohnheiten und Privile⸗ gien der Provinzen und Corporationen (abermal fremdes Recht) gegolten. Bag bleibt úbrig ale Geſezgebung úbev eigene Sad und kraft eigenen Rechts?

19) In den erlaubten Anlokunge⸗ und Ablokungs⸗ Mitteln darin liegt die große Macht zu regieren, fuͤr Fuͤrſten welche dieſe Mittel zu gebrauchen wiſſen. Dergleichen Geſeze ſind eigentlich nur Raͤthe. Wir werden anderswo úder dieſen Begenſtand reden. | MN

490 auch ſolche Handlungen gebieten wollte, zu deren Forde⸗ rung ce nicht nur kein Recht bat, ſondern die auch an und für ſich nicht einmal erlaubt ſind, tie 4. B. Verbre⸗ chen anszuüben: fo iſt dies der einzige Fall wo man nicht gehorchen ſoll, ja nicht einmal gehorchen darf, denn hier geht das göttliche Beſez, die höhere Verbindlichkeit vor.

Welches ſind nun aber die Haupt⸗Claſſen der Fürſtli⸗ chen Geſeze? Selbige nad) ben. Gegenſtänden einzuthei⸗ len worüber ſſie ſich erſtrelen, iſt unmöglich, weil dieſe Gegenſtände unendlich ſeyn können und in der That auch unendlich mannigfaltig find. Di beßte und zugleich in ſtaatsrechtlicher Rükſicht bie lehrreichſte Eintheilung iſt diejenige nad) ben Perſonnen oder. Menſchen⸗Claſſen de⸗ nen die Geſeze gegeben ſind, oder von denen ſie befolgt werden müſſen. Sn dieſer Rükſicht giebt es nur dreyer⸗ [ej Geſeze: die erſten die ein Fürſt ſich ſelbſt oder auch ſeinen Nachfolgern auflegt, die zweyten die er ſeinen Beamten und Dienern ertheilt, die dritten endlich die allen ſeinen Unterthanen oder nur einzelnen Claſſen derſelben gegeben werden.

Man ſollte nicht glauben welche Menge von Geſezen ſchon unter jene erſte Claſſe gehören, deren Rechtmäßig⸗ keit am allerwenigſten bezweifelt werden kann. Wenn 4. B. ein Fürſt die Anzahl ſeiner Truppen oder Beamten aller Art feſtſezt, wenn cr gewiße Bedingungen für ihre Anſtel⸗ lung und Beförderung vorſchreibt, wenn ex ſeinen Gerich⸗ ten and anderen Stellen beſtimmte Befuguiſſe einräumt, wenn er ſeine Ausgaben zum voraus regulirt, für eine zelne Zweige derſelben wie z. B. für die Armee, für Be. bäude, für Peuſionen, für ſeine eigene Hofhaltung u. ſ. w.

291

jabriidý cine gewiſſe Summe ansſezt, bie Beſoldung je⸗ des Dienſtes beſtimmt u. ſ. w.: fe find das alles (m Grunde nur Geſeze die ce ſich ſelbſt giebt, Mati. men nach denen er handeln zu wollen ſich erklärt, die er allein zu befolgen hat und welche im Grund die Unter⸗ Ybanen gar nichts angehen. Dahin geboren ferners die Suceeſſions⸗oder Erbfolgs⸗Ordunngen in Fürſt⸗ lichen Häuſern, die ſogenannten Haus⸗ oder Familien⸗ Geſeze, wodurch die Vormundſchaft der mindertádrigen Erben, bie Epoche ihrer Majorennität, die Alimentation oder die Appanages der nachgebornen Söhne und Tochter beſtimmt werden u. ſ. w. Unter die nemliche Claſſe ſind vorzüglich auch bie feyer lichen Berſprechungen zu rechnen, welche die Könige bisweilen ben Krönungen, nad) inneren Kriegen oder anderen außerordeutlichen Ge⸗ legenheiten ihren Unterthanen durch offene Briefe oder ſogenannte Chartres urkundlich auszuſtellen pflegen, durch welche ſie ſich gewoͤhnlich zu einigen, ſich ſonſt nicht von ſelbſt verſtehenden, Pflichten verbinden und die unſer revolutionäres Zeitalter Gonfitutioný. oder Fun⸗ damental⸗Geſeze nennt, obgleich ſe den Staat we⸗ der gründen ned conſtituiren, and gar nicht fo viel nüzen als man glaubt, dennoch oder tetý unter die wich⸗ tigeren zu zählen find. Bon ſolchen Geſezen nun iſt es wohl keine Frage, daß jeder Fürſt ſie zu geben befugt 18: ce diſponirt hier offenbar nur Úder ſeine eigene Sad), ſchränkt felnt eigene Freyheit ein, macht Bedingungen ben ſeinen Schenkungen, eedirt von ſeinem eigenen Necht, niemand wird dadurch in dem ſeinigen beleidiget. Der⸗ gleichen Willens⸗Aeußerungen über einzelne, ſonſt in der Willkühr des Fürſten liegende, Gegenſtände ſind aber bisweilen nothwendig, theils um die Geſchäfte zu ver⸗

?

193

minderň sd theils um Aißbraͤuchen, bie ſonſt ſchwer

zu vermeiden wären, vorzubeugen, 21) theils auch wegen

ihres Zuſammenhangs mit anderen Geſchäften, bie ohne ſolchen vorher bekannt gemachten Willen nicht beſorget werden konnten. 2 Indeſſen iſt nicht zu lͤngnen, daß ſie in manchen Staaten, zumal in unſerem an der Geſez⸗ macherey krank liegenden Zeitalter, zu febr vervielfülti⸗

get werden und die Fürſten ſich dadurch oft bie Hände zum Guten binden. Sie haben daš doppelte Inkonvre⸗ nient, dať der Fürſt ſich alsdann einerſeits in manchen

Fäaͤllen, wo eine Ausnahme nöthig und nüzlich dre, be. ſchränkt glaubt, und daß wenn er auch ſolche Ausnah⸗

men macht (wozu ce allerdings befugt iſt) z.B. irgend einem wohlverdienten Beamten eine Zulage beſtimmt,

eine Beforderung außer dem Range vornimmt, von ein⸗

zelnen Bedingungen diſpenſirt, in außerordentlichen Um⸗ ſtäänden gewiſſe Geſchäfte von unteren Behörden an ſich zieht A. ſ. w.: ſelbiges immer als eine Art von gehäſfiger

Willkühr erſcheint, während anderſeits alle Wohlthaten,

die in Folge des einmal bekannt gemachten-Geſezes ge⸗ ſchehen, von denjenigen bie fe empfangen nicht mebr mit Dank anuerkannt, ſondern al bloße Schuldigkeit angeſehen werden. Was dann diejenigen Geſeze betrifft, welche die Fürſten nicht nur ſich ſelbſt, ſondern gewiſffermaſſen auch

20) wie 3. ©. ben der“ den Gerichten und anderen Stellen ein⸗ geraͤumten Competen;.

21) mie 4. B. bey der Anſtellung und efrderuné ber Beam⸗

„ten, bey Ausſezung gewiſſer Geldſummen fuͤr einzelne We: genſtaͤnde u. ſ. w.

22) Die Anzabl der Truppen muß z. B. beſtimmt werden, wegen ihrem Zuſammenhang mit dem Sulb, der Vervſiegung, der Unterkunft u, ſ. m.

ed

?

193 šbren Nachfolgern geben, wie 3. B. die Ttftamente, die Succeſſions⸗Verordnungen und die ben vera ſchiedenen Claſſen des Volks gegebenen Verſprechun⸗ gen: fo nehmen ſie für bie Nachfolger bdie Natur cincý Vertrages an: denn wollen dieſelben erben, ſo müſſen ſie auch die Bedingungen annehmen unter denen ihnen dieſes Erb augeboten wird und der Erblaſſer kann ihnen nicht

la Rechte überliefern als er ſelbſt beſaß.

Die zweyte Art von Geſezen ſind diejenigen welche den Beamten „und Dienern ju treuer und regelmäßiger re fúllung ihrer Pflichten gegeben werden. Hieher gehören die mannigfaltigen Vorſchriften und Verordnun— gen, Dienít- Snftruftionen und Reglemente die in allen Stnaten die größte Zahl der Geſeze ausmachen, i B. die Verordnungen über die Verwaltung der Do⸗ mainen, Regalien und anderer Fürſtlicher Anſtalten und Unternehmungen, die Münze⸗, Pol», Zoll⸗ und Straßen⸗ Reglemente, diejenigen über die Erhebung, Verwaltung und Verrechnung der Fürſtlichen Einkünfte, die ſämtli— chen Militär⸗Reglemente ſowohl für die innere Einrich⸗ tung als für die ökonomiſche Bewirthſchaftung der Ar⸗ meen, bie Dekrete und Statuten über bie Organiſation der von dem Landesherren geſtifteten Schulen, Akademien und anderen gemeinnüzigen Anſtalten u. ſ. w. Dahin ſind namentlich auch die Gerichtsſazungen und Prozeß⸗ Ordnungen, wie auch die poſitiven Straf⸗Ge— ſeze zu rechnen, welche, wie tele bald ausführlicher zei⸗ gen wollen, eigentlich nicht den Unterthanen, ſondern den Richtern gegeben werden und nur von dieſen lezteren vollzogen werden müſſen. Ueberhaupt ſo viel verſchiede⸗ ne Beamte und Diener es giebt, ſo vielerley Dienſt⸗

Zweyter Vand. N

va

Inſtruktionen und Reglemente laſſen ſich auch denken. Daß nun ein Fürſt zu ihrer Ertheilung berechtiget ſey, verſteht -fich wieder von ſelbſt: denn ſeinen Beamten und Dienern wird er doch beliebige Vorſchriften geben dürfen, in ſo fern dieſelben nichts enthalten was höheren natürli⸗ chen Geſezen widerſtreitet und auch in den geforderten Arbeiten das Maas der Menſchlichkeit nicht überſchritten wird. Die Diener eines Fürſten ſind ſeine Gehülfen, ſie daben ihm in irgend einer Art von Geſchäften Hülfe und Unterſtüzung verſprochen, alſo wird er wohl auch befugt ſeyn ſeinen Willen zu erklären, worin und auf welche Weiſe er dieſe Hülfleiſtung verlangt. Er ge⸗ bietet auch hier nur über ſeine eigene Sade, über Hana. Iungen die er eigentlich ſelbſt zu thun befugt wäre, für welche er aber zu ſeiner Erleichterung Gehülfen beſtellet Hat. So uútbig und nüzlich nun auch dergleichen Dienſt⸗ Reglemente (find, wenn ſie im eigentlichen Sinn eine Art von Inſtruktion, oder Unterricht bilden, der die wohl⸗ meynende Redlichkeit leitet und oft auch das mittelmäßi⸗ ge Talent brauchbar macht, wenn ſie übrigens im wah⸗ veň Geiſt der Sache abgefaßt, ſtets auf den Zwel berech⸗ net, nicht allzubindend ſind und nicht zu peinlich jede einzelne Form vorſchreiben oder jede nicht gebotene aus⸗ ſchlieſſen wollen: fo iſt auf der andern nicht zu läugnen, daß ſie, zumal in unſeren Tagen, oft gar zu ſehr ver⸗ dielfältiget werden. Denn da das Geſez in ber Folge ſehr oft nicht mehr auf Zeiten und Umſtände paßt, da es ob⸗ ſolet und vergeſſen wird, eben ſo ſehr von denen die es gegeben haben als von denen die es befolgen ſollen; da die nemlichen Mittel nicht immer zum Zweke führen, cine vorgeſchriebene Form bisweilen nicht môglid) und cine andere beſſere deunoch nicht erlaubt ſeyn ſoll: fo wird

19%

dadurch ber treue Pflicht⸗Eifer, die beßte Einſicht ſelbſt,

in unnöthige Feſſeln geſchlagen und bad Gute ſelbſt ge⸗ hindert; auch die Redlichſten fallen in unwillkührliche Vergehungen, die an und für ſich keine wären, oder es entſteht cine Art von knechtiſchem Aberglauben, nad)

welchem von ängſtlichen Beamten, aug Furcht vor Mißbil⸗

ligung, die Sache der Form, der Geiſt dem Buchſtaben aufgeopfert und dadurch der Dienſt des Fürſten ſelbſt, ber Zwek aller ſolcher Geſeze, vernachläßiget oder gefähr⸗ det wird.

Die dritte und lezte Claſſe von Geſezen find diejenigen, welche den Unterthanen ſelbſt gegeben werden und entweder alle zuſammen oder nur einzelne Claſſen derſel⸗ ben angehen. Auch gegen derſelben Rechtmäßigkeit iſt nichts einzuwenden, wenn der Fürſt dabey inner den Schranken des natürlichen Geſezes und ſeines Befug⸗ niſſes bleibt / nicht Handlungen erzwingt die an und für ſich der Privat⸗Freyheit überlaſſen, ſeinen Rechten frem⸗

be, ſeinen Intereſſen gleichgültig find, mithin auch hie

entweder nur Úder eigene Sache gebietet oder andern zu ihrem Rechte Hülfe leiſtet. Gleichwie aber dennoch das Befugniß zu dergleichen Geſezen etwas ſchwieriger her⸗ zuleiten, wenigſtens der Mißbrauch hier viel leichter und häufiger als anderswo iſt: fo ſind ſie auch an und für ſich die unnöthigſten und ſeltenſten von allen. Im allgemei⸗ nen kann man richtig behaupten, daß je weniger ſolcher Geſeze in einem Lande vorhanden ſind, deſto gerechter auch ſein Fürſt, deſto freyer und glüklicher das Volk ſeyn werde. To wenig poſitive Geſeze exiſtiren, da herr⸗ ſchet das natürliche Geſez deſto mehr, da find die Verträ⸗

ge deſto heiliger, da gelten verſtändige Uebungen und

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Gewohtiheiten, und es iſt beſſer einzelne Mißbräuche 18 ſtrafen, als, wie unſer Zeitalter pflegt, wegen jedem ſol⸗ chen ein neues Geſez zu machen, das dann auch den Ge⸗ brauch hindert und zehenmal mehrere Mißbräuche veran⸗ laſſet. Dagegen iſt allzuviele Beſchränkung der menſch⸗ lichen Handlungen nicht nur gehäſſig, ſondern auch zwek⸗ widrig; jedes bindende poſitive Gefez iſt immerhin eine Verminderung der Freyheit, und diejenigen die immer nach Geſezen ſchreyen, ſtets über Lüken oder Mangel au Geſezen klagen, wiſſen nicht maš ſie wollen; ſie verdien⸗ zen. mit der Erfüllung ihres eigenen Wunſches beſtraft zu werden. Verſtändiger und gutmüthiger als dieſe Pſeudo⸗ Weiſen, antwortete Kayſer Conrad denen die ihn um ſolche Geſeze beſtürmten: „Wenn ſie nur nád Geſezen hungern, wolle ex fe damit ſchon erſättigen.“ 23) Auch pflegte der große Baro zu ſagen, es gebe keine ärgere Folter als die Folter der (menſchlichen) Geſeze. Die Menge menſchlicher Verordnungen, wenn ſie auch an und für ſich gut wären, (welches nicht immer der Fall iſt) ſezt erſtlich vielen vorangegangenen Mißbrauch voraus, und zeugt alſo gar nicht zu Gunſten der Moralität eines Wolks, fe iſt vielmehr der Beweis eines verdorbenen Zuſtandes 2a2) und keineswegs ciu Mittel gegen denſel⸗ ven, ſondern ſie macht allemal das Uebel noch ärger. 25) Denn jedes neue den Unterthanen gegebene Geſez (beſon⸗

23) Si modo leges esuritis, concedente Deo bene legibus vos satiabo. #V ppo.

s4) fa corruptissima republica pluríma leges. Tacitus.

a5) Ubi enim juris Romani immensa copia in fora Germa- nie introduci coepit, lites guogue et multiplicari et in infinitum extendi coeperunt. ŠBakámer jus publ, univ. pas 370.

+97

ders wenn es nicht etwa viele andere abſchafft, mitbin: Cher eine Verminderung von Geſezen iſt) veranlaſſet noth⸗ wendig eine Menge von Streitigkeiten über ſeinen Sinn und ſeine Anwendbarkeit, von Widerhandlungen, von Interpretationen, Diſpenſationen u. ſ. w., giebt dadurch bie beßte Getegenheit zu mannigfaltigen Zänkereyen, wird oft zum bequemen Dekmantel willkührlicher Ungerechtig⸗ keit und allemal zum Fallſtrik für die Redlichen, die gegen das natürliche Geſez nicht ſündigen, aber unwiſſend und zutraulich gegen unbekannte Formen fehlen. Auch iſt die Quelle dieſer vielen Geſeze gar nicht fo lauter als man glaubt, ſie flieſſen nicht aus reiner Liebe der Ge—⸗ rechtigkeit, ſondern aus einer übertriebenen Regierungs⸗ ſucht, die oft eine Krankheit des Geiſtes oft aber auch ein Fehler des Herzens iſt, und durch die neueren falſchen

Doctrinen mächtig begünſtiget wird. Sie find die natürli-

che Folge theils ded menſchenlichen Eigendünkels, ber da: glaubt allein Verſtand zu haben und alles beſſer als ante dere zu wiſſen, theils der geheimen Herrſchſucht, die ihren Willen überall durchſezen und nicht nur für die Gegen⸗ wart, ſondern auch für kommende Geſchlechter verbind⸗ lich machen mil. Gleichwie man alſo unter befehlſüchti⸗ gen Privat⸗Perſonen nicht am glüklichſten lebt: fo bee weiſet auch die Erfahrung, daß gerade die beßten und gerechteſten Fürſten am wenigſten Geſeze geben, alldieweil

ihre Vermehrung und Vervielfältigung das Loſungs⸗Wort

aller ſubordinirten Deſpoten und das Paradies aller der— jenigen iſt, welche die Chikane lieben oder dabey ihren Vortheil finden.

Allein was werden dann AK den Unterthanen für Ge⸗ Čie gegeben? Bey weitem nicht fo viele als mat glaubt.

198 -

Man pflegt darunter vorzüglich die Civil⸗SGeſeze, bie Criminal-Geſeze und die ſogenannten Polizey⸗ Geſeze zu rechnen, obgleich das erſtere nur zum gerin⸗ geren Theil, das zweyte durchaus nicht wahr iſt, und ſelbſt die Polizey⸗Verordnungen meiſt nicht alle Unter⸗ thanen, ſondern nut einzelne Claſſen derſelben angehen. Wir wollen von jeder Art dieſer Geſeze das nöthige ben“ fügen, um ſo da mehr als auch über dieſen Gegenſtand die verkehrteſten Begriffe herrſchen, und man dabey neuer⸗ dings erkennen wird, welch ſubordinirten Werth der⸗ gleichen (vom Landesherren gegebene) Geſeze haben, und“ mie beſonders bier das Uebermaas zu vermeiden čít

Die Givil Befeze find diejenigen, welche biť Wet. hältniſſe und Handľungen der Privat - Verfonen unter ein⸗ ander Ďetreffen , in fo feru ſie nur als ſolche, und nicht in ihrer Beziehung auf den Fürſten betrachtet werden; überhaupt nichts weiter als ein Innbegriff von Regeln theils über den Innhalt, theils über die Form der Privat⸗ Verträge. Denn die Gerichts Sazungen und Pr oa zeß Ordnungen, welche man dahin rechnet, find nicht eigentliche Civil⸗Geſeze, ſondern Tnftruftionen die der Fürſt ſeinen Beamten, den beſtellten Unterrichtern, ertheilt, worauf auch der Grund des Befugniſſes zu der⸗ gleichen Vorſchriften beruht. Soll nun aber ein Fürſt auch eigentliche und zwar gleichförmige Civil-Geſeze geben dürfen? Was gehen ihn die Angelegenheiten, die rechtlichen Beſizungen und freyen Handlungen der Unter⸗ thanen unter einander an? Was bat er darüber zu be. fehlen? Miſcht cr ſich hier nicht in fremde Sach, bee leidiget fremdes Recht? Allerdings, wenn er nach den Doetrĩnen neuerer Sophiſten, die Verhältniſſe und Befie

zungen der Menſchen ſelbſt ſchaffen und anordnen, Inn⸗ halt und Form aller Privat⸗Verträge vorſchreiben wollte. Die rechtlichen Verhältniſſe und Beſitzungen der Menſchen find Thatſachen bie von der Natur gegeben ſind und. Me kein Geſezgeber, kein Richter zu ſchaffen, fondert. lediglich zu kennen hat. 26) Was einer ſey odber nicht ſey, was ihm gehöre oder nicht gehöre, das iſt nad. Bewei⸗ ſen, nach Zeugniſſen und Erwerbungs⸗Titeln, nicht aber nach willkührlichen Landesherrlichen Geſezen zu beurthei⸗ fen. Der Jnnhalt der Privat⸗Conventionen kann und ſoll (wenige meiſt überflüſſige Beſchränkungen abgerechnet) allerdinge ben Contrahenten überlaſſen werden, und die Form derſelben iſt großentheils gleichgültig, hängt eben⸗ falls von ihrer Willkühr ab; jeder wählt die bequemſte, diejenige bie ihm leicht zu erfüllen möglich iſt, ße kann daher durchaus nicht überall die. nehmliche ſeyn. Allein die Fürſten geben auch wirklich nicht dergleichen Cibil⸗ Geſeze, und alle Verſuche wodurch einzelne derſelben ſich. m ſolche Negulirung aller Privat⸗Handlungen miſchen wollten, ſind nicht nur mißglükt, ſondern immerhin cit

26) Es iſt nichtse laͤcherlicher als unſere neuen Sophiſten ſagen zu hoͤren, der Staat ſolle die Verbáltniffe der Buͤrger unter einander beſtimmen, bie Rechte der Buͤrger nad. St aats zwe⸗ ten austheilen, ſchaffen, anweiſen u. ſ. w.: als ob irgeud ein

andesherr zu: verordnen bátte, ob. ih der Bruder meines Bruders, der Sohn meines Vaters oder der Vater meineß Sohns, der Glaͤubiger meines Schuldners oder der Schuld⸗ ner meines Glaͤubigers ſeyn ſolle; als ob es von ſeinen De kreten abhienge, ob mein Leben, mein Koͤrper, mein Kleid/ mein natuͤrliches oder. erworbenes Eigenthum mie geboͤren felle oder nicht. Weſlchem Fuͤrſten iſt je cin ſolch entſezlicher, ia wahnſinniger Deſpotismus in Sinn geſtiegen? Ihn zu docie wen, war unſeren Aufklaͤrern vorbe halten.

200

Beweis bed Deſpotismus. 27) Die eigentlichen Civil - Be. (cie Ánd und bleiben bie Merteáge und Bemobnúci: ten ber Menſchen unter einander, Urkunden, Er⸗ werbungs⸗-Titel, ſtillſchweigend angenommene zu Geſez gewordene Uebungen; ſie ſind die Regel nach deren der Richter in Civil⸗Sachen zu urtheilen bat, und alle die geprieſenen Codices müſſen zulezt den. Richter vorzüglich und hauptſaͤchlich doh nur auf diefe verweiſen. 29) Mad ſie zu denſelben hinzuſezen oder davon wegnehmen/ mo ſie z. B. bie Freyheit der Verträge beſchränken, oder ein⸗ zelne Formen ausſchließend vorſchreiben, iſt gerade nicht das beßte, ſondern allemal mit Nachtheilen verbunden. Sud ſind die meiſten ſogenaunten Civil⸗Geſezbücher nicht Fürſtliche Verordnungen, ſondern lediglich ein Aggregat uralter Gewohnheiten (Coutumiers), welche von einzel⸗ nen fleißtgen Männern gelegenheitlich geſammelt, in Ord⸗ nung gebracht und zur Bequemlichkeit des Publikums be⸗ kannt gemacht worden, oder man bat bisweilen auch frem⸗ de Geſeze (wie 4. ©. bie Romiſchen) ſuppletoriſch zur Richtſchnur genommen, b. b. zur Uebung gemacht. 29) Wenn aber auch dergleichen Sammlungen hintenher der

27) ©. maš Boͤhmer J. c. ©. 376. 330 ze. von dem Roͤmiſchen Rechte ſagt; fernev oben T. I. ©. 193. ff. und S. 207. úder dať Preußiſche und Joſephiniſche Civil : Befezbu hd. Bon der Toranney des Code Napoleon mag id bie nur nidht reben. Sie iſt cin wahrer Greuel.

+$) Vergl. T. 1, ©. 193. ben Anlaß ded Preufiſchen Gelejbuchs.

29) Im alten Frankreich beſtanden ſie tbeilý aus dem Roͤmiſchen Recht, theils aus mehr als 230 Herkommens⸗Rechten; deß⸗ gleichen noch heut zu ag in England. Im Koͤnigreich Jerufalem waren ſie vichte anders als víne Sammlung ven Gewobnbeiten. ſ. Wilke Geſch. ber Kréuzzuͤge. 1. 305. Eben fo iſt es faſt in alen andýren Laͤndern.

204 Einſicht und SŠanction des Landesherren unterworfen

werden: ſo geſchieht dieſes nicht deßwegen, damit ihr

Innhalt für die Parteyen verbindlich ſey, als welches

er ohnehin wäre, ſondern damit fe für die Richter

die gehörige Verbindlichkeit haben, überhaupt einer größe⸗ ren Autorität genießen und damit auch in dieſelben nichts aufgenommen werde, wodurch die eigenen Landes⸗ herrlichen Rechte gefährdet werden könnten. 30) Was MAN über dieſe Sammlungen aus, ſonſt noch unter die Civil⸗

Geſeze rechnet, beſteht freylich in Fürſtlichen oder Laudes⸗

herrlichen Verordnungen über die am häufigſten vor den Richter gelangenden Fälle, 4. B. über die Inteſtat⸗Erbſchaften, die Tutelar⸗Angelegenheiten, die gerichtlichen Liquidationen, den Executions⸗Prozeß bey Schuldbetreibungen u. ſ. w. Allein genau betrachtet find dieſe Verordnungen dod) nar Inſtructionen für bie Rich- ter, ſie ſchreiben den Parteyen nichts vor und find daber núť ſuppletoriſch.?) Denn die Erbgeſeze (meiſt auch nur von früheren Uebungen aufgezeichnet) gelten nicht

ſobald Teſtamente vorhanden ſind, deren Freyheit ehmals unbeſchränkt war. Erblaſſer und Wittwen können ſelbſft

Vormünder verordnen oder anſprechen, niemand iſt ver⸗ boten ſein Vermögen ſelbſt zu liquidiren, mit Gläubigern zu accordiren oder (Id vo Schuldnern anders als nad)

A .

30) Wie leicht geſchehen fann und oft geſcheben iſt, 3. B. in dem Preußiſchen Geſezbuch. S. T. I. p. 196 ff. Die Redaktoren von dergleichen Compilationen pflegen gern fibre falſchen Ves griffe uͤber das Staatsrecht allenthalben einzumengen.

31) ©ute Landesherrliche Civil⸗Geſeze ſollen uͤberhaupt nur fuvs

pletoriſch ſeyn, wenn bie Privat⸗Perſonen ibren Willen nicht ſelbſt, ausgedruͤftt haben, daher es bier heißt: Vertraͤge gehen uͤhber Geſeze. NAP

202

dem geſezlichen Exeeutions⸗Prozeß bezahlen zu laſſen; die GSelbſthülfe inner ben Schrauken der Gerechtigkeit und Möglichkert, geht auch hier ber gerichtlichen Hülfe vor. Uebrigens iſt doch die Vervielfältigung ſolcher Fürſt⸗ lichen Verordnungen, bie Civil. oder Privat⸗Angelegen⸗ heiten betreffend, keineswegs anzurathen; meiſt wird ſie nachtheilig, verfehlt ihren Zwek und artet in eine Tyran⸗ ney aus, die um ſo läſtiger wird, da ſie oft wiederkömmt und den Menſchen in ſeinen täglichen Geſchäften plagt. Möoͤglichſte Freyheit maš die Materie oder den Innhalt der Verträge ſelbſt betrifft und allgemeine Gewohnheit, Landesherkommen in Abſicht der Formen oder in Abſicht deſſen was die Parteyen nicht ſelbſt beſtimmt haben, iſt und bleibet immer die beßte Civil⸗Geſezgebung. Für das. natürliche Recht braucht man keine Geſeze zu geben; die find ohnehin vorhanden, bekannt und von Gott in das Herz jedes Menſchen gegraben. Was aber die poſitiven Zuſäze oder die Formen betrifft, in welche jenes natürli⸗ de Recht freylich eingekleider werden muß: fo ergeben ſich dieſe von ſelbſt durch Uebungen, Gebräuche, durch den Willen derjenigen die irgend eine erlaubte Handlung ausüben. Ihre Mannigfaltigkeit, über die unſer geiſtlo⸗ ſes, ſich ſelbſt lauter Feſſeln ſchmiedendes Zeitalter hohn⸗ läͤchelt, iſt gerade der Spielraum rechtlicher Freyheit, der ſchönſte Beweis herrſchender wahrer Gerechtigkeit. 22

32) Allen Menſchen ben Stoff und die Form ihrer Kopf⸗ und Fuß⸗ bedekung oder ibrer Schuͤſſeln und Gerichte gleichfoͤrmig vorzuſchreiben, waͤre nicht laͤcherlicher noch deſpotiſcher als zu gebieten, daß alle Ehverſprechungen, alle Schuld⸗Verpflich⸗

⸗rungen nur auf einerley Art geſchehen ſollen. Koͤnnen etwa

die Zeichen wechſelſeitiger Einwilligung nicht verſchieden (con a Sollen wir nur vor einem Notarius eine Schuld centrahiren,

, #03

Sad alte Serťommen, bie allgemeine Landes⸗ fiebung, welche ſophiſtiſcher Hochmuth veradhtet, hat jedoch in dieſer Hinſicht ihren Grund immer tief in der Natur der Dinge und dem Bedürfniß der Menſchen un⸗ ter denen ſie entſtanden iſt. 33 Urſprünglich bom Rath der Verſtändigſten eingegeben, nach und nach freywillig angenommen, wäre ſie nicht alt geworden, wenn man fe nicht gut erfunden hätte. Allemgl ben Umſtänden und Hülfsmitteln der Menſchen angemeſſen, leicht zu vollzie⸗ hen, mit der Muttermilch eingeſogen, dem Kinde wie dem Greiſe bekannt, iſt ſie die freundlichſte aller Geſez⸗ gebungen, gewöhnlich bie beßte Klugheit, und veranlaſſet die wenigſten Streitigkeiten. 3 Sobald hingegen ein

nicht ſeldſt ſchreiben, nicht mundlich verſprechen, nicht bcy einem Kaufmann Waaren auf Credit nehmen, nicht in einem Wirthshaus ein Eſſen beſtellen duͤrfen: das ſind ja auch Schuld⸗ Verpflichtungen.

33) Gerade mie die Bauart, die Nabrung und Kleidung, welche daher auch nicht willkuͤhrlich abgeaͤndert noch siciártčemís vorgeſchrieben werden kann.

34) Wie ſchoͤn druͤkt ſich daruͤber J. H. Boehmer úug: „Mores hujusmodi non scripti magis accommodati sunt ad genium popali, et ad illos statim a primo juvenie flore compo-

| nuntur et formantur, cum leges script magis cavillationí-

/ bus obnoxie sint, atgue adeo tandem in monepolium eruditerum transeant, cum tamen singuli subditorum jus patrium scire deberent. Mores guogue subditos facilius ad obseguium alliciunt, guam leges late. lt. Sniďas: Consuetudo non est inventum hominis sed vite et tempo- ris. At lex guidem similis est tyrannidi : terrore enim et

vi cuncta confícit, consuetuda autem magie humanitate regit: ultra enim omnes cam absgue necesitate sogmuntať. Jus publ. univ. p. 583. |

s

204

dandesherrliches Geſez ded Einfalt des natürlichen Rechte poſitive Dufáse beyfügt, nimmt es zugleich der rechtli— chen Pridat⸗Freyheit etwas hinweg; indem ed cine Form von rechtlichen Handlungen, 4. B. von Teſtamen⸗ MU). Erbs/Theilungen, Eh.» Verſprechungen, Schuld⸗ Gontracten, faktiſchen Beweiſen u. f tu. geſezlich vor“ ſchreibt, ſchließt es zugleich alle anderen aus, macht ba» durch die Ausübung ded natürlichen Befugniſſes ben mei—

ſten ſchwer, vielen ſogar unmöglich, und bewirkt daß dex

von der geſezlichen Förmlichkeit entblößte Aet vor dem Richter ungültig wird, mithin das natürliche Recht lei⸗ det und menſchlicher Willkühr aufgeopfert werden muß. Die Erfahrung iſt ſo voll von Beyſpielen dieſer Art, daß ſie alle diejenigen betrüben müſſen, deren Herz für wahre Gerechtigkeit ſchlägt. Auch ſind dergleichen gedrukte oder geſchriebene Geſeze nie fo febr den Bedürfniſſen und Hülfs⸗

mitteln jedes Orts angepaßt, nicht ſo allgemein bekannt,

fie gehen zulezt in das Monopolium weniger Rechtsge⸗ lehrten oder Geſezkundigen über, ſo daß außer ihnen nie⸗ mand mehr wiſſen ſoll was recht oder unrecht, erlaubt oder unerlaubt ſey, wovon dann gerade die größte Will⸗ kühr, eraſſer Aberglaube an poſitive Autorität und Ún. glaube an bad goͤttliche Recht die nothwendige Folge iſt. Auch veraunlaſſen biele Geſeze die meiſten Prozeſſe und Streitigkeiten; denn gerade die Förmlichkeiten, bie ewigen Förmlichkeiten find das Feld ber CEhikane, der Dekmantel ſchreyender Ungerechtigkeit und der Fallſtrik worin die barmľefe Redlichkeit fo leicht gefangen wird. Von dieſen poſitiven Civil⸗Geſezen heißt es mehr als von keinen andern: Ubi plurimæ leges ibi et lites et mores improbi. 39 „Biel Geſeze, viel Gezänke, viel Hecht,

$5) Plata,

205

wenig gute Merfe“ und es bleibt daher ewig wahr, daß cine vom Landesherren ausgehende Civih⸗Geſezgebung nad ber Natur der Sache nicht exiſtiren ſoll, deßwegen auch in den meiſten Ländern nicht exiſtirt, wenigſtens durchaus unnöthig, meiſtentheils nachtheilig if, und daß daher das Geſchrey nach Civil-Geſezbüchern ebenfalls unter die Krankheiten und Thorheiten unſeres Zeitalters Jehört. 38)

Sie Criminal- oder Straf⸗Geſeze, von denen wir hier nur beyläufig reden, meil dieſe Erörterung an— derswo den Zuſammenhang zu ſehr unterbrochen hätte, ſind nur Inſtruktionen für die beſtellten Un. terrichter, wie ſie dem Willen des Fürſten gemäß in Unterſuchung und Beſtrafung der Verbrechen zu Werk gehen ſollen; ſie werden auch nicht von den Unterthanen, ſondern von den Richtern und ihren Gehülfen vollzogen. Die Verbrechen ſind ſchon an nad für ſich durch daš natür⸗ liche jedermann bekannte Geſez verboten, man giebt nicht dem Dieben ein Geſez daß er nicht ſtehlen ſolle (als ob es ſonſt erlaubt wäre) noch viel weniger daß wenn er ſtehle er ſich dieſer oder jener Strafe freywillig zu unterwer⸗ fen habe: ſondern man giebt dem Richter ein Geſez, er ſolle den Dieben ſo oder anders ſtrafen laſſen, derſelbe mag

nun wollen oder nicht. Worauf das Strafrecht beruhe? daß es nicht von ben Unterthanen delegirt oder übertra⸗

36) Ueber dieſe ganze Materie verdienen vorzuͤglich nachgeleſen zu werden: J. H. Boehmer fus publ. univ. das ſchoͤne zte Capitel: De jure imperantium dirigendi actiones subdľ- torum per leges. u. Schloſſers treffliche Briefe aber

-— 319 Preußiſche Geſezgebung 1789,

206 > gen iſt, ſondern aus dem natürlichen Recht der Selbſt⸗ vertheidigung und der Handhabung ded natürlichen Be. ſezes fließt, 37 daß es an und für ich in infinitum, d. b. bis zur vollendeten Sicherheit gegen künftige Beleidigune gen geht, daß es noch jezt jedem Menſchen zukömmt, auch im kleinen von allen Menſchen ausgeübt wird, und in höherem Grade nur wegen Mangel an Macht nicht von jebem ausgeübt werden kann oder auch aus Rükſichten der Klugheit und Menſchigchkeit nicht immer und nicht in vollem Maaße ausgeübt werden milí: 38) das alles werden wir in dem Abſchnitte von der Gerichtsbarkeit aus⸗ führlicher zeigen. Alſo wird ein Fürſt, als der mächtigſte und nnabhängige, der ſich ſelbſt helfen muß und keine höhere Huͤlfe findet, wohl auch befugt ſeyn Beleidigun⸗ gen zu ſtrafen, d. h. innere Feinde die ſeine oder ſeiner Unterthanen Rechte gewaltthätig angreifen, zu züchtigen und (id und die Seinigen ſogar durch ihre Wegräumung + in Sicherheit zu ſezen. Er bat auch dieſes Recht nich aus Uebertragung vom Volk, ſondern aus ſeiner Frey⸗ heit von Gott oder der Natur ſelbſt. Allein das natürli⸗ che Recht beſtimmt nur, daß für Rechts⸗Verlezungen ge⸗ ſtraft werden darf und wo es nöthig iſt auch geſtraft werden ſoll; aber es heſtimmt nicht wie und von wem

EE EJ

37) Grotius de j. b. et p. L. II. Cap. 20. de poenis, Locke du gouvernement civil Ch. I. Cumberland de legg. nat. Ch. 1. $. 20. Pätter et 4chenwall jus nat. baben dieſes febr ſchoͤn auseinander gefest. S. auch Goͤtting. gel. Mn: S zeigen 1793. St. 114.. Abet alle mepnen, es fen in ber Folge uͤbertragen worden und wollen nicht ſehen, da es noch beut zu Tag von jebem Menſchen ausgeuͤbt wird, (o weit es es mit Sicherbeit thun kann.

80) Vergl. oben T. J. ©. 414 425, von der Selbſthuͤlfe.

dieſes geſchehen (ole, ned vielweniger, daß immer und in allen Fällen geſtraft werden müſſe. Das Straf⸗ Mittel hingegen, die Form der Strafe bleibt der Freyheit oder dem vernünftigen Urtheil desjenigen über⸗ laſſen, der in eigenem Namen zu ſtrafen befugt iſt. Kann alſo ein Fürſt ſelbſt ſtrafen oder auch nur die Strafe diktiren, (o bedarf er dazu keines Geſezes; er iſt fich ſelbſt Gefcy und. bat bie Auswahl des dem Rechtsverlezer zu⸗ zufügenden Uebels lediglich nach dem Zwek der Strafe, (der viele Formen zuläßt) nach den Umſtänden der That und des Thäters 39) abzumeſſen, welches theils nad den Regeln der Klugheit, theils nach den Geboten der Menſch⸗ lichkeit geſchieht. Daher ſieht man auch tn allen Báne dern, wo der Landesherr ſelbſt die Crimiual⸗Fälle beur⸗ theilt, keine poſitiven Straf⸗Geſeze und die Juſtiz wird deswegen nicht ſchlechter, ſondern vielleicht eher beſſer verwaltet. Hat er aber wegen der Größe des Gebiets oder wegen der Nenge von anderen Geſchäften Richter beſtellt die in ſeinem Namen das Strafrecht ausüben, kann oder will er nicht alle Fälle an ſich ziehen, ſondern hat ſeinen Gerichten gewiſſe Competenzen eingeräumt: ſo muß er ihnen auch ſeinen Willen bekannt machen, wie ſie an ſeinem Plaz die Verbrechen ähnlicher Art beſtrafen ſollen,

39) Daf die Strafe vorzuͤglich nad dem Thaͤter abgemeſſen werden múfje und and ben gleichen Vergebungen nicht im⸗ met gleich ſeyn fónne, baben infonderbeit bemieen: Pufen- dorf de j. n. et g. L. VIII, o. 3. $. 24. 25. Dr. Beorg Hať. Friedr. Meiſter úber ben Einſtuß des Stands der Verbrecher auf die Strafen, gegen Beccaria, Brissot, Servin etc. Goͤttingen 1734 u. Chr. Gottl. Gmelin Srundſaͤze

der Geſezgebung uͤber Verbrechen und Strafen, welcher ſch ebenfalls gegen die neueren Mode⸗Meynungen erklaͤrt.

208

und blos aus der Rothwendigkeit von dergleichen Vor⸗ ſchriften oder Inſtruktionen ſind die poſitiven Straf—⸗ Geſeze entſtanden. Das Befugniß zu denſelben unter⸗ liegt alſo wohl keinem Zweifel; ob es aber auch möglich, gut und zwekmäßig ſey, dergleichen vollſtändige, auch nur die mehreren Fälle erſchöpfende Geſezbücher zu ent⸗

werfen und ſie dazu noch für den Richter bindend zu

machen, ſo daß von denſelben gar nicht abgewichen werden dürfe: das iſt eine Frage bie id) nad) meiner Ueberzeu— gung durchaus verneinend beantworten muß. Cín Ber. brechen, es ſey groß oder klein, iſt eine vorſezliche Be⸗ leidigung fremden Rechts, die Uebertretung nicht eines poſitiven, ſondern ded natürlichen Rechts-Geſezes; bie Strafe hingegen iſt Züchtigung für begaugenes, und Sicherheits⸗Mittel gegen zukünftiges Verbrechen; ciu Uebel das dem Rechtsverlezer zugefügt wird, auf daß er entweder nicht mehr ſchaden könne, oder (theils aus Beſſerung, theils aus Beſorgniß vor ähnlichen Uebeln) nicht mehr ſchaden wolle. Nun reicht zur richtigen Kenntniß eines einzelnen Faktums und ſeines Urhebers, ſo wie zur Anwendung einer zwekmäßigen Strafe auch der mittelmäßige Verſtand hin. Wer aber kann alle möglichen Verbrechen und Beleidigungen mit ihren ins Unendliche gehenden Arten und Abarten, Urſachen, Tire kungen und Gradationen vorherſehen oder alle erdenkli— chen Strafen, d. b. alle Sicherungs⸗, Beſſerungs⸗ oder Abhaltungs-Mittel zum voraus beſtimmen und beyde ge. gen einander abwägen? Die Idee alle Krankheiten und Gebrechlichkeiten welche bisher die Menſchheit plagten oder fernerhin plagen können, alle bereits entdekten oder noch zu entdekenden Heilungsmittel, mit ihren unendlich verſchiedenen Formen und Gradationen, geſezlich zum

s

209

vorauý 434 beſtimmen, und ben Aerzten zu befehlen, daß ſie ohne Rükſicht auf Umſtände und die verſchiedene Na⸗ tur der kranken Subieťte, ſich ſtreng an ben Buchſtaben des Geſezes halten, gleichbenannte Krankheiten ſtets mit den nemlichen Arzneyen behandeln ſollen, keine verän⸗ deren, keine in einem anderen Vehikel beybringen, keine Doſis, ſie mag nun wirken oder nicht, vergrößern oder verkleinern dürfen: wäre nicht lächerlicher als ein ſolcher Criminal⸗Coder. Dabey braucht der Verbrecher die Art der Strafe gar nicht vorher zu wiſſen, als die ihm viel⸗

leicht gleichgültig ſeyn oder deren er durch Vorſicht ent⸗

gehen könnte. Er hat dazu erſtlich kein Recht, eben weil die Form und die Gradation der Strafe in der Willkühr des Strafenden ſteht, und es iſt ſogar gut, dať der Rechts⸗ verlezer in ungewiſſer Furcht leben und mehr Uebel be⸗ ſorgen müſſe als ihm vielleicht hintenher zugefügt werden. Wie unmöglich dergleichen Geſezbücher ſeyen, zeigt ſich auch daraus, daß ihre Verfaſſer ſich gewöhnlich nur mit

allgemeinen Claſſen von Verbrechen oder Strafen heraus⸗

zuhelfen und mit Worten gleich zu machen ſuchen was die Natur ungleich gemacht hat. Die Erfahrung beweist, daß fe meiſtentheils illuſoriſch find: ſtets enthalten ſie viele Lüken, deren Ausfüllung fo mie die Modiſikation und Gradation der einzelnen Strafen auf die einzelnen Vergehungen, dennoch dem RNichter überlaſſen werden muß, wenn man nicht in die Ungereimtheit verfallen will, entweder die abſcheulichſten Miſſethaten ungeſtraft zu laſſen, weil ſie in dem poſitiven Geſez nicht vorher⸗ geſehen worden, oder der Ueberzeugung und der Evidenz zuwider die unpaſſendſten Strafen anwenden zu müſſen. Will man es Willkühr heiſſen, ohne gedruktes noch ge⸗ ſchriebenes Geſez, bhlos nach der Natur ber Sache und Zwewuer Vand. S

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dem Zwek der Straf ein Urtheil auszufällen: (o ſcheint es mir noch viel größere Willkühr und ſtolze Anmaſſung, gleichſam die Natur der Dinge erſchaffen, alle möglichen dále vorherſehen, ſelbige zum voraus zu entſcheiden und beynahe ſo allwiſſend als Gott ſelbſt ſeyn zu wollen. Wenn ohne poſitives Geſez Irrthümer und Mißbräuche mi lich find, fo find ſie mit demſelben noch viel cher mög⸗ lich, denn dieſes poſitive Geſez kann eben ſo gut irren, zumal es auch von eines Menſchen Willen herkömmt; ja muß nothwendig noch viel öfterer irren, meil es ent⸗ ſcheidet ohne die Thatſachen und ihre Verumſtändungen zu kennen: und da einmal Irrthümer das Loos der Menſch⸗ heit find, fo ſehe ich zwiſchen dem Mangel und dem Das ſeyn von poſitiven Straf⸗Geſezen keinen anderen Unter⸗ ſchied, als daß in erſterem Fall der Richter zwar fehlen kann aber nicht muß, da hingegen in lezterem er fehlen und ſchlecht urtheilen muß, auch wenn er nicht will. Gleichwie demnach in der Medicin aufmerkſame Beobachtung der Natur und kluge Benuzung früherer Einſicht und Erfahrung die beßten Aerzte bildet: ſo iſt es auch ganz gewiß, daß genaue Kenntniß der That und des Thäters, ſtete Rükſicht auf den Zwek der Strafe, reiner Wille und vernünftige Zurathziehung der Gelehr⸗ ten vom Fache oder verſtändiger Uebungen, viel beſſere Urtheile hervorbringen als alle poſitiven Geſezbücher et je zu thun vermögen.

Die lezte Claſſe von Geſezen welche die Unterthanen verbinden oder wenigſtens berühren, ſind die häufigen ſogenannten Polizey⸗Geſeze, welche man ehmals ge⸗ wöhnlich mít dem Namen von Berordnungen bezeich⸗ nete und überhaupt die Beförderung der Ordnung, Si⸗

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cherheit, Geſundheit und Bequemlichkeit u. ſ. w. zur Ab⸗ ſicht haben. So unbeſtimmt und nichts ſagend an und für fh daš Wort Polizey iſt, fo leicht es auch, ohne Nad theil der Sache, in der Wiſſenſchaft ſelbſt entbehrt werden könnte: (o nehmen wir es doch hier in dem gewoͤhnlichen Sinn für den Innbegriff von Maßregeln oder Verord⸗ nungen, die auf Verhütung oder möglichſte Abwen— dung von Uebeln zielen, es mögen nun dieſe Uebel durch die Frevel und Thorheiten der Menſchen oder durch die Zufälle der Natur entſtehen. Dergleichen Polizey⸗ Verordnungen giebt im kleinen jeder Hausvater in ſeinem Hauſe, jeder Privat⸗Herr, jede Stadt. oder Bemeindd» Obrigkeit in ibrem Bezirk, fo weit nemlich die Macht odev die Vorſicht eines jeden reicht; daher man aud) von höhe⸗ rer und niederer Polizey zu reden pflegt. Alſo wird ein Fürſt wohl auch zu ähnlichen Verordnungen befugt ſeyn, in ſo fern er dabey keine fremden Rechte beleidigt, und wenn ſie für ſein ganzes Gebiet gelten ſollen: ſo kann freylich nur ex allein ſie geben. Sie ſind eher Wohltha⸗ te, menſchenfreundliche Vorſorgen und Hülfleiſtungen als rechtliche Schuldigkeiten, daher es auch manche Staaten giebt, wo wenig dergleichen Geſeze exiſtiren oder blos durch Uebungen und Privat-Anſtalten erſezt werden. Es gehört nicht in das Staatsrecht und wäre eben ſo über⸗ flüſſig als unmöglich ale Gegenſtände aufzuzählen, mit denen ſich die Polizey befaſſen kann. Dehnt ſie ſich ja, nad) unſeren neueren Schriftſtellern, nicht nur über öf⸗ fentliche und Privat⸗Sicherheit, allgemeine Geſundheit, ſondern auch über die Fortpflanzung ded Menſchen-Ge⸗ ſchlechts, über Schwangere und Gebährende, über die Kinderzucht, über Nahrung, Wohnung, Kleidung der Menſchen u. ſ. w. aus. Man kann darüber in unſerem

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polizeyprahlenden Zeitalter, daš aber deswegen Meder freyer noch glüklicher noch menſchenfreundlicher als an⸗ dere iſt, bändereiche Werke leſen, und Sammlungen von Polizey⸗Geſezen unter deren Laſt der Erdboden ſeufzen möchte. 30) Ueberhaupt fo viele Uebel es giebt die den Menſchen drohen, ſo viele Gegenſtände der Polizey laſſen ſich auch denken. So wohlthätig, ſchön und nüzlich aber dergleichen geſellige Firſorgen ſeyn mögen, wenn ſie in⸗ ner gehörigen Schranken bleiben, d. h. vor allem der Gerechtigkeit untergeordnet ſind, mehr rathen als erzwingen und nicht ſelbſt Böſes thun um angeblich Gutes zu bewirken: fo läßt ſich auf der auderen Geite nicht läugnen, daß von denſelben cin großer Mißbrauch gemacht werden kann, auch (zumal ſeit den neueren Staats⸗ Syſtemen) wirklich gemacht wird; daß ſie nur zu oft in eine peinliche zwekloſe Beſchränkung der Freyheit und des Eigenthums ausarten, und indem ſie alle Augenblike unter dem Vorwand möglichen Schadens oder Mißbrauchs er⸗ Llaubte Handlungen verbieten und läſtige Beſchwerden ge⸗ bieten, das Uebel was ſie dadurch verurſachen oft viel größer wird als dasſenige maš ſie abwenden ſollten. Da⸗ her erklärt es ſich auch, daß gerade die freyſten Völker überhaupt die Polizey nicht lieben, oder ſie nur in be. ſchränktem Maas unter anderen Namen kennen, daß von herrſchſüchtigen Regierungen der größte Deſpotismus ſtets

so) Man ſebe daruͤber z. B. von Berg Handbuch des deutſchen Polizeyrechts. Goͤttingen 1801, 1802 3. B. 8. und Weber foftemat. Handbuch der Staatswirthſchaft T. 1. Berlin 1804, wo auch die ganze Litteratur unſerer geprieſenen Polizey zu finden iſt. In lezterem Werke fuͤllt blog die Tnbaltg : Anzeige der durch die Polizey zu v erhindernden Uebel 18 aͤnßerſt eng gedrufte Seiten.

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unter dem Vorwand der Polizey ausgeübt und beſchöni—

get wird.

N

Man ficht aus dieſer ganzen Entwiklung, dať gerade

diejenigen Geſeze welche die Unterthanen angehen oder

berühren, die unnöthigſten von allen find, Daß übrigens alle poſitiven Geſeze denjenigen denen ſie gegeben ſind Des

kannt gemacht werden müſſen, wenn ſie für dieſelben

verbindlich ſeyn ſollen, verſteht ſich von ſelbſt. Menſch— licher Wille läßt ſich nicht immer vorherſehen, man iſt ihm alſo auch nicht zu gehorchen ſchuldig bevor er geäuſ⸗ ſert worden iſt, und hierin liegt auch der Grund warum dergleichen Geſeze nicht rükwirkend ſeyn ſollen. Die Bot men der Bekanntmachung ſind an und für ſich gleichgültig, wofern ſie nur ihren Zwek erreichen. Allein gerade bie Schwierigkeit Geſeze, welche nicht die Beamten, ſondern das Volk angehen, allen Einwohnern eines Čana ded bekannt zu machen und in ſteter Erinnerung zu exrhal⸗ ten, iſt nebenher ein neuer Beweis wie ſparſam und zu⸗ rükhaltend man mit dergleichen Geſezen ſeyn ſollte. na zwiſchen kann aus der Nothwendigkeit zener Kundmachung

gar nicht gefolgert werden, daß deßwegen alles erlaubt

ſey, was durch kein pofitives Geſez verbothen worden iſt. Dieſe Regel gilt nur von ſolchen Handlungen die an und fr ſich nicht unvechtmäßig ſind und deren Verbat alfa: nicht vorausgeſehen werden kann; allein das watürliche Geſez niemand zu beleidigen, geht allen menſchlichen Se. ſezen vet, es iſt jedem Menſchen angebohren, iný Herz ge⸗ ſchrieben, eben dadurch in alen Sprachen, allen Altern und Ständen kund gemacht, es bedarf mithin keiner bes ſonderen Publikation. +) Eben fa falſch und ungereimt

41) Auch ſegar Hobbe 6 ſagt: Leges aaturales pablioatione,

214

iſt cine ahnliche Behauptung, daß jedes Geſez allgemein ſeyn und alle Unterthanen gleich angehen oder für alle gleichförmig ſeyn ſolle. Auch dieſes iſt nur bey dem natürlichen Geſez der Fall, nur dieſes iſt allgemein, ver⸗ pflichtet jeden ohne Unterſchied, nur vor ihm Ánd alle Menſchen gleich. a2 Allgemeine menſchliche Geſeze hinge⸗ gen find allemal deſpotiſch und das größte Unglük eines Gtaats. +3) Das Geſez eines Fürſten iſt nichts weiter alg ein Ausdruk ſeines rechtmäßigen Willens, ein Mittel zu einem gewiſſen Zwek, und cd verftebt ſich alſo von ſelbſt, daß der Wille nur diejenigen angeht denen er geäußert wird, das Mittel wegfallen muß, da wo es nicht nöthig iſt oder nicht paßt oder wo es gar dem Zweke ſchädlich wäre. Sollen etwa Soldaten und Geiſtliche, als ſolche, den nemlichen Geſezen unterworfen ſeyn, Vorſchriften welche nur den Beamten und Dienern gegeben find, auch bie Unterthanen angehen, eine Wirthen⸗ und Apotheker⸗ Ordnung auch diejenigen verpflichten die weder Wirthen noch Apotheker ſind u. ſ. w.? Selbſt das iſt nicht ein⸗ mal nöthig, daß das nemliche, für den nemlichen Ge⸗ genſtand gegebene Geſez in allen Theilen des Fürſtlichen Gebiets gleich gelten ſolle; denn was an dem einen Orte nöthig, nüzlich und möglich iſt, das kann an dem ande⸗ ren durchaus unnüz, ſchädlich, ja ſogar unmöglich ſeyn. Son ben Civil⸗Geſezen haben wir bereits oben bewie— v |

proclamatione, promalgatiene non indigent Lewiath. e. 26. f. auch Pätter und Achenrrall proleg, ad jus nat. 6, 66,

45) Veral. mas oben T. I. ©. 183. ff. bey Anlaß der Nufifhen Inſtruktion fúv ein neues Geſezbuch geſagt worden (6.

43) Vergl. Moͤſers patriot. Phantaſſen I. 15. und Schloſſert Briefe uͤher Geſezgebung pag. W.

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ſen, daß ibre Gleichförmigkeit gerade die größte Tyran⸗ ney wäre, weil durchaus nicht überall die nemlichen For⸗ men für Verträge oder rechtliche Handlungen anwendbar find: bey Criminal⸗ oder Straf⸗Geſezen (wenn ſie je exiſtiren) wird doch niemand läugnen können, daß wenn in gewiſſen Gegenden gewiſſe Uebel oder Verbrechen mehr als anderswo eingewurzelt ſind, auch zu ihrer Ausrot⸗ tung andere oder ſtrengere Mittel erfordert werden, und was endlich bie Polizey⸗Geſeze betrifft die nur auf Ver⸗ hinderung von Uebeln zielen: ſo verſteht ſich von ſelbſt, daß da wo dieſe Uebel ohnehin nicht eintreten können, auch das Geſez nicht nöthig iſt, mithin auch gar nicht publicirt zu werden braucht. Endlich iſt ebenfalls nicht richtig, daß von menſchlichen Geſezen gar keine Nude nahme gemacht werden, der Landesherr ſelbſt, als Ur-

Nheber des Geſezes, davon nicht diſpenſiren dürfe: wo⸗

von wir jezt in einem beſonderen Capitel reden wollen.

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Drey und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

70 Ausnahmen von Geſezen, Privilegien und

Gnaden. |

I. Das Befugnif daju berubet auf ber Freybeit ſeinen Willen zu aͤnderen, in fo fern dadurch kein fremdes Recht beleidigt wird.

11. Ein Fuͤrſt iſt zwar nicht uͤber bie natuͤrlichen, noch uͤber frem⸗ be nicht von ihm gegebene Befeze, wohl aber uͤber ſeine eigenen.

111. Allgemeine Regel zur Ertheilung ven Diſpenſationen und Privilegicn. Sie find erlaubt und moraliſch geboten, in al⸗ len Sállen wo. ber Grund bed Geſezes aufboͤrt.

IV. Anwendung diefet Regel a) auf Befeze bie ein Fuͤrſt ſich ſelbt auflegt, b) auf foldýe bie er ſeinen Beamten ertheilt, before ders auf Stvaf : Befeze oder Begnadigungen, c) auf Civil⸗ und Polizey⸗Geſeze.

V. Widerlegung der Einwuͤrfe.

Gleichwie jedes Landesherrliche Geſez nur eine verbind⸗

liche Willens⸗Aeußerung ded Fürſten iſt, aus ſeinem De.

fugniſſe fließt und durch daſſelbe beſchränkt wird: ©) ſo kann er auch die von ihm gegebenen Geſeze nicht nur wieder aufheben und abänderen, ſondern auch, während fie beſtehen, davon einzelne Ausnahmen machen: und ſol⸗ che Diſpenſationen ſind für denjenigen den ſie begünſtigen cin Privlegium oder eine Gnade, gleichwie man

on.

1) ©: oben 183 ff

217

überhaupt jede Wohlthat bie man nicht 48 ertheilen ſchul⸗ dig iſt, eine Gnade zu nennen pflegt. Ein Fürſt iſt gleich jedem anderen Menſchen befugt von ſeinem Recht zu cediren, in Dingen die von ſeiner Willkühr abhängen, einzelne Unterthanen vor den anderen zu begünſtigen, 2 überhaupt ſeinen Willen zu änderen, in fo fern er Da. durch keine fremden Rechte befcidiget, und auf dieſer ſeiner Freyheit beruht ſowohl das Recht Privilegien zu ertheilen als auch die Schranke ſeiner Ausübung. Man kann hieraus auch die viel beſtrittene Frage beur⸗ theilen, ob cin Fürſt über die Geſeze fen oder nicht? >) cine Frage die wegen ber Zweydeutigkeit ded Worts Geſez unbedingt weder mit Ja noch mit Nein beantwortet wer⸗ den kann, weil man dabey theils die göttlichen Geſeze mit den menſchlichen verwechſelt, theils auch zwiſchen den lezteren nicht gehörig unterſcheidet. So viel verſteht ſich freylich von ſelbſt, daß ein Fürſt nicht über die göttli- chen (natürlichen) Geſeze iſt, meder über bie Geſeze der äußeren Natur noch über die Geſeze der Pflicht; ſie ſind nicht von ihm, ſondern von höherer Macht und Weisheit gegeben. Cr iſt auch nicht über die Freyhei⸗ ten, Verträge, Statuten und Gewohnheiten anderer Men⸗ ſchen, welche man bisweilen auch Geſeze zu nennen pflegt: fie ſind ebenfalls nicht von ihm gegeben, mithin nicht ſeiner Willkühr unterworfen; et bat ſie zwar perſoͤnlich

2) Nam circa ea quæ nemini perfecte deheo, liberalis sane magis adversus unum guam alterum esse mihi licet. Pu- - fendorf. 3) Beryl, daruͤber Pufendorf j. n. et g. Lib. VII. Cap. VI. $. 8. 9 ©. oben Sap. XXVII.

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nicht 31 vollziehen, aber er (0l ihre Beobachtung ſchüzen, begünſtigen und in vorkommenden Fällen nach denſelben urtheilen, 5) nidýt weil dieſe Geſeze ihm gegeben find, ſondern weil durch dieſelben erworbene Rechte der Pri— vat-Perſonen begründet werden, deren Beleidigung ſchon eine Verlezung des natürlichen Geſezes wäre. Hinge— gen iſt ein Fürſt allerdings über die von ihm ſelbſt gegebenen Geſeze, weil ex ſeinen Willen ben veränder⸗ ten Zweken und Umſtänden änderen kann, und in die⸗ ſem Sinn iſt die alte Regel wahr: „princeps legibus solutus.“ 6) Weber natürliche Geſeze ſich hinwegfezen oder davon diſpenſiren zu wollen, iſt Vermeſſenheit, Bottu loſigkeit; Privatgeſeze, Urkunden und Verträge nichts zu achten, iſt Deſpotismus, Ungerechtigkeit, folglich abermal dem natürlichen Geſez zuwider; die Diſpen⸗ ſation von eigenen Geſezen hingegen, iſt nicht nur er⸗

5) In dieſem Sinn werden 4. B. die Koͤnige ven England bey ihrer Kroͤnung gefraat: „Te plait il de faire observer «inviolablement et de protéger et maintenir nos loix jus- «tes et nos bonnes constitutions." Sidney Discours concer- níng gevernements. T. III. cap. 17. Hierunter werden,

nach bem gangen Zuſammenhang, nur Civil⸗Geſeze und Ge⸗ wohnheiten verſtanden, bie nicht von den Kônigen gegeben ſind.

6) Schoͤn bat dieſes unter anderen Rudolf von Habípute ausgedrúft: Romani moderator imperii observantia le- gis solutus, legum civilium nexibus, guia legum con- ditor, non constringitur. Nos, licet in excellenti specule Tegiz dignitatis et super leges et jura simus positi: Je« is. ťtamen nafura preceptis imperio, caput nostrum

sincere submittimus. Muͤller Schw. Geſch. I. 596. Die

damaligen Canzleyen wußten mit mebe Wuͤrde zu ſchreiben

als die heutigen.

X

- 2419

raubt, ſondern oft Liebe, Wohlthat, wahre Menſchlich⸗ keit. | ,

Wie (oll aber das Recht Privileglen und Gnaden 46 ertheilen ausgeübt werden, ohne in regelloſe Willkühr und unbillige Begünſtigung auszuarten, ohne mit ewigem Schwanken alles unſicher zu machen und jeden Augenblik der Ucheber und Umſtürzer ſeiner eigenen Geſeze zu ſeyn? Darüber giebt wieder das natürliche Geſez die wahre und einzige Regel. Die Diſpenſation von jedem menſchlichen poſitiven Geſez iſt nicht nur erlaubt, ſondern ſogar durch die moraliſche Pflicht geboten, in allen Fällen wo der Grund des Geſezes aufhört, wo es ſeinen Zwek widerſpricht, und mit einem Wort dem höhe⸗ ren natürlichen Geſez der Gerechtigkeit und Liebe weichen muß.7) Wenige Beyſpiele aus jeder Art von Geſezen hergenommen, werden dieſes klar machen. Ron denfeni- gen Geſezen welche ein Fürſt im Grunde nur ſich ſelbſt

7) Neber dieſe Materie ſcheint mie die Roͤmiſch⸗catholiſche Kirche ſtets die beßte Theorie aufgeſtellt und befolget zu haben. Men allen poſitiven Kirchen⸗Geboten obne Ausnahme kann das Oberbaupt der Kirche diſpenſiren, ſobald es zum beßten der Religion und der Kirche, als ded goͤttlichen Geſezes ſelbſt, geſchieht. Es finden ſich daruͤber in dem wenig geleſenen, aber lebrreichen und gruͤndlichen Buch des Abt Barruel de ľautorité du pape dans les matičres religieuses. 1805. herrliche Stellen, befonderg T. II. 602 und 3553. Mud die unlaͤngſt bekannt gewordene Gorrefpondení des Pabſtet Pius VII. mit der geweſenen Bonapartiſchen Regierung und die Hirtenbriefe des erſteren an die franzoͤſiſchen Biſchoͤffe, m6 er ihnen unter gewiſſen Bedingungen und Vorbebaͤltenein Diſpenſations⸗Recht einraͤumt, find in dieſer Hinſicht außer⸗ ordentlich merkwuͤrdig.

i

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aiebt, ) vetftebt ſich, daß die beliebigen Ausnahmen 4x

ſeiner frenen Willkühr ſtehen, meil ce dadurch niemand in dem ſeinigen beleidiget. ) Sollte er mithin z. B., ſeinen beſtehenden Verordnungen zuwider, in einzelnen auſſerordentlichen Fällen, wo das Beßte ſeines Dienſtes, die Belohnung von Tugenden oder auch die Regeln der Menſchlichkeit es nothwendig erfordern, ein neues Amt

errichten, Fremde anſtellen, eine Beförderung außer dem

Range vornehmen, einzelnen Beamten Beſoldungs-Zu⸗ lagen beſtimmen, Penſionen außer der Form oder über das gewöhnliche Maas ertheilen u. ſ. w., fo hat ch dar⸗ über niemand zu beklagen, weil jene Verordnungen nur allein den Fürſten verpflichteten und dadurch niemand ein eigenes Recht erworben hat. Seine Beamten und Diener kann der Fürſt ebenfalls von irgend einer ſonſt vorgeſchrie⸗ benen Pflicht diſpenſiren, ſobald er es für ſeinen Dienſt nothwendig ſindet oder ſonſt dazu tn den Geboten der Klug⸗ heit und Menſchlichkeit einen hinreichenden Beweggrund bat. Dergleichen Inſtruktionen und Dienſt⸗Reglemente ſchreiben oft fo geringfügige Dinge und gleichgültige For⸗ meno vor, daß ihre Erfüllung bisweilen unmöglich iſt oder dem Zwek des Dienſts offenbar ſchädlich wäre. In allen

ſolchen Fällen iſt Diſpenſation nothwendig. Oder ſoll dann

alle Liebe aus dem Verband zwiſchen Herr und Diener verſchwinden? wollen unſere neuen Rechtsgelehrten, daß die Fürſten auch wegen Alter, Krankheit, Gebrechlichkeit oder zur Beſorgung dringender Privat⸗Geſchäfte u. ſ. w.

keinem Beamten mehr cin zeitliches Urlaub ertheilen.

keinem irgend cine Erleichterung geſtatten, die Zahl der

%) ©. oben S. 190 193. 9) conf. Pufendorf j. n. et g. Lib. I. cap. 6. $, Za

a

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Mrícitš - Stunden verminderen, keinem Nechnungsgeber etiva ben Termín zur Ablag feiner Rechnung verlängeren, keinem Schuldner etwas nachſehen, niemand und in feie nem Fall von Poſt⸗ oder Zollgebühren follen befreyen dürfen U. ſ. w. denn das find auch Privilegien, Difpene ſation von beſtehenden Geſezen. Und da wir mit Grund ſelbſt die Criminal⸗-oder Straf⸗Geſeze nur unter die Dienſt⸗JInſtruktionen (für bie Richter) gerechnet haben: fo iſt hier zu bemerken, daß auch die Ausnahm von ſolchen Geſezen oder die ſogenaunten Begnadigun⸗— gen nicht nur rechtmäßig, ſondern unter Umſtänden ſo⸗ gar von der Billigkeit geboten ſeyn können. Cín jeder“ Menſch, wer immer in eigenem Namen ſtraft, iſt ja be⸗ fugt eine Schuld nachzulaſſen, eine erlittene Beleidigung zu verzeihen, ſich mit minderer oder gar keiner Genug⸗ thuung zu begnügen: warum ſollte es ein Fürſt nicht thun dürfen? Der Verbrecher bat zwar die Strafe verſchul⸗ det, aber der Beleidigte iſt nicht ſchuldig die Strafe wirk⸗ lich zu forderen; man hat das Recht ihn zu ſtrafen, aber man iſt nicht immer verpflichtet dieſes Recht auszuüben obeť gerade fo und nicht anders auszuüben. Sn allen Verbrechen alſo die gegen den Fürſten und ſeine Rechte ausgeübt werden, bat es keine Schwierigkeit, daß er die Strafe mildern oder nachlaſſen kann, und dieſe Begna⸗ digung iſt die edelſte von allen in ſo fern dadurch nicht die Sicherheit des ganzen Volks gefährdet wird, als in welchem Fall ſie eine Ungerechtigkeit gegen das leztere wäre. Sn Privat⸗Verbrechen, d. b. bey ſolchen Belei⸗ digungen die gegen andere Menſchen verübt werden iſt der Fürſt in ſeinem Begnadigungs⸗Recht billiger Weiſe ſchon weit mehr beſchränkt; denn da hat er die Rächung des Böſen an Plaz von anderen übernommen und man kann

322

in dieſer Rükſicht mit Recht behaupten, daß die Fürſten zu ſtrafen ſchuldig ſeyen, indem ſonſt jeder die Selbſtrache in vollem Maaße ausüben würde und die Strafloſigkeit ber Verbrecher allerdings in eine Beleidigung der Unſchul⸗ digen und Rechtſchaffenen ausartet. ie) Dad Begnadi—⸗ gungs⸗Recht ſoll freylich nicht regellos, ſondern nur mit vieler Behutſamkeit ausgeübt werden. Wir wollen ber falſchen Barmherzigkeit nicht das Wort reden, die nur Milde zu Gunſten aller Miſſethäter prediget und eine wahre Grauſamkeit gegen die Rechtſchaffenen iſt. Allein

daraus, daß überhaupt die Verbrechen, künftiger Sicher⸗

+ belt wegen, geſtraft werden ſollen: folget nicht, daß ſie

gerade ſo und nicht anders geſtraft werden dürfen, noch daß in allen Fällen nothwendig geſtraft werden müſſe. Exiſtirt auch cin poſitives Straf⸗Geſez, fo iſt der Fürſt, welcher ſolches gegeben hat, über daſſelbe; er kann ſolches aufheben, mithin auch in einzelnen Fällen milderen oder davon diſpenſiren, und wenn daher das Geſez, in era

gleichung mit den Umſtänden der Thatſache, zu hart

oder unpaſſend iſt, wenn aus Unwiſſenheit oder ohne böſen Willen gefehlt worden, wenn der Beleidigte befriediget, der Schuldige bereits gebeſſert und Wiederholung ſeiner böſen That nicht zu befürchten iſt, wenn durch ſeine Er. haltung niemand Gefahr leidet, ſondern vielmebr ein größerer Vortheil erzielt werden kann, wenn mit einem Wort, um alle Begnadigungs⸗-Gründe in cine einzige Regel zuſammenzufaſſen, ber Grund des Straf-Ge—⸗ ſezes aufhört, die Strafe ſelbſt unnüz odber gar ſchäd⸗

10) Lenitas erga nebulores et fures auget et alit inier hoe mines malitiam. Julianus. An nescit ille gui serpenti facit misericordiam , 6e mortalibus injuriam lacere, Sadys Rosar. c. 8.

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[ih wird: fo iſt ber Fürſt allerdings befugt und fogať moraliſch verpflichtet, die geſezliche Strafe zu mildern oder ganz nachzulaſſen und bey Berükſichtigung dieſer Re⸗ gel wird nie ein Mißbrauch der Begnadigungen i bee fürchten ſeyn. ""

Bey den Civil⸗ Geſchen welche die Rechte und Ver⸗ hältniſſe der Privat⸗Perſonen unter einander begründen, die Form der Verträge beſtimmen u. ſ. w. find die Aus⸗ nahmen ſchon viel ſchwieriger und bedenklicher. Von Brief und Siegel, von Urkunden und Verträgen oder von den daherigen Verpflichtungen, darf freylich auch der Landes⸗ herr nicht diſpenſiren, weil dieſe Geſeze nicht von ihm ge⸗ geben ſind und weil dadurch die eine Partey in ihrem Recht beleidiget würde, welches gegen das natürliche Ge⸗ ſez anſtößt. Höchſtens kann ex ſolchen Conventionen, die

11) Ueber das Begnadigungs⸗Recht im allgemeinen (. Grotius je b. et p. L. II. cap. 20. de poenis $. 21 37. Pufen- dorf j. n. et g. L. VIII. c. 5. $. 15 et 17. febr gruͤndlich gegen. bie Sophiſtereyen der Stoiker, welche unter dem More wand, daß jebem bag Seinige gebühre, bereits afle Begnadi⸗ gung verwerfen wollten. Boekmer jus publ. univ. p. 534. g. et 557. d. Scheidemantel Staats⸗Recht |. 232. Quiftorp peiní. Necht Ť. 6. 12 et 98. 1l. 6. 848. u. f. w. Es (ty mie erlaubt zu bemerken, dať ich die beßte Theorie aller Begnadigung in der Heil. Schrift aufgeſtellt finde. Die Vergleichung der haͤufigen Stellen in welchen bie Tugend der Barmherzigkeit, der Verzeihung u. f. w. empfohlen wird, iſt außerordentlich merkwuͤrdig; faſt allemal wird die Regel ibrer Ausuͤbung, die nothwendige Bedingung derſelben, beygefuͤgt. Die ſtaͤrkſten und gruͤndlichſten Stellen aber, ganz auf richt er⸗ liche Verbaͤltniſſe anwendbar, find bie von Ezebiel XXXIII. V. 12 16. u. XVIII. v. 2x 24. welche nachgeleſen zu werden verdienen.

24

ihm offenbar unbillig, lieblos oder gemeinſchädlich vor⸗ kommen, ſeinen Schuz verſagen, welches zar ihre Gül⸗ tigkeit an und für ſich nicht aufhebt, doch aber ihre Schlieſſung und Ausführung erſchwert. 1 Sn fo fern man aber unter Civil⸗Geſezen auch die von den Fürſten gegebenen Gerichts⸗Sazungen, Prozeß⸗Ordnungen und andere ſuppletoriſche Regulative verſteht, welche meiſt nur gewiſſe Förmlichkeiten für die Gültigkeit von rechtlichen Handlungen beſtimmen: ſo laſſen ſich allerdings häufige Fälle denken, wo der Geiſt der Gerechtigkeit erlaubt, ja ſogar gebietet, auch von dergleichen Geſezen, jedoch mit Behutſamkeit, Diſpenſation zu ertheilen oder einzelne Ausnahmen zu machen, was aber freylich nur von dem Landesherrn als Urheber des Geſezes und nie von dem beſtellten Unterrichter geſchehen darf. So werden ja be. kanntermaſſen den Soldaten im Feld Privilegien ertheilt, nach welchen ihre Teſtamente weit wenigern Formen als bie anderer Menſchen unterworfen find, weil fie ſonſt das Teſtirungs⸗Recht gar nicht ausüben könnten. Und warum ſollte nicht in außerordentlichen Fällen auch cin einzel⸗ nes Teſtament, eine Ehverſprechung, eine Heyrath u.ſ. w. gültig erkennt werden können, wenn die Erfüllung der gewoͤhnlichen Form unmöglich war, ſonſt aber die Authen⸗ ticität des Willens oder die wechſelſeitige Uebereinkunft der Parteyen hinlänglich erwieſen iſt? Geſezt es ſey über⸗ haupt vorgeſchrieben, die Abſtammung oder das Alter eines Menſchen ſolle durch einen Taufſchein bewieſen wer⸗ den (ein Umſtand wovon oft ſein ganzes Glük abhangen kann) wird man von einem ſolchen Geſez nicht diſpenſiren 12) Dieſes wird bey dem Abſchnitt der Gerichtsbarkeit meby ent⸗ wikelt und mit intereſſanten Beyſpielen illuſtrirt werden.

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dürfen, wenn die Beburt in einem Lande erfoľget iſt, me keine Taufregiſter geführt werden oder wo ſie durch Un. glüksfälle verbrannt und zu Grund gegangen ſind, die Thatſache ſelbſt aber durch andere Mittel, als da find Zeugniſſe, Einſchreibung in Familienbücher, früher ab. gelegte Proben u. ſ. w. außer Zweifel geſezt werden kann. Iſt nicht jeder Nachlaß einer zweyten oder dritten Eh⸗ verkündigung, jede Emancipation eines Minorennen eine Diſpenſation von Civil⸗Geſezen? maš hindert die erſte⸗ ren zu geſtatten, wenn die Parteyen notoriſch bekannt ſind, die ſchnelle Schlieſſung der Heyrath aber ihnen höchſt wichtig iſt? und warum ſoll die leztere nicht geſchehen dürfen, wenn die Verſtandes⸗Reifheit des Pupillen of⸗ fenbar iſt und von der geſezlichen Freyheit ſein ganzes Glük abhängt? der Begünſtigungen für einzelne Subſti⸗ tutionen, Majorate u. ſ. w. nur nicht zu erwähnen, mel. che zwar nach meiner Ueberzeugung gar wohl allgemein erlaubt ſeyn könnten, die aber ebenfalls eine Ausnahm von Civil⸗Geſezen, eine Diſpenſation von pofitiven Be⸗ ſchränkungen der Teſtirungs⸗Freyheit ſind. Durch ſolche und ähnliche Diſpenſationen wird niemand in dem Sei⸗ nigen beleidiget, Ňe. helfen vielmehr den Menſchen zu dem Ihrigen, mithin müſſen ſie auch erlaubt ſeyn: und das einzige Mittel ſie zu verhinderen, iſt venia poſitive Civil⸗Geſeze zu machen, die Freyheit nicht ohne Noth zu beſchränken, ſondern es bey dem natürlichen Recht und vernünftigen Uebungen bewenden zu laffen, wobey dann gar keine Diſpenſationen nöthig ſind.

Was endlich bie ſogenannten Polizey⸗Geſeze berrift: ſo haben dieſelben meiſt nur einen ſo bedingten und ſubor⸗ dinirten Endzwet, daß die Aucnahmen von denſelben

Zweyter Vand, ·

226

unbedenklicher als alle anderen geſtattet werden können. Sie verbieten gewöhnlicher Weiſe nicht Handlungen die vn und für ſich unrechtmäßig oder ſchädlich find, ſondern nur ſolche die, wenn fe allgemein geſtattet wären, leicht ſchädlich werden könnten. Sn allen Fällen alſo, wo dieſe Gchädlichkeit nicht eintritt, wo der Grund des Ge— ſezes aufhört, erfordert die Billigkeit von denſelben Ausnahmen zu machen und die natürliche Freyheit wie⸗ der herzuſtellen. So kann z. B. in außerordentlichen Um⸗ ſtänden das Tragen gewiſſer Waffen verboten werden, aber warum ſollte man ſie einzelnen nicht geſtatten, welche da⸗ von keinen Mißbrauch machen, denen ſie zu eigenem und fogar zu fremdem Schuze nöthig ſind? So iſt gewöhnlich die Jagd nicht allgemein und nicht zu jeder Zeit erlaubt, weil Beleidigung des Eigenthums, Müßiggang und öffent⸗ liche Unſicherheit davon die nothwendige Folge wären; aber es würde ungereimt, ja noch viel ſchädlicher ſeyn ſie niemanden zu geſtatten, mithin Menſchen und Eigen⸗ thum zulezt den wilden Thieren Preis zu geben. So iſt es ein ſehr kluges Polizey⸗Geſez, welches den Kauf und Verkauf von Arzneyen, beſonders aber von Gift nicht un. bedingt jedermann geſtattet, weil abſichtliche und unab⸗ ſichtliche Vergiftungen, Quakſalbereyen und Uebel aller Art daraus nothwendig entſtehen würden. Allein da die Arzneyen dennoch nothwendig ſind, da ſelbſt das Gift, mit Sorgfalt angewendet, ein gutes Heilmittel und zu manchem Gebrauche nöthig iſt: fo müſſen einzelne bekannte und geprüfte Perſonen nothwendig von ſolchem Geſez diſpenſirt, oder was das nemliche iſt die Freyheit aus⸗ ſchlieſſend nur denen geſtattet werden, welche davon kei⸗ nen Mißbrauch machen. 13 Gleiche Bewandniß bat es

17) Dabet z. B. bie patentirten Aerzte, die privilegirten Apo⸗

227 mit bem oͤffentlichen Lehren der Wiſſenſchaften, welches man mit Recht nicht jedermann, und die Verbreitung von irreligioſen, rebelliſchen, lügneriſchen Büchern gar nicht erlaubt. Aber es würde zwekwidrig ſeyn, von ſol⸗ diem Geſez gar keine Ausnahme zu machen und z. B. verbotne Bücher auch rechtſchaffenen gelehrten Perſonen nicht zu geſtatten, denen der Irrthum nicht ſchadet weil ſie ihn kennen, und die ihn ſogar zu ſeiner Entlarvung und Bekämpfung kennen müſſen. Man ſucht überhaupt nur das Böſe, nicht das Gute zu hinderen, und wo alſo ben der Anwendung eines Polizey⸗Geſezes das Gute ge. hindert würde: da muß von dem erſteren diſpenſirt wer⸗ den können. Manche Vrivilegicn, die man in neueren Zei— ten fúr ungerecht und gemeinſchädlich ausgab, wie 4. B. alle diejenigen welche für den ausſchlieſſenden Beſiz ge⸗ wiſſer gemeinnüziger und koſtbarer Unterne hmungen er⸗ theilt werden, ſind ebenfalls durch die Pflichten der BiL ligkeit, der Dankbarkeit und des gemeinen Beßtens ſelbſt geboten. Dahin gehören z. B. die Privilegien oder aus⸗ ſchlieſſende Rechte für Mühlen, Brükzölle, Waſſerleitun⸗ gen, Wirthshäuſer, Poſten, nüzliche Maſchinen u. ſ. w. Denn wer würde es wohl wagen, ſolch koſtſpielige und gemeinnüzige Anſtalten zu errichten, wenn ex nicht wenig⸗ ſtens eine Zeit lang auf den ausſchlieſſenden Vortheil davon zählen koͤnnte. 24 Das iſt gewiſſermaſſen ſein na⸗

theker u. ſ. w. Doch wenn auch andere Menſchen außerordent⸗ liche nuͤzliche Heilmittel entdeken, wie dieſes oft bey gewiſſen Balſamen, Pflaſtern u. ſ. w. der Fall iſt: (o bindert nichts, daß ihnen auf Pruͤfung hin, die Anwendung und der Verkauf

derſelben, aller Aporheker⸗Privilegien ungeachtet, erlaubt werde.

14) ©. hieruͤber bie ſchoͤne Abbandlung: „Das natárli de Recht der erſten Muͤhles in Moͤſers patriotiſchen Phantaſien. T. II. ©. 476 421,

N.

228

i türliches Necht mit dem evidenten Intereſſe der ganzen

Geſellſchaft verbunden, und zulezt beruht das ſtrenge Be⸗ fugniß zu dergleichen Begünſtigungen darauf, daß ein Grundherr oder mer immer auf einem gewiſſen Landbe— zirke Herr und Neiſter iſt, allerdings das Recht hat, den Aufenthalt auf ſeinem Eigenthum zu geſtatten oder zu ver⸗

weigern, mithin auch nur unter gewiſſen Bedingungen zu

geſtatten, dn fo fern dadurch niemand aus einem wirkli⸗ chen Beſize verdrängt wird. Es iſt eine ſeltſame Inconſe⸗ quenz der heutigen Schriftſteller, daß ſie gegen alle Privi—

legien oder ausſchlieſſenden Rechte heftig declamiren und

im nemlichen Augenblik dergleichen für ihre Comoedien 15) und Bücher verlangen, da doch z. B. für den Nachdruk eines, ohne weitere Bedingung zu beliebigem Gebrauch verkauften, Buchs noch weit mehr Freyheits⸗Gründe an⸗ zubringen wären als für die Errichtung einer zweyten Mühle odber eines zweyten Wirthoͤhauſes an dem nemli⸗ chen Ort, welche ihrem Urheber unendlich mehr gekoſtet haben. Die Liebloſigkeit von beydem beruht aber auf dem nemlichen Grund. Da indeſſen Begünſtigungen dieſer Art nur des gemeinen Beßtens wegen ertheilt werden: ſo können ſie auch nicht immer und nicht unter allen Um⸗ ſtänden fortdauern. Wenn die Gründe ihrer Exiſtenz weg⸗ fallen, wenn Bevölkerung und Handel zunehmen und die

Pprivilegirte Anſtalt zur Befriedigung des Publikums nicht

ÚLE

15) Sn Frankreich hatte ieder Verfaſſer eines neuen Schauſpiels nicht nur ein Privilegium gegen deſſen Nachdruk, ſondern es mußte ihm ſogar eine lange Zeit hindurch von jeder Auf⸗ fuͤhrung deſſelben im ganzen Reich ein beſtimmter Betrag des Benue ſfiziums abgegeben merben. Diefeť Privilegium iſt, fo viel mir bekannt, ſelbſt waͤhrend der Revolution nicht angetaſtet worden, alldieweil man alle auderen uͤher den Haufen warf.

229 mehr hinreicht: fo iſt auch die Aufhebung, Abänderung oder Einſchränkung der Pridilegien dem Landesherren über⸗ laſſen, es ſey dann, daß ſie für einen geleiſteten Gegen⸗ werth (titulo eneroso) erworben worden wären, mithin die Natur eines Vertrages angenommen hätten, als in welchem Fall ſie nicht willkührlich, ſondern nur durch ei⸗ nen entgegengeſezten Vertrag, mit hinreichender Entſchä⸗ digung, zurükgenommen werden dürfen.

Aller dieſer Gründe und Beyſpiele ungeachtet, hat man in neueren Zeiten fiber alle Privilegien und Gnaden⸗Be—⸗ zeugungen, als wären ſie der höchſte Grad von ungerechter Willkühr, ben Stab zu brechen geglaubt. Dieſe Dekla— mationen rührten abermal daher, daß man einen ganz falſchen Begriff der Privilegien zum Grunde legte. Man ſagte nemlich, ſie ſeyen entweder Diſpenſation vou einer Pfuicht die jedermann obliege, oder ausſchlieſ⸗ ſendes Recht auf einen Vortheil der jedermann ge⸗ bühre. 160) In dem einen und anderen Fall wären ſie un⸗ gerecht. Allein beydes iſt durchaus nicht wahr und die Sophiſterey jenes Dilemma liegt darin, daß man dabey. den menſchlichen Geſezen den Charakter des natürlichen oder göttlichen Geſezes beylegt. Bon lezterem kann und. darf freylich nicht difpenrt werden, dieſes Geſez alein iſt für alle Menſchen unter allen Umſtänden verbindlich. 17) Max diſpenſirt aber niemand von Pflichten, die allen Nenfden obliegen, mie 4. B. der allgemeinen Ge. rechtigkeit, ſondern nur von beſondern zufälligen Pflichten, bie durch ben Willen einzelner Menſchen aufgelegt find und ohne ibn nicht exiſtiren würden. Eben fo giebt matt. r —— —— 16) Beſenders der. Abhé Sieyes in ſeinem Buͤchlein: Easai. aux

les privilèges. 1789.

1) ©. T. I. G, 402. u. oben S. 217.

230)

niemand ci ausſchlieſſendes Recht auf Dinge obeť Bore theile die allen Menſchen zukommen, wie z. B. Le⸗ ben, Eigenthum, Ehre, Freyheit u. ſ. w., ſondern nur auf ſolche zu welchen ohne Einwilligung des Privilegien⸗ Gebers niemand befugt iſt, deren Ertheilung oder Ver⸗ weigerung in ſeinem Befugniß ſteht, mithin von ſeinem Gutfinden abhängt. Nur auf Gerechtigkeit hat jeder Menſch

gleichen Anſpruch, nicht aber auf eine Gunſt, und man

giebt alſo durch leztere niemand die Erlaubniß unrecht zu thun, wie die nemlichen Sophiſten aberwizig behaupteten. Gleichwie überhaupt faſt alle neueren Irrthümer, ſo ha— ben auch die heutigen falſchen Doctrinen über Geſezgebung und Privilegien ihren Grund nur in der Irreligioſität UM» ſerer Zeit. Indem man nemlich bad angeborne natürliche Geſez gänzlich verwarf, von Natur gar kein Recht, keine Pflicht anerkennen wollte, dabey aber die Nothwendigkeit allgemeiner Regeln ſich dennoch fühlen ließ: ſo mußten nun die menſchlichen Geſeze gar zu göttlichen gemacht wer⸗ den; daher ſollten Ňe allgemein, nothwendig, für alle gheich ſeyn, man ſollte von denſelben gar nicht diſpenſiren können u. ſ. w., lauter Charaktere welche nur den goöttlichen oder. natürlichen Geſezen zukommen, den menſchlichen aber gänzlich abgehen. Gerade weil das natürliche Geſez daš höchſte und oberſte iſt, und die menſch⸗ lichen Willens⸗Aeußerungen bisweilen mit ihm in Wider⸗ fivelt fommen, muß von den lezteren diſpenſirt werden können. Auch iſt kein Menſch auf dem Erdboden der nicht täglich in dem Kreiſe wo er zu befehlen hat, Privilegien und Gnaden ertheile, aber bie Grundſäze ded píeudophie loſophiſchen Staatsrechts führen überall zu ber Abſurdi⸗ tät, daß cin Fürſt nicht fo viele Rechte haben ſoll alk der geringſte Privatmann in ſeinem Land.

s V HEJ

23l

Vier und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. Oberſte Gerichtsbarkeit.

EL Natuͤrlicher Urſprung und Weſen der Gerichtsbarkeit. Ele ent⸗ fprinat aus Huͤlffanrufung und iſt nichts weiter al unpar⸗ theyiſche Huͤlfleiſtung.

II. Cie iſt kein ausſchließendes Eouberainitaͤts⸗ ⸗Recht, ſondern wird im kleinen von jebem Menſchen ausgeubt. Baͤterliche, Hausberrliche, Patrimonial⸗Gerichtsbarkeit u. ſ. w.

HI. Ein Fuͤrſt bat aber theils die ausgedehnteſte, theils die oberſte und boͤchſte Gerichtsbarkeit.

EV. Et kann dieſelbe ſewohl in eigener Perſon als jn ſeinem Na⸗ men durch Beamte ausuͤben laſſen.

V. Dieſe richterliche Beamte ſind des Fuͤrſten ſeine Diener oder Gehuͤlfen, mithin keineswegs von ihm unabbaͤngig und nicht zu Richtern uͤber ihn geſezt.

VL Die Gerichtsbarkeit an ſich, als Huͤlfleiſtung betrachtet, iſt

eine moraliſche Pflicht (MBobltbat). Dataug erklaͤrt ſich:

a. bie Nothwendigkeit ihrer Anrufung.

b. bie Moͤglichkeit ihrer Verweigerung unter gewiſſen umdan⸗ den, zu gewiſſen Zeiten.

o. bie Natur der nicht ſtreitigen Gerichtsbarkeit.

VII. Die Ausuͤbung ber Gerichtsbarkeit aber nad dem Gefez der Gerechtigkeit iſt ſtrenge Rechtspflicht.

Wir ſind zu einem der weſentlichſten Landesherrlichen Befugniſſe gelanget, zu demjenigen, durch welches ein Fürſt ſich am nächſten und meiſten mit ben Angelegenhei— ten der Unterthanen befaßt, welches die bisherigen poli⸗

232

tiſchen Philoſophen und Juriſten am wenigſten natúta lich zu erklären wußten, für welches allein ſie zum Theil willkührliche Staats⸗Errichtungen und Gewalts-Delega⸗ tionen dichten zu müſſen glaubten, nemlich zu ber Be, richtsbarkeit. Iſt die Gerichtsbarkeit natürlichen Úra ſprungs oder die Folge eines menſchlichen Inſtituts? cin ausſchlieſſendes Recht des Fürſten oder nur unparteyiſche Hülfleiſtung die er dem Schuzbedürftigen erweiſt, mit⸗ hin ein allgemeines Menſchenrecht, bedingt durch die Kräfte zu ſeiner Ausibung? Warum wird ſie in allen wichtige- ren Fällen nur von den Fürſten oder in derſelben Namen von ihren Beamten ausgeübt? Pad für Verhältniſſe bes ſtehen zwiſchen ihnen und dieſen lezteren? In welchem Sinn iſt die Gerichtsbarkeit eine blos moraliſche Pflicht, cine Wohlthat, und in welchem Sinn cine Rechtspflicht zu nennen? Dieſe Fragen, nebſt vielen ſich daraus erge⸗ benden Folgerungen, wollen wir hier fo vollſtändig aber zugleich ſo gedrängt als möglich zu entwikeln ſuchen.

Daß die Gerichtsbarkeit kein menſchliches Inſtitut ſey, vielweniger aus irgend einem bürgerlichen Contract und willkührlicher Abtretung aller Privat-Macht entſtanden ſeyn könno: erhellet ſchon daraus, daß es zu allen Zei⸗ ten, in allen Ländern Richter gegeben hat und daß (wie wir genug bewieſen haben) jener Social⸗ Gontraft nie geſchehen, ja ſogar unmöglich und ſich ſelbſt widerſpre⸗ chend iſt. 1) Gleichwie die Natur Obere und Untergebene, große und kleine geſellige Verhältniſſe bildet: 2) ſo ſchaf⸗ fet ſie auch in jedem derſelben Richter oder Hüffleiſter;

| 1) T. L Gap. m. 4) ESbendaſ. Gap. 12.

233

denn die Gerichtsbarkeit entſpringt ganz natürlicher Weiſe aus Hülfsanrufung und iſt nichts weiter als un par⸗ teyiſche Hülfleiſtung. 3) Den Beleidigten braucht niemand zu lehren fremde Hülfe anzuſprechen, wenn er ſich nicht ſelbſt zu ſchüzen vermag, er iſt dazu ſchon von Natur berechtigt und durch das Gefühl ſeiner Schwaͤche geleitet. Sieht man ja ſchon jedes Kind bey erlittenem Unbill oder bey Streitigkeiten mit ſeinen Geſchwiſterten zu dem Vater oder ſonſt einem Mächtigeren laufen und ihn klagend um ſein Urtheil, ſeinen Schuz anrufen. Hin⸗ wieder iſt auch jeder Menſch befugt anderen Menſchen zur Handhabung der Gerechtigkeit Hülfe zu leiſten, er be⸗ darf dazu keines Auftrags, er hat die Verbindlichkeit von Gott ſelbſt; es iſt mehr als bloßes Recht (Befugniß), es iſt Tugend, moraliſche Pflicht 22, und zum Ueberfluß wird er noch von dem Schwachen odber Beleidigten dafür ange⸗ ſprochen. Jeder Hülfleiſtung geht auch immerhin ein Ur⸗ theil vorher, das auf Kenntniß der Sache und auf ihrer Vergleichung mit dem natürlichen Geſez beruht, wenn es ſchon bisweilen ſchnell erfolgt, nicht immer mit Worten ausgedrükt wird, noch an viele Formen und Termine ge. 3) Jn der Bibel werden die Anfuͤhrer, welche bie Armeen com⸗ mandirten, Nidter genannt. „Wenn dann der Here ibnen Richter auferwekte bie ihnen halfen aus der Raͤuber Hand." B. b. Richter II, 16. »Auch im Mittelalter waren die Sun. tionen eines Generals und eines Richters ſtets mit einander vereinigt. Der nemliche hohe Beamte (ſelbſt in Republiken) half ſowohl gegen aͤußere als innere Feinde. S. hieruͤber cine ſehr merkwuͤrdige Stelle in Sismondi Hist. des republ. d'Ita- lie I, 399. | H Schaffet Recht ben Armen und den Wapvſen, Belfet den Elen⸗ den und Duͤrftigen zum Recht. Pſalm LXXXII. v. 3. ſ. auch GSirach IV. v. 9.

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bunden iſt. Mir können ung hierüber auf dasjenige Be. ziehen, was fchon oben im Allgemeinen von ben Mitteln gegen ben Mißbrauch Der Gewalt gefagt worden iſt, $ und welches wir alſo hier nicht wiederholen wollen.

Demnach iſt bie Gerichtsbbarkeit nicht nur natürlichen Urſprungs, mie die ganze Geſchichte und die tägliche Eta. fabrung beweist: (ondern fie iſt auch an und fúr ſich fee de Menſchen erlaubt, aber megen Mangel ax Kräften von den meiſten gar nicht oder nur in geringem Grabe auszuüben möglich. Jeder Menſch iſt berechtiget ſeinen Nächſten zum Recht zu helfen, ihnen in ihren Strei⸗ tigkeiten die Wahrheit und das natürliche Geſez vorzu⸗ ſtellen (das Recht zu ſprechen), aber nicht jeder hat das Vermbgen ſeinem Ausſpruch wirklichen Effekt zu verſchaf⸗ fen. Daher auch im Allgemeinen nur die Mächtigeren dazu angerufen werden, und der Gerichtszwang eines jeden ge⸗ rade ſo weit geht als ſeine Macht. Die Gerichtsbarkeit tt fo wenig cin ausſchließendes Majeſtäts⸗Necht der Für⸗ ſten, daß ſie im kleinen von allen Oberen gegen ihre Un⸗ tergebenen ausgeübt wird und überhaupt von jeder Herr⸗ ſchaft unzertrennlich iſt. So ſehen wir eine Gerichtsbar⸗ keit der Väter über ihre Kinder, der Hausherren über ihre Diener, aller Lehrer über ihre Schüler, der Haupt⸗ leute über ihre Soldaten, der Handwerker, Handelsleute, Fabrikanten u. ſ. w. über ihre Arbeiter und alle die ſo. von ihnen abhängen. Gleichwie ſie in dem Kreiſe ihres Gebiets befehlen und ordnen, (Geſeze geben), über alles wachen, (ihre Vollziehung bewirken) und alles nach ihren

4) T. J. S. 426 429, ben dem sten Sicherheits⸗Mittel, nem⸗ lich der Húlfkantufung und Huͤlfleiſtung,

235 Geſezen beurtheilen: fo entſcheiden ſie auch Privat⸗Strei⸗ tigkeiten zwiſchen ihren Untergebenen, und ſtrafen Ver⸗ gehungen, alles ſo weit ihre Macht hinreicht, d. h. ſo weit ſie es ohne fremde Hülfe mit Sicherheit thun können, bald in eigener Perſon, bald durch Beamte denen ſie dazu die Vollmacht gegeben. Alle dieſe Gerichts⸗ barkeit iſt nicht delegirt, weder von dem untergebenen Volk noch von dem Landesherren; ſie hat ihren Grund in der Natur ſelbſt, in dem Befugniß jedes Menſchen nach ſeinem Vermögen Recht zu ſchaffen, anderen zum Recht zu verhelfen; man kann ſie wohl durch höhere Ge⸗ walt vermehren oder verminderen, einzelne Gegenſtände derſelben entziehen oder beyſegen, aber im Ganzen iſt ſie unzerſtörbar.

Ben ben freyen Land⸗-Eigenthümern, den Guts⸗ oder Grundherren, auch wenn ſie nicht ganz unabhängig ſind, ſehen wir die Gerichtsbarkeit ſchon in höherem Grade und mit mehreren Formen ausgeübt. Auch hier iſt ſie kein delegirtes Recht, ſondern eine natürliche Folge des Grund⸗ Eigenthums und beruht auf der Macht welche ſchüzen kann. Selbſt da wo man ſie urſprünglich über gewiſſe Gegenſtände nicht beſaß, entweder weil das Gut nicht vol⸗ les Eigenthum war, oder weil ſonſt die Macht zu ihrer Ausübung fehlte, mithin man ſelbige durch Privilegium von einem bôberen erhalten zu haben ſcheint: 6) wird cia

6) Daber dex alte Unterſchied zwiſchen Sigengerichten und Freygerichten; die erſteren hatte jeder Freye auf ſeinem Eigenthum (den Allodien) und auch auf den Leben in Anſe⸗ bung ibrer Angeboͤrigen. Die lezteren durch Privilegium oder Delegation von den Koͤnigen. S. Patter Spec. juris publ. med. ævi p. 227. Guͤnde rode Staats⸗-Verfaſſung bes

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gentlich nicht die Gerichtsbarkeit ſelbſt, ſondern nur die Befreyung, die Exemtion von einem fremden oder höheren Richter gegeben,?) welches ein weſentlicher und wohlzu⸗ bemerkender Unterſchied iſt. Dem Grundherren mie cis nem Fürſten könnte es zwar an und für ſich gleichgültig ſeyn, ob ſeine Unterthanen ihre Streitigkeiten unter ein⸗ ander entweder durch Kampf und Verträge, oder durchs

Loos, oder durch gewählte Schiedsrichter ſelbſt ausma⸗

chen. Im allgemeinen iſt ihnen dieſes auch noch heut zu Tage nicht verboten. Und wenn die Menſchen fe fo voll⸗ kowmen werden, Daf keine Streitigkeiten und Gewaltthä⸗ tigkeiten mehr vorfallen: fo können die Richter und Ad⸗ vocaten allerdings Hungers ſterben oder zu einer andern

Berufsart übergehen; es wird ſich kein Fürſt darüber be⸗

klagen, keiner in ſeinen eigenen Rechten beleidigt ſeyn. Aber ſie werden deßwegen noch lange nicht überflüſſig wie Herr Weishaupt wähnte, 8) fie exiſtiren durch ſich

C. Reichs unter der æonigi. und Kapſerl. Regieruns Otto L Gôtt. Bel. Anz. 1773. p. 796.

5) Datum gaben. bie fraͤnkiſchen Koͤnige in ibren kraͤftigſten „Freybeits⸗Briefen nie einem Stifte bie Gerichtsbarkeit, sa weil (ie ſelbe als Innhaber grafer Meyerboͤfe und vieler Leib⸗ „eigenen ſchon hatten, ſondern ſie verboten nur den Gau⸗-Gra« „fen, Zent⸗Grafen und uͤbrigen Beamten keine von ihren „Amts⸗Verrichtungen in den Beſizungen ded Stifts, to „ſelbe allein dem Abte zukaͤmen, vorzunebmen."" v. Arx Ge⸗

ſchichte von St. Gallen T. J. p. 46— 47. Auch Herr

Montag ſagt in ſeinem merkwuͤrdigen Buch Geſch. dec deutſchen ſtaatsbuͤrgerlichen Freybeit v. 130. „Die „Patrimonial⸗Gerichtsbarkeit bey den Franken war blos eine «immunitas ab introitu judicis exteri. Die Verleihung tvrá « Preceptum immunitatis.""

g) Beryl. oben T. I. ©. 143. Note 48,

4

237

ſelbſt und man bedarf, ihrer für andere Dinge. Wenn je⸗ doch die Parteyen den Kampf nicht verſuchen wollen oder nicht zu beſtehen vermögen, wenn ſie ſich unter einander nicht vertragen, über keinen Schiedsrichter vereinbaren

können, oder mit ben Ausſprüchen deſſelben nicht zufrie—

ben find: wo ſollen ſie den erſten und, falls er keinen Hö—⸗ heren über ſich bat, zugleich den oberſten Richter natür⸗ licher finden als bey ihrem gemeinſamen Herren, von wel⸗ chem ſie beyde abhängig ſind? Wo iſt einer der größere Präſumtion von Unparteylichkeit für ſich hätte, der über Eigennuz und Menſchenfurcht erhabener wäre, weil er von den Streitenden nichts zu hoffen noch zu fürchten hat, der endlich, was die Hauptſache iſt, auch die gehörige Macht beſizt um ſeinem Urtheil Gewicht zu veľa ſchaffen und nöthigen Falls den Ungerechten zur Erfül—⸗ lung ſeiner Schuldigkeit zu zwingen? Auf dieſen ganz natürlichen Gründen beruhet alſo die Erb. und Patri— monial-Gerichtsbarkeit, welche ſonſt in der ganzen Welt exiſtirte und wohl in ihrer Ausdehnung beſchränkt aber nie ganz aufgehoben werden kann. Sie erſtrekte ſich, je nad) dem Grade der Macht oder vorhandener Verträge, bald nur auf unbeſtrittene Hülfleiſtungen, bald auch auf Entſcheidung von Privat⸗Streitigkeiten und Veſtrafung von Gewaltthätigkeiten, bald mit bald ohne Appellation an einen höheren Herren. Weit entfernt, daß ſie cin ufur⸗ pirtes Recht wäre, iſt ſie im Gegentheil eine Wohlthat, die der Grundherr ſeinen Untergebenen auf ihr eigenes Begehren erweiſt. Es gehört daher auch unter bie Ver⸗ kehrtheit unſeres Zeitalters, daß man gegen eine ſolch ein⸗

9) Hohe, mittlere und niedere Scrichtsdarkeit se, mie man ſich auszudruͤken pflegte.

238

fache, freundliche Ordnung der Natur, (o heftig bat be žiamiren können. Da hält der eine die Patrimoniaľ . Be. richtsbarkeit für ver werflich, 70) ein anderer der un⸗ parteyiſchen Rechtspflege ungünſtig, ja ſogar der Ruhe der Staaten gefährlich 11 (welche dod) vormals viel beſſer als ſeit ihrer Aufhebung beſtanden hat), ein dritter nennt ſie einen abſcheulichen Mißbrauch, eine wahre Landplage, Der vierte ein ungeheures Ne. bel; 12) aber alle vergeſſen dafür einige Gründe anzu⸗ führen. Warum ſollte es dann cin verwerflicher Miß—⸗ brauch, eine wahre Landplage, ein ungeheures Uebel ſeyn, wenn der Grundherr ſeinen Angehörigen das Necht ſpricht (ihnen die Wahrheit und das natürliche Geſez vorſtellt) ihre Streitigkeiten entſcheidet, Beleidigungen ſtraft und dem unterdrükten Schwächeren mit ſeiner Macht beyſteht? Iſt er nicht dazu von Natur berechtiget, ja moraliſch verpflichtet, und wird ihm nicht zum Ueberfluß das Ve. fugniß zu urtheilen in jedem einzelnen Falle zugeſtanden, ſobald die Parteyen den Richter anerkennen? Wo iſt eine Hülfe näher, ſchneller, wohlfeiler als dieſe? Bey wem iſt mehr Sachkenntniß, Unparteylichkeit, ja ſogar mehr Liebe und Vermittlung zu hoffen, als bey dem un⸗ mittelbaren natürlichen Herren, der mit den Seinigen gleich wie mit einer erweiterten Familie in freundlichem

10) Mayer Spſtem der Staats-Regierung p. 107.

11) Zacha riaͤ Seiſt der deutſchen Territorial⸗Verfaſſung.

12) Neue allg. deutfýcie Bibl. B. 62. St. 1. ©. 25 und 109. it. Gruber úber bie Aufbebung des Zebentefený p. 109. conf, dagegen ibid. p. 111. ben Meklenburgiſchen Erb: vergleich d. d. Apr. 1755. zum Gáuj dieſer. Gerichtsbar⸗ eiten.

23%

Werbáltniť lebt, dem ihre gegenfcitige Achtung und Zu⸗ neigung nicht gleichgültig ſeyn kann, mie hingegen einem entfernten oder aus der Entfernung hergeſezten temporä⸗ ren Beamten. Wenn bey der Patrimonial⸗Gerichtsbarkeit einzelne Irrthümer und Mißbräpche vorfallen können: fo möchte ich wiſſen, od ſie ben den entlegenen zahlreichen Fürſt⸗ lichen Gerichtshöfen nicht ebenfalls möglich ſind, und ob das nicht der größte von allen Mißbräuchen ſey, daß we⸗ gen der zahlloſen Menge von Geſchäften, den vielen Schrei⸗ bereyen, den ſtets wiederholten Terminen u. ſ. w. Pro⸗ zeſſe die urſprünglich am Ort ſelbſt in wenigen Stunden hätten ausgemacht werden können, mit ungeheuren Koſten Dezennien lang in beſtaubten Akten liegen bleiben, und am Ende faſt niemand zu ſeinem wahren Recht gelangt. Die Natur hat es beſſer mit uns gemeynt: denn wo der Helfer mehrere ſind, da wird einmal auch den Menſchen eher geholfen. Es iſt in neueren Zeiten vielfältig geſagt worden, matv babe durch Abſchaffung ber Patrimonial⸗ Gerichtsbarkeiten den Grundherren ein Recht genommen. Dieſes iſt auch in ſo fern wahr, als man ihnen einen Grad von Anſehen und Freyheit entzogen, ſie ihren eige⸗ nen Unterthanen gleichgeſezt, ja ſogar ſelbſt zu Unter⸗ thanen gemacht hat. Ich aber behaupte, man habe noch vielmehr dem Volke ein Recht genommen, nemlich das Recht das ihm die Natur gab, die Hülf in der Nähe, ſchnell und mit wenigen Koſten zu finden, Iſt es etwa cin Vortheil der Unterthanen, wenn ſie für jede Klei⸗ nigkeit, jeden geringen Frevel, oder für jede unbeſtrittene Handbietung, wozu die Macht ihres Herren hinreichend geweſen wäre, 4. B. für bie Ernennung eines Vormunds, die Abnahm einer Rechnung, die Ausfertigung oder Be⸗ kräftigung eines Contrakts, die Betreibung einer Schuld,

240: bie Ausſtellung eines Zeugniſſes U. f. w. ganze Tage ver⸗ ſäumen oder koſtbare Reiſen anſtellen müſſen und oft noch uufreundlich empfangen oder ohne Troſt zurükgeſchikt wer⸗ den. Man frage den Landmann ſelbſt, ob er bey Abſchaſ⸗ fung der Patrimonial⸗Gerichtsbarkeit gewonnen habe: ſeine Antwort wird mehr als alle unſere Gründe ben So. phiſten das Urtheil ſprechen. Nehmet nun einen großeren, unabhängigen oder un⸗ abhängig gewordenen Grundherren, d. b. einen wahren Fürſten: fo beruht ſeine Gerichtsbarkeit auf dem nemli⸗ chen Fundament oder natürlichen Recht mie die aller am» deren Menſchen, und dieſe Gerichtsbarkeit wird zugleich die oberſte und höchſſte in ſeinem Lande ſeyn, aus dem ganz natürlichen Grund, weil er als der Mächtigſte gegen jedermann Hülf und Schuz zu leiſten im Stande iſt, gegen ihn aber nicht weiter um Hülf gerufen werden kann. Ueber ſeine unmittelbaren Angehörigen iſt er der erſte und zugleich der oberſte Richter, 13) über an) dere die blos mittelbar von ihm abhängen oft nur der oberſte. Seine Gerichtsbarkeit, wie ſeine Geſezgebung 24) iſt von der Gerichtsbarkeit anderer Menſchen nur dem Grade nad verſchieden. Sie iſt gewöhnlicher, her⸗ vorragender, bekannter, berühmter, mit mehreren For— men begleitet, ſie erſtrekt ſich über alle Gegenſtände, Per⸗ ſonen und Ortſchaften ſeines Gebiets, weil er allein allen helfen kann, ſie verdunkelt alle übrigen, daher ſie vielen die einzige zu ſeyn ſcheint. Indeſſen wird dieſe Gerichts⸗

13) Ouis primo et principaliter poesit judicare, rex et non alius, wie ſelbſt Bracton voj den Koͤnigen in England (ag, 14) Veral. 90e P“ 183.

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barkeit ded Landesherren doch nur in den wichtigeren Fällen ausgeübt, und wichtig ſim alle diejenigen Fälle zu nennen, zu denen man ſeiner Hülfe bedarf und ohne dieſelbe nicht auslangen würde. Die tägliche Erfahrung beweist, daß nur ſolche Streitigkeiten vor die Landesherr⸗ lichen Gerichte gebracht werden, zu deren Beendigung die Macht der gewöhnlichen Privat⸗Oberen nicht hinreicht, und bie Fürſten oder ihre Beamten würden es ziemlich úbel finden, ja die unglüklichſten Menſchen ded Erdbodens ſeyn, ten man ſie mit allen geringen Händeln und Haus⸗ zwiſten beläſtigen wollte. 15) Die nemliche Bewandniß bat es mit Der fogenannten Criminal⸗Jurisdiktion ober dem Recht Verbreden und Bemalttbátige feiten 31 ftrafen. 16) Mud fe berubt lediglich auf det Macht welche ſchüzen kann, und iſt nie von den Pri⸗ vat⸗Perſonen weder abpetreten noch übertragen worden, ſondern entſteht noch heut zu Tag ganz natürlicher Weiſe blos dadurch, daß der Beleidigte, der ſich nicht ſelbſt rä⸗ den kann oder aus Rükſichten ber Klugheit nicht ſelbſt rächen will, den Mächtigen um Schuz anruft, ibn durch Beſtrafung des Schuldigen für die Zukunft in Sicher⸗ heit zu ſezen. Es lohnt ſich der Mühe eine ſo wichtige bisher nur obenhin berührte Doctrin hier etwas näher zu beleuchten. 17) Dag Strafrecht iſt nicht eine menſchliche

16) Bergl. T. I. ©. 328 und 422. 16) Jus per se, alium, veľ alios in facinorosos homines ani- madvertendi et scelera puniendi.

17) Vergl. was ſchon oben bey anderer Gelegenbeit beylaͤufig uͤber

dieſen Gegenſtand geſagt worden. T. I. ©, 306—309. U. 325. ff,

zur Widerlegung des buͤrgerlichen Eontrafté, ©. 414 425,

pon der erlaubten Selbſthuͤlfe. T. Il. S. 72. (f. von tem

Recht Krieg ju fúfren. ©. 205. ven den Etiminal s Befezen, Zweyter and, NE.)

242: | Erfindung, nicht durch Verträge entſtanden, ſondern fel> nem Weſen nad ſchon in dem natürlichen Recht ber Selbſt⸗ vertheidigung und der Sorge für ſeine Sicherheit enthal⸗ ten; es iſt ein göttliches, von der Natur in das Gemüth jedes Menſchen gegrabenes Geſez, daß Beleidigungen ge. ſtraft, daß Uebelthaten mit ähnlichem oder größerem We. bel vergolten werden dürfen, 19) auf daß ſie in Zukunft nicht mehr begangen werden. Es ſtrafet die Natur ſchon zedes Vergehen, jeden Fehler det Menſchen mit unver⸗ meidlich böſen Folgen, es iſt kein Menſch auf dem Erd⸗ boden, kein unmündiges Kind, welches nicht, ohne ale Belehrung, ihm zugefügte Beleidigungen ſtrafe, Unrecht mit möglichſter Kraft zu hindern ſuche, und bey Belei⸗ digungen die es ſelbſt ausübt, nicht ähnliche Strafen er⸗ warte und beſorge. Eine ſo allgemeine Erſcheinung aber iſt nicht das Werk ber Menſchen, ſondern die Ordnung Gottes und der Natur, deren Gerechtigkeit und Weisheit ſich bey dem geringſten Nachdenken entfaltet. Denn gleich⸗ mie jeder Menſch das Seinige mit möglichſten Kräften handhaben, zur Erfüllung ded göttlichen Rechts⸗Geſezes zwingen darf, weil er dadurch niemand beleidiget: ſo iſt er auch befugt auf Sicherheit für die Zukunft bedacht zu ſeyn, wenn ſie einmal durch erwieſenen böſen Willen in Gefahr geſezt worden, und bad Strafrecht iſt alſo nicht nur das natürliche Mittel zur Handhabung des göttlichen Geſezes, ein höherer Grad oder eine weitere Ausdehnung des Vertheidigungs⸗Rechts, ſondern es iſt auch an und

18) pœna generali significatione est malum passionis quod in- fligitur ob malum actionis, jus id est antiguissimum ex natura hotninis desunutum, Grefiwe jus b. et p. L. Il, eap. 20. 9. Z.

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fúr ſich un begränzt, 19) geht bi zur vollendeten Si. cherheit, wird aber wie die Selbithúlfe +.) durch biť Be. dingungen der Möglichkeit, oder durd die Bebote ber Menſchlichkeit, oder die Regeln det Klugheit temperirt: ſo daß es z. B. nicht ohne Noth ausgeübt und auch das kleinere Uebel dem größeren vorgezogen werden ſoll, wenn es gleichwohl ſeinen Zwek erreicht. Demnach iſt das Be⸗ fugniß zu ſtrafen nicht cin conventionelles, übertragenes nicht cin ausſchlieſſendes Majeſtäts⸗Recht, es iſt noch heut zu Tag cin allgemeines Recht aller Menſchen. 25) Aber nicht jeder hat das Vermögen es in vollem Maaße auszuüben und ſo iſt es mit allen Rechten beſchaffen, von denen man wähnt, daß ſie den Menſchen entriſſen oder von ihnen veräußert worden ſeyen. Um ſtrafen zu kön⸗ nen muß man dem Beleidiger an Kráften überlegen ſeyn, und wenn keine andere Ueberlegenheit vorhanden iſt: ſo wird bod rechtlich die erfordert, daß man ſich keine ähnlichen Vergehungen vorzuwerfen habe; um das Geſez handhaben zu dürfen muß man es vorerſt ſelbſt anerken⸗ nen und befolgen. 22) Indeſſen wird ja dieſes Strafe «Recht noch heut zu Tag in der ganzen Welt von allen Menſchen ausgeübt, nicht nur von den Beleidigten ſelbſt, ſondern auch von anderen die ihnen zu Hülf kommen oder von dem Verbrecher die nemlichen Gefahren beſorgen;

19) jus lossi est infinitum.

so) verní. oben T. I. ©. 414 425,

a1) vergl. oben ©. 206, Note 38.

22) Anteguam mores aliorum corrigas, tuos corrige. Læctant. Div. Inst. L. IV. c. 23. So (agte aud Jeſus von der Ebe⸗ brecherin: „Wer ſich keiner aͤhnlichen Schuld bemuýt if,

„der werfe ben erſten Stein auf fe.“

—X

nicht blos, mie Grotinus lehrt, (der jedoch hier der Wahrheit auf die Spur gekommen) in Fällen wo kein Richter vorhanden oder wo cr zu entfernt iſt, mie 4. B. auf dem Meer und in der Wüſte oder zwiſchen Unabhän⸗ gigen bie keinen Oberen über ſich erkennen, ſondern über haupt in allen kleineren Fällen, fo weit die Kräfte reichen, ſorweit man es mit Sicherheit, d. b. ohne Gefahr fúr ſich ſelbſt thun kann oder auch thun will. So ſehen wir ja in der ganzen Welt, daß alle Eltern ihre Kinder, alle Herren ihre Diener, alle Lehrer ihre Schü⸗ ler, überhaupt alle Oberen ihre Untergebene für verlezte Pflichten mit Zufpráchen, Verweiſen, Arreſten, Bußen, aufgelegten Disciplinen oder läſtigeren Arbeiten, kleinen korperlichen Züchtigungen, Ausſtoßung oder Verbannung aus ihrem Gebiet beſtrafen, ohne daß ihnen dieſes Straf⸗ vrecht je übertragen noch die Schranke deſſelben beſtimmt worden ſey. Es iſt bekannt, daß bey allen alten Völ⸗ kern das Strafrecht der Väter gegen ibre Kinder, oder „der Herren gegen ihre Diener, ſogar bis auf den Tod gieng 23? und dieſes Befugniß hatte vielleicht urſprünglich nicht fo viel Inconveniente als man glaubt, da es mit, der nemlichen Vorſicht wie die öffentliche Gerichtsbarkeit ausgeübt werden ſollte, und beſonders über Kinder wohl kein billigerer Richter als der Vater ſelbſt wird gefun⸗ den werden können. Im Gegentheil wäre bisweilen nur zu viel Schonung oder Milde zu beſorgen, und ed gebört

83) Bey den Perſern und Roͤmern, im alten Ballien. Ces. L. VI. de b. g. c. 19. ben de Japanern noch beut zu Rag im bôdiftcn Grad. ©. Zarearius Descripr. Japon. c. 18+ Bodín iſt úber die ſen Geat uſtand febr merkwürdig und glaubt es werde in der Welt nicht gut geben, bis man ben Vátery dieſes Recht wiedet einräumt. De Rop. La. C. 45

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súť auch unter die Verkehrtheit unſeres Zeitalters ſich alle Má. ter oder Hausherren als die Mörder ihrer Kinder und

Diener ju denken. Wenn indeß auch jenes unbeſchränkte, bis auf den Tod reichende väterliche Strafrecht, weniger

durch förmliche Geſeze als durch Gewohnheit und bie Ge⸗ fahren oder die Mißbräuche ſeiner Ausübung, vorzüglich aber durch den milden Einſtuß der ehriſtlichen Religion abgekommen iſt, oder von dem Fürſten nicht mehr unge⸗ ahndet zugelaſſen wird: fo haben ſie hierdurch nicht allcé Strafrecht ſelbſt aufgehoben, ſondern nur ſeinem Mißbrauch geſteurt, nut diejenigen Strafen gehindert, welche leicht in Beleidigungen ausarten, oder einmal vollbracht nicht wieder aufgehoben werden können.

Da aber dieſes Straf⸗Befugniß in allen größe⸗ ven und wichtigeren Fällen nur allein von den Fürſten oder ihren Beamten und nicht von den beleidig⸗ ten Privat⸗Perſonen ſelbſt ausgeübt wird: davon liegt der Grund lediglich darin, daß die lezteren in den mei⸗ ſten Fällen entweder nicht ſtrafen können, oder wegen beſorgender Gofahr und Verantwortung nicht ſtrafen wol⸗ len, und in beyden Fällen höhere Hülfe anzurufen genö⸗ thbiget find. Die Natur und nicht menſchliches Geſez bat: bie Schrauken des Privat⸗Strafrechts beſtimmt. Der erſte und gewöhnlichſte Fall iſt nemlich derjenige, daß der Beleidigte zu ohnmächtig iſt, um den Verbrecher zu ſtra⸗ ßen, weil er ibn nicht in ſeiner Gewalt bat, oder weil der leztere ihn gar an Kräften übertrifft. Und hätte er ihn auch in ſeiner Gewalt, ſo mangeln dem Privat⸗ mann gewöhnlich bie Mittel um cine ihn hinlänglich fidernde Strafe anzuordnen. Er kann den Verbrecher hechſtens aus ſeinem eigenen Haus oder Gebiet verbannen,

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denn über fremdes bat ce keine Gewalt; ex iſt nicht mäch⸗ tig genug Um denſelhen zur Büſſung und Abarbeitung an⸗ zuhalten; er kann ihn nicht in Gefängniße einſchlieſſen, weil er deren keine beſizt noch den Verbrecher zu ernähren vermag, und wenn es auch möglich wäre ihn zu töden oder ihm andere unerſezliche körperliche Uebel zuzufügen: ſo darf der Privatmann dieſes nicht, weil er natürlicher Weiſe beſorgen muß, ſich dadurch ſelbſt einer Verantwor⸗ #ing und Strafe, wenigſtens einer immerhin febr. unan⸗ genehmen Unterſuchung auszuſezen,. daher auch das ſogenannte Necht über Leben und Tod, oder wie man ſich vielmehr ausdrüken ſollte, das Strafrecht bis zum Tod, nur von denjenigen Menſchen mit Sicherheit aus⸗ geübt werden kann, die keinen Oberen über ſich haben oder denen es von ſolchen zugeſtanden worden iſt. Sn allen jenen Fällen nun ruft der Beleidigte den Mächti— geren um Hülf, daß er ihm beyſtehen, den Verbrecher ergreifen und ſelbſt ſtrafen wolle, meil er dazu mehr Mit⸗ tel beſizt und ohne eigene Gefahr ſtrafen kann. Es be. gegnet zweytens eben ſo oft, daß der Beleidigte oder der natürliche Obere nicht ſtrafen will, ſey es nun aus Furchtſamkeit und Schwäche, oder wegen beſorgenden großeren Uebeln, welch lezteres zívať eben fo viel heißt als nicht mit Sicherheit ſtrafen können. So giebt es Väter und Herren die oft ihren Kindern und Dienern alle Vergehungen gegen andere erlaſſen würden, Landleute die räuberiſches Geſindel, ſelbſt wenn es nicht zahlreich wäre, aus Jurdt weder ſelbſt ſtrafen noch verklagen, ja nicht einmal der Nothwehr ſich bedienen dürfen. Da nun

Attamen (fast Pufendorf) et justa cædes aligua lustratione « expiatione indiget.

ZAT

aber (ole: Straſtoſtgkeit anderen Menſchen ſchädlich, und es nothwendig iſt, daß die Verbrecher geſtraft werden: ſo treten hier wieder die Mächtigeren ins-Mittel und ſtrafen ſelbſt, nicht weil ihnen das Recht übertragen iſt, ſondern weil es ihnen von Natur (o Aut: als jedem anderen Men⸗ ſchen zukömmt, ſie aber zu deſſen Ausübung mehr Kräfte beſizen. Endlich iſt freylich auch möglich, aber nicht Der einzige Grund bed von den Fürſten ausgeübten höhe⸗ ven Strafrechts, daß bie Selbſt⸗Rache der Beleidigten allerdings viele Mißbräuche veranľaffcn kann und wirklich veranlaſſet haben mag, indem man theils aus Irrthum einen Unſchuldigen ſtrafen, theils auch aus Leidenſchaft⸗ lichkeit und Zorn die Strafe zu weit und über alle Schranken der Nenſchlichkeit ausdehnen könnte. Da nun ſolche Mißbräuche ſelbſt wieder Beleidigungen anderer wären: ſo nehmen die Fürſten bisweilen ſogar ben Ver⸗ brecher in ihren proviſoriſchen Schuz, nicht damit er ſtraflos bleibe, ſondern damit vor allem das Faktum unter⸗ ſucht werde, und damit auch im Fall einer erwieſenen Schuld ihm nicht mehr Uebels widerfahre, als er nad: Umſtänden verdient bat. Deßwegen iſt aber nie den Men⸗ ſchen jede Selbſthülfe, jedes kleinere nicht mißbrauchte Strafrecht unterſagt worden und von felnem Band wird man cin (old) zwekwidriges und unausführbares Geſez zeigen können. Beweiſe bed. noh jest beſtehenden allge— meinen Strafrechts finden. ſich ja nicht nur darin, daß es in allen kleineren Fällen von jedem Menſchen ohne Widerrede ausgeübt wird, daß cd. in. ſeiner vollen Aus⸗ dehnung überall beſteht, wo keine höhere Hülfe zu finden iſt oder vielmehr Mo es mit Sicherheit ausgeübt werden kann, wie z. B. auf dem Meer und in der Wüſte oder zwiſchen Unabhängigen die keinen Oberen über ſich haben,

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und daß ſelbſt nach den meiſten pofitíven Geſezen dedcut Menſchen ausdrüklich erlaubt iſt den nächtlichen Räuber ſeines Eigenthums, oder denjenigen der ſich bey Tage mit Waffen vertheidiget, oder de Schänder ſeines Wei⸗ bes und ſeiner Tochter, auf der Stells ſogar mit dem Tod zu betrafen, 23 welche Geſeze dann eigentlich nicht bad Recht ſelbſt geben, ſondern ſolches nur anerkennen und ben Fürſtlichen Tribuñalien verbieten die Menſchen für deſſen Ausübung zur Verantwortung zu ziehen. Webe rigens verſteht ſich der proviſoriſche Schuz, den die Für⸗ ſten den Uebelthätern ertheilen, nur in ſolchen Fällen, wo ſie auch wirklich helfen und ſtraſen können: und daher ficht man auch, dať in Fällen wo fe ſelbſt bazu nicht mächtig genug find, und dennoch die Beftrafuna ded Ver⸗ brechers für abfolut nothwendig halten, ſie bisweilen den⸗ ſelben für vogelfrey erklären, d. b. ihm ihren Schuz entziehen und ihn durch öffentliche Bekanntmachung wie⸗ der dem urſprünglichen allgemeinen Strafrecht überliefern.

Dieſe Gerichtsbarkeit nun, d. b. dieſe gerechte Hülf—⸗

18 ©, 2. B. Mof. XXI. 4, Lege attica permissum íuit oc- cidere non solum gui apud uxorem sedet, gui apud con- cubinam deprehenditur, imo gui apud matrem, sororem - ant filiam deprehensus est. Demosth. adu, aristogratem, Qui mulierem liberam aut puergm ad rem veneream vi subegit, impune non ab eo solum cui via est illata, verum

etiam a patre, fratribus vita privetur. Plato de L. k. | Lib. IX. ©. auch XII. Tabb. Pufendorf. j. n. c. g. L. 11. ©. 5. $. 17. de defensiome sui. Sm gefdmornen Brief der Stadt Luzern um im Stadt: und Amtbuch von Z ua beýr ed: „Wenn einer jemanden ben ſeiner Frau an „ſein Sdand und Laſter fánde und den lieblog tbáte: ſo ſoll „tt barum nibt gefecht (zur Verantwortung gezogen) und akein Gericht verſchuldet haben.“

349 leiſtung es fen 41m Emſcheid von Streitigkeiten odev zur Beſtrafung von Gewaltthätigkeiten 25) können die Fürſten ſowohl in eigener Perſon als durch Beamte ausüben. Er⸗ ſteres geſchah vormals ben einfacheren Verhältniſſen auſ⸗ ſerordentlich häuſig, und man hielt es ſtets für eine ihrer ſchönſten Eigenſchaften. So klagte (hon Moſes, daß wo die Leute maš zu ſchaffen haben, ſie zu ihm kommen sm von ihm gerichtet zu werden, und · daß ce bey (o vielen an⸗ deren Geſchäften diefer Laſt nicht mehr gewachſen fen. 2?) So richteten auch David und Salomo häufig Vrivat⸗ Streitigkeiten. 23) Die Griechiſchen Könige hießen dimasoz (Judices) 29) und von den Römiſchen Cäſaren iſt bie ei⸗ gene Ausübung der Gerichtsbarkeit ebenfalls bekannt. Se wird auch non Ludwig 1X. oder dem Heiligen, König von Frankreich gerühmt, daß er auf dem Raſen unter einer Eiche jedem Franzoſen Gehör. und Gericht gegeben hätte. 30) So wurde bey der Reichs⸗Verfammlung von Roncaglia (A. 1158) nad der alten Uebung ded König— reichs, ein unzählbare Menge von Privat. Streitige feiten vor den Kayſer Friederich Barbaroſſa gebracht, wogegen er ausrief, daß ſein ganzes Leben nicht zu ihrer Beurtheilung hinreichen würde, und deßwegen die gericht⸗

—— ——

26 Dicere jus populis, injustague tollere faeta. Mesiod. 27) Worauf ihm Jethro den Natý gab, fúr geringere Sachen redliche Leute als Unterrichter zu beftelicn, 2 B. Mof. XVIII, 16 24. it. 6. B. Mof. I. 16. 17. Der natuͤrliche Uefyrung der Gerichtsbarkeit wird bier ungemein lebrreich und kindlich einfach dargeſte lt. * 28) 2 Sam. VIII. 15. 1 E n. III. 9,.it. U. 16 38: 29) Bodin de rep. p. 704. . 80) ©, Muͤllers Weltseſich. T. IL. s. 279.

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liche Gewalt den Podeſtaten übertrug. 3) Sn Republiken

und in kleineren Fürſtenthümern iſt es noch ſehr gewöhn⸗ lich, daß ſelbſt die hoͤchſte Gewalt ſich mit großen oder geringen Privathändeln befaßt, und obſchon in unſeren Tagen theils wegen dem Einfluß falſcher Doctrinen, theils wegen der Menge von Geſchaͤften, bie meiſten Fürſten die.

Cuvil⸗ und Criminal⸗Gerichtsbarkeit ganz oder doch größ⸗ tentheils beſtellten Tribunalien überlaſſen: fo bleibt ihnen

nicht nur vieles vorbehalten, ſondern cd giebt noch un⸗

zählige Fälle, wo ſie im Wege der Reviſion, der Appel⸗

lation, der Supplikation, der Einfrage oder Berichts⸗ Erſtattung in zweifelhaften Fällen, oder unter anderer Form und Benennung, Privat⸗Sachen und Privat⸗Strei⸗ tigkeiten entſcheiden; und zulezt iſt jedes vor ſie gelan⸗ gende, einen Privatmann betreffende Geſchäft, cd ſey be⸗ ſtritten oder nicht, immer ein richterliches Urtheil, wel⸗

ches aus Kenntniß dex Thatſache, aus einer daraus ent⸗ ſtehenden Frage und aus ihrer Entſcheidung nach Rechts⸗ oder (wo dieſe Spielraum zulaſſen) aus Convenienz⸗ Grün- den zuſammengeſeit iſt.

Sind aber die Sireltigkeiren ſo häuftg oder iſt das Fürſtenthum ſo groß, daß es dem Fürſten unmöglich oder zu beſchwerlich wird ſich mit allen dieſen Geſchäften zu

befaſſen: ſo iſt er befugt zu ſeiner Erleichterung Beamte

anzuſtellen, welche die Rechtſprechung und Hülfleiſtung an ſeinem Plaz und in ſetnem Namen verwalten. HDieſe beſtellten Unterrichter find ded Fürſten ſeine Diener, b, b. Gehülfen und Bevollmächtigte 32) nicht zwar

EE

31) Sismondi Hist. des republ. dďlialie II. 104. 32) Gie werden daher auch in der Canzleyſprache Ju ſtiz bedie nbe

| 2A um ale ſeine Launen zu erfüllen, ſondern um nad fely nem erklärten oder práfumitten Willen ben Unterthanen zu ibrem Necht zu verhelfen. Daher fließt cd auch, daß der Landesfürſt die Richter ernennt, daß ſie ihm allein den Eid ſchwören, daß ce ſie für verlezte Pftichten bes ſtraft oder wieder abruft, daß er ihnen gewiſſe Competen⸗ zen einräumt, ihren Gerichtszwang über Perſonen, Sa⸗ chen und Ortſchaften beſtimmt, ihnen Regeln und Ste ſtruktionen (Geſeze und Prozeßform) vorſchreibt, 22 all⸗ fällige Inſtanzen feſtſezt u. ſ. w. Die beſtellten Unterrich⸗ ter find alſo in dieſer und jeder anderen Rükſicht kei⸗ neswegs Von dem Fürſten unabhängig. Zwar können ſie für ihre, in guten Treuen, nach beßtem Wiſſen und Gewiſſen ausgefällte Sprüche nicht zur Verantwortung gezogen werden, zumal der Irrthum des Verſtandes nie⸗ manden zum Verbrechen angerechnet wird. Wenn ſie aber in ihrem Amte prävariciren, Geſeze und Prozeßform gröb⸗ lich verlezen, oder gar, aus welchem Grund es immer ſey, offenbar ungerechte Urtheile fällen: ſo iſt der Fürſt nicht nur befugt, ſondern in doppelter Rükſicht ſowohl für ſeine Ehre als für das Beßte der Unterthanen ſelbſt verpflichtet, dergleichen beſtellte Richter, als unwürdige

genannt. ©. Scheidemantel Staatsrecht T. II. $6. 15. 16. T. III. p. 46. Auch Boehmer ſagt von den Richtern: re- apectu imperantis subditi manent ejus sunt ministri ete." Jus publ. univ. p. 5x1. 512. und ſelbſt Sieves bemerkt: a les juges chargés de dire la loi n"ont de rélation de dé» pendance guavec de lčpislatear. " Fues sur les moyens ete. P- 123.

33) „Und ſtelle ibnen Mechte uno Geſeze, dať du (le lebreſt den Weg den fie wandeln und die Werke die fie tbun ſollen. Jetbro an Moſes. 2 B. Moſ. XVIII, a0.

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852. o.

Diener bie ſeinen Ramen mißbrauchen, ſeine Ehre und ſein Anſehen compromittiren, zu entſezen, zu beſtrafer oder gar ihre Urtheile zu coxrigiren, zu caſſtren und ſei⸗ nen eigenen Ausſpruch an Plaz des ihrigen zu ſezen. Auch hat der Landesherr durch Beſtellung von Juſtiz⸗Beamten dem Recht der eigenen Gerichtsbarkeit nicht entſagt und er bleibt daber inmmer befugt, einzelne Fälle von dem or⸗ dentlichen Richter an (LÁ zu ziehen, oder auch bie: Klagen der Parteyen, wenn ſie ſich lieber an ihn wen⸗ ben wollen, anzunehmen. 34) Und ſelbſt in dem. ŤA 100. von Seiten der Unterrichter keine boſe Abſicht erſcheint, wo ihr Urtheil ſogar gerecht ſeyn kann, eine Partey aber 6d durch daſſelbe beleidiget glaubt: fo bleibt ihr durch die Natur der Sache das Recht der Appellation oder ber Rekurs von dem Diener an den Herren, in ſo weit dieſer leztere nicht ſelhſt jenem Recht gewiſſe Grän⸗ zen geſezt, d. b. die Appellation in gewiſſen Fällen unter⸗ fagt bat, um nicht neuerdings mit einer unzählbaren Menge vod Streitigkeiten beläͤſtiget zu werden. 35) Es kann ein Fürſt auch ſogar einem von ihm eingeſezten Tri⸗ bunal oder einer andern Behoͤrde, das ſogenannte prixi⸗

54) Cont. Bahmer Jus publ. univ. p. 512. Judices subalterní atsumantur tantum in subsidium. Erga principem jus non habent impediendí, ne ipse judicet, cum ejns sint ministri, et sie liberum ei relinguere debent, an pro re nata ipse ves lit ia hac vel illa causa jus dicere, vel etiam acta et ju- dica ordinario avocare. €. and Bodinus de rep. L.1, c. 8, ab initio.

85) Weber biefe und ſonſt jebe außerordentliche Gerichtsbaxrkeit f. Bodin de republ, L.I. c. 8. Bakhmer jus publ. univ. P. 511. 51% Scheidemantels Staatsrecht T. II. $. 20. S. 36.

259 legium non appellanda vribellen: d. h. zum voraus erklären, daß cr von den Sprüchen derſelben in keinen Fallen čine Appellation an ibn ſelbſt geſtatten oder anneh⸗ men werde. Daher ſind auch, beſonders in unſeren Ta⸗ gen, theils aus Bequemlichkeit der Fürſten, theils durch den Einfluß falſcher Doetrinen, die ſogenannten ſo uv e⸗ rainen, d. b. inappellablen Juſtizſtellen, höchſten Appellationß⸗Gerichte u. ſ. w. entſtanden, welche jedoch alle neueren Urſprungs ſind und ehmals in keinem einzigen Land exiſtirten. 36) Ob es aber and von Seite der Fürſten politiſch klug, und ſelbſt für das Beßte der Rechtsbedürftigen wohl gerathen ſey, ſich ſolchergeſtalt die Hände zu binden und bad Recht in lezter Inſtanz bberſt⸗ richterlich ſelbſt zu entſcheiden ganz abzutreten: dieſe Fra⸗ gen werden wir in dem Abſchnitt von der Staatsklugheit mit überzeugenden Gründen verneinend beantworten. 37) Man pflegt zwar gegen dieſe eigene Gerichtsbarkeit der Fürſten, oder gegen ihren Einfluß auf die beſtellten Ju⸗ ſtiz⸗Tribunalien, gewöhnlich einzuwenden, bie Gerechtig⸗

36) Neber die allmaͤblige Einfuͤbrung derſelben ſ. v. Martený Europ. Staatsrecht S. 43- 116. 16. On Deutſchland waren ſie meiſt ejne Bedingung des von den RKapícen erhaltenen privilegii de non appellando. Es gab dergleichen im alten Frankreſich, wo bie Parlamente, obíchon fr Pflichtverlezung von dem Sônig abbdngig, Cours souveraines genannt wur⸗ sn, in Defireíd, Preußen, Seffen, Dánematť, Schweden 1. wiewohl in den meiſten cine Berichité : Crftatu tung an bie Kônige erlaubt und in Criminal - Sálen ihnen feté die Begnadigung vorbebaíten mar. Selbſt der Kayſerl. Reichsbofrath batte noch (ejne Vota ad Cesarem.

87) Conf. bagegen Bodin de republ. L. IV. c. 6. deſſen Gruͤnde

aber nichts weiter beweiſen, als daß der Fuͤrſt nicht in allen Gallen ſelbſt urtheilen ſolle.

254

keit fen das oberſte Geſez, der Fürſt ſelbſt fe ihr unter⸗ worfen und die Gerichtshöfe ſollen daher von den Fürſten durchaus unabhängig ſeyn. Man deklamirt gegen die ſo⸗ genannte Cabinets⸗Juſtiz, und meynt daß in den unteren Tribunalien immerhin alles vortrefflich zugehe. Allein die Richter und die Gerechtigkeit ſind nicht eins und ebendaſ⸗ ſelbe, man verwechſelt hier die Juſtiz und ihre Diener, die Gerechtigkeit und den Gerichtshof. Erſtere iſt freylich das höchſte Geſez, aber das Urtheil der lezteren kann trü⸗ gen. Die Cabinets⸗-Juſtiz iſt fo gut als jede andere, wenn ſie nur Juſtiz iſt, obgleich wir ſie nicht für die ge. wöhnliche Regel ausgeben wollen, ſondern nur mit vieler Vorſicht in außerordentlichen Fällen für erlaubt halten. Dagegen iſt es aber noch viel gefährlicher, daß die 11 teren Tribunalien von allem Zaum, allem Zügel befreyt ſeyen und gleichſam ſelbſt zu Fürſten gemacht werden. Die beſtellten Richter ſind einmal nur Diener des Fürſten zur Verwaltung der Juſtiz, d. h. zur Rechtſprechung und Hülfleiſtung in ſeinem Land, und wenn daher über die Treue dieſer Verwaltung Zweifel oder Streit entſteht: fo wird das Urtheil am Ende wohl bey demjenigen ge ſucht werden müſſen, in deſſen Namen geſprochen wird, der urſprünglich allein zu ſprechen befugt iſt, und deſſen Urtheil daher für das einzig gültige gehalten wird, ſo wie es auch das einzig wirkſame iſt.

Gleichwie nun die unteren Richter als des Fürſten Diener nicht von ihm unabhängig find: fo verſteht ſich von ſelbſt, daß ſie auch nicht zu Richtern über ihn geſezt ſind. Kein Oberer wird von ſeinen Untergebenen beurtheilt und der Oberſte von niemand als von Gott: 39?

50) Reges in ipsos imperium est Jovis. Horat. Nemo niti 404

28 der Furſt ſelbſt iſt keinen von ihm beſtellten Gerichten un⸗ terworfen, aus dem ganz natürlichen Grund weil er 10 für ſich keines Schuzes bedarf, ſondern ſich ſelbſt hel⸗ fen kann, und 20 weil niemand mächtig genug wäre den Spruch wider ſeinen Willen gegen ihn vollziehen zu können. Streitigfeiten zwiſchen ihm und ſeinen Untergebenen kön⸗ nen daher nur mit ſeiner Einwilligung richterlich entſchieden werden. Schön iſt es zwar, wenn cin Fürſt in bloßen ſogenannten Civil⸗Fällen, wo ſeine Rechte oder Intereſſen mit denjenigen eines Unterthans in Colli⸗ fon kommen, ben Ausſpruch darüber einem feiner Ge⸗ richtshöfe überläßt, um Uebereilung zu vermeiden und ben Verdacht der Parteylichkeit von ſich abzuwenden. 39) Dieſes iſt auch in verſchiedenen Ländern üblich, (wiewohl nicht in allen Fällen) allein es fest die jedesmahlige Cine willigung des Fürſten voraus und rechtlich kann er dazu gar nicht angehalten werden. Ob es aber auch vernünf⸗ tig und politiſch klug ſey, dieſen der Natur des Verhält⸗ niſſes zwiſchen Oberen und Untergebenen widerſprechenden Weg zur geſezlichen oder gewöhnlichen Regel zu machen: iſt eine Frage, die ich nach meiner Ueberzeugung durch⸗ aus verneinend beantworten muß. Allerdings iſt es ſchön und pflichtmäßig, daß auch ein Fürſt die Gerechtigkeit über ſich erkenne, aber ſchöner iſt es noch und ſeiner Würde angemeſſener, dieſe Gerechtigkeit freywillig zu er⸗

lus Deus judex principis esse potest. M. A4ntonin Plilo- sopk. vergl. oben T. I. S. 463. und T. II, ©, 65, 39) Nam nihil ut verum fatear, magis esse decorum, ant re- gale puto, guam legis jure solutum, sponte tamen legi sese supponere regem. Claudian. Doch ſcheint mir dieſer Spruch

eher vom natuͤrlichen Geſez als vym pofitiven verſtanden wer⸗ den zu muͤſſen.

256 Ň

tbeilen, als ſich zu derſelben zwangsweiſe verurtheilen und ſchon dadurch ſeine Geſinnung in Zweifel ſezen zu laſſen. Wenn man es edel nennt nicht in eigener Sache ſprechen zu wollen: (welches zwar in tauſend anderen Fällen ſogar von jedem Menſchen táglid) geſchieht) +0? fo antworte ich, daß es noch viel edler ſey in eigener Sache gegen ſich ſelbſt zu ſprechen. Der Meg der Satur in derglei⸗ chen Privat⸗Streitigkeiten oder Colliſionen zwiſchen Für⸗ ſten und Unterthanen beſteht darin, daß der ſich beleidigt glaubende Unterthan vor allem mit einer Vorſtellung an den Fürſten gelangt, bey ihm nur Irrthum oder Mangel an Sachkenntniß vorausſezt und gleichſam an ſeine eigene Ge⸗ rechtigkeit appellirt. Findet der Fürſt die Vorſtellung bes gründet, ſo ſoll er dem Unterthan ohne weiters ſein Recht zuſprechen oder ihm einen anderen befriedigenden Aus⸗ weg vorſchlagen, deren fo viele in ſeiner Macht ſtehen. Glaubt aber der Fürſt, das Recht ſey vollkommen auf ſeiner Seite: ſo kann er zum Beweis ſeiner Unparthey⸗ lichkeit erklären, daß er die Unterſuchung und Entſchei⸗ dung darüber einem unparteyiſchen Gericht überlaſſen wolle, dem jedoch hiezu immer ein beſonderer Auftrag

40) Sie iſt es doch moͤglich nicht einzuſehen, daß jeder Menſch Richter in eigener Sache iſt, ſo weit er kann. Das taͤg⸗ liche Leben beweiſet dieſes jeden Augenblik. Der demokratiſche Sidney ſelbſt im Vorbeyaang zufallig auf dieſe Wabrbeit gefallen, aber nur weil er dadurch dem Einwurf begegnen wollte, daß das Volk bey Inſurrektionen Richter in eigener Sache ſey. Discours sur les gOuvernemens Ch. III. Sect. 41. Auch bety Prozeſſen vor einem fremben Nidter urtheilt im Grund jebe Parthey ſelbſt; nur bat ſie nicht die Macht ibr AUrtheil zu vollziehen und muß es daher auf das Urtheil eines Hoͤberen ankommen laſſen, welchem ſie jedoch das ihrige ko liebt zu machen ſucht. |

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- nd die Erlaubniß ertheilt wedden muß. Dad Urtheil die⸗ ſer Richter, welches der Fürſt dann freylich zu beſtätigen bat, ſoll aber mehr in Form eines Gutachtens oder recht⸗ lichen Beſtndens als eines Spruches, in der Sprache ei—⸗ nes verſtändigen Rathgebers und nicht eines zwingenden Machthabers abgefaßt ſeyn. Dagegen iſt es allemal ge⸗ fährlich, durch die Anerkennung der richterlichen Behör⸗ den in Sachen des Fürſten, die falſche Idee von einer Unterwürſigkeit dieſes lezteren, oder, mad das nemliche iſt, einer Souverainität der erſteren in dem Geiſt der Unterthanen aufkommen zu laſſen. Wenn die Gerichte ganz unabhängig, mithin ſelbſt Fürſten ſind: wer ſoll dann über ſie Richter ſeyn? Auch würde die ſtrenge Anwen⸗ dung der Civil⸗Geſezè und der Gerichts⸗Ordnungen ge⸗ gen den Fürſten oft in Ungereimtheit verfallen, ja ſogar unmoglich ſeyn. Wie ſoll man denjenigen zwingen, der die Richter in. Schreken ſezen kann, der Armeen zu (cie net Vertheidigung bat? «5? Wenn cin König etwa mit feinem Vermögen nicht ſehr wirthſchaftlich umgeht, wer ſoll ihm einen Vormund beſtellen, demſelben Weiſungen ertheilen, Rechnung abnehmen? wer ſoll hinwieder über dieſen Vormund oder ſeine Conſtituenten geſezt ſeyn? Oder wenn er irgend eine Schuld entweder gar nicht, oder nicht in der Form, noch in der Zeit wie es die Gläu⸗ biger wünſchen, bezahlen kann oder gar nicht ſchuldig zu ſeyn glanbt: wird man auch gegen ihn exequiren, ihn 41) Auch Sidney ſagt: Ce seroit une chose ridicule ďappeller

devant un tribunal, un homme gui est en état de domner

de la terreur aux juges, ou gui a des armées pour se dé-

fendre. Disc. sur les Gouv. Sect. 24. Aber auch diefe rich⸗

tíge Bemerkung iſt ihm wieder nur zur Rechtfertigung der

Volks⸗Jnſurrektion entfallen. Mevter Vand. R

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sum Conrurſe treiben, ſeine Biter verganten, felne Per⸗ ſon ſelbſt in Gefangenſchaft ſezen oder des Landes ver⸗ weiſen können? Die Abſurdität fpringt in die Augen und mit ihr die natürliche Wahrheit, daß man die Gerichts⸗ barkeit nur über dieienigen ausüben kann, über welche man Macht beſizt. Ein Fürſt ſoll alfo die Gerechtigkeit freywillig ertheilen oder in zweifelhaften Fällen ſich rathen laſſen; wenn er es aber zum Geſeze macht, daß er vor ſeinen Gerichten belanget und verurtheilt werden konne: ſo iſt er entweder nicht mehr Fürſt, denn er hat bereits ſeine Diener zu Herren über ihn ſelbſt geſezt, oder wenn cr boh Fürſt bleiben will, fo handelt er inconfſequent und widerſpricht ſich ſelbſt; weil cr. nicht in der nemli⸗ den Sade bald Unterthan und bald wieder Herr ſeyn rann. 20)

Be Staats⸗Verbrechen, d. b, bey gewaltthäti⸗ gen Unternehmungen und Machinationen die gegen das Leben, bie Exiſtenz, die Rechte und Beſizungen ded Für⸗ ſten gerichtet ſind, hat es ganz die nehmliche Bewandniß. Hier iſt der Fürſt noch viel mehr ſelbſt zu richten und zu ſtrafen befugt, nicht nur wegen ſeiner Macht und Unab⸗ hängigkeit, kraft deren er keiner höheren Hülfe bedarf, ſondern zu ſeimer Selbſterhaltung und wegen dem über⸗ haupt jedem Menſchen zukommenden Straf⸗ oder Verthei⸗ digungs⸗Necht. +3) Die neuere Lehre, daß cin Fürſt auch

43) Conf. v. Kettelhod de princípe in causa propria Jus dieente. - Jena 1758. Fol. Bútt. Bel, Anz. 1758. ©, 337. Pufen- dorf j. n. et g. L. VII. c. 6. $. 24. Sdeidemantel T. I. $. 09. 70. át. T. IL. p. 12. Bakmer jus publ, univ. Pp. 115. 43) €. oben p. 341 245,

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in ſolchen Fällen nicht ſelbſt ſprechen, und meder auf die Beſtellung der Nidter, noch auf die Inquiſition, noch auf das Urtheil direkten Einfluß haben dürfe, ſondern daß dergleichen Verbrechen von den gewöhnlichen Gerichts⸗ höfen unterſucht und beurtheilt werden müſſen: heißt ſo viel als dem Fürſten das Recht der Selbſtvertheidigung rauben, ibn zum Sklaven fa zum Spielwerk ſeiner diel. leicht mitverſchwornen Diener zu machen. Wie! man erlaubt es ihm, daß er gegen äußere Feinde ſeine ihm von Gott gegebenen oder erworbenen Rechte mit Gewalt vertheidigen, und dabey, wenn er es gut ſindet, ſelbſt den Befehl führen könne, aber gegen innere Feinde die gleich gewaltthätige ja noch gefährlichere Handlungen gegen ihn unternehmen, ſollte er paſſiv bleiben, und ſein Schikſal den zweifelhaften Begriffen oder den zweydeutigen Ge⸗ ſinnungen ſeiner Diener überlaſſen müſſen. Dabey fordert - man mit Yrrogang gar noch die Einhelligkeit der Tribu⸗ nalien um irgend jemand ſchuldig zu finden, 99 alſo daß ein einzelner Sektirer oder Mitverſchworner durch ſein Veto dem Land- und Hochverräther alle Wege erleich⸗ tern, Impunität zuſichern, den Fürſten aber, d. b. ſei⸗ nen und bed Landes Herren gleichſam für vogelfrey exe klären könnte. Welcher Widerſpruch, welche empörende Ungereimtheit! Freylich in gewöhnlichen Zeiten, wo über die Liebe und Zuneigung der Unterthanen ſo wie über die Treue ber Beamten kein Zweifel waltet, da kann cin Fürſt wohl aus Edelinuth, ſelbſt die Beurtheilung der Verbre⸗ chen die gegen ſeine Perſon und ſeine Rechte begangen werden, ben von ihm beſtellten Gerichtshoöfen überlaſſen.

4) 3. B. Sonnenfels úber die Stimmen⸗Cinbeßt in gerichtlichen Urtheilen.

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Dieſe Methode iſt ihm, unter jener Vorausſezung, fogať „bie vortheilhaftere und deßwegen die gewöhnlichere; in⸗ dem ſich allerdings vermuthen läßt, daß die beſtellten Nichter immerhin nach aller Strenge des Geſezes oder geſezvertretenden Gebrauchs urtheilen werden, der Fürſt aber dadurch in die günſtigere Rade verſezt wird, das Ge⸗ häſſige der eigenen Strafdiktirung von ſich abzuwenden und eher Guade erweiſen, d. h. die Strafe milderen oder ganz nachlaſſen zu können. Indeſſen iſt dieſes bloße Kluge heit, nicht eine rechtliche Norm die an und für ſich bes ſtehen müßte, und ſelbſt der überall übliche Gebrauch,

daß die Gerichte in ſolchen Fällen theils nicht ohne Auf⸗ trag handeln dürfen, theils auch ihr Urtheil immerhin dem Fürſten vorgelegt werden muß und ohne ſeine Ve⸗ ſtätigung gar nicht exequirt werden darf: beweiſet deut⸗ lich, daß er im Grund auch hier allein zu urtheilen be⸗ fugt iſt. Alſo kann ein Fürſt in außerordentlichen Fällen auch von jener Form abgehen. Wenn er z. B. hinrei⸗ chende Gründe hat in dergleichen Fällen die Fähigkeit oder die Geſiunungen der gewöhnlichen Richter in Zweifel zu ziehen, men ex (mie es in unſeren Zeiten oft der Fall war) mit Grund vermuthen kann, daß fe den Land⸗ und Hochverräther aus Sekten-Geiſt, Landsmannſchaft, falſchem Mitleid, Furcht oder verkehrten Grundſäzen be⸗ günſtigen, zu dieſem End die Inquiſition tit vorſäzli⸗ cher Lauigkeit betreiben, Die Wahrheit im dunkeln laſſen und die Mittel zum Beweiſe abſichtlich vernachläſſigen,

S oder hernach bey dem Urtheil, das Faktum mittelſt aller⸗ ley juriſtiſcher Subtilitäten ſür unerwieſen ausgeben, und wirkliche Verbrechen als erlaubte Handlungen oder als unſchuldige Meynungen erklären werden, oder auch wenn Gefahr im Verzug, das Verbrechen evident iſt, der Drang

26t ber Umſtände feine weitläufige Unterſuchung zuläßt: fo iſt der Landesherr allerdings berechtiget und für ſeine Selbſterhaltung ſowohl als für des Landes Wohlfahrt verpflichtet dergleichen Unterſuchungen an ſich zu ziehen, und entweder ſelbſt zu ſprechen, oder andere Richter zu beſtellen auf deren Treu er ſich mehr verlaſſen kann. Wenn 3. B. im Krieg cin commandirender General, ber doch auch ein Diener des Fürſten iſt und ſeine Sache verfech⸗ ten ſoll, insgeheim mit dem Feind einverſtanden wäre, oder wenn mit Grund beſorgt werden kann, daß cr durch Trägheit, Unwiſſenheit, Furcht oder falſche Wiſſenſchaft dem Feinde den Sieg erleichtern werde: wer würde dem Fürſten das Recht abſprechen, dergleichen Generale ab⸗ zurufen und entweder treuere an ihren Plaz zu ſezen oder. ſelbſt das Commando zu übernehmen, mithin in eigener Perſon Partey und Richter, d. h. Helfer zu ſeyn. Die unemlichen Verhältniſſe beſtehen aber in dem einen mie ím dem anderen Fall; hier iſt cin Čuferer, dort cin inne⸗ rer Feind, der Fürſt aber iſt gegen beyde unabhängig und sur Selbſtvertheidigung ſowohl berechtiget alss auch ver“ mögend; niemand hat eine Gerichtsbarkeit über ihn, we⸗ der im Ausland noch vielweniger in eigenem Land, Mud). muý man hier die wichtige Bemerkung machen, dať ned: viel größere Mißbräuche und Inkonveniente entſtehen wür⸗ den, wenn man je den Fürſten nicht mehr geſtatten woll⸗ te, ſich und ihre Rechte gegen innere Feinde, im Me. ge der Juſtiz, zu ſichern. Denn alsdann wären fe nicht nur befugt, ſondern ſogar in die Nothwendigkeit verſezt gegen dergleichen Verbrecher von dem Recht des Kriegs oder der Nothwehr Gebrauch zu machen, mithin feden von dem ſie Gefahr beſorgen oder von dem fe Bea. keidigung erlitten zu haben glauben, ohne Unterſuchung

262

noch Beweis der Schuld, gleich wie einen äußeren Feind aus dem Weg räumen zu laſſen, oder wenn dieſes eben nicht nöthig ſeyn ſollte, ihm wenigſtens durch eine Macht⸗ verfügung alle Mittel zum Schaden zu benehmen. Jene falſchen ſophiſtiſchen Grundſäze würden daher, wie es in mehreren Ländern geſchehen iſt, zur unvermeidlichen Folge haben, daß ſelbſt die tröſtlichen Formen der Juſtiz, deren Zwek cd iſt der Unſchuld (aber nicht der Schuld) eine Schuzwehr zu gewähren, den Fürſten vor einer Nebereia lung, die ihn nachher gereuen könnte, zu bewahren und ihm die Zeit zu einem ruhigen Urtheil zu laſſen, vernich⸗ tet und dagegen cine bloße Gewalt eingeführt würde, die auch den Unſchuldigen und Redlichen in beſtändige Bes fahr ſezen muß. So hat man im revolutionären Frank⸗ reich anfänglich mit ſchallenden Phraſen die gänzliche Únie abhängigkeit der richterlichen Behörden, ſogar in Staats⸗ Verbrechen, erkannt. Ein ſogenanntes Syry aus Freun⸗ den und Bekannten des Verbrechers hergenommen, ſollte allein über das Faktum urtheilen und dazu noch einhellig ſeyn, alle Formen und Geſeze waren zu Gunſten der Schuldigen und gegen die Beleidigten eingerichtet. Aber da die herrſchende Sophiſtenzunft auf dieſe Art ſelbſt in Gefahr ihrer Exiſtenz fam, da von den ihr abgeneigten Ge⸗ richten faſt alle Beklagten, unter dieſem oder jenem Bora wand, losgeſprochen wurden, und die Machthaber zulezt, wie natürlich, doch auf ihre Selbſterhaltung bedacht wa⸗ ren: ſo folgte bald unter dem Namen von Polizey oder Sicherheits⸗Maßregeln cine viel ärgere Willkühr, dergleichen bie Welt noch nie geſehen hatte; Einkerke⸗ rungen von mehr als zweymal hunderttauſend Verdächtigen pder von ſolchen die nur beſchuldiget waren verdächtig zu ſeya; Special⸗ und MilitärCommiſſionen, welche ihre

NE 269 deſignirten Schlachtopfer, obne alle Form eines Prozeſſes, auf die bloße Identität der Perſon bin zum Tod verur⸗ theilten; Deportationen ganzer Menſchen⸗Claſſen, Cano⸗ nades und Erſäufungen wie man ſie nie gegen äußere Feinde und kaum gegen Beſtien fi erlauben würde; fa ſegar Vogelfrey⸗Erklärungen ganzer Provinzen, (Decla- rations hors la loi ou hors la Constitution) ſobald bie. gewöhnlichen Geſeze incommodirten u. (. 19. Dee nemli— chen regelloſen Gewalt bediente ſich bald auch eine So. phiſten⸗Faktion gegen die andere; die Natur rächte ſich fürchterlich an den Frevlern gegen ihre Geſeze, und es beſtätigte ſich auch hier was Hr. Adam Müller febr gründlich ſagt: „Jede Verläugnung oder verwegene Zer⸗ „ſtörung ded. (natürlichen) Geſezes führt zu weit grau⸗ „ſameren Geſezen, und jede Verläugnung der (rechtli—⸗ „chen) Freyheit zu Ehren der trokenen Buchſtäblichkeit „der Geſeze, führt zu einer viel zügelloſeren Freyheit „und Anarchie.“ 45)

Wie foll es endlich geſchehen, wenn der zum Glük der Menſchheit äußerſt ſeltene Fall eintritt, daß cin Fürſt ſich ſelbſt als Feind ſeines Volkes beträgt, Verbrechen oder Miſſethaten gegen ſeine Unterthanen ausübt? Soll. hier auch kein Richter ſeyn, ſoll es ungeahndet bleiben, wenn er auch, wie die Römiſchen Cäſaren, unſchuldige Menſchen mit eigener Hand töden, oder tauſende aus bloßer Mordluſt martern und umbringen ließe, wenn er ſeinen Unterthanen ihr Vermögen, ihre Weiber und Töch⸗ ter mit Gewalt vauben und zu ſeinen Lüſten mißbrauchen, wie Nero ihre Häuſer aus Muthwillen anzünden oder wie —— ————— —— —. 45) Elemente der Staatskunſt T. III. 115.

"264

Caligula Brúťen von Reugierigen angefuͤllt, abſichtlich umſtürzen laſſen ſollte, um das Spektakel einer Menge von Sterbenden zu ſehen u, ſ. w. Sd antworte unbe⸗ denklich, daß gegen einen ſolch abſcheulichen Mißbrauch der Gewalt den Beleidigten am Ende wohl das Recht der Nothwehr, der Selbſtvertheidigung, oder wenn dieſe nicht

„moalich iſt, der Flucht übrig bleibt, und daß ihnen die—

ſes niemand übel nehmen kann, wiewohl es auch ein Selbſt⸗Urtheil und eine Vollziehung dieſes Urtheils in ſich faßt; aber eine förmliche Gerichtsbarkeit über den Tyrannen ſelbſt, können ſie nicht haben noch vielweniger ben ſeinen Beamten finden, aus dem ganz natürlichen

Grund weil ihnen dazu die Macht mangelt; denn um ihn

förmlich verurtheilen zu können, müßte er vorher in ihrer

Gewalt und ihre Macht größer als die ſeinige ſeyn, in

welchem Fall aber ex in der That nicht mehr Fürſt wär«, ſondern ſie an deſſen Plaz getreten ſeyn würden. 40)

Alle dieſe Verhältniſſe zwiſchen den Fürſten und den beſtellten Unterrichtern, ergeben ſich aus dem einfachen

Begriff, daß die Gerichtsbarkeit aus Hülfs⸗ Anrufung

entſpringt und nur in unparteyiſcher Hüfleiſtung eines

Mächtigeren beſteht. Es laſſen ſich aber daraus noch viele illuſtrirende Folgerungen ziehen, mancherley dunkle Be.

genſtände beleuchten, und Uebungen erklären die ſonſt gar nicht gerechtfertiget werden könnten. So iſt es vor allem klar und nothwendig zu bemerken, daß die Gerichts⸗ barkeit an und für ſich eine Wohlthat und nicht eine ſtreng rechtliche Schuldigkeit iſt,

45) Veral. oben T. I. Eap. XV. von den Mitteln gegen den Mißbrauch der Gewalt. S. 434 439

285

welches ſich (on daraus beweisſt, daß fte nidt in einer bloßen Unterlaſſung, ſondern in einer thätigen Handlung und Aufopferung von Mühe und Arbeit beſteht. Jede Hülfleiſtung (wenn ſie nicht durch Vertrag vorher ausbe⸗ dungen worden) iſt eine Wohlthat und nicht eine Zwangs⸗ pflicht, weil man ſie allenfalls auch unterlaſſen könnte, ohne dadurch ſelbſt jemand zu beleidigen. Daraus folget erſtlich die alte und allgemeine Regel, daß wo kein Kläger iſt, auch kein Richter fen. Niemanden wird cine Wohlthat aufgedrungen, niemand Hülfe geleiſtet dej fi nicht verlangt. Sn Criminal⸗Fällen gift zwar jene Regel nicht unbedingt, indem man Verbrechen zu ſtrafen befugt iſt, nicht nur weil der Beleidigte klagt, ſondern weil es Verbrechen ſind und die Sicherheit von allen er⸗ fordert, den Böſen an kernerem Uebelthun zu hindern oder davon abzuhalten. Es ſchreyt hier die offenkundige That ſelbſt und die Klage wird mit Recht von allen den⸗ zenigen präſumirt, bie durch ben Verbrecher beleidiget werden koͤnnten. Aus dem Befugniß die gerichtliche Hülf⸗ leiſtung zu unterlaſſen erklärt ſich Wdaß ſie für gar zu gerinfügige Sachen nicht ertheilt wird, weil es unbeſcheiden wäre, den Landesherren oder ſeine Beamten für jede Kleinigkeit zu beläſtigen, die entweder der Mühe nicht werth iſt, oder zu deren die Selbſthülfe der Parteyen hinreicht. De minimis non curat prætor. Man haſſet bie Trölſucht, und ſchon an Kindern wird bad ewige Klagen Úber alles und jedes übel gefunden. 3" Kann ſie aus glei⸗ chem Grund, ſelbſt in wichtigeren Dingen, zu gewiſſen Zeiten, unter gewiſſen Umſtänden, für gewiſſe Gegenſtände wirklich abgeſchlagen werden. Die Gerechtigkeit ſelbſt darf man nie und in keinem Augenblike verweigern, aber die Hülfleiſtung zum Rechte wohl, wenn wichtigere

206

moraliſche Rükſichten vorgehen. 4 So find in allen Län— dern bisweilen gericht iche Stil lſtände oder Ferien theils zum Beßten der Beklagten, theils zum Beßten der Richter ſelbſt, +8) indem man bod) nicht forderen kann, daß leztere alle Tage und Nächte mit fremden Händein beſchäftiget ſeyen, keiner Ruhe genieſſen und weder eige⸗ cn ned allgemeinen Geſchäften obliegen können. So pflegt man, nad ben meiſten Geſezgebungen, für wucheri⸗ ſche Intereſſen, für Spiel⸗Wirthshaus⸗ und der⸗ gleichen Schulden dem Anſprecher kein Recht zu hal⸗ ten, d. h. keine gerichtliche Hülfe zu leiſten, nicht weil ſie nicht eben ſo verbindlich als andere wären und von

ber Schuldner bezahlt werden ſollen, ſondern um ſol⸗ che Handlungen nicht zu begünſtigen, Spieler und Wirthe vorſichtig zu machen, auf daß ſie nur mit bekannten und redlichen Leuten zu thun haben. So wird bey Beneficien Inventarii und Concurſen die gewöhnliche Drohung beygefügt, daß bey verſäumter Eingabe die Gläubiger ihr Recht, d. b. ihre Action vor dem Richter ver⸗ lohren haben ſollen. Kein Landesherr iſt zwar berechti⸗ get, einen Schuldner von ſeiner natürlichen Zahlungs⸗

Pflicht zu diſpenſiren, einen rechtmäßigen Schuldtitel zu entkräften oder die Verzichtleiſtung auf denſelben einſei⸗ tig zu präſumiren; er thut aber auch dieſes nicht, ſon⸗ dern verſagt nur ſeine gerichtliche Hülfe, und wenn er

47) Doch mie ſich von ſelbſt verſteht, nur von dem Landesherren als oberſten Richter, niť von den Beamten, außer nach vor⸗ hergegangenen Geſezen oder beſonderen Befehlen.

48) justitium sive ob negotia privata, síve ob luctum publi cum, sive ob cúltum Dei.. Behmer j. p. n. ll. © FIL 5. 7 9.

267

citrer Maſſe von Gläubigern durch Liquidation zu ihrem Recht verhelfen will, ſolches aber ohne Eingab der An⸗ ſprachen nicht geſchehen kann: ſo bleibt nichts anders übrig als nur denen zu helfen die der Aufforderung ent⸗ ſprochen haben, die übrigen aber ihrem Schikſal, d. h. dem guten Willen oder der eigenen Gewiſſenhaftigkeit ih⸗ res Schuldners zu überlaſſen. So geſtatteten die Roͤmer bie gerichtliche Hülfe nur für ſolche Contracte die förm⸗ lich ſtipulirt waren, fo fordert man heut zu Tag in Více len Ländern, daß die Rechtstitel ſowohl als die vor Gericht einzu gebenden Klagen und Vorſtellungen auf Stempel⸗Pa⸗ pier abgefaßt ſeyen, als ohne welche Bedingung man dieſe nicht annimmt oder jenen keinen Schuz geſtattet u. ſ. w. Wir läugnen zwar nicht, daß es unedel iſt die gericht⸗ liche Hülfe mit ſo vielen Schwierigkeiten zu umringen, und daß mit dem Befugniß ſie zu verweigern allerdings ein großer Mißbrauch getrieben werden kann. Dieſer Miß⸗ brauch iſt auch allemal daran zu erkennen, wenn die Ver⸗ weigerung zu eigenem und nicht zu fremdem oder allge⸗ meinem Nuzen geſchieht. Allein in ſtrengem Sinn kann dieſelbe dod) nicht ungerecht, ſondern nur unmoraliſch oder lieblos genannt werden, und gegen das Befugniß felbſt, wenn es in gehörigen Schranken, aus guten Grün⸗ den, zu Begünſtigung höherer Pflichten ausgeübt wird, iſt auch an und für ſich gar nichts einzuwenden.

40 Weil die Gerichtsbarkeit eine Wohlthat iſt und in liebreicher Hülfleiſtung beſteht: ſo folget auch, daͤß ſie nicht immer ganz unentgeldlich geſchieht, daß man aber nicht die Gerechtigkeit erkauft wie unſere So⸗ phiſten wähnen, ſondern nur die Richter oder Hülfleiſter für ihre damit gehabte Mühe, Arbeit und Unkoſten ent⸗

268

(ch aádiget: +9) eben deßwegen pflegt man auch für gute Ge— richtsbarkeit zu danken, welches ehmals bey öffentlichen Ceremonien üblich war, 0) da hingegen für die Erfüllung von abſoluten Schuldigkeiten nicht gedanket wird.

5? Begreift man nun auch, warum bie Gerichtsbar⸗ keit gewöhnlich mit anderen Befugniſſen ver. bunden iſt, warum ſie faſt jeder in ſeinem Fache hat und warum ſie, ehmals wenigſtens, überall mit den ſo⸗ genannten adminiſtrativen Behörden oder ökonomiſchen Verwaltungen vereiniget war. Denn eben weil ſie nur in einer Hülfleiſtung beſteht, kann ſie derjenige am füg⸗ kichſten beſorgen, der ohnehin anderer Dinge wegen dent Plaz des Fürſten vertritt, und bey dem wünſchenswer⸗ then, ja ſogar möglichen Mangel an Streitigkeiten oder Gewaltthätigkeiten, wäre es ſogar lächerlich dafür eigent Beamte anzuſtellen, die oft nichts zu thun hätten, aber dennoch theuer bezahlt werden müßten. 51). Nicht zu ge⸗ denken, daß die Trennung der Juſtiz und der ſogenann— ten Adminiſtration auch ſonſt ihre großen Inconveniente hat, ewige Colliſionen veranlaſſet und beynahe unaus⸗ führbar iſt. <2).

6% Endlich erklärt ſich hieraus. auch die fogenannte nicht ſtreitige Gerichtsbarkeit (Jurisdictio vas

49) Hievon wird ben dem Capitel von Taxen und Sporteln. mehr geredet werden.

so) 3. B. bey den alten Landgerichten. S. Gutachten uͤber die Berneriſche Eriminal⸗Prozeß⸗Form 1797. ©. 136

51) Wie in den neueren philoſophiſchen oder revolutionaͤren Con⸗ ſtitutionen, woruͤber dann bie Voͤlker befentevé klagen.

€2) Vergl. oben ©. 164, 165.

209 >

Juntaria): Ber Ausdruk iſt zwar unſchiklich und enthält nach unſeren jezigen Begriffen eine Art von Widerſpruch. Hingegen läßt ſich eine Hülfleiſtung in unbeſtrit⸗ tenen Dingen gar wohl denken. Die Menſchen haben ihrer ſehr oft nöthig, und es iſt die Eigenheit der Schwa⸗ chen und Geringen, ſelbſt für Befugniſſe die ſie unbe⸗ fragt ausüben könnten, doch aus Klugheit die Geneh⸗ migung oder Beſtätigung des Mächtigeren zu verlangen, um gegen allfällig künftige Streitigkeiten deſto geſicher⸗ ter zu ſeyn. Unter' dieſe nicht ſtreitige Gerichtsbarkeit gehören alſo z. B. die Uebungen oder Befugniſſe aller⸗ ley Bewilligungen zu ertheilen, Päſſe und Zeugniſſe aus⸗ zuſtellen, Käufe, Teſtamente und andere Contrakte zu be⸗ ſieglen oder zu ratificiren, Vormünder zu beſtellen oder zu beſtätigen, ihre Rechnungen abzunehmen, gutzuheißen u. ſ. w.; lauter freundliche Gebräuche, liebreiche Broteca tien und Handbietung die der Mächtigere dem Schwäche⸗ ren erweist.

Sollte man es dem ohngeachtet noch ſonderbar Ňnden, bob wir die Gerichtsbarkeit eine Wohlt hat genennt ha⸗ ben, um das Befugniß dazu mit einem Woͤrte klar zu machen? Die Gerichtsbarkeit als Hülfleiſtung betrachtet, bie allenfalls verſagt werden könnte, iſt freylich keine ab⸗ ſolute Rechts⸗Schuldigkeit, ſie iſt aber eine moraliſche Pflicht, denn jebe Wohlthat die man ohne eigenen Schaden leicht erweiſen kann, iſt Pflicht, und wer Macht hat Gutes zu thun der ſoll es auch thun. Unter allen moraliſchen Pflichten der Fürſten iſt ſie ſogar die erſte, die nothwendigſte, diejenige deren die Unterthanen am wenigſten entbehren können, 13) ba hingegen alle übrigen

42) Es iſt aͤußerſt merlwuͤrdis, mie bie VBibel bie Pflicht der 99:

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270 |

Wohlthaten, welche die Fürſten mit ihrer Macht zur Bez förderung bed Wohlſtandes, der Bequemlichkeit, ber Cul⸗ tur und Wiſſenſchaft ihren Völkern erweiſen können, und mit denen ſich unſere Staats-Verwaltungs⸗Syſteme ſo ausführlich beſchäftigen, bey weitem nicht ſo unentbehr⸗ lich find, eher zum Regierungs⸗Luxus gehören und durch die Bemühungen einzelner Brívat - Verfonen oder Privat⸗ Vereinigungen leicht erſezt werden können. 54) Auch wird die gerichtliche Hülfleiſtung, eben ihrer Unentbehr⸗ lichkeit wegen, oft durch förmliche Verträge, feyerliche Verſprechungen, Gegenleiſtungen u. ſ. w. zur Rechtspflicht erhoben SS? und da ſie ohnedem nicht ohne Belohnung bleibt: fo iſt nicht zu befürchten, daß ſie je werde unter⸗ laſſen werden. Uebrigens. iſt nur die Uebernahm der Gerichtsbarkeit eine Wohlthat, daß aber, ſobald man ſich einſt mit der Sache abgiebt, die Hülfe nur demjenigen geleiſtet werde der Recht hat und nur nach dem Maaße ſeines Rechts, iſt ſtrenge Rechtspflicht, meil daš Gegentheil eine Beleidigung der anderen Partey wäre. Daher die Schändlichkeit ſich beſtechen, die Hülf erkau⸗ fen zu laſſen, Geſchenke anzunehmen u. ſ. w., um den Spruch nad) Gunſt und Willkühr fo oder anders auszu⸗

richtlichen Huͤlfleiſtung unter allen uͤbrigen Wohlthaͤtigkeits⸗ Pflichten des Almoſengebens, des Troͤſtens, der Sorgfalt fuͤr bie Wapſen u. Í. w. aufzaͤhlt. B. Sirach IV, 9. ff.

54) Dieſes wird ben dem Capitel von den gemeinnuͤzigen Anſtalt en naͤher bewieſen und entwikelt werden.

55) Die aͤlteren Eidesformeln der Koͤnige ben Kroͤnungen u. ſ. w. find hieruͤber außerordentlich merkwuͤrdig. Neberall ſezen ſie die gerichtliche Huͤlfleiſtung als cine Wohlthat voraus, aber als eine unentbehrliche, deren man ſich bey Anerkennungen,

Huldigungen u. ſ. to. zu verſichern ſucht, oder welche die Kö⸗ nige von freyen Stuͤken feverlich verſprechen.

271 fällen. Zum Recht zu verhelfen iſt jedermann erlaubt, zum Unrecht hingegen niemanden, weil derjenige der wiſ⸗ ſentlich zum Unrecht hilft, ſich zum Mitſchuldigen deſſel⸗ ben macht.

Wir faſſen demnach alles bisher geſagte in folgende we⸗ nige Säze zuſammen: 10 Die Gerichtsbarkeit entſpringt natürlicher Weife aus Hülfs-Anrufung und iſt nichts wei⸗ ter als unparteyiſche Hülfleiſtung von Seite eines Mäch⸗ tigeren der zur Erfüllung ſeines Urtheils zwingen kann. 2" Šie iſt kein ausſchlieſſendes Souverainitäts-Recht, ſondern wird im kleinen von jedem Menſchen, nach dem Maße ſeines Vermögens, ausgeübt. Sin Fürſt bat aber natürlicher Weiſe theils die ausgedehnteſte, theils die höchſte und oberſte Gerichtsbarkeit. 3 Sie wird von ihm nur in wichtigeren Fällen, bey denen man ſeiner Hülfe bedarf, und ſowohl in eigener Perſon als zu ſeiner Ste leichterung durch beſtellte Beamte ausgeübt. 40 Dieſe Be⸗ amte, als des Fürſten ſeine Diener, ſind keineswegs von ihm unabhängig und nicht zu Richtern über ihn geſezt. S? Die Gerichtsbarkeit an ſich als Hülfleiſtung be trachtet iſt eine mor aliſche Pflicht und in Hin—⸗ ſicht auf die Schuzbedürftigen eine Wohlthat, woraus ſich auch bie Nothwendigkeit ihrer Anrufung, die Mög⸗ lichkeit ihrer Verweigerung aus wichtigen Rükſichten, die Entſchädigung der Richter für ihre Bemühungen, die Na⸗ tur der ſogenannt unſtreitigen Gerichtsbarkeit u. ſ. w. er⸗ klären läßt. 6% Die Ausübung dieſes Befugniſſes aber nach dem Geſez der Gerechtigkeit iſt ſtrenge Rechtspflicht, welch alles wir nun hinreichend erwieſen zu haben glau⸗ ben, und zu den dinglichen oder erworbenen Rechten der Fürſten übergehen. |

O ——

272

U

9

11.

Fuͤnf und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

Dingliche Rechte des Fuͤrſten. Domainen und Regalien.

Freye Diſpoſition uͤber ſein Vermoͤgen, ſeine Einkuͤnfte

und ſeine Ausgaben oder die ſogenannten Staats, Fi⸗

nanzen.

Domainen (ind eigentbuͤmliche Guͤter der Fuͤrſten und nicht

National⸗Guͤter, daher auch veraͤußerlich, inſofern nicht

frúbere Teſtamente oder Familien-Vertraͤge im Meg ſteben. Die ausſchlieſſende Benuzung von gewiſſen Gewaͤſſern, Mo⸗

raͤſten, Waldungen u. ſ. tv. fließt aus dem Eigenthum uͤber die

11

by

IV.

< A

Domainen.

„Regalien find eine Fruchtbarmachung von Capitalien, aus⸗

ſchlieſſend vorbehaltene Induſtrial⸗-Unternehmungen. Recht⸗ liche Grundſaͤze daruͤber.

Eutwiklung dieſer Grundſaͤze in Abſicht auf die Jaad und Fiſcherev (fo zwar eigentlich zum Recht der Domainen ge⸗ hoͤren) die Zoͤlle, die Poſten, die Muͤnzfabrikation, die Bergwerke, den Salz⸗ und Tabak⸗Handel, bie Pulver: únd Salpeter-Fabrikation x. Gedanken úber bie Erweiterung der Negalien,

Nicht ausſchlieſſende Induſtrial⸗ Unternehmungen; allerley

Manufakturen, Fabriken und andere Anſialten. Ihre Zwek⸗ maͤßigkeit.

Bisher wurden nur diejenigen Landesherrlichen Befug⸗ niſſe abgehandelt, welche weſentlich und vorzüglich aus

der

perſönlichen Freyheit oder Unabhängigkeit bed Lan⸗

2/3

desherren flieſſen, mithin eine Folge der allgemeinen Men⸗ ſchenrechte ſind. Ein Fürſt hat aber auch erworbene Rechte, er beſizt Güter, Einkünfte, Vermögen aller Art, ja fogar mehr als jeder einzelne ſeiner Unterthanen, weil er ſonſt nicht Fürſt wäre, und aus dieſem ſeinem Eigen⸗ thum oder den daraus entſtandenen Verträgen flieſſen neue Rechte, neue Befugniſſe, von welchen wir zwar wieder nur die wichtigeren berühren können.

Gleichwie demnach jeder Menſch, fo iſt auch cin Fürſt, als von niemanden abhängig, in noch höherem Grade unbeſchränkter Herr über ſein Vermögen, ſeine Šitie künſte und ſeine Ausgaben, und aus dieſem Grund fliefe fen alle ſeine Rechte über die ſogenannten Staats⸗Fii⸗ nanzen, welche im Grund nur ſeine Finanzen find. ") In ſo fern er alſo nicht etwa von ſeinen Vorfahren durch Hausverträge, Teſtamente u. ſ. w. beſchränkt iſt: kann er ſein Stamm⸗Vermögen, es beſtehr in liegenden Gründen, Gebäuden, baarem Geld, angelegten Capita⸗ lien, ewigen Renten, Mobilien u. ſ. w., nad) Belieben vergrößeren oder verminderen, und unter verſchiedenen Be⸗ dingungen zum Theil oder ganz veräußeren; feine Sin. künfte durch mancherley natürliche und rechtmäßige Wege vermehren, ſeine Ausgaben erweitern hud Ďe. ſchränken, die VBerwaltung und das Rechnungswe—⸗ ſen nach Gutfinden anordnen, Schulden auf eigenen Namen contrahiren, 2) und bat über alles das ſeinen Un⸗—

1) Die Dikinfticn zwiſchen 3s80us und ærarium iſt von den Roͤ⸗ miſchen Imperatoren hergenommen und in wahren Fuͤrſtenthuͤ⸗ mern ohne allen Grund. ©. T. I. €. 90.

s) Selbſt der König von England. macht Schulden obne das Pavo

Zweyter Wand. GS

274 |

terthanen feine Rechnung 31 gebeň) vielweniger das Ge⸗ heimniß ſeiner Wirthſchaft, das Verhältniß ſeines Vermögens ju ſeinen Schulden, oder ſeiner Einkünfte zu ſeinen Ausgaben kundbar werden 4% laſſen. 3) Ari. ſtoteles zählt es ſogar unter die Tyrannenkünſte, biswei— [en dem Volke Rechnung abzulegen, um ſich das Anſe⸗ hen eines Staats⸗- oder National⸗Haushalters zu geben

lament zu fragen. Lezteres bewilligt nur Subſidien zu ihrer Berginfung. Die Schuld felbf iſt eigentlich eine Königliche Schuld, und heißt nur deßwegen uneigentlich National⸗ Schuld, weil die Nation ſich durch das Parliament an derſelben intereſſirt und durch die dazu bemilligten Steuren ihre Verzinſung garantirt.

3) Aus dieſem Srund if auch der Compte rendu des Franzoͤ, ſiſchen Finanz⸗Miniſters Necker, und ſein groͤßeres Werk de ĽAdministration des Finances de la France (fo viel vortreffliches es auch nebenher enthaͤlt) ein trauriger Beweis von der unglaublichen Herrſchaft welche die falſchen philoſo⸗ pdiſchen Staats⸗-Grundſaͤze ſchon damals uſurpirt hatten. Nicht nur hat er dadurch den Koͤnig und ſein Land um allen Credit gebracht, die Nation in Schreken geſezt und in ihr bie Idee einer unbefugten Einmiſchung aufgeregt, ſondern „ročnu man bie darin entbaltenen Neuerungs⸗ oder Verbeſ⸗ ſerungs⸗Vorſchlaͤge genau betrachtet, ſo iſt es unverkennbar, wie verderblich ſie auf die erſte Franzoͤſiſche National⸗Ver⸗ ſammlung einwirkten, als deren Finanz Committirte den Kopf Tur von dieſem Buche voll Ďatten und dabey noch viel ge: waͤltthaͤtiger zu Werk giengen als Necker es nie gewagt haͤtte. Dieſem Necker iſt auch ſowohl jene Publikation ſchon Ao 1785 Bart vorgeworfen und beſonders ſein Haupt⸗Irrthum geruͤgt worden, faſt alle Kúnial, Einkuͤnfte Eontributionen be$ Vohks zu nennen. S. Examen de la théorie et pratique de Mr. Necker dans VAdministration des Finances de la - France 1785. ©. 535. 8. und bie gehaltreiche Schrift les

,. France. Paris. 1786. S. 149,

27%

und unter dieſem Vorwand defto mehr Steuren und Tri. bute von dem Volk zu erpreſſen. 4 Dieſe freye Diſpo⸗ ſition über daš ſogenannte Staats⸗Vermögen, welche zu jeder Zeit allen Fürſten ohne Widerrede zugekommen iſt, hätte aber niemals entſtehen können, wenn der Staat,

nach den herrſchenden revolutionären Meynungen, eine ſouveraine Genoſſenſchaft, eine Corporation von Bürgern wäre, und mithin bad ſogenannte Staats⸗Vermögen der Nation gehörte. Denn in jeder Geſellſchaft oder Commu⸗ nität von der geringſten Dorfgemeinde und der Handwer⸗ kerzunft bis zu der Verſammlung der Nordamerikaniſchen Freyſtaaten hinauf, iſt es eines der erſten natürlichen Grundgeſeze, daß bie Vorſteher nicht nach ihrer Will⸗ kühr über daš Haab und Gut der Geſfellſchaft ſchalten und walten dürfen, ſondern entweder der ganzen Genoſ⸗ ſenſchaft oder wenigſtens einem beträchtlichen Ausſchuß derſelben Rechnung ablegen müſſen. Die zerſtreuten Hausväter, welche ſich angeblich in einen Staat ver⸗ einiget und bie Staats Genoſſenſchaft gegründet haben ſollen, wären wohl nicht ſo thöricht geweſen nebſt der Aufopferung ihrer Freyheit die bereits gar nicht zu er⸗ klären iſt, S) noch dazu ihr eigenes oder zuſammenge⸗

4) Pol. L. V. c. 11. Ueberſezt von Barve T. I. ©, 495. Brať ſcheint dieſes vorzuͤglich von ben damaligen eigentlichen Ty⸗ rannen, die uͤber eine fruͤbere Republik uſurpirt hatten, ge⸗ ſagt worden zu ſeyn. Aber auch in unſeren Tagen werdeß die ſogenannten budjets, comptes. rendus etc.! nie bey guͤn⸗ ſtigen, ſondern nur bey zerruͤtteten Finanz⸗Umſtaͤnden vorge⸗ legt. Neue Steuren und Auflagen find allemal die Folge

v... davon. Wer darf uͤbrigens dieſe Rechnungen unterfuchen, etwas dawider einwenden, wer beficbit die Ausgaben v vereb oben T. I. S. 217.

5) €. ohen T. 1. G. 319 320.

476

ſchoſſenes Vermögen auf ewige Zeiten der unbeſchrankten Willkühr eines Einzigen und ſeiner Nachkommen zu über⸗ Jaffen: S auch vermag niemand ben Zeitpunkt anzuge⸗ ben, wo alle Fürſten ohne Ausnahm ſich etwa von jener natürlichen Verpflichtung befreyt und durch Uſurpation das urſprünglich anvertraute Gut zum eigenen gemacht hätten. Geht man aber von jenem lächerlichen Hirnge⸗

ſpinſte ab, und nimmt hingegen mit der Natur und Ge⸗ ſchichte an, daß cin einziger unabhäugiger Hausvater, der

auf eigenem Grund und Boden wohnt, durch ſich ſelbſt Fürſt iſt und daß es dazu keiner weiteren Bevollmächti⸗ gung bedarf: ſo ergiebt ſich von ſelbſt, warum er über ſein eigen Gut frey diſponirt und darüber niemanden Rechnung zu geben ſchuldig iſt.

„Sn fo fern es ohne nähere genntniß der Gegenſtãnde

möglich wird, über die große Oekonomie der Fürſten,

d. b. über die zwekmäßigſte Verbeſſerung und Verwaltung, Verwendung und Verrechnung ber Fürſtlichen Güter, Ca⸗ pitalien / Einnahmen und Ausgaben allgemeine Klugheits⸗ Regeln zu geben: fo entſteht daraus die ſogenannte Ca— meral⸗Wiſſenſchaft, von welcher wir hier wenig

berühren können und vorzüglich Kur den rechtlichen Ge⸗

ſichtspunkt ing Aug faſſen. Sie iſt übrigens, gleich al⸗ em was auf Staaten Bezug hat, in neueren Zeiten durch Einmiſchung falſcher Grund⸗Prineipien gänzlich verdor⸗ ben worden. Man hat darin den Fürſten einerſeits, ver⸗ meſſener Weiſe, alles Eigenthum abgeſprochen und an⸗ derſeits ihnen das Vermögen aller Unterthanen zur will⸗

kührlichen Diſpoſition Preis gegeben, indem man ſolches

6) Beryl. T. I. ©. 330 738. .

,

27 zu einem (ogertannten Staats⸗Eigenthum machte. > Wir aber ſind nicht dieſes Glaubens; wir werden zeigen, daß dem Fürſten gehört was ſein iſt, den Unterthanen was das ihrige iſt, und daher in Beyſeitsſezung bed [e42 teren 1) vor dem Capital⸗Vermögen der Fürſten, 2) von ihrer Indüſtrie, 3) von anderen Gefällen und außeror⸗ dentlichen Hülfsmitteln reden.

Die Domainen (Hausbeſizungen), ein Wort dať in der franzöfſchen Sprache ſogar für Privat⸗Güter üb⸗ lich iſt, find die eigenthümlichen Güter bed Kára ſten; ſie ſind der Stamm, das Fundament, worauf ſeine Herrſchaft und ſeine Unabhängigkeit, mithin ſein Fürſten⸗ thum beruht. Wenn daher ach ſchon bie meiſten Staats⸗ Lehrer das. Gegentheil behaupten und die Fürſtlichen Do⸗ mainen zu National ⸗Guütern, mithin zum Eigen⸗ thum ded Volks machen wollen: Cal hätte cd (le dem

Fürſten nur zur Benuzung übergeben) 8 ſo iſt dieſe Ben

hauptung durchaus hiſtoriſch falſch, wird auch von kei⸗ nem einzigen dieſer Schriftſteller mit dem geringſten Be⸗ weiſe unterſtüzt, 9) und fließt nur aus der verlehrten Idee

z) ©, aben van Kant T. I, ©. 35. Note 7..

8) patrimonium populi ad sustentanda. reipublícm aut regia dignitatis onera, ie Grotius fie im. bodtrabenden. Roͤ⸗ miícben Style neunt, de jure b. et p. L. HE. c. 7. 6..11. Im Mittelalter hingegen hießen bie Domaínen ville regia, terre dominice, terra: fiscaline, Ihnen wurde ein Bogt (Adrocatus-) oder Amtmann als Deťonomie : und Gerichts⸗ Verwalter vorgeſezt. Derſelbe hieß provisar. villa. ©. Mons bag Geſch. derud. ſtaatsbuͤrgerl. Freyheit T. I. p. 151.

Montesquieu, um die Domainen als National · Guͤter er⸗ aͤrxen zu kaͤnnen und dabey dem Einwurf der. Erwerbungs

278

von dem Weſen eines Staatš, nad welchem man ale Gewalt mithin auch das Vermögen der Fürſten von den Unterthanen herkommen laſſen mil. Der Patrimonial- Fürſt, der unabhängige Grundherr hat nicht deßwegen Domainen, weil er Fürſt oder Regent iſt, ſondern er iſt Fürſt und Regent weil er dergleichen Domainen oder unabhängige Güter beſizt. Die Geſchichte aller Fürſtli— chen Häuſer zeigt deutlich, daß ie dieſe Domainen gleich andern Privat⸗Gütern gekauft, erheyrathet, geerbt oder durch ſonſtige Verträge mit den vorigen Beſizern erwor⸗ ben haben. Und ſelbſt die in unſeren Tagen in einigen Fürſtenthümern und Monarchien aufgekommene Unter⸗ ſcheidung zwiſchen Privat- oder Familien-Gütern ded Fürſten und ſogenannten Kammer- oder Staats⸗Gütern, beweiſet nichts dagegen; denn fie beruht auf keinem recht⸗ lichen Grund und hat nur auf den Gegenſtand ihrer Verwendung Bezug. Die einen wie die anderen ſind ei⸗

—— I O

Citel auszuweichen, erſindet die bequeme Sentenz: guil ne falloit point déider par les règles du droit eivil, quand 3l Pagit de décider par celles du drolt politique. .Espriš des loiz L. XXVI. Ch. 16. Das it cine etwas body mútbige Úbfevtiguna. Nicht zu gedenken, daß er bier unter droit politigue ſein pſeudopbiloſophiſches revolutionaͤres Staaté - Sy: ſtem verftebt: fo wird dod) die faftiíche Frage, ob irgend je: mand cín Eigentóum gehoͤre oder nicht, aus der Geſchichte oder aus Urkunden, und nicht aus willkuͤhrlichen Spruͤchen zu entſcheiden ſeyn. Das leztere iſt „absurde et ridicule“ und nicht bad erſtere, wie Montesquieu es zu nennen beliebt. Ebendaſ. Here v. Sonnenfels dann will gar „daß die, vDomainen bey Gruͤndung des Gtaats von den zerſtreuten Hausvaͤtern zuſammengeſteurt worden ſeyen, indem jeder cin v Stúť von ſeinem Boden daju hergegeben babe." Zu was (úr laͤcherlichen Ungereimtheiten doh diefe Principien fuͤhren!

A 279. genthümliche Búter bed Fürſten „unb der Unterſchied zwi⸗ ſchen beyden beſteht nur darin, daß die Einkünfte der einen von dem Fürſten zu dieſer, die anderen aber zu einer an⸗ deren Art von Ausgaben beſtimmt und angewieſen wor— den ſind, welches jedoch von der Willkühr des Fürſten abhängt und nad Belieben geändert werden kann. 10)

Kraft dieſes Eigenthums⸗Rechts über ſeine Domainen, kann et alſo dieſelben nach Gutfinden benuzen, verſchö—⸗ nern, ihren Abtrag vermehren, ſie nad) Belieben vete walten laſſen, verpachten, zu Lehen geben, an Beſol⸗ dungsſtatt abtreten, und wieder zurükforderen ſobald der

10) Herr J. J. Moſer hat dieſes in ſeinem Buch von den deutſchen reichſtaäͤndiſchen Landen. Frankf. 1749 außer Zweifel geſezt: „Kammer⸗Guͤter“ (agt er ©. 208.) „ſind diejenigen deren Eigenthum dem Landesherren zuſte het s und beſtimmt find ihn nebſt ſeiner Familie zu erbalten und s die Regierungs-Ausgaben daraus zu beſtreiten. Noch vor „etlichen Jahrhunderten waren die Private Búter des Fuͤrſten „von den Kammer-Guͤtern nicht unterſchieden, weil jene „ſogleich zu dieſen geſchlagen wurden. Weil es aber zulezt „beſchwerlich Kel, allemal Geld zu Privat-Ausgahen aus der s Kammer bolen zu laſſen, indem oͤfters Vorſtellungen ge⸗ ſchahen, daß keines da ſey oder ſonſt hon ſeinen Herrn sy babe, fo. behielt man nachmals die neu erworbenen Guͤter zu „einer Sparbuͤchſe, wozu ſonſt njemand etwas zu fagen Ďaben, „ſollte.“. Auch der tiefe Forſcher Hüllmann in ſeiner de utſchen Geſchichte des Mittelalters. Berlin. 180G, út gleicher Meynung: „Reichs⸗Domainen mie Landes⸗-Do, »„mainen entſprangen aus den Privat⸗Guͤtern der Fuͤrſten und „Koͤnige. Die falſche Vorſtellungrart, daß Domainen Staats⸗ „oder National⸗Guͤter ſeyen, floß aus einer mißverſtandenen „Anwendung des Roͤmiſchen Rechts auf deutſche Verfaſſung.“ ©. auch Goͤt ting. Gel. Any. 1805. S. 44.

280.

Vertrag erloſchen iſt, oder don der anderen Seite nicht gehalten wird. Ob die eine oder andere dieſer Benu⸗ zungs-Arten Plaz haben ſolle, hängt blos von Umſtäu⸗ den und von Rükſichten der Klugheit ab. Eben ſo iſt der Fürſt auch befugt, dieſe Domainen, gleich wie jedes andere Eigenthum, su veräußeren, in fo fern ihm nicht Verträge oder Teſtamente ſeiner Vorfahren im Wege ſtehen, d. h. in ſo fern er ſie nicht unter anderen Bedin⸗ gungen ererbet oder, erworben hat. Dieſe Veraͤußerlich⸗ keit iſt wohl der ſtärkſte Beweis des vollen Eigenthums, und beſtand urſprünglich in allen Staaten, ſo wie ſie noch heut zu Tag für alle neu erworbenen Domainen gilt, d. h. für diejenigen welche noch nicht dem Fürſtlichen Fidei⸗Commiß einverleibt und unter die gleiche Regel wie die angeſtorbnen Güter geſezt worden ſind. Zwar iſt es dermalen freylich in den meiſten Königreichen und Fürſtenthümern feſtgeſezt, daß die Kron-Domainen nicht veräußert werden dürfen; aber dieſes Geſez ward nicht, wie unſere Staatslehrer dociren, von dem Volke gegeben, als ob die Domainen ihm gehörten: ſondern es beruht auf dem Willen eines früheren Beſizers, oder auf Vera trägen zwiſchen ben Gliedern ded Fürſtlichen Hauſes ſelbſt, damit nicht ein einzelner Verſchwender ſeinen Kindern oder Agnaten die Anwartſchaft entziehen, und das gauze Haus um ſein Anuſehen und ſeine Unabhängigkeit bringen könne. 117) Auch kann man faſt von allen Fürſtlichen

u) Die Geſchichte aller in Fuͤrſtlichen Haͤuſern eingefuͤrten Gut ceffions⸗ Ordnungen beweiſet dieſes febr deutlich. Es iſt daher auffallend, daß in dem Preußiſchen Seſezbuch die Domainen immer nur Staats⸗Süter genennt werden, welche dem Oberhaupt des Staats zur ewigen Benuzung anyertraut wor⸗ ben leyen, und daber dem Koͤnig die Vetaͤußerung derſelben

M 284

Häuſern die Epoche genau angeben, wenn? von wem? und aus welcher Veranlaſſung die Unveräußerlichkeit der Domainen feſtgeſezt worden iſt? 12) Dieſes Geſez der Inalienabilität, welches übrigens in dringenden Nothfäl⸗ len bod) nicht geachtet wird, iſt daher nur cine poſitive Ausnahme von der allgemeinen Regel, und beſteht noch heut zu Tag nicht in allen Staaten. Wo immer Domai⸗ nen exiſtiren, da gilt die natuͤrliche Präſumtion für dem Fürſten, da ſie ſein volles Privat-Eigenthum ſeyen, und das Gegentheil muß erſt durch poſitive Titel oder be⸗ ſondere Verträge bewieſen werden können.

verboten wird. Waͤre dieſe Inalienabilitaͤt in einem Haus⸗ geſez vorgeſchrieben, und dadurch von dem lezten Beſtzer alle Koͤniglichen Domainen zu Fidei⸗Comiſſen erklaͤrt worden:

fo wuͤrde dagegen gar nichts einzuwenden geweſen ſeyn; daß fle aber in einem Civil⸗Geſezbuch, einem Landrecht er⸗ ſcheint, welches ſich eigentlich mit dergleichen Gegenſtaͤnden gar nicht zu befaſſen bat, if fuͤr ben Geiſt der Zeit charak⸗ teriſtiſch, und zeugt von der unglaublichen Herrſchaft welche bie falſchen polit iſchen Grundſaͤze in unſeren Tagen uſurpirt hatten. Uebrigens haben wir, als die Noth eintrat, des Preu⸗ kiſchen Geſezbuches ungeachtet, bie Veraͤußerung ber Kônigy licben Domainen bod geſehen.

1:) Gewoͤhnlich gef hab dieſes zugleich mit Einfuͤhrung der Un⸗ theilbarkeit und des Rechts der Erſtgeburt, von welcher wir anderswo mehr reden werden. In Frankreich ward die Ver⸗ theilung und Veraͤußerung der Domainen ſchon ſeit Hugo Ca⸗ pet verboten. Aber bie Appanagen ber Prinzen und Prinzeſ⸗ finnen wurden dod darin gegeben. Erſt ím 1zten Jahrhun⸗ dert fiengcn dieſe an in Geld entrichtet zu werden. Dieſes Seſez, oder dieſe Uebung der Unveraͤußerlichkeit, befeſtigte ſich unter manchen Modificationen big iná z4te Jahrhundert im⸗ mer mehr. S. Ordonnances des rois de France de la Ze race par Pastoret. 1811. Fol, und Goͤtt. Bel. Anz. 1815. G. 53:

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Ben einem ganz retnen Patrimonial . Súriten, b. h. Ben cinem ſolchen ber ſeine Gewalt nidht etma durch man⸗ cherley frenmillige Vertráge mit anderen Grundherren er⸗ weitert bat, (wie 3. B. bey den Herrſchaften unſerer Banda. Edelleute) iſt eigentlich der ganze Grund und Boden, welcher das Gebiet ded Fürſten ausmacht, ur ſprüng⸗ [id ſein Eigenthum, es mag nun für ſeine eigene Rech⸗ nung verwaltet oder verpachtet, oder gegen Natural⸗Ab⸗ gabe und perſönliche Arbeit einem anderen zur Benuzung überlaſſen, oder unter mancherley Bedingungen als Erb⸗ lehen u. ſ. w. abgetreten worden ſeyn; wodurch dann frey⸗ lich die Sache dem fäußeren Anſchein nach ein ganz auderes Ausſehen gewinnt. Die Häuſer, welche von den Unterthanen auf dieſen Gründen gebaut werden, und für deren Erbauung eben deßwegen die Bewilligung des Grundherren geſucht werden muß, ſind zwar nicht ſein Eigenthum; aber die Nothwendigkelt der Bewilligung dieſes Häuſerbaus, ſowohl als die allgemein üblichen Ab⸗ gaben, welche in ſolchen Fällen dem Grundherren alá ein jährlicher Erſaz für die ſonſt mögliche Benuzung des Bodens oder für den abgehenden Theil des Naturalzinſes entrichtet werden müſſen, beweiſen, daß er der rechtliche Eigenthümer des Bodens iſt, auf welchem dieſe Häuſer ſtehen. So pflegt man bisweilen von bloßen Privat⸗ Perſonen zu ſagen, daß ſie ganze Städte beſizen, nicht weil ihnen die Häuſer, viel weniger die darin wohnenden Nenſchen gehören, ſondern weil ihnen der Grund und. Boden gehört, auf welchem die Stadt gebaut iſt, und Ňc deßwegen, nad) urfprünglichen Verträgen, gewiſſe jähr⸗ liche Abgaben ziehen.

Aus eben dieſem Begriff der Grundherrſchaft und des

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urſprünglichen alleinigen Eigenthums, fließt es auch ganz natürlich, daß die großen Gewäſſer, als Flüſſe und Seen nebſt den darauf entſtehenden Inſeln, die Mo—⸗ räſte, Waldungen u. ſ. w., in fo weit ſie eiver aus⸗ ſchlieſſenden Bennzung fábia find, mie z. B. durch Fiſche⸗ rey, Jagd oder Beholzung, in der Regel, d. h. ſo lang - niemand etwas anders beweiſen kann, dem Fürſten oder Grundherren gehören, nicht weil man ſie ihm als entbehr⸗ lich zu Beſtreitung der gemeinen Unkoſten abgetreten, ſon⸗ dern weil er oder ſeine Vorfahren ſie zuerſt in Beſiz ge⸗ nommen haben. Sie find cin Theil ſeines Grund -Eigen⸗ thums, ſeines Gebiets; er war in der Beſiznehmung oder Zueignung der erſte an der Zeit, mithin auch der vorzüglichere am Recht; kein ſpäter hinzugekommener Einwohner oder Unterthan war befugt ihn aus dieſem Beſiz zu verdrängen, oder ſolchen ohne ſeine Einwilligung mit ihm zu theilen; jeder mußte ſich natürlicher Weiſe mit dem begnügen was ihm bey der Aufnahme überlaſſen worden, oder was er ſeither erworben hat: und ſprechen daher die Unterthanen eines Grundherren das Eigenthum oder die Benuzung von Gewäſſern, Moräſten, Waldun⸗ gen u. ſ. w. An, fo müſſen ſie gegen ibn durch poſitive Titel, als da ſind Schenkungen, Verwilligungen, Käufe, Lehens⸗Verträge, verjährte Zulaſſung (Dereliction) 1%. ſ. tv. bewieſen werden können. Da nun dieſes wirk⸗ [id häuſig der Fall iſt, ſo ſieht man auch, daß eine Menge von Waldungen, Moräſten, Flüßen und Seen, nebſt allen davon abhangenden Nuzbarkeiten, in den Händen von Privat⸗Perſonen und Privat⸗Communitäten ſich befinden. Da wo die Fürſten nicht zugleich Territorial⸗Herren find, ſondern nur durch Verträge gewiſſe Befugniſſe erworben haben, beßzen ſie auch keine dergleichen Domainen, weil

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dieſelben bereits ihren früheren Herren hatten: und end⸗ lich giebt cd in allen Ländern, theils wegen bee Entfer⸗ nung oder der unzugänglichen Lage, theils wegen der geringen Nuzbarkeit, Gewaͤſſer, Sümpfe, ſelbſt Waldun⸗ gen und unbewohnte wüſte Landſtreken, die weder von ben Fürſten noch von anderen Perſonen occupirt oder an⸗ geſprochen ſind, herrenloſe Dinge, die jedem zum mögli⸗ chen Gebrauch oder zur Zueignung offen ſtehen. 13)

Nebſt dem ausſchlieſſenden Beſiz oder Gebrauch ſeiner Domainen, iſt ferner ber unabhängige Grundherr ganz natürlicher Weiſe, und vor allen ſeinen Unterthanen, berechtiget, auf ſeinem Gebiet allerley nüzliche Arbei⸗ ten und Unternehmungen zu treiben oder in feinem Namen treiben zu laſſen, um dadurch die Summe ſeiner Einkünfte zu vermehren. Dieß iſt nichts weiter als eine Fruchtbarmachung von Capitalien, w ejne Art von Indüſtrie, die ihm ſo wenig als jedem andern Menſchen verſagt werden kann. Findet er es vortheilhaft und wird dadurch niemand aus ſeinem wirklichen Beſiz und rechtlichen Eigenthum verdrängt, fo iſt er ſogar bes. fugt ſich dergleichen Unternehmungen allein vorzubehalten: denn er iſt in ſeinem Lande Herr, und berechtiget jedem hinzugekommenen Unterthan die Bedingungen der Auf⸗ nahme ſelbſt vorzuſchreiben. Auf dieſe Art entſtehen die ſogenannten Regalien, ein Wort welches aber, ſeinem etymologiſchen Sinne nad, nur cin Königliches oder

13) Vergt. oben S. 47 49,

x4) Auch S mitú nenriť bie Negalieň cine Fruchtbarmachung veľa Gapitalien, in irgsnd einem Gewerb oder Unternehmung vom Rational: Neibtobum T. U. gtes Buda, |

Ň 285 Herrſchaftliches Necht bezeichnet und daher fút dieſe bes ſondere Bedeutungen zu allgemein iſt. 19

Aus dieſem Begriff der Regalien ergiebt ſich vor al⸗ lem die wichtige Bemerkung, daß keine Unternehmung, keine Fabrikation, kein Handel an und für ſich, oder durch ihre Natur, ein Regale iſt; ſie werden es nur dann wenn ſie durch eine Verordnung des Landesherren dazu gemacht, d. b. ausſchlieſſend geworden find, Daher wird auch in dem einen Land dasjenige für ein Regale geachtet was in dem anderen keines iſi. In mehreren Staaten ſind ſelbſt die Poſten kein Regale. Biſchöffe, Aebte, Städ⸗ te u. ſ. w. hatten häufig das Recht zu münzen. Viele Zoölle ſind in Privathänden, Bergwerke werden in allen Ländern auch von Privat - Perfonen beſeſſen. Salz⸗ und Kabať - Handeľ find noch in manchen Staaten frey; Jagd und Fiſcherey werden nirgends von den Fürſten ausſchlieſ⸗ ſend getrieben. Die Unterthanen aus ſolchem Eigenthum willkührlich zu verdrängen, iſt freylich nicht erlaubt. Soll daher irgend cine Induſtrial⸗Unternehmung zu einem Re⸗ gale gemacht werden, und es wären ein oder mehrere Un⸗ terthanen in rechtlichem Beſiz derſelben: ſo muß der Fürſt ſich für die Abtretung ihrer Anſtalten oder für die Ver⸗ zichtleiſtung auf dieſes Gewerb, durch billigen Vertrag mit ihnen abfinden, wie es auch ehmals aus natürlichem Rechtsgefühl überall geſchehen iſt, bevor die pſeudophilo⸗

15) Regaliſen waren eigentlich anſehnliche Kameral⸗ oder Ne⸗ gierungs⸗Rechte, die ihrer Wichtigkeit wegen nur von Herr⸗ ſchaften beſeſſen, oder der Regel nach vom Koͤnig allein erb⸗ lich oder Lebensweiſe erhalten werden fonntens (cine Koͤnigs⸗ gabe). Montag Geſch. ber ©, ſtaatsbuͤrgerlichen Freyheit T. 1. ©..a8$ 387.

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ſophiſchen Staatslehrer und Kameraliſten mit ihren milí. kührlichen Syſtemen aufgetreten waren, und dabey alle ſonſt beſtandenen Rechte, alle natürliche Billigkeit ver“ drängt hatten. Privat-Bergwerke einſeitig und unbedingt an ſich zu ziehen, ganze Menſchen⸗Claſſen von bisher er⸗ laubten Indüſtriezweigen zu entſezen, ſich fremden Eigen⸗ thums zu bemächtigen, unter dem Vorwand daß es ein Regale ſey oder dazu gemacht werden ſolle: ſind Gewalt⸗ thätigkeiten die man vor den philoſophiſch genaunten, d. b. revolutionären Staats⸗Prinzipien nicht geſehen hat.

Indeſſen ſind die meiſten unter den üblichen Regalien allerdings ſo gemeinnüzig, und eignen ſich ſo natürlich zur ausſchlieſſenden Indüſtrie ded Fürſten, daß ſie (Be. rechtigkeit immer vorbehalten) für das gemeine Beßte ſelbſt eingeführt werden müßten, wenn der ökonomiſche Vortheil des Fürſten ſie nicht ſchon ohnehin erfordert oder veranlaſſet hätte.

Jagd, Fiſcherey und das Forſtweſen werden zwar von den meiſten Staatslehrern unter bie Regalien gerechnet: ſie gehören aber eigentlich zu den Domainen, ſie find, mie ſchon oben bemerkt worden, nur cine beſ⸗ ſere Benuzung, oder eine ausſchlieſſend vorbehaltene Au. zung des vollkommenen, oder wenigſtens des urſprüngli⸗ chen ächten Grund Eigentóumá, Maď dem natürlichen Recht iſt jeder nur auf eigenem oder herrenloſem But zu jagen befugt, nicht aber auf fremdem, es ſey dann mit Einwilligung ded Beſizers, und mit dieſer einfachen Re— gel ſtimmt auch die ältere Uebung aller Länder in Núť. ſicht der Jagd zuſammen. Denn bie wilden Thiere, die Vogel in der Luft u. ſ. w. gehúren zwar niemanden, weil

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ſie erſt noch gejagt oder Hefangen , d. b. occupirt und ſich zugeeignet werden müſſen, wohl aber der Grund und Boden auf welchem gejagt wird, und von deſſen Gebrauch der Eigenthümer jedermann auszuſchlieſſen befugt iſt, um ſo da mehr als die Jagd ganz und gar nicht zum unſchäd⸗ lichen Gebrauch gehört. 160) Auch iſt der Forſt⸗ oder Wildbann nichts anders als die Willens⸗Erklärung des Eigenthümers, andere Menſchen von der Jagd auf ſeinem Gebiet ganz oder zum Theil auszuſchlieſſen (jus prohi- bendi mit potestas cogendi verbunden). Da nun aber auf gang kleinen Grundſtüken (die Úbrigený ſelten durch⸗ aus frey ſind) höchſtens gemeiner Thierfang, die Jagd in höherem Sinne aber gar nicht möglich iſt: ſo kann ſie nur von größeren Eigenthümern, in mehr oder weniger ausgedehnten Landſtreken und Waldungen, ausgeübt wer⸗ den. Daher iſt ſie auch zu allen Zeiten den adelichen, d. b. den freyen Grundherren auf ihren Patrimonial⸗ Gütern und Privat⸗Forſten, ſo wie den Gemeindsgenoſ⸗ (cn auf ihrem Gemein⸗Eigenthum rechtmäßig zugekom⸗ men, wenn ſie auch ſchon in anderer Rükſicht einem hö⸗ heren Herrn vertragsweiſe unterworfen find, 17) Das Jagdrecht des Fürſten nun, als Beſizers von mehreren und größeren Domainen, beruhet durchaus auf dem: nei⸗ lichen Grund, d. b, auf dem Befugniß der Benuzung ſei⸗ nes Eigenthums. Mithin kann es allerdings in ſeinen

16) Vergl. oben S. 45. Note 29.

17) ©. Montag Geſch. der d. ſtaatsbuͤrgerl. Freybeit. T. I. S. 310 ff, Moͤſers patriotiſche Phantaſien. T. IV. ©, 164 ff. Struben Nebenſtunden. T. I. ©. 132. und II. 574. und deſſen vindicis juris venandi nobilitatis germanice

1739. Die Jagd mar und iſt die Zubehoͤr eines freyen Guts.

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Händen ausſchlieſſend ſeyn, teboch billiger Weiſe nur auf ſeinen Domainen, 18) oder auf denen ben deren Veräuße— rung oder erblichen Hinleihung er ſich die Jagd ausdrük⸗ lich vorbehalten hat. 19) Allein ſelbſt auf eigenen Domai⸗ nen wird dieſes Recht dennoch durch die Billigkeit be. ſchränkt, und zwar nicht nur nach der Theorie, ſondern auch in der Wirklichkeit. Wollte z. B. ein Fürſt, als jagdberechtigter Grundherr, die Ausſchlieſſung ſo weit treiben, daß die Innhaber, Benuzer oder Bewohner der beſonderen Grundſtüke, ſelbſt auf ihrem Gebiet, keinen Vogel ſchieſſen, kein ſchädliches oder eßbares Thier erle⸗ gen, keine wildwachſende Staude umhauen dürfen, und für dießörtige Bergehungen mit ſtrenger Strafe belegt würden: ſo könnte man ſolches zwar nicht abſolut unge⸗ recht, aber doch mißgünſtig, lieblos, kleinlich, und der Würde eines großen Herrn wenig angemeſſen inden. Un⸗ ter Umſtänden würde es ſogar eine Beleidigung ſeyn, wenn nemlich dem Unterthan durch einen Raubvogel oder ein wildes Thier Gefahr droht, oder wirklicher Schade zugefügt wird, als in welchem Fall er zur Vertheidigung ſeines Eigenthums berechtiget iſt. Allein bekanntermaſſen wird das ausſchlieſſende Jagdrecht, ſelbſt auf eigenthüm⸗ lichen Gütern, gewöhnlich nur auf gewiſſe edlere oder ſeltenere Thierarten beſchränkt, alles andere bleibt mei⸗ ſtentheils frey. 20) Will übrigens ein ſtark begüterter 18) Außerhalh der Koͤniglichen Domainen iſt die Jagd in Eng⸗ land kein Regale. Martens Europ. Staats⸗Recht. ©, 192. d. 19) Bepípiele davon in Dánemať. ©. Martens a. a. 48: ©. 54- 6 so) ©. oben pag. 45. Note 28.

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Grundherr dergleichen Nuzungen nicht ganz fabren laſ⸗ fen, oder erfordert das gemeine Beßte, es ſey zur Hin— derung des Müßiggangs, oder zur öffentlichen Sicherheit, oder zur Schonung det aus Jagd und Fiſcherey zu sice henden Nahrungsmittel, nebſt demjenigen mad ber Fürſt ſich zu ſeiner Ergözlichkeit vorbehalten will, das übrige nicht jedermann und nicht zu jeder Zeit zu geſtatten: ſo iſt er befugt darüber die gutfindenden Verordnungen zu

ertheilen, Zeit, Ort und Schranken der Jagd zu beftim. men, und die beſagten Ruzungen entweder den Innha—⸗ bern der beſonderen Grundſtüke als ein Acceſſorium ihres uſufruetuariſchen Eigenthums einzuräumen, oder ſie ein— zelnen Unternehmern gegen billige Pachtung zu überlaſ—⸗ ſen. Biele ſolche Verleihungen von einzelnen Jagd⸗Re— vieren oder von Fiſchereyen an Seen, Bächen, Weyern u. ſ. w. die der Fürſt ſelbſt nicht benuzen kann, exiſtiren auch in allen Staaten: und weit entfernt daß ihre We. dingungen beſchwerlich wären, ſind die Retributionen, welche dafür dem Grundherrn bezahlt werden, gewöhn⸗ licher Weiſe ſo gering, daß ſie wahrlich nicht als ein Zins, ſondern nur als ein Zeichen der Nichtveräußerung des urſprünglichen Rechts angeſehen werden können.

Die eigentlich ſogenannten Regalien ſind aber theils einträgliche Arbeiten und Unternehmungen, theils Handlungs-⸗-Gegenſtände bie der Fürſt ſich auf ſeinem Gebiet allein vorbehält. Warum ſollte er nicht z. B. Straßen und Brüken anlegen, Flüfſe ſchiff— bar machen, Canäle graben, ſichere Buchten, See, häfen u. ſ. w. bauen können, und ſich für deren Benu⸗ zung von Unterthanen und Fremden, nach der Zahl der Menſchen, bed Viehs oder der Waaren eine billige Ry

Zweytzer Vand. J

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tribution (30116. Brüken⸗, Weg- und Ďafett Gelder) bezabíen laſſen, wenn fe auch in der Folge reichlichen Gewinn tragen, und bie Koſten der Anlegung und Erhaltung weit übertreffen ſollten. Werden ja der gleichen Zollgerechtigkeiten häufig auch von Privat-Pere fſonen und Privat-Communitäten beſeſſen. Dieſe Zölle mögen feſtgeſezt ſeyn wie ſie wollen, ſo haben ſie gar nichts ungerechtes ſo bald dabey kein Zwang ſtatt findet, »i) den Neifenden und Waaren wirkliche Hülfe geleiſtet wird, und man durch die gemeinnüzige Anſtalt mehreren Vor⸗ theil als durch Vermeidung des Zolles genießt. 22 Am billigſten wird es immer ſeyn, ben Tarif dieſer Zollge⸗ bühren nur nad der Quantität und nicht nad ber DUA» Jitát ber Waaren 41 beſtimmen, weil lezteres durchaus willkührlich iſt, auf keinem natürlichen Grund beruht, auch zu läſtigem Zeitverluſt und allerley Plakereyen Anlaß giebt. Zwar folgen gewöhnlich bey Fürſtlichen Zollge⸗ | rechtigkeiten zwingende Geſeze nad), alfo daß man 4. B. unter ſtrengen Strafen keiner anderen als der Zollſtraße

n1) Er galt auch ebmals nicht. „Unter Carl dem Großen wurde o»bey den Bruͤken gezollt, die aber niemand nuzen mußte, „dem ſie entbehrlich waren.“ Muͤller Schw. Geſch. J. 181. Capitul. 805. | #2) De teloniis nobis pľacet, ut antigua et justa telonia a ne- gotiatoribus exigantur, mova vero sive injusta uhi vel Junes tenduntur, vel cum navibus eub pontibus transi- tur, seu his similia, in guibus nullum adjutorium itine« rantibus prebetur, ut mon exigantur. Similiter etiam nec de his.gui sine negotiandi causa substantiam suam de una dome sua in aliam, aut ad palatium seu in ex- ercitum ducunt. Montag Geſch. der deutſchen Srenbeit 1. 289. Capií. Carol M. vom Jahr s05. bey Balus „12.42. i

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ſich bedienen, nicht durch das ttoľne Flußbeet fahren, oder an keinem anderen Ort als in dem angelegten Hafen lan⸗ den darf. Allein obgleich ein ſolcher Zwang ehmals auch nicht üblich war 23 und nur nad und nad theils durch die vermehrten Geldbedürfniſſe, theils durch die neueren falſchen Staats⸗Grundſäze entſtanden iſt, obgleich er bes reits die reine Schönheit der Regalien entadelt, ſie in eine Art von willkührlicher Auflage umſchafft, und der Fiskalitäts⸗Geiſt von ihm oft mißbraucht haben mag: fo iſt er doch unter gewiſſen Schranken, und unter der Vor⸗ ausſezung daß die erwartete Hülfe auch wirklich geleiſtet werde, durch die gemeine Billigkeit zu rechtfertigen, in⸗ dem ohne Die Hoffnung eines ſicheren Gewinns, derglei⸗ chen koſtbare und gemeinnüzige Anſtalten weder von Pri⸗ vat⸗Perſonen noch von Fürſten mehr würden errichtet werden, 20 auch mit ihrem ausſchlieſſenden Gebrauch manche andere Neben⸗Vortheile der Ordnung, der Sicher⸗ heit u. ſ. w. verbunden ſind. Inzwiſchen erfordern ſowohl das Anſehen als auch das wohlverſtandene Intereſſe des Fürſten, dergleichen Retributionen ſo billig feſtzuſezen, daß Unterthanen und Fremde dabey ihren Vortheil finden, daß ſie mithin von ihnen gerne bezahlt und nicht zu ume

———— eee —⏑⏑—

23) ©. Montag |. c. 6. 290, und Baluz L. III. Capit. c. 54. Ut nullus cogatur ad pontem íre ad fluvium transéundum propter telonei causa, guando ille in alio loco compen« diosius illud flumen transire potest, similiter et in plane campo, ubi nec pons nec trajectué est, ibi omnimodie precipimus ut noA telonium exigatur.

24) Bergl. oben ben den Privilegien S. 227. Note 14, Gleich⸗ mie ber Fuͤrſt aus gerechten Gruͤnden einem Unterthan cín ausſchlie ſſendes Privilegium geben kann, fo kann er es (ih auch ſelbſt geben.

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gehen geſucht werden. Daher lehrt auch die Erfahrung, daß die mäßigen Zölle immer am meiſten eintragen; denn es lohnt ſich der Mühe nicht ihnen auszuweichen, und die Ertenſion der Zollgebühren, die vermehrte Lebhaftigkeit des Verkehrs, erfezt reichlich, was der Intenſität des Zoll⸗Carifes abgeht. ?5)

Die nemliche Bewandniß bat es mit der ſchönen Er⸗ findung der Poſten, die beynahe niemand anders als der Landesherr mit Erfolg unternehmen kann, theils weit er ihrer ſelbſt zur Fortſchaffung ſeiner Briefe, ſchriftli⸗ chen Befehle und anderer Sachen am meiſten bedarf, theils weil bloße Privat⸗Perſonen, ohne ſein Privilegium una ſeinen Schuz, nicht leicht die Schwierigkeiten iiberwinden könnten, in einem großen Land überall Pferde zu halten, Häuſer zu bauen, und Beamte anzuſtellen oder zu beauf⸗ ſichtigen, wenigſtens das Publikum dabey nie auf die ſichere Fortdauer einer ſolchen Anſtalt zählen könnte. Dem ungeachtet find die Poſten noch heut zu Tag nicht überall cin Regale, und meiſtentheils vdn Privat⸗Perſo⸗ nen, jedoch unter dem Schuz ber Fürſten und durch förmli⸗ che Verträge mit ihnen errichtet worden. 20 Werden ſie

25) Ueber die Zoͤlle im Allgemeinen ſ. Wiſſel Verſuch einer Ab⸗ handlung de jure vectigali. Zelle 1771.

46) Im Canton Zuͤrich z. ©. gehoͤren ſie dem Kaufmaͤnniſchen Direktorio; im Canton Bern urſpruͤnglich einer Privat⸗Fa⸗ milie, bie nachher der Regierung fuͤr die Wadt und das Privilegium eine gewiſſe Summe bezablte. Eben dieſe Fa⸗ milie beſaß die Poſten auch in den meiſten anderen Cantonen, nach bloßen Vertraͤgen mit den dortigen Regierungen. In Deutſchland gebórten ſie bekanntermaſſen dem Hauſe Thurn und Taxis, urſpruͤnglich durch eigene Unternehmung, nachher

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aber von dem Landesherren ſelbſt obeť in feinem Namen ge⸗ halten: fo iſt er, vermöge des ſich reſervirten ausſchlieſ⸗ ſenden Rechts, allerdings befugt, in ſeinem Gebiet Ne— benboten, Briefträger und Poſten-Unternehmer, die daraus ein Gewerbe machen, zu unterſagen; aber es wäre Mißbrauch, unedle Kleinfängerey, ja fogar Bee Jeidigung rechtlicher Freyheit, dieſes Verbot fo weit zu treiben, daß 4. B. niemand einen oder mehrere Briefe ſelbſt tragen noch einem Freund, einem Reiſenden u. ſ. w. sur Beſtellung übergeben dürfte; denn die Poſten find ur⸗ ſprünglich zur Bequemlichkeit, nicht aber zur Beſchwerde oder zur Beſteurung bed Publikums erfunden worden. In der Regel verhält es ſich mit ihnen wie mit den Straßen und Brüken: wer ſie nicht braucht oder entbehren kann, der zahlt auch die Gebühren nicht. 27) Das beßte Nite tel das Poſtregale in Aufnahm zu bringen und durch keine Concurrenz benachtheiligen zu laſſen, beſteht darin, das Publikum fo wohl und billig zu bedienen, daß Briefe, Paketer und Perſonen auf keine andere Art ſchneller, ſiche⸗ ver und wohlfeiler fortgeſchaffet werden können. Das iſt auch wohl eingerichteten Poſten immer möglich, und auf dieſe Art würden ſie gewiß viel, ja noch mehr als jezt abwerfen. Dagegen ſͤnd allzuhohe, mit Zwang verbundene, Peſtge⸗ bühren nicht nur unbillig und einer drükenden Auflage gleich, ſondern unklug und dem Zwek der Regale ſelbſt zuwider. Weit entfernt ſeinen Ertrag zu vermehren, wird er oft dadurch beträchtlich vermindert. Denn nicht uur ſchreiben bie Leute alsdann unendlich weniger und

durch Kapyſerl. Inveſtitur. G. Patter Jus publ, Germ. L. VIII. cap. 3. de jure postaram.

27) ©. eben ©, 290, Note. 21 U, 32:

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alle nur immer entbehrliche Correſpondenz unterbleibt, ſondern es werden andere Wege zu Beſtellung der Pake—⸗ oter und Briefſchaften geſucht, und keine, ohnehin müh— ſaͤme und koſtbare, Aufſicht, keine Strafen und Bußen werden dieſes fe verhinderen können. Auch bôt man in mehreren neueren Staaten die geſteigerten Poſtgebühren wieder herabſezen müſſen, weil die Poſten dabey ungleich weniger als vorher abtrugen. 2e) Der Fiskalitäts-Geiſt beſtraft ſich ſelbſt, ſobald er cin gewiſſes Maas über⸗ ſchreitet, daher auch ein wiziger Schriftſteller geſagt hat, daß in Auflagen und dergleichen Sachen, zwey und zwey nicht immer viere machen. Dad Zurükhalten, Vera ſpäten der Briefe u. ſ. w. iſt allerdings unerlaubt, und ihr Aufbrechen eine noch größere Beleidigung des befte. henden Vertrags, ein Mißbrauch des Zutrauens der in gewöhnlichen Zeiten unleidlich, dem Ertrag des Regale febr ſchädlich, und dabey meiſtentheils unnüz iít.29) Höch⸗ ſtens kann es in Zeiten von äußerem Krieg oder innerer Empörung gerechtfertiget werden, um durch dieſes Mit⸗ tel, gleich wie durch andere General. Gnformation, g €. gén einzelne bereits verdächtige Menſchen, Indizien oder Beweiſe der Schuld zu erhalten, daher es auch in ſolchem Fall nie allgemein ſeyn kann. |

Dad Münz-Regale, oder die ausſchlieſſende Vabrí. kation der verſchiedenen Münzſorten, nebíť dem damit vera

38) ©. ven dem Ex⸗Koͤnigreich Weſtvbalen Goͤtt. Bel, Ani, © 1811. Sl, 200. it. auch Ludens Staatsweisheit. T. I. S. 344. ©

s9) ©. bierúóer febr verkándige Bemerkungen in Necťerý Bud > des Finances de la France T. IÍ, 495 500.

295.

bundenen billigen Gewinn, (den man an Privat-Ver—⸗ fonen für die nehmliche Arbeit auch bezahlen müßte) liegt ebenfalls ganz natürlich und zwekmäßig in den Händen ded. Fürſten, meil ben. Privat⸗Fabrikanten das Zutrauen nicht hinlänglich gegründet, der Reiz' des Betrugs oder der Verfälſchung zu groß, die Controlle zu mühſam und den meiſten Unterthanen unmöglich wäre, dem Fürſten aber wider ſeinen Willen nicht aufgebürdet werden kann, jede von Privat⸗Perſonen verfertigte Münze in Rükſicht ihrer Probhältigkeit unterſuchen zu laſſen. 59) Es iſt we⸗ der möglich noch klug, allzuviel auf der Münz⸗Fabri—⸗ kation gewinnen zu wollen, weil der Werth der Münzen nicht einſeitig durch ihre Benennung, ſondern in Handel und Wandel nach ihrem inneren Gehalt beſtimmt wird, auch der Fürſt ſelbſt die nemlichen Münzen wieder als vollgúltig. annehmen, hingegen aber feine Bedürfniſſe in. geſteigerten Preiſen bezahlen müßte. 3 Dieſes Regale, wenn man auch einen billigen Schlagſaz von 1 bis 2 p. Cto zugiebt, kann daher nie ſehr vortheilhaft wer⸗ den, als in fo fern der Silber- und Goldhandel damit verbunden iſt, und dieſe edlen Metalle aus eigenen Berg⸗ werken mit Vortheil erbeutet, oder durch kluge Speku⸗ lation und Berathung der Zeit⸗-Umſtände, in billigen Preiſen erkauft werden können. Dagegen iſt es freylich nicht zu rechtfertigen, wenn cín kúri, ber durch ſein

30) Das war auch der Grund warum Carl der Große befahl, daß die Muͤnzen nur an des Koͤnigshof ausgepraͤgt werden ſollten. Baluz |. 437. it. im Capit. von J. 508, S. Montag Geſch. dex d. Freybeit I. 295.

$1) Vergl. hierüber Necker des. Finances de la. France. T, M. P.. 1— 7. und beſonders Chap. VIL..

296 Der Minie atfacnrágteď Bild und Wappen fe den inte ren Gehalt derſelben Gewähr zu leiſten verſprochen bat, ſtatt deſſen das Zutrauen ſeiner Unterthanen mißbraucht, die Ehre ſeines guten Namens compromittirt, cin mindee res Gewicht für cin größeres ausgiebt, und ſchlechte Mün⸗ zen ausprägen läßt, deren Schrot und Korn mit der Be— nennung im Widerſpruche ſteht. Nirgends iſt freylich ber. Weg vom Gebrauche zum Mißbrauch fo kurz und ſchlüpfrig, und wie leicht wird man nicht dazu verführt, da der Unterſchied im Anfang oft unmerklich iſt. Aber eben deßwegen iſt es beſonders nöthig die geſunden Be— griffe ſtets zu erneueren, mit Nachdruk dem Verſtand ein⸗ zuprägen, und ſicherlich wären jene Mißbräuche weit weniger geſchehen, wenn man den Fürſten, die im Drang der Geſchäfte und Bedürfniſſe nicht alles wiſſen noch über alles nachdenken können, die Münz⸗-Fabrikation núť 11. ter dem einfältigen Geſichtspunkt ihres guten Namens Date | geſtellt, und Münz⸗Verfälſchungen nicht durch ſophiſtiſche Staats-Syſteme und ſogenannte Staatszweke zu ele nigen geſucht hátte.

Nebſt der Herabſezung des Münzfußes, wodurch man im Grund, unter Beybehaltung ded nemlichen Namens, geringeres Gewicht und Gehalt (Schrot und Korn) ſür ein größeres ausgiebt: beſteht ein ähnlicher noch größerer Mißbrauch in dem heut zu Tag in fo vielen Staaten übli⸗ chen ſogenannten Papier⸗Geld. Es mag zum Bewei⸗ fe dienen, wie die ſchönſten Erfindungen durch Unverſtand aAusarten, UND wie die meiſten Menſchen nur au Worten und nicht an der Sache hängen. Geld iſt was in der ganzen Welt als Zeichen oder Austauſchmittel ded Wertht der Dinge gilt, und dieſen Vortheil haben die edlen

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Metalle von Gold oder Silber, theils ihrer Seltenheit, theils ihrer Feſtigkeit und ihrer großen Theilbarkeit mé. gen. Eine Münze aber, fi mag nmun dieſe oder žene Benennung tragen, iſt nichts anders als ein geprägtes Stük Gold oder Silber, welches ein gewiſſes Gewicht des einen oder des andern enthalten ſoll. Nun aber 'iſt es freylich nicht nöthig, daß dieſes Geld immer materiell dargezählt oder dargewogen werde; das Wort, das Ver⸗ ſprechen, die Schuldſchrift eines ſoliden Zahlers gilt oft eben ſo viel, und kann übertragen werden, wie dieſes ja täglich unter allen Privat⸗Perſonen geſchieht. So lang alſo irgend ein Papier, wie z. B. ein Schuldſchein, ein Wechſelbrief oder bie Engliſchen Banknoten, und ur⸗ ſprünglich die Oeſtreichiſchen und Ruſſiſchen Banlkozettel, cine Aſſignation oder Anweiſung auf Geld, b. b. auf Gold oder Silber find, und gegey ſolches mit Leichtig⸗ keit oder gar jeden Augenblik umgeſezt werden können, mithin wirkliches Geld repräſentiren: ſo werden ſie auch dafür angenommen und eirkuliren im täglichen Verkehr, ohne daß ſie eben immer ausgewechſelt werden. In die. fem Fall iſt das eirculirende Papier, als Zeichen eines anderwärts deponirten Geldes, febr bequem und gemein⸗ nüzig, meil es leichter. als Gold oder Silber aufbewahrt und transportirt werden kann. Sobald aber einſt das Zeichen für die Sache, das Papier ſelbſt für das Geld angeſehen werden ſoll, und entweder gar nicht mehr, oder nur mit Verluſt gegen Gold und Silber umgeſezt werden kann: (wie dieß am Ende geſchieht wenn durch Mißbrauch des Zutrauens, die Billets oder Anweiſungen auf ſich ſelbſt zu ſehr vervielfältiget werden, und der Fürſt dieſe Schuldſcheine nicht mehr zu honoriren vermag) ſo iſt das Papiergeld kein Geld mehr, ſondern nur cin leeres Bas

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pier, das einem proteftirten Wechſel gleicht, odev einer Obligation die keinen zahlungsfähigen Schuldner mehr hat. Noch kann zwar, wie die Erfahrung lehrt, auch ein nicht eingewechſeltes Papier⸗Geld, aus Folge der Ge⸗ wohnheit, oder aus Hofnung künftiger Bezahlung, oder wegen dem im Verkehr mit dem Fürſten noch möglichen Gebrauch, eine zeitlang noch einigen Werth behalten, aber es ſinkt alle Tage mehr und fällt am Ende unver⸗ meidlich in Nichts zurük. Wird man nun gleichwohl. durch Geſeze gezwungen, ein ſolches Papier nicht nach ſeinem in Handel und Wandel habenden Curs, ſondern nach ſeiner Benennung oder dem ſogenannten Nominal⸗ Werth, für vollgültig an Bezahlung anzunehmen, ſo be⸗ wirkt ſolches die ſchreyendſten Ungerechtigkeiten. Wer geſtern noch ein gewiſſes Vermögen, oder an Zinſen und Beſoldungen ein ſchönes Auskommen hatte, der beſizt heute nicht bie Hälfte, und morgen gar nichts mehr; wer gu⸗ tes Geld angeliehen, Häuſer, Güter oder Fahrhabe vor einiger Zeit auf Termine verkauft hat, der erhält die Rükzahlung in einem leeren Papier, welches zwar den nemlichen Namen trägt, aber nichts mehr oder doch viel weniger werth iſt. Alle Brivať » Contracte werden un ſicher, niemand weiß mehr was er hat oder worauf er zählen kann, und lebt dabey in ewiger Beſorgniß. Allein ſowohl dieſes Papier⸗Geld als die Herabſezung des Münz⸗ fußes, welche in minderem Grad ein ähnlicher Mißbrauch des Zutrauens iſt, beſtraſt zulezt ſich ſelbſt, und ſchla⸗ gen am End allemal zum Schaden desjenigen aus, der dabey gewinnen wollte. Denn da der Fürſt in der Regel immer der reichſte in ſeinem Lande iſt, und mehr zu em⸗ pfangen als zu bezahlen bat, fo werden ihm ſeine Ein«— künfte auch in der ſchlechten Münze bezahlt die er für

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vollwichtig ausgiebt; ſeine Ausgaben aber kann ex nicht alle einſeitig beſtimmen, höchſtens kann er die Zinſe der Schulden und die Beſoldungen mit Papier⸗Geld im Nomi⸗ nal⸗Werth bezahlen, ja ſelbſt dieſe lezteren nicht einmal, weil man ibn unter tauſenderley Formen und Benennun⸗ gen um deren Erhöhung angehen wird. Der Werth aller übrigen Dinge, Arbeiten und Dienſtleiſtungen, wird von den Fremden ſowohl als von den Landes ⸗Einwohnern nad dem Verhältniß der Herabwürdigung der Münze ge⸗ ſteigert, mithin empfängt der Fürſt in der Realität ment» ger, und muß mehr oder wenigſtens eben ſo viel als vor⸗ her ausgeben. Dadurch wird das Gleichgewicht zwiſchen ſeinen Einnahmen und Ausgaben geſtört, und die Ber. legenheit nothwendig alle Tage größer, bis man wieder zu den wahren Grundſäzen zurükkehrt, das Papier⸗Geld abſchafft, und wenn man es nicht baar bezahlen kann, wenigſtens in zinsbare Schulden umwandelt. Des grö⸗ ßeren Nachtheils nur nicht zu erwähnen, daß dergleichen gewaltſame Operationen das Anſehen und den Credit des Fürſten außerordentlich erſchüttern, und gerade diejeni⸗ gen Claſſen welche in den Fürſten das größte Zutrauen geſezt haben, und ſeines Schuzes am meiſten bedürftig ſind, wie 4. B. bie Gläubiger, die Beamten, das Mili—⸗ tär u. ſ. w. am meiſten übervortheilen.

Das vierte gewöhnliche Regale ſind die Bergwerke, wohin man auch bie Befundbrunnen, Salzquel—⸗ Ten und unterirdiſchen Schäze zu rechnen pflegt. Genau betrachtet gehörten ſie eigentlich zu den Domainen', oder wie die Jagd und Fiſcherey zur ausſchlieſſenden Benu⸗ zung eines Theils der Domainen: indem es ſich allerdings präſumiren läßt, daß der urſprüngliche Grundherr bey

v

Ň

2.

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ber vertragsmäßigen Ueberlaſſung oder erblichen Hinlet« hung dieſer oder jener Grundſtüke, den Inhabern nur die nuzbare Oberfläche, nicht aber alle Schäze abgetreten habe, welche in der Folge unter der Erde entdekt und benuzt werden koönnen. Selbſt wenn dieſelben nicht aus⸗ drüklich wären vorbehalten worden (wie ſolches oft bey der Jagd geſchieht) würde daraus ein ſo großer Verluſt für ihn entſtehen, der nicht iu ſeiner Abſicht liegen konn⸗

re. Auf dieſem natürlichen Grund der urſprünglichen

Hinleihung, mag auch die Uebung beruhen, daß ber Lan⸗ desherr, ſelbſt von ſolchen Bergwerken die auf Private Grundſtüken entdekt und bebaut werden, wenigſtens Den Zehnden oder. ſonſt einen gewiſſen Canon bezieht. Man braucht aber nicht einmal jenes Prinzipium ſtreng anzu⸗ nehmen, um das Bergwerk⸗Regale zu rechtfertigen. Es läßt ſich freylich gang wohl denken, daß cin Privat ⸗Grund⸗ beſizer, zumal auf einem durchaus freyen Eigenthum, als erſter Entdeker und Beſiznehmer, einen Bergbau treiben,

und die herausgeförderten Metalle, edlen Steine und an⸗

dere Mineralien, als die rechtmäßige Frucht ſeiner Arbeit

betrachten und beſizen köͤnne. Daher ſieht man auch itj

allen Ländern beträchtliche Bergwerke jeder Art in den Händen von Privat⸗Perſonen liegen, und die gemeinen Mineralien oder Inſtammabilien wie z. B. Steinbrüche, Marmor, Schiefer, Erdpech, Torf, Steinkohlen u. ſ. w. werden von den Fürſten nicht einmal angeſprochen. So.

ward in Schweden der Bergbau im Jahr 1480 für ein

Regale erklärt, im Jahr 1723 aber wieder jedermann

freygegeben. 32) In Sibirien gehören 27 Eiſen-Berg⸗

32) ©. Ma rtens Europ. Staatsrecht. 68 U19. In Daͤnemark benuzen bie Grafen ebenfalls ungebindert bdie in ihren Graf. ſchaften entdelten Berqwerke. ibid. ©. 33. 54

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werke der Krone und 147 Privat⸗Perſonen. Rejtere, die auf ihren Gütern Netalle entdeken, bleiben Eigenthümer derſelben, entrichten aber davon den Zehnden und eine gewiſſe Quantität Kupfer gegen Bezahlung. 33) Es hat mit dieſem Regale die nemliche Bewandniß wie mit allen anderen. Die Bergwerke ſind nicht Fürſtlich oder König⸗ lich an und für ſich, ſondern nur wenn ſie es rechtmäßig geworden und dazu erklärt ſind. Wir wollen auch nicht behaupten, daß in dieſer Rükſicht gar keine Mißbräuche geſchehen, und daß nicht, aus aberglaubiſcher Verehrung der Romiſchen Geſeze, odber ang Nachahmung der Römi⸗ ſchen Imperatoren, wenigſtens die vornehmeren Berg⸗ werke von Edelſteingruben, Gold⸗ und Silber⸗Minen u. ſ. w. bisweilen von den Königen einſeitig an ſich ge⸗ zogen worden ſeyen ohne Rükſicht ob ſie zugleich Grund⸗ herren bed Ortes waren oder nicht. 34) Allein da es dem gemeinen Beßten daran gelegen iſt, daß die edlen Metalle und andere unterirdiſchen Schäze zu Tage gefördert wer⸗ den, der Bergbau aber große Vorſchüſſe erfordert und ſeine Ausbenute ſowohl unſicher als auch unregelmäßig iſt, mithin zu beſorgen märe, daß ex von dem Privat⸗Eigen⸗ thümer oder ſeinen Nachkommen bald wieder aufgegeben oder vernachläßiget werden dürfte: fo iſt es auch aus die⸗ ſem Grund erlaubt und gemeinnüzig, daß der Fürſt als der reichſte und bleibendſte im Land, dergleichen Bergwerke an ſich ziehe und in ſeinem Namen bearbeiten laſſe: nur erfordert die Billigkeit in ſolchem Fall den

33) Histoire de Catherine II. par Častéra. T. III. p. 281. 34) ©. bierúber Montag Geſch. ber d. ſtaatsbuͤrgerlichen Frey⸗

heit T. I. S 300 303. und Huͤll lma nn deutſche Sina Geſch ©, 6o ff.

2

Privat Eigentbúmer entweder fúr die gemachte Entdekung und Anzeige zu belohnen, oder wenn er den Bergbau bereits betricben bátte, fúr die vermendeten Koſten und den vermuthlichen Gewinn (das lucrum cessans) bitie reichend zu entſchädigen.

Was die andere Claſe von Regalien, nemlich den von dem Fürſten für gewiſſe Gegenſtände ſich vorbehaltenen Al⸗ leinhandel betrifft: (o wird z. B. das Salz gewöhn⸗ lich aus eigenen Bergwerken gezogen, und dieß mag auch die erſte Veranlaſſung zu dem in den meiſten Staaten üb⸗ lichen Regale ded ausſchlieſſenden Salz-Ver⸗ ſchleiſſes und Salzhandels geweſen ſeyn. Doch exiſtirt es auch nicht überall, und ſelbſt im alten Frank⸗ reich, wo man ſo ſehr gegen die ſogenannten gabelles, d. h. gegen den Königlichen Salzhandel und den theuren oder ungleichen Salzpreis eiferte, war dieſer Handel in vielen Provinzen ſrey, entweder weil ſie an dem Meere lagen, oder weil ſie ſich von dem Regale losgekauft hat⸗ ten, oder weil ſie, wie die neu erworbenen Provinzen, unter diefer Bedingung an die Krone gelanget und bey ihren alten Rechten geblieben waren. 35 Da indeſſen

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gleichbeit des Preiſes hat ihren ſehr guten Grund in der ver⸗ ſchiedenen Entfernung ber Gegenden, nad welchen das Calz von dem Ort ſeiner Erzeugung hingefuͤhrt werden muß. Es waͤre febr intereſſant geweſen, wenn Meder die hiſtoriſchen und rechtlichen Gruͤnde des Unterſchieds zwiſchen den provin- ces de grandes et petites gabelles, provinees franches etc, beftimmter angezeigt bátte. Allein auf dergleichen Unteríus chungen feste ex fejnen Wertb, ſondern betrachtete alles nur in finaneieller Hinſicht. Auch bat er ſchon die Idee zu der nachmals gewaltſam eingefuͤhrten Uniformitaͤt gegeben.

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bad Sal, obíchon cin unentbehrliches Lebens⸗Beduͤrfniß, menigfteng in den Binnenländern, nicht von? ben Unter⸗ tbanen felbít erzeugt oder gewonnen werden kann, da zu deſſen Erhaltung entweder eigene hinreichende Bergwerke nothwendig Ňnd, oder Verträge mit anderen Fürſten und Mächten geſchloſſen werden müſſen, die nur der Landes⸗ herr mit Sicherheit und Dauer zum Vortheil des Landes

abſchlieſſen kaun: fo ergiebt es ſich von ſelbſt, daß dieſer Gegenſtand am natürlichſten zu einem und zwar ſehr ein⸗ träglichen Regale für den Fürſten gecianet iſt.

Der Tabakhandel hingegen könnte zwar unbedenk⸗ lich in ben Händen der Privat⸗Perſonen liegen, zumal die Tabaks⸗Pflanze, wo immer der Boden dazu geeignet iſt, von jedermann gebaut oder verſchrieben, und der Ta⸗ bak ſelbſt zubereitet werden kann. Auch iſt dieſer Han⸗ del nur in wenigen Staaten zu einem Regale gemacht worden, und zwar in folchen die durch Schulden und be⸗ ſtändige Kriege zu allerley neuen fiskaliſchen Reſſourcen genöthiget wurden. 365. Allein billige Entſchädigung für die früheren Beſizer einer ſolchen Pflanzung oder Fabri⸗ kation abgerechnet, tritt hier der Fall ein, daß der Grund⸗ herr allerdings berechtiget iſt, dieſen Handel an ſich zu ziehen oder urſprünglich ſich allein vorzubehalten, ſobald er es ſeinem Intereſſe vortheilhaft findet: und die Unter⸗ thanen gewinnen ſogar mehr dabey, als wenn ſie den all⸗

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36) Jn Srantreich ward der Tabak zuerſt Me, 1629 mit einer Auflag oder einer blofen Cinfubrg+ Bebúbe belegt. | 1674 unter Lud⸗ wig XIV. ward ber Berfauf deffelben in den Hônden der Krone ausſchlieſſend gemacht, und um 500,000 Bf. verpachtet. 1780 trug er (bot 30 Millionen cí, ©. Necker Finances de France T. II. ©, 100.

304 - fälligen osa ber Einlünfte durch Steuren erſezen müßten.

Endlich iſt die Pulver- und Šalpetet - Fabri⸗ fation ſchon deßwegen natürlicher Weiſe zu einem Re⸗ gale geeignet meil es in mancher Rükſicht, ſelbſt der ge⸗ meinen Sicherheit wegen, gefährlich wäre, ſelbige der unbeſchraͤnkten Willkühr eines jeden zu überlaſſen. Hier haben alſo die Fürſten, nebſt dem perſönlichen Recht und der eigenen Convenienz, noch einen politiſchen Grund deſto mehr, dieſe Fabrikation zu einem Regale zu erklären, und ang dem Verkauf der Produlte den moglichſten Bora tbcil zu ziehen. Cine ähnliche Bewandniß bat es mit den Kanonengiefferenen) ben welchen obnebin felten cin Privatmann feinen Bortbeil finden würde, weil Kanonen nicht zum gemeinen Gebrauche dienen, und ſobald der Fürſt die ſeinigen ſelbſt fabriciren läßt, der Privat⸗Un⸗ ternehmer ſeine Waare gar nicht abſezen könnte.

Viele, ja die meiſten Fabrikationen und Handelszweige können frehylich niemals zu Regalien werden, und es iſt daher gar nicht zu befürchten, daß dieſe lezteren je zum Nachtheil der Privat-Gewerbe zu ſehr vervielfältiget wer⸗ den dürften. Bey manchen läßt es die Natur der Dinge nicht zu, mie 4. B. ben dem Verkauf aller frey wachſen⸗ den Lebensbedürfniſſe; andere wären mit ber Würde cie nes Fürſten nicht vereinbarlich, wie 4. B. die Krämerey mit Colonial⸗Produkten u. dal. > wieder andere mit gar kei⸗ nem Vortbeil fúr ihn verbunden , mie 3. B. gemeine Künſte u. ſ. w., meil er zu vieľe Leute dafür anſtellen müßte, deren Beaufſichtigung unmöglich wäre, und deren Beſoldungen allen Profit aufzehren würden. Die Gegenſtände der Des

205 galien müſſen ſchon etwas großes und edles an ſich

haben, was nur von wenigen, oder auch gar nicht von

Privat⸗Perſonen getrieben werden kann. Das iſt auch

der natürliche Grund, warum ſie ein Königliches oder

Fürſtliches Unternehmen heiſſen. Allein ohne dem Nah⸗ rungs⸗Erwerb der Unterthanen den geringſten Eintrag zu thun, lieſſen ſich diefe großen Induſtrial⸗Anſtalten noch ſehr erweitern, und die Oekonomie der Fürſten dürfte dadurch beſſer als durch ewige Auflagen und verderbliche Finanz⸗Operationen emporgehoben werden. Nicht zu ge⸗ denken, daß überall noch viele Waldungen beſſer be. ſorget und benuzt, viele Mor äſte ausgetroknet und da⸗ durch neue Domainen gewonnen werden könnten: wie viele Land-⸗- und Waſſerſtraßen ließen ſich nicht noch in den meiſten Ländern anlegen, wie viele noth⸗ wendige Brüken bauen, von welchen ein reichlicher Zoll gern bezahlt werden würde. Wie viele unterirdiſche

- Sdäôse liegen nicht noh in der Erde verborgen, wie

viele andere (MD nicht vernachläßiget, die, wenn ſie auf⸗ geſucht und bearbeitet würden, großen Gewinn geben und die Fürſten immer unabhängiger machen könnten. Aber auch neue gemeinnüzige Regalien laſſen ſich mehrere denken. Dahin gehören z. B. die Leih- und Wechſelbanken, wozu das in den Caſſen ſtagnirende Geld mit Nuzen ver⸗ wendet werden könnte, 37? die aber freylich in Monarchien ſelten gelingen, weil hier die Sicherheit einer ſo großen Maſſe zuſammengeſchoßnen Privat⸗Eigenthums von dem Willen eines Einzigen abhängt, und bey den oft eintre⸗

SO EEV, O SEE NO EEA EO

37) Neber bie oͤffentlichen Bank⸗Anſtalten und das damit vera bundene fogenannte Papier-Geld ſ. febr gute u. ungemein klare Wetradtungén in Nesker des Finances de la Franee - T. 11, Ch, 26. ©

2wephter. Rand, n

6.

306 M

tenden auſſerordentlichen Geldbedürfniſſen, der Key 3

groß wird, das urſprüngliche unbedingte Zutrauen mit Uebermaas zu benuzen, die Hypothek anzugreifen, oder die Maſſe ber cireulirenden Schuldſcheine über alle Nas türlichen Schranken zu vervielfältigen, alſo daß ſie zu⸗ lezt nicht mehr bezahlt werden können und in ein leeres Papier⸗Geld ausarten. Aber unter einem gewiſſenhaften Fürſten, der dabey von keinen großen Bedürfniſſen ge⸗ drängt wäre, würden ſie allerdings ſehr vortheilhaft ſeyn. Dahin gehörten ferner die ausſchlieſſende Verfertigung von allerley Maaſſen und Gewichten, welche mit der Münz⸗Fabrikation eine weſentliche Aehnlichkeit bat, doch aber in der Ausführung vielleicht zu ſchwierig ſeyn dürfte; mk auch bie Brand⸗, Biehb. und Hagel—⸗ Aſſecuranz-Anſtalten und andere dergleichen Unter⸗ nehmungen, die gewiß ſehr einträglich werden könnten, auch das Band zwiſchen Fürſt und Volf immer feſter knüpfen würden, deren Gelingung aber freylich bereits eine gute Wirthſchaft, hinlängliche Vorſchüſſe und ein ungeſchwächtes Zutrauen vorausſezen. |

Endlich iſt hier noch die wichtige Bemerkung 41 mas chen, daß die Regalien keineswegs als indi— rekte Steuern betrachtet werden können, ſon⸗ dern daß ihr Produkt cin eigenthtimliches rechtmäßiges. Einkommen der Fürſten iſt. Denn alles wofür der Un. terthan einen wirklichen Gegenwerth oder einen Dienſt erhält, den er freywillig anſpricht, und den er, wenn der Fürſt ibn nicht leiſtete, an Privat⸗VPerſonen eben ſo gut ja vielleicht noch theurer bezahlen müßte, wie z. B. Die Benuzung von Straßen und Brüken bey ben Zoͤllen/ der Trauzport von Briefen und Effekten bey der

X

Poſt, das Sal, das Sdiehpuľver u. f. w. (ft (dd ſchlechterdings nicht zu einer Steuer oder Auflag aualie ſiciren, ſondern iſt cin Kauf mie jeder andere. Wollte man bie Sophiſterey annehmen, daß die Regalien tn direkte Steuern ſeyen, weil die Unterthanen dadurch in einem Erwerb, der ihnen ſonſt zukäme, gehindert wer⸗ den: ſo könnte man umgekehrt, mit eben ſo viel ja noch weit mehrerem Necht behaupten, daß jeder Indüſtriezweig, den der Fürſt, d. h. der unabhängige Grundherr ſeinen

Unterthanen auf ſeinem Gebiete zuläßt, eine indirekte

Schenkung an die lezteren ſey, weil wenn er jenes Gewerb an ſich zöge, er auch mehrere Einkünfte haben würde. Daß aber jene erſtere Behauptung gleichwohl bey den meiſten neueren Staatslehrern herrſchend iſt, fließt abermal aus den falſchen Grundbegriffen von dem Ur⸗ ſprung und dem Weſen eines Staats, nach welchen ein Fürſt, obgleich der erſte und älteſte, auch einzig unab⸗ hängige in ſeinem Land, gleichſam nur ein Gedanken⸗ weſen ſeyn, und alles und jedes nur von ſeinen Únie terthanen erhalten haben ſoll. Die Lehre, daß die Des galien indirekte Steuern ſeyen, iſt derjenigen ganz ähn⸗ lich, nach welcher die Domainen auch National⸗Güter genennt werden, und hat nebenher zur Folge wo nicht zur Abſicht, die Fürſten in jeder Rükſicht herabzuwürdi⸗ gen und gehäſſig zu machen, indem ſie ihnen ihr heilig⸗ ſtes Eigenthum abſpricht, und ſelbſt ihre unabhängigſten Einkünfte nur als eine Gnade, oder als eine von ihren Unterthanen genieſſende Penſion darzuſtellen ſucht.

Außer den Regalien, d. b. den ausſchlieſſenden

Soduftrial - Unternehmungen, giebt cd aber noch cine Menge nicht ausſchlieſſender Fürſtlicher Manufal⸗

308

turen, Fabriken und anderer Anſtalten, wodurch bie Für⸗ ſten theils weſentliche Bedürfniſſe ſelbſt erzeugen laſſen, mittelſt deſſen ihre Einkünfte rechtmäßig vermehren, oder doch ihre Ausgaben vermindern, und was die Hauptſache iſt, von fremder Hülſe unabhängiger werden können. Dahin kann man erſtlich ſchon die Twing⸗ und andere Mühlen, bie Brauereyen, Glas⸗-Fabriken, Stutereyen u. ſ. w. rechnen, welche ſie gleich anderen Grundherren auf ihren Domainen beſizen, um die Pro⸗ dukte derſelben deſto beſſer zu benuzen. Dahin gehören ferner die Fürſtlichen Spiegel⸗,, Porzellan⸗, Ta— peten U. a. dal. Manufakturen, die zwar meiſten⸗ theils nicht des Gewinns, ſondern der Pracht oder ded eigenen Genuſſes wegen angelegt werden, die aber auch in ökonomiſcher Hinſicht vortheilhaft ſeyn können, und immerhin dem Lande nüzlich ſind', meil ſie vielen Men⸗ ſchen Verdienſt verſchaffen, bie ſchönen Künſte beleben, und übrigens dergleichen Manufakturen fo große Gapie talien und Vorſchüſſe erfordern, daß ſie gewöhnlicher Weiſe von Privat⸗Perſonen gar nicht errichtet, vielwe⸗ niger in die Länge behauptet werden könnten. Hieher gehören ferner die eigenen Fürſtlichen Tuch⸗Manu—⸗ fakturen, z. B. zut Bekleidung großer Armeen, Stein⸗ brüche und Ziegelbrennereyen zur beſſeren und wohlfeileren Erhaltung der zahlreichen Fürſtlichen Ge⸗ bäude, allerley Waffen⸗Fabriken um die Waffen nicht von anderen kaufen zu müſſen, und ſtets eines hin⸗ reichenden Vorraths verßchert su ſeyn; eigene Buch⸗ drukereyen, ſeitdem dieſelben ein fo unentbehrliches Mittel zur Bekanntmachung der Geſeze und Befehle ge⸗ worden find: eigene Apotheken, um z. B. ſich und ſeinen Hof oder auch ganze Armeen mit beſſeren und

30% wohlfeileren Arzneyen zu verſehen u. ſ. w. Daf cik Fürſt zu dergleichen und ähnlichen Anſtalten nicht berech⸗— tiget ſey, ie man es unter dem Vorwand hat bezwei⸗ feln wollen, daß ſie gleichartigen bürgerlichen Gewerben nachtheilig waͤren: if eine Lehre bie allen geſunden Be. griffen von Gerechtigkeit widerſpricht, und eben ſo viel heißt, als den Fürſten zum Sclaven ſeiner Diener mas chen, und zu behanpten, daß der Herr des Hauſes und des Landes weniger Rechte als der geringſte ſeiner Un⸗ terthanen haben ſolle. Nach ſolchen Grundſäzen müßte auch kein Gutsbeſizer mehr ſein Korn und Heu durch ei⸗ gene Pferderund Wagen einführen dürfen, meil es Fuhr⸗ leute im Lande giebt, oder kein Brod mehr baken, weil ſolches dem Gewerb ber Bäker nachtheilig ſey. Ob aber dergleichen Anſtalten den Fürſten in ökonomiſcher Rükſicht vortheilhaft oder nachtheilig ſeyen, das iſt allein an ihnen zu beurtheilen; es hängt von beſonderen Umſtänden, vor einer mehr oder weniger koſtſpieligen Adminiſtration ab, uno es läßt ſich darüber im. Allgemeinen nichts entſchei⸗ den. Indeſſen iſt die bloße Oekonomie auch nicht immer die. einzige Rukſicht; bie ber Sicherheit und eines höhe⸗ ren Grades von Freyheit, verdient wenigſtens eben fo viel Beherziaung.: und jene Anſtalten ſind daher den Fürſten faſt immer zu empfehlen, wäre es auch nur um in den weſentlichſten Hauptbedürfniſſen deſto unabbangiger mithin beda, mehr Fürſten zu ſeyn.

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Sechs und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. 10" Taxen und Sporteln.

1. Natur und Entſtehungsart derſelben. II. Ihbre Rechtmaͤßigkeit und Billigkeit umer gewiſſen Schranken.

„> IL Ihre Vortbeile ſowohl fuͤr die Parteyen, alé fuͤr die Beam⸗

„ten, und fuͤr den Fuͤrſten ſelbſt. IV. In ber Regel ſollen ſie den Beamten alg eine Belobnunt ib rer außerordentlichen Arbeit zukommen.

Außer den Domainen und Regalien, deren moglichſt gute Benuzung und Erweiterung den weſentlichſten Theil cie nev guten Finanz⸗-Verwaltung ausmacht, und mit deren Ertrag die Fürſten ehmals bey geringerer Truppenzahl und bey der Abweſenheit drükender Schulden, reichlich auslangten, iſt ferner der Landesherr auch berechtiget, für bdie von ſeinen Beamten, den Unterthanen in ihren Privat⸗Angelegenheiten, geleiſteten Dienſte, ge⸗ wiſſe mäßige Taxen, Sporteln und Emolumente aufzule⸗ gen. Denn da z. B. (wie ſeiner Zeit erwieſen worden) die Canzley- und Oekonomie⸗Beamte weſentlich nur für den Dienſt ded Fürſten, d. b. nur für ſeine Geſchäfte be. ſtimmt find: (o find ſie von Rechtenswegen nicht ſchuldig andere beträchtliche Neben⸗Arbeiten und Privat⸗Ge⸗ ſchäfte unentgeldlich zu beſorgen: und da der Fürſt ſelbſt dergleichen Hülfleiſtungen, Gunſtbezeugungen u. ſ. w. ge⸗ ſtatten oder verweigern kann, ſo muß er auch befugt ſeyn, auf dieſelben einen gewiſſen Preis, eine pekuniariſche Ge⸗ genbedingung zu ſezen, wäre es auch nur um ſich oder

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Kene Beamte für die damit gehabte außerordentliche Mühe und Koſten zu entſchädigen.

Dieſes Befugniſſes ungeachtet, mögen zwar urſprüng⸗ lich keine dergleichen Taxen und Sporteln oder wenig⸗ ſtens, gleich den Privat⸗ Verehrungen und Erkenntlich⸗ keiten, nicht geſezlich beſtanden haben, indem es ſich für einen Fürſten nicht geziemt, ſich ſelbſt für die ſeinen Un⸗ terthanen erwieſenen Gefälligkeiten bezahlen zu laſſen: und von dem was etwa ſeinen Dienern freywillig gegeben wurde, mochte er, ſo lang es in den Schranken der Be⸗ ſcheidenheit blieb, wohl keine Notiz nehmen. 1) Allein ben der Vervielfältigung ſolcher Geſchäfte, ſind ſie md. und nach theils zur Verhinderung größerer Mißbräuche, z. B. des Hülfabſchlags, der Juſtiz-Verweigerung oder un erlaubter Beſtechungen, übertriebener Forderungen u. ſ. w, theils zur Entſchädigung für die Unkoſten der Kanzleyen, zheils zur billigen Ermunterung und Belohnung der Ar⸗ beit der Beamten eingeführt, oder vielmehr zugelaſſen und auf cin gewiſſes Maximum feſtgeſezt worden, wodurch dann bie freywilligen Sporteln zu beſtimmten Tapen eder Gebühren werden. Warum ſollte z. B. der ver⸗ mögliche Miſſethäter, oder der muthwillige boshafte Zän⸗ ker und Prozeßmacher, nicht die Koſten des Prozeſſes be⸗ zahlen müſſen, welches er allein verurſachet hat, warum nicht von bemittelten Pupillen für die Ernennung und Inſtruirung ihrer Vormünder oder für die Ausfertigung,

A) Das Wort Sportel if aus dem Patent Sportula entlehut, welches eigentlich einen kleinen Korb, hernach aber auch Er⸗ friſchungen und Speiſewaaren bedeutete, worin dann auch wobl die aͤlteſte Art der gerichtlichen Gebuͤhren beſtand.

$12

Unterſuchung und Butheiffung ber Rechnungen, gewiſſe mäßige Gebühren gefordert werden können? Warum dbúrfa ten nicht für mancherley unbeſtrittene, blos der ſuchen⸗ den Partey vortheilhafte Gerichtshandlungen, Bewilli⸗ gungen, Vefehle, Beſtätigungen, Einſchreibung und Nas tiſikation ven allerley Verträgen, oder in den Canzleyen für bie fo vielfältigen Privat-Geſchäfte, Onaden. Bera leihungen, Privilegien, Batente, Paßporte u. ſ. w., de⸗ ren Ausfertigung immerhin Mühe, Arbeit und Unkoſten veranlaſſet, gewiſſe mäßige Taren, Schreibgebüh ren und Emolumente gefordert werden? Was k billiger als daß derjenige die Arbeit bezahle, der ſie ver⸗ anlaſſet hat, oder dem durch dieſelbe ein Dienſt und Vor⸗ theil erwieſen wird? Warum follten andere Leute ſich nur mit ihm abgeben, für ibn alle ihre Zeit aufopfern; andere Geſchäfte vernachläßigen, oder gar die Koſten er⸗ tragen? Mit welchem Recht könnte man dem Fürſten, der durch jene Hülfleiſtungen und Gunſtbezeugungen Dee reits eine moraliſche Pflicht erfüllt und Wohlthaten ewe weiſt, noch die Beſtreitung aller damit verbundenen, im Ganzen genommen ſehr beträchtlichen, für jeden Impe— tranten aber geringen Auslagen, einfeitig aufbürden, oder wie unbillig wäre es nicht dafür andere Unterthanen mit Steuren zu belegen, welche von jenen Vortheilen nichts genoſſen haben? Uebrigens exiſtiren ja dergleichen Kate und Sporteln im kleinen auch in allen Private Verhältniſſen; denn ſie beſtehen in nichts anderem als in der. allgemeinen und natürlichen Uebung, jede nicht abſolut ſchuldige Dienſtleiſtung, jede erhaltene Gefälligkeit, für welche zwar keine Bezahlung gefordert wird, doch mit einem kleinen Geſchenk, einer Gegen⸗Verehrung zu cb. piedern, und dadurch theils ſeine Dankbarleit zu bezeu⸗

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gen, theils den Dienficiftcy für ſeine gehabte Múbe zu entſchädigen. 2):

So ſehr man daher in neueren Zeiten, unter dem Vorwand, daß der Staat alles unentgeldlich thun ſolle, gegen dieſe ſonſt überall üblichen Gerichts⸗ und Canzley⸗ Taren deklamirt, aber bald darauf noch viel größere und beſchwerlichere eingeführt bat: fo ſind fe doh im Grunde nicht nur gerecht, fondern wenn ſie mäßig feſt⸗ gefezt, von Unvermöglichen gar nicht, und von minder Vermöglichen nicht mit unerbittlicher Strenge eingefor⸗ dert werden, (o kann matt ſogar ihre mannigfaltigen Bot. theile nicht verkennen. Vorerſt beſteht dabey kein Zwang, ſie find eine freywillige Retribution für einen geleiſteten oder zu leiſtenden Dienſt, und wer dieſen lezteren nicht verlangt oder nicht nöthig hat, der braucht auch die Sage nicht zu bezahlen; ſie ſind billig, indem ſie die Laſt nur auf diejenigen wälzen, welche dafür den geſuchten Vortheil erhalten; auch werden ſie von den Parteyen gerne bezahlt in dem Augenblik wo ſie etwas zu erhalten wünſchen, und man hört nicht, daß die Unterthanen dar⸗ über Klage führen, wenn nur ihre Geſchäfte befórdert werden. Außerdem ſpornen ſie den Fleiß der, eigentlich nur für den Dienſt des Fürſten beſtimmten, Beamten, ermuntern ſie bey dem Zuwachs mühſamer oder zahlrei⸗ cher Geſchäfte, welche ſonſt bey gleicher Beſoldung un⸗ erträglich läſtig werden müßten; ſie belohnen die mehrere Arbeit des einen oder des anderen auf die natürlichſte Weiſe, und machen ihnen dadurch ihren Beruf und die

2) 8. ©. die Stolgebuͤhren der Prediger, Sporteln und Honora⸗ rien fuͤr allerley Beamte in Privat-Anſtalten und Privat Haͤuſern, Trinkgelder fúr Bediente u. (. w.

- <.

814

Erfüllung ihrer Pflichten angenehm, wovon ber VWortbciť für daš, Publikum noch viel größer als für die Beamten ſelbſt iſt. Sie hinderen ferner, wo nicht ganz doch gro⸗ ßentheils ſchändliche Beſtechungen, verführeriſche Ge⸗

ſchenks⸗Anerbietungen u. ſ. w.; denn ſobald irgend jemand

etwas rechtmäßig mit gutem Gewiſſen beziehen kann, ſo wird er ſchon viel weniger verſucht etwas unrechtmäßiges

zu fordern, und man wird cd ihm auch weit ſeltener an⸗

bieten. Heroiſche Tugend, beſtändige Aufopferung und Hingebung ohne Gegenſeitigkeit, iſt nicht allgemein zu for⸗ veren, nicht jedermann möglich, ja nicht einmal billig, und nur in außerordentlichen Fällen nöthig. Redlichkeit, Dienſtwilligkeit bey deren man beſtehen kann, iſt die ge⸗ wöhnliche Regel, und max muß ſie nicht immer auf die ſtreugſte Probe ſezen. Deßwegen find auch mäßige Taxen und Sporteln eben ſo ſehr den Unterthanen oder den hülfsbedürftigen Vartenen ſelbſt vortheilhaft, in⸗ dem ſie die Beförderung ihrer Geſchäfte begünſtigen und beſchleunigen, ba ſie fonfť ganz gewiß von trägen oder mürriſchen Beamten ſehr oft unfreundlich würden zurük⸗ gewieſen oder vernachläßiget werden. Die Idee der blo⸗ ſen Pflicht iſt nicht bey allen Menſchen ſtark genug, im. Allgemeinen bat ſie immer nöthig durch irgend ein bit.

zukommendes Jutereſſe gehoben, unterſtüzt, belohnt zu

werden. Die Natur geht uns hierin mit ihrem Beyſpiele

vor, von welchem Man nie ungeſtraft abweicht. Endlich

haben die geſezlichen Taxen und Sporteln auch den gro⸗ ßen Vortheil für den Fürſten ſelbſt, daß beſchwer⸗ liche Aemter auch vor fähigen und thätigen Männern ge⸗ ſucht und mit Freuden verwaltet werden, wie auch daß er dadurch der Nothwendigkeit überhoben wird, bey veľa. mehrten Privat⸗Geſchäften, durch welche ſein eigener

315 Dienſt nidhtý gewinnt, ſondern oft vieľmebe leidet, be. ſtändig Beſoldungen erhöhen oder außerordentliche Beloh⸗ nungen ertheilen zu müſſen. | Es tat daber cin grofer politiſcher Fehler von ver⸗ ſchiedenen Fürſten neuerer Zeit, daß fie, durch falſche Principien irregeleitet, dieſe geſezlichen Taxen und Spor⸗ teln abſchafften, oder als wären ſie eigentliche Auflagen, dieſelben an ſich zogen, und alle Beamte nemlicher Art, ohne Rükſicht auf die außerordentliche Verſchiedenheit der Geſchäfte, ihren Zuwachs oder ihre Verminderung, auf die nemliche Beſoldung ſezten. Solch arithmetiſche Gleich⸗ heit bey ungleichen Verhältniſſen, iſt nicht nur unbillig und unnüz, ſondern ſeit dieſer Zeit bemerkt man überall eine gewiſſe Abneigung gegen jede außerordentliche Ar⸗ beit, cine Tendenz ſich alles bequem zu machen, und je⸗ des Geſuch der hülfsbedürftigen Unterthanen als läſtige Zudringlichkeit möglichſt von fh abzulehnen. Anbey iſt es der Würde des Fürſten nicht angemeſſen und ſtellt ihn in einem niedrigen Lichte dar, dergleichen Sporteln und Gebühren als eine Quelle von Einkünften zu betrachten, und fh daher dieſelben verrechnen zu laſſen, wäre es auch um daraus cine Beſoldungs⸗, Penſions⸗Caſſe u. ſ. w. zu bilden, welches gewöhnlicher Weiſe nicht der Fall iſt. Denn ſobald die Sporteln dem Landesherren zukommen, welches nebenher weitläufige, koſtbare und mühſame Rech⸗ nungen erfordert, ſo fällt all ihr Nuze weg. Sollen ſie in der That die angezeigten Vortheile haben, Mißbräu⸗ chen zuvorkommen, die Arbeitſamkeit ermuntern, den meh⸗ reren Fleiß belohnen, und den Parteyen ſelbſt einen freund⸗ lichen Empfang odber willfährige Hüfleiſtung zuſichern: fo müſſen fe ihrer Natur und Entſtehung nad den betref⸗

816

fenden Beamten als cine Accidenz odev als eine Remum⸗ neration ihrer außerordentlichen Arbeit überlaſſen wer⸗ den. Der Fürſt ſelbſt findet dabey immer noch ſeinen Nuzen, indem die Beamten alsdann ihren Dienſt freudig erfüllen, mit geringeren Beſoldungen zufrieden ſind, und keine Erhöhung derſelben verlangen werden.

Endlich iſt es freylich wahr, daß auch die billigſten Taxen und Gebühren in einen Mißbrauch ausarten oder, zu ſolchem Anlaß geben können. Die Abſicht Einkünfte zu ziehen, Sporteln zu erheben, kann am Ende zum Be. wegungs⸗Grund der Gnaden⸗-Ertheilungen oder Begün⸗ ſtigungen, der Dienſt für die Tare ſtatt die Taxe für den Dienſt geleiſtet werden. Allein theils wird dieſes nicht (o leicht geſchehen, wenn bie Taxen nicht demjenigen zu⸗ kommen, der bie Gnade oder Begünſtigung ertheilt, ſon⸗ dern nur dem der damit Mühe und Arbeit hat; theils werden auch keine Geſeze und Einrichtungen je die Recht⸗ ſchaffenheit entbehrlich machen, oder möglichen Mißbrauch der beßten Dinge hindern köͤnnen. Wenn es daher ge ſchehen kann, daß Sporteln und Gebühren von einzel⸗ nen Bramten als die Hauptſache betrachtet werden und ihnen der Endzwek untergeordnet wird: ſo iſt auf der anderen Seite auch zu befürchten, daß ben der Aufhe⸗ bung aller Sporteln, entweder unerlaubte Beſtechungen und“ Geſchenks⸗Annahmen an Plaz treten, oder bie Bea ſchäfte und Angelegenheiten ber Unterthanen aus Träg⸗ heit und Bequemlichkeit vernachläßiget oder verzögert wer⸗ den, und blos um läſtige Arbeit zu vermeiden, bad Vera dienſt mit dem Unverdienſt, das gerechte Geſuch mit dem ungerechten abgewieſen werde, wodurch dann dem gemela nen Beßten ungleich mehr geſchadet wird.

-

VI.

VII.

817.

Sieben und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung. | 11“ Von Steven und Auflagen.

Gin Fuͤrſt iſt natuͤrlicher Weiſe nicht befugt feinen Untertha⸗ nen einſeitig Steuren aufzulegen. Contributionen auf uͤber⸗ wundene Feinde, und Steuren auf Leibeigene beruhen auf einem ganz anderen Grund. Der Landesherr ſoll in der Re⸗ gel aus eigenem Vermoͤgen leben.

Beweis dieſes Sazes aus der Natur Der Sache und der gan⸗

zeu Geſchichte. . Steuten oder Beyhuͤlfen muͤſſen angeſucht und freywillig zu⸗

geſtanden werden. Aberm alige Beſtaͤtigung dieſes Sazes aus der allgemeinen Erfahrung.

. Die Unterſtuͤzung der Fuͤrſten von Seite ihrer Voͤlker, beruht

aber auf moraliſcher Pflicht und auf eigenem Intereſſe.

Die Steuren muͤſſen von den Freyeren des Landes verlangt werden, d. b. von denjenigen, die mit dem Fuͤrſten in direk⸗ ter, unmittelbarer Verbindung ſtehen. Daberíge natuͤrliche Compoſition der Landſtaͤnde. Eie repraͤſentiren nur ſich ſelbſt und nicht das uͤbrige Volk.

Das Eigenthum und die Verwendung der Steuren geboͤrt dem Fuͤrſten, wofern bey ihrer Verwilligung nichts anderes vorbebalten worden iſt.

Einzelne ſpater hinzugekommene Unterthanen find ben fruͤher eingefuͤhrten Steuren unterworfen, nicht aber ganz neu er⸗ worbene Provinzen oder Gemeinden.

VIII. Gegenſtaͤnde der Steuren und Auflagen:

Sie koͤnnen unendlich mannigfaltig ſeyn. Eine vollkommene proportionelle Gleichheit zu erzielen if abfolut unmoͤglich.

318

Alle Auflagen haben fóre Ineonveniente. Die minder fuͤhl⸗ baren, oder bie freywilligen, und diejenigen die ſich den frey⸗ willigen am meiſten naͤheren, find bie beßten.

Wenn aber Domainen, Regalien ꝛc. zur Beſtreitung der. ordentlichen oder außerordentlichen Bedürfniſſe nicht hin⸗ reichen: iſt cin Fürſt berechtiget ſeinen Unterthanen cine ſeitig Steuren aufzulegen, von ihnen direkte Beyträge zu forderen, oder müſſen ſie geſucht und bewilliget wer⸗ den? Sn lezterem Falle, von wem? Beruht aber die Unterſtüzung der Fürſten, in wichtigen Fällen, nicht auf moraliſcher Pflicht und auf dem Jutereſſe der Voͤlker ſelbſt? Wem gehört das Eigenthum oder das Diſpoſitions-Recht der einmal bewilligten Steuren? Sind ſpäter hinzuge⸗ kommene Unterthanen oder neu erworbne Provinzen und Gemeinheiten ſchuldig, ſich den früher eingeführten Steu⸗ ren zu unterwerfen? Auf was für Gegenſtände können endlich die Steuren oder Auflagen gelegt werden, und welche find die zwekmäßigſten? Das ſind die Haupt⸗ Fragen, welche wir bey dieſem wichtigen, in unſeren Zeiten mehr als je beſprochenen Gegenſtand, nach Ver⸗ nunft, Erfahrung und Autorität zu beantworten unter nehmen.

Vermöge der Natur der Sache, oder dem wahren na türlichen Geſez, kann das Recht ſeinen Unterthanen bi. rekte Steuren aufzulegen, gleichſam über ihr Eigenthum zu diſponiren, einem Fürſten, als unabhängigen Grund⸗ herren, unmöglich zukommen. Denn aug ſeiner perſon⸗ lichen Unabhängigkeit, oder vollkommenen Freyheit, fließt kein Recht auf das erworbne Eigenthum der Untergebe⸗ nen, fo wenig als irgend sin Privat⸗ oder Gutsherr

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" #ber Das was feinen Leuten und Dienern gehört, cite

ſeitig befehlen kann. Anders ſcheint es freylich ſich mit einem Eroberer zu verhalten, der in gerechtem Krieg ent⸗ weder als Strafe zu ſeiner Sicherheit und Selbſterhal⸗ tung, oder als Bedingung des Friedens und Loskauf von größeren Uebeln, den Nebermundenen vorübergehende oder jährliche Tribute auflegt, well nad dem ſtrengen Recht, von deſſen Fundament, Ausdehnung und billigen Schranken wir anderswo näher reden werden, eigentlich alles dem Sieger gehört, und was er den geweſenen Fein⸗ den übrig läßt, als cine Wohlthat zu betrachten iſt, folg⸗ lich er ſtets weniger verlangt als was er zu fordern be⸗ rechtiget máte. Oft entſpringt dieſe Steuerpflicht noch in Folge eines förmlichen Vertrags, der ihre Schranken beſtimmt, wo dann noch weniger dagegen einzuwenden iſt. "> Ein ähnliches ſcheinbares Beſteurungs⸗Recht, wel⸗ ches aber ebenfalls durch die Menſchlichkeit gemildert wer⸗ den ſoll, und im Grund die wahre Regel eher beſtätiget als widerlegt, läßt ſich auch gegen vollkommene Knechte oder Leibeigene, b. b. gegen ſolche Mens

ſchen denken, die durch Kriegsgefangenſchaft, Vergehun⸗

gen, Schulden, oder äußerſtes Elend, in die Gewalt ei⸗ nes Gutsherren gekommen ſind, der ihnen ein Stük Lands zur Benuzung und zu ihrem Unterhalt anweist, ihnen Häuſer baut, Vieh, Hausrath und Werkzenge giebt, und ſich dafür von ihnen unbeſtimmte Arbeit oder Dienſte (operas indefinitas) ausbedingt, welche jedoch nicht nach Strenge, ſondern nur mit Mäßigung gefordert werden.

1) Hier allein kann man bie Steuren oder Contributionen emta pacis pretium nennen, wie Hobbes de cive XIII. 10. und

Pufendorf L. VIII. e, 5. $. z. fie deſinirt haben.

$2)

In dieſem Verhältniß gebôrť mitbin alles dem Herrn; der vollkommene Knecht beſizt nichts eigenes, was er nebſt ſeinem oder ſeiner Familie Unterhalt erübrigen kann, und ihm von dem Grundherrn gelaſſen wird, iſt blos als eine Wohlthat zu betrachten. Wenn alſo der leztere, im Fall der Noth, ſeinen Leibeigenen Steuren „oder Abgaben, es ſey in Geld odber Naturalien, auflegt: ſe kann man, genau zu reden, nicht ſagen, daß et die ſelben von dem ihrigen fordere, fondern er nimmt nur einen Theil des ſeinigen zurük; er ſteigert den Zins von ſeinem geliehenen oder zur Benuzung übergebenen Gut, und wäre nach ſtrengem Recht noch viel mehr zu fordern befugt. Auf dieſem Grunde der Leibeigenſchaft beruht auch das unbeſchränkte ſogenannte Beſteurungs⸗ Recht, welches ehmals den Fürſten auf ihre Dominial⸗ Unterthanen zukam, und noch heut zu Tag in manchen Ländern, den Privat⸗Grundherren gegen ihre Leibeigenen unbeſtrittener Weiſe zukömmt. Indeſſen haben beyde Ver⸗ hältniſſe, wenn auch nicht in ihrem Urſprung und We⸗ ſen, doch in ihrer ſtrengen Ausübung und beſonders in ihrer Fortdauer, allerdings etwas hartes. Die Ueberwun⸗ denen, wenn ſie Unterthanen bleiben, ſollen nach und nach als Freunde behandelt, mithin die urſprünglich aufgeleg⸗ ten oder verſprochenen Steuren nicht erhöhet werden: und ſelbſt bey der Leibeigenſchaft, die an und für ſich nichts weniger als einſeitig iſt, geben die unbeſtimmten Perſo⸗ nal⸗ und Realdienſte nicht nur zu vielen Mißbräuchen Anlaß, ſondern zerſtören allen Fleiß, allen Reiz zur Ar⸗ belt und Oekonomie, daher auch dieſes Verhältniß, bes ſonders durch cine Folge der ehriſtlichen Religion, nad) und nach überall gemildert wurde, und wenigſtens die unbeſtimmten Dienſte in beſtimmte Schuldigkeiten depe wandelt worden ſind, |

94 Allein der natürliche Patrimonial⸗Fürſt, wie ce tm Allgemeinen exiſtirt und hier vorausgeſezt wird, kann ſeine tým durch freywillige Verhältniſſe dienſtbar und búria ge. wordenen Unterthanen, weder als Ueberwundene noch als Leibeigene betrachten, eben (o wenig al bad Haupt cie nes militäriſchen Gefolges ſeine freymillig angeworbnen Soldaten, d. h. ſeine Gehülfen und Freunde, gleich den beßieegten Feinden behandeln darf. Der Fürſt iſt zwar voll⸗ kommener Herr über ſeine eigene Sache, er hat über alle ihm natürlich ſchuldigen, oder vertragátucife verſproche⸗ nen Handlungen und Dienſtleiſtungen zu gebieten: aber woher ſollte daš unbeſchränkte Diſpoſitions⸗Recht über das Vermögen ſeiner Untergebenen kommen, ba ihm das allgemeine natürltehe Geſez, jedem das Seinige zu laſ⸗ ſen, ſo gut als anderen Menſchen gegeben iſt. Es läßt ſich gar kein Vertrag denken, wodurch cin Freyer irgend jemand cin ewiges und unbeſchränktes Beſchazungs⸗Recht eingeräumt hätte. Denn ein ſo unbeſtimmtes Opfer würde allen Vortheil aufheben, den der einzelne Menſch in dem Verband mit einem Mächtigen ſuchen oder hoffen kann, und in jedem Fall würde es nur ihn ſelbſt nicht ſeine Nachkommen verbinden, wenigſtens nicht für dasjenige was ſie ſelbſt erworben hätten. Was bliebe den Men⸗ ſchen noch übrig, wenn ſie Perſonen und Eigenthum der Willkühr eines andern überlieferten: ſie wären dadurch weder gegen ihn noch gegen andere Menſchen mehr als vorher geſichert. Die Regel der Natur iſt, daß der Here ſeine Diener ernährt oder bezahlt, nicht daß die Diener den Herren unterhalten, wiewohl ſie ihm in außerordent⸗ lichen Fällen zu Hülf kommen können. Alſo gerade deß⸗ wegen, weil der Fürſt nicht ein Beamter ſeiner Unter⸗ thanen, ſondern ein unabhängiger Herr iſt, weil ſie in Dvevier Val, % Ň

-

#f 322 feinem Dienſte ſtehen und ex nicht in dem ibrigen: ſo foller auch in ber Hegel ſeine Ausgaben au eigenem Betmbgeu beftreiten. So iſt es auch eho malý, ben einfacheren Verhältniſſen und minberen Be. dürfniſſen, Úberall gefchehen; der Grundſaz galt in der Brariý wie in der Theorie; urſprünglich wußte mat nichts von Steuren und Auflagen, und ſelbſt in unſeren Tagen gab es noch mehrere Staaten wo keine dergleichen exiſtirten. Die Hebräer ſelbſt bezahlten keine Steu⸗ ren oder nur freywillige; 3) wir leſen auch nicht, daß Ben den älteſten kleinen Territorial⸗Königen in Aſien. und Griechenland, Auflagen beſtanden hätten. Die Bet. ſer waren ebenfalls von denſelben frey. Die eigentlichen Romer fannten tele Auflagen, ſondern legten nur ben NUeberwundnen, entweder nach dem Recht ded Kriegs oder in Folg eines Friedens⸗Vertrags, gewiſſe Tribute auf. Die übrigen Einkünfte der Republik beſtanden aus den

z) Welches nebenber ein frappanter Beweis gegen die pſeudophi⸗ loſophiſche Lehre von dem Urſprung der Staaten iſt. Denn wenn die Gewalt vom Volk herkaͤme und die Fuͤrſten nur Be⸗ amte waͤren: ſo wuͤrden auch ganz gewiß von Anfang ber Auf⸗ lagen beſtanden haben, und das Volk als der angebliche Sou⸗ verain, baͤtte notbmendig bie Koſten det Staats⸗ Verwaltung beſtreiten muͤſſen.

9) ©. bie merkwuͤrdige Verbandlung wegen bee freywilligen Steur zum Tempelbau. 1 CEhron. XXX, 5—9. und bie Stelle in Matth. XVII, 25— 26. „Von wem nehmen die m Kônige auf Erden den Zoll oder Zinſe? Bon ihren Kin⸗ > der oder von Fremden? Da ſprach zu ibm Petrus: Bon

- den Stemben. Jeſus ſprach zu ihm: So find bie. Kinder „frey.“ Hingegen zinfeten oder brachten Geſchenke die uͤber⸗

wundnen Cananiter, Moabiter, Syrer, Hethiter, Amotiter

Vbereſtter/ debne: $6

328 Domainen, den Zôllen (portoria), ben Bergwerken und ben Loskaufs⸗Gebühren der frengelaffenen Selaven odber Kriegsgefangenen. Von den alten Deutſchen meldet ſchon Tacitus fie ſeyen frey von Laſten und Steuren ge. weſen; +) ihre Könige mußten aus ibren eigenen Domai— nen, aus freywilligen Geſchenken, aus Strafen und Fried⸗ geldern leben. 5) Bey-den Burgundionen, tm éo6ten Jahrhundert, und ben den Franken zahlten die Freyen, d. b. nicht Leibeigenen, keine Auflagen; 7) nur den überwundenen Römern und den Leibeigenen wurden Steuren gefordert, weil jene von dem ihnen gelaſſenen, dieſe von dem ihnen gegebenen Gute zinſeten. 3) Die nemlichen Grundſäze galten in Deutſchland, nachdem es wieder vom großen Frankenreiche getrennt worden; von Steuren wußte man nichts. Die Unterthanen waren dem Landesherren, wie dem Gutsherren, zu nichts mehrerem als zu ú Erlegung ihrer jährlichen Zinſe und Abgiften, von ihren auf Meyerrecht (jure colonario) in Beſiz habenden Gáltern , verpflichtet, und mußten dabey die verſprochenen Svrohbndieníte tbun. ?) Gn Frankreich war bis auf Philipp den Schönen keine Spur von einer Auftage; die

4) exempti oneribus et collationibus.

s) Schüͤtz Welt⸗Geſch. 111, 227,

6) Mally Obs, sur ľhist. de France T. I.

7) Grégoire de Tours L. III, Ch. 56. et Montesgnicu Esprit des loix L. XXX. Ch. 13. et Ch. 15, Dev Rónig und dex lezte der Franken lebte von dem Ertrag ſeiner Bútev, M úle let Weltgeſch. II, 102.

8) Capitul. 812,

9) Sommer Viadicia libertatis nobllium S.J. $. immediato- rum und Eoͤtt. Sel. čin. 1754. W. 416

a

eigentlichen Türken bezahlen dergleichen noch heut 3% Rage nicht, ſondern nur bie überwundnen Griechen. Eben ſo war es in allen übrigen Ländern, in England, Hun⸗ garn, Polen, Dänemark, Schweden u. ſ. w. Ueberall lebten bie Könige und Fürſten urſprünglich aus ihrem cie genen Vermögen, d. h. aus Domainen und Regalien oder ſogenannten Kammer⸗Revenuen. Und weil bisweilen dieſe allgemeine natürliche Regel verlezt oder unter man⸗ cherley Vorwänden zu verlezen geſucht worden: ſo ward es in mehreren Ländern, gerade wegen dem entſtandenen „oder beſorgten Mißbrauch, durch Inſurreltionen, Capi⸗ tulationen u, ſ. w. ſogar zum poſitiven Geſez gemacht und behauptet, daß bie Könige keine Auflagen erheben dürfen, ſondern ſich mit ihren Domainen und Kammer⸗AæVKevenuen begnügen ſollen. So ge. ſchah es z. B. in Hungarn in Jahr 1234 unter ws dreas II. 10), ſo in Polen im Jahr 4382, wo der mäch⸗ tige Ludwig ber Große es ſelbſt verſprach, und dazu noch feſtgeſezt wurde, daß ſelbſt in Nothfällen Adel und Geiſtlichkeit nicht einmal augeſprochen werden ſollen, folie basy höchſtens eine freywillige Hülfe der Städte er⸗ beten werden dürfe. ꝛ5) So [ang das deutſche Reich exiſtirte, durften die deutſchen Fürſten und Stände, nach den Geſezen des Reichs, ohne Einwilligung der Land-— ſtände, ihre Unterthanen nicht mit Steuren belegen, und wenn die Fürſten ſelbſt, als Vaſallen des Kayſers, auf den Reichstagen für das ganze Reich Steuren bewillig⸗ ten, (o mußten ſie dieſelben urſprünglich aus ihren Kam⸗ mer⸗Revenuen beſtreiten; nar iſt ihnen in der Folge der

10) Spittler Europ. Staaten⸗Geſch. AI, 268. 1) Ebend. ©, 385,

325.

Billigkeit wegen geſtattet worden, auch etwas dazu von ihren Unterthanen zu verlangen. 12 Die Schweizeriſchen ſonverainen Städte ver 1798 und alle noch in der Schweiz übrig gebliebenen geiſtlichen Fürſten, fo mie auch daš. Fürſtenthum Neuenburg 13) waren bis zu ihrer Zerſtö⸗ rung, theils wegen guter Wirthſchaft, theils wegen ge. ringeren Bedürfniſſen und lang gedaurter friedlichen Ruhe, jenen natürlichen Rechtsbegriffen treu geblieben, indem ſie keine Gteuren noch Auflagen von ihren Unterthanen erhoben, ſondern blos aus eigenem Vermögen, aus Do⸗ mainen und Regalien lebten. 15) Selbſt in einigen deut⸗ ſchen Staaten mag dieſes noch hier und da der Fall ge⸗ weſen ſeyn, beſonders in denjenigen die entweder durch unabhängig gewordne Lehen oder durch allmählig zuſam⸗ mengekaufte Herrſchaften, nach und nach entſtanden und dabey nicht etwa durch Verſchwendung oder unglükliche Kriege in Schulden und große Bedürfniſſe gerathen tva. ren. 15) Endlich beſtätiget ſich die Regel, dať bie Für⸗ ſten aus eigenem Vermögen leben ſollen und zur willkühr⸗ lichen Beſchazung ihrer freyen Unterthanen nicht berech⸗ tiget find, auch daraus, daß die Abweſenheit odev Mäßig⸗ keit der Auflagen ſtets für das Zeichen einer gerechten und guten Regierung gehalten wird, fo tie bingegeu willkührliche Auflagen zu allen Zeiten und in allen

53) S. Puͤtters Geſch. der deutſchen Staats⸗ Verfaſſung,

13) ©. Koͤrners Erdbeſchreſbung der Schweiz. 1505. S. 316. 14) Auflagen aller Art kennen wir ceft ſeit der Nevoluticn und Mediation, b. 5. feit den ſogenannt liberalen Principien. as) S. 4. B. vom alten Wuͤrtemberg Die Landtags⸗ Abſchiede· vent 1629, 1650, 1656 und 1672. in Moͤſers Beytraͤgen zum

Staate⸗ und Voͤllerrecht T. IL ©, 25. ..

326 A

Ländern, als cin Mißbrauch der Gewalt betrachtet wor⸗ den ſind. Und da die Menſchen zulezt ihr Eigenthum vertheidigen, wenn die Verlezung deſſelben zu allgemein oder zu unerträglich wird: fo lehrt auch bie ganze ältere, mittlere und neuere Geſchichte, daß gerade wegen derglei⸗ chen willkührlichen Auflagen, wenn ſie auch an und für ſich nicht febr läſtig waren, die meiſten allgemeinen In⸗ ſurrektionen entſtanden ſind: welche doch gegen' die wah⸗ ren unbeſtrittenen Rechte der Fürſten ſelten oder gar nie zu entſtehen pflegen. 160)

Nommt aber cin Fürſt ſpäterhin durch Krieg oder an⸗ dere Noth in cine ſolche Boge, daß ex ſeine Ausgaben vicht mehr aus eigenem Vermögen und Einkommen zu beſtreiten vermag, werden zu außerordentlichen Bedürf⸗ niſſen vorübergehende oder bleibende Steuren nöthig, um das gemeinſame Verband aufrecht zu erhalten: ſo kann er freylich eine große Beyhülfe und nicht zu berechnende Unterſtüzung, ino dem Privat⸗Vermögen ſeiner Untertha⸗ nen finden, deren Intereſſe zwar nicht durchaus das nem⸗ liche, aber doch mit dem ſeinigen unzertrennlich verfloch⸗

16) 3. B. in Frankreich ÚS. 1322 wegen Geld⸗Erpreſſungen des Regenten Herzogs von Anjou, und in Guyenne nach dem Frieden zu Chateau Cambreſis gegen die Einnehmer ber Salz⸗ ſteur 1564: in England Me. 1399 eine Bauren⸗Inſurrek⸗ tivn gegen Richard TI. wegen Daxenlaſt. Ao. 1629 unter Carl 1. zum Theil auch wegen unbewilligten Steuren. Bio. 1768 1783 der Krieg der Nordamerikaniſchen Colonien blos wegen der verſuchten Taxe auf den Thee; in Spanien #0. 1640 in Gatalonien wegen Velbauflagen und gezwungenen Truppenlieferungen; in Neapel No, 1627 unter Mafanieľle £ in den Niederlanden No, 1647 wegen dem neuen Steur⸗ „Spítem u. ſ. w.

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ren iſt. Allein da er über dieſes Vermögen nicht einſei⸗ tig diſponiren darf: (o müſſen bie Steuren jn ber Regel von Seiten des Fürſten geſucht, und von den frenen Unterthanen bewilliget werden. Č: War es auch vor Zeiten, ohne miffcenfcgaftlicke Sb... und ohne Conſtitutionen, aus natürlichem Beredhtiaí: or Gefühl überall angenommen, bevor die Romiſchen Puobii eiſten und neueren Sophiſten, durch ihre Doctrin, vak die Fürſtliche Würde nur ein vom Volke herkommendes Amt ſey, und alle Fürſtlichen Ausgaben Staats⸗- oder National⸗Ausgaben wären, dem unbeſchränkteſten Be⸗ ſchazungs⸗Suyſtem Thür und Thore geöfnet hatten. Und

ſchon Die Benennung Steuren oder Beyſteuren (im

Frauzöſiſchen aides, subsides, im Engliſchen aids subsi- des, supplies) iſt merkwürdig, indem ſie beweisſt, daß es eigentliche Beyhülfen ſind, wodurch das Volk ſeinen König unterſtüzt, nicht aber Contributionen oder

Beyträge, wodurch es die Hülfsmeſtel zu ſeinen eige⸗

nen Ausgaben ſchafft. 17) Es iſt ungemein lehrreich in der Hebräiſchen Geſchichte zu leſen, mit welchen Förm⸗ lichkeiten der König David von. ben, Iſraelitiſchen Reichs⸗ ſtänden cine freywillige Steur zum Tempelbau ver⸗ kangte, (wozu er bereits viel aus ſeinem eigenen gegeben hatte) und mit welch herzlicher Uebereinſtimmung

17) Der conſequente Sieyves, der ſtets von der Souverainiraͤt des Volkes ausgeht, konnte daher die Regel que la Nation octroye l'impot nicht leiden. A gui? fraͤgt er. La. Nation n'octroye point l'impot, elle fournit 4 sa propre dépanse. Vues sur les moyens ďexécution p. 49. Hier if] menia: ſtens cine gewiſſe Ehrlichkeit im Jakobinismus. Nad ſolchen Grundſaͤzen kann max ſich in. ber That nicht mehr úbevi die Groͤhe der Steuren betlagen,

$28 «

fie bewilliget und angenommen ward; !9 ba hingegen willkührliche Auflagen bereits den Thron ſeines Sohnes erſchüterten und ſeinen Sohns⸗Sohn Rehabeam um den größten Theil ſeines Reiches brachten. In Frankreich erhob König Philipp Auguſt, der von 4180 bis 1223 res gierte, die erſte General⸗Steur, und zwar bey Anlaß eines Kreuzzuges, mithin unter dem ſchiklichen Vorwand eines allgemeinen Bedürfniſſes der ganzen Chriſtenheis. Seine Nachfolger verſuchten verſchiedene Mal willkühr⸗ liche Auflagen auszuſchreiben, aber ſie fanden allemal Widerſtand, und im J. 1338 wurde, mit Genehmigung ded Königs, cin wiederholter Reichstags-Beſchluß ge⸗ faßt, daß keine Steur ohne Einwilligung der Stände gültig ſey. Im J. 1382 wurden ſie auch von den Státie den dem König Carl VI. wirklich abgeſchlagen, wogegen er ſolche freylich nachher mit Gewalt einzuführen ſuch⸗ te, 19 und bey dem Haager⸗Congreß vom Jahr 16914, wollten ſogar die gegen Ludwig XIV. verbündeten Euro⸗ päiſchen Mächte, denſelben zwingen, daß er die alte Ver⸗ faſſung ſeines Reiches herſtelle und keine Auflagen ohne Bewilligung der Reichsſtände ausſchreiben dürfe, weil er ſonſt in ſeiner Eroberungsluſt zu ſehr begünſtiget, und gegen alle anderen Staaten zu übermächtig würde. 20)

18) £ Chron. xxix. und XXX,

19) Spittler Europ. Staaten: Beídh. Ueber den allmaͤbli⸗ ge Urſprung der Auflagen in Frankreich it febr merkwuͤr⸗ big zu lefen das gelebrte Nerf: Compte rendu de ĽAdmi- nistration des Finances du royaume de France, dépuis Henry IV. jusgu"á Louis XIV. 1789. S. 431. i8 4 par Mr. Mallet, premier Commis des, Finances dépuia 1708, jusgu"en 1715.

49) Mémories de Barrue/. T. 1, 95

Mod unmitteľbať vor der Nevoľutict war es in Frank⸗ rcich allgemeín angenommener Grundſaz, dbať die Nation nicht willkührlich könne beſchazet werden, und man ſuchte dieſer Nothwendigkeit durch allerley indirekte, unmerkbare Abgaben auszuweichen. Die ſtark begüterte Geiſtlichkeit gab nur von Zeit zu Zeit ein freywilliges Geſchenk, die adelichen, d. h. die freyen Güter bezahlten nichts, und vie Parlamente ſezten ſich, wiewohl ohne Befugniß, au Plaz der nicht verſammelten Reichsſtände, um die vom König ausgeſchriebenen Auflagen entweder zu genehmigen, oder zu verweigern, welch lezteres noch im J. 1787 mit dem damals einzuführen geſuchten Stempelpapier geſchah. Während der Nevolution, sur nemlichen Zeit als max überall die Souverainität ded Volkes predigte, ward daſ⸗ ſelbe von allen nach einander gefolgten Uſurpatoren, mit den willkührlichſten und gränzenloſeſten Auflagen bedrükt; als aber nad 25 Wabren der rechtmäßige König wieder den Thron beſtieg, gab er ſogleich das feyerliche Ver⸗ fprechen, oder die beruhigende Zuſicherung, daß keine Auflage ohne Bewilligung der (freylich anders componir⸗ ten) Reichsſtände erhoben werden ſolle. In England iſt der König noch auf den heutigen Tag genöthiget, jede Steur oder Auflag dem Parlamente, d. b. den Stän⸗ den des Reichs, vorſchlagen und von ihnen bewilligen zu laſſen. 2) Eben fo mar es tn Deutſchland. Die

zr) Schon Bodin maďdt die midbtige Bemerkung, dať dieſes gar nichts beſonderes obeť dem Kuaͤnigreich England eigen⸗ krbhuͤmliches fen. „Mais on peut dire gue les etats (d' Ang- «leterre) ne souffrent pas. guon leur impose oharges ex- atraordinaires ni subsides, si non gujil a4oit accordé et «conseuti au Parlement suivant VOrdonnance du Roi

«Edouard I. et la grande chartre, de laguelle le peuple

3.0

allgemeinen Reichsſteuren mußten vo den Stánden des Reichs auf dem Reichstage zu Regenſpurg bewilliget wer⸗ den; auch galten ſie nur für den Krieg und laut einer noch im Jahr 1671 beſtätigten Kayſerlichen Erklärung, durften die Fürſten in ihren Ländern, auch ſogar für gemcinnúsige Anſtalten, wie 4. S. Landesdefenſion, Feſtungen, Beſazungen u. ſ. w. keine Steuren eigen⸗ mächtig, b. b. ohne Bewilligung der Landſtände erhe⸗ ben, 22) welches auch von manchen Fürſten, beſonders den mindermächtigen, die ſich nicht über alles hinwegſe⸗ zen konnten, noch in unſeren Tagen befolget wurde. In Schweden war der Körig, ſelbſt nad) der Gegen⸗Re⸗ volution von 1772,. nicht befugt ohne Bewilligung der Reichsſtände Steuren einzuführen oder alte zu erhöhen, 22 und was Dänemark betrifft mo vorher bie nehmliche Regel beſtand, ſo iſt es ſehr merkwürdig, daß der König, nachdem er ſich im J. 1660 von dem Joche ded hohen Adels befreyt hatte, ſich in dem ſogenannten Königs⸗ Geſez das Beſchazungs⸗Recht ſelbſt beygelegt bat, 29

«S est toujours prévalu contre ses rois. Je réponds que «les austres rois nont pas plus de puissanče gue le rok «ď Apgleterre , parce guil nest en Ťa paissance de prince: «du monde, de lever impot ä son plaisir sur le peuple, „non plus gue prendre le bien ďautrui" de la Republigua: L. 1. €h. 8.

22) Pútter biftor. Entwiklung T. II. ©, 271 ff. 23) Natrteng Europ. Staatsrecht. p. 122.

24) ©. Kônige: Befeg Met. V. in Martens Europ. Staats— recht p. 66. und Sammluug 008 Reichs Grundge⸗ ſe zen p. 132. Zn dieſem Artikel wird erſtlich das Befugniß Zoll und Schazungen aufzulegen, ſchlauer Weiſe blos als Deyſa; de Recht Krieg zu fuͤhren angehaͤngt, mit welchem

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Die Hungaren zahlen nod) dermalen tur ſelbſtbewilligte Contributionen oder dona gratuita, nicht weil ſie dazu urſprünglich mehr Rechte als andere Völker beſäßen, fotia dern weil ſie dieſelbigen beſſer zu behaupten gewußt und ihre Könige, bey jeder ſchiklichen Gelegenheit, zu der⸗ felben Anerkennung oder Garantirung vermocht haben. Mit einem Wort, die Regel daß Steuren oder Auflagen bewilliget werden müſſen, gilt im Grunde noch überall, und was dagegen geſchieht, find bloße Ausſsnahmen oder Mißbräuche. Selbſt in den, während der Franzöſiſchen Revolution, von Kayſer Bonaparte neu errichteten und willkührlich conſtituirten Monarchien, in denen man übri⸗ gens alle Privat⸗Rechte mit Füßen trat, ſuchte man doch jenem Prinzip, dem Scheine nach, dadurch treu zu blei⸗ ben) daß man Verſammlungen fogenannter National⸗Re⸗ práfentanten ſchuf, welche die Auflagen bewilligen ſoll⸗ ten. 25) Allein dieſe vorgeblichen Repräſentanten waren

es doch gar nicht unmittelbar verbunden iſt. Sodann ſind die Motíve (und dieſer Artikel iſt alein motivirt) buchſtaͤb⸗ lich aus des Roͤmiſchen Feldherren Cerialis ſophiſtiſcher Troſt⸗ vede an die uͤberwundenen Trierer und Gallier abgeſchrieben bey Tac. hist. L. IV. „Nam negue quies gentium siue «armis, negue arma sine stipendiis , negue stipendia sine «tributis haberi gueunt. Allein bie braven Dônen welche sem Koͤnig (o ciftig sur Wiedererlangung ſeiner Nedte ges holfen Gatten, waren nicht úbermundne Feinde, Cerialis felbſt forderte die Tribute nicht von ſeinen eigenen Leuten, und die befiegten Trierer wuͤrden ihm vermutblich geantwortet baben, wir brauchen Euerer Truppen zu unſerer Rube nicht: fe daß auch das Recht des Heberminderý gar nicht auf dieſem Grunde berubt. ©. oben p. 3:9.

25) ©. bie ſogenannten Conſtitutionen oder Creations⸗Dekrete der Neu⸗Neapolitaniſchen, Italieniſchen, Weſtpbaͤliſchen und

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freylich gan anders zuſammengefeit als die ehmaligen natürlichen Reichſs⸗ und Landſtände; von dem Fürſten ernennt und beſoldet, bildeten ſſe nur bequeme und ge⸗ horſame Werkzeuge, um jebe ſeiner deſpotiſchen Maßre⸗ geln zu erleichtern und bad gehäßige derſelben auf ſich ſelbſt zu laden. Die Einführung der ſtehenden Truppen

. gab zuerſt cinígen Fürſten den Anlaß oder die Möglich-

keit willkührliche Auflagen zu erheben, weil man ſolche mittelſt der Truppen ſelbſt durch Execution eintreiben konnte, welches aber eben ſo viel heißt, als ſeine freyen ud friedlich geſinnten Unterthanen mie überwundne Fein⸗ de zu behandeln. Allein ſelbſt da wo die Landſtände nicht mehr befragt werden, oder theils wegen großen Koſten und anderen Inkonvenienten, theils wegen dringender Roth und Nangel an Zeit, nicht wohl verſammelt werden kön⸗ nen: beſteht bie lezte Huldigung die man dem natürlichen Geſez erweisſst, darin: daß Man, gleichſam aus einem ge⸗ heimen Gefühl des überſchrittenen Rechts, die ſteuraus— ſchreibenden Verordnungen weit mehr als andere mit moraliſchen Gründen zu unterſtüzen pflegt, und dadurd): auf ben guten Willen Der Nation zu wirken ſucht, folg⸗ lich indirekter Weiſe die Nothwendigkeit einer, wo nicht förmlichen und in Schrift verfaßten, doch ſtillſchweigen⸗ den und vernünftigen Einwilligung anerkennt.

Dieſer Grundſaz, daß Steuren geſucht und bewilli⸗ get werden müſſen, ſoll übrigens nur den Mißbrauch der Gewalt, nicht die Unterſtüzung der Fürſten ſelbſt hinderen. Fern ſen es von mir ſolche Liebloſigkeit zu predigen oder

Hollaͤndiſchen Koͤnigreiche x welche zwar auch hierin vie gehalten wurden.

434 AMen Sinn ft vaterländiſche Verhältniſſe und geſellige Verknüpfungen erſtiken zu wollen. Ich ſtelle nur die na⸗ türliche Regel auf, daß die Fürſten kraft eigenen Rechtes nicht befugt ſitud, zwangsweiſe Steuren oder Auflagen einzufordern; aber die Unterthanen ſind hingegen berech⸗ tiget, moraliſch verpflichtet und oft ſogar ſelbſt intereſſirt ihrem Fürſten in Nothfällen und für gemeinnüzige Ana ſtalten beyzuſtehen, ſeine Ehre, ſeinen Nuzen gleichwie den ihrigen zu betrachten. Denn da die Exiſtenz und Unabhängigkeit bed Fürſtlichen Hauſes den Unterthanen in mannigfaltiger Rükſicht vortheilhaft, vielen ſogar un⸗ entbehrlich iſt, ſelbige aber ohne große Gefahren und Aufopferungen nicht immer behauptet werden kann; da zudem bey der langen Fortdauer eines Reichs und bey den vermehrten ſocialen Bedürfniſſen unſerer Zeit, viele andere Vorſorgen und Anſtalten nöthig werden; da zur Erhaltung des Fürſten und ſeines Volks oft koſtbare Krie⸗ ge geführt, feindliche Ueberfälle und Contributionen eva duldet, dafür Schulden contrahirt und verzinſet, ſtehende Armeen unterhalten, Feſtungen erbaut, mancherley ge⸗ meinnüzige Anſtalten errichtet werden müſſen, und Úbera hauyt iu den heutigen Reichen ein großer Theil der Landesherrlichen Ausgaben blos zum Beßten der Unter⸗ thanen verwendet, oder doch in ihrem Reſultat den lez⸗ teren vortheilhaft iſt: ſo fließt die Verbindlichkeit dem Fürſten für ſolch gemeinſame Bedürfniſſe mit Steuren beyzuſtehen, allerdings aus der Billigkeit. Auch kann man nicht behaupten, daß die Völker im Allgemeinen dieſe moraliſche Pflicht nicht anerkannt hätten. Im Gegen⸗ theil iſt ihre Bereitwilligkeit oft ſo groß, daß ſie weiter gehen als man von ihnen verlangt, daß ſie darüber oft ſogar die Sorge für ihre Rechte vergeſſen, und ſelbſt da

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wo ſie ſich mit Erfolg widerſezen koͤnnten, bisweilen mie kührliche Auflagen ohne Widerſpruch dulden, wofern ſie nur erträglich ſind und der Gegenſtand ihrer Verwen⸗ dung gemeinnüzig ſcheint. Das Gefühl der Billigkeit und DLH gemeinſamen Nuzens, die Ehrliebe nicht minder ſeyn su wollen als andere, die Hoffnung ſich dem Fürſten an⸗ genehm ju machen u. (7 19.) alles hilft bazu. Muf dieſe Art find auch in allen Staaten nad und nad die jest beftebenden Auflagen entſtanden. Cine gemeinſame Stoth oder auch nur cin außerordentliches Bedürfniß veranlaýte ſie, bie Billigkeit oder auch nur der gute Wille, die freu⸗ dige Ergebenheit, machte ſie bewilligen, entweder für einmal oder für immer, oder auch nur auf eine gewiſſe Zeit, in welch lezterem Fall ſie dann gewöhnlich ver⸗ längert und am Ende fortdaurend wurden. 25) Dabey wird es immer die beßte Politik ſeyn, bey Forderung oder Ausſchreibung von Steuren, mit ben Unterthanen vffenherzig und redlich zu Werk zu gehen, ihnen Die Noth⸗ wendigkeit derſelben mit Edelmuth, Wärme und Zu⸗ trauen vorzuſtellen, auch den Gegenſtand ihrer Verwendung beſtimmt anzuzeigen: denn nichts gewinnt die Menſchen mehr als bewieſenes Zutrauen, und find fie einſt über⸗ zeugt, daß man es wirklich gut mit ihnen meynt, daß der Mächtigere ſeine Gewalt nicht mißbrauchen will, ſo laſſen fe ſich zu allem willfährig ſtimmen. Der freye Wille, die aufgeregte Liebe zu dem gemeinſamen Ver⸗ band, leiſtet mehr als alle Gewalt hätte erzwingen kön⸗ nen. Denn nicht das geben, ſondern das gezwungen ge⸗

ONOHO SONO? O OE, OE TN, OS TO ENÉ

26) Vergl. mas Sob. v. Múller von den Auflagen in Deutſch⸗ land ſagt, bie meiſt nut ſeit Carls V. Bod anfingen. Allg. Meltgeſch. III. g0.

33%

ben, bad geben müſſen, macht die Knechtſchaft aus;

alldieweil hingegen freywillige Hülfleiſtungen edel find und auch dem Stolze ſchmeicheln, indem ſie bas Anſehen verſchaffen, ſich lebhaft an der Sache des Fürſten und des Vaterlandes zu intereſſiren, oder gar an der Verwal⸗ tung deſſelben, gleichwie in Republiken, einigen Autheit zu haben.

Eine andere nicht minder wichtige Frage iſt aber: von wem ſoll der Fürſt die nöthig gewordnen Steuren verlangen, da er doch nicht bad ganze Volk verſammeln, nicht jeden einzelnen Einwohner des Landes befragen kann? Wir antworten mit der Natur und Er⸗ fahrung, von den Seinigen, von denfenigen die man im engeren und eigentlichen Sinn ſein Volk nennen kann, d. h. von den Mächtigeren und Freyeren, mit denen er in unmittelbarem Verhältniß ſteht, nicht aber von denen die wieder dieſen lezteren dienſtbar und verpflichtet find, und mit welchen ev alſo keine di⸗ rekte Verbindung bat. Wenn cin Privat⸗Grundherr, der zehn, zwölf obeť mehrere Güter, und auf denſelben eben fo viele Pächter, Verwalter oder zinsbare Bauer beſizt, in Noth und Verlegenheit gerathen, und von ſeinen Leu⸗ ten, in dieſer oder andrer Rükſicht, Rath und Hülfe ha⸗ ben wollte: men wird ex dafür auſprechen? Offenbar nur dieſe ihm verpflichteten Pächter, Verwalter, Lehenmän⸗ ner oder zinsbare Familienhänpter, die ihm direkt zuge⸗ than ſind, die von ſeiner Exiſtenz auch einen gegenſeiti⸗ gen Vortheil genieſſen, nicht aber derſelben Kinder, Knechte, Tagelöhner, zu und abgehende Domizilianten u. ſ. w., als welches lächerlich und ungereimt wäre, auch die Ordnung der Natur umkehren würde. Und wenn ein

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Haus⸗Eigenthumer der viele Wohnungen vermiethet, ir⸗ gend eine Steur zu einem gemeinſamen Bedürfniß aller Hausgenoſſen, 3. B. fr Beleuchtung, Beſoldung eines Pört⸗ ners u. ſ. w. fordert: ſo wird er ſie ebenfalls nur von ſeinen Miethsmännern (Hausſtänden) die mit ihm in unmittel⸗ barem Gontract ſtehen, verlangen, nicht aber von derſel⸗ ben Weibern, Kindern, Knechten und Mägden, After⸗ zinsleuten u. ſ. w, als wozu er gar nicht befugt iſt; noch vielweniger wird er dieſe lezteren, mit und nebſt ihren natürlichen Herren, in allgemeine Hausvolks⸗Verſamm⸗ Tungen zuſammentreten, oder Nepräſentanten nach der Köpfe Zahl erwählen "und ſich von. ihnen die Steur zu⸗ erkennen laſſen. Das nemliche Verhältniß nun beſteht im Großen bey den Fürſten; und auf dieſem natürlichen Rechtsgrund beruht auch die ſonſt überall übliche Conte poſition ber Landſtändey) welche nicht willkührlich ge⸗ ſchaffen worden, noch geſchaffen werden können: ſondern durch natürliche Verhältniſſe gegeben find, und die man eben deßwegen Stände nennt, meil ſie auf ihren Allo⸗ dial. oder Lehen⸗Gütern einer ſelbſtſtändigen Exiſtenz genieſſen, und außer dem Fürſten von niemand anders abhängig find. Ganz natürlich mußten alſo zur Zeit wo noch keine Städte waren, bie Reichs- oder Landſtände nur aus dem Adel und der Geiſtlichkeit, als 11. mittelbaren Vaſallen oder freyen Grund. Eigenthümern, beſtehen, denn ihnen waren die übrigen Einwohner unter⸗ geordnet und mit dem Fürſten in keinem direkten Ver⸗ hältniß. Die Baukr⸗ oder Landleute konnte man nicht aufnehmen, weil ſie nur die Diener oder Knechte ihrer Herren waren, und kein freyes Eigenthum beſaßen, denn wer ein ſolches hatte, der wurde bereits unter die Edel⸗ leute gezaͤhlt, wie z. ©. noch heut Tag tn Hungarn.

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In der Folge, beſonders im 11ten und 12ten Jahrhun⸗ dert, entſtanden aber freye Städte, Communitäten, die von den Königen begünſtiget und privilegirt, keinem anderen Herren als dem König unterworfen waren, und mithin allerdings als ein Reichsſtand angeſehen werden mußten. Auch waren die Könige ſelbſt intereſſirt ſie zu dergleichen Verſammlungen einzuberufen, weil ſie ihnen allein ihre Exiſtenz verdankten, und mithin am meiſten geneigt waren denſelben mit Geld beyzuſpringen, auch weſſen dem Handel das meiſte baare Geld beſaßen. Das her kommt es auch, daß die Deputirten der Städte, oder der ſogenannte Bürgerſtand, erſt viel ſpäter zu den Reichſ- oder Landſtänden zugelaſſen worden find, und daß dieſe lezteren noch dermal in allen Ländern aus dem Adel, der hohen Geiſtlichkeit und ben Städten beſtehen, welche Ordnung auch ganz der Natur und Gerechtigkeit angemeſſen iſt. 27)

Es repráfentiren Aber dieſe Landſtände von Rechtens wegen auch nicht das Volk, wie man gewöhnlich wähnt, ſondern nur ſich ſelbſt: dych können ſie übrigens als die natürlichen Beſchüzer und Fürſprecher der ihrigen, d. h. ihrer eigenen Unterthanen und Hinterſaßen betrachtet wer⸗ den. Denn ſollten ſie Stellvertreter oder Bevollmächtigte des ganzen Volkes ſeyn, ſo müßten ſie freylich auch von demſelben erwählt, inſtruirt und vielleicht anders com⸗ ponirt werden: daher auch alle diejenigen welche nach res volutionären Begriffen, aber der Geſchichte zuwider, in den bisherigen Landſtänden cine Volks Repräſentation

47) Hievon wird ſeiner Zeit bey dem Ahſchnitt von den Reichstan⸗ den aus fuͤhrlicher geredet werden.

Aweyter Vand. 9

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ſehen wollen, ſogleich wieder deklamiren, daß dieſe es Präſentation auf ſchlechte Grundlagen gebaut ſey, und aus allen Claſſen nach der Bevölkerung gezogen werden müſſe. Wahre Landſtände vertreten die Stelle von nie. manden, ſondern ſie find in cignem Namen da, Daher ſollen ſie auch in der Regel die Steur aus eignem Ver⸗ mögen bewilligen; denn da der Fürſt ſelbſt nicht berech⸗ tiget iſt ſeine freyen Unterthanen willkührlich mit Stene ven zu belegen, fo können es die Landſtaͤnde, d. b. bie größeren Vaſallen und Gutsbeſizer, eben fo wenig ſeyn, weil niemand befugt iſt über fremdes Gut zu diſponiren. Wohl iſt ihnen hingegen erlaubt, wenn die Steur zu be⸗ ſchwerlich wird, oder zu oft wiederkömmt, hinwieder die Ihrigen um einen ähnlichen freywilligen Beytrag an⸗ zuſprechen, und ſich dadurch die eigene Laſt zu erleich⸗ tern. Dieſe doppelte Regel iſt nicht nur in der Theorie richtig, ſondern ſie galt ehmals auch in der Praxis, und die Abweichungen davon ſind bloße, allmählig durch Noth entſtandene und geduldete, Mißbräuche. Die deutſchen Reichsſtände z. B. mußten bie auf dem Reichstag bewil⸗ ligten Steuren aus ihrem eigenen beſtreiten, und ſelbſt bie Mehrheit der Stimmen galt in dergleichen Bewilli⸗ gungen nicht; weil ſich in der That nach den Geſezen der Gerechtigkeit nicht wohl begreifen läßt, wie der Depu⸗ tirte oder Stellvertreter einer Provinz über die Wrivate Rechte von anderen entſcheiden könne, bie ihm keine Voll⸗ macht gegeben haben. 23 Schreiben aber die Landſtände

28) ©. hieruͤber die merkwuͤrdige Abhandlung „von dem Uv (prung der Landſtaͤnde“ in Moͤſers patriotiſchen Pban⸗ taſien IV, 206. ff, und Puͤtters hiſtoriſche Entmifluna dex

Ddeutfchen Staats⸗Verfaſſung JI, 271. it. ein febe merkwüͤr⸗ diges Vevípicl in dem Wuͤrtembergiſchen Landtags⸗-Abſchied

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#att deſſen Auflagen aus, die nicht blos von ihnen, fotia dern von dem ganzen Bol bezahlt werden müſſen: fo iſt dieſes zwar nicht vollkommen in der Regel; doch da die Noth manches entſchuldiget, und beſonders bey Steur⸗ Anlagen unmöglich alles nach dem ſtrengſten Recht zuge⸗ ben kann: fo bleibt dafür immer der billige Grund oder die natürliche Präſumtion anzuführen, daß wenn der Fürſt und alle Mächtigen des Landes über eine Sache einig ſind, die übrigen, wenn ſie befragt worden wären, wahrſcheinlich auch würden eingewilliget haben, um ſo da mehr als ſie doch nicht widerſtehen könnten, und die Schwächeren ſich ſtets nach dem Beyſpiel der Mächtigeren zu richten pflegen. |

Konnen aber bie Stände oder Unterthanen über der» gleichen von ibnen bemilligte Steuren nidt cin Wet waltungs- odber Diípofitioné Nedt anfpree den? Nad ber Natur der Sade muß dieſe Frage im Allgemeinen verneinend beantwortet werden. Den gerade deßwegen, weil es eigentliche Steuren ſind, durch welche bie Nation ihren Kúnig unterſtüzt, fo gehört das⸗ jenige, was einmal geſteurt worden iſt, nicht mehr denie

von 1554 v. Moſer Beytraͤge zum Staats⸗ und Voͤlkerrecht I, 447. Vergl. auch Kloſtermeyers Beleuchtung der von GSeiten ber Landſtaͤnde, Ritterſchaft und Staͤdten des Fuͤrſten⸗ thums Lippe der hoben deutſchen Bundesverſammlung uͤber⸗ gebenen Drukſchrift. Lemgo. 1817.; daß aber in einigen deut⸗ ſchen Laͤndern der Adel die ſelbſtbewilligten Steuren nicht cine mal mitzahlt, ſondern blos auf ſeine Unterthanen oder das úbrige Volk zu waͤlzen ſucht, das kann, wenn es ſich fo ver⸗ baͤlt, durchaus nicht gerechtfertiget werden, und Herr Reſb⸗ berg bat daruͤber in ſeiner Schrift úber den deutſchen Adel ©, 101 203 ſehr gruͤndliche Bem erkuugen gemacht.

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340 jenigen bet es geſteurt bat, ſondern tritt i das Eigen⸗

thum desjenigen über dem es geſteurt worden iſt. Wo⸗ fern alſo bey dergleichen bewilligten Auflagen, von den

Staänden nichts beſonderes vorbehalten, der Gegenſtand

ihrer Verwendung nicht beſtimmt angezeigt und keine Rechnung gefordert worden: fo iſt auch der Fürſt berech⸗ tiget mit denſelben, gleich wie mit ſeinen übrigen Ein⸗ künften, nach Gutfinden zu ſchalten und zu walten, ohne darüber jemanden Rechenſchaft geben zu müſſen. Dieſe natürliche Regel gilt daher auch in allen Ländern; überall hängt die Verwendung der Steuren von den Königen und Fürſten ab, wofern nicht etwas anderes beſtimmt und von ihnen verſprochen worden iſt. 29) Selbſt in England, wo doch die Auflagen ſo unermeßlich groß ſind, werden bie bewilligten Steuren von dem König durch ſeine Un⸗ terbediente erhoben, flieſſen in die Königliche Sdiase kammer, (indem gar keine National⸗Schazkammer exi⸗ ſtirt) und auch ihre Verwendung war ihm ſonſt allein überlaſſen; doch ſoll ee ſeit der Revolution von 1688, zum Beweis daß die Gelder dazu verwendet ſeyen wozu ſie bdewilliget worden, dem Parlament durch den Lord Canzler Rechnung ablegen, 30) mit Ausnahm jedoch der

a9) Sn der Mabl : Gavitulation ded deutſchen Kayſers Act V. 6.5. verſprach derſelbe, „die von den Reichsſtaͤnden eingewilligten „Steuren und Huͤlfen zu keinem anderen Zwek als darzu fie „gebilliget werden, anzuwenden.“ Dieſes iſt aber cine ver⸗ tragsmaͤßige Verpflichtung bie ſich nicht von ſelbſt verſtand.

39) ©. Martens Europ. Staatsrecht S. 193 194. Ich nehme dieſes blos auf die Autoritaͤt des Herrn von Martens an, in⸗ dem er ſelbſt keinen Beweis dafuͤr anfuͤhrt. Doch erinnere ich mich nicht in Zeitungen geleſen zu haben, daß je eine ſolche Rechnung abgelegt, oder AKÁ nur geſordert worden ſey.

Sm

tm, zum Erſaz von abgetretenen eigenthümlichen Ein. fiuften, angemiefenen fogenannten Civilliſte. Indeſſen, wenn auch nichts vorbebalten worden, fo erfordert im⸗ mer die Anſtändigkeit, Redlichkeit und Gewiſſenhaftigkeit von Seite der Fürſten, dem in ſie geſezten Zutrauen zu entſprechen, mithin die bewilligten Steuren auch wirklich für dietenigen Gegenſtände verwenden zu laſſen, zu wel⸗ chen ſie verlangt worden ſind, und das wird auch das beßte Mittel feny, um ben künftigen ähnlichen Fällen wie⸗ der die nemliche bereitwillige Hülfe zu finden.

Daß ſpäter hinzugekommene einzelne Unterthanen ſich ben ſrüher eingeführten Steuren billiger Weife unterwer⸗ fen müſſen, verſteht ſich von ſelbſt; da ſie die Bedingun⸗ gen kannten, unter denen ſie in dieſes Verband getreten find, und zudem find dergleichen allgemeine Auſtagen meta ſtentheils fo inditect, daß ihrer Natur nad nicht cine mal Fremde davon ausgenommen werden können. Die Kite ber und Nachkommen der früheren Unterthanen find eben⸗ falls rechtlich verbunden, die von ihren Baͤtern bewillig⸗ ten Steuren fortzubezahlen, denn durch dieſe Bewilligung hatten bie lezteren bereits einen Theil ded ihrigen abge⸗ treten, ſich eine Schuld aufgeladen die mit dem BVermô. gen an die Erben übergeht. Eine andere Bewandniß aber bat es mit ganzen Provinzen oder Gemeinden, die unter gewiſſen Bedingungen vertragsweiſe neu erworben, oder von dem vorigen Beſizer abgetreten worden ſind. Hier können bie in den älteren Provinzen eingeführten Steu⸗ ren nicht für die neuen Länder verbindlich ſeyn, weil ſie nicht dazu eingewilligt hatten, und weil der vorige Beſizer nur ſeine eigenen Rechte abtreten, mithin der neue Landesherr auch nicht ein mehreres von ihm erwer⸗

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ben konnte. Umgekehrt können, aus gleichem Grund, auch die in den neuen Ländern allfällig exiſtirenden Auf⸗ lagen nicht für die alten Provinzen verbindlich ſeyn,

und daher erklärt c8 ſich auch und iſt der Gerechtigkeit

ganz gemäß, daß beynahe in allen Staaten und beſon⸗

ders in weitläufßggen Monarchien, nicht alle Provinzen

die nehmlichen Steuren und Auflagen bezahlen.

Was nun endlich die Gegenſtände der Auflagen betrifft, von welchen hier noch ein Wort geſagt werden muß, obgleich ihre Erörterung in das weite Feld der Staats⸗Oekonomie gehört: fo find dieſelben natürlicher Weiſe von unendlicher Mannigfaltigkeit. Wer wollte ſie alle zaͤhlen, die Gegenſtände welche die Noth oder der Erfindungs⸗Geiſt der Cameraliſten mit Steuren belegt bat oder belegen kann? Grundſtüke, Häuſer oder einzelne Theile dieſer lezteren, wie z. B. Fenſter, Rauchfänge, Feuerheerden U. ſ. w., Capitalien, Waaren und Mobi—⸗ lien, das Vermögen oder das Einkommen überhaupt, jede Art von Indüſtrie, alle hervorgebrachten oder verzehrten Lebens⸗Bedürfniſſe, alle Natur⸗ und Kunſt⸗Produkte, das Nothwendige wie das Entbehrliche: alles kann zum Objekt von Steuren und Abgaben dienen, oder bat auch dazu dienen müſſen. Welche von dieſen zu wählen ſey, hängt von den Umſtänden des Landes ab, von welchem ſie aufgebracht werden muß; diejenige welche von den Einwohnern nad ihren Verhältniſſen, ihren Vermögens⸗— arten oder Erwerbungszweigen, mit der mindeſten Be. ſchwerde entrichtet, mit der leichteſten Mühe und den wenigſten Unkoſten erhoben werden kann, wird immerhin ben Vorzug verdienen. Daraus erklärt ſich auch die auſ⸗ ſerordentliche Mannigfaltigkeit der in den verſchiedenen

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r, A

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Staaten uͤblichen Steuren, die überhaupt ziemlich den Umſtänden jedes Landes angemeſſen, und zu dieſem End tn ben ſtatiſtiſchen Büuchern merkwürdig nachzuleſen ſßind; ja es wäre ſogar lehrreich, zu vergleichen, auf welche Art die geringſten Dorf⸗Gemeinden ihre Local⸗Bedürf⸗ niſſe durch Steuren herbeyzuſchaffen pflegen, mo ihnen, ohne Gelehrſamkeit, der allgemeinſte und billigſte Beſteu⸗ rungs⸗Gegenſtand, gleichſam von der Natur oder den Umſtänden ſelbſt angegeben wird. Da der Reichthum eines Volkes nicht überall in den nehmlichen Gegenſtän⸗ den beſteht/ (o können auch nicht überall die nemlichen Dinge zu Steur⸗Objekten dienen. In Städten ohne Bea biet, die von reichen Capitaliſten, Handelsleuten und Künſtlern bevölkert ſind, wird man, einmal, der phyſio⸗ kratiſchen Sophyſtereyen ungeachtet, keine Territorial⸗ Auflag einführen, in Ländern hingegen, wo nur Akerbau und Viehzucht getrieben wird, wo die Wohnungen nichts abtragen u. ſ. w., die Steuren eben ſo wenig von Haus⸗ miethen, Indüſtriezweigen odber Lurus⸗Gegenſtänden ct. heben können. Uebrigens iſt keine einzige Steur oder Auf⸗ Ťa. zu erdenken, die nicht ihre mannigfaltigen Sie konveniente habe. Hier cine vollkommene proportionelle Gleichheit und Billigkeit erzielen zu wollen, iſt eben (a unmöglich, als die Quadratur bed Cirkels zu erfinden,

oder mit Vernunft wahnſinnig, mit Gerechtigkeit unge⸗

recht zu ſeyn. 3 Es pflegen zwar die politiſchen Dežo.

31) Herr Profeſſor Seeger bat in. ſeiner ſchoͤn geſchriebenen Ab⸗ handlung uͤber das vorzualichſte Abgaben⸗Syoſtem, Heidelbers. 1810. viel Scharfſinn, Redlichkeit und Kenntniſſe verſchwendet, um ein Problem aufzuloͤſen, das an und fuͤr ſch unaufloͤslich if. Berabe bie unendlich vielen Schwierige

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nomen auf dem Bapieť zu fagen, jede Steur oder Con—⸗ a tribution folfe nad) cinem gleichen Maßſtab auf das Nera môgen oder das reine Einkommen eines jeden vertheiľé werden, den einen nicht mehr als den anderen beſchwe⸗ ren, zu keinen Inquiſitionen oder Plakereyen Anlaß ge. ben, der Freyheit und der Indüſtrie nicht ſchaden, leicht und mit wenigen Koſten zu erheben ſeyn, eine gewiſſe Summe abwerfen, zu einer beſtimmten Zeit eingehen u. ſ. w. Aber welche Steur, welche Auflag, oder welche Combination von Steuren, alle dieſe ſich zum Theil ſo— gar widerſprechenden Eigenſchaften erfülle; das haben ſie niemals anzubhringen gewußt, und die einzigen von ihnen gemachten Vorſchläge find gerade bie ſchlechteſten und nunthunlichſten von allen geweſen. Daf bie Idee der Des ťonomiíten von einer einzigen Territorial⸗Steur hohl und falſch ſey, iſt einmal nun durch Vernunft und Er. fahrung eine ausgemachte Sache. Denn es iſt durchaus nicht wahr, daß der Landbau der einzige Reichthum oder bie Quelle alles Reichthums fen, 32) und eben ſo falſch, . bok die Land⸗Eigenthümer alle GSteuren vorſchieſſen und ſich durch den höhern Verkauf⸗Preis ihrer Prodaťte ob den übrigen Claſſen erholen können. Die Beſtimmung dieſes Preifes ſteht nicht in ihrer einſeitigen Willkühr,

keiten welche er anfuͤhrt, beweiſen mir die Unmoͤglichkeit des Unternehmens. Auch wird er wobl nicht in Abrede ſeyn, daß durch ſeine Vorſchlaͤge jene Schwierigkeiten nicht gehoben werden.

32) Man koͤnnte eben (o Aut ſagen, der elít odber die Arbeit ded Menſchen bringe alles hervor, und man muͤſſe daher die Menſchen nad) ibren koͤrperlichen und intellektuellen Kraͤften beſchazen, fuͤr welchen Cadaſter dann bie Philoſophen einen

WMaßſtab ausſindig machen ſollen.

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ſonſt würde 4. S. das Getreid niemalen wohlfeil fen, Sie hängen von Vorrath und Nachfrage, von der Concurrenz unter einander, von eigenem und fremdem Bedürfniß, von dem Mangel oder dem Ueberfluß an Geld, von der Ein⸗ wirkung benachbarter Länder und von tauſend anderen Umſtänden ab. Im Gegentheil müßte ſolch ungeheurer Vorſchuß, und zwar an baarem Geld, (mas erſt noch ertauſcht werden muß) die Landwirthe niederdrüken, zum übereilten Verkauf ihrer Produkte zwingen, ža zulezt zur Verlaſſung ihrer Güter nöthigen. Und könnten ſie ſich auch ob den Käufern erholen: ſo würde dadurch die Steur noch lange nicht von jedem nad Maaßgab ſeines Ver⸗ mögens getragen. Denn alle Conſumtions⸗Steuren wer⸗ ven nicht nad dem Maaße ded Vermögens, ſondern nur der Conſumtion ſelbſt entrichtet: und wollte man z. B. die Steur auf das Brod allein legen, ſo würde ſie oft den Armen, der ſich faſt nur vom Brod nährt, noch mehr als den Reichen drüken. Oder ſoll man überhaupt jeden nach ſeinem geſamten Vermögen oder nach ſeinem Einkommen beſteuren, welches beym erſten Aublik das natürlichſte zu ſeyn ſcheint? Allein hier find die Schwie⸗ rigkeiten noch größer. Denn erſtlich frägt ſich: mad i ſt Vermögen? Das Capital, wie wir dieß nennen, iſt eine bloße Idee, eine ungefähre Schazung des ver⸗ anderlichen Werths der Dinge in Vergleichung mit einer gewiſſen Quantität von edlen Metallen, die man aber gar nicht immer dafür erhalten kann. Liegende Gü— ter und Gebäude find nur dasjenige werth, was ein anderer dafür geben will, und dieſes iſt nicht immer be⸗ kannt; an dem einen Ort tragen ſie viel, an dem ande⸗ ven wenig cin, dort können ſie fr cin fruchtbares Capi⸗ tal gerechnet werden, hier nicht. Juwelen, Silber⸗

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getátbe, Gemälde, Kunſtwerke, alicr WBaarettu Vorrath, das ganze ungeheure und (o unendlich man⸗ nigfaltige Mobiliar ⸗Vermögen repräſentirt einen ſehr großen Capital⸗Werth, ſeine Schazung aber iſt noch unendlich ſchwieriger. Einerſeits wäre es nicht billig ſel⸗ biges von der Verſteurung auszuſchlieſſen, anderſeits bey⸗ nahe nicht möglich ſolches darein aufzunehmen, indem man doch nicht die bewegliche, jeden Augenblik verän⸗ derliche Haabe jedes Menſchen inventoriſiren und evalui⸗ ren kann. Gelbſt ber Werth der beſtimmten Schuld⸗ ſchriften und der unablöſigen Zinsverſchrei— bungen iſt nicht immer gewiß; er hängt von dem guten Willen der mächtigeren, von der Zahlungsfähigkeit der ſchwächeren Schuldner ab; man kann dergleichen Anſpra⸗ chen nicht immer aufkünden, noch ſtets um ihren Nomi⸗ nalwerth realiſiren. 20 Wie ſchwer iſt es ferner das Ver⸗ mögen jedes Menſchen zu erkennen, zu ſchäzen, zu verificiren, da daſſelbe ſich in ſo unendlich verſchie⸗ dene Formen einkleidet, und ſo leicht verborgen, ſo ver⸗ ſchieden angeſchlagen werden kann. Selbſt der gewiſſen⸗ hafteſte Eigenthümer iſt nicht immer im Stand, die Sum⸗ me ſeines Vermögens genau anzugeben, eben weil alles nur auf ungefähren Schazungen beruht, und der Capi⸗ talwerth ſeiner Güter, Häuſer, Waaren, Schuldſchriften u. ſ. tv. nicht von ihm allein, ſondern von anderen ab⸗ hängt die das Aequivalent dafür geben wollen. Oder ſoll das keine Plakereyen, keine Unkoſten verurſachen, der Freyheit und Indüſtrie nicht ſchaden, auf die Mora⸗ lität nicht nachtheilig wirken, wenn man alle Jahre das Vermögen und die Fahrhaabe jedes Menſchen erforſchet/ inventorifirt, in das Geheimniß ſeiner Wirthſchaft citia. dringt, ſeine Gläubiger und (cine Schuldner bekannt wern

SAT

ben läßt, ihm ben grúften Reiz zum Betruge giebt, und ibn in die peinlichſte Colliſion zwiſchen ſeiner Steur⸗ pflicht und ſeinem Privat⸗Intereſſe ſezt? Werden bey den liegenden Gütern, welche allein nicht verheimlichet werden können, die Schulden nicht abgezogen, ſo tit ſol⸗ ches eine ſchreyende Ungerechtigkeit, indem man in (ol. chem Fall die Steur ſogar von demjenigen bezahlen muß was einem anderen gehört: und dürfen ſie hingegen abge⸗ zogen werden, ſo ſind hinwieder allen Verheimlichungen, allen ſimulirten Angaben Thür und Thore geöfnet. Wa⸗ rum ſoll ferner núť das Capital⸗Vermögen, die Erſpar⸗ niß treuer Vergangenheit, die Hoffnung der Nachkom⸗ menſchaft beſteurt werden? Iſt der Kopf, die Fähigkeit, bad, Pln, der Beruf eines Mannes von dem er reichlich lebt, nicht auch ein Capital, ein ihm von Gott oder von anderen Menſchen gegebenes Gut, das gleich einer Leib⸗ rente, nad) gewiſſen Probabilitäts-Calculn zu Capital angeſchlagen werden kann? Dazu kömmt es nicht nur auf das Vermögen, ſondern auch auf die nothwendigen Aus⸗ gaben An. Mer 20 bis 30000 Thaler beſizt, dabey aber eine zahlreiche Familie und ſonſt kein Einkommen hat, iſt nicht ſo reich als ein anderer der zwar nur die Hälfte oder weniger vermag, dabey aber keine Kinder hat, und jährlich von Aemtern oder Indüſtrie 4 oder 2000 Thaler gewinnt, die er am Ende auch dem geſelligen Verband in welchem er lebt, ja dem Daſeyn ber Capitaliſten ver“ dankt. Und iſt es endlich mit einer guten Staatswirth⸗ ſchaft vereinbar, gleichſam nur den Stamm anzugreifen der die Früchte bringt, die Capitalien ausſchlieſſend zu beläſtigen, welche allen übrigen Verdienſt befruchten und beleben, und mit deren allmähligen Verminderung oder Vernichtung auch alle Indüſtrie nothwendig dahin ſterben

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Muf? Einkommen?Steuren, ohne Rükſicht auf ſeine verſchiedenen Quellen, haben ähnliche Inkonve⸗ niente, wenn auch in minderem Brad, Eine vollkomme⸗ ne Gewißheit iſt auch hier unmöglich. Das Einkommen wie das Vermögen wechſelt alle Tage, kleidet ſich in tauſend Geſtalten cin, iſt ungewiß, ben vielen läßt es ſich nicht einmal in Geld anſchlagen, ſeine genaue Er⸗ forſchung hat die nemlichen Schwierigkeiten, keine Inqui⸗ ſitionen noch Beweisforderungen würden hier ihren Zwek erreichen. Wo man immer eine vollkommene proportiee nelle Gleichheit erzielen mil, ſtößt man auf unüberſteig— liche Hinderniſſe, welche die Unmoglichkeit der Sade beweiſen. Vermögen und Einkommen der Menſchen ſind cin Heiligthum der Privat⸗Freyheit; die Natur hat zu unſerem Wohl jede gewaltſame Ausſpähung oder Beſcha⸗ zung derſelben mit zahlloſen Schwierigkeiten umringt, und uns dadurch die wichtige Lehre gegeben, daß die wahre Regel darin beſteht, entweder keine Steuren zu fordern, oder wo dieſes nicht möglich iſt, nur freywillige, bey denen, ihrer Ungleichheit ungeachtet, ſich niemand zu beſchweren bat. Der leztere Saz iſt fo wahr, daß die Natur unwillkührlich zu ſeiner Befolgung zwingt, indem man überall genöthiget iſt, fr die gewöhnlichen zährlichen Einkünfte indirekte Abgaben einzuführen, welche gewiſſermaſſen als freywillig betrachtet werden können, und daß ſelbſt die direkten Steuren auf Ber. mögen und Einkommen mit Gewalt und Zwang niemalen durchzuſezen möglich ſind, ſondern man ſich zulezt immer, ohne weitere Nachforſchungen, mit ben freywilligen An⸗ gaben, folglich mit dem guten Willen der ſteurbaren Beta ſonen begnügen muß.

Da mithin alle Steuren und Auflagen ihre nicht zu vermeidenden Inconveniente haben, fo müſſen die min⸗ deſt nachtheiligen vorgezogen werden: und dieſe find die⸗— jenigen, welche ſich den freywilligen am meiſten näheren oder die nach einiger Zeit gar keine Steuren mehr ſind, ſondern die Natur einer Schuld annehmen. Sollen ſie jedoch einigermaſſen ergiebig ausfallen, ſo müſſen ſie auf viele Perſonen vertheilt, und zu dieſem End auf allge⸗ meine, leicht erkennbare und fortdaurende Gegenſtände oder Bedürfniſſe gelegt werden. Unter den direkten Steuren, d. h. denjenigen, die zu einer gewiſſen Zeit und in einer beſtimmten Summe eingefordert werden: ſcheinen mir die Grund- und Häuſer⸗Steuren (wofern ſie mäßig find und lange Zeit hindurch nicht er⸗ höhet werden) immer die zwekmäßigſten, nicht wegen dem falſchen phyſiokratiſchen Grundſaz, daß der Boden die einzige Quelle alles Reichthums ſey, ſondern weil ſie nach einiger Zeit gar keine Steuren mehr ſind. Denn bey der erſten Handänderung wird die auf dem Gut haf⸗ tende Steur als eine jährliche Schuld oder Servitut zu Capital angeſchlagen, und von dem Werth des Gutes abgerechnet; der neue Erwerber zahlt für daſſelbe weni⸗ ger als wenn es völlig ſrey wäre, er hat die Steur ver⸗ tragsweiſe als cine Beſchwerde übernommen, und kann ſich mithin über dieſelbe ſo wenig beklagen als wenn auf dieſem Gute andere Natural⸗ oder Geld⸗Schulden gehaf⸗ tet hätten. Auch würde ich ſtets die alte Methode ema pfehlen, bie Abgaben von den Grundſtüken großen Theils in Naturalien zu beziehen, 33) da ihre Einſammlung,

33) Herr Profeſſor Seeger Bat in ſeiner oben angefuͤbrten Preisſchrift die gewoͤhnlichen Einwuͤrfe gegen die Natural⸗ Abgaben, Zehenden u. ſ. w. gruͤndlich widerlegt.

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Aufbewahrung únd Verſilberung gar nidt fo viele In⸗ conveniente hat als man wähnt, ſondern im Gegentheil mit vielen anderen Neben-Vortheilen verbunden iſt; da übrigens nichts natürlicher ſeyn kann, als daß jeder gebe was er hat, was ihm die Natur bringt, ohne es vorerſt durch ſchwierige und nachtheilige Operationen in Geld umſezen zu müſſen. Der Landesherr vermag beſſer hiezu Zeit und Gelegenheit abzuwarten, und oft hat er es nicht einmal nöthig, da er die Naturalien theils ſelbſt braucht, theils ſeinen Beamten an Beſoldungsſtatt anweiſen kann, wo⸗ durch dann nebenher die Einkünfte ſtets in gleichem Ver⸗ hältniß mit den Bedürfniſſen bleiben, und nicht von dem veränderlichen Werth der Münzen abhängen. Dabey giebt dieſes auch dem Landesherren cin wahrhaft patriar⸗ chaliſches Ausſehen, bildet cin ächt Haus⸗ und Grund⸗ herrliches, ungemein ſolides Verband. Kopfſteuren, Vermögenſteuren u. ſ. w. die auch unter die direk⸗ ten Steuren gehören, ſcheinen mir in einer Monarchie durchaus unpaſſend, und find cher dem in einer Republit beſtehenden Verhältniß angemeſſen. Denn in lezterer, wie im jeder Privat-Aſſociation, zahlt jeder Bürger, jedes Mitglied der Genoſſenſchaft von Rechtenswegen gleich viell, blos weil er Bürger iſt, und an dem gemeinen Weſen den nemlichen Antheil bat, mithin auch bie nemli⸗ che Beſchwerde tragen muß. Dieſe Gleichheit der Steur kränkt den Armen nicht, ſie erhebt im Gegentheil ſein Ehrgefühl, weil ſie den öffentlichen Beweis liefert, daß der Arme, als Mitglied des gemeinen Weſens, ſo viel als der Reiche, und der Reſiche nicht mehr als der Arme berechtiget iſt. Der direkte Beytrag iſt eine Anerken⸗ nung des Rechts an der Benoffeníchaýt, mithin ehren⸗ voll und keineswegs herabwürdigend. Unter ben verſchie⸗

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denen Claſſen von Menſchen hingegen, die einem Fürſten dienſtbar und verpflichtet find (fo wie bey ben Untertha⸗ nen einer Republik ſelbſt) bat keiner Antheil an der Sou⸗ verainität, und auch nicht jeder gleichen Vortheil von dem gemeinſamen Verband; alle diejenigen z. B. welche nicht von Aemtern und Dienſten oder andern Wohlthaten des Fürſten, ſondern von ihrem eigenen Vermögen oder ihrer Arbeit leben, haben eigentlich keinen andern Vor⸗ žbeiť als den Schuz ben ſie an jedem anderen Ort auch ſinden könnten, und der in den philoſophifchen Staats⸗ Syſtemen gar zu hoch angeſchlagen, auch ſo viel unrich⸗ tiger zum Grund der verhältnißmäßigen Steuren angege⸗ ben wird, als die Staaten nicht gerade dazu geſtiftet worden, ſondern der Schuz ſchon der natürlichen Billig⸗ keit wegen geleiſtet wird, übrigens immerhin ungewiß iſt, und in vorkommenden Fällen, wo man ſeiner bedarf, durch die gerichtlichen Taxen u. ſ. w. noch beſonders be⸗ zahlt werden muß. Daher lehrt auch die Erfahrung, dať alle direkten Geldbeſchazungen, Kopfſteuren, Mer. mögensſteuren u. dgl., mögen ſie auch noch fo mäßig ſeyn, in Monarchien allemal ungern geſehen werden; denn nicht zu gedenken, daß ſie die oben angeführten zahlloſen In⸗ konveniente haben, daß man dabey unfreywillig und oft zu ſehr ungelegener Zeit bezahlen muß, daß ſie von Taxato⸗ ren und Perceptoren mancherley Plakereyen verurſachen, und zur Offenbarung ſeines Vermögens nöthigen, welches oft den ganzen Credit und Wohlſtand eines Menſchen ver⸗ nichten kann: ſo beſteht ihr gehäſſiger Hauptfehler darin, daß ſie in der Idee ded. Beſchazten ein unangenehmes Ge⸗ fühl von Knechtſchaft erweken, welches ein lnger Furſt feis zu vermeiden ſuchen muß.

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Indirekte Steuren odev Abgaben, welche der Unterthan ohne es zu wiſſen, freywillig, und in dem Augenblik bezahlt wo er ſie eben beſtreiten kann, dürften daher im Allgemeinen immer vorzuziehen ſeyn. Auch laſ⸗ fen ſich allerdings mehrere Wege denken, wodurch der Patrimonial⸗Fuürſt auf indirekte Art von ſeinen Unter⸗ thanen rechtmäßige Einkünfte ziehen kann, ohne dafür ſtets ihre Einwilligung ſuchen zu müſſen. Cr iſt 4. B. be⸗ fugt die Retributionen oder Zölle für die Benuzung ſeiner Induſtrial⸗/AUnternehmungen, die Straßen, Brü⸗ ken, Hafenzölle, die Poſtgebühren u. dgl. wie auch den Preis der von ihm ausſchlieſſend erzeugten, fabrizirten oder verhandelten Produkte, höher feſtzuſezen als es für bie bloße Erhaltung dieſer Anſtalten und für bie Ver⸗ zinſung der darauf verwendeten Capitalien nöthig wäre. Es iſt ihm nicht verboten die ohnehin in der Natur des Menſchen liegende Spielſucht zu benuzen, und einträgli⸗ che Landes⸗cLotterien anzulegen, wiewohl cine ſol⸗ che Unternehmung in den Händen eines Fürſten eben nicht ſehr edel, aber doch immer den willkührlichen Auf⸗ lagen vorzuziehen iſt; er kann nach ſtrengem Recht die Ausfuhr der Produkte ſeines Landes oder die Einfuhr der fremden nur unter gewiſſen Bedingungen (Mauthen und Zoöllen) geſtatten, wiewohl man in unſeren Tagen auch dieſes Mittel auf eine naturwidrige und menſchen⸗ feindliche Weiſe viel zu weit ausgedehnt bat. Er iſt be. fugt für alle Arten gerichtlicher Hülfleiſtung größere Taren vorzuſchreiben, und ſich wenigſtens einen Theil derſelben verrechnen zu laſſen. Mag man auch gegen dergleichen und ähnliche indirekte Steuren einwenden was man immer will: fo haben ſie das gehäßige einer direkten gezwungenen Veſchazung nicht, und werden, wie die Er⸗

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fahrung Tebrt, überall williger aufgenommen und lieber bezahlt. Sie laſſen dem Unterthan wenigſtens cine ge⸗ wiſſe Freyheit die Steur zu entrichten oder nicht zu ent⸗ richten, indem er ſich durch Beſchränkung ſeiner Bedürf⸗ niſſe, durch Nichtgebrauch des ſteurbaren Gegenſtands, derſelben entziehen kann. Man zahlt dieſe unmerklichen Steuren oft ohne es zu wiſſen, oder wenn man eben will und dazu vermögend iſt. Sie find endlich ohne Plake⸗ reyen leicht zu erheben, und ihr Produkt iſt doch ungleich ergiebiger als das der direkten Steuren. Daher kömmt es aurh, daß ſie aller phyſiokratiſchen und anderer Cameral⸗ Syſteme ungeachtet, gleichwohl in allen Ländern üblich find, und ſelbſt da wo man ſie abgeſchafft hatte, wieder eingeführt wurden. Zwar iſt auch hier ein gewiſſes Maas, eine billige Beſchränkung nöthig, und durch die Natur der Dinge ſelbſt vorgeſchrieben. Denn ſolten dergleichen Abgaben zu ſehr übertrieben, zu hoch geſteigert werden: ſo würden die entbehrlichen Bedürfniſſe von den meiſten Menſchen aufgegeben werden, mithin die Abgabe wenig oder nichts einbringen; oder wollte man die unentbehrli⸗ chen Conſumptions⸗Gegenſtände allzuſtarken Abgaben Uni» terwerfen, ſo würden ſie am Ende die Exiſtenz und das Gewerbe der Unterthanen unmöglich machen, mithin die— ſelben sur Auswanderung nöthigen. In fo fern alſo die gemeinſamen, Fürſt und Volk gleich intereſſirenden Bedürfniſſe, dergleichen Steuren nicht nothwendig er—⸗ fordern: fo iſt c freylich ſchöner und edler, wenn der Fürſt bey der wahren Regel verbleibt, aus Domainen, Regalien und deren möglichen Erweiterung lebt, ſeinen Unterthanen aber möglichſt mit Abgaben verſchont, und mithin auch von ihnen keinen weitern Gewinn zu ziehen ſucht. Sind ſie aber durch Umſtände unentbehrlich ge⸗ Rveyter Vand. 3

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worden, und werden zum Ueberfluß noch bewilliget: fa Z hi auch gegen dieſelben nichts oder doch weit weniger als gegen die direkten gezwungenen Steuren einzuwenden.

Acht und dreyßigſtes Capitel. Fortſezung.

Moraliſche Pflichten der Fuͤrſten. Gemeinnuͤzigt Anſtalten.

J. Beſchraͤukung dieſer Deduetion auf die boͤberen und ſeltene⸗ ren, mehr Kraͤfte vorausſezenden Wohlthaten. |

11. Bemeinnúzige Anſtalten 31 Befórdevuný der Sicherbeit, bee Wohlſtandes, der Wiſſenſchafren, su Unterſtuͤzung der Kran⸗ ken und Armen 20,

111. Dergleichen Anſtalten ſind Woblthaten, nicht rechtliche Schul⸗ digkeiten, und werden nicht ansſchlieſſend von den Fuͤrſten geleiſtet. Die meiſten und beßten derſelben verdankt man Privat⸗Perſonen und Privat-Vereinigungen, beſonders aber der chriſtlichen Kirche.

IV. Es iſt ſogar hoͤchſt ſchaͤdlich und ihrem Aufkommen binderlich,

fie ausſchlieſſend zur Sache der Fuͤrſten zu machen, und ihnen

als angebliche Zwangspflicht aufzulegen.

V. Beweis dieſer Wabhrheit aus der Natur der Sache und aus der Erfabrung unſerer Tage.

Sobald die Fürſten als mächtige, begüterte Menſchen die über viele herrſchen und ſelbſt niemanden dienen,

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bey Ausübung ihrer Freyheit inner ben Schranken nase türlicher und erworbener Rechte bleiben, fremde Rechte nicht beleidigen, ſondern vielmehr dieſelben möglichſt beſchüzen: fo iſt ſchon ſehr viel zumn Wohl des gemein⸗ ſamen Verbandes gethan. Durch ihre bloße Exiſtenz und durch den Austauſch wechſelſeitiger Dienſtleiſtungen, wird Sicherheit, Wohlſtand und Cultur auf mannigfaltige Wei⸗ ſe befördert. Allein es iſt ihnen gleich anderen Menſchen nicht nur das Geſez der Gerechtigkeit, ſondern auch das ber Liebe oder bed thätigen Wohlwollens gegeben, © ſie ſollen mit ihrer Macht nicht nur nicht ſchaden, ſondern auch nüzen, und zwar um deſto mehr als ſie dazu mehr Mittel und Gelegenheit haben. Dieſen moraliſchen Pflichten der Fürſten wollen wir hier wenigſtens ein Capitel widmen, um eine ſonſt unvermeidliche Lüke der Wiffenſchaft zu ergänzen, und Vorwürfen zu begegnen, die uns aus Mißverſtand theils bereits gemacht worden ſind, theils noch gemacht werden könnten.

Zwar wird man nicht von uns fordern, und iſt auch nicht möglich, daň wir hier alle gewöhnlichen moralíe ſchen Pflichten, Wohlthaten oder Hülfleiſtungen abhan⸗ deln oder erſchöpfen, welche die Fürſten mit allen ande— ren Menſchen gemein haben, und wodurch ſie ſich von den lezteren gar nicht unterſcheiden. Wir müßten dazu ein ganzes Syſtem der Moral ſchreiben, welches immer noch unvollſtändig wäre, und auch nicht nöthig iſt, zumal es mehr auf den Geiſt der Liebe, das Grundgeſez aller Moral, bie Regel alles Thuns ſelbſt, als auf die unzähl⸗ baren Fälle ihrer möglichen Anwendung ankömmt. So

m Maa SONO,

1) vergl, T. I. ©, 397.

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wenig als wir dieſe materielle Aufzählung ben den Be. fugniſſen und rechtlichen Schuldigkeiten erſchopfet haben oder erſchöpfen konnten, (o wenig iſt es hier möglich. Jene Aufthürmung einer unermeßlichen Menge von Pflich⸗ ten ermüdet den Geiſt, und erſtikt vielmehr das Gefühl der Gerechtigkeit und des Wohlwollens, fatt daſſelbe zu beleben und zu befördern. ) Wir müſſen ung demnach auch hier nur auf die groferen, ſelteneren, mehr in die Augen fallenden Wohlthaten oder moraliſche Pflichten be⸗ ſchränken, diejenigen welche ſolche Kräfte vorausſezen, daß ſie, wenigſtens in höherem Grade, nur von Großen und Mächtigen ausgeübt werden können, auch eben des⸗ wegen Fürſthich genannt werden, wiewohl ihre Er. füllung keineswegs ein ausſchlieſſendes Recht der Für⸗ ſten iſt. |

Unter allen moraliſchen Pflichten der Fürſten iſt zwar die Gerichtsbarkeit oder die gerichtliche Hülfleiſtung, d. h. der kräftige Schuz gegen beſtrittenes oder verleztes Recht die erſte, die weſentlichſte, die den Völkern nothwendigſte, diejenige die auch atm leichteſten erfüllt werden kann, und eben deßwegen oft durch feyerliche Verſprechungen und förmliche Verträge oder Gegenleiſtungen zur rechtlichen Schuldigkeit erhoben wird. 3 Sie daher nie oder nur in außerordentlichen Fällen zu Bewirkung größeren Au» zens obeť Verhütung größerer Uebel zu vermeigeren, +) 2) Gerade wie die unermeßliche Menge von Rechts⸗Regeln oder

pofitiven Geſezen, zulezt gaͤnzliche Gleichguͤltigkeit, ja ſogar

AUnglauben an alle Gerechtigkeit bewirkt.

5) ©. oben S. 269 270. Dieſer Schuz der Schwachen und

unſchuldigen wird von Auguſtin ſchoͤn und treffend ejne mas- eula charitas genannt.

4) Die gewoͤhnlichen Faͤlle davon ſ. oben ©. 265 —277, Andere

saŤ

fe nidt mit allzuvielen Schwierigkeiten und läſtigen Be⸗ dingungen 41 umringen, S? fie jedermann tu allen Din—⸗ gen, dem Armen wie dem Reichen, dem Fremden wie dem Einheimiſchen, dem Diener wie dem Herren, dem Untergebenen mie dem Oberen, 6) gewiſſenhaft zu erthei⸗ len: gehört unter die edelſten, ſchönſten und ſegenreichſten Handlungen der Fürſten, die auch mit Recht von den Völkern am meiſten geprieſen werden. Ale anderen Mohla ťbaten und Beglükungs⸗Mittel, zu Beförderung der Si⸗ cherheit, des Wohlſtandes, ber Cultur u. ſ. w. find kei⸗ neswegs fo nöthig, wenigſtens nicht unentbehrlich; ſie ge⸗ hören cher zum Regierungs⸗-Luxus, können durch bie Be⸗ mühungen der Privat⸗Perſonen oder Privat⸗Vereinigun⸗

gen leicht erſezt werden: und wenn ſie nicht der Gerech⸗ uigkeit untergeordnet ſind, nicht im Geiſte wahrer Liebe

?

(eben wir táglih vor Mugen in den fo haͤufigen Amneftien, in der Barantie, d. h. der nicht Vindication oder dem Huͤlfs⸗ Abſchlag gegen gewiſſe durch Nevoluticnen bewirkte Ungerech⸗ tigkeiten U ſ. w.

S. oben ©. 207 h

Dieſe Regel ſcheint heut zu Tag faſt ganz vergeſſen zu wer⸗ den, und das gerade ſeit den neuen Staats⸗Prineipien. Un⸗ ter dem Vorwand von Subordination, die doch nur in gerech⸗ „ten Dingen gilt, wird faſt keine Klage eines Untergebenen, eines Beamten u. f. gegen ſeinen Oberen oder Vorgeſezten mehr angenemmen, keine Verantwortung angehoͤrt, MAN. glaubt ibm kein Gebôr ſchuldig zu ſeyn u. ſ. w. Die ſoge⸗ nannte Dheilung der Gewalten Bat die Gerechtigkeit nur in. Civil⸗ und Criminal⸗Gerichte verwieſen, die ſchuͤzenden For⸗ men der Juſtiz, die Anboͤrung beyder Parteyen, die Defen⸗ ſion des Beklagten u. ſ. w. gelten mur noch fuͤr Moͤrder und: Straßenraͤuber. Hieruͤber bat auch Herr Piom in ſeinem

8

358 | geſchehen, fo werden ſie ſogar ſchädlich, ſind nur ein 48: nend Erz und eine klingende Schelle.

Außerdem iſt aber freylich nicht zu läugnen, daß ein Fürſt allerdings befugt iſt, aus ſeinem Vermögen oder aus freywilligen Beyſchüſſen, und in fo fern er keine fremden Rechte dabey beleidiget, in ſeinem Land allerley gemeinnüzige und wohlthätige Anſtalten su eva richten, z. B. durch gute Polizey⸗Aunſtalten für Sia cherheit, Ordnung und Bequemlichkeit ſeiner Unterthanen zu ſorgen, die Uebel der Natur oder die Frevel der Men⸗ ſchen möglichſt zu verhüten, durch gute Straßen und gute Münzen, durch Erbauung von Brüken, Dáma men, Canälen, durch Poſten u. ſ. w., die ihm auch in anderer Rükſicht nüzlich find, 7? ben Handel zu Des förderen, durch eigene große Unternehmungen Arbeit und Verdienſt zu verſchaffen, Produkte bie ſonſt geſchlum⸗ mert hätten, zu benuzen und in Bewegung zu ſezen, 8) durch Anlokungen, Vorſchüſſe und erlaubte Begünſtigun—⸗ gen fremde Indüſtrie zu ermuntern, zu unterſtü⸗ zen; für die Wiſſenſchaften überhaupt, oder für ſeinen beſonderen Dienſt allerley hohe und niedere Schu— Ten s) mit ihren Subſidiar⸗Anſtalten 10) zu ſtiften und

gelehrten Werk de l'etat de la France sous ľadministra« tion de Napoleon Bonaparte. 1814. fs 250. ftappante Ves merkungen gemacht.

*) ©. oben ©. 189 299, |

%) Bergwerke, gewiſſe Manufakturen, Fabriken u. ſ. w. S. oben ©. 299. ff-

9) Akademien und Univerſitaͤten, Ingenieurs⸗ und Militaͤr⸗ Schulen, Artillerie⸗ und Marine⸗Schulen u. f. m.

19) Biblietheken, Kunſtkammern, Bilder⸗Gallerien, Múny - Cas

459. ++ unterhalten, dazu die Lehrer zu berufen, 44 ernennen, su beſolden, oder mit Ehre und Auszeichnung zu belob. Ken: Arbeits- und Zuchthäuſer, auch Kranken⸗, Úvmen. und Verſorgungshäuſer von mancherley Art anzulegen, + Verſchönerungen und Verzie— rungen anzuordnen, die zur Geſundheit oder zur Erho⸗ lung ded Volkes dienen 122) u. ſ. w. Allerdings iſt ſchön und nüzlich, wenn cin Fürſt dergleichen Anſtalten unternimmt; er hat dazu mehr Vermögen als andere, und von einem mächtigen, durch große Glüksgüter begünſtig⸗ ten, und durch die vollkommenſte Freyheit an keinem Gu⸗ ten gehinderten Menſchen, erwartet man mehr als volt: anderen höhere Wohlthaten, ein edles Bemúth und einen gemeinnüzigen Sinn. Sie haben auch noch den großen Neben⸗Vortheil, daß ſie die Bande der Liebe vervielfäl—⸗ tigen und bie Unterthanen durch das ſüße Gefühl ſolcher, nicht überall anzutreffender, Vorzüge, an Fürſt und Bas terland knüpfen.

Aber alle dieſe gemeinnüzigen und menſchenfreundli⸗ chen Anſtalten, die nicht in bloßen Unterlaſſungen, ſon⸗ dern in thätigen Aufopferungen beſtehen, find Wohltha⸗ ten, nicht rechtliche Schuldigkeiten, mithin gleich allen moraliſchen Pflichten durch die Gelegenheit und die Mög⸗ lichkeit ihrer Ausübung bedingt. Kein Land, kein Reich, ſo groß und mächtig es auch ſeyn mag, kann in dieſer

binete, Naturalten: Sammlungen, botaniſche Gaͤrten, Stern⸗ warten, anatomiſche Praͤparate, ehemiſche Laboratorien u. ſ. w

s) Epitbáler, Wayſenhaͤuſer, Invalidenhaͤuſer, Tollhaͤufer u. ſ. w. L2) Theater, Gaͤrten, Baderte mit Geſundbrunnen, Spazier⸗ gaͤnge u. dal.

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Rükſicht alles in gleichem Grade oder gleicher Ausdeh⸗ nung leiſten. 13) Die Unterthanen oder Angehörigen ſol⸗ len daher ihrem Fürſten für dergleichen Únftalteu , fo weit ſie geliefert werden können, Dank wiſſen, und dieſelben als eine landesväterliche Wohlthat erkennen. Daß er hin⸗ gegen dazu aus ſogenannten Staatszweken, oder vorgeb⸗ lich erhaltenem Volks⸗-Auftrag, rechtlich verbunden und verpftichtet ſey, oder daß ſogar dieſe menſchenfreundlichen Vorſorgen nur ihm allein ausſchlieſſend obliegen, andere Menſchen aber dazu nicht befugt 14) oder nicht, ſo viel in ihren Kräften ſteht, ebenfalls moraliſch verpflichtet ſeyen; daß, wie neuere Sophiſten behaupten, der Staat, d. b. der Fürſt, gleichſam cin Univerſal⸗Arzt und Schul—⸗ meiſter ſeyn, alle Kinder ſeiner Unterthanen erziehen und unterrichten laſſen, "S daß er alle Armen ernähren, ale 13) Solches waͤre auch nicht einmal gut. Die Natur hat den ver⸗ ſchiedenen Laͤndern und Voͤlkern auch verſchiedene Talente

- und Huͤlfsmittel gegeben. Hier wird dieſes, dort jenes vor trefflicher geleiſtet. Und gerade dieſe wechſelſeitigen Beduͤrf⸗ niſſe und Huͤlfsmittel befoͤrdern den freundlichen Verkehr, die Liebe unter den Voͤlkern, die Erweiterung der Einſichten und Kenntniſſe, den Kosmopolitismus im wahren und guten Sinn,

d. b. bie Achtung fuͤr andere, welche mít dem Patriotismus oder der Vorliebe fuͤr da eigene gar wobl vertraͤglich ik.

14) Alle anderen Menſchen Ďaben auch hierin aleiche Rechte wie bie Fuͤrſten. Se ſagte ſchon J. H. Bœhmer: „Nemini in- terdictum est, curam pauperum .exercere , orphanetrophia exstrucere vel nosocomia, suo seilicet sumtu: sic et scho-— las guilibet pater familias inter privatos parietes crigere potest.". Jus publ. univ. p. 56.

15) Die Sorge ber Regierung fúr die Erziehung ber Búrger mu das ganze Leben umfaſſen, von der Geburt bi zum Grabe, ſte muß ſich uͤber beyde Geſchlechter erſtreken ꝛc. Ludens Gtaatsweisheit p. 423. und taufend neuere deutſche Buͤcher.

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alten und. gebrechlichen Menſchen verſorgen, ſelbſt Müßig⸗ gänger und Liederliche von dem verdienten Untergange retten 160) und Miſſethäter, gleichſam zum Danť für ihre Verbrechen, noch wohl bequartirt lebenslänglich erhalten, daß er alle Kranken verpflegen und überall Hebammen, Aerzte und Apotheker auf ſeine Unkoſten beſtellen, 12) ben Unterthanen jede nur wünſchbare Bequemlichkeit und Er⸗ gözlichkeit verſchaffen, ſie beynahe vor allen Natur⸗Ue⸗ beln bewahren, und diejenigen bie dadurch gelitten bas ben, nicht etwa aus Mitleiden und Wohlthätigkeit, ſon⸗ dern aus Regenten⸗-Pflicht vollſtändig entſchädigen ſolle 13) u. ſ. w.: das iſt cine unſinnige Lehre, bie nicht nur aus keinem Rechtsgrund hergeleitet werden kann, ſondern alle Freyheit, alle wahre Wohlthätigkeit vernich⸗ tet, und nur aus jenem Hirngeſpinnſt eines Staates fließt, wie keiner je exiſtirt hat, noch exiſtiren ſoll, noch ver⸗ möge der Natur der Dinge exiſtiren kann. Dieſe Doe⸗ trin iſt aber auch zugleich böswillig und gemeinſchädlich, indem ſie eine ewige Unzufriedenheit pflanzt, den Regen⸗ ten unerträgliche, alle menſchlichen Kräfte überſteigende

©

16) Weil fe, mie man fagt, cin Nedt zu leben haͤtten, wo ib⸗ (nen dann dať Nauben und fogar das Morden erlaubt ſeyn (0l. ©. Dreſch Naturrecht p. 115.!! Die Menſchen Ďas ben allerdings cin Necht zu (eben, aber nur wenn fle niemand beleidigen. So bat aud jeder ein Recht zu eſſen, aber nidt vom TDiſche anterer, ex ſey dann cingeladen.

17) Herr Luden mil[, daß alle mediziniſche Húlfe auf untolen

des Staats jebem einzelnen Buͤrger unentgeldlich geleiſtet wer⸗ ben ſoll. Staatsweisheit p. 419. Ob bie Kranken das ben gewinnen duͤrften, iſt febr zu bezweifeln.

18) Well er, mie z. BS. Sonnenfels fagt, die Sarantie tt Eigenthums uͤbernommen habe.

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Saften auflegt, bad Gewiſſen der redlichen, auf dieſe Arts unterrichteten Fürſten fürchterlich beunruhigt, und zulezt gerade durch das Gefühl der Unmöglichkeit, das Herz eher verhärtet als zur Großmuth und thätigen Liebe ſtimmt. Wenn man daher den Zeitpunkt betrachtet, in welchem jene philantropiſch ſeyn ſollenden Grundſäze vorzüglich aufgeſtellt und geprediget worden ſind, 19) (o iſt man al⸗ lerdings zu der Vermuthung berechtiget, daß auch hier ber böſe Geiſt bie: Larve ded guten angenommen 20) und: die Schlange unter den Blumen gelegen habe. Man wollte den Fürſten allen Dank der Völker oder einzelner Individuen entziehn, indem man auch ihre ſchönſten und uneigennüzigſten Wohlthaten als abſolute Rechtsſchuldig⸗ keiten darſtellte: und da jene chimäriſchen Zweke doch nie alle erreicht oder erfüllt werden können, ba ſelbſt bie zahl⸗ reichſten und vortrefflichſten Anſtalten immer weit hinter dem falſchen Ideal, der vorgeblichen Rechtsſchuldigkeit, zurükbleiben, da man mithin die Fürſten unbarmherzig nicht nad demjenigen beurtheilt, mad ſie wirklich Gu⸗ thun oder thun koönnen, ſondern nach dem mas ſie nach der Idee der Sophiſten thun ſollten: ſo iſt es klar, daß auf ſolche Art jegliches Volk zu einer ewigen Unzu⸗ friedenheit geſtimmt werden muß. Hinweg mit dieſen Doc“ trinen, die mit Aufſtellung falſcher Regeln unter dem Vorwand eines unmoglichen Beſſeren 27 alles wahre Bite vernichten! Sin Fürſt überhaupt und der Patrimonial⸗ Fürſt insbeſondere, iſt nichts weiter als cin durch glük⸗— ded Schikſal bis zur Unabhängigkeit hochbefreyter/ bes,

19) In ben zwey lezten Dezennien ded 18ten Jabrhunderts 20) Diaboľus simia Dei.

21) melches nicht einmal gut waͤre.

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gtiterter und eben dadurch maͤchtiger Menſch, wie bad ge⸗ meine Volk zu ſagen pflegt, cin großer Herr, der frey⸗ lich mit ſeiner Macht nüzen und nicht ſchaden ſoll. Was die ihm dienſtbaren oder ſonſt von ib abhängigen Men⸗ ſchen betrifft: ſo ſoll in der Regel ein jeder für ſich ſelbſt und die Seinigen ſorgen; er hat die Pflicht ſeine Kinder zu erziehen, und in dem was ihnen nöthig iſt zu unter⸗ richten oder unterrichten zu laſſen, ſich durch Fleiß und Arbeit in der Welt fortzuſchwingen, ſein Leben durch ei⸗ Kene Mittel zu erhalten, ja dabey noch anderen zu nü⸗ zen, zufälliges Unglük zu ertragen, und die natürliche Strafe ſeiner Verſchuldungen zu büſſen. So will es das Recht und die Natur, die göttliche Ordnung aus deren wir nie getreten ſind noch treten ſollen. Was weiter geſchieht oder geſchehen kann, um durch wechſelſeitige Hülfe ſich jene Privatzweke zu erleichtern, Vortheile zu mehren und Uebel zu minderen: iſt eine natürliche Wohlthat des ge⸗ ſelligen Zuſammenlebens, die Folge mannigfaltiger Pri⸗ vat⸗Verträge, freundſchaftlicher Aſſoeiationen, odber auch die milde Frucht uneigennüziger Liebe, deren Geſez den Fürſten nicht mehr und nicht weniger als den Indivi⸗ duen gegeben iſt. So verdanken wir die meiſten und ſchön⸗ ſten gemeinnüzigen Anſtalten für Religion und Wiſſen⸗ ſchaften überhaupt, oder für die Erziehung der Jugend, die Vflege der Kranken und die Unterſtüzung der Armen, der allgemeinen ehriſtlichen Kirche, jener gro— ßen und herrlichen religioſen Geſellſchaft, die aus lauter Liebe hervorgegangen, durch ihre Jünger und Gläu—⸗ bigen in ganz Europa und allen anderen Weltthei⸗ len, dem Schöpfer, Geſezgeber und Erhalter der Welt mehrere hunderttauſend Tempel erbaut, unzählige hohe und niedere Schulen, Primar⸗ odber Kinder⸗Schu⸗

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len, 22) Klöſter, Gymnaſten, Collegien, Seminarien, Akademien und Univerſitäten geſtiftet, die herrlichſten Spitäler und andere Verſorgungs⸗Anſtalten gegründet, fie alle mit Gebäuden, Gütern, Einkünften und inneren Hülfsmitteln reichlich verſehen, ihnen die geiſtreichſten und zwekmäßigſten Einrichtungen gegeben, 23) auf Eis⸗ und Schneegebirgen ſelbſt, den müden oder verirrten Wan⸗ derern freundliche Unterkunft, Hülf und Hoſpitalität vera ſchaft, 24) ben wahren Gelehrten aber, den Lehrern und:

——, ü ——— ———

23) Chriſten⸗Schulen, mie man fie ſonſt hieß.

23) Hievon wird in dem sten Hauptftúť ven den geiſtlichen Staa⸗ ten mehr gerebet, und bemiefen werden, daß alle unſere pom⸗ poͤſen Erziehungs⸗ und Kranken⸗Anſtalten den kirchlichen In⸗ ſtituten aͤhnlicher Met ben weitem nicht gleichkommen, vieľa weniger ſie zu uͤbertreſfen vermoͤgen. Das Beßte haben (ie

noch von ihnen nachgeahmt. Nicht zu gedenken, daß ſie meiſt nur vom Maub der Kiechengúter leben, und ohne das von fruͤherer Religioſitaͤt hinterlaſſene Gapital nie 40 Stande ges > kommen waͤren.

34) Sat bie Philoſophte und Aufflaͤrung unſerer Tage auch mily, ein Inſtitut wie dasjenige auf dem St. Bernhardsberg her⸗ vorgebracht? „Ou sont, ſagen bie Vicaires generaux des Erzbisthums von Variš in einem Mandement pour le Car réme de 1815: „Ou sont les monumens utiles, dont nous « 50mmes redevables aux apôtres de ľimpiété et de la cor- «ruptión ? gu“on nous moatre leurs établissemens, leura. « hopitaux, les grands actes de genérosité. gui honorensš «leur mémoire. Is ont attagué tous les biens à la fois en « attaguant la religion gui les avoit créés. Is. ont pres-

« gue tout renversé: ce gui a survecu ne leur a échappé gue « Parcegue la religioa ľa conservé , et ďest elle encore qui «en rassemhle les debris et gui restaurera, trop lentemenk

ahélas ! les belles et nombreuses institutions, doni ils OBR. pProvoqué la destru etion.“

365

Bekennern ber Tugend und Wiſſenſchaft, cine Laufbahn eroffnet bat, durch welche ſie von Lebensſorgen frey und geehrt, aber doch mit Wort und That der Welt nüzend, aus Dunkelheit und Armuth zum höchſten Glük, ja bis zum Thron gelangen konnten. So ſehen wir in allen Län⸗ dern hausväterliche Vereinigungen, Städte und Corpo⸗ rationen aller Art, zu ihrem gemeinſamen Nuzen, Schnu⸗ len und Wayſenhäuſer, Kranken⸗ und Armen⸗JInſtitute errichten, dotiren, verwalten, ſelbſt einzelne Privat⸗Per⸗ ſonen dergleichen gründen, 2) andere der Erholung und dem Vergnügen widmen; ſo giebt es in minder allgemei⸗ nen Bedürfniſſen, tauſend und tauſend Menſchen, die nad mannigfaltigen Verträgen als Lehrer von beſonde— ren Künſten und Wiſſenſchaften, oder als Unternehmer von mancherley Anſtalten, durch ihre höheren Kenntniſſe und Talente dem Nuzen und dem Vergnügen ihrer Mite bürger dienen, und deren Exiſtenz mithin ſelbſt cine ge. meinnüzige Anſtalt iſt. So iſt es endlich keinem Zweifel unterworfen, daß auch die Fürſten, die Großen und Mächtigen ber Erde, ſolch milde und freundliche Stif⸗

tungen nicht nur unterſtüzen und begünſtigen, ſondern auch durch ihr Vermögen dergleichen neue ſtiften können, und daß dieſes von ihrer Seite cine ſchöne und ruhm—⸗ würdige Handlung iſt.

Allein alle dieſe wohlthätigen und gemeinnüzigen An— ſtalten werden dadurch gar nicht vermehrt oder befördert, wenn man ſie zu Zwangspflichten machen, oder gar dem

a5) Hat nicht auch unlaͤngſt der jezt verſtorbene Here Pourtalás

in Neuenburg einen Spital geftiftet und dazu 600,000 Pf. gegeben?

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ſogenannten Staat, b. b. den Fürſten ausſchlieſſend auf⸗ legen milí. Menſchliche Handlungen werden im Gegen⸗ theil deſto ſeltener, je mehr man ſie zu (poſitiven) Geſe⸗ zen macht. Alle Liebe zieht ſich vor dem Zwange zurük; der mildthätigſte und großmüthigſte Menſch verſchließt

ſein Herz und wird ſogar ein Almoſen abſchlagen, ſo⸗ balb man es ihm gebiethen und als Schuldigkeit don ihm

ertrozen mil, alldieweil er hingegen ſeine Gaben reich⸗ tich ſpendet, wenn man dieſelben ſeinem freyen Willen überläßt und als Wohlthat mit ſchuldigem Dank aner⸗ kennt. Beſſer iſt ed daher, auch in den größeren geſel⸗— ligen Verhaͤltniſſen, welche man Staaten nennt, die Stif⸗ tung und Vermehrung milder und wohlthätiger Anſtalten ebenfalls dem Trieb des menſchlichen Herzens zu überlaſ⸗ fen, welches zumal bey reichen und mächtigen Herren leicht zur Großmuth geſtimmt wird: und wenn auch dabey die Triebfedern des Ehrgeizes, der Ruhmſucht u. ſ. w. mehr odev weniger mitwirken ſollten, fo iſt ſol⸗ ches dem gemeinen Beßten immer vortheilhaft, wiewohl von dieſen lezteren nicht ganz reinen Quellen, allemal etwas unvollkommenes in die Anſtalt ſelbſt übergeht. 26)

Dabey iſt der Nuzen aller ſolcher Anſtalten unmittelbar

für die Unterthanen; was aber unmittelbar für das Volk beſtimmt iſt, das wird auch am beßten und uneigennüzig—

ſten von ihm ſelbſt, d. h. ven Privat⸗Perſonen oder

26) 3. B. bey den praͤchtigen Invalidenbaͤuſern, den modernen Spitbaͤlern, wo mehr auf dufern Glanz und die Vortheile der Adminiſtration, als auf das Wohl der Kranken geſehen wird; ſelbſt de) gewiſſen Univerſitaͤten, bie mehr zur Befrie⸗ digung der Gitelfeít als zum Nuzen der Wiſenſchaften ein⸗ gerichtet zu ſeyn ſcheinen U, ſ. w.

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Privat⸗Vereinigungen bewerkſtelliget. ꝛꝛ Die Dinge ge— hen am beßten, wenn ein jeder das ſeinige beſorgt. Kein Fürſt in der Welt wäre reich genug, um alle Arten von wohlthätigen Anſtalten aus ſeinem Eigenen zu errichten oder zu unterhalten: und reichen ſeine Einkünfte dazu nicht bin, fo iſt es am klügſten, entweder die Untertha⸗ nen für dergleichen Unternehmungen, deren Gemeinnüzig⸗ keit in die Augen leuchtet, zu Beyträgen aufzufordern und ſolche gewiſſenhaft zu verwenden, oder ihre natürliche Wohl⸗ thätigkeit zu Geſchenken und Vergabungen anzureizen, an⸗ bey die beſtehenden Inſtitute nicht ſelbſt zu zerſtören, die vhriftľiche Kirche, die Mutter und Wurzel fo vieles Guten, weder zu verfolgen noch zu berauben, allen Landſchaften, Stádten und Gemeinden, wie and) den Privat⸗Perſonen welche in ihrem Bezirk Erziehungs⸗,, Armen/⸗ und Kranken⸗ Anſtalten errichten wollen, ihren Antheil von Ehre, ge. rechte Freyheit und eigene Adminiſtration zu laſſen, vor⸗ züglich aber die Stiftungen heilig zu halten, wodurch die Frömmigkeit der Väter für die Beförderung der Wiſ⸗ ſenſchaften, die Erziehung der Jugend, die Pflege der Kranken und Armen u, ſ. w. fo reichlich geſorgt, da⸗ durch den Fürſten oder den heutigen Generationen ſo viele Ausgaben erſpart, und die Bande ber Liebe un—⸗ ter den Menſchen vervielfältiget hat. Auch beweiſet die Erfahrung, daß nirgends mehr blühende und herr⸗

27) Unſere neuen Staatslehrer die immer das Wort Volk im Munde fuͤhren, und doch alles von Regierungswegen ge⸗ ſcheben laſſen wollen, bedenken nicht, daß ſie gerade dadurch das Volk vernichten, ibm nichts zu thun uͤbrig laſſen, mit⸗ bin auch alle Ghre, alle Frepheit rauben. Vergl. oben ©, 273 174.

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liche gemeinnüzige Anſtalten exiſtiren, als da wo man ſie den Fürſten nicht zur Pflicht gemacht, aber der Wohl⸗ thätigkeit der Privat⸗Perſonen und Privat⸗Vereinigun⸗ gen keine Hinderniſſe in den Weg gelegt, und ihre Stif⸗ tungen heilig reſpektirt hat, mie z. B. in England, 28) in Holland, 29) in den ehmals freyen Städten der Schweiz und ihrem Bebiet,.3e) in vielen Gegenden Deutſchlands, und vor der franzöſiſchen Revolution in allen catholiſchen Reichen, beſonders aber in den ge'iſt⸗ lichen Staaten. Dagegen ſind die Uebel nicht zu bee rechnen, welche der Religion, den Wiſſenſchaften, der Menſchlichkeit und dem gemeinen Beßten dadurch ge⸗ ſchlagen worden ſind, daß man in neueren Zeiten alle dieſe Gegenſtände dem natürlichen Einfluß der Private Perſonen und Privat⸗Geſellſchaften entzogen, ſie un⸗ ter dem Vorwand von Staatszweken oder unmittelbare Staats⸗Aufſicht, zur Sache der Fürſten gemacht, und aus dieſem Grund ſogar einige derfelben, nach Art der franzöſiſchen Revolution oder früherer Aufklärungs⸗Doc⸗ trinen, zu Plünderung und eigenmächtiger Verwendung alles geſtifteten oder Corporations⸗Gutes veranlaſſet

a AE S

39) In fondon allein (ind 1630 Privat⸗Geſellſchaften zu menate licher Unterftúzung ungluͤklicher Menſchen, 10» Haͤuſer fúr Arme die nicht mehr arbeiten koͤnnen; zum Bau eines Spi⸗ thals bat ein einzelner Buchhaͤndler, Th. Guy's, 20000 Pf. Sterl. bergegeben, und 220,000. demſelben bintetlaſſen. Soe de Reiſe nach England 1804.

29) Hier bat ſie ber lieberale Kaviee Napoleon alle beraubt.

30) noch einigermaſſen gerettet, aber nicht obne aroßen Wider⸗ ſtand und Verluſt waͤhrend der Herrſchaft bed Philoſophiemus von 1798 bis 1892,

469 bat. 39. Unfete Nachkommen werden die Folgen davon

noh lange empfinden. Wenn z. B. alle Kirchendiener

blos von dem Staat, d. h. von den Fürſten bezahlt werden ſollen, ſo können ſie bey inneren Revolutionen oder äußeren Ueberfällen, durch einen Federſtrich an den Bettelſtab gebracht, die Kirche, und mit ihr die Religion ſelbſt vernichtet werden; des Nachtheils nicht zu gedenken, daß die leztere dadurch um al ihr Anſe⸗ ben kömmt, und nicht mehr die Dienerin göttlicher Ge⸗ ſeze bleibt, ſondern zur Magd weltlicher Intereſſen und weltlicher Brodherren herabgewürdiget wird. 32) Wo ſind ſie hin die vielen Collegien und Seminarien, die zahlreichen Klöſter ſelbſt, mit ihren Gebäuden, ihren Gütern und Einkünften, ihren Schulen, ihren Biblio— theken, ihren Spenden und anderen Verſorgungs⸗An⸗ ſtalten? In Ruinen verfallen oder in Caſernen und Ställe umgewandelt, und die Unterthanen Ánd gleich⸗ wohl überall weit mehr als vorher mit Auflagen bela⸗ ſtet. Statt der beraubten oder eigener Verwaltung ent⸗ zogenen Spithäler, Kirchen⸗,, Armen- und Stadt⸗Güter, müſſen jezt erzwungene Tribute kümmerlich und unvoll⸗ kommen erſezen, was vorher niemanden etwas koſtete, oder was die Liebe freywillig that. Dieſes Reſultat war auch leicht vorauszuſehen. Denn es iſt klar, daß ſobald man alle gemeinnüzigen und wohlthätigen Anſtalten blos zur Sache der Fürſten machen will, ſie nicht nur nie in zureichendem Maaſſe exiſtiren können, ſondern auch ihre Eriſtenz ſelbſt immer unſicher bleibt. Sie theilen ale

31) exempla sunt odiosa,

82) Hievon wird ſeiner Zeit bey dem Abſchnitt von den geigtichen Staaten mehr geredet werden. Zweyter Mand, a a

370.

dann allen Wechſel ded Gluts bet Fürſten, welches für ſie noch unbeſtändiger iſt als für Privat⸗Perſo⸗

nen, und werden vom Wind allerley Lehre und wech⸗ ſelnder Hof⸗Meynungen herumgetrieben. Auch bey der beßten Abſicht können verſchwenderiſche Prinzen, koſt⸗

bare Kriege, feindliche Ueberfälle, nachtheilige Frie⸗ dens⸗Verträge U. ſ. w. eintreten. Alsdann wird das

dorräthige Geld in den Caſſen genommen, ohne an ſeine gewöhnliche Beſtimmung zu denken. Die Zuflüſſe aus

der Staats-Caſſe bleiben entweder ganz aus, oder wer⸗

den vermindert, oder nicht nach Maßgabe der Bedürf⸗ niſſe vermehrt, und ſo geräth alles jn Stoken, mie man leider davon Beweiſe genug bat. Sind hingegen dieſe Anſtalten, wie vormals, ſelbſt dotirt, oder das Eigen⸗ thum einzelner Landſchaften, Städte und Gemeinden: fo überleben fe gewöhnlich auch alle jene Zufälle, in⸗ dem die Corporations⸗Güter fo wie das Privat⸗Eigen⸗ thum, auch von äußeren Feinden ſelten in Beſchlag genommen, wenigſtens nie ganz zu Grunde gerich⸗ tet werden. Auch bat Europa den Ruin ſo vieler herr⸗ lichen Anſtalten nicht dem Krieg oder den Eroberern zu verdanken, denn die Zerſtörung fand häufig auch in eigenen Ländern ſtatt, ohne daß man dazu genöthi⸗ get war, ohne daß ſie den geringſten ökonomiſchen Vor⸗ theil brachte; ſondern den falſchen Doctrinen, der herr⸗ ſchenden Sekte, die unter dem Vorwand von Einheit alles an ſich ziehen wollte; ihrem Aufklärungs⸗Deſpotis⸗ mus, ihrer Centraliſirungs⸗ Wuth, dem Dunkel ihrer

eingebildeten Wiſſenſchaft, ſollte alle Freyheit der ein⸗

zelnen, alle Sicherheit des Ganzen, ja ſogar der Zwek, das Gute ſelbſt, aufgeopfert werden. Die Gerechtigkeit der Väter ward file Unvernunft, ihre vorſichtige Klug⸗

S71

beit für Nißbrauch ausgegeben. Hoffentlich werden aber auch hierin, wenn die Welt einſt durch Schaden klug geworden iſt, die geſunden Begriffe wieder zuriiťťebreny bie Wuth ded Syſtemiſirens, Uniformifirens und Gleich⸗ machens wird aufhören, und der Welt ihre Zierde, ihre Mannigfaltigkeit wieder gegeben werden, welche das Bild der Natur, das Zeichen der Freyheit iſt, alldieweil bie Einförmigkeit, ſtatt ber Bernunft und Zwekmäßigkeit, nur ben Stempel eines kurzüchtigen Menſchenwillent des eiſernen Deſpotismus au ſich trägt. 33)

33) Ueber das ungereimte der Uniformitaͤt, dieſes Stekenpferds unſerer geiſftloſen Zeit, ſ. Moͤſers patriot. Phantaſſen T. II.

P. 15 21.

sa | |

Neun und dreyßigſtes Capitel.

Von den Schranken der Landerherruchen Gewalt.

J. uUnmoͤglichkeit nad) dem pſeudo⸗philoſpphiſchen Etaatš : y: ſtem tie Schranken der Fuͤrſtlichen Gewalt zu beſtimmen. Es fuͤhrt zur vollkommenſten Sklaverey. Daberige falſche Deſi⸗ nitionen des Deſpotismus.

II. Die Schrauken der Fuͤrſtlichen Gewalt hetehen in dem was alle menſchliche Freyheit begraͤnzt, nemlich in fremden Rech⸗ ten. Ihre Pflichten ſind die nemlichen wie die aller ande⸗ ren Menſchen: nicht zu ſchaden und zu nuͤzen nad ihrem Vermoͤgen.

III. Poſitive Vertraͤge koͤnnen zu den natuͤrlichen Befugniſſen

oder eigenen Rechten etwas hinzuſezen oder davon wegneh⸗ men.

a. Vevípiele ſolcher Vertraͤge, beſonders der wichtigeren. Ea

pitulationen, pacta conventa , Koͤnigliche Urkunden, Char- tres etc.)

b. Beurtbeilung derſelben. Sie find 1) ibrem Inbalt nad meiſt unbedeutend. z) felten nútbia und werden nur durch vorangegangenes großes Unrecht veranlaſſet. 3) ohne Re⸗ ligioſitat durchaus unnuͤz und illuſoriſch. 4) oft ſogar ſchaͤdlich und der Ungerechtigkeit foͤrderlich.

IV. Der Deſpotismus iſt nichts weiter als gewaltſame Ueberſchrei⸗ tung des eigenen, und Beleidigung fremden Rechts; eine Laͤſion von Seite des Maͤchtigeren.

V. Fruchthare Entwiklung und Beſtaͤtigung dieſes einfachen Grund⸗ ſazes. | a aus den gewoͤhnlichen kleineren Mißbraͤuchen oder Unge⸗

rechtigkeiten.

b. aus den groͤßeren und allgemeinen Bedruͤlungen, die man

87.3

nur. der pfeudophiloſophiſchen (revolutionaͤren) Staats⸗ Soſtem verdankt. Ihbre Schaͤdlichkeit fur Fuͤrſten und Boͤlker.

„VI. Durch welche gerechte Mittel Fuͤrſten die freyen Handlungen ihrer Untertbanen leiten und lenken koͤnnen. Hoͤheres Re⸗ gierungs⸗Talent.

Seit der Entſtehung des pſeudophiloſophiſchen Staats⸗ Rechts, welches die landesherrliche Gewalt von dem un⸗ tergebenen Volke herleiten, und nur auf Volkszweke be⸗ ziehen will: herrſcht unter den Bekennern dieſes Syſtems⸗ ein ewiges Wanken und Schwanken, mie weit dann die⸗ fe Gewalt eigentlich zehe, und nad welcher Regel man ſie begränzen ſolle? Machen ſie auch nad) ihrer Idee das Volk ſelbſt zum Sonverain, dekretiren ſie große Volks⸗Corporationen, und laſſen dieſelben ihre höchſte Gewalt entweder ſelbſt oder durch Repräſentanten aus⸗ üben: fo iſt die Verlegenheit immer die nemliche. Denn es fragt ſich abermal, ob dann dieſes nunmehr gefürſtete Volk oder ſeine ſogenannten Stell vertreter gar felne De. gel, kein Geſez zu beobachten haben, ob von ihrer Seite alles Recht ſey? Die unglüklichen einzelnen Menſchen

aber, für deren Freyheit dod) der. ganze Vernunft⸗Staat

gemacht ſeyn ſoll, werden inzwiſchen vom Wind allerlen Doetrin, von ber Skylla in die Charybdis / von Fürſten⸗

Deſpotismus in Magnaten/- oder Volks⸗Tyranney, und von dieſer wieder in jenen geſchleudert. Bald glauben ſie ben dem einen bald bey dem anderen ihr Heil zu fin⸗ den, aber nie in der wahren Regel,, welche ihre Weiſen ſelbſt nicht kennen.

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In bie That laſſen ſich tach bieſem Syſtem bie Schran⸗ ken der Fürſtlichen oder höchſten Gewalt durchaus nicht deſtimmen, ſie mag nun von einem oder von mehrern oder (wenn es möglich wäre) von der Majorität aller ausgeüht werden. Denn es iſt dabey niemalen befriedi⸗ gend auszumachen, wie viel Gewalt danu eigentlich dele⸗ girt worden ſeyn ſoll? zu welchen Zweken? und welche Geſeze, Einrichtungen oder Hülfsmittel das ſogenannte Staats⸗Oberhaupt nöthig oder nüzlich ſinden ſolle, um die erdichteten Staatszweke von Freyheit und Sicherung det Menſchenrechte, oder von allgemeiner Glübkſeligkeit, obeť von Cultur und Perfektibilitär des Menſchen⸗Ge— ſchlechts, zu erreichen. Die hierüber môgliche unendliche | Verſchiedenheit der Meynungen öfnet aber aller Willkühr, aller Ungerechtigkeit Thür und Thor; das Syſtem beför⸗ Bert den gränzenloſeſten Oeſpotismus durch ſeine Prin⸗ zipien ſelbſt, und macht alle Menſchen zu Sklaven. Es kyommt núť darauf an, irgend cine fürchterliche Maßregel unter dem Vorwand des Gtaatszweks als nothwendig oder núslid darzuſtellen, fo iſt ſie ſchon gerechtfertiget, und bleibt nicht einmal ein Recht zur Klage übrig. Alles gehort dem Staat, Perſonen und Eigenthum; die Men. ſchen haben nichts eigenes mehr, was man ihnen läßt tt blos als ein Geſchenk oder als cine Gnade zu betrach⸗ ten; eine Ungerechtigkeit iſt ſogar nicht einmal möglich, DA wo bie Gottloſigkeit ſtatuirt, daß ber Wille des Volks oder ſeiner Organe die Quelle alles Rechtes ſey und mit⸗ hin nicht irren könne. Dieſe Hobbeſianiſchen Grund⸗ ſäze ©? flieſſen nothwendig au dem Delegations-Prinzip, fc werden in unſeren Tagen unter anderen Formen und

1) S. B. J. Gap. VI. G.

Porte: wieder aufgewärmt, zum Theil ſogar praktiſch⸗ angewendet, und daraus iſt auch zu erklären, daß alle nach dieſem Syſtem ausgeführten oder ſonſt davon einge⸗ nommenen Regierungen immerhin fo. deſpotiſch waren, all dieweil in denjenigen welche ihre Macht auf Gott und: eigene Rechte gründen 2) noch die. meiſte Freyheit herrſcht.

Daher if ſich auch nicht zu verwundern, wenn unfſere Staatsrechts⸗Lehrer von dem Deſpotismus oder. dem Miß⸗ brauch der Fürſtlichen Gewalt, gar keine Definition: zu geben wiſſen. Gleich Wahnſinnigen deklamiren fe in die: Kreuz und Queer wider Deſpotismus; aber vor lauter Feuereifer ibn da zu wittern wo er nicht iſt, vergeſſen fe: ibn da zu (eben wo er iſt, wo er fi) nur zu ſehr äußert, und mo ſie ibn durch ihre Doctrinen ſelbſt: begünſtigen Da ſagt der eine, der Deſpotismus beſtehe darin, Scha⸗ den oder Unrecht thun zu können. 3) In dieſem Fall müßte der unſchuldigſte Menſch auf beh Erdboden, ja ſo⸗ gar jedes Kind auch ein Deſpot ſeyn, denn es iſt keines das nicht willkührlich handeln und beleidigen könne, wahrlich auch ſehr oft ungeſtraft. Zum ſchaden ſind wir alle mächtig genug, und niemand hat noch das Mittel erfun⸗ den, was Gott ſelbſt nicht wollte, alle menſchliche Macht

2) Die Deviſe des Koͤnigs von England iſt: „Dieu et mon adroit." Monarchiſcher und antirevolutionaͤrer kann kein Wablſoruch ſeyn.

3) Le ďespotisme ne. consiste. pas- tant ai mal gonverner-guš. - pouvoir. mal gouverner. Sieyes. Auch Hery Luden fagt:

- n Dať Mefen ber. Despotie: beftebt: keineswegs in. Bedruͤkung sy ber Menſchen, in Mißbandlung und Zertretung. (ID meynte „dech), fondern in der Moͤglichkeit es zu thun, in ber Will⸗ »fkuͤhr.“ Staatsweiseheit p. 23.

376.

und Freyheit abſolut unſchädlich 41 machen, maſſen (5, dieſem Fall auch kein Geſez der Freyheit, keine Tugend, kein Verdienſt mehr wäre. +) Andere behaupten, der De⸗ ſpotismus ſeye darin zu ſezen, wenn der Fürſt ſich und ſein Haus zum Selbſtzweke macht. Allein dieſe Defini⸗ tion, deren Idee urſprünglich von Uſurpatoren in Grie⸗ chiſchen Republiken hergenommen ſeyn mag, iſt nicht nur dunkel und unverſtändlich, ſondern bey wahren Für⸗ | fen durchaus unrichtig. Jeder Fürſt tt befugt Ú und ſein Haus als Hauptzwek zu betrachten, es iſt dieſes ſo⸗ gar ſeine Pflicht, ſobald er dabey keine fremden Rechte beleidiget: und keiner wird fe ſeinen Thron, d. b. ſeine Unabhängigkeit, lange behaupten, ja nicht einmaͤl gut i fit bad Wohl ſeiner Unterthanen ſorgen, wenn er nicht dieſen weſentlichen Hauptzwek vorzüglich ins Aug faßt. Die nemlichen Philoſophen docirten zu gleicher Zeit, fee der Menſch auf dem Erdboden ſolle nur Selbſtzwek und nie Mittel ſeyn; aber die Könige und Fürſten, gerade die mächtigſten und freyſten Menſchen, durften dieſes allge⸗ meine Menſchenrecht nicht beſizen, ſie ſollten die alleini⸗ gen Knechte und Leiheigene in ber Welt ſeyn.

Leicht beantwortet ſich hingegen die Frage, wenn man von der wahren Natur ber Fürſten, von eigener Macht und eigenen Rechten ausgeht. Wie war es doch möglich, daß man die Schranken der Landesherrlichen Gewalt nie ba ſuchte wo ſie zun äch ſt und in Uebereinſtimmung mit dem Geſez der Natur, der allgemeinen Uebung, und dem unbefangenen Urtheil aller Menſchen, fo leicht zu ſinden

4) Veral. B, I. S. 311 312. s) Berg, B. I. Gap. 20, ©. 499. 509

MY.

geweſen wären, nemľid) in dem was alle menſchliche Macht und Freyheit begränzt, in fremden Rechten. Gleich wie alle Befugniſſe der Fürſten nur aus ihren eig en en na⸗ türlichen und erworbenen Rechten, and Freyheit und Čie genthum flieſſen: ſo ſind ſie auch durch dieſelbigen ganz natürlicher Weiſe begränzt. €) Čin Fürſt iſt, wie wir genug bewielen haben, von Rechtenswegen nur Herr über ſeine eigene Sache, und regiert auch im Grund nur die⸗ ſelbe. So weit ausgedehnt auch ſeine Rechte feyn oder ſcheinen mögen, weil er mehr Mittel und Vermögen hat natürliche Freyheit auszuüben, und weil er mehr Eigen⸗ thum befist, in erweiterten Verträgen und Verhältniſſen ſteht, mithin ſein Befugniß ſich über mehrere und grda fere Gegenſtände erſtrekt: (o iſt er doch nicht unumſchränk⸗ ter Gebieter über die Perſonen und das Eigenthum ſeiner Unterthanen. Niemand hat noch behauptet, daß er damit, wie mit ſeinem Eigenthum, willkührlich umgehen, mit dem Leben und der Freyheit ſeiner Unterthanen ſpielen, ihr Vermögen rauben oder als das ſeinige betrachten, fh) cin Recht auf ben Genuß ihrer Weiber und Töchter anmaßen dürfe u. ſ. w. Außer dem Verhältniß welches ir⸗ gend einen Diener oder Untergebenen an ſeinen Herrn knüpft, ihm nebſt ben natürlichen Nenſchenpflichten noch andere vertragsmäßige auflegt, oder au) nur gewiſſe Klug⸗ heits⸗Regeln empfiehlt, giebt es file jeden noch einen Kreis von Freyheit, mo ex ſein eigener Herr iſt, in tele chem ibn niemand verkümmern ſoll, und der cine unend⸗ liche Reihe von Handlungen ſeiner Willkühr überläßt. Jeder Menſch hat noch etwas eigenes, dem ärmſten ſelbſt gehört ſein Leben, ſeine Ehre, ſeine Zeit und ſeine Frey⸗

6) Vergl. B. I. Čap. 21. ©, 497 und 50L.

$T8.

heit obeť Faͤbigkeit (in fo wett ce ſie nicht durch Ver⸗ trag einem anderen gewidmet bat) fo. gut aus Gottes Gnaden als dem Koönig ſeine Macht, ſein Reichthum und ſeine Unabhängigkeit. Göttliche Geſeze, d. h. die Ge⸗ ſeze der Natur⸗Nothwendigleit, und die Geſeze der Frey⸗ heit welche in Gerechtigkeit und Wohlwollen beſtehen: das find alſo die Schranken der Fürſtlichen Bemalt. 7) Jene kann, dieſe ſoll ein Fürſt nicht überſchreiten. Die Na⸗ tur⸗Geſeze gebieten ibn mit unwiderſtehlicher Gewalt, nichts ihnen widerſtreitendes, nichts den menſchlichen Kräften verſagtes zu unternehmen, und der Hochmuth von vielen iſt ſchon oft zum Spott der Welt empfindlich beſtraft worden, bie auch in dieſer Hinſicht keinen Obe⸗ ren erkennen, gleich Titanen den Himmel beſtürmen und das unmoͤgliche wirklich machen wollten. Dad Geſez der Gerechtigkeit beſtehlt ihm zwar nicht fo. zwingend, aber heilig verbindlich, mit ſeinen etgenen Befugniſſen ſich zu begnügen, niemanden zu ſchaden, fremde Rechte (ie môgen: nun natürlich oder vertragsmäfia erworben ſeyn) nicht zu beleidigen, jedem das Seine zu laſſen oder das Seine zu geben. Und da dieſe blos negative Regel für die Bedürfniſſe der menſchlichen Geſellſchaft nicht hinreicht: fo. kömmt zur Vollendung des Pflichtge⸗ ſezes noch das freyere Gebot der Liebe hinzu, mit ſeiner Macht zu nüzen, su helfen, die Ausübung fremder Rechte zu begünſtigen, zu beſchüzen. In dieſen zwey Worten ſind alle Fürſten⸗Pflͤchten wie alle Menſchen⸗ Pflichten begriffen: welch andere könnte man: ihnen noch auflegen wollen?

Wirkliche aber nicht: erdichtete Verträge, mit Frem—

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den oder Einheimiſchen geſchloſſen, können freylich zu der natürlichen Freyheit, zu den eigenen Rechten eines Für- ſten etwas hinzuſezen oder von denſelben wegnehmen. S) Durch dergleichen Verträge werden oft Colliſionen beſei⸗ tiget, Liebes⸗Pflichten zu rechtlichen Schuldigkeiten er⸗ hoben, ſonſtige Befugniſſe aufgegeben und neue erwor⸗ ben, die man nach dem bloßen natürlichen Recht nicht gehabt hätte. Das nemliche geſchieht ja auch unter Brie vat⸗Perſonen, und in dieſem Sinn (den Gegenſtänden nach) ändert ſich der Kreis der Rechte eines Menſchen jeden Augenblik. Unter dergleichen Verträge gehören

ſchon alle mit anderen Fürſten und Republiken geſchloſ⸗

ſene Friedens⸗Traktate, Bündniſſe, Handele— und andere Conventionen, „durch welche ſtets die vollkommene natürliche Freyheit vermehrt oder vermindert wird, wo man von ſeinem eigenen Rechte cedirt und oft ſogar für die Zukunft ziemlich beſchwerliche Verpflichtun⸗ gen (ſogenannte Servituten) übernimmt, von denen wir in einem folgenden Capitel mehr reden werden. Dahin ge⸗ hören tm Innern alle Dienſt⸗, Lehen⸗, Schuz⸗ und andere gewöhnliche Verträge, welche der Fürſt mit cin. zelnen Individuen oder Corporationen ſchließt, und die er

natürlicher Weiſe zu halten ſchuldig iſt, darum weil durch

dieſelben die lezteren ein Recht erhalten haben, mas ib. nen ohne Beleidigung nicht mehr einſeitig entriſſen wer⸗

den darf. Vorzüglich aber werden unter dieſe Klaſſe die

wichtigeren Verträge oder gegenſeitigen feyerlichen Ver⸗ ſprechungen gerechnet, welche nad) inneren Kriegen, bey

3) Beyſpiele ſolcher Vertraͤge f. in Pufendorf de j. n. et g. L. VII. cap. VI. 6. 9— rr. und in der ganzen Befidie

9) Berg. oben ©, M16 119.

3880 Kroͤnungen 20) odber anderen außerordentlichen Gelegens

10) Kroͤnungen find keine Nebertragung der Gewalt, denn mam feónt nur ſolche die bereits Koͤnige (ind. d. b. bie hoͤchſte Macht und Freybeit wirklich beſizen. Dieſe ſchoͤne Cerenonie iſt blog. von der ehriſtlichen Kirche eingefuͤbrt worden, welche ihre maͤchtigſten Juͤnger bey ſolcher Gelegenheit wo ſie den hoͤch⸗ ſten Gipfel menſchlichen Gluͤks erſtiegen, zur feyerlichen An⸗ erkennung goͤttlicher Geſeze, zur foͤrmlichen Verſprechung ſchul⸗ diger Nedhtý s und Lie bespflichten vermocht bat.

Ich ſinde uͤbrigens keine ſchiklichere Gelegenheit als dieſe, um etwas von dem merkwuͤrdigen Inhalt jener Kroͤnungs⸗ Eide zu ſagen, und den auffallenden Unterſchied bemerklich

zu machen, der zwiſchen den aͤlteren und den neueren (ſeit

der franmzoͤſiſchen Revolution eingefuͤhrten) dießoͤrtigen Eides⸗ formeln beſteht. Dieſe Vergleichung iſt außerordentlich merb⸗ wuͤrdig und lehrreich. Man ſieht ſchon in den Verbalien der Gegenſaz ber Principien, den Unterſchied zwiſchen dem alten. oder natuͤrlichen und dem. pſeudophiloſophiſchen revolutiondren Staatsrecht, mit anderen Worten zwiſchen der Religion und der Irreligion. Dort bezog ſich alle Verbindlichkeit auf Gott und bie Beobachtung ſeines Geſezes; der Eid legde im Grund

keine neue Verbindlichkeit auf, ſondern bekraͤftigte nur die

ſchon vorhandene mit dem Siegel ber Religion, durch oͤffent⸗ liche und feyerliche Anerkennung derſelben vor aller Welt. Man vervpflichtete ſich nur zu moͤglichen, gerechten oder wenigſtens erfaubten: und dem ganzen Volk nuͤzlichen Handlungen. Schuz der Religion und Kirche, gerichtliche Huͤlfleiſtung nad de. Grundſaͤzen der Gerechtigkeit, der Gnade und Barmberzigkeit, ſind bie herrſchenden Haupt⸗Ideen in allen dieſen Eidesformeln. So lautete z. B. ber Eid des KOS, nigs von Frankreich, welchen noch Ludwig XV. und Lud⸗ wig XVI. beſchwuren, folgendermaßen: Hæc populo Christiano et mihi subdito in Christi proe.

mitto nomine-

1) Inprimis ut eccletiæ Dei omnis populus Chňístianus, veram pacem, nostro arbitrio, in omni tempore se£vet. ».

x“

381 deiten zwiſchen den Kônigcn und den Großen und Vor⸗

s) Item ut omnes rapacitates et omnes iniquitates om- nibus gradibus interdicam.

3) Item ut in omnibus judiciie sguitatem et misericor« diam praeipiam, ut mihi et vobís indulgeat suam miseri- cordiam clemens et misericors Deus.

4) ltem , de terra mea ac jurisdictione mihi subdita uni- versos haretícos ab ecclesia denotatos , pro viribus, bona fide, exterminare studebo.“"

Der Ci bes Koͤnigs von England if nad ber Revolu⸗ tion VON 1688 etwas verándert, und befonderé auch auf Die proteſtantiſche Religion anwendbar gemacht worden. So lautete er auch nur in allgemeinen Ausdruͤken, die Kirche zu ſchuͤzen, gutes Recht zu halten, Civil⸗GSeſeze, Gebraͤuche, Privilegien 16. zu reſpektiren. ©. Blakſton Comment. T. J. ©. 335.

Schoͤn tar der Krônune s: AME und bie Eides formel des deutſchen KSadſets. Derſelbe ward von dem conſeeriren⸗ den Erz⸗-Biſchoff (alſo nicht im Namen des Volks, ſondern im Namen Gottes und der chriſtlichen Kirche) befragt:

Vis sanctam fidem Catholicam et apostolicam tenere et operibus justis servare.

Vis sanctis Ecelesiis, Ecelesiarumgne mínistris fidelis €556 tutor ac defensor.

Vis regnum « Deo tibi concessum secundum justitiam Tegere et efficaciter defendere,

Vis jura regni et imperii, bona ejusdem injuste dispersa

- Tecuperare et conservare, et fideliter in usus regni et Im- perii dispensare.

Vis pauperum et divitum, viduarum et orphanorum, seguus esse judex et pius defensor.

AN „Vis sanctissimo in Christo patní et domíno, Romano

Pontifici et sancie Rom. Eeclesie subjectionem debitam

et fidem referenter exhibere.

Auf jede dieſer Fragen ward von dem Kapſer geautwortet:

Volo, und ſodann dieſes Verſprechen bey dem Altar mit fol⸗ genden Worten eidlich bekraftiget. Omnia pramissa, ja quan-

„982 nehmen ihres Reichs oder ganzer Claſſen von Unterthanen/

tum divino fultus fuero adjutorio, fideliter adímplebog sic me Deus adjuvet et sanera Dei Evangelia. Mud die Ginfegnungé s, Salbung$ s und Gebets⸗Formeln waren unge⸗ mein ſchoͤn, lebrreich und exbaben, fo dať cd emig ſchade ik, daß diefe religioſen Ceremonien, die einen tiefen und lebenýs laͤnglichen Eindruk auf das Gemuͤth von Koͤnig und Volk mas chen konnten, in neueren Zeiten unterlaſſen worden ſind.

Nad der Kroͤnung ſchwur der Kayſer bey dem Altar noch einen zweyten Eid, vorerſt in lateiniſcher, ſodann auch in deutſcher Sprache mit folgenden Worten:

ŠA gelobe und verſpreche vor Gott und ſeinen Engeln, daß ich jest und hinfuͤro das Geſez und die Gerechtigkeit, auch den Frieden der beiligen Kirche Gottes will halten und bandbaben, auch dem mir unterworfenen Volk mil nuͤzlich „ſeyn und Gerechtigkeit verſchaffen, da ich des Reichs Rechte, mit Vorbehalt gebuͤhrender Betrachtung goͤttlicher Barme so berzigkeit, will erhalten, mie ich ſolches mit Rath ber Fuͤr⸗ „ſten, auch des Reichs und meiner Getreuen, am beßten er⸗ s finden kann. Dem allerheiligſten Roͤmiſchen Biſchoff und der „Roͤmiſchen Kirche, wie auch den uͤbrigen Biſchoͤffen und Kies s hen Gottes will ich gebuͤhrende geiſtliche Ebr erzeigen und „dasienige mať von Kayſern und Koͤnigen der Kirche und den s kitchlichen Perſonen gegeben und uͤbertragen worden (A, der⸗ „ſelben ungeſchwaͤcht erbalten und cxbalten laſſen; auch den „Praͤlaten, Staͤnden und Vaſallen des Reichs gebuͤhrende »Ebre tragen und beweiſen, fo viel mir unſer Hery Jeſus Chriſtus Huͤlf, Kraft und Gnade verleihet.“ (Moſer d. Staatsrecht II, 475 476.

Der Koͤnig von Portugall ſchwur und verſprach in noch kuͤrzeren Worten: „s Mit dem Bevflande goͤttlicher Gnade ſein „a Volf wuͤrdiglich und mit Billigkeit zu regieren, ibm mit al „ler derjenigen Genauigkeit deren die menſchliche Schwaͤche so fabia iſt, die Juliz su handbaben, und ſie im Genuß aller A„guten Gebraͤuche und Privilegien zu laſſen, wie auch aller s Griatenbrieugungen, Frerheiten und Befreyungen, bie iba

383 (tatt finden: die pacia conventa, Capitulationen, die

„nen von den Koͤnigen, ſeinen Vorfabren, ehmals verličhen „und bejtátiget worden.“ (v. Meal Staatskunſt IV, 823.) Dagegen lauten die neueren, feit der Revolution, d. b. ſeit dem Triumpb der Irreligion eingefuͤhrten Koͤnigs⸗Eide gleich einem Sekten⸗Eid und (ind in Form und Inhalt den aͤlteren ganz entgegengeſezt. Die Verbindlichkeit bezieht ſich nirgends auf Gott, als den oberſten Geſezgeber, ſondern nur auf das Volk, welches biemit gleichſam vergoͤttert und deſſen Souve⸗ rainitaͤt wo nicht ausdruͤklich doch indirekt anerkannt wird. Man ſchwur nicht bie Gebote Gottes su balten, die beſtzende Macht mit Gerechtigkeit und Liebe audzuúben, ſondern man hulbigte den Grundſaͤzen des ſogenannten Zeitgeiſtes; man machte ſich zum Vaſall einer herrſchenden Sophiſtenzunft, welche dle ehriſtliche Kirche verdraͤngen und ſich an ihren Plaz ſezen wollte. In dunkeln, troknen und zweydeutigen Ausdruͤ⸗ ken verpflichtete man ſich tbeils zu unmoͤglichen, theils zu ungerechten und ſchaädlichen, dem Geſeze Sottes wider⸗ ſprechenden Handlungen, und darin liegt auch der Grund, warum die Verlezung dieſer Eide fo baͤuſig und fo gleichguͤltig geworden iſt. Wir wollen auch dieſes mit einigen Beyſpielen delegen:

Der Eid den der geweſene franzoͤſiſche Kapſer Bus⸗ naparte bey Annahm der Kayſer⸗Wuͤrde ſchwur, war in fol⸗ genden Ausdruͤken abgefaßt:

„JÁ ſchwoͤre (wem?) die Jntegritaͤt des Gebiets der Re⸗

spubliť zu behaupten, die Geſeze des Concordats und die rerben der Gottesdienſte zu reſpektiren und reſpek⸗ „tiren zu machen, die Gleichbeit der Rechte, die poli⸗ ↄtiſche und buͤrgerliche Freybeit, die Unwiderruflichkeit der „Verkaͤufe der National⸗Suͤter zn reſpektiren und reſpek⸗ „tiren zu machen, keine Abgabe, keine Ťare zu erbeben als „in Gemaͤßheit eines Geſezes;: die Inſtitution der Ebren⸗ „Legion zu handhaben, und allein in Bezug auf bad In⸗ „tereſſe, bag Glúť und den Ruhm ded frauzoͤſiſchen Volkes s zu regieren.“ Senatusconsulte erganigue vom 28 Fioreal An 12. [18 May 1804.)

384

offenen Briefe, Chartres (magne chartæ) oder

Es iſt kein Wort in dieſer Eidesformel, das nicht eine falſche Idee oder einen unrichtigen Ausdruk in ſich enthalte. Wem wird geſchworen? Beſtand noch eine Republik?

RR es moͤglich und recht, ſtets die Integritaͤt ihres uſurpirten

Gebiets zu behaupten? Welche Zweydeutigkeit in ben Wor⸗

ten Geſeze des Concordats und Freybeit aller Gottesdienſte? Iſt leztere unbedingt gerecht, moͤglich⸗

und wie vereint ſie ſich mit dem erſteren? Soll die Gleichheit

der Rechte etwa in Abſchaffung aller Verſchiedenbeit erworbener Privat⸗Rechte beſtehen, ſtatt einem jeden das ſeinige zu laſſene Was iſt die polit iſche Freyheit in einem Kayſerthum und wie ward bie buͤrgerliche reípeftirt? Mas find National—

Gútere Warum ſollen ibre Verkaͤufe unwiderruflich ſeyn,

wenn ſie etwa durch wechſelſeitigen Vertrag aufgehoben wer⸗ den? Wer giebt bie Vefeze Úder Abgaben und Taxen, konnte ber Kayler ſeine Befehle nicht auch Geſeze nennen? Warum ſollte die Ehren⸗-Legion gehandhaber werden, als meil in ihrem Eid bie Behauptung der revolutionaͤren Grundſaͤze noch deutlicher ausgeſprochen ware Mad heißt endlich das, nur allein fuͤr die Intereſſen und den Ruhm eines Volkes regieren? leere Worte in die cin jeder ſeine Leidenſchaften bine inlegen kann, und baben ſie nicht gerade die Schande und das Unglúť eben dieſes Volkes nach ſich gezogen?

Der Eid des ephemeren Konigs von Italien (26 May 1805) mar gleichlautend, nur mit dem einzigen unterſchied, daß an Plaz ded. Worts Republik das Wort Koͤnigreich ge⸗ ſezt worden, und daß es ſtatt der Concordats ˖ Geſeze und der Freybeit der Gottesdienſte hieß: „Ich ſchwoͤre bie Nelis „gion des Staats (welche?) zu reſpektiren und reſpekti⸗ „ren zu machen.“

Fuͤr die neuen Koͤnige von Weſtphalen (1807) und Neapel (1908), fo mie fuͤr das Herzogthum Warſchau (1207) ward gar kein Eid vorgeſchrieben, und das iſt auch al⸗ lerdings beſſer als cin ſchlecht abgefaßter, weil dann wenig⸗ ſtens bisweilen die Kraft des natuͤrlichen Geſezes gilt, und

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385

ſchriftliche Urkunden, welche darüber ausgeſtellt, bisweilen ſogar eidlich bekräftiget werden, und die man

mit ben durch die Eides-Formel uͤbernommenen ungerechten und zweydeutigen Verpflichtungen in keinen Widerſtreit koͤmmt. Der Eid welcher 1308 von Buonaparte fuͤr den neuen KEoͤnig von Spanien vorgeſchrieben wurde, war etwas weniger ſchlecht als die vorigen abgefaýt, aber doch noch lange nicht auf bie alten religioſen Grundſaͤze geſtuͤzt. Er lautete nemlich folgendermaßen: „Ich ſchwoͤre auf die beiligen „Evangelien unſere heilige Religion (abermal ohne zu ſagen s„ welche) zu ebren und ihr Ebrfurcht zu verſchaffen, die Ver⸗ „faſſung zu beohachten und beobachten zu laſſen, bie Integri⸗ taͤt und Unabhaͤngigkeit Spaniens und ſeine Beſizungen zu s andbaben, die individuelle Freyheit und Dať Eigenthum náu beſchuͤzen, und al lein fuͤr das Intereſſe, dag Slúť und ss ben Ruhm der Spaniſchen Nation zu regieren." Was haben die Voͤlker bey dieſer weſentlichen Veraͤnde⸗

rung der Eidesformeln gewonnen? Vorher, wo man noch Gott, und nur Ihn allein, fuͤr ſeinen Herren und Oberen anerkannte, fab man haͤufig gemiffendafte, gerechte und lieb⸗ reiche Fuͤrſten, bie ibren Eid und jegliche Pflicht treulich hiel⸗ ten, jeden ben dem Seinigen ließen und ſchuͤzten und noch Ďaju viele Wohlthaten erwieſen. Die Untertbanen maren frey in bem mag ibnen gebôrt, gluͤklich, zufrieden und unter ſich felbft einia. Jezt aber da, wenigſtens in ber Idee, das Dolť der Souverain ſeyn ſoll; ein Souverain der ſeinen Willen nicht aͤußert, nicht dußern kann, ſich ſelbſt widerſpricht und dem jeder ſeinen eigenen Privatwillen andichtet, gilt keine Regel, keine anerkannte Wahrbeit mehr; eine Doctrín verdraͤngt bie

andere, jedes Recht wird nach Geſezen mit Fuͤßen getreten, die Liebe iſt, ſelbſt in der Theorie, aus der Staatsverwaltung verbannt, kein Privatmann iſt mehr in dem Seinigen frey, bie Voͤlker zahlen, darben, leiden unendlich mebr als vorher und unter ihnen ſelbſt ficbt man nichts als Feindſchaft und wechſelſeitigen Haß. Sie verdauten es ihrem Hochmuth und falſchen Weiſen.

Zweiter Waud. sa

»

386 | fälſchlich Reichs-Grundgeſeze oder Conſtitutio— nen nennt, 77) obgleich ſie den Staat weder gründen, noch conſtituiren, ſondern lediglich Verträge ſind, die in činem bereits beſtehenden, von der Natur gegebe⸗ nen Reich, zwiſchen dom Herren und ſeinen erſten Diee nern oder Vaſallen geſchloſſen werden.

Je nachdem nun die Umſtände beſchaffen ſind, welche dergleichen Conventionen oder Verſprechungen veranlaſſen, nach Maaßgab als die Könige der Hülfe ihres Volks mehr bedürfen, um etwa einen beſtrittenen oder gefährdeten Thron zu behaupten, oder den Unterthanen bald dieſe bald jene Vortheile beſonders am Herzen liegen: iſt auch der Jahalt dieſer Verträge ſehr verſchieden, und die Könige können in denſelben mancherley neue Pflichten überneh⸗ men, die ſie nach dem bloßen natürlichen Recht nicht ge⸗ habt hätten, und wodurch mithin, wie man ſich auszu⸗ drüken pflegt, ihre vollkommene Freyheit Souverainität) mehr oder weniger eingeſchränkt wird. Dergleichen Be⸗ ſchränkungen ſind z. B. keinen Krieg anzufangen, als mit Rath und Wiſſen derjenigen deren Hülfe man verlangt; 12? gewiſſe Aemter nicht abzuſchaffen oder zu verminderen, ſeine Beamte und Diener nur in gewiſſen Kirchen oder nur im Lande ſelbſt, oder nur in einzelnen Claſſen aus⸗

11) Vergl. oben ©, 190 191, von den Geſezen welche bie Fuͤrſten ſich ſelbſt auflegen M

12) Tuͤbinger⸗Vertrag DON 1514 und mebrere aͤhnliche in großen Reichen, eine Bedingung die aber faſt nie gehalten werden konnte, darum weil ſie in der That naturwidrig iſt, und ein Krieg gewoͤhnlich durch ſolche Umſtaͤnde nach und nach abgenoͤtbiget wird, daß man gar nicht mehr fragen kann, daß keine frepe Wahl mehr übrig bleibt.

387

zuwählen; beſonders keine fremden Truppen in ſeinen Dienſt zu nehmen; die Stellen lebenslänglich zu laſſen, ſo lang ſie wenigſtens treu verwaltet werden; vorhandene oder ertheilte Privilegien zu beſtätigen und nicht zu wi— derrufen; frühere Vorgänge oder Vergehungen weder zu rügen noch zu ſtrafen; die gerichtliche Hülfleiſtung je⸗ dermann zu ertheilen, einzelne oder mehrere Religionen ausſchlieſſend zu ſchüzen, gewiſſe Beſchwerden oder Schul⸗ digkeiten zu erlaſſen, ſeine Domainen nicht zu veräuße⸗ ren, Donationen, Lehen und Benefizien nicht wieder zu⸗ rützuziehen; bewilligte Steuren nur für beſtimmte Ge⸗ genſtände zu verwenden, oder gar die Adminiſtration der⸗ ſelben gewiſſen Behörden zu überlaſſen; Taxen und Zoll⸗ Tarife nicht zu erhöhen u. ſ. w. Hinwieder wenn andere oder günſtigere Umſtände eingetreten find, können die Kö⸗ nige und Fürſten durch ähnliche Verträge auch neue Rechte, neue Befugniſſe erwerben, auf welche ſie ſonſt keinen An. ſpruch batten: als wie z. B. ven laſtigen, durch die nas türliche Gerechtigkeit nicht vorgeſchriebenen Beſchränkun⸗ gen befreyt zu werden, militäriſche Hülfe forderen zu dür⸗ fen, ſchädlich gewordene Privilegien aufzuheben, ihre Ge⸗ richtsbarkeit über gewiſſe Bezirke und Gegenſtände zu er⸗ weitern, verlohrne oder erlaßne Schuldigkeiten wieder ein⸗— zufordern, ſich gewiſſe Regalien einräumen zu laſſen, Steur⸗Bewilligungen zu erhalten, deren Produkt nach⸗ her ihr volles Eigenthum iſt, gemachte Schulden von der Nation verbürgen oder bezahlen zu laſſen u. ſ. w. Bey⸗ des iſt gerecht, ſobald es durch freywilligen Vertrag ge⸗ ſchieht von beydem liefert die Geſchichte mannigfaltige Beyſpiele, beydes kann nad Umſtänden den Völkern vor⸗ theilhaft oder nachtheilig ſeyn.

)

Allein ale dieſe willkührlichen Zuſäze und Beſchrän⸗ kungen, deren Kenntniß und Darſtellung das pofitive Staatsrecht einzelner Fürſtenthümer und Republiken ausmacht, ſind erſtens bey weitem nicht ſo wichtig noch fo weſentlich als man glaubt, dabey ſelten nö⸗ thig, ohne Religioſität, d. h. ohne Anerkennung der na⸗ türlichen Pflicht Verträge zu halten, durchaus unnü;z und illuſoriſch, bisweilen ſogar ſchädlich, d.h. ber Ungerechtigkeit förderlich. Vergleicht man die berühmte⸗ ſten und geprieſenſten pacta conventa, Capitulationen, Königlichen Urkunden (magnas chartas), Krönungs⸗ Eide, Reichs⸗ oder Landtags⸗-Abſchiede u. ſ. w., ſo iſt ihr Inhalt aͤußerſt dürftig und unbedeutend. Meiſt bes ſtehen ſie nur in Abſtellung einiger durch frühere Vorfäue eingeſchlichenen Mißbräuche, oder in einem feyerlichen Ver⸗ ſprechen von dem was man ohnehin nach dem natürlichen Recht zu thun ſchuldig war, ſehr ſelten in wirklicher Ver⸗ minderung Landesherrlicher Befugniſſe. Der Grund da⸗ von iſt auch ganz natürlich, indem es ungereimt wäre, Ža ſogar cine gänzliche Irreligioſttät beweiſen würde, ſich förmlich zu allem demjenigen zu verpflichten, was die bloße Gerechtigkeit ohnehin gebietet, in rechtmäßiger Frey⸗ heit aber ſich niemand gern die Hände binden, oder ein wahres Befugniß abſprechen läßt. Nur außerordentliche und unglükliche Zufälle, vorangegangene große und lang⸗ daurende Ungerechtigkeiten, innere Kriege, gewaltſame Revolutionen, ungewöhnliche Thronbeſteigungen, machen dergleichen Urkunden, Verträge oder poſitive Beſtimmun⸗ gen nothwendig. In ſolchen Fällen allein entſteht zulezt das Bedürfniß, wegen beſorgter Rükkehr ähnlicher Uebel und zur Bewirkung des Friedens, dergleichen beruhigende Zu⸗ ſiche rungen zu ertheilen, d. b. die verlezte natürliche Re⸗

> | 389 gel wieder hervorzurufen, pofitiv auszuſprechen, durch Schriftzüge in ſtete Erinnerung zu bringen, oder zur He⸗ bung von Colliſionen wechſelſeitig auf gewiſſe Befugniſſe zu verzichten: welch alles zwar der natürlichen Verbind⸗ lichkeit nichts hinzuſezt, aber dod den Beweis liefert, daß man dieſelbige anerkennt, und die früheren Mora gänge nicht als Regel ſelbſt, ſondern als Verlezung der Regel betrachtet, mithin auch nicht erneueren will. Im Verhältniß gegen die Fürſten mie zwiſchen Privat⸗-Per⸗ fonen, (im Staats-Recht mie im Privat⸗Recht) ſind poſitive Geſeze immer nur die Folge früheren Miß⸗ brauchs. 13) Daher ſieht man auch, daß die freyſten Völ⸗ kerſchaften, diejenigen welche nie tyranniſirt worden, auch keine dergleichen allgemeine Diplome, Urkunden und Chartres beſizen. Ihre Rechte und Freyheiten wur⸗ den nie getrübt, mithin bedurfte man auch keiner Aner⸗ kennung, keiner Reſtauration. Ihre Verfaſſung, ihre Sicherheit, beſtand in dem natürlichen Geſez der Gerech⸗ tigkeit und in unendlich manntgfaltigen, Privat⸗Verträ⸗ gen; niemand kam in Sinn, daß das erſtere nicht heilig gebietend ſey, die lezteren nicht gehalten werden ſollen, und dieſe Conſtitution dürfte dann doch wohl die beßte ſeyn, mithin auch, wenigſtent in: einem natürlichen Staats⸗Recht, empfohlen werden dürfen. Uebrigens hit» dern jene willkührlichen Zuſaͤze ben Deſpotismus doh nicht, ſobald böſer Wille mit der höchſten Macht verbun⸗ den iſt. "4? Denn poſitive Geſeze können eben ſo gut veľa. fest werden als die natürlichen, ja man bat dazu noch viel mehreren Vorwand und: Reiz. Was. Menſchen ge⸗

13.) Vergl. oben ©, 19x, M) Vergl. T. IL. ©, 333. und ©. 436.— 439. T. II. ©, 66 6

390 | | NAD,

macht baben, fónnen die Menſchen auch wieder aufheben oder veränderen, papierne Ketten werden leicht zerbrochen, und was nur eine Feder geſchrieben hat, das löſcht eine andere Feder wieder aus: da hingegen das natürliche Be. ſez nicht aufgehoben, nicht verändert, nicht aus dem Ge⸗ müth der Menſchen vertilget werden kann. Religioſität welche Verträge hält, weil das göttliche Geſez es be— fiehlt, iſt auch hier die erſte und lezte, die unentbehr⸗ lichſte Bedingung aller Sicherheit. Glaubt man etwa, der König von England könnte nicht deſpotiſch handeln wenn er wollte? Hat das engliſche Volk nicht auch ſeine Tyrannen gehabt, ungeachtet die nemliche Conſtitution exiſtirte, Parlamenter und magnz charte beſtanden? Nicht in ſeiner ſogenannten Verfaſſung, (denn eigentlich beſteht keine politiſche Verfaſſung, wohl aber cin Inbe⸗ griff Königlicher Verträge und Verſprechungen) ſondern in dem wenig bemerkten glüklichen Umſtand, daß Eng⸗ land ſeit einem ganzen Jahrhundert nur drey Könige ge⸗ 'babt hat, lauter rechtſchaffene, von Neuerungsſucht ent⸗ fernte Männer, heilige Beobachter des natürlichen Ge⸗ ſezes und aller Verträge, möchte wohl der Hauptgrund von dem blühenden Zuſtand dieſes Reichs und von der Freyheit ſeiner Einwohner zu finden ſeyn. 15) Denn ſolch lange Uebung des Guten, verbunden mit einer ähnlichen unverdorbnen Doctrín, bringt bie Länder unglaublich em⸗ por und wird am Ende zur zweyten Natur; ſie verbrei⸗

15) Sie waͤre anderswe eben ſo groß, ohne die durch den Aufklaͤ⸗ rungs⸗Duͤnkel des 1gten Jahrhuuderts verurſachten Neuerun⸗ gen Man febe 4. S. dag Fuͤrſtenthum Neuenburg, cin Mo⸗ nument ded alten, natuͤrlichen, unverlezten Staats⸗Rechts. Weiche Freybeit derrſchte nicht dort, mit der innigſten kut lichkeit an den Randesúcrecn verbunden

391

žet in allen Gemüthern eine Tradition der Wahrheit und Gerechtigkeit, einen lebendigen Glauben an etwas Heilie ges, das beynahe niemand mehr anzutaſten wagt. 16) Wie viele hundert Conſtitutionen haben wir nicht hin⸗ gegen ſeit fünf und zwanzig Jahren gleich Pilzen hervor⸗ wachſen geſehen, an denen die weiſeſten oder ſich weiſe glaubenden Menſchen gearbeitet hatten, die feyerlich pro⸗ klamirt und beſchworen, gleichwohl aber nie beobachtet, vom erſten Wind umgeworfen wurden, ohne daß ſich da⸗ wider nur eine Stimme der Klag erhoben, oder ein Arm für ſie gerühret hätte. Sie verſchwanden gleich Seifen⸗ blaſen, und haben den Deſpotismus nicht gehindert, ſon⸗ dern eher befördert, darum weil dieſe Brodufte der Gott⸗ loſigkeit keine Wurzel weder in den Dingen ſelbſt, noch im Herz der Nenſchen hatten, meil ſie einerſeits ſich ge. gen die Ordnung der Natur auflehnen, anderſeits durch poſitive Vorſchriften, durch Worte und Phraſen die ver» folgte und verſpottete Religion entbehrlich machen zu kön⸗ nen wähnten. Auch mögen die Völker Europens ſich noch ſo lange in dieſem verderblichen Zirkel herumdrehen, ſie mögen Conſtitutionen oder Königliche Conſtitutions-De⸗ krete machen und machen laſſen, ſo viel ſie immer wollen: ungeachtet alles Aufwands von Gut und Blut werden ſie der Freyheit nicht genieſſen, bis daß wieder ein beſſerer Geiſt, eine neue Seele alle Gemüther durchdringt, bis man wieder ein göttliches Geſez der Gerechtigkeit und des Wohlwollens anerkennt, deſſen Befolgung allein alle an— deren überftüſſig macht. Endlich find jene pofitiven Bu. ſäze oder Beſchränkungen der Landesherrlichen Gewalt auch ſehr oft ſchädlich. Wir wollen ded wenig be.

36) Vergl. T. I. Gap, rs. S. 411 414

393

merlten, aber durch die ganze Geſchichte bewieſenen Um⸗ ſtandes nicht erwähnen, daß bie Könige und Fürſten dos bey gewöhnlich mehr gewinnen als verlieren, die Völker hingegen mehr verlieren als gewinnen: indem bey allen, auch wenn ſie noch ſo freywillig ſind, der Mächtigere ſtets den Vortheil auf ſeiner Seite hat, und die ihm günſtigen Bedingungen immer heilig gehalten werden müſ⸗ ſen, alldieweil man die Erfüllung der Gegenverheiſſungen doch wieder nur von ſeiner eigenen Gewiſſenhaftigkeit er⸗ warten muß. Die Fürſten erwerben große Dinge und ge⸗ ben Kleinigkeiten auf, während die Völker für die Freude mit ihrem König einen Vertrag zu ſchlieſſen, oder eine Chartre zu erhalten, obeť, wenn es weit kömmt, biswei⸗ len über die Geſchäfte des Fürſten öffentlich reden, aber doch nicht entſcheiden zu können, bleibende Auflagen be. willigen, ſtehende Zruppen Corps unterhalten, große Schulden übernehmen, und oft auf die wichtigſten Pri— vat-Rechte Verzicht leiſten. Wird aber die rechtmäßige Macht der Fürſten zu ſehr eingeſchränkt, oder in ihrer Ausübung läſtigen Formen unterworfen: fo ſucht man ſtets ſich wieder von dieſen Schranken zu befreyen, oder man entſchädiget ſich auf andere Weiſe, welche die Ur⸗ kunde nicht berührt hat, und die Gemüther werden mehr als vorher von einander entfernt. Dabey find dieſe Feſ⸗ ſeln oft dem wahren Guten ſelbſt hinderlich. Gleich al. Jen poſitiven Geſezen die nach und Nad) veralten und Un. paſſend werden, veranlaſſen ſie eine Menge von Strele © tigkeiten, offenen oder verſtekten Widerhandlungen, ein⸗ ſeitigen Auslegungen u. ſ. w. find die Mutter alles Zankes und ewiger Chikane; 17) die Schriftgelehrten machen ſich

17) Veral. oben ©. 191. ©. 195. ©. 202 305, wo wir die ſes

393

darüber ber, und hoͤhere Weisheit wird verdránat: 66 entſteht cin legiſtiſcher oder publieiſtiſcher Aberglaube, der nur in papiernen Urkunden ale Wahrheit zu finden glaubt, blos an Formen und Zufälligkeiten hängt, dar⸗ über aber bad wichtigſte und weſentlichſte, das mabre Recht ſelbſt vergißt. Und da jeder Kampf zulezt einen Sieg sur Folge bat, fo entſteht allemal viel größere Will⸗ kühr daraus. Denn die poſitiven Schranken werden am Ende gewaltſam über den Haufen geworfen, aber indem man auf ſolche Art blos von läſtigen Menſchen⸗ Sazun⸗ gen befreyt wird, wähnt man gewöhnlich auch gar kei⸗ ner Regel mehr unterworfen zu ſeyn. 19 Demnach iſt denjenigen Staatslehrern, welche dergleichen poſitive Zu⸗ ſäze und Beſchränkungen nicht lieben, auch gar nicht vorzuwerfen, daß ſie dem Deſpotismus günſtig ſeyen, zu⸗ mal es im Gegentheil die Eigenſchaft aller edlen und großen Gemüther iſt, die vielen menſchlichen Geſeze, als Feſſeln der Freyheit, zu haſſen, und dagegen das göttli⸗ che Geſez über alles zu ehren.

Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, es mögen unſere Publiciſten auf dieſen pactis conventis, Capitulationen, Koniglichen Urkunden, oder ſogenannten Conſtitutionen viel oder wenig halten, und in ihnen bad Heil ber Völ⸗

bey den verſchiedenen Arten poſitiver Geſeze illuſtrirt haben. Ueber die Schaͤdlichkeit ſolcher willkuͤbrlichen Beſchraͤnkungen if auch eine merkwuͤrdige Stelle in J. H. Bœnmer jus publ. univ. p. 91.

18) Dieſes wird ſeiner Zeit, beſonders im sten Hauptſtuͤk von den militaͤriſchen Staaten, mit merkwuͤrdigen Beyſpielen aus der Geſchichte belegt werden. Aus dem Aberglauben entſteht auch bier cin gaͤnzlicher Unglaube.

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89A | >.

fer 31 ſehen glauben: mít oder ohne Verträge, welche bod) nur die eigenen Rechte der Fürſten meh— ren oder minderen, bleibt es ewig wahr, da der Deſpotismus von dem Punkte anfängt, wo der Fürſt aus ſeinem eigenen, natürlichen oder erworbenen, Rechte heraustritt, in fremdes Befugniß eingreift, oder nach dem gemeinen, aber tief aus der Natur gegriffenen Sprachgebrauch, ſich gewaltthätig in Dinge miſcht, die ibn nichts angehen, d. b. bie nicht die ſeinigen ſind, oder ſeine Rechte und Intereſſen keineswegs berúbren. 19) Es iſt mit einem Wort nichts weiter als die Läſion von Seite eines Mächtigeren, dem man gar nicht oder doch ohne größeren Nacht heil nicht leicht widerſtehen kaͤnn. Wo dieſer Mißbrauch der Landesherrlichen Gewalt eintrete, wo das eigene Recht überſchritten werde: das iſt in vorkommenden Fällen ſo leicht zu beurtheilen, daß es ſich von ſelhſt dem Gerech⸗ tigkeits⸗Gefühl eines jeden aufdringt, und bdie gemein⸗ „fen Menſchen darüber richtiger urtheilen als die. Weiſen unſerer Zeit.

19) Es iſt bemerkenswerth, wie unzerſtoͤrbar dieſes Princip iſt, daß es gewiſſermaßen ſelbſt ba ned anerkannt wird, wo man beleidiget. Bey allen deſpotiſchen Geſezen und Befeblen ſucht man ſtets in den gebotenen oder vorbotenen Handlungen ir⸗ gend eine Beziehung oder Verbindung mit den eigenen Rech⸗ ten hera uszuſinden; man pflegt z. B. zu ſagen, ih kann ſolcho Dinge nicht dulden, weil ſie mir in dieſer oder jener Ruͤk⸗ ſicht ſchaden u. ſ. w. Auf dieſe Colliſion die bisweilen wirklich iſt, bisweilen aber nicht exiſtirt, oder auf. andere Art gehoben werden koͤnnte, wird der Grund des Geſezes geſtuͤzt, und darin beſteht die lezte Ehre die man noch dem Princip der Gerech⸗ tigkeit erweist.

395

Wir wollen dieſes mit einigen Beyſpielen deutlich machen, und obgleich wir ſchon oben in Deduktion der Landesherrlichen Rechte, bey jedem einzelnen Befugniß den Gebrauch von dem Mißbrauch, das Recht von dem Unrecht unterſchieden haben, fo mag eine kurze Dlecapie tulation nicht überflüſſig ſeyn, um das Weſen des Deje potismus in ſeinen verſchiedenen Geſtalten zu erkennen. Ein Fürſt iſt befugt zur Handhabung ſeiner Rechte oder zum Schuz der Gerechtigkeit überhaupt Krieg zu fúbe ren, aber nicht einen ungerechten Krieg anzufangen, nicht obne vorangegangene Beleidigung jemand mit Gewalt der Waffen zu überziehen, oder ihn zur Erfüllung ſeines einſeitigen Willens zu zwingen, nicht zur Führung des Kriegs das Eigenthum ſeiner Unterthanen willkührlich zu requiriren und in Beſchlag zu nehmen, 20 nicht freye Perſonen gewaltthätig in ſeinen Kriegsdienſt oder gar in ſtehende Truppen⸗Corps zu zwingen, wohl aber ſie durch billige Verträge dahin anzuloken, oder ſie bey ihrer Vaterlandsliebe und ihrem eigenen Intereſſe zur Hülflei⸗ ſtung aufzufordern. 2 Er iſt befugt mit anderen Fürſten Frieden, Bündniſſe und mancherley Verträge zu ſchlieſ⸗ fen, in ſeinem Lande Frieden zu handhaben; aber fich zum Unrecht, zur Brechung ſchuldiger Pflichten zu ver⸗

binden, in ſeinen Verträgen über Drittmanns Rechte zu

ihrem Nachtheil zu ſtipuliren, 22 ſeinen Unterthanen jede Selbſthülfe, jeden gerechten Kampf, ſelbſt im Fall der Nothwehr zu unterſagen, 29 ſelbige wehrlos zu machen,

20) Vergl. oben S, 95 97, 31) Beral. ©. $4— 94.

$2) Bergl. S. 116— 115, $3) Bergl, ©. 9% 109.

396

thnen ohne Grund jede Art von Waffen und anderen Sicherheits⸗Mitteln zum Schuz ihres Eigenthums zu verbieten, 29 unſchuldige Verbindungen und: Aſſociatio⸗ nen nicht zuzulaſſen u. Ť. 1.729 würde von jedermann ungerecht und deſpotiſch genannt werden, weil cd andere Menſchen in ihren Rechten beleidiget. Jeglicher Fürſt und der Patrimonial⸗Fürſt insbeſondere, iſt zwar Herr in ſeinem Land, er kann fremden Ankömmlingen den Aufenthalt unterſagen oder geſtatten; aber jenes ohne Grund zu thun, rechtſchaffenen Fremden, freundlichen Gäſten die Hoſpitalität zu verweigern, ihnen unſchädlichen Durchpaß, kurzen Aufenthalt, gľeichfam die Einathmung der Luft zu verbieten, fe mit läſtigen Bedingungen zu plagen U. ſ. w. verbietet ihm die gemeinſte Liebes⸗Pflicht, ſobald es nicht zur eigenen Selbſt⸗Erhaltung nothwendig wird. 26) Er kann durch Anſehen, Empfehlungen und Ein⸗ fluß, ſeinen reiſenden oder auf kurze Zeit ſich anderswo aufhaltenden Unterthanen auch im Auslande möglichſten Schuz verſchaffen, jedoch nur in gerechten Dingen; 27) aber gänzlich weggezogene, ohne begangenes Verbrechen,

ohne verlezte Pflicht, in fremdes Gebiet, fremden Dienſt

getretene Unterthanen noch ſeinem Willen unterwerfen zu wollen, iſt eine Anmaſſung die ſowohl der Gerechtig⸗ keit als der Statuv der Dinge widerſtreitet.?23) Ein Fürſt iſt ferner befugt alle ſeine Beamte und Diener anzuſtel⸗

len, zu beförderen und wieder zu verabſcheiden, darum

24) Vergl. ©. 110- 113, 25) S. 122 128, 26) ©. 133 135. 37) ©, 132 133, 38) ©. 139 140.

a dd

M a97 weil ſie nur ſeine Diener, nur für ſeine Geſchäfte bes ſtimmt ſind; 29) aber bdie einzelnen Menſchen wider thren Willen, oder gar ohne Beſoldung in ſeinen Dienſt zu zwingen, gegebenen Geſezen und rechtlichen Hoff—⸗ nungen zumider, verdiente Beamte zurükzuſezen, oder in natürlicher Beförderung zu übergehen, Verabſchei⸗ dungen ohne Grund und ohne Entſchädigung vorzunehmen, überhaupt geſchloſſene Dienſt⸗Verträge einſeitig zu bre⸗ den oder zu verändern u, ſ. w. hieße die Beamten in ihren natürlichen oder erworbenen Rechten beleidigen, und würde mithin theils ungerecht und deſpotiſch, theils wenigſtens hart und lieblos ſeyn. Er kann ſich ſelbſt, ſeinen Beamten und Dienern, und auch ſeinen Unter⸗ thanen allerley Geſeze und Vorſchriften geben, gegen ſie einen verbindlichen Willen fäͤußeren, in fo fern er dabey inner den Schranken des natürlichen Rechts und ſeines eigenen Befugniſſes bleibt; 30) aber ſchon die Geſeze die er ſich ſelbſt auflegt, dürfen nicht dem höheren Ge⸗ bot der Gerechtigkeit, nicht Verträgen und fremden Rech⸗ ten widerſtreiten. 3 Und wenn ex in Dienſt⸗JInſtruk⸗ tionen und Reglementen ſeinen Beamten unmúaliche Din⸗ ge auferlegen, ihnen Verbrechen und an ſich unerlaubte Handlungen anbefehlen, oder auch nur unerträgliche, unverſprochene Laſten aufbürden, ihnen keine Nuhe und keine Erholung gönnen wollte, ſo würde ſolches mit Recht für einen empôrenden Deſpotismus gelten. 32) Eben die⸗ ſes Urtheil müßte von jedermann gefällt werden, wenn

29) ©. 142 145. 39) ©. 178 184. 31) ©. 190— 193, 33) ©. 193 195.

a a

er in fogenannten Civil - Befezen, Privat » Nedhte und Vefizungen nad) ſeiner Willkühr ſchaffen, allen Menſchen bei Inhalt uno die Form ihrer Verträge vorſchreiben32) in ſeinen Strafgeſezen Tugenden als Verbrechen und Ver⸗ brechen als Tugenden erklären, jene beſtrafen und dieſe begünſtigen 34 oder auch nur in ſeinen Polizey⸗Ver⸗ ordnungen, ohne Noth und ohne Nuzen, erlaubte und unſchädliche Handlungen verbieten, hingegen aber läſtige Beſchwerden gebieten, und überhaupt ſeine poſitiven Wil⸗ lens-Aeußerungen ohne Publikation vollziehen, fa ſogar rükwirkend machen wollte. 35) Privilegien und Diſpenſatio⸗ nen kann er ertheilen, aber nur von ſeinen eigenen Geſezen, und nur wenn es zur Ehre ded höheren natürlichen Be. ſezes nöthig iſt; Begünſtigungen geſtatten und wieder auf⸗ heben, aber ſolche die Vertragsweiſe für geleiſteten Bee genwerth erworben worden ſind, nicht einſeitig zurükneh⸗ men. 36) Er hat die oberſte Gerichtsbarkeit, meil er ale len ſeinen Untergebenen zum Recht verhelſen kann; aber dieſe Hülfleiſtung unverlangt aufzudringen, und ſich z. B. in jeden geringen Hauszwiſt zu miſchen, wiſſentlich und abſichtlich ungerechte Urtheile zu fällen oder anzubefehlen, Prävarikationen ſeiner beſtellten Unterrichter zu dulden oder gut zu heiſſen, Unſchuldige zu ſtrafen und Schul⸗ dige gerecht zu (prechen, 37) folglich ſich gleichſam zum

33) S. 198. 199. 34) ©. 205 410. 35) ©, 210 213, 96) ©. 216 230,

37) welches mit der Begnadigung nicht verwechſelt werden muß; denn leztere iſt keine Gerechtſprechung, ſondern vielmebr cine Anerkennung ber Schuld, aber cín erlaubter Nachlaß der Strafe, wenn ſie nicht noͤthig iſt.

399

Mitſchuldigen des Unrechts zu machen: wäre ver dem Geſez der Gerechtigkeit cin Greuel 38) und lieblos würde es ſeyn, die gerichtliche Hülfleiſtung auch nur allzuvielen Schwierigkeiten und läſtigen Bedingungen zu unterwer⸗ fen. 39) Gin jeder Fürſt iſt auch Eigenthümer ſeines Vera mögens, ſeiner Domainen und Here über deren Verwal⸗ tungen; aber ſolche die er als Fidei⸗Commiſſe beſizt oder erhalten hat, willkührlich zu veräußern, ſich über Haus⸗ verträge und Teſtamente ſeiner Vorfahren hinwegzuſezen,

die ihm darin aufgetragenen Pflichten nicht zu erfüllen, Badt. und Lehn⸗Accorde während ihrer Dauerzeit will⸗

kührlich aufzuheben, oder ihre Bedingungen einſeitig zu verändern u. ſ. w.: dazu kann er fo wenig als irgend cin anderer Menſch befugt ſeyn. Er darf Schulden contrahi⸗ ren (o viel er Credit findet, und dieſes iſt ſogar das beßte Mittel um außerordentliche Bedürfniſſe zu beſtreiten; aber gezwungene Anlehen zu machen, + contrahirte Schul⸗ den auf die Verfallzeit nicht zu bezahlen, zugeſicherte Hypotheken ihrer Beſtimmung zu entziehen, verſprochene

Zinſen zurükzuhalten oder einſeitig zu vermindern: wäre

ein Mißbrauch der Gewalt, der nicht gerechtfertiget, nur durch die äußerſte Noth entſchuldiget werden kann, und Údrigené ſich ſelbſt beſtraft, indem er für die Zukunft alles Zutrauen und mit demſelben die größten Hülfsmit⸗ tel raubt. + Es ſteht ihm frey in ſeinem Sand allerley 38) S. 270. „Wer den Gottloſen gerecht ſpricht, und ben Bee

rechten verdammt, die (ind beyde dem Herren ein Greuel.“ Prov. XVII, 15.

99) ©, 267 269. | 40) welche jebodh noch beſſer ſind als gezwungene Eenttibutibnen, denn jene werden verzinſet und zuruͤkbezablt, dieſe nicht.

41) Da niemand zum Unmoͤglichen verbunden werden kann, fe

400

Induſtrial⸗ Unternehmungen 31 treiben, und ſolche fogar ausſchlieſſend, b. b. zu Regalien zu erklären, Poſten an⸗ zulegen, Münzen zu fabriziren, Bergwerke zu bebauen u. ſ. w. 22 aber es wäre Mißbrauch und Deſpotismus zu diefem End frühere Beſizer ſolcher Anſtalten und Ge⸗ werbe ohne Entſchädigung aus ihrem rechtmäßigen Eigen⸗ thum zu verdrängen, durch harte Coercitiv⸗Geſeze die Menſchen zur Benuzung ſeiner Straſſen und Brüken zu zwingen, um dadurch ſeine Zölle zu erhöhen, a2) die aus⸗ ſchlieſſende Jagd bis zur Liebloßgleit und bis zur Belei⸗

entſteht die Frage, wie es gehalten werden ſolle, wenn ein Fuͤrſt durch Ungluͤksfaͤlle außer Stand geſezt wird, ſeine Schul⸗ den ju bezablen oder zu verzinſen ? Ich antworte unbedenk⸗ lich, daß er zwar auch bier Richter in eigener Sache iſt, daß er alſo durch Suſpenſion, Termine, Reduetion u. ſ. w. ſich «lerdinag ſelbſt helfen oder accordiren kann, und dadurch ſogar ſeinen Glaͤubigern einen wahren Dienſt leiſtet; daß er aber auch hier ſich der natuͤrlichen Gerechtigkeit fo viel als immer moͤglich naͤheren, und beweiſen ſoll, daß er thut was in ſeinem Vermoͤgen ſteht. Uebrigens giebt es eine Menge Mittel, hiezu ſogar die freye Einwilligung der Glaͤubiger zu erhalten, und endlich wird es aͤußerſt wenige Faͤlle geben, wo ein Fuͤrſt nicht, wenigſtens in der Folge, durch Vermeb⸗ rung der Einnahmen oder Verminderung der Ausgaben die ſuſpendirten oder reducirten Zinſe wieder verguͤten koͤnne. Derg leichen Fuͤrſtliche Schulden⸗Liquidationen uud Reductio⸗ nen feberi wir leider in unſeren Tagen mehr als genug; und

obgleich tauſende daben leiden, fo ſindet ſie doch niemand uͤbel, wofern man nur ſieht, daß nicht bloße Willkuͤhr, ſon⸗ dern ein guter redlicher Wille dabey zum Grunde liegt. Die Glaͤubiger wuͤrden durch Unordnung und gaͤnzliche Nichtzah⸗ lung neb viel mebe verlieren.

42) ©, 284. 485. 43) ©. 290 ff.

404 digung fremden Eigenthums zu treiben, den Unterthaͤnen die eigene Transdortirung ihrer Waaren und Briefſchaf⸗ ten m unterſagen, falſche Münze zu machen und für gut auszugeben U. ſ. w. 48) Seinen freyen Unterthanen ein⸗ ſeitig und willkührlich direkte Steuren aufzulegen, iſt zu jeder Zeit als ungerecht angeſehen worden, weil ihr Vermoͤgen nicht das ſeinige iſt; «S aber eine pekunia⸗ riſche Bedingung auf die Benuzung ſeines Eigenthums, ſeiner gemeinnüzigen Anſtalten, gewiſſer Hülfleiſtungen und Gunſtbezeugungen zu ſezen 9%) kann hingegen nicht eine Auflage genannt werden, ſondern nimmt die Natur eines Kaufes an. Mit bewilligten Steuren ſparſam und wirthſchaftlich umzugehen, 47) ſie mur zu denjenigen Ge⸗ genſtäuden ju verwenden, mozu ſie verlangt oder erhal⸗ ten worden, iſt eine heilige Pflicht der Gewiſſenhaftigkeit, und lezteres ſogar der ſtrengen Gerechtigkeit, wenn der Gegenſtand der Verwendung förmlich ausbedungen und verſprochen worden iſt. 13) Das Gegentheil würde mit Recht eine deſpotiſche Handlung genannt werden.

Man ſieht aus allen dieſen Beyſpielen, denen noch tauſend andere beygefügt werden könnten, daß der De⸗ 44) ©- 295. 296 45) ©. 318 ff.

46) ©. 352 ff | 47) ueber dieſe Pflicht ik cine febr ſchoͤne Stelle in Necker des Finances de la France T. 1, p. 46. 47. Sein Irrthum dabep IR nur, daß cr alles unter bie Mufiagen rechnet. Allein feit Der Revolution iſt man uͤberall verſchwenderiſch mit fremdem, karg und ſparſam mit cigenem Gut. 48) €. 339 341. - Aweyter ant, G

!

402

ſpotismus überall nur in der Beleidigung eines fremden Rechts, in der Läſion von Seite eines Mächtigeren bes ſteht, und daß alſo die Schranke der Landesherrlichen Gewalt die nemliche iſt, welche die Macht und Freyheit aller anderen Menſchen beſchränkt. Aus ebendemſelben Princip erklärt ſich auch der gerechte Unwille der Völker gegen jene größeren und allgemeinen Bedrükungen, welche unſer Zeitalter blos dem pſeudophiloſophiſchen Staats-Recht verdankt, und die von ſeinen Bekennern mit ſchallenden Phraſen von Sicherheits ⸗Wohlſtands⸗, Indüſtrie- und Aufklärungs- Politik, ſogar als Regen⸗ ten + Pílidten und ſogenannte Staatszweke geprieſen werden. So 3. B. mit. ſtrengen Strafen, alle Nu. wanderung zu verbieten, Srengeborne die gegen niemand beſonders verpflichtet find, gleichſam an die Erdſcholle zu heften, dem Unglüklichen, dem Verfolgten das lezte Mittel ſeiner Freyheit oder ſeines beſſeren Fort⸗ kommens zu rauben, alle Menſchen zu Leibeigenen zu machen, im nemlichen Augenblik wo man gegen die ältere partielle und ſtets auf einem beſonderen Grund beruhende Leibeigenſchaft deklamirt; im Inneren freye Diener und Unterthanen ohne Unterſchied gezwungenen und un—⸗ beſtimmten Perſonal und Realdienſten, dem . wahreu Charakter der Sklaverey zu unterwerfen; bald nach Geſezen und bald nach beſonderen Befehlen, alles Privat ⸗„Eigenthum einſeitig zu requiriren und ohne Erſaz in Beſchlag zu nehmen, alſo daß niemand mehr etwas eigenes beſizt, und alles was ihm gelaſſen wird nur als cin Benefizium betrachten muß: 49 dieſe

49) Car, a dire vrai, fagte doch ſchon Locke, je ne suis pas le propričtaire de ce guwun autre est en droit de me pren-

403

Maßregeln waren ehmals nicht bekannt, oder wurden wenigſtens nicht auf Schulen und in gelehrten Büchern zu Rechts⸗Prinzipien erhoben. Jeder Menſch it auch Hekrr in ſeinem Haus und über ſein Eigenthum, inſofern er dabey keine fremden Rechte beleidiget. Sich daher eine Herrſchaft über die inneren Familien-Angele⸗ genheiten anzumaſſen, ſich, wo niemand klagt, in die Privat-Oekonomieeinzelner Unterthanen ein⸗ zumiſchen, z. B. die Art des Landbaus nach dieſem oder jenem Syſtem zu zwingen; Se) faft alle Erwachſenen ſelbſt, gleich unmündigen Kindern, unter Vormundſchaft zu ſe⸗ zen, und das was zu ihrem Wohlſtand oder ihrem Glüke dient, beſſer als ſie verſtehen zu wollen; aVe väterlide Autorität zu entkräften, den Unterricht und die Kinderzucht nach ſeiner Willkühr zu re— guliren, und ſolche dem Willen der Eltern oder dem Einfluß der Kirche zu entziehen, in Schulen die man nicht nöthig hat, oder wo man nichts lernt, mit Gewalt zu zwingen, und andere viel nüzlichere zu verbieten; einzelne Heyrathen vorzuſchreiben, oder willkührlich zu unterſagen, die Liebe ſelbſt ſeinem Zwang zu unterwer⸗ fen, gleichſam über ben Körper und das ganze Lebens⸗ Glük ſeiner Untergebenen zu diſponiren u. ſ. w.: 0 iſt

dre, quand il lui plaira eontre mon consentement. Du

80uvernement civil p. 188.

so). 9t. v. Sonnenfei6 3. S. tollte jebe Stúť Land bag zwey Jabre unbebaut geblieben máte, als freywillig verlaſſen und primi occupaniis etfláren.

51) Wie Bonaparte es zu tbun anfing, um feíne Janitſcharen zu verfovgen. Die Gonfcription der Knaben und Maͤnner tvar ibm no nicht genug, es muften audi Weiber und Maͤd⸗ ben confcribicť werben, alles zum beften des Štaatg:

404.

ebenfalls cin unerträglicher, gemeinſchädlicher Deſpotis⸗ mus, fo febr ibn auch die neueren Aufklärer zu beſchöni⸗ gen ſuchten, um ihr Welt⸗Reformirungs⸗, d. b. Welt⸗ Umſtürzungs - Syítem durchſezen, und bad Menſchen⸗ Geſchlecht nad) ibter Art erziehen, odber vielmehr ver» ziehen zu können. Wem anders als diefen Doctrinen ver⸗ danken wir es ferner, wenn man in neueren Zeiten ſelbſt große und kleine Fürſten ſah, die von jener ſophiſtiſchen Sekte geleitet, den alle Gerechtigkeit umſtürzenden Grund⸗ fa aufſtellten, daß der Nuze ded gröſſeren Hau— fens daš alleinige Gute ſey; bdie ſich daher be. rechtiget glaubten, bald unter dieſem, bald unter jenem Vorwand $2) unſchuldige Communitäten, Stände, Zünf⸗ te, Orden, Klöſter, Spithäler und andere fromme Stiftungen zu vernichten, ihre Güter und Ein⸗ . filnfte, als ob ſie dem Fürſten gehörten, einzuziehen, 12?

s Daß falſche Lehren nicht aud auf Súriten wirken, iſt ein großer Irrthum. „Et proniores sunt principes in omnia mala, guo magis hac legitiinantur sub specie juris alí- eujus, guia licet per se libere ad talia inclinent, tamen ambitionis ratio fit, ut eo citius talia agant, guando ba- bent pretextum juris, a guo abstinuissent, si iniquitas illis ob oculos posíta fuisset.“ Bohmer jus publ. univ. p. 282. Go ſagt auch Bodin: „Or ceux gui soutiennent telles opinions sont. plus dangerenx gue ceux mémes

qui les exécutent $- car ils monstrent les grifles au lyona et arment les princes du voile de la Justice. de la Republ. L, I. Ch, VIII. Pp. 156.

55) Es fagte fon J.D. Bôbmer vor mebr alé hundert Jabren:

Graviter penant in prima jurisprudentia principia , gui

res universilatis, pel sana veľ profane, gus ex ejus

patrimonio esse dicuntur, lis guw juris publíci sunt, ad-— jungere vel dominium earum principi vel reipublice assere-

re vellet. Jus eccles. prošesť. L, 5. Tit. 5. Art. 5. Pp. 379.

405

ſogar (id an Pupillen Beľbern zu vergreifen, Wittwen und Wayſen nicht einmal das Ihrige zu laſſen, oder doch ihr Eigenthum der größten Gefahr auszuſe⸗ zen; a) unter dem Vorwand von Civil-Geſezgebung alle wahren und eigentlichen Civil-Geſeze, nemlich die Beſizungen, Verträge und Gewohnheiten der Menſchen umzuſtürzen, Privat - Werfommniffe ge⸗ waltthätig aufzulöſen, wie 3. B. bey Den geprieſenen Frohndienſts⸗ oder Lehengefälls⸗Aufhebungen oder Los⸗ käufen, ohne daß weder die eine noch die andere Partey es je begehrt habe; Teſtamente zu ſtürzen oder gar abzuſchaffen, Subſtitutionen, Fidei ⸗Commiſſe und Majorate aufzuheben, auf denen zwar der Beſiz und das Recht der Fürſten ſelbſt beruht, die aber dem Syſtem der Neuerer nicht gefallen, weil ſie den Wohlſtand vaterländiſcher Geſchlechter erhalten, Ungleichheit der Glüksgüter, und mit derſelben natürliche Verhältniſſe von Herrſchaft und Abhängigkeit herbeyführen; ſterbenden Eigenthümern nicht einmal den Troſt zu laſſen über das Ihrige zu diſponiren, dadurch die lezten Bande, die lez⸗ ten Beweggründe kindlicher oder verwantſchaftlicher Pflicht⸗ Erfüllung zu entkräften oder aufzulöſen, Greiſen und hülfloſen Vätern alle Mittel zu entziehen, ſich noch der Erfüllung einiger Liebespflichten von ihren Umgebungen zu verſichern, und wenn auch niemand klagt noch zu 54) Die Vormuͤnder zu zwingen alle Puvillen⸗GSelder in den Staats⸗VFonds anzulegen, balte ich weder fuͤr gerecht noch fuͤr nuͤzlich. Sind dieſe Fonds ſolid, fo wird man es ohne Befehl thun. Iſt aber cin Zwangas⸗Geſez da, ſo darf man die Gelder bey eintretender Gefahr oder moͤqlich beſſerem Se: brauch nicht mehr zuruͤkziehen. Wie viel Ungluͤk if nicht da⸗ durch in Holland und anderen Staaten entſtanden!

406

klagen berechtiget iſt, gleiche Erb⸗Theilungen anzubefehlen; ſeinen Unterthanen ſogar den Troſt der Religion und erlaubte Ruhe zu mißgönnen, Tem⸗ peľ mit Polizey⸗Soldaten zu ſchlieſſen, unſchuldige Kirchengebräuche und Ruhetage gewaltthätig abzuſchaff en, die Menſchen nicht etwa durch Beleh⸗ rúna, Beyſpiele und Vortheile, ſondern gleichſam pharao⸗— niſch sur Arbeit zu treiben, weil dieſe bad Beßte ded ſogenannten Staats ausmache; 5 ſie nicht nur in ihrer Religion, ſondern auch in ihrer Sprache, ihrer Kleidung, ihren geſelligen Freuden zu quä— len, und auch hier cine naturwidrige Uniformität einzu⸗ führen, u. ſ. w.: alles das ſind lauter Tyranneyen welche das pſeudophiloſophiſche revolutionäre Staatsrecht, d. h. die falſche Idee einer delegirten Gewalt, hervorgebracht hat. Wären ſie auch in ihren Folgen ſo wohlthätig, als ſie, genau betrachtet, gemeinſchädlich und verderblich find, alle Sicherheit, allen Wohlſtand, ale Cultur eher zernören als beförderen? fo müßten ſie immerhin als Mißbrauch der Gewalt und wahrer Deſpotismus verwor⸗ fen werden. Der Grund warum ſie ſo ſehr jedes unver⸗ dorbne Gefühl empören, liegt gerade darin, daß alle jene Dinge den Landesherren nidtý angebey, ſeinen Rechten, ſeinen Intereſſen fremde ſind, daß dergleichen Maßregeln vielmehr cine Beleidigung der heiligſten Vrie vat-Rechte in ſich enthalten, und unter diejenigen Un⸗

$8) „Die Polizey duldet keine Muͤßiagaͤngers ſagt cin neueres Bud úber den Staats⸗Verein. Wenn aber der Muͤßiggaͤn⸗ ger niemand beleidiget, wenn er reich genug iſt um muͤßig gehen zu koͤnnen? Wollen die Philoſephen unſere Fuͤrſten auch noch zu Zuchtmeiſtern machen?

407

gerechtigkeiten gehören, bie keinen Vorwand, keine Ent⸗ ſchuldigung haben, und nicht einmal demijenigen nüzen ber ſie ansübt. Offenbar find ſie nur von einer ſophiſti⸗ ſchen Sekte den Fürſten angerathen worden. Denn von Natur ˖ können bie Fürſten nie zu dieſer Art ven deſpoti⸗ ſchen Maßregeln geneigt ſeyn. Sie haben dazu gar kein Intereſſe, tie etwa zu anderen, welche die Selbſterhal⸗ tung, bie Noth, der Eigennuz oder andere Leidenſchaften veranlaſſen oder entſchuldigen mögen: dergleichen Gewalt⸗ thätigkeiten nüzen ihnen ſchlechterdings nichts, ſie ſchaf⸗ fen nur Unmuſſe, bittere Zweytracht, zahlloſe verdrießli⸗ che Geſchäfte, und untergraben die: Heiligkeit der Fürſt⸗ lichen Rechte ſelbſt, welche auf dem nemiidhen Funda⸗ ment wie alle übrigen beruhen. Wenn man daher einſt den empörenden Grundſaz aufſtellt, dať nicht die Gerech⸗ tigkeit, ſondern der Nuze ded größeren Haufens de eines jeden Partikuliers und ſelbſt ded Landes⸗Fürſten vorzuzichen ſey, wenn man keine Verträge mehr halten, keinen lezten Willen mehr reſpektiren, das Recht der Erſtgeburt, wo es unwiderſprochen eingeführt iſt, aufhe— ben, Stiftungen unter dem Vorwand daß ſie nichts nú. zen, zerſtören 56) und Reichthümer einziehen will, weil fie angeblich beſſer verwendet werden könnten: fo werden auch bdie Fürſten felbfty bald zu ſchwachen, dürftigen Privat/-Perſonen herabſinken, und nad gleichen Magda men von dem Ihrigen beraubet werden. Man wird als dann auch gegen ihre koſtbare Haus⸗ und Hofhaltung

o Z A I SE rn

56) welches nebenher 4. B. ben den Kloͤſtern gar nicht der Fall iſt. Sie nuzen wenigſtens mehr als reiche Privat-Muͤßig⸗ gaͤnger, und ich ſehe nicht, daß bad Volk durch ein paar Caſernen mehr, gluͤklicher geworden ſey.

408

deklamiren, oder felbige unter Umſtänden beſchränken wollen, weil das Geld, obgleich es dem Fürſten eigen⸗ thümlich gehört, nüzlicher verwendet werden könnte; man miro ihre Wohnungen Aational ⸗Gebäude, ihre Mobilien Regierungs⸗Bedürfniſſe, ihre Chatouille ein Staats⸗Geld heiſſen; man wird ihre Beſizungen zwiſchen Söhnen und Töchtern theilen, meil die größere Zahl dabey ihren Nuzen findet, man wird ihre Domai⸗ nen verkaufen, verſtüklen und zum angeblichen Beßten des Alerbaus oder der Bevölkerung in Bauern⸗Güter umwandeln, 57“ ihre Regalien oder Induſtrial⸗Unter⸗ nehmungen allgemein machen wollen, um die Gewerbe ber Unterthanen zu vervielfältigen; Steuren und Abga⸗ ben, gerechte zur Selbſt⸗Erhaltung nothwendige Kriege, wird man dem Nuzen des größeren Haufens nachtheilig, vielleicht unter Umſtänden ſelbſt den Wechſel des Herren für ibn gleichgültig ſinden, man wird mit Arroganz die Abtretung von Provinzen, die ſchimpflichſten Conceſſio⸗ nen, ſogar die Abdication des Landesherren ſelbſt forde⸗ ren, wenn eine Rotte von Sophiſten, die ſich das Volk nennt, dabey einen Vortheil zu erlangen, oder einen Schaden zu vermeiden hoft. 5] Dieſe Beſorgniſſe ſind nicht aus der Luft gegriffen, unſer Zeitalter hat ſie lei⸗ der in Erfüllung gehen ſehen, und mehrere Fürſten oder Republiken haben ſich durch Annahm falſcher Prinzi⸗ pien, ſelbſt die Grube gegraben, indem ſie von der Ge⸗ rechtigkeit abwichen, und den Nuzen oder den Willen

—⸗2·

$7) Hat man nicht ſchon Broſchuͤren geſchrieben: Neber die Verwandlung ber Domainen in Bauern⸗-Guter. Wenn aber dann bie Bauren Domainen beſizen, fo muͤſſen ſie wieder verwandelt werden in Knechten⸗Guter u. (. w.

59) Mau gedenke an bie Beyſpiele ven 1797 und 1798.

409 .

des groͤßeren Haufens als das búdfte Geſez aufſtellten. Allein, auch wenn es nicht zu ſolch unglüklichen Extre⸗ mitäten kömmt, ſelbſt in ruhigen Zeiten, werden ſie nicht immer den Schlingen entgehen, die ihnen durch ſolche Sophiſtereyen geſtellt werden. Denn bey jeder Gelegen⸗ heit wo ibr Recht oder ihr Intereſſe mit dem Vortheil einiger anderen in Colliſion kömmt, ben der beſſeren Be⸗ nuzung von Domainen, bey der Erweiterung von Rega⸗ lien, ſelbſt bey Reduetionen und Erſparniſſen, unter de⸗ nen immer etliche leiden, wird man ihnen ſtets den wirk⸗ lichen oder vermeynten Nuzen des größeren Haufens ent⸗ gegenſezen, und dadurch ihre rechtmäßigſten und beßten Unternehmungen lähmen. Auch würden ganz gewiß jene neueren großen Gewaltthätigkeiten gegen alle Privat⸗ und Corporationsrechte, gegen die heiligſten Beſtzungen, Verträge und Gewohnheiten der Menſchen, niemalen entſtanden ſeyn, wenn man ſie nicht durch falſche Leh⸗ ren zu rechtfertigen geſucht, und den Fürſten ſogar als ſogenannte Staatszweke 5) und Regenten⸗Pflich—

39) Staatezweke hieß mau vormals auch Staats⸗Raiſon. Die alten Juriſten waren denſelben gar nicht guͤnſtig. Jn Reinkingas biblicher Poliscu, Fraukfurt 1691, ſinden ſich daruͤber folgende drollige Verſe:

Demnad) Justitia der Melt valeticirt

Sat Status ratio bie Herrſchaft occupirt,

Der Potentaten Herz bdlt ſie fúr einen Gott

Sie adtet niát bag Recht, oder Gottes Gebot.

Begiced ju fremdeni But, Betrug, Uraliftictcit

Bebált bey (be den Plaz, anftatt der Redlichkeit.

Krieg, Elend fommt daraus, zerfaͤllt all Polizey

Und berrſchet uͤber Recht, Bemaft und Ťoranney."“ Die nemlichen Juriſten nannten bie status ratio (ohne Bes

rechtigkeit) aud cine diaboli ratio, ein portentum generis

410

ten darzuſtellen gewußt bätte, Die wahren Landesherr⸗ lichen Rechte find fo groß, fo zureichend um alle Nei⸗ gungen der Menſchen zu befriedigen, daß auch der Ehr⸗ geizigſte (ſobald er nur ſeiner Exiſtenz verſichert iſt) nicht nöthig hat andere in dem Ihrigen zu beeinträchtigen, und ſie in dem kleinen Gebiet zu ſtören, welches der Himmel ihrer Willkühr überlaſſen hat.

Allein, wird man uns hier einwenden: iſt dann ein Fürſt durchaus nur auf ſeine eigene Nechte und allenfalls auf gerichtliche Hülfleiſtung beſchränkt? Soll er die freyen Handlungen ſeiner Unterthanen in gar nichts ve» gieren und zum Guten lenken, nicht die Menge, den Wohlſtand, die Cultur ſeines Volkes emporheben, nicht Tugenden befördern, Laſter und Thorheiten hindern dür⸗

fen? Nehmt Ihr ihm mít jenen Principien nicht den

ſchönſten Theil ſeiner Regierungs⸗Rechte weg, und as chet aus dem Fürſten nur einen reichen und freyen Pri⸗ vatmann, der gleichſam in müßiger Ruhe die Früchte ded Erdbodens zu verzehren beſtimmt ſey? Wir laſſen uns zwar von dieſer Sirenen⸗Stimme ſophiſtiſchen Deſpotis⸗ mus nicht verführen, und wiederholen kühn, daß erſtens ein Fürſt der ſeine eigenen Angelegenheiten gerecht und klug beſorgt, dazu noch andere bey ihren Rechten ſchüzt, weder müßig noch unnüz iſt; daß unter dieſer doppelten Vorausſezung, Sicherheit, Wohlſtand und Cultur von ſelbſt aufblühen werden, 6e) daß er durchaus nicht gewalt⸗ thätig in das Gebiet fremder Rechte eingreifen. ſoll, und

humani. Dag gleiche kann man von den Staats;weken un⸗ ſerer Sophiſten ſagen.

čo) Veral. aben ©. 354 355.

411 daß es wegen der Unmöglichkeit alles zu wiſſen, wegen der Beſchränktheit von Zeit und Kräften, immer unklug ſeyn wird, ſich, ſelbſt auf erlaubte Weiſe, zu viel mit den Angelegenheiten und Intereſſen der Unterthanen zu befaſſen. 61? Auf der anderen Seite verehren wir zu febr das Geſez der Liebe, um den Fürſten blos auf negative Pflichten beſchränken zu wollen. Aber ſeine Mitwirkung zu fremdem Glük muß vor allem der Gerechtigkeit unter⸗ geordnet ſeyn; er darf nicht den einen rauben um den anderen zu geben, nicht Böſes thun auf daß Gutes dar⸗ aus entſtehe, um ſo da weniger als aus Böſem nie et⸗ was Gutes entſtehen wird, und ein fauler Baum nur faule Früchte hervorbringen kann. 62) Vorerſt iſt alſo kei—⸗ nem Fürſten verboten, aus ſeinem Vermögen oder aus freywilligen Beyſchüſſen, und ohne Beleidigung fremden Rechts, zur Beförderung des Akerbaus, des Handels, der Künſte und Wiſſenſchaften, zum Unterricht der Jugend, zur Unterſtüzung der Kranken und Armen u. ſ. w. aller⸗

61) Nichts ſchaͤdlicheres als dieſe mavfagÄsia. Moͤchten doch alle Fuͤrſten und ihre philoſophiſchen Rathgeber ſtets mit Tacitus .bedenken, quam grave et intolerandum sit cuncta regendi onus.

62) Das Boͤſe zieht zwar cine Etrafe nach ſich, die Strafe be⸗

wirkt zulezt Beſſerung, und aus dieſer eutſteht wieder Gutes: das iſt der Kreislauf ber moraliſchen Natur. Uber dan iſt doch bie Beſſerung (bie Verlaſſung des Boͤſen) nicht das Boͤſe ſelbſt die Quelle des Guten, und man baͤtte ſtets kluͤger ge⸗ than, ſich des erſteren zu entbalten. So werden die heilloſen Revolutions-Principien nie etwas Gutes hervorbringen. Aber die fuͤrchterlichen Uebel die daraus entſtehen, ſind das Mittel fie wieder aus den Koͤpfen und GSemuͤthern der Menſchen aus⸗ durotten, Augen und Ohren ber entgegengeſezteu Wabrbeit zu oͤfnen, und die ſe allein wird die Wunden der Melt bellen.

413 ,

Ten gemeinnüzige und wohlthätige Anſtalten 41 errichten / wie wir dieſes in dem vorigen Capitel entwikelt haben. Alsdann bleiben ihm, wenn er auch auf fremde Handlun⸗ gen Einfluß haben, gewiſſe Zweke begünſtigen will, eine Menge von An⸗ und Ablokungs⸗Mitt elln, die ohne⸗ dem in ſeiner Willkühr ſtehen, die Kraft des eigenen Bey⸗ ſpiels, des freywillig eingeräumten Anſehens und Zutrauens brig: mächtige und ſchöne Mittel durch deren kluge An. wendung die Fürſten im Stande find, faſt bey allen Col⸗ liſionen ihrer Wünſche mit dem Befugniß von anderen, den Vorzug zu erhalten, und ſelbſt die freyen Handlun⸗ gen ber Menſchen gleichwie durch einen Zauberſtab zu fen» ken, ohne daß ſich irgend jemand über Beleidigung ſeines Rechts beklagen könne. Denn wie vielwirkend iſt nicht das Beyſpiel von oben, $3) in mie vielen Gelegenheiten haben nicht die einzelnen Unterthanen den Fürſten und ſeinen guten Willen nöthig, und werden dadurch zur Ge⸗ falligkeit und freywilligen Nachgiebigkeit geſtimmt? Be. lohnungen zuzuwenden und Vortheile zu entziehen (Ge⸗ gendienſte oder Gunſtbezeugungen zu verweigern), das find bie Mittel um bie Menſchen zur Erfüllung von mo⸗ raliſchen Handlungen zu bewegen, und ſie von anderen abzuhalten, die ſonſt i ihrem Befugniß geſtanden ven. $1) Auch hier haben die Fürſten den Vortheil auf

65) qualis rex, talis grex. Regis ad exemplum totus eomponitur orbis. Nec sic influtere sensus Humanos edicta valent, ut vita regentis Mobile mutatur semper cum principe vulgus. Wie ber Regent if, fo find auch ſeine Amtsleute; tie dex Rath if, fo (ind aud die Búrtger. Sirad X, 2.

64) Vergl. T. I. Gap. 14. Note 25. ©, 400,

413 ihrer Seite; aber auch dieſer an ſich rechtmäßige Einfluß, ſoll dennoch nicht lieblos etwa zur Befriedigung bloßer Launen, ſondern nur zum wahren erwieſenen Guten bes nuzt werden. So darf cin Fürſt z. B, nicht die Art des Landbaus nach ſeiner Willkühr zwingen, nicht gewiſſe Han⸗ bdelý. und Indüſtriezweige mit Gewalt anbefehlen; aber nichts hindert ihn, jene durch Beyſpiel auf feinen Do⸗ mainen oder durch Prämien, Auszeichnungen u. ſ. w. zu ermunteren, nüzliche Unternehmungen durch Vorſchüſſe, Begünſtigungen, durch Erleichterung bed Abſazes u. ſ. w. zu unterſtüzen, ſchädliche hingegen durch Entziehung ſol⸗ cher Vortheile zu erſchweren. So iſt er zwar nicht dazu vorhanden, um gleichſam der Schulmeiſter und Sittenrich⸗ ter aller ſeiner Unterthanen zu ſeyn, Unterricht, Oeko⸗ nomie, Arbeitſamkeit, Privat⸗Tugenden aller Art mit ſeinen Geboten zu erzwingen, oder Fehler zu züchtigen die niemanden als dem der fie begeht ſchädlich find: aber es iſt ſchön, edel und erreicht den nemlichen Zwek, wenn er tugendhafte, kenntnißvolle, religioſe Perſonen ehret, auszeichnet, hervorzieht, 65) unmoraliſchen, ſchlechten Nenſchen hingegen ſeine Verachtung fühlen läßt, und dem Wink der Natur gemäß, eher das Emporkommen der Tugend und des Fleiſſes begünſtiget, als das natürliche Herunter⸗ ſinken der Trägheit und Unwiſſenheit, durch Sine⸗Curen⸗ Stellen u. ſ. w. aufhalten will. Cine Brand⸗Aſſeeuranz⸗

65) Ben Beſezung von Aemtern, zumal auf Akademien und Uni⸗ veríitáten, verdient dieſes beſondere Beherzigung. Keiner von jacobiniſchen oder irreligioſen Grundſaͤzen, oder auch nur ven ſchlechten Sitten, ſollte angeſtellt werden, moͤgen auch ſeine wirklichen oder vermeynten Talente noch ſo groß ſeyn. Lieber gar kein Unterricht, als ein falſcher, verderblicher, oder als ein ſchlechtes Beyſpiel.

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Geſellſchaft zwangsweiſe einführen zu wollen, wäre zwar mit der Gerechtigkeit nicht verträglich, aber es ſteht in der Freyheit des Fürſten, denjenigen die einer fold) liebrei— den Aſſociation nicht beytreten wollen, im Fall ber Noth, hinwieder keine Hülfe zu leiſten, ihnen keine SteurSamm⸗ Jung zu verwilligen u. ſ. w. So ſcheint es mir, um von einer jezt viel beſprochenen Maßregel zu reden, deſpotiſch und nicht in dem Befugniß eines Fürſten, ſeinen Unter⸗ thanen gewiſſe Schulen vorzuſchreiben, die Beſuchung fremder Univerſitäten zu verbieten u. dgl.; aber wenn er das Eindringen falſcher und verderblicher Doctrinen in ſeine Staaten erſchweren, oder auch nur ſeine eigenen Schul⸗ und Erziehungs⸗Anſtalten begünſtigen und em. porheben will: ſo darf er unbedenklich erklären, daß nur diejenigen welche auf innländiſchen Univerſitäten ſtudirt haben, zu den von ihm abhängenden Aemtern und Stel⸗ len wahlfähig ſeyn ſollen, zumal er dieſe Aemter ertheilen kann wem er will, und auf dieſelben niemand ein eigenes Recht hat. 66) Mit einem Wort, es iſt kein möglicher

66) Dieß nur zum Beweis der Gerechtigkeit: denn in Ruͤkſicht ber Klugheit wuͤrde id nie oder felten zu der Maßregel ratben. Keiner Schule if gegeben, ale anderen in jeder Ruͤkſicht zu úbertreffen, die eine zeichnet ſich in diefem, die andere in jes em aus. Schoͤn ſagte Albr. von Haller ſchon vor achtzig Jahren: Natura certe cuigue regioni non fructus solog aut flores aut animalium genera propria dedit: ea etiam æquitas fuit providentia , ut noluerit ullam gentem esse, gus religuis opus non haberet, ut denigue nulli achola dederit, undigue superare omnes. Orať. de utilitate pere- grinationum. Gegen eingelne, alenfallé durch falſche, irre⸗ ligioſe Doctrinen und Sophiſtereyen notoriſch bekannte Schu⸗ len, kann ein Verbot ihrer Beſuchung zwekmaͤßig ſeyn, aber nie im Allgemeinen. Miſerabel iſt der Grund den man anfuͤhrt,

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Biveť, kein erlaubter Wunſch zu erdenken, den ciu Fürſt nicht begünſtigen ja ſelbſt erfüllen könne, ohne der Gerech⸗ tigkeit untren zu werden, ohne die Schranken ſeines Be⸗ fugniſſes zu überſchreiten. Diefe indirekten Triebfedern wirken ſogar mehr als offener Zwang, ſie ſtören die Frey⸗ heit nicht, ſondern lenken dieſelbe unvermerkt nach dem Fürſtlichen Willen. Allein ſeit dem man, nad den neue⸗ ten Syſtemen, alles blos durch Gewalt ausrichten will, und cine vollendete Zwangsanſtalt von unſeren Philoſo⸗— phen noch Freyheit oder Vernunft⸗Staat genannt wird: ſcheint auch jenes mabre und ſeltene Valent zu regieren beyna he gänzlich vergeſſen worden zu ſeyn. Nur die Wei⸗ ber verſtehen noch dieſe Kunſt, denn ſie haben noch ein Herz, bey ihnen gilt die Liebe noch etwas. Die heutigen Regenten aber wiſſen von den vielen rechtmäßigen Mit⸗ teln, die in ihrer Hand liegen, faſt keinen Gebrauch mehr zu machen; ſie ſezen ſich durch bloße Gebote und Verbote, die ſtets zur Widerſtrebung anreizen, der Gefahr aus, ihr Anſehen compromittirt zu ſehen, und treffen eine Menge Schwierigkeiten an, die auf anderem Wege leicht zu bes ſeitigen geweſen wären.

Demnach iſt die Schranke der Fürſtlichen Gewalt die nemliche Regel, die überhaupt auch die Freyheit aller anderen Menſchen beſchräntt. Böſes zu meiden und Gu⸗

das Geld im Lande zu behalten; als ob das Geld der boͤchſte Gott, der oberſte Zwek aller Dinge waͤre, als ob Repreſſalien nicht wieder eben ſo viel entzoͤgen, als ob ein einziger ausgezeichneter Mann nicht tauſendmal mehr Geld im Land behalten oder hin⸗ einbringen koͤnnte, als ihm ſeine Bildung gekoſtet dat u. ſ. w. Zudem find bie innlaͤndiſchen Schulen durch Umſßaͤnde ſchon genug begúnftiget,

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tes zu thun, niemanden zu ſchaden, vielmehr nach ſeinem Vermögen anderen zu nüzen, (lezteres jedoch nur unter der Bedingung des erſteren) das iſt mit zwey Worten der Innbegriff aller ihrer Pflichten. Und gleichwie es unter die entſezlichſten Dinge gehört, wenn derjenige der mit ſeinem Beyſpiel hervorleuchten ſoll, mit ſeiner Macht ſchü⸗ zen und helfen kann, gleichwohl der Ausüber und Beför⸗ derer aller Ungerechtigkeit und Liebloſigkeit wird: ſo iſt auf der anderen Seite auch nichts ſchöneres auf Erden, als einen Fürſten zu ſehen, der im Gipfel des höchſten menſchlichen Glüks, Gerechtigkeit übet und handhabet, dabey noch mit ſeiner Macht wohlthut, und ſelbſt bey ſei⸗ nen Untergebenen die Erfüllung aller moraliſchen Pflich⸗ ten, die Erwerbung und Uebung aller Tugenden (denen das Glük von ſelbſt folgt) ehret, begünſtiget, beförderet, mithin auch in dieſer Hinſicht der Stimme der Natur folgt, ein treuer Statthalter Sottes iſt.

Vierzigſtes Capiteľ,

Bon den Rechten und Plflichten der Unterthanen.

1. Die Rechte dex Untertbanen find, ibrer Quelle und ibrem Weſen nach, die nemlichen wie die der Fuͤrſten. Der Unter⸗ ſchied beſteht nicht in verſchiedenen Befugniſſen, ſondern nur in verſchiedenen Mitteln gleiches Befugniß auczuuben, b. h. m ungleichen Gluͤksguͤtern.

„TI. Breweis, daß es kein einziges ſogenannt Landesherrliches Recht giebt, welches nicht, in kleinerem Maaß, auch von anderen Menſchen ausgeuͤbt werde.

111. Die Pflichten der Unterthanen find ebenfallz bie nemlichen wie bie der Fuͤrſten, und von den Pflichten gegen alle anderen Menſchen durchaus nicht verſchieden. Sie beſtehen iu Rechts. pflichten, Lie bespflichten und Klugheits⸗Regeln, beyde lezte⸗ ten doch unter dem Vorbehalt nie ſelbſt Unrecht zu thun.

Da die wahre ſtaatsrechtliche Theorie auf dem einfa⸗ chen, durch die ganze Weltgeſchichte beſtätigten Grundſaz beruht, daß die Rechte der Fürſten von den Rechten al⸗ ler anderen Menſchen nicht ihrer Natur, ſondern nur dem Grade nach verſchieden find, daß ſie vur aus Frey⸗ heit und Eigenthum flieſſen, und mithin ihre Befugniſſe und ihre Pflichten die nemlichen find, die auch allen arte deren Menſchen zukommen und obliegen: ſo dürfte zwar dieſes Capitel wenigſtens für die Gelehrteren überflüſſig (cy. ? Auch haben wir die Parallele zwiſchen den

1) Daber es auch in meinem Handbuch der allgemeinen Staatenkunde, Minterthur 1405. nicht vorkoͤmmt. Aveyter Vand. oa

M8

Gúritcn und anderen Privat⸗Oberen ſchon oft gezogen, und die vollkommene Aehnlichkeit zwiſchen beyden evident gemacht,) bey Deduktion ber. Landesherrlichen Rechte ausführlich gezeigt, daß kein einziges derſelben ſey, wel⸗ ches nicht im kleinen von anderen Menſchen ebenfalls be⸗ ſeſſen und ausgeübt werden könne, 3) endlich in dem vo⸗ rigen Capitel erwieſen, daß alle Pflichten der Fürſten le⸗ diglich in Beobachtung der Gerechtigkeit und in Uebung des Wohlwollens beſtehen, mithin in dem nemlichen na⸗ kürlichen Gefez daš auch allen anderen Menſchen gegeben und auferlegt iſt. Allein obgleich wir unſern Leſern nicht alle Mühe des eigenen Nachdenkens zu erſparen geſonnen ſind, indem ſolches keineswegs zur wahren Einſicht bey⸗ trägt, und die Liebe der Wahrheit nur durch die Freude eigener Entdekung belebt wird: s ſo mag ein kurzer zuſam⸗ menhaängender Ueberblik nicht überflüſſig ſeyn, um theils dem zwar (chr ungegründeten Vorwurf zu begegnen, als hätten wir nur von den Rechten der Fürſten nicht von denen der Völ⸗ ker geredet, theils auch um diejenigen zu überzeugen, die ſtets von Gleichheit ber Rechte und Pflichten reden, aber nicht einſehen wollen, daß ſie aller Verſchiedenheit des menſchli⸗ chen Glükes ungeachtet, in der That wirklich ctia ſtirt, immer beſtanden hat, und daß nur ihre falſche Idee delegirter Volks⸗Gewalt, eine weſentliche Verſchiedenheit hervorbringen, alle Menſchen ihrer Rech⸗ te, ihrer Freyheit berauben und ſie ohne Ruzen an einen

æ) T. 1. Gap. XVI. ©. 450 ff. ben dem uUnterſchied zwiſchen den Staaten und anderen gefelligen Verbaͤltniſſen. T. TI, Gap. XXV. G. 25 27. ben den blofen Hausvátern und Haus⸗ herren. ibid. ©, 57. 59, bey den groͤßeren Land⸗ Gigentbúmery>

) T. ZI, Gap, XXVII XXXVII.

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Einzigen oder an eine Berfamniťung von mehreren über⸗ liefern würde.

Gleich den Fürſten, haben auch alle anderen Menſchen ihre Rechte oder Befugniſſe theils aus ihrer Freyheit, theils aus ihrem Eigenthum, als dem Produkte der Frey⸗ heit: mit anderen Worten, aus angebornen Menſchen⸗ Rechten und aus erworbnen Privat⸗-Rechten, welche die Früchte ber angebornen find, Su fo fern er niemand be. leidiget, kann jeder Menſch, nach Maaßgabe ſeiner Kräfte, unter Millionen freyer Handlungen wählen, über das ſeinige nach Gefallen gebieten und diſponiren; inner den Schranken des natürlichen Geſezes und phyſiſcher Moglichkeit, geht auch das Recht des geringſten Privat⸗ manns fo weit als ſein Mille und ſeine Macht. Der Un⸗ terſchied beſteht nur in der Verſchiedenheit der Mittel und Kräfte, erlaubte Freyheit auszuüben, und über mehr oder weniger Gegenſtände auszudehnen. Die angebornen Rechte, d. h. die Beſizungen welche die Natur gab, und die ber Augenſchein beweist, ſind bey allen Menſchen die nemlichen, doch die Grade der Vollkommenheit abgerech⸗ Net, +) bie erworbenen hingegen, welche auf beſonderen Thatſachen und Handlungen beruhen, allenfalls durch

Zeugen und urtunden erwieſen werden müſſen, ſind bey

jebem Menſchen ungleich; darum weil ber eine dieſe, der andere jene Talente beſizt, jener ſeine Freyheit (04

4) ©o bat ber eine Menſch ein fefteď und dauerhaftes, der andere cín ſchwaches Leben, jener einen geſunden und ſtarken, diefer einen kranken und gebrechlichen Koärper, jener ſcharfe, dieſer bloͤde

SGSinne, jener viel, dieſer wenige Geiſtes-Kraͤfte u. ſ. m. Auch ſogar das angeborne Eigenthum iſt dem Gradenach bey jedem Menſchen ungleich ·

400

diefer anders benuzt odber ANgemendet bat. Und gerabe biefe Verſchiedenheit angeborner oder erworbaer Kráfte, ift von der himmliſchen Weisheit deßwegen angeordnet, auf daß die Menſchen neben einander beſtehen, einander wechſelſeitig helfen koͤnnen; ſie iſt die Mutter aller Liebe,

bie Schöpſerin aller geſelligen Verhältniſſe, S) mit ihr und gerade durch ſie, iſt für jeden ungefähr die gleiche Summe ded Glükes möglich. Denn bie Natur compen⸗ Úrt alles, großer Macht bedarf man nicht um zufrieden und glüklich zu ſeyn; © Unfälle und Leiden treffen je⸗ dermann, den Konig wie ben Tagelöhner; die Dienſtbar⸗ keit hat auch ihre Vortheile und die Freyheit ihre Be⸗ ſchwerden, das Glük der Geringen if ſicherer, das der Großen unbeſtändiger. Deſſen ungeachtet beſteht zwiſchen dem Kinde und dem Vater, Ďe Herren und dem Die⸗ ner, dem Furſten und dem ärmſten Privatmann, kein 10 €. ſentlicher Unterſchied des Rechts, ſondern nur eine unmerklich fortlaufende Gradation ungleicher Natur⸗Ga⸗ žen und ungleicher Glüks⸗Güter; nicht verſchiedenes Be⸗ fugniß, ſondern nur verſchiedene Mittel ähnliches Befug⸗ niß auszuüben oder nicht auszuüben, die nemliche Frey⸗ heit in größerem oder kleinerem Kreiſe zu äußeren. Man pflegt es als ein beſonderes, auſſerordentliches Recht der Fürſten anzuführen, daß ſie nur allein Gott und nicht blos willkührlichen Menſchen,-Befehlen unterworfen

OE SN,

3) Bergl. V. i. ©, 300 30l,

4) obl abey um viel Gutes zu. tbim (ut materia praeclara petrandi ) obeť um ungebintert Bôfeé zu úben. Daber (ie nur von den zdejfken oder von den ſchlechteſten Menſchen ge⸗ wuͤnſcht wird· Die profe Zahl begehrt derſelben gar nicht.

442 feyen.) Allein, ded äußern Scheines ungeachtet, iſt dieſes dem Geiſte nach, auch bey allen anderen Menſchen der Fall. Denn da auch die zufälligſten Pflichten ſich leicht auf natürliche (Pflichten gegen Gott) zurükführen laſſen, da ſelbſt der geringſte Knecht gegen ſeinen Herren und Fürſten nur ſolche Pflichten erfüllt, die er ihm ent⸗ weder gleich jedem anderen Menſchen ohnehin ſchuldig iſt, odber die er nad) beſonderen Verhältniſſen und Verträgen freywillig übernommen hat, und die Verbindlichkeit, Ver⸗ träge und Verſprechungen zu halten, dem geäußerten rechtmäßigen Willen eines andern nicht zu widerſtreben/ ſchon in dem natürlichen Geſez niemand zu beleidigen ent⸗ halten iſt: ſo gehorcht er in beyden Fällen eigentlich nur dem Willen Botteý, nicht dem der Menfchen, er bat nur jenen, nicht dieſen über ſich; 8 Gott iſt, genau zu reden, der einzige Herr: zwiſchen den Menſchen aber herrſcht nur ungleiche von ihm gegebene Macht, natürliches Geſez und ein Aggregat unendlich mannigfaltiger Verträge. Kom⸗ men auch bey den Unterthanen Rükſichten der Klugheit hinzu, die ſie nöthigen dieſe Pflichten genauer zu erfüllen, bisweilen in Colliſionen nachzugeben u. ſ. w.: ſo liegt der Grund der Verbindlichkeit nicht darin, und die nem⸗ lichen Rükſichten treten bey den Fürſten ebenfalls ein. Auch ſie haben in ihrem Intereſſe äußere Beweggründe bor Pflicht⸗Erfüllung, müſſen oft gebieteriſchen Umſtän—⸗ den nachgeben, und ſich von ihres Gleichen oder von Mächtigeren manches gefallen laſſen, was ſie ſtreng recht⸗

7) ©. oben Gay. XXVII.

$) „Laſſet Euch duͤnken, daj Ihr dem Herren dienet und nicht den Menſchen,“ ſagt Paulus zu den Knechten. Epbeſ. VE. S x. Coloſſ. III. 22 46

s

492 lich nicht zu thun ſchuldig wären. Uebrigens iſt fa vom. uns bewieſen worden, daß es kein einziges ſogenannt Lan⸗ desherrliches oder Souverainitäts⸗NRNecht giebt, welches nicht in kleinerem Kreiſe auch von anderen Menſchen be⸗ ſeſſen und ausgeübt werde. Haben wir nicht geſehen, daß alle Menſchen ſich nad Möoglichkeit ſelbſt vertheidigen und bisweilen Beleidigungen mit Gewalt abtreiben, bald allein, bald mit Hülfe von anderen, im kleinen Krieg führen, s) Frieden, Bündniſſe und andere Verträge ſchlieſſen, ſich wechſelſeitig Boten und Geſandte ſchiken und dabey faſt ale Regeln und Uebungen des ſogenannten Volkerrechts beobachten? 10) Iſt ihnen verboten Gäſte bey ſich aufzunehmen, Hoſpitalität tn ihrem Gebiet zu üben, ihre Freunde bey ausländiſchen Bekannten möglichſt zu em⸗ pfehlen? 17) Haben ſie nicht das Befugniß ihr Hauswe⸗ ſen nach Gefallen zu ordnen, Aemter für ihren Dienſt zu errichten und wieder abzuſchaffen, die Diener oder Beamte ſelbſt anzuſtellen, zu beförderen, zu entlaſſen, zu inſtrui⸗ ren, von ihnen jede erlaubte oder verſprochene Hülfleiſtung zu forderen? Iſt nicht in den Benennungen und Bera richtungen der Privat⸗Beamten ſelbſt die auffallendſte Aehnlichkeit mit denen der Fürſten? 12) Sehen wir nicht alle Menſchen mehr oder weniger Geſeze geben, ei⸗ nen verbindlichen Willen äußeren, bald gegen ſich ſelbſt, bald gegen ihre Diener und andere Menſchen, alles ſo tocit ihre Macht und ihr Befugniß reidht, 53) dieſe Geſeze

... 7 da —— . - -

9) ©. oben ©. 98 109. 10) ©. 122 190,

11) Cap. XXX. ©. 131 140,

14) Gap, XXXI. ©, 141 174 143) Gap, XXXII. ©, 178 183.

423 © hinwieder aufheben, abänderen, auslegen, davon diſpen⸗ ſiren, in Dingen die von ihrer Willkühr abhäugen, Pri⸗ vilegien und Gunſtbezeugungen ertheilen, ſobald der Grund der gewöhnlichen Regel wegfällt, oder ſobald ſie dem hö⸗ heren natürlichen Geſeze weichen muß? 10 Ueben nicht alle Menſchen eine Art von Gerichtsbarkeit aus, leiſten ſie nicht Hülfe zum Recht in beſtrittenen und unbeſtritte⸗ nen Dingen, fo weit ſie dazu vermögend find, entſcheiden Privatzwiſte ihrer Untergebenen, und ſtrafen Vergehungen, bald in eigener Perſon, bald durch Bevolla maͤchtigte, bald mit mehreren bald mit minderen Formen, oft ſogar in erſter und lezter Inſtanz? 158P Auch hier wird kein Oberer von ſeinen Untergebenen beurtheilt. Haben bie Privat⸗Perſonen nicht auch Güter, Einkünfte, Ver⸗ mögen u. ſ. w., diſponiren frey darüber, und ordnen die Admiſtration dieſer Finanzen nach ihrem Gefallen; befizen ſie nicht Domainen nebſt ihren Dependenzen, Jag⸗ den, Forſten, Gewäſſer u. ſ. w., verleihen, verpachten, verwalten dieſelben auf mannigfaltige Weiſe? 16 Ueben fe nicht ſogenannte Regalien, herrſchaftliche In— duſtrial⸗Unternehmungen aller Art, den Fürſtli⸗ en vollkommen gleich, nach gleichen Rechten und Bera bindlichkeiten, und bisweilen ſogar ausſchlieſſend? 17 Giebt es nicht auch für Privat⸗Beamte mancherley, bald durch Uebung entſtandene, bald geſezlich beſtimmte, Ta⸗ ren, Sporteln u. ſ. w., für Dienſte die ſie nicht ihrem Herren, ſondern anderen Menſchen erweiſen, die der er⸗

14) Gap. XXXII, ©. 216 230. 16) Gap, XXXIV. ©, 234 240. U, ©. 242 445 + :6) Gap. XXXV. ©, 272 299,

27.) ibid. ©, 289.— 309,

424 ſtere nicht zu bezahlen ſchuldig iſt, deren Belohnung aber er auch nicht für ſich ſelbſt forderen ſoll? 18) Ueber frem⸗ des Gut, oder über das Eigenthum ihrer Untergebenen einſeitig zu diſponiren, find freylich die Privat⸗-Perſonen ſo wenig als die Fürſten befugt; aber freywillige Hülfe können ſie von denſelben auf mannigfaltige Weiſe eryhalten, und auch auf die Benuzung ihrer eigenthümli⸗ chen Anuſtalten, auf dieſen oder jenen ſonſt unentgeldlich geleiſteten Vortheil eine pekuniariſche Bedingung ſezen, mithin auf dieſe Art von Fremden und Einheimiſchen in⸗ direkte Abgaben beziehen.1) Ter wird endlich läugnen wol⸗ len, daß alle Menſchen auch moraliſche Pflichten zu erfüllen, Wohlthaten zu erweiſen, ſelbſt große gemeinnüzige Wna ſtalten zu Hebung ded allgemeinen Wohlſtandes, zu Ve— förderung der Wiſſenſchaften und Künſte, zur Erziehung der Jugend, zur Pflege der Kranken, zur Unterſtüzung der Armen u. ſ. w. zu ſtiften befugt ſind, da wir erſt in dem vorlezten Capitel bewieſen haben, 20) daß man die meiſten und beßten derſelben der gemeinſamen Anſtrengung bloßer Privat⸗Perſonen verdankt, und daß es ſogar un⸗ ter die gefährlichſten Dinge gehört, ſie ausſchlieſſend den Fürſten übertragen zu wollen. Mit einem Wort: Ihr möget die Parallele zwiſchen den Fürſten und anderen Menſchen verfolgen ſo weit ihr immer wollet: Ihr werdet in Regeln und Thatſachen ſtets die vollkommenſte Aehn⸗ lichkeit und keinen anderen Unterſchied als denjenigen zwiſchen dem Kleinen und Großen finden. Wie iſt es möglich, daß unſere Philoſophen noch von geraubten Be.

18) Cap. XXXVI. €. 319 316. 19) Gay. XXXVII. ©. 317 353: 30) Gap, XXXVII. ©. 354 371.

fugniffcn reden, über Ungleichheit ber Rechte klagen kön⸗ nen, und doch die Ungleichheit der Glüksgüter zugeben, welche den alleinigen Unterſchied ausmacht, an und für ſich aber eben ſo gerecht, eben fo unzerſtörbar, als weiſe und wohlthätig iſt.

Demnach (ind auch die Pflichten der Untertha— nen gegen den Fürſten die nemlichen, die ſie gegen alle anderen Menſchen auch haben; der Umfang und die Schranken des Gehorſams ergeben ſich auf die einfachſte, befriedigendſte Weiſe. Gleichwie der Obere gegen ſeine Untergebenen, der Fürſt gegen ſeine Unterthanen zu Rechts⸗ und Liebes⸗Pflichten verbunden iſt: fo find es auch die Unterthanen gegen ihn. In der Vereinigung von beydem beſteht das Ideal eines vollkommenen Staats, ein Ideal das nicht ſchwer, leicht zu realiſiren möglich iſt, dem allein man ſich ohne Gefahr beſtändig annähern kann und ſoll. Dem Geiſte nach ſind die Pflichten der Fürſten und Unterthanen vollkommen die gleichen, für beyde gilt das gleiche (natürliche) Geſez; blos die Ma⸗ terie, bie duďeren Gegenſtände ſind verſchieden, auf welche ſich dieſes Geſez anwendet. 21 So weit die eigenen

21) Jebem Menſchen ſoll men dať Seine laſſen und das Seine ge, ben: das iſt das allgemeine fuͤr alle gleiche Geſez. Aber da jeder Menſch etwas anderes beſizt oder zu forderen Bat: fo ſind auch bie Rechtspflichten, ber Materie nach, gegen jes den verſchieden. So bin ich meinem Glaͤubiger eine Schuld zu bezahlen, meinem Herren einen gewiſſen Dienſt zu leiſten ſchuldig, einem anderen Menſchen hingegen nicht, meil dieſer keine Forderung gegen mich beſizt, keinen Dienſt⸗Vertrag mit mir geſchloſſen hat. Doch gebe ich in beyden Faͤllen nur jedem Dať Seine. Die nemliche Bewandniß bat es mit den Liebes⸗

pflichten. Jedem Menſchen iſt man nad Moͤglichkeit zu nien

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Rechte ded Fürſten gehen, auf denen alle ſeine Befugniſſe beruhen, fo weit gehen auch die abſoluten Verbindlich⸗ keiten der Unterthanen. Kraft dieſes Gebots ber Gerech⸗ tigkeit ſollen ſe 4% ibrem Fürſten das Seine laſ⸗ ſen und daš Seine geben, d. h. ihn in ſeinen na⸗ türlichen und erworbenen Nechten, ſeiner Freyheit und: ſeinem Eigenthum nicht beleidigen, in der Ausübung (čie ner rechtmäßigen Befugniſſe nicht hinderen noch ſtören, Verträge und Verſprechungen halten, ale rechtlichen Schuldigkeiten willig erfüllen: lauter Pflichten zu denen die Fürſten ihrer Seits ebenfalls derbunden ſind: Ge⸗ bet dem Kayſer was bed Kayſers iſt. 22) 20 Zum anderen verpflichtet ſie auch das Gebot ber Liebe, zu ala len guten erlaubten Werken bereit zu ſeyn, empfangene Wohlthaten mit Dank und Gegenliebe zu er⸗ wiederen, auch ohne dieſelben ihrem Fürſten nach Mög⸗ lichkeit zu nüzen und zu helfen.22) Dad kann nun jeder in ſeinem Kreis, und ſelbſt der geringſte auf mannigfal⸗ tige Weiſe, nicht allein mit Unterſtüzung durch phyſiſche Kraft an Mannſchaft oder Geld, die nur in außerordent⸗

und zu helfen ſchuldig: dieſes Geſez iſt fuͤr alle gleich. Aber da nicht jeder bie nemlichen Kraͤfte beſizt, dex cine dieſer der andere jener Net von Huͤlfe bedarf: ſo IND auch bdie Lie⸗ bespflichten, der Materie nach, fuͤr jeden Menſchen und gegen jeden Menſchen verſchieden. Daß doch unſere Philoſo⸗ phen, bie ſtets von reiner Vernunft, von Sinnlichem und: Ueberſinnlichem reden, dieſen einfachen Unterſchied nicht zu faſſen, das Ewige in allem Wandelbaren, dag Eine in allem Mannigfaltigen, das Natuͤrliche in allem Poſitiven nicht zu erkennen wiſſen! 232) Matth. XXM, 2:.

23) in allen Dingen zu Gefallen thun alle gute Zven erzeigen zu allem guten Werke bereit (ton. Tit. II, 9— 10. IMI, x.

) 42

lichen Fällen nöthig iſt, ſondern auch mit aufrichtigem und treuem Rath, mit lebendigem Eifer der mehr als bloße Schuldigkeit thut, mit warmem und thätigem In⸗ tereſſe für ſein Glük und ſeine erlaubten Zweke, mit Er⸗ leichterung und Begünſtigung ſeiner Befngniffe, mit För⸗ derung ſeiner Ehre, ſeines Anſehens, mit Abwendung jeglichen Schadens, und wenn ihm auch zu thätigem Dienſt die Kräfte und Gelegenheit mangeln, wenigſtens mit den Wünſchen ſeines Herzens, auf daß es ihm wohlergehe. 24) 3? Drittený muß nicht nur die Klugheit rathen, ſondern es wird ſelbſt von höherer Liebe geboten, in Colliſio— nen des Friecdens wegen nachzugeben, verträg⸗ lich zu ſeyn, nicht immer das ſtrengſte Recht zu forderen/ wenn es durch Umſtände nicht möglich wird, bisweilen ſogar Unrecht zu leiden, wofern es erträglich iſt und nicht aus böſem Willen hervorgeht; alles theils aus liebreicher Nachſicht, theils zu eigenem Beßten, weil man in un⸗ gleichem Kampf unterliegen, und ſich nur größere Uebel herbeyziehen würde. Denn die Fehler und Beleidigungen von Seite der Fürſten, die Forderung an ſich erlaubter, aber nicht abſolut ſchuldiger Handlungen und Leiſtungen, die Entziehung einzelner ſonſt rechtmäßiger Befugniſſe, geſchehen, wie bey anderen Menſchen und Privat⸗Obe⸗ ren, nicht immer aus bújem Willen, ſondern oft aus Irr⸗ thum, aus Uebereilung oder aus Noth, in einer Colliſion wo ihr Recht mit dem Recht eines anderen nicht zu glei—⸗

24) God save the King. Dag Ruͤhrende und Herzergreifende die⸗ ſes beruͤhmten Lieds, liegt ganz gewiß in der kindlich ſchoͤnen einfachen Moral, auch einem Hoͤheren und Maͤchtigeren, ohne Neid alles Gute zu wuͤnſchen, ſich ſeines Gluͤkes zu erfreuen u. ſ. w. Der dieſes Lied gemacht, der es in Muſik geſezt hat, bat England einen großen Dienß geleiſtet

528

cher Belt beſtehen fann, und wo ſie eigentlich nur die Handhabung ded erſteren, nicht bie Beleidigung ded lez⸗ teren wollen. Alsdann iſt nicht immer zu vermuthen, daß ſie ben nemlichen Fehler wiederholen werden, oder daß er ihnen überhaupt Regel für die Zukunft ſey. Sn ſolchem Falle nun, kann auch ein Schwacher dem Mächtigen, ein Untergebener dem Oberen, ein Kind ſeinen Eltern, in ſeinem Herzen aus höherer Liebespflicht verzeihen, und ſich dadurch ſelbſt wegen erlittenem Unrecht beruhigen. 25> Giebt man ja ſchon unter Privat⸗Perſonen bey collidiren⸗ den Intereſſen oft des Friedens wegen nach, hat man Geduld mit den Irrthümern und den Launen ſeiner Ne⸗ benmenſchen: wie vielmehr iſt ſolches der Klugheit gegen einen Höheren angemeſſen, gegen welchen der Kampf nicht moͤglich iſt, oder nur größere Uebel herbeyziehen würde. 20) Müſſen ſich ja die Fürſten ſelbſt von ihres Gleichen und von Mádhtigeren oft aͤhnliches gefallen laſſen, ſie dulden einzelnes Unrecht, um Kriege zu vermeiden die nicht glüt⸗ lich geführt werden könnten, ſie geben gebieteriſchen Umſtänden nad, gleichwie man dem Sturm, dem Ne. gen und dem Froſt ausweicht. Auch hierin haben ſie we⸗ nig vor anderen Menſchen voraus. Dieſe Nachgiebigkeit aber iſt keine unerlaubte, ſondern vielmehr eine mora⸗ liſche und kluge Handlung, um gegenwärtiges Uebel zu minderen und den Zeitpunkt zu erwarten, wo entweder

25) Denn das ik Snade, fo jemand um des Gewiſſens willen zu Gott, dať Uebel vertraͤgt und leidet das Unrecht. s Pete, II, 19.

16) gante nidt mit einem Gewaltigeren, daß du ihm nidt in tie Hônde falleft." Sirach VILI, 1. „Was ſoll die der ss terbene Topf gegen den ebernen Topf, denn 0 fe an ein⸗ vonder ſtoßen fe zerbricht er.“ Ebend. XIII, 5.

die Sonne der Gerechtigkeit wieder ſcheint, obeť wo die natürliche Wiedervergeltung, bie Hülfe möglich wird. Dabey kömmt durch unzeitigen oder unklugen Widerſtand gewöhnlich nichts beſſeres nach. Dad ewige Widerſtreben in unbedentenden Dingen und ohne hinreichende Macht, reizt die höhere Gewalt nur noch zu größerem Mißbrauch, und zerſtörte man auch eine rechtmäß ige, aber hier und dort fehlende Obrigkeit, durch Schaffung einer neuen noch höheren Macht: ſo kann dieſe leztere ebenfalls mißbrau⸗ achen, ja ſie bat ſogar der Ungerechtigkeit mehr nöthig, um ſich zu behaupten. Die Völker gewinnen dabey nichts, und fallen gewöhnlich von ben RNegen in die Traufe, ſie zerreiſſen den Zaun und werden von einer Schlange geſto⸗ chen. 27) |

Aber dieſe liebreiche Verträglichkeit, dieſe duldende oder kluge Nachgiebigkeit ſelbſt, verſteht ſich nur bey ſol⸗ chen Forderungen, deren Erfüllung an und für ſich er⸗ laubt, wenn auch durch das natürliche Geſez nicht gebo⸗ ten iſt. Und hieraus entſteht die vierte und lezte Pflicht, welche zugleich die ewige Schrauke alles Gehorſams aus⸗ macht, nemlich auch auf allfälligen Befehl nie Unrecht zu thun, keine Verbrechen, keine durch das göttliche (natürliche) Geſez verbotenen Handlungen aus⸗ zuüben. Von dem Seinen zu opferen, ſelbſt Unrecht zu leiden, iſt jedermann erlaubt, aber nicht Fremdes zu be⸗ leidigen, nicht Unrecht zu thun; das kann auch kein Fürſt, kein weltlichet Oberer von ſeinen Untergebenen forderen, theils weil es nicht in ſeinem Befugniß liegt, 23) theils

37) Pred. Sal. X, 8.

28) Vergl. T. I. ©, 513 und oben ©. 189. 190. ©, auch Ršal science du Gouvernement T. IV, 6. 5. $.6Get7. ©

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weil bie anderen ſelbſt nicht dazu berechtiget find: hier gilt keine Autoriſation, keine perſönliche Zuneigung, kein eigener Vortheil, hier geht die höhere Verbindlichkeit, das natürliche Geſez dem menſchlichen vor. Gebt Gott was Gottes iſt. Fürchtet Gott mehr als die Menſchen. 29) Die Verweigerung ded Gehorſams in fold) außerordentlichen und feltenen Fällen, bringt Úbrie gens faft nie Gefahr, Kc erzwingt allgemeine Hochachtung, auch ſogar bey dem Befehlenden ſelbſt, und iſt nebenher, wie wir bereits gezeigt haben 303 und bald weiter bewei⸗ ſen werden, eines der ſicherſten Mittel um große Gewalt⸗ thätigkeiten zu hinderen, als welche ohne die Hülfe von anderen Neuſchen nicht vollzogen werden können. Ein unſichtbarer Schuz, die unzerſtörbare Ehrfurcht des Gu⸗ ten, die Kraft Gottes ſelbſt, ſteht der gerechten Sache bey. So thaten die Ebräiſchen Wehmütter nicht was der König von Egypten ihnen geboten hatte, nemlich die männlichen Kinder zu töden, ſondern ſie fürchteten Gott und lieſſen die Kinder leben, wofür ihnen nichts Uebels geſchah. 35 So wollten die Trabanten des Königs Saul bie Prieſter des Herren nicht erſchlagen. 322) Obadia ver⸗ barg die Propheten, welche Jeſebel ausrotten wollte. 33) Jonathan verweigerte ſeinem Vater und König Sauľ, den David zu ermorden. 34) Daniel, obgleich erſter Mi⸗ niſter des Perſiſchen Königs Darius, gehorchte dem Be⸗

29) Matt h. XXII, sr. Apoſtelgeſch. V, 39. 50) T. 1, ©. 413. ©. 513. und T. II. €. 189 190. 31) + S. Msí. I, 17. 31) 1 Sam. XXII, 17. 53) 1 Kn. XVIII, 34) 1 Gam XIX.

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fehle nicht) nur den Koͤnig und feinen Gott anzubeten, ſondern ſezte ſich cher dem Tode aus. 55) Mardochat wollte den Miniſter Haman nicht anbeten, und es blieb da⸗ bey, ja et ward ſogar noch über lezteren erhöhet. 36) Tobias tröſtete, belehrte, kleidete ſeine Mitgefangenen, begrub die Erſchlagenen, ungeachtet es von dem Aſſyriſchen Konig Sanherib bey Todesſtrafe verboten war, und es geſchah ihm nichts. 37? Auch unter allen anderen Vôle kern ſindet man, sur Ehre ber menſchlichen Natur, noch häufige dergleichen Beyſpiele vorgezogener höherer Pflicht, und mit gleichem Erfolg. So ſagten die Ach äer zum Appius Claudius: „Wir verehren zwar die Romer, und wenn Ihr wollet, ſo fürchten wir ſie auch; aber wir ver⸗ ehren und fürchten noch mehr die unſterblichen Götter.“ 38) Papinianus wollte lieber ſterben, als Caracalla's Bru⸗ dermord mit dem Scheine Nechtens zu beſchönigen. Der Engliſche Kanzler Thomas Morus gieng cher in den Tod, als wider die Wahrheit und Gerechtigkeit zu rathen und zu reden. 39) Mercurianus, Kaiſer Carls V., Kanzler, ſchlug es aus, einen von ihm für ungerecht und unbillig gehaltenen Friedens ⸗Traktat zu unter⸗ ſchreiben, und ward ſeines Dienſtes dennoch nicht ent⸗ fest. 50) Ein anderer Kanzler Herzogs Philipp TI. von Burgund, widerſprach allein des Fürſten Meinung, und erklärte eher ſein Amt und ſeine Würde niederzulegen,

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35) Dan, VI.

36) B. Eſther III. . 97) Tobias I, 22. II, 7 9. 28) Liv. Dee. IV. L. 9.

59) Drezelius 9. Cap. Phutont. 49) Guieciardin. Mister. Lab. i

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als unbilligen Rathſchlägen beyzupfſtichten, welches auch dem Herzog fo wohl gefiel, daß er ibn bald nachher wie⸗ der nach Hof berufen und mehr als vorher geehret und geliebet hat. »u) Der jezige, ewig ruhmwürdige, Pabſt Pius VII. litt eher Entführung, Gefangenſchaft, Elend und körperliche Mißhandlung, als nach den Befehlen cia

nes Weltbezwingers, die Religion und die ihm anver⸗

traute Kirche zu gefährden, oder mit einem Volke Krieg anzufangen bad ihn nie beleidiget hatte: €). und ſiehe, nad fünfjährigem Leiden ward er triumphirend wieder in ſeine Staaten eingeſezt, und ſein Name wird in aller Welt, von Gläubigen und Ungläubigen, mit. Ehrfurcht ausgeſprochen. Ja ſelbſt in den verdorbenſten Ländern,

in Epochen wo alle Religion verhöhnt und mit Füßen getreten ſcheint, auch unter geringeren Menſchen⸗Claſ⸗ ſen, gibt es oft noch ähnliche Beyſpiele, da die Stimme des Gewiſſens oder des natürlichen Geſezes ſich nie ganz und nie bey allen Menſchen ausrotten läßt. 93 Zwar

| 41) Drezelius Phaetont. Cap. 9,

42) ©, tie befannt gemaditen merkwuͤrdigen Correſponden— zen zwiſchen dem Romiſchen Hof und der Sram zoͤſiſchen Regierung 1809.

Aus dem ſchreklichen Drama der Franzoͤſiſchen Revolution ſelbſt, duͤrfte ſich noch manches finden. Es gab noch Richter bie den Tyrannen verweigerten, Juſtiz⸗Morde auszuuͤben. Hier und dort ward noch mancher grauſame Befebl nicht voll⸗ zogen. Man erzaͤblt, gemeine Grenadiere baͤtten ſich gewei⸗ gert den Herzog von Engbien zu erſchieſſen, andere (1814) ihren Dienſt verſagt, um die Stadt Paris zu verbrennen oder in bie Luft zu ſprengen. Ob es wahr fen weiß ich nicht, und will es auch nicht behaupten. Daß aber dergleichen Dinge geſagt und von jedermann geruͤhmt werden: iR wenigſtens cin

—RX

43

| 433 kann aud dieſe ſchöne Regel Gott meby zu fürchten als

be Menſchen (oder in unſerer matten Sprache, daš nas

türliche Geſez dem menſchlichen vorzuziehen) allerdings uͤbel ausgelegt und verkehrt angewendet werden, wenn man nemlich in dem Fakto irrt auf welches ſie ſich bezie⸗ hen ſoll, z. B. nach falſcher Sektirerer vnerlaubte Hand⸗ lungen für göttliche Gebote hält, oder umgekehrt erlaubte Handlungen für verboten anßeht. +4? Sole Verirrung iſt die Folge bed: menſchlichen Unverſtaudes, und bey al⸗ len Geſezen ohne Ausnahme möglich. Deßwegen iſt aber doch die Regel ſelbſt heilig wahr, und ihr Mißbrauch ge⸗ wiß ſelten zu beſorgen, ſondern viel cher ihre Nichtbeob⸗ achtung. Die Menſchen ſind im Allgemeinen nur zu ge⸗ neigt, denjenigen von denen ße diel zu hoffen oder zu fürchten haben, in guten und böſen Handlungen, ſelbſt zu allem Unrecht dienſtbar zu ſeyn, und vermeynen mittelſt bed exbaltenen Befehls alle Schuld von ſich abzuwälzen, ba ſie bod) dadurch Mitſchuldige werden, und hier kejn Befehl gilt, weil der Obere das Recht, das er ſelbſt nicht beſizt, auch nicht An einen Unteren übertragen kann. Es braucht ſchon eine ſeltene Tugend, ungemein viel Religio⸗ ſitaͤt, bey Gefahr vo eigenem Schaden oder Entziehung non Vortheilen, die Ausführung von dergleichen Hand⸗ lungen zu verweigeren. Solche Religion aber, ſolche Bea wiſſenhaftigkeit iſt nie gefährlich; Männer von ſolcher Tugend müſſen ſelbſt von ihren verirrten Oberen reſpel⸗

Beweis „, da mitken in allgemeiner Dirdoenbet, die Regel ſelbſt noch anerkannt wird.

44) an muß ſich freolich keine falſchen Goͤzen, keine einge hürde⸗ ten boͤchſten Ideen und Ziveľe. machen. Fuͤr (ie ailt vie Res gel nidt. Uber dergleichen finden auch wenig Maͤrtorer.

Aweyter Vaud. č

43A rirt werden, in ihnen ſinden fie die treuſten Diener zu ala lem Guten, und gerade durch Verweigerung odber Hinde⸗ rung des Böſen and Schädlichen leiſten ſie ihnen Den gröoͤßten Dienſt, während Schmeichler und gewiſſenloſe Knechte ſie ins Verderben ſtürzen. Wie viele Ungerech⸗ tigkeiten und große Gewaltthätigkeiten, welche oft blutige Kriege entzünden, die mächtigſten Throne ſtürzen und ganze Länder verwüſten, deren ſich ihre Urheber bald nach ihrer Begehung ſelbſt gerenen, wũrden nicht unterblieben ſeyn, wenn man dazu im Augenblik der Leidenſchaft nicht ſo willige Inſtrumente gefunden hätte. Solch frommen, d. h. gewiſſenhaften und treuen Dienern, wie rechtſchaf⸗ fene Könige ſie gern um ſich haben, 435 würden auch ſchlechtere Regenten oft hintenher ſelbſt danken.

Gerechtigkeit, Liebe und Vertraͤglichkeit gegen menſch⸗

tiche Schwaͤchen, beyde leztere jedoch nur umter Vorbe⸗ Da die erſtere, als das oberſte natürliche Geſez, gegeü niemand zu beleidigen: das iſt alſo die Summe aller Pflich⸗ ten, die Regel alles Benehmens dir Unterthanen gegen ihren Fürſten. Sind ſie nicht die nemlichen die man ge⸗ gen alle anderen Menſchen auch hat, und die hinwieder den Fürſten ebenfalls obliegen? Wie leicht wären ſie zu erfüllen, welch Himmel auf Erden wenn ſie Pet erfül⸗ M wurden!

45) Meine Augen ſehen nad den Treuen im Lande, daß ſie bey mir wohnen, und habe gern fromme Diener. David Pſ. 101, V, 6.

435

Ein und vierzigſtes Capiteľ,

Von den Mitteln der Unterthanen zur Side

rung ihrer Rechte.

I. Worauf es bey dem ganzen Problem ankoͤmmt.

II.

Erſtes Mittel: Eigene Pflichterfuͤllung, verbunden mit ejne guten allgemein verbreiteten Doctrin uͤber die wechſelſeitigen

Rechte und Verbindlichkeiten.

11

IV.

VI.

Zweytes Mittel: Mancherley Arten von indirektem, negati⸗

vem Widerſtand.

a. Woblbegruͤndete Vorſtellungen 90 ber Quelle des unrechts ſelbſt.

b. Gewiſſenhaftigkeit die dem Boͤſen wenigſtens nicht hilft, dem Unrecht ſeinen Dienſt verſagt.

e. Kluger Verſchub, Maͤßigung und Milderung in der Aus⸗ fuͤhrung.

Drittes Mittel: Sich von der ſchaͤdlichen Gewalt zu trennen,

auf Vortheile Verzicht zu leiſten, um den Beſchwerden zu

entgehen.

Beantwortung der Frage: ob Notbwehr, gewaltſamer Wider⸗

ſtand und Krieg gegen Fuͤrſtliche Bedruͤkungen je erlaubt ſey.

Er iſt zwar nad dem natuͤrlichen Geſez, der Erfahrung und

dem allgemeinen Urtheil, nicht abſolut unrechtmaͤßig, aber

a. gewoͤhnlicher Weiſe nicht moͤglich, aus Mangel an Kráfteg uno wegen der zahlloſen Schwierigkeiten ſolcher Verbin⸗ dungen.

b. in ben meiſten Faͤllen nicht klug, zieht nur groͤßere Uebel nach ſich.

©. ſoll in ſeiner Ausuͤbung durch Menſchlichkeit und Liebe ge⸗ maͤßiget werden.

Leztes und ſicherſtes Mitteľ: Vertraueu auf goͤttliche Huͤlfe,

d. h. theils auf die Kraft ber Natur bie fid fortdaurentem

Unrecht widerſezt, theils auf bie Unzerſtoͤrbarkeit des Pflicht⸗ geſezes und die natuͤrlichen Strafen ſeiner Verlezung.

Die Rechte der Unterthanen möglichſt zu handhaben und zu ſicheren, heißt mit anderen Worten eben ſo viel als die Mittel angeben, wodurch die Fürſten zur Erfüllung ihrer Pflichten bewogen und von Verlezung derſelben ab⸗ gehalten werden können. Auch dieſes Capitel könnten wir zwar füglich übergehen, da ſeiner Zeit ſchon überhaupt von den natürlichen Mitteln gegen den Mißbrauch ber Gewalt ausführlich geſprochen worden iſt, und mithin im weſentlichen hier nichts neues vorkommen kann. 10 Sn. deſſen, mehrerer Vollſtändigkeit wegen, und um uns gar keiner Auslaffung ſchuldig zu machen, wollen wir die dort nur im Allgemeinen aufgeſtellten Principien, auf das Ver⸗ hältniß der Schwachen gegen die Mächtigen, der Unter⸗ thanen gegen die Fürſten, etwas näher anwenden, um ſo da mehr als wir gerade dadurch die Völker einerſeits zu beruhigen, anderſeits vor unnüzen Fehltritten zu bewah⸗ ren hoffen, und bey dieſem Anlaß manche Gegenſtände be. rühren können, die anderswo nicht leicht eine ſchiklichere Stelle ſinden dürften.

Daß Conſtitutionen, Organiſationen, Capitulationen, Urkunden u. ſ. w. an und für ſich zur Verhinderung des Mißbrauchs Fürſtlicher Gewalt gar nichts nüzen, ſondern vielmehr oft noch ſchaden, weil unter jeder denkbaren Form cine Gewalt immer die höchſte iſt, und Verträge

1) ©. J. Cap. 15. welches man mit dem gegenwaͤrtigen zu ver⸗ oleichen bittet.

8

AT

vder pofitive Geſeze von ihr eben fo. gut verlezt werden können alš natürliche: das haben wir ſchon oft berie. (cn 2) und wollen es alſo nicht wiederholen. Hier wie uͤberall könmmt cd darauf an, erſtens der Ungerechtigkeit in ihrem Keime zuvorzukommen, zweytenaͤ ſie in ihrer Thätigkeit möglichſt zu hinderen oder zu erſchweren, drit⸗ tens, wenn keine Hülfe môglidh iſt, ſich von der ſchädli⸗ chen Gewalt zu entfernen, und endlich ſtets auf die gött⸗ liche Hülfe zu vertrauen, welche nád ben ewigen Befee zen der Natur, große Ungerechtigkeiten nie und nirgends in die Länge beſtehen läßt.

Das erſte und weſentlichſte Mittel die Rechte der Un⸗ terthanen zu ſichern, und dem Mißbrauch höherer Gewalt zuvorzukommen, beſteht in der eigenen Anerkennumg und willigen Beobachtung der dem Fürſten

ſchuldigen Pflichten. Dadurch vermeidet man tau⸗ fend. Colliſionen und. Mißverſtändniſſe, benimmt der Unge⸗ rechtigkeit ihren Nely, ihre gewöhnlichſte Veranlaſſung; es iſt numöglich, daß Gerechtigkeit und Liebe auf der ei⸗ nen Seite nicht auch Reziprozität auf der anderen hervor⸗ bringe, nicht das Gefühl ähnlicher Pflichten in dem Herz des Fürſten und ſeiner Umgebungen belebe; 2) da hinge⸗ gen das ewige Tadeln jedes einzelnen Gebrauchs der Macht, der Mangel an gutem Willen, die zur Gewohnheit met. dende Bemühung ihm hier und dort das Seinige zu ent⸗

2) ©. I. Čap. 11. ©. 333 334. Čap. 15. S. 434— 439. ©. L Gap. 39. ©, 328 ff

3) Deni die Bemaltigen (ind nicht ben guten Werken ſondern den boͤſen zu fúrdten. Willſt du dich aber nicht fuͤrchten vor dex Obrigteit, (o. thue Gutes; ſo wirſt bu Loh von derſalbe gen haben. Koͤm. XIII, 3,

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ziehen, ibn in ſeinen Rechten und Intereſſen zu übervor⸗ theilen, oder gar die Verbreitung falſcher Doctrinen, durch welche man den Fürſten das Herz ihrer Untertha— nen zu ſtehlen, ſie ohne Unterſchied als Tyrannen oder Al Uſurpatoren urſprünglicher Volksgewalt darzuſtellen, mithin ihnen alle eigenen Rechte abzuſprechen ſucht, noth⸗ wendig die Gemüther entfernt und erbittert, alles Zu⸗ trauen raubt, weil man faſt bey jedem dergleichen Geſin⸗ nungen vorausſezt, Argwohn erregt, und eben dadurch eine Menge von Ungerechtigkeiten und Liebloſigkeiten ver⸗ anlaſſet, bie danu noch durch einen Schein von Selbſt⸗ Erhaltungs⸗Pflicht gerechtfertiget werden. +)

Das andere Mittel gegen den Mißbrauch der Fürſtli chen Gewalt, welches mit dem erſteren beſtändig verbun— den werden muß, und größtentheils in den Händen der Völker liegt, iſt eine gute und mabre Doctrin über bie wechſelſeitigen Rechte und Verbindlich— keiten. Denn es iſt nicht genug, daß das natürliche Pflichtgeſez von der einen Seite befolget werde, daſſelbe muß als reziprozirlich und allgemein gültig, auch allen anderen eingeſchärft, ohn Unterlaß angerufen, un⸗ ter allen Geſtalten in die Gemüther geyflanzt werden. Das Fundament dieſer Doctrin iſt und bleibt tmmer die mabre Religion, d. h. die Anerkennung und Verehrung eines natürlichen (göttlichen) Geſezes der Gerechtigkeit und Liebe, der lebendige Glaube an ſeine Verbindlichkeit,

4) Albr. von Haller hat es ſchon in feinem Uſong vorherge⸗ ſagt und Burke in ſeinen Beobachtungen uͤber die Franz. Re⸗ volution wiederholt, daß die Koͤnige aus Klugbeit Tyrannen werden muͤſſen, menn ihre Anterthanen nad Grundſaͤzen rebelliſch zʒgeworden find.

439 die feſte Ueberzeugung von den mit ſeiner Beobachtung oder Verlezung begleiteten guten und ſchlechten Folgen Die Könige und Fürſten ſtehen freylich unter eitnem Ge⸗ ſez, aber nicht unter einem menſchlichen, etwa vom Volk geſchaffenen, ſondern unter einem natürlichen, von Gott gegebenen, dem einzigen unter dem alle Nenſchen ſtehen, das auf alle Fälle paßt, für alles hinreicht: und dieſem Geſez unterwerfen ſie ſich lieber als allen menſchlichen Schranken, um ſo da mehr als ſie dazu theils durch un⸗ widerſtehliche Macht genöthiget, theils durch die mäch⸗ tigſten Beweggründe angereizt werden. © Allein da der Streit gewöhnlich nicht über die Regel ſelbſt, ſondern über die Thatſachen entſteht auf welche ſe angewendet wer⸗ den ſoll, und die mangelhafte Kenntniß dieſer lezteren den meiſten Irrthum veranlaſſet, oder auch in ihrer Verdre⸗ hung die Kunſt der Ungerechtigkeit beſteht: ſo iſt es nö⸗ thig, daß das natürliche Geſez nicht allein dargeſtellt, ſondern auch entwikelt und wenigſtens auf die wichtigſten und häufigſt vorkommenden Fälle angewendet werde. Ein gutes natürliches Staatsrecht, wie wir es hier ge— liefert zu haben glauben, verbunden mit dem poſitiven jedes einzelnen Staats, das auf Erwerbungs⸗Titeln und wirklichen Verträgen beruht, am beßten in dem anmuthi⸗ gen Gewand der Geſchichte vorgetragen wird, und in wel⸗ chem ſich daš erſtere mie das Allgemeine in dem Beſon⸗ deren, wie das Eine in dem Mannigfaltigen, wie die Re⸗ gel in dem Beyſpiel zurükſpiegelt, beydes durch mancher⸗ ley Vehikel verbreitet, den Gelehrten in wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang, den übrigen in ſeinen Reſultaten und Anwendungen hiſtoriſch beygebracht, iſt daher für die Eta

S) Vergl. eben ©. 65,

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haltung der Nechte und Freyheiten eines Volts váh M glaublichem Nuzen, ja vielleicht die allerſtärkſte Schuzwehr gegen den Mißbrauch ber Gewalt. Denn cine ſolch al. © gemcine und wahre, ſchon durch ihren Gegenſtand leb⸗ Daft intereſſirende, das Herz von Fürſt und Volk erfreuende, mit der Muttermilch eingeſogene, den Erwachſenen zur habituellen Idee gewordene Doctrin, die überall beftútie get, bey jeder Gelegenheit belebt und erneuert wird, zu⸗ lezt in den Kopf und das Herz aller Menſchen übergeht: bildet eine Kraft deren faſt nichts zu widerſtehen vermag, nicht blos eine wandelbare öffentliche Meynung (denn hier giebt es keine Meynungen), ſondern einen lebendigen Glauben eine feſte Ueberzeugung heiliger Wahrheit, cin National⸗Capital von Grundfäzen, Kenntniſſen und See fühlen, das allein alle übrigen Glüksgüter gewährleiſtet, das alle vertheidigen, das niemand ſich entreiſſen läßt. Man wird bemerken, daß in allen Ländern wo das Volk ſich gern mit alten Chroniken beſchäftiget, wo die vater⸗ ländiſche Geſchichte zur Liebhaberey geworden iſt, wo die erfreulichen Begebenheiten die das wechſelſeitige Verband gegründet, erweitert und befeſtiget haben, geleſen, ge⸗ lehrt und geſungen werden, auch allemal die meiſte Frey⸗ heit herrſcht; bab deſpotiſche Mißbräuche dort gar nicht aufkommen können, oder, was noch beſſer iſt, nicht citis mal verſucht werden. Sind da die Thatſachen nur treu und aufrichtig dargeſtellt, ſo bedarf es ſelbſt des Schmuks der Sprache und philoſophiſcher Behandlung nicht, indem auch ohne dieſe Vorzüge ſich immer verſtändige und ſcharf⸗ ſinnige Männer ſinden werden, die in dem Poſitiven das Naturliche, in m einzelnen Beyſpiel bie allgemeine Ne. gel zu erkennen und anzuwenden wiſſen. Was hat nicht in Deutſchland die allgemeine Kenntniß des deutſchen

. BA

Staatsrechts zur Erhaltung ber Privat. Srenbeit beyge⸗ tragen, wiewohl e8 keineswegs rein, ſondern durch Bene miſchung Römiſcher Ideen und Grillen verdorben war? Was wirkt nicht in England, die vertraute Bekanntſchaft mit der vaterländiſchen Geſchichte und der auf innere Streitigkeiten erfolgten Königlichen Urkunden und feyer⸗ lichen Verſprechungen? Welch religiöſen Glauben veran⸗ laßte nicht ehmals in der Schweiz, die Tradition des Urſprungs der freyen Städte und Länder, ſo wie der man⸗ nigfaltigen Verträge, wodurch ſie theils allmählig ihr Ge⸗ biet erworben, theils ſich unter einander verbunden und verpflichtet haben? Sahen wir nicht dagegen in unſeren Tagen die ſchrekliche Kraft einer irregeleiteten, falſch be⸗ gründeten öffentlichen Meynung, des Irrthums der für Wahrheit gehalten ward, Den traurigen Einfluß der all⸗ gemein verbreiteten Grundſäze des pſeudophiloſophiſchen, revolutionären Staatsrechts? Wie viel Böſes haben ſie nicht veranlaſſet, ſelbſt da wo man es am wenigſten hätte vermuthen ſollen, wie viel Gutes hinderen ſie noch jezt, wo ſie zwar erſchüttert, aber noch gar nicht aus den Kö⸗ pꝓfen verſchwunden ſind? Sollte die himmliſche Wahrheit nicht entgegengeſezte gleich große Wirkungen hervorbrin⸗ gen, ſie die dod) wahrlich der menſchlichen Freyheit un⸗ endlich günſtiger iſt, allen vernünftigen Wünſchen und Anſprüchen zuſagt, Fürſten und Völker gleich befriediget, mehr aus dem Herzen fließt und wieder zum Herzen geht? Wie viel könnten nicht hier die Gelehrten nüzen, wie würden ſie dadurch a Ehre und Anſehen gewinnen, 6 wenn fe sur Verbreitung der Wahrheit den nemlichen

6) ſtatt daß ſie beydes, durch die Schuld der Sophiſten, verloren haben.

442

Fleiß, Scharfſinn und Geſchmak verwendet hätten, der zur Beglaubigung der Lüge und des Irrthums mißbraucht worden iſt! Wie anders würde die Gerechtigkeit herrſchen, wie viel Jammer der Melt erſpart worden ſeyn, wenn man ſeit zwey Jahrhunderten, unter allen Formen und

Geſtalten, mit aller Autorität der Religion, der Vernunft,

der Geſchichte und der täglichen Erfahrung, gelehrt und bewieſen hätte, daß die Staaten ſich von anderen natür⸗ lichen Privat⸗Verhältniſſen nur dem Grade nad) unter⸗ ſcheiden, mithin die Rechte der Fürſten nur auf eigene Rechte begründet und beſchränkt ſeyen, ſtatt daß die: un— ſelige falſche Idee einer künſtlich bürgerlichen Geſellſchaft und delegirter Volks⸗Gewalt, die Fürſten erbittert, die Völker zur grundloſen Unzufriedenheit ſtimmt, und nunter

allen möglichen Accommodationen immer nur Oeſpotismus

zur Folge hat.

Eigene Beobachtung des natürlichen Pflicht⸗Geſezes und beſtändige Belebung deſſelben bey allen anderen, das iſt alſo das erſte und weſentlichſte Mittel den Deſpotismus in ſeiner Quelle zu hinderen. Zum anderen iſt aber nicht zu läugnen, daß die Völker und ſogar einzelne Untertha⸗ nen, mancherley Mittel in Händen haben, den Mißbrauch bet, Gewalt in ſeiner Thätigkeit aufzuhalten oder zu ſchwächen, ihm Schwierigkeiten, oder eine Art von negativem Widerſtand entgegenzuſezen, gegen deſſen Rechtmäßigkeit nichts eingewendet werden kann. Da das natürliche Geſez vorhanden, jedem Menſchen be⸗ kannt iſt, und nie ganz ausgerottet werden kann: ſo ha⸗ ben ſie hier eine Regel, auf welche ſie ſich beſtändig ſtü⸗ zen können. Wird daſſelbe verlezt, ſo ſoll MAK vorerſt nut: Uebereilung, Irrthum oder Unkenntniß und nicht ſogleich

443 böſen Willen vorausſezen, welch lezterer auch gar nicht immer vorhanden iſt. Klagen oder Vorſtellungen, bey dem Fürſten ſelbſt angebracht, welche die Natur der Thatſachen treu vor Augen führen, und an das höhere Geſez erinneren, ſind daher nicht nur erlaubt, ſondern auch ſelten ohne Nuzen. Werden ſie dann noch von an⸗ geſehenen Geſellſchaften und Corporationen vorgetragen, ohne Schmeicheley noch Troz, im Geiſte wahrer Liebe und trener Pflicht⸗Geſinnung abgefaßt, möglichſt verbrei⸗ tet, durch mündliche Empfehlung bey mächtigen Perſo⸗ nen, bey den Umgebungen des Fürſten ſelbſt unterſtüzt u. f. w.; fo iſt ed faſt unmöglich, daß ſie ohne Wirkung bleiben. Denn die Wahrheit rein und uneigennüzig, im Glanz ihrer alles beſiegenden Majeſtät dargeſtellt, hat eine ihr eigene göttliche Kraft, an die man zu wenig mehr glaubt. Sie iſt das Schwert des Geiſtes, ſie macht un⸗ angreiflich und unverwundbar wie cin Harniſch Gottes. Sie findet ſtets eine Menge von Freunden und Anhän—⸗ gern, die am Plaz des Beleidigten kämpfen, und mit mehr Erfolg als er es ſelbſt hätte thun können. Oft gefällt fie ſogar deſpotiſchen Fürſten wohl, weil ſie für dieſelben etwas neues und ſelten vorkommendes iſt, dabey auch mehr Ehrlichkeit und aufrichtige Liebe vorausſezt, als die ſtete Schmeicheley, die ihnen der öfteren Wiederholung und des ſchlechten Reſultates wegen, am End zum Ekel werden muß. Daß man heut zu Tag fo viele Ungerech⸗ tigkeiten und Gewaltthätigkeiten, die oft von einzelnen Sophiſten eingegeben werden, ſtumm und ſtillſchweigend duldet, überall nur böſen Willen vorausſezt, hinterruks ſchmält und Haß gegen den Fürſten verbreitet, aber bey der Quelle ſelbſt ſich keine Vorſtellung, keinen Verſuch zur Abhülf erlaubt: das iſt gar nicht Tugend, ſondern

9-7.

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444

Trägheit, Schläfrigkeit, pflichtwidrige Muthloſigkeit, wo⸗ durch man nebenher dem Fürſten wenig Ehre erweist,

und ſeinen Nuzen keineswegs fördert. Die Irreligion, die entweder an nichts Wahres und Gutes mehr glaubt,

oder was das nemliche iſt, an ſeiner Kraft verzweifelt, kein Vertrauen zu Gott und zu dem Gottlichen im Men⸗ ſchen mehr hat, iſt auch hier die Urſache alles Elendt und aller Unbehülflichkeit.

Sind jedoch begründete Vorſtellungen nicht möglich, oder wird ihnen der Weg zu dem Fürſten verſperrt, oder

werden ſie gar nicht angehört: fo kann mon wohl ſelbſt

Unrecht leiden / aber man iſt nicht gezwungen Unrecht ge⸗ gen andere auszuüben, zu böſen und unerlaubten Hand: lungen behülflich zu ſeyn. Dieſe religlofe Pflicht, die wir oben ausführlich entwikelt haben, 7) bad göttliche Be ſez dem menſchlichen Befehl, die höhere Verbindlichkeit

der geringeren vorzuziehen, wenn ſie mit einander in

Widerſtreit kommen, iſt zugleich eines der ſtärkſten Mit. tel welches den Menſchen gegeben iſt, um große Ungerech⸗ tigkeiten zu hinderen oder gar unmöglich zu machen. Denn

auch det Gewaltigſte, der Verſtändigſte, ber: Reichſte an

Land und Geld, tf am Ende nut durch Hülfe von ande⸗ ren Menſchen ſtark. Von ihnen kann er ale hatútlicý ſchuldigen oder vertragsmäßigen Pflichten forderen, auch Bereitwilligkeit zu allen guten und erlaubten Werken hof⸗ fen; aber wenn ſie ihm zum Böſen und Ungerechten ihren Dienſt verſagen, und ſich damit rechtfertigen, daß ihnen ihr Gewiſſen, die Pflicht gegen Gott ſolches nicht erlaube⸗ ſo kann auch der größte Tyrann ſeine gewaltſamen Ent⸗

7) S. 429 4.

4%

ſchlüſſe nicht durchſezen, er wird im eigentlichſten Vera ſtand auf ſeine perſonlichen Kräfte beſchränkt; die Macht des natürlichen Geſezes und ſeiner zahlreichen Verehrer zwingt ihn von böſem Vorhaben abzuſtehen, wofür er oft hintenher denjenigen ſelbſt dankt, die ihm dazu ihre Hülſe verweigerten. Auch bringt die Erfüllung dieſer religioe (en Pflicht, die ſtets einen hohen Grad von Tugend vor⸗ ausſezt, faſt niemalen Gefahr. Daß ſie je zum Vorwand des Ungehorſams, zur Hinderung gerechter Maßregeln mißbraucht werden dürfte, iſt wegen dem Eigennuz der Menſchen gewiß nicht zu befürchten, wird nie von vielen zugleich, ſondern höchſtens von einzelnen Sektirern ge⸗ ſchehen, und das Uebel beſteht vielmehr darin, daß jene Gewiſſenhaftigkeit oder Religioſität unter höheren und nie⸗ deren Beamten ſo ſelten iſt, daß jeder ſein Amt und ſein Einkommen mehr als daš höchſte Geſez liebt, und mit⸗ telſt des erhaltenen Befehls ſich von aller Schuld befreyt, aller Verantwortlichkeit entboben glaubt, ja ſogar oft noch weiter geht, und mehr Unrecht thut als ihm auf⸗ getragen worden iſt. Viele tauſend Exempel ließen ſich dafür auführen, wo bie Schuld wahrlich mehr noch an den Gehorchenden als an den Befehlenden lag. Hätte der Tyrann, von dem die Vorſehung jüngſthin unſeren Welt⸗ theil befreyt hat, ſo viele Greuelthaten ausüben, Millio⸗ nen gewaltthätig geraubter Menſchen auf die Schlacht⸗ banť führen, wohlerworbnes Eigenthum überall verbren⸗ nen oder zerſehmettern können U. ſ. w., wenn er dazu in oberen und unteren Behörden nicht ſo viele willige Helfer gefunden, wenn ſie eher ihre Stellen niedergelegt und ihm, gleich jenem Commandanten von Bayonne im S, 1572, geantwortet hätten, daß ſie zwar gute Unterthanen und treue Diener zu allem thunlichen,.aber weder Mör⸗

446 J der, hod Räuber oder Betrüger ſeyen. Freylich muß man fit ſolche Tugend oft leiden oder Vortheilen žu ent⸗ ſagen wiſſen; aber dieſes Leiden iſt Pflicht, das Loos der Rechtſchaffenen in jeglicher Colliſſon, und daurt ſelten Jang. Dee oberſte Herr und Geſezgeber verdient aufs wenigſte fo viel, daß man bisweilen etwas für ſeinen Dienſt aufopfere, als man oft im Dienſte weltlicher Her⸗ ren Leben, Geſundheit, Güter und Bequemlichkeit dahin giebt: und da die Ausübung des Böſen gewöhnlich noch größere Nachtheile bringt, ſo iſt es beſſer und ehrenvoller man leide von Wohlthat als von Uebelthat wegen, für bie Erfüllung als für die Verlezung ſeiner Pflicht. Zu⸗ dem wird bie Tugend der Menſchen ſelten auf cine fo ſtrenge Probe geſezt. Mud ohne Verweigerung ded Be. horſams, läßt ſich die Vollziehung eines ungerechten oder ſchädlichen Befehls oft milderen, mäßigen, verſchieben, zuweilen ſogar unnöthig machen. Im Böſen iſt es un⸗ möglich conſequent zu ſeyn, man trifft überall unvorge⸗ ſehene Schwierigkeiten an; eine Ungerechtigkeit die man will, erfordert zu ihrer Ausführung zehen andere die man nicht will, die nicht befohlen worden ſind; gewöhnlich wünſcht man nicht das Ungerechte an ſich, ſondern nur einen Zwek der dadurch erreicht werden ſoll, und in allen ſolchen Fällen iſt cd nicht verboten, ſondern ſogar pflicht⸗ mäßig einzufragen, die Schwierigkeiten vorzuſtellen, an⸗ dere AuskunftsMittel anzugeben, die vielleicht ange⸗ nehm ſind u. ſ. w. Dadurch wird immer der Ueberlegung einiger Raum gelaſſen, die Ausführung bed Böſen tme. nigſtens verſchoben, und oft der Zeitpunkt erreicht, wo es durch beſſere Einſicht aufgehoben wird oder durch ver, anderte Umſtände von ſelbſt dahin fällt. Es giebt wenige Fälle, wo fold) verſtändige Milderung odber kluger Ver.

4AT

(hub nicht möglich wäre, und weit entfernt dať man bey anderweitiger Treu und Thätigkeit dafür getadelt würde, ſind es gerade Beamte dieſer Art die hintenher bey ihren Fürſten ſelbſt das meiſte Zutrauen genießen,

von den Völkern aber gerühmt und hochgeachtet werden.

30 Gerichtliche Húlfe, welche zwiſchen Privat⸗Perſo⸗ nen das dritte Mittel gegen den Mißbrauch der Gewalt iſt, können freylich die Unterthanen gegen ihren Fürſten nicht ſinden, weil er ſelbſt keinen menſchlichen Oberen mehr über (id bat. Denn der ihn zwingen fúnnte, müßte doch wenigſtens mächtiger als der Fürſt ſelbſt ſeyn, in welchem Fall aber jener und nicht dieſer die höchſte Gewalt, mithin der eigentliche Fürſt wäre, und ſich bey ihm die nemliche Schwierigkeit nenerdings zeigen wür⸗ be. S Allein muß dann eben jede Hülfe gerichtlich, d. h. mit poſitiven Formen und Zwang verbunden ſeyn? Iſt ſie nicht vielmehr, mie wir oft gezeigt haben, 9 die ungewiſſeſte, die langſamſte, die koſtbarſte von allen? Kaunn man ſich nicht durch Verſtand und Klugheit, Nach⸗ giebigkeit und Gewandtheit auf mancherley Art ſelbſt hel⸗ fen, ohne dadurch irgend eine höhere Pflicht zu verlezen, bisweilen dem Unrecht mie dem Sturm ausweichen, bis⸗ weilen ſogar den Strom auf ſeine Mühle leiten, und da⸗ durch die Potenz die zu ſchaden drohte, tn cine nüzliche verwandlen? Kann man nicht durch Freunde, Gönner und einflußreiche Menſchen bey dem Fürſten und ſeinen Beamten Hülf und Fürſprache finden, die oft ſchneller zum Zweke führt als alle Prozeſſe und rechtliche Gründe

s) ©. I. ©. 436 439. 9) B. I. ©, 429.

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je gethan hätten; hat man nicht Beyſpiele genug in der ganzen Geſchichte, daß man ſelbſt bey außeren Für⸗ ſten und Ständen wirkſamen Schuz und Empfehlung ete halten kann, die leider heut zu Tag oft zur Begünſtigung des Unrechts ertheilt werden, aber eben fo gut zum Schuz der Unſchuld und Gerechtigkeit gegeben werden könnten? Wenn alſo ſchon gegen den Misbrauch der Fürſtlichen Gewalt die gerichtliche Hülfe im eigentlichen Sinn abgeht: ſo iſt es deswegen nicht richtig und der täglichen Erfahrung zuwider, daß gegen denſelben gar keine menſchliche Hülfe zu ſinden ſch.

40 Viertens iſt auch die Flucht oder die Trennung ein Sicherheits⸗Mittel gegen den Misbrauch der Fürſtli⸗ chen Gewalt, welches zwar nicht von ganzen Nationen, aber doch von einzelnen Bedrülkten leicht ausgeübt werden kann. 120) Wird man bey aller eigenen Rechtſchaffenheit, von einer hoͤhern Gewalt ſchwer und fortdaurend beleidi⸗ get, fo daß die ſtets wiederkehrenden Uebel nicht mehr zu ertragen ſind, iſt dabey kein Widerſtand möglich und keine Hülfe zu ſinden: ſo bleibt noch übrig ſich der Macht und ihrem Wirkungskreiſe zu entziehen, welcher ſtets durch die Natur ſelbſt beſchränkt iſt. Sobald durch Ent⸗ fernung Dev Gemüther das Veycinguderivobnen eine Mute ter des Zankes und der Feindſchaft wird: ſo iſt die Schei⸗ dung das natürliche Mittel des Friedens. Die Untertha⸗ nen haben zwar den über ße herrſchenden Fürſten nicht geſchaffen, fo daß ſie ibn willkührlich abſchaffen oder ver⸗ änderen könnten, aber nichts hindert ſie alleufallý deſſen

10) Vergl. was B. I. p. ç603 609 uͤber dieſen Gedendand im Allgemeinen geſagt worden ft.

40 Dienſt aufzugeben, ſein Rand und ſein Gebiet zu verlaſ⸗ ſen, und in dieſem Sinn hat jeder einzelne das Recht ſich einen anderen Herren zu wählen, 11) welches dazu no) viel freyer iſt, als wenn er ſolchen, vielleicht wi⸗ Der ſeinen Willen, von der eollektiven Mehrheit ded gan⸗ zen Volks erwarten müßte. Auch iſt dieſes Extrem dex Trennung gar nicht immer ſo traurig als man glaubt; vile (ind dadurch zu höherem Anſehen und Glük geſtie⸗ gen, zumal da man in fremden Ländern ſich gewöhnlich gefälliger betragen, ſeine Talente mehr anſtrengen muß. Scheidet man doch oft von Vaterlaud und Freunden, einer Heyrath, eines Amtes, oder ded beſſeren Fortkommens we⸗ gen, warum nicht auch von Feinden und von Gegenſtänden unüberwindlicher Abneigung? Wir wiſſen zwar wohl, daß in mehreren Staaten, zumal bey Kriegen oder inneren Entzweyungen, die Auswanderungen im Großen bisweilen unter ſchweren Strafen verboten worden ſind. 12) Allein theils ſind dieſe Geſeze nicht allgemein ſondern nur eine Ausnahme von der gewöhnlichen Regel, theils werden fe, wie alle naturwidrigen Verordnungen, ſelten ſtreng und nie in die Länge vollzogen; ihnen iſt ſtets leicht zu entgehen, und das Verbot beſteht meiſtentheils nur auf dem Papier, nicht in der Wirklichkeit. Uebrigens iſt

u) ©. B. I. ©. 508 509.

12) 3. B. in Rußland, in Savoven und Piemont durch

den Vietorianiſchen Eoder von 1721. in Boͤhmen durch ein

Ediet Garl$ VI. im Šabr 1732: in-Sranfreihh erſt durch

die Nevylution, und zar von eben der Sopbiſten⸗Rotte, bie

ftetý von Freyheit und Menſchen⸗Rechten ſprach. In anderen

Laͤndern find die neueren Auswanderungs⸗Verbote blos durch

bie Einfuͤhrung ber Conſeription veranlaſſet worden, und wer⸗ den wabrſcheinlich mit ihr wieder wegfallen.

Awenter Mant, Z f

450

auch nicht immer čine vollkommene Auswanderung noͤ⸗ thig; eine mäßige Entfernung reicht oft ebenfalls hin, um mit der ſchädlichen Gewalt außer Berührung zu kom⸗ men und die geſtörte Sicherheit wieder zu finden. Seine Bedürfniſſe su verminderen, Aemter und Dienſte aufzu⸗ geben oder andere Lebensarten zu wählen, mit einem Wort auf die Vortheile Verzicht zu thun, wenn man die Beſchwerden nicht zu tragen vermag: das iſt abermal ein natürliches und faſt allen Menſchen vergönntes Vito tel, um die Freyheit zu genießen und einer allzubeſchwer⸗ lichen oder gemißbrauchten Herrſchaft zu entgehn. Sel⸗ ten wird der Fall eintreten, wo nicht das eine oder das andere der jezt entwikelten Mittel, eigene Pflicht⸗Erfül⸗ [ung und gute Doctrin, Religioſität bie tm Colliſions⸗ Fall die höhere Verbindlichkeit der mindern vorzieht und dadurch die Ausübung des Böfen erſchwert, erlaubte Klugheit, Fürſprache von Freunden, und endlich Tren⸗ nung, zum Schuz der Unterdrükten hinreichen ſollte.

Was endlich das traurige Extrem eines gewaltſa—⸗ men Widerſtandes gegenallgemeine und uner— trägliche Bedrükung betrifft: fo ſcheuen wir uns nicht auch dieſe wichtige Frage zu berühren, da die Wabrheit nie gefährlich iſt, wenn ſie mit reinem Herzen geſucht, mit allen ſie illuſtrirenden Neben⸗Umſtänden gezeigt, und wie überall (o auch hier, das Befugniß ſelbſt von der Schwierigkeit oder der Unklugheit ſeiner Ausübung un⸗ terſchieden wird. Wir halten es ſogar für nothwendig, ſie etwas gründlicher zu behandeln, da ſie von allen det zahlreichen, zum Theil großen Schriftſtellern die I) da⸗ mit beſchäftiget, ſelbige bald bedingt bald unbedingt be⸗ jahet oder verneinet haben, unſeres Erachtens durchaus

MH unbefriedigend beantwortet ff. Der Grund ihres Bana feng und Schwankens [ag nicht im Mangel an natürli⸗ dem Schatfſinn nod an redlichem Bemühen, fondern darinn, daß ſie nad) dem ewigen meorov davdos das alle übrigen ſtaatsrechtlichen Irrthümer veranlaſſet (nach der falſchen Idee einer künſtlich bürgerlichen Geſellſchaft und delegirter Staats⸗Gewalt:) ſich das Volk ſtets als eine einzige vereinte Maſſe vorſtellten, welche gleich einer Bür⸗ ger⸗Gemeinde, jeden Augenblik ihren Willen äußeren, ihre Geſamtkraft dem Fürſten als vorgeblichen Beamten

entgegenſezen könne, und daher auf die Unmöglichkeit oder wenigſtens auf die große Schwierigkeit und Gefähr⸗

lichkeit dieſes Widerſtands⸗Befugniſſes gar keine Rük⸗ ſicht nahmen. Einige längneten es ganz, entweder weil das Volk bey Stiftung eines Staats allen Willen, alle Macht, alles Urtheil abgetreten und veräußert haben ſollte, 13) oder weil es nicht Richter in eigener Sache ſeyn könne, wenn es ſchon keinen anderen Richter fin⸗ det, und der Fürſt ebenfalls Richter in eigner Sache iſt, "9> oder meil es ſonſt gefährlich ſey, und die uda

übung dieſes Befugniſſes ſo leicht wäre, daß bey Aner⸗

kennung deſſelben gar keine Ruhe der Staaten beſtehen fónnte, 19 Barkley, der im allgemeinen ſehr dawider eifert, 16) ſtatuirt es zulezt, aber nur von Seite der Majorität des ganzen Volks, gleich als ob man die Stim⸗

15) Hobbes de cíve. it. Gentilis de vi civili in reges se. per injusta. Londini 1605. 4.

14) Kant Metapb, Rechts lehre. 15) Osiander ad Grot. L. I. c. 4. $. 10,

16) adversus Monarchoma.hos k. llI. c 8. L. VI e. a8. et 24.

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men záhlte, als 9b nicht jede Inſurrektion nothwendig mit der Minorität anufangen müßte, und nicht bloß der Ausgang bewieſe, welche Partey die zahlreichere odev die ſtärkere geweſen. Grotius, Pufendorf, 17 Horn, 78) Vattel 19) u. a. M. geben daš Widerſtands⸗ Recht ebenfalls zu, jedoch mit vielen zum Theil klugen und moraliſchen, zum Theil aber auch die gründliche Wiſſenſchaft nicht befriedigenden Temperamenten. Locke erklärt ſich ebenfalls dafür, und dieſe Deduction iſt ſo⸗ gar eine der beſſeren ſeines Werks, aber mit ſeinen übri⸗ gen revolutionären oder republikaniſchen Ideen gar nicht conſequent.⸗eꝰ Scheidemantel, fo ſehr ce ſonſt den Fürſten günſtig iſt, wagt auch nicht es gänzlich und in allen Fällen zu läugnen, aber er behauptet, daß einzelne Perſonen, oder ein geringer Theil des Volks dieſes Recht nicht hätten, die ganze Nation könne nur als Feind auf⸗ treten, wo gleiche Theile gegen einander die Waffen er⸗ greifen, ſie ſolle ihr Urtheil nur in Schlachten beweiſen, die Vertheidigung wider den Tyrannen müße jedoch ſtuf⸗ fenweiſe geſchehen u. ſ. w. 21) Die neueren aus Rouſ—⸗ ſeaus Schule, machen hingegen gar nicht einmal ſo viel Umſtände einen Krieg gegen die Fürſten nothwendig zu fin⸗ den. Ihrer Meynung nach ſollten ſie als vorgebliche Be⸗ amte, ohne Rükſicht auf den guten oder ſchlechten Ge⸗ brauch ihrer Macht, nach bloßer Willkühr abgeſezt werden

17) j a. et g. L. VII. c. 8. $. 5.

18) Polit. archítecton. L. II. g. 12.

39) Droit des gens. L. I. c. 4. ©. 61.

20) Du Gouvernement civil Ch, XVIII, de la dissolution du Gouvernement. Bergí. oben Gap, VI. G. 48,

31) Gtaates Necht. T, III. p, 364 373,

453 Tónnen : aber bie Herren bedachten nicht, daß ben Unzu⸗ friedenen (den ſogenannten Völkern) hiezu die Macht mangelt, und daß ſie ſelbſt ihrem ſouverginen Volk nicht einmal bad Recht einräumen wollten, ſeine ſelbſterwähl⸗ ten, wenn auch pflichtvergeßnen, Repräſentanten abzuſe—⸗ zen, oder ihnen mit Gewalt zu widerſtehen. Andere hiel⸗ teho die Inſurrektion ſogar für bie heiligſte Pflicht 22) und wieder andere behaupteten, eine Rebellion ſey nicht einmal denkbar, weil das Volk der Souverain ſey und niemand gegen fi) ſelbſt rebellíte, 23)

Was iſt nun aber die Wahrheit unter allen dieſen Wi⸗ derſprüchen? Sie verbirgt ſich vor ben Sophiſtereyen, und ergiebt ſich einfach und allgemein befriedigend aus der wahren Idee, daß ein Fürſt kein vom Volk geſchaf⸗ fſener Beamter, ſondern cin mächtiger unabhängiger Herr iſt, ber im Grund nur ſeine eigenen Rechte ausübt, na⸗ rürliche und vertragsmäßige Pflichten forderen kann, aber fremde Rechte nicht beleidigen, ſondern eher ſchüzen ſoll. Wird man von einem ſolchen Herren in wirklichen eigenen Nechten, ſchwer, fortdaurend und unerfräglich beleidi⸗ get, nieht er ſtatt der Eigenſchaft eines Beſchüzers und Wohlthäters, die Natur eines Feindes und Unterdrükers an, nüzen alle Vorſtellungen nichts, iſt keine andere Hülfe zu finden: fo läͤßt ſich zwar nach ber geſunden Ver⸗ nunft und dem natürlichen Recht im Allgemeinen unmög⸗

23) La Fayette eto, Zwar fuͤgte er bey „wenn bad Bolf una terdruͤkt fen:"" aber nad dem Sprachgebrauch aller Revo⸗ lutionaͤrs beſteht bie Unterdruͤkung ſchon in der Grifteng einee Fuͤrſten oder Herren.

22) Fichte, T. I p. 31. Note »

A584 | lich behaupten, daß jeder gewaltſame Widerſtand abſolut unerlaubt ſey, daß zwiſchen einem Fürſten und ſeinen Unterthanen nicht auch cin rechtmäßiger Krieg ent. ſtehen könne. Wer nur ſein eigen Recht beſchüzt, daš göttliche Geſez zu handhaben ſucht, der beleidiget nie— mand; ber ungerechten Gewalt darf rechtmäßige Gewalt entgegengeſezt werden, die Pflichten find wechſelſeitig, es kann nicht die Ungerechtigkeit erlaubt, und der Wider⸗ ſtand allein verboten fen. 2) Die Natur bat aber von dieſem Recht der Rothwehr und Selbſtvertheidigung keine Ausnahm gegen den Mächtigeren gemacht, ſondern nur ſeine Ausübung mit mehreren Schwierigkeiten begleitet, und dabey würde es doch nichts nüzen eine entgegengeſezte Lehre aufzuſtellen, ba dieſe Nothwehr fo tief in der Na⸗ tur der Menſchen und aller lebendigen Geſchöpfe einge⸗ wurzelt iſt, daß ſie ſich dieſelbe durch keine willkührliche Theorien werden entreiſſen laſſen. Man mag in gelehrten Büchern die Befugniß des Widerſtands der Vöoölker, ſo wie jeder Kriegführung überhaupt, beſtreiten oder zuge⸗ ben: ſo wird deßwegen keine einzige Inſurrektion weder tiche noch weniger entſtehen, ſintemal der Friede ſtets der gewöhnliche Zuſtand iſt, und die inneren gleichwie die äußeren Kriege nicht wegen jenen Theorien, ſondern entweder aus Mangel an Veranlaſſung, oder aus Man⸗ gel an Kräften unterbleiben. Im Gegentheil würde man durch die Behauptung der abſoluten Unrechtmäßigkeit je⸗ des Widkrſtandes, der guten Sache der Fürſten mehr ſchaden als nüzen, ſie zum Gegenſtand des allgemeinen

24) omnium mortalium consensu justissima est belli causa, propulsare ijnjurias et tueri armis facos, Uberos, pasriam,

Bergleiche eben T, Z. 414. ſt. von der Selb ſihuͤlfe uͤberbauyt.

455. Haſſes machen, und ihren Feinden Waffen in die Hände geben, die nicht zu beſtreiten wären. 25) Offenbar würde man am Ende zu noch viel verderblicheren Doctrinen ſeine Zuflucht nehmen, um doch gegen die Inkonveniente der Tyranney einige Beruhigung zu finden: wie 4. S. daß die Könige die Quelle alles Rechts, die Organe des allge⸗ meinen Willens ſeyen, und gar nicht Unrecht thun könn⸗ nen; oder daß ſie nur Beamte bed Volks ſeyen, Die man nach Willkühr wieder abzuſezen befugt ſey; oder daß ſie dem Willen des ſogenannten Volks ſich fügen müſſen, und den inneren Feinden keinen Widerſtand leiſten dür⸗ fen: oder daß man ihre Rechte auf jede Weiſe lähmen und verminderen, unter dem Vorwand ihnen die Macht zum Böſen zu nehmen, ſie durch allerley Künſteleyen und ſoge⸗ nannte Conſtitutionen in Feſſeln ſchlagen müſſe, wodurch dann das Böſe dod) nicht gehindert, ſondern nur von an⸗ deren ausgeübt und gewöhnlich noch ärger wird; oder endlich daß die Fürſten vollends entbehrlich ſeyen, und že eher je lieber abgeſchafft werden ſollten. Alle dieſe Doetrinen haben wir in unſeren Tagen mit Heftigkeit von den Dächern herab predigen gehört. Sie waren die Folge theils des Syſtems von delegirter Volks-Gewalt, theils der unüberlegten Behauptung von der Unrechtmäßigkeit alles Widerſtands. So iſt die einfache Wahrheit auch hier dasjenige mad Fürſten und Vöolkern nüzt, ba. hinge⸗

15) Dieſe Bemerkung haben auch ſchon bie ſtets fo gruͤndlichen und fuͤr rechtmaͤßige Fuͤrſten wohlgeſinnten Soͤttingiſchen Ge— lehrten Anzeigen gemacht: „Gewiſſendaftigkeit und Klug⸗ „heit muͤſſen auch hier bag. dußere Recht des Widerſtands ge⸗ „gen Regenten, im Gebrauch einſchraͤnken; es ganz laͤugnen „wollen, giebt ben Vertheidizung einer guten Sache nur dem »Gegner Vortheil. 1793. SL LIÁ, S. LI40+

—* gen ein auch in guter Abſicht angebrachter Irrthum, alle⸗ mal viel größere Uebel nach ſich zieht. Die Bündniſſe und Kriege vieler Schwachen gegen einen Mächtigen, find ohnehin (te wir bald zeigen werden) fo. ſelten, fo ſchwierig, und meiſt fo gefährlich, daß bie Fürſten von ihren Völkern gewiß wenig zu beſorgen haben; aber an und für fi) liegt weder in dem natürlichen Geſez, noch in ber Klagheit irgend ciu Grund der die Behanptung rechtfertigen könnte, daß aller Widerſtand gegen Fürſt⸗ liche Bedrükungen abſolut unrechtmäßig ſey.

Dem zufolge ſehen wir auch in ber ganzen Erfahrung, daß zu allen Zeiten und in allen Ländern, dieſes Befug⸗ niß des Widerſtands gegen offenbare Bedrükung allgemein anerkannt und ausgeübt worden iſt, ſobald die Umſtände ſolches möglich machten; daß es zwar auch ehrgeizige una

unrechtmäßige Rebellionen gegeben hat, viel andere von ungünſtigem Erfolg geweſen, daß aber nie alle ohne Aus⸗ nahm, weder in dem Gewiſſen der daran theilnehmenden Völker, noch von den Fürſten ſelbſt, noch von dem all⸗ gemeinen Urtheil der übrigen Menſchen für unrechtmäßig gehalten worden find. So fehr z. B. die heil. Schrift bie Erfüllung aller Rechts⸗ und Liebes⸗Pflichten gegen die Fürſten gebietet, in Colliſionen Nachgiebigkeit em⸗ pfiehlt, und bisweilen ſelbſt Unrecht leiden lehrt, aus Nachſicht gegen menſchliche Schwächen: 26) fo iſt bod) keine einzige Stelle zu ſinden, in welcher gegen die Ver⸗

26) €. bie Cammlung derſelben in meiner polit. Religion €, 33 41. Ihre Zufammenftellung und Vergleichung I auße rordentlich merkwuͤrd ig und lehrreich. Die tieffte Vbilas fopbie muß biefe fa einfachen Dactrinen unterſchreiben.

A lezung aller Pflichten von Seite ded Fürſten, und zur Handhabung des göttlichen Geſezes ſelbſt, jeder Wider⸗ ſtand unbedingt verboten wäre. Sie mißräth ihn bloß als Hegel der Klugheit, entweder weil oft die Kräfte man⸗ gelu, oder weil gewöhnlich nichts beſſeres nachksmmt. 27) Die Geſchichte des Ebräiſchen Volks liefert uns Beyſpiele einer Menge von Aufſtänden, theils von hohen Beamten und mächtigen Privat⸗Perſonen, theils von größeren oder kleineren Theilen des Volks; aber ſie werden nicht allge⸗ mein verworfen, ſondern es hieng von den Umſtänden, der Veranlaſſung und dem Zweke ab, ob die Propheten ſie für rechtmäßig oder unrechtmäßig erklärten, d. h. nach damaligem Sprachgebrauch, ob ſie dem Herren (dem oberſten Geſezgeber) wohl oder übel gefielen. Der Ab⸗ fall der zehen Stämme ven Rehabeam, fo verderblich er auch dem Jüdiſchen Volke ward, wierd nicht getadelt, ſondern als die natürliche Folge ſeiner Unterdrükung dar⸗ geſtellt, die Inſurrektion der Makkabäer gegen des Un. tiochus antireligioſe Tyranney, als pflichtmäßig und tu⸗ gendhaft geſchildert. Wer hat je den Aufſtand der Deut⸗ ſchen Volker gegen den Römiſchen Deſpotismus für ein Verbrechen ausgegeben, wer die Rothwehr ber Dalekar⸗ lier unter ihrem Guſtaph Waſa, ben Bund ber Wald⸗ ſtätte zur Erhaltung ihrer uralten Privat⸗Nechte und Reichs⸗Unmittelbarkeit, ben Krieg der Niederländer ge⸗ gen die Gewaltſamkeiten des Herzog von Alba, den heili⸗ gen, wenn auch unglüklichen, Kampf der Vendeer, das einzige Beyſpiel der Religion und Treu mitten im Triumph der Gottloſigkeit und ſophiſtiſchen Aufruhrs, die neueſte

O

s>) Gita VIII. a. XIII. 3. Pred. Salom. X, 9:

458 Inſurrektion ber: Spanier, 23) ber Holländer u. ſ. w. ge⸗ gen den Unterdrüker Europens für unrechtmäßig gehal⸗ ten? Am auffallendſten iſt freylich das Befugniß, wenn der Widerſtand nicht nur gegen eine despotiſche, ſondern noch dazu uſurpirte Herrſchaft geſchieht; jedermann fühlt, daß derſelbe in dieſem Fall einen doppelten Titel für ſich bat > 29) ex läßt ſich aber auch gegen einen Fürſten den⸗ ken, deſſen Macht in Erwerbung und Beſiz rechtmäßig, und nur in ihrem Gebrauch ungerecht und feindſelig iſt. Führt er gegen ſeine eigenen Unterthanen Krieg, warum ſollten ſie nicht auch gegen ibn Krieg führen dürfen? Frey⸗ lich kömmt es zu Beſtimmung des Urtheils der Menſchen viel auf den Ausgang des Kampfes an, aber doch nicht bey allen, nicht bey den Weiſeren oder Unterrichteten, und in unſeren Tagen wie in älteren Zeiten, gab es häu⸗ ſige Beyſpiele/ wo jedermann in ſeinem Inneren bekennen mußte, die ſiegende Sache habe dem Schikſal, die beſiegte dem Redlichen gefallen. 30) Freylich pflegen diejenigen Fürſten, welche ſich durch eine Reihe ungerechter Handlun⸗ gen den Widerſtand ihrer Völker zugezogen haben, die Theilnehmer deſſelben anfänglich ſtets Verbrecher und Re⸗

bellen zu nennen; aber ſobald fie zahlreich ſind oder der |

Erfolg des Krieges wechſelt, werden fe mit dem milderen Namen von Inſurgenten oder Feinden bezeichnet, mit de»

28) Verſteht ſich die von 1808 1314 nicht die militaͤriſch⸗jako⸗ biniſche von 1320. welche drey Jahre nad ber erſten Ausgabe dieſes Bandes erfolgte.

29.) Die Geſchichte beweiſet auch, daß dergleichen Inſurrektionen

0m ebeſten gelingen; Uſurpatoren, wenn (le nicht febr klug und maͤßig regieren, dauren ſelten lang.

20) Vistrix causa Diis placuit, vieta Catoni.

459

nen man unterhandlen und Verträge ſchließen könne. Sud iſt bemerkenswerth, daß andere unpartheyiſche Für⸗ ſten jene Anſicht nicht immer theilen; man hat häufige Beyſpiele, daß ſie dergleichen abgenöthigte Bertbeidie gung nicht nur nicht tadeln, ſondern ſogar gutheiſſen, loben, begünſtigen; dem betreffenden Fürſten, ſelbſt wenn fie auch ſonſt mit ihm befreundet ſind, zum Frieden ra⸗ then: und wer alſo in dem übereinſtimmenden Urtheil aľe ler unbefangenen Menſchen, ein Kennzeichen oder eine Probe der Wahrheit ſieht, der wird geſtehen müßen, daß nie und nirgends aller Widerſtand ber Völker, zur Erhal⸗ tung ihrer eigenen Rechte, für abſolut unerlaubt gehal⸗ ten worden iſt.

So ſtark iſt endlich die Kraft der Wahrheit und das Gefühl der Gerechtigkeit, wenn keine Leidenſchaft ver⸗ blendet, daß das Befugniß des Widerſtands der Völker gegen evidente Bedrükung, auch von ihren eigenen Für⸗ ſten ſelbſt, häuſig anerkannt und förmlich ausgeſpro⸗ chen worden iſt. So ſagte bekanntlich der Kaiſer Trajan zu dem Oberſten der Leibwache, als er ihm das Schwerdt Úbergab: „Für mid), wenn ih wohl regiere, wider mich „wenn id Tyrann werden folíte,“ 31 In Frankreich mußte Carl der Kahle (Carls ded Großen Enkel) M. 856. eine Acte ausſtellen, daß die Großen das Recht hätten, dem König, wenn er etwas ungerechtes verlange, gemein⸗ ſchaftlich mit den Waffen in der Hand ſich zu widerſe⸗ zen. 32) Gn England bat König Heinrich I. daſſelbe

31) J. v. Muͤller Weltgeſch. 1. 347. Dio Cass. u. Aurel. Viet, 32) Spittler Europ. Staaten«Geſch. 1. 151. ©

468

ſeinen Unterthanen, auf den Fall er ſeine Verſprechun gen verleze, in den ſtärkſten Ausdrüken zugeſtanden. 33? Den Hungariſchen Ständen ward es im Jahr 1222.

von dem mächtigen König Andreas TI. ſelbſt zugeſichert,

im Fall der damals geſchloſſene Vertrag nicht beobachtet würde. 349 König Johann von Ofünemark, erkannte den drey ihm unterworfenen Reichen das Recht zu, ihn zu bekriegen, wenn er auf die Forderung den Beſchwer⸗ den abzuhelfen, nicht höre. 5) Alphons III. König von Arragonien, verwilligte den Baronen ſeines Reichs im Jahr 1287. durch zwey Unions⸗Privilegien, das Recht

der Inſurrektion gegen den König, und die Selbſthülfe,

wenn ihren Freyheiten nach gemachten Vorſtellungen, Gewalt und Abbruch geſchehen follte. 3 Auch in Boa Ten ward das natürliche Recht des Widerſtands A. 1606. pofitiv ausgeſprochen und anerkannt. Der Adel hatte das Recht gegen den König eine Confoederation zu organiſi⸗ ven, welches oeft auch von einzelnen Magnaten geſchah, ohne daß es fir etwas auders als einen gewöhnlichen Krieg máte angeſehen worden. Aehnliche Beyſpiele ſin⸗

den fh häufig in der ganzen Geſchichte, beſonders auch

33) Licet omnihus de regno nostro contra nos insurgere, et omnia.facere quæ gravamen nostrum respiciunt, ac si: nobie: in nullo tenerentur, Et ipsi Barones cum communitate totius terre, distriogent et gravabunt nos modis omnibus, guibus poterunt, scilicet per captionem castrorum, terra- rum, possessionum , et aliis modis guibus potuerint donec emendatum fuerit $ecundum arbitriun eorum. Magne Charta.

34) Spittler Europ. Staaten⸗GSeſch. II. 26, 35) Schaͤt Nem. Weltgeſch. V. 194. 36) Spittler Euroy. Staaten-- Bel. I, sa,

!

401

in kleineren mindermächtigen Staaten. Fürſten bie mit ihren Unterthanen ſtets in gutem Verſtändniß lebten, hatten freylich nicht nöthig ſolche Erklärungen auszuſtel⸗ len, die gleich allen poſitiven Geſezen, nur eine Folge früheren Mißbrauchs und Argwohns ſind. Oft hat man daher auch gut befunden, in ſpäteren Zeiten und glük⸗ licheren Umſtänden, ſelbſt ben Erneuerung der Verträge, žene gehäſſige Clauſel wieder auszulaſſen, weil ſie in der That ein Zeichen von Mißtrauen iſt, nach welchem man beſtändige Feindſeligkeiten vorausſieht, und ſich dawider durch dergleichen Reſervate zu ſichern ſucht. 37): Ein ſol⸗ ches Verhältniß (das ſchon eine Beleidigung der Ehre

in ſich faßt) ſoll in geſundem Zuſtand zwiſchen einem Fürſten und ſeinen Unterthauen gar nicht ft finden, und übrigens iſt es weder möglich noch nothwendig, alle nur immer denkbaren Befugniſſe aufzuzählen und ſchrift⸗ lich zu verzeichnen. Daß aber deßwegen jeder Wider⸗ ſtand abſolut verboten ſey, ward auch nicht geſagt, und die häufige Anerkennung ſeiner Rechtmäßigkeit iſt im⸗ merhin merkwürdig: denn falls dieſe Vertheidigung durch die Natur ſelbſt ein unbedingtes Verbrechen wäre, ſo hät⸗ ten auch die Fürſten ſelbſt ſolches nicht autdriſiren können, und würden es gang gewiß niemals gethan baben,

Allein wenn auch das Recht bed Widerſtands gegen offenbare Bedrükung, im Allgemeinen zugegeben wird: ſo iſt deswegen ſeine häufige Ausübung gar nicht zu beſorgen; die Inſurrektionen werden immer aäußerſt ſelten fen, und cd bat ſchon die Satur für bdie

37) Berg. 106 oben ©. 126 127, VON den dZerweldigungt/ nt, niſſen gegen den Fuͤrſten geſagt worden iſt.

463 Ruhe der Staaten geſorgt. Denn ein (oder Krieg müßte entweder von einzelnen Unterthanen, oder von vielen, oder von allen zuſammen geführt werden. Oer einzelne Unterthan iſt aber zu ſchwach, um allfällig beleidigte Rechte mit Gewalt gegen den Fürſten behaupten zu kön⸗ nen. Natur und Klugheit gebieten ihm beyde, nur durch Vorſtellungen auf den mächtigeren Fürſten zu wirken, und wenn auch dieſe nichts fruchten, lieber Unrecht zu dulden, oder ſich durch Auswanderung der Herrſchaft zu entziehen, als einen Kampf zu verſuchen, in welchem er nothwendig unterliegen müßte, und ſich nur größere Ue⸗ bel herbeyziehen würde. Wenige zuſammen finden die nemliche Schwierigkeit; räumt man ihnen auch das Recht des Widerſtandes ein, ſo iſt ihnen der Kampf aus Man⸗ gel an Kräften unmöglich. Wollen aber mehrere oder viele gegen den Fürſten und ſeinen Anhang Krieg füh⸗ ten: fo müſſen ſie ſich vorerſt unter einander verbin. den; denn Verſchwörungen find Bündniſſe der Un⸗ terthanen gegen den Fürſten, 38) dergleichen Bündniſſe ſind aber äußerſt ſchwierig, weil dazu ein ge⸗ meinſames Bedürfniß, hinreichende Anzahl von Verbün⸗ deten, mancherley Kräfte und Hülfsmittel, wechſelſeitiges Vertrauen, Anführer u. ſ. w., mithin neuerdings Einig⸗ 38) Es iſt bemerkenswertb, daß die heilige Schrift des alten Teſtaments allemal wenn ſie von der Verſchwoͤrung gegen ei⸗ nen Fuͤrſten oder Koͤnig vedet, ſich ſtets des einfachen, kind⸗ lich treu aus der Natur gegriffenen Sprachgebrauchs bedient: „Und ſeine Knechte machten einen Bund wider ibn." So + B. 2 Ebron. XXIX, 25. XXXIII, 24, 25. 1 Koͤn. XV, 27. XVI. Dabep belýt es aber auch oft: „Und dag Volk im Land ſchlug alle die, fo den Bund wider ben Koͤnig gemacht hatten.“ 2 Chron. XXXIII, a4, 25.

463

feit und Gehorſam erfordert werden; 39) Ňe find wie alle Bündniſſe der Schwachen, ben der geringíten Klugheit und Mäßigung leicht zu verhinderen, noch leichter 48 ser» ſtreuen; tauſend in der Natur der Sache liegende Schwie⸗ rigkeiten machen ihren Erfolg äußerſt unwaährſcheinlich. Vorerſt findet ſich zu einer Verſchwörung oder einem Bünd⸗ niß gegen den Fürſten, nicht leicht ein gÄemeinſames Bedürfniß. Die Beleidigungen ſind nicht allgemein, das Unrecht das den einen erbittert und zum Widerſtande reizt, bat den anderen nicht getroffen, oder iſt ihm we⸗ niger empfindlich. Man tadeľt den Ťprannen, man bes flagt ben Unterdrükten, man ſucht ihm vielleicht auf an⸗ dere Weiſe zu helfen, aber wenige ſind geneigt wegen der Sache einzelner, ihre eigene Ruhe und Sicherheit auf's Spiel zu ſezen, als Verbrecher oder doch als erklärte Feinde des Fürſten zu erſcheinen, und den ganzen Staat in Unordnung und Verwirrung zu bringen, mithin das Uebel noch größer als vorher zu machen. Dazu iſt ſelbſt unter Gleichgeſinnten, Gleichbeleidigten, die Vereinigung äußerſt ſchwer, der Erfolg im höchſten Grade ungewiß. Die Schwierigkeit ſich Genoſſen anzuwerben, die Gefahr ſich jemanden anzuvertrauen, der entweder durch Entde⸗ kung der Sache ſich große Vortheile verſchaffen könnte, oder dem man den Zwek und die Mittel verſchleyern muß, die Aufopferungen welche zur Herbeyſchaffung von

Mannſchaft, Waffen und allen Kriegsbedürfniſſen erfor⸗

dert werden, die Eiferſucht, der Argwohn, bie Unent⸗ ſchloſſenheit welche gewöhnlich unter den Verbündeten ſelbſt herrſcht und alle ihre Rathſchläge und Unternehmun⸗

59) Ad spem vincendi requiruntur guatuor: numerus, inatru- menia, mutua fiducia, duces. Hobbes.

k

gen Tábint) ihre ſteten Beforgniſſe, ba ſie vorerſt den Für⸗ ſten, und nad ſeiner Beſiegung ſogar das Volk fürchten müſſen, +0) bie Uneinigkeit über die Wahl der Anführer, über den Zwek und die Mittel ſeiner Ausführung, die all. mäblige Reue der einen, die Begierde nad Impunität von Seite der anderen, die Furcht vor Verrath, oder auch nur der Glaube, daß die Sache bereits durch einen anderen verrathen ſey, die Unmöglichkeit gewiſſe Borane ſtalten geheim zu halten, mancherley unvermeidliche Zu⸗ fälle, die Entdekung die oft im Augenblik des Ausbruchs erfolgt U. ſ. w. machen die meiſten Privat⸗Verſchwörun⸗ gen ſcheitern, wofern der Fürſt nicht von einer gänzlichen Gorglofigtcit und Willensloſigkeit geblendet und gelähmt iſt, oder von ſeinen erſten Dienern und Beamten ſelbſt verrathen wird, mithin durch ſie den Verſchwornen noch ihr Vorhaben erleichtert. Man pflegt freylich die fopbie ſtiſche Frage aufzuwerfen, wie cin Fürſt dem ganzen Volk widerſtehen, ein einzelner Menſch ſtärker ſeyn könne als die Nation? Allein darauf iſt vorerſt zu erwiedern, daß bie Infurgenten nicht die geſammte Nation ausmachen. Sodann iſt die Unterdrükung nie ganz allgemein, ſonſt würde ihr Urheber freylich bald von jedermann verlaſſen ſeyn, ja dieſelbige nicht einmal ausüben können. Aber bie nemliche Macht die den einen ſchadet, iſt den andern nüzlich, und dieſe find ihre natürlichen Gebülfen und Freunde: daher man auch bey allen einheimiſchen Krie⸗ gen ſtets zwey Parteyen, die eine für, die andere wider den Fürſten ſieht. Ein Fürſt und ſelbſt ein Tyrann, be⸗ krieget alſo nie das ganze Volk, ſondern er widerſteht dem unzufriedenen Theil mit dem zufriedenen, den bekei⸗

| 40) Vergl, bietúhce Machiavelli de principe Cap. 19.

A605

digten mit den nicht beleidigten, welche gewöhnlich die

zahlreicheren find: und wenn jene gegen ihn Krieg füh⸗ ren, ſo iſt er hinwieder zu ſeiner Vertheidigung befugt, um ſo da mehr, als das Recht nicht immer entſchieden iſt, und man von niemand forderen kaun, daß er ſich ſtumm und leidend dem einſeitigen Urtheil oder der Rache ſei⸗ ner Feinde überliefern ſolle. Dieſer Unmöglichkeit oder großen Schwierigkeit des gewaltſamen Widerſtands der Völker gegen die Fürſten, iſt alſo vor allem zuzuſchrei⸗ ben, daß ſelbſt gegen offenbare Tyranney fo wenige Inſurrektionen giebt, und daß die entſtandenen ſo ſelten gelingen, wofern nur die Bedrükungen nicht allgemein und unerträglich Ánd, fo daß der Fürſt ſich faſt alle ſeine Unterthanen zu Feinden gemacht hat. Außerdem kommen aber noch viele Rükſichten der Klugheit und Menſchlichkeit hinzu, um die Völker ven ſolch gefährli— chen Unternehmungen abzuhalten, ſelbſt wenn ein Grund dazu vorhanden und der Erfolg möglich wäre. Die grö⸗ ßere Menge iſt ſtets an der Fortdauer des Landesfriedens und an der Behauptung der Autorität des rechtmäßigen Landesherren intereſſirt. Nicht allein ziehen die inneren Kriege meiſt entſezliche Uebel nach ſich, namenloſe Ver⸗ brechen und Gewaltthätigkeiten, gegen welche das früher erlittene Unrecht zur Kleinigkeit wird: 45 ſondern ed iſt auch bey günſtigem Erfolg, ſelten etwas beſſeres zu hof⸗ fen. Denn die Freyheit von der in ſolchen Fällen geſpro⸗ chen wird, iſt nicht die Freyheit des Volks, ſondern die

(O OL DEE, OE ESO OS ES, O OE

41) Beral. bierúbev Neal Staateľunít IV, 406. ff. bie Beyſpiele von der Ermorbung Caͤſars, von England., von der Ligue in Frankreich, von Corſika u. ſ. w.

Zwenter Vand. 088

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Freyheit ſeiner Anführer, 42) und dieſe können eben fa gut týrannificen als die vorigen Herren, ja ſie werden beynahe, ihrer Selbſterhaltung wegen, dazu genöthiget. Oft iſt ein innerer Krieg die Veranlaſſung einer fremden JInvaſton oder Eroberung , wodurch die ganze Nation in Knechtſchaft geräth, die Exiſtenz des Staates ſelbſt ver⸗ nichtet wird: und find auch die Inſurgenten⸗Häupter auf den Thron geſtiegen, ſo werden ſie bald ein Gegenſtand des Haſſes, von denen ſelbſt die ihnen geholfen hatten. SGSie haben nicht nur den Anhang ded vorigen Fürſten, welcher oft noch ſehr lange daurt, ſondern ihre eigenen geweſenen Freunde ſelbſt zu fürchten, welche die neue Herrſchaft ungern dulden, und nicht leicht befriediget werden können. Dadurch werden ſie argwöhniſch, aus Argwohn grauſam, und es entſteht ein zweyter Tyrann der ärger iſt als der erſte, daher auch die Geſchichte be. weist, daß uſurpirte Herrſchaften ſelten lang dauren, es ſey dann daß beſonders günſtige Umſtände ihre Erhaltung beförderen. a43) Endlich lehrt nicht nur die Klugheit oder die Vorausſicht der entſtehenden Uebel, ſondern es gebietet ſelbſt die innere Stimme der Menſchlichkeit und Liebe, den

Aa) ut imperium evertant, libertatem proferunt, si impetra ve- rint ipsam aggrediuntur. Tac. Anmal. C. XVI, 43) Wie 3. B. wenn man von dem vorigen Souverain, der uͤbri gens anderswo fortdaurt, getrennt wird, das Nefultat der Inſurrektion blos in einem Abfall beſtebt, und mitbin die erworbne Unabhaͤngigkeit faſt allen Einwohnern ded getrennten Landes vortheilbaft wird, wie z. B. in Portugall unter dem Hauſe Braganza, in. Schweden unter Guſtav Waſa, bey Tren⸗ nung der Niederlande von Spanien, der Nordamerikaniſchen Colonien von England sc. Aber den Zhron des vorigendrecht⸗ máfigen Herrſchers felbft 31 beſteigen und zu behaupten, ge⸗ lingt außerordentlich ſelten. |

4a

Fürſten mie anderen Menſchen geringere Fehler zu Veľa zeihen, aus billiger Nachſicht gegen menſchliche Schwäche, oder wegen übrigen empfangenen Wohlthaten, +4) auch größeres Unrecht zu dulden, wie man ſich den Uebeln der Natur unterwirft, weil ſie nicht immer fortdauren und durch manches Beſſere compenſirt werden, 95) in abge⸗ drungener Nothwehr ſelbſt ſich zu mäßigen, das Uebel nicht ohne Noth zu vermehren, mit billigen Verträgen ſich zu begnügen u. ſ. w., fo daß alle Gründe ſich verei⸗ nigen, um bie Inſurrektionen äuserſt ſelten zu machen, wenn ſie auch ſchon nicht immer unrechtmäßig genannt werden können, noch ſtets von ſchlechtem Erfolge ſind. Es verhält ſich alſo mit dem Widerſtand der Völker im Großen, wie mit jeder Selbſthülfe im Kleinen. Sie iſt zwar nicht abſolut verboten, aber oft iſt ſie nicht mög⸗ lich wegen Mangel an Kräften, eben ſo oft nicht klug wegen den damit verbundenen Gefahren, ſie ſoll endlich in ihrer Ausübung durch Menſchlichkeit und Liebe gemä⸗ ßiget werden, 96) eine Doctrin die allen natürlichen Bee ſezen angemeſſen iſt, und bey welcher Fürſten und Dol. ker gleich zufrieden ſeyn können. Sind dem ungeachtet von den Mächtigeren bisweilen große und zahlreiche Un— gerechtigkeiten zu dulden, welches jedoch Den eigener Pflicht⸗ Erfüllung und guter Doetrin ſelten geſchehen wird, Nite zen alle Vorſtellungen nichts, iſt der Widerſtand unmúge lich, geht fremde Hülfleiſtung ab, und zieht ſelbſt die

44) Leviores principum injurie suut condonandm», oh æquita- tem, ceterague beneficia. Pufendorf L. VII. c. 8. $.5.

45) Vitia erunt donec homines, sed?negue hæc contiuua et ma liorum iuterventu pensamtur. Taciľus.

46) Vetgí, T. I. ©. 414— 415. ff. ven der Selbſthuͤlfe.

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Flucht nur größere Uebel nad ſich: fo bleibt noch übrig auf Gott zu vertrauen, auf cine ſchüzende Macht die hö⸗ her als alle menſchliche iſt: d. h. theils auf die Kraft der Natur welche großes Unrecht in die Länge unmöglich

macht, +7) theils auf das ewige, nicht minder in bee

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Natur vegründete Geſez, nad welchem böſe Thaten ſtets mit böſen Folgen für ihren Urheber begleitet find, und frü⸗ her oder ſpäter auf eint oder andere Weiſe, ſelbſt gegen den

Gewaltigſten, die ſtrafende Nemeſis nicht ausbleibt. 43)

47) Durch die Unzerſtoͤrbarkeit des natuͤrlichen Geſezes, welches immer wieder koͤmmt und nach ſeiner Verboͤhnung oft viel maͤchtiger als vorber; durch die Kuͤrze des menſchlichen Res bens, durch unuͤberwindliche Schwierigkelten der Ausfuͤhrung u. ſ. w. Beryl. T. I. ©. 439.

48) Berg T. I. ©, 405 407, von bem natuͤrlichen Viidtecfep.

Zwey und vierzigſtes Capitel.

Von der Veraͤußerung der Landesherrlichen Macht und der Erblichkeit der Staaten.

1. Unmoͤglichkeit dieſelbe nad dem herrſchenden pſeudophiloſopht⸗ (ben Staats⸗Syſtem zu rechtfertigen.

SI. Recht der Veraͤußerung uͤberhaupt. Man veraͤußert nur eigene Macht und eigene Rechte, nicht die der Unter⸗ thanen. |

SI. Erblichkeit insbeſondere. Ihr wahrer und einziger

Grund iſt die Erblichkeit der eigenthuͤmlichen Suͤter und Be⸗ fizungen.

ŠV. Natuͤrliche Erbfolge ben Unabhängigen. Sie be⸗ ruht auf dem Willen des Erblaſſers,

Natuͤrlicher Urſprung und Rechtmaͤßigkeit ber Teſtamente. Ihre Augemeinheit in allen Zeiten und Laͤndern unter ver⸗ ſchiedenen Formen. Urſpruͤnglich undeſchrantte Teſtirungs⸗ Freybeit.

V. Daherige verſchiedene Webungen auch in Fuͤrſtli⸗ chen Haͤuſern. Theilbarkeit und Untheilbarkeit. Leztere iſt, aus auffallenden Convenienz⸗Gruͤnden, die gewoͤhnliche Regel, und in dieſem Fall meiſt mit dem Recht der Erſtgeburt verbunden.

VI. Natuͤrliche Veranlaſſung, undenkliches Alterthum, all gemeine Verbreitung, partielle Unterbrechung, und allmaͤhlige Wie⸗ derberſtellung dieſes Rechts der Erſtgeburt.

VII. Moͤgliche Bedingungen der Erbseinſezung oder Erbsaus ſchlie fa ſung ·

VIII. Sogenannte Seeundo⸗Genituren, als ſeltene Auenab⸗ men von dex Regel.

EX. Grund bed Vorzugs der Soͤhne vor. den Koͤchtern. migliche Erbfolge auf Toͤchtern. | |

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X. Weitere Succeffloné Ordnungen bey Ermanglung von Kin⸗ dern. Gradual⸗ und Lineal⸗Folge.

XI. Moͤgliche Erbfolgsſtreitigkeiten wie unter Privat⸗Per⸗ ſonen, wegen dem Mangel oder der unbeſtimmtheit der Fuͤrſt⸗ lichen Teſtamente und Hausgeſeze.

Nach dem Capitel von den Schranken der Landesherr⸗ lichen Macht und den ihr correſpondirenden Rechten und Pflichten der Unterthanen, folget natürlicher Weiſe die wichtige Frage von ihrer Beräußerung; abermal eine Materie, bey welcher die Bekenner des pſeudophiloſophi⸗ ſchen, auf der falſchen Idee delegirter Volks⸗Gewalt bes ruhenden Staatsrechts, einen unüberwindlichen Anſtoß finden, und welche ſich hingegen aus der wahren Natur der Sade, fo leicht und befriedigend erklaͤren läßt.

Beſtühnde der Staat aus einer Genoſſenſchaft von Bürgern, deren der Fürſt nur als Präſident oder ober⸗ ſter Beamter vorgeſezt wäre: ſo würde ſich freylich nicht erklären laſſen, wie dieſe Gewalt, ohne Einwilligung der Communität welche dieſelbige delegirt haben ſoll, von be⸗ ſagtem Fürſten oder Präſidenten in andere Hände über⸗ liefert werden könnte; die Behauptungen der revolutionä⸗ te Schriftſteller wären unwiderleglich. Man bat noch keinen Schultheißen oder Bürgermeiſter geſehen, der die Republik oder ihre Mitglieder ſelbſt veräußert, über ihre Länder und Güter, gleich wie über ſein Eigenthum die ſponirt hätte. Anvertraute Gewalt iſt weder erblich noch veräußerlich, kein Beamter, kein Mandatarius darf ſein Amt oder ſeine Vollmacht, ohne Einwilligung ſeines Obe⸗ ren, an jemand anders abtreten. Dieſer Grundſaz gilt in der ganzen Welt und iſt im Allgemeinen ſtets befolget

Ari worden. Daß abber den ohngeachtet bie Fürſtliche Be⸗ walt zu allen Zeiten und in allen Ländern ohne Wi⸗ derrede erblich und veräußerlich geweſen iſt, daß Für⸗ ſtenthümer gleich anderen Herrſchaften und Privat⸗Gü⸗ tern durch mancherley Verträge Beſizer gewechſelt haben, und daß bis auf die neueren Zeiten niemand in den Sinn gekommen iſt, darin etwas unrechtmäßiges zu ſinden: das hätte doch die Philoſophen und Juriſten, wenn ſie die Wahrheit mehr als ihre Meynungen geliebt hätten, auf die Vermuthung führen ſollen, daß žene Fürſtliche Gewalt auf eigener Macht beruhen muß, und nicht auf delegirter beruhen kann. Wären ſie ſodann nur dieſer Idee nachge⸗ gangen, ſo würden ſie auch bald die ganze Wahrheit ge⸗ funden haben, und die individuelle Freyheit, welche doch der Zwek ihrer ſogenannten Vernunft⸗Staaten ſeyn ſoll, würde noch viel beſſer geſichert geweſen ſeyn.

Hingegen wird die ganze Sache Hat, alle Sophifte- reyen, alle Schwierigkeiten fallen hinweg, ſobald mas: von der wahren Natur ber Fürſten, von ihrer eigenen Macht und ihrem eigenen Rechte ausgeht. Alsdann ver⸗ ſteht ſich von felbſt, daß ein Fürſt als unabhängiger Grund⸗ herr, deſſen Macht und unabhangigteit vorzüglich auf dem Beſiz von ganz freyen Domainen, Gütern und Ein⸗ künften beruht, dieſelbige, mit dieſem ſeinem Eigenthum, auf mannigfaltige Weiſe ganz oder zum Theil rechtmäßig veraͤußeren kann, wie ſolches auch zu allen Zeiten durch Verkäufe, Täuſche, Abtretungen, Schenkungen, Heyra⸗ then, Erbſchaften u. f. w. ohne Widerrede geſchehen iſt. Sie veräußeren, verkaufen, vertauſchen oder verſchenken dabey nicht fremde, ſondern nur ihre eigenen Rechte, nicht bie Volker, auch nicht einmal bie: einzelnen Unten

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thanen, (denn biefe ſind freylich keine Waare) ſondern nur ihre eigenen Domainen, Gebände, Güter, Einkünfte und Nuzungen aller Art, nebſt der damit verbundenen Macht, oder mit anderen Worten, nebſt allen auf dieſem Beſiz haftenden Rechten und Verbindlichkeiten. Nieman⸗ den wird dabey etwas genommen, niemand in ſeinem recht⸗ mäßigen Zuſtand verſchlimmert, folglich bat ſich auch nie⸗ mand zu beſchweren. Gleichwie bey den Privat⸗Herr⸗ ſchaften, fo tritt auch ben den unabhängigen, die man FKürſtenthümer nennt, der neue Erwerber nuť in das Čie gentbum , bie Rechte und: Berbáltnifle des vorígen Bee Áierý ciu: mebr alý diefer beſaß, kann er von ihm nicht erwerben; mehr alý mad das ihrige iſt, können bie Für⸗ fen nicht abtreten und es geſchieht auch wirklich nicht. Daher ſieht man, daß in allen ältern Friedens⸗Trakta⸗ ten, wo es um Abtretung von Provinzen zu thun war, oder in Kaufs⸗Inſtrumenten über Fürſtliche Güter, nicht allein alle natürlichen und erworbenen Rechte der Unrer⸗ thanen auf das ſeyerlichſte vorbehalten, ſondern oft ſogar die Fortſezung von Liebespflichten empfohlen und man⸗ cherley Vergünſtigungen geſtattet wurden, um nicht nur auf Dad ſtrenge Recht, ſondern auch auf die Neigung bed Herzens zu dieſem oder jenem Herren Rükſicht zu neho men. 1 Die Unterthanen, die Einwohner des veräußer⸗

1) In dem Pfandbrief um Regenſperg und Buͤlach von Oeſtreich an Zuͤrch 1409 ward ſtipulirt bie Herrſchaftleute nicht úber die bherkoͤmmlichen Pflichten zu beſchweren, und 1591 ben der Abtretung von Klein Baſel an die Stadt Baſel, die Leute in ber niederen Stadt su halten wie fi felber. Ueberhaupt find bie aͤlteren Traktaten / mie Dr. von Martens (ie fo fleißig geſammelt bat, in die⸗ tr Hiuſicht außerordentlich merlwuͤrdig und lehrreich · Weun

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ten Landes, bleiben frege Menſchen mie zuvor, fie ſind keine Sklaven, mie unſere Philoſophen dociren, 2) ſie werden nicht verkauft. Oder ſeit wann iſt einer deßwe⸗ gen ein Sclav, darum weil ber Boden auf dem cr wohnd Eigenthümer wechſelt, oder weil er zwar ſelbſt Eigenthü⸗ mer bleibt, aber nun dem Titius ſchuldig wird was er vorher dem Cajus ſchuldig war? Im Gegentheil wer⸗ ben alle Verträge ausdrüklich oder ſtillſchweigend und mei⸗ ſtentheils gern erneuert. Die Unterthanen, die dienſtbar geweſenen, fahren fort zu dienen oder abhängig zu ſeyn, aus dem nemlichen Grund tie ſie es gegen den vorigen Herren waren, ihres Bedürfniſſes, ihres eigenen Vor⸗ theils wegen, ſo lang die Natur ſie dazu nöthiget oder det Vertrag verpflichtet. 22 Es iſt ſogar ein Vortheil

es Bent zu Tag zum Tbeil anders iſt, wenn der Wechſel des Herren viel nachtbeiliger geworden als er ſonſt geweſen: ſo baben wir ſolches allein den neuen pſeudophiloſophiſchen Staats⸗ Principien, dem beliebten Syſtem revolutionaͤrer Sleichfͤr⸗ migkeit zu verdanken.

2) Auch ned Hr. Luden baͤlt jebe Abtretung von Land, die er eine Ueberlieferung von Unterthanen nennt, auch im utta gluͤklichſten Krieg, fuͤr ſchlechtweg unerlaubt, meil es ſonſt nur Herren und Sckaven gebe. (Staatsweis⸗ heit ©. 200.) Warum fand er es dann nicht uͤbel, daß Frank⸗ reich wieder abtreten mußte, mad ſeit mehr als 20 Jahren mit ihm vereiniget War? Oder was fatte der Koͤnig von Frank⸗ reich fuͤr ein Recht Laͤnder, oder wie man jezt redet, Voͤlker zu veraͤußern die er nicht erworben hatte? Er dat ſie aber auch nicht veraͤußert, ſondern nur erklaͤrt, daß er auf alle Rechte Verzjicht leiſte, bie er in dieſen Laͤndern beſtzen mochte.

3) Im alten Frankreich berrſchte bdie merkwuͤrdige Uebung, daß bey dem Tod eines Koͤnigs der Oberſt Hofmeiſter alle Hofbe⸗ amte verſammelte, und zu ihnen ſprach: «Le roi est mort,

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für ft, men der neue Herr die nemlichen Verträge ame exfennen, bie nemlichen Verpflichtungen fortſezen will, indem auf dieſe Weiſe, ſtatt ber gänzlichen Auflöſung ale ler Verhältniſſe, nur eine Veränderung in der Perſon des Eigenthümers erfolgt. Auch hatte der alte Ausdruk, cine Herrſchaft mit Land und Leuten verkaufen, gar kei⸗ nen anderen Sinn, und das Unſchikliche oder Anſtößige, was man darin bat finden wollen, liegt nur in ſeiner allzugroßen Gedrängtheit. Mit dem Land, d. h. mit demſenigen was davon dem Fürſten gehört, bat es keine Schwierigkeit. Leute hingegen nennt man in der deut⸗ ſchen Sprache, alle Menſchen die in einem Verhältniß habitueller Verpflichtung, irgend einem andern etwas 41: thun oder zu leiſten ſchuldig ſind, daher man auch von Dienſtleuten, Hausleuten, Zinsleuten, See henleuten, Kriegsleuten, Gutsleuten n.f. M zu reden pfiegt. Eine Herrſchaft mit Land und Leuten abtreten, heißt demnach nichts anders, als el freyes But: ſamt allen ben Perſonal⸗Anſprachen und Real⸗Schul—⸗ digkeiten abtreten, welche mit deſſen Beſiz vertragsweiſe verbunden Ánd, gerade wie dieſes in Privat⸗Verhältniſ⸗ fen ebenfalls geſchieht, und wie man z. V. cin Haus mit allen beſtehenden Mieths⸗Contrakten, cin Gut nebſt allen heſtehenden Pacht⸗Accorden, oder anderen vertragsmäßi⸗ gen Einkünften und Gefällen, überhaupt mit ſeinen Rech⸗ ten und Beſchwerden verkauft. Kann cin unabhängiger

vous čtes tons libres:“ ſodann nad) einer Pauſe: „mais si vous le voules, je m'en vais prier le roi (ben neuen) pour qu'il vons conserve A soh service“ welches dann bie Herren mit Danť annabmen. Das nemliche Experiment haͤtte man mit allen Vaſallen, Civil⸗ und Militaͤr⸗Beamten 4. vocneb⸗ men koͤnnen.

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Privatmann, ein Lehenpflichtiger, cin Bauer, ein Hypo⸗ thekar⸗Schuldner, ſeine verpflichteten Güter veräuße⸗ ren, darum weil er nur das GSeinige abtritt und bie Rechte ſeines Herren oder jedes Drittmanns vorbehält: warum ſollte der Unabhängige, der Eigenthümer, der Gläubiger, ſolches nicht ebenfalls thun dürfen, wofern die Rechte ſeiner Untergebenen gleichmäßig reſervirt blei⸗ ben. Oder ſoll man auch kein Landgut, kein Handels⸗ haus, keine Fabrik oder Induſtrial⸗Anſtalt mehr veräu⸗ ßeren, ja ſogar keine Schuldſchrift mehr abtreten dür⸗ fen 4 unter dem Vorwand, dať auf dieſe Weiſe ber

Schuldner cin Sklav ſey, oder daß die Diener, Arbei⸗

oter und Gehülfen gleich einer Waare verkauft würden? Dahin würden dieſe Principien führen, wenn die Für⸗ ſten nicht mehr befugt wären, das was dať ihrige iſt zu veräußeren. Obe Necht iſt auch hier dať nemli⸗ che wie das der Privat⸗Perſonen, nur daß wegen der Menge und dem Umfang der Gegenſtände, bad kurzſich⸗ tige Aug es minder zu faſſen vermag.

Freylich ſind dergleichen Veraͤnßerungen großer Güter und Ländereyen, nebſt den damit verbundenen Rechten, den Bewohnern derſelben meiſtentheils unangenehm und ſelten vortheilhaft. Die lange Gewohnheit und die Er⸗ innerung gegenſeitiger Wohlthaten, ſtiftet zwiſchen den Untergebenen und der Familie des Grundherren, ein

4) Der Verfaſſer dieſes Werks bat ſchon mebreremať bie uner⸗ hoͤrte Suͤnde begangen, ſelbſt gekroͤnte Haͤupter mit ibrer Zinspflichtigkeit zu verkaufen, und an andere Glaͤubi⸗ ger zu uͤberliefern, und if doch keinem der erſteren einge⸗ fallen, ſich deßwegen fuͤr einen Sclaven zu halten.

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Band der Liebe, der Auhänglichkeit und des Zutrauent, welches durch bie Veräußerung an einen fremden Beſizer aufgelst wird, und alle ſolche Trennungen langgewohn⸗ ter Verhältniſſe laſſen ein Gefühl der Traurigkeit in der menſchlichen Seele zurük, preſſen ihr oft unwillkührliche Thränen aus. Dabey ſind ſie auch mehrentheils mit wirk⸗ lichen Nachtheilen verbunden. Manche, ſelbſt rechtliche, Verpflichtungen und Dienſtbarkeiten werden unangenehm und läſtig, ſobald man ſie blos aus Schuldigkeit thun muß, und ſelbige nicht mehr, mie vorhin, auch gutwil⸗ lig und mit Liebe geleiſtet werden. Auf der anderen Seite ſind die Geſinnungen des neuen Herren immerhin ungewiß. Mag derſelbige auch noch ſo rechtſchaffen und wohlwollend ſeyn, (o kann er zu ſeinen neuen Untertha— nen, deren Geſinnungen er ebenfalls nicht keunt, unmög⸗ Alich die nemliche Zuneigung haben, tie ber alte Beß⸗ zer, deſſen Väter und Vorväter ſeit Jahrhunderten auf dem nemlichen Gute gelebt hatten, der vielleicht den Cha⸗ rakter jeder Familie kannte, und mit allen den Seinigen in einem freundſchaftlichen Verhältniß zu leben gewöhnt war. Der neue Herr wird wahrſcheinlich ſeine Diener⸗ ſchaft veränderen oder verminderen, und ſeine alten Freunde und Günſtlinge mitbringen, die nicht aus dem Lande entſproſſen, demſelbigen auch nicht ſo gewogen ſeyn können. Er wird auf's wenigſte ſein Recht etwas genauer auslüben, aus dem erworbenen Gut ben möglichſten Mu. zen zu ziehen ſuchen, beſtehende Verträge gelegentlich zu ſeinem Vortheil abändern u. ſ. w., während der alte Beſizer aus Gewohnheit mit wenigerem zufrieden, viel⸗ leicht manchen ſelbſt rechtmäßigen Vortheil vernachlä⸗ pigte, um ſeine ihm von Alters ber bekannten Untertha⸗ ten nicht zu betrüben, noch in einem herlommlichen Be.

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du ſtören. Hat der neue Herr gar noch anderwärts mehrere oder größere Güter, und ſtellt daher ſeine Reſi⸗ denz in einem anderen Lande auf: ſo gehen dadurch man⸗ nigfaltige Vortheile für den Nahrungsſtand der Unter⸗ thanen verloren, die Einkünfte ded Landes werden größ⸗ tentheils anderswo verzehrt, das Gut ſieht wie verway⸗ ſet aus, und weil das Aug des Herren fehlt, ſo ſind die Bewohner blos der Willkühr oder dem Eigennuz unter⸗ geordneter Beamten preis gegeben, deren Wohlthaten nicht ſo vielen Werth haben, weil man ſie nur als Schul⸗ digkeiten anſſeht, und deren Beleidigungen viel empfind⸗ licher ſind, weil ſie nur von dem Diener kommen, und ſtets die Vermuthung übrig bleibt daß der Herr ſelbſt ſie nicht begangen haben würde. Daher ſieht man auch in allen Ländern, wie ungern die Völker ihre angeſtammten eigenen Landesherren verlieren, S? mie ſie darüber oft andere wichtige Vortheile, +. B. kräftigeren Schuz, größere Sicherheit gegen auswärtige Feinde, freyeren Handel, erweiterte Ausſichten bed Ehrgeizes vergeſſen,

5) Man ſehe tie beredt daruͤber Joh. v. Muͤller die Bayeri⸗ ſchen Landſtaͤnde und den Magiſtrat von Muͤnchen ſprechen laͤßt, bey dem projektirten Tauſch Mo. 1785. O. Gúrftens bund ©. 246. Und mie ſchoͤn ſpricht nicht Schiller in der Jungfrau von Orleans:

Wir ſollen keine eignen Koͤnige

Mehr baben, keinen eingebornen Herrne Der fremde Eoͤnig ber vet außen fónynt, Dem keines Abnherrn heilige Gebeine

In dieſem Lande rubu kann er es lieben? Der nicht jung war mit unſern Juͤnglingen, Dem unſere Worte nicht zum Herzen toͤnen Kann er gin Vater ſeyn zu ſeinen Soͤhnen?

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und mie lange nod das Andenken an die alten im Lande ſelbſt angeſeſſenen Fürſten Úbrig blelbt. S) Selbſt bey Privat⸗Grundherrlichen oder adelichen Familien wird die Veräußerung der Herrſchaft und gemeiner Landſize von den Angehörigen meiſtentheils ungern geſehen, zumal wenn ſie etwa an unbekannte Fremde geſchieht, und in Rußland giebt es häufſige Beyſpiele, dať die Bauern ih⸗ ren alten bekannten Grundherren ſogar ihre Schulden

bezahlen, nur damit ſie nicht zum Verkauf der Güter ge⸗

nöthiget werden. Allein dergleichen Veräußerungen find Inkonveniente die mit dem natürlichen Wechſel aller Dinge verbunden ſind, die der Tod ebenfalls veranlaſ⸗

ſet und übrigens durch Einführung des Rechts der Erſt⸗

geburt auch in Privat⸗Beſizungen, durch Begünſtigung der Fidei⸗Commiſſe, der Corporations-Güter u. ſ. to. febr vermindert werden könnten; aber daraus den Silu zu ziehen, daß im allgemeinen gar kein Fürſtenthum, keine unabhängige Grundherrſchaft, weder ganz noch zum Theil, durch Kauf erworben oder von ihrem Befizer ver⸗ fäußert werden dürfe: iſt eben fo ungereimt, als wenn man behaupten wollte, daß kein Haus ſolle verkauft wer⸗ den, darum weil Kauf Mieth und Verträge bricht, we⸗ nigſtens für die Miethsleute beſchwerlicher machen kann, oder daß niemand zwey von einander entlegene Häuſer oder Dandgüter beſizen dürfe, weil er nicht beyde zugleich be⸗ wohnen kann, noch mit der nemlichen Aufmerkſamkeit zu verwalten und zu überſehen vermag.

6) 3. B. in Lotbringen, wovon id frappante Beweiſe gebúrt, in Anſpach, Bayreuth sc. Und mie wuͤnſcht man jest nidt in den e eiſtlichen Staaten, die ſonſt (o verleumdeten Vilááíie und G zbiſchoͤffe, ja ſelbſt bie Kloͤſter zuruͤk.

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Aus dieſem Recht der Veräußerung folget nun auch die Erblichkeit der Fürſtent hümer, welche nichts anders als cine beſondere Art ded Veräußerungs⸗Rechtes iſt, und auf dem Befugniß des Fürſten beruht, ſein Land und die damit verbundene Macht und Unabhängigkeit, an natürliche oder teſtamentlich eingeſezte Erben zu überlie⸗ fern. Sie fließt demnach natürlich, nothwendig und ein⸗ zig aus der Erblichkeit des freyen Grundeigenthums, wel⸗ ches hinwieder die Grundlage der Herrſchaft iſt. Der Sohn erbt des Vaters Gut, entweder weil der Vater es ſo verordnet hat, oder weil ſein Wille präſumirt wird, wenn er ihn auch nicht ausgedrükt haben ſollte. Verge⸗ bens iſt es bie Erblichkeit der Fürſtenthümer blos aus au⸗ deren Convenienz⸗Gründen herleiten zu wollen. Alle Vor⸗ theile bie ſich dafür anbringen laſſen, 4. B. die präſumirte größere Fähigkeit zum Regieren bey einem Geſchlecht wel⸗ ches dieſer Verrichtung längſt gewöhnt ſey, die Stetigkeit der Regierungs⸗Maximen und der davon abhängenden Privat/⸗Rechte, die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, welche durch Fürſten⸗Wahlen geſtört werden könnte, der willigere Gehorſam (cultus adsuetus ) ber Unterthanen, welche aus Gewohnheit und Ehrfurcht lieber den alten und berühmten, als neuen und undekaunten Herren die⸗ nen: ſind lauter unhaltbare Gründe, gebrechliche Stü⸗ zen, wodurch verſchiedene Natur⸗ und Staatsrechts⸗Leh⸗ See bie beſtehende Erblichkeit mit dem pícudo ⸗philoſophi⸗ ſchen Staats⸗Syſtem moͤglichſt zu accommodiren geſucht ha⸗ ben, 7 Die Natur bat zwar mehrere Vortheile mit dem

5) 3. B. Grotius, j b. et p. Pufendorf j. n. et g. L. VII, C. 5. $. 7. seg. Hoppes de eive «. IX. $. 12 17. Boehmer je P. naiv. 4, 0. 01. SNM

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Recht der“ Erblichkeit verbunden, aber fie find nicht der Grund deſſelben und nicht immer gewiß. Denn ſobald es nur auf den Nuzen odber ben Willen der Unterthanen an⸗ käme, fo ließe ſich allerdings oft eben ſo viel gegen die Erblichkeit als für dieſelbe anbringen, und der. Streit hätte ſchlechterdings kein Ende. Geht nam von der Be⸗ hauptung aus, daß die fürſtliche Würde nur ci vom Volk anvertrautes Amt fen, fo iſt gar nicht vorauszuſezen, daß irgend ein Volk je ſo thöricht geweſen wäre, die Leitung ſeiner wichtigſten Angelegenheiten, auf ewige Zei⸗ ten, dem blinden Ohngefähr der Geburt, vielleicht einem Kind, einem Bloödſinnigen, oder einem moraliſch ſchlech⸗ ten Menſchen zu überlaſſen, welches bey der Erblichkeit wenigſtens immer möglich bleibt. Eben ſo wenig würden Männer je auf de Gedanken gefallen ſeyn, vin Weib über ſich zu ſezen. Auch Hat man noch in keiner Repu⸗ blik das oberſte Amt erblich geſehen, aber die Nachkom⸗ men der Bürger, die Genoſſen der freyen Communität, erbten hingegen ganz natürlicher Weiſe die Rechte ihrer Vorfahren. Die größere Fähigkeit zum Regieren trifft nicht immer deßwegen cin, weil MAN von einem regieren⸗ den Vater abſtammt, Tugenden und Talente ber nemli—⸗ chen Art pflanzen ſich nicht immer fort. Wären ſie wirk⸗ lich vorhanden, wie das freylich oft der Fall ſeyn kann, fo würde fa das Volk immerhin den Sohn ded votie gen Fürſten wählen können, obne dať er dazu cin aug» ſchließendes Recht beſizen müßte. Oſt könnte aber cin anderer nachgeborner Prinz, der eben nicht der nächſte Erbe iſt, jene Fähigkeit in höherem Grade beſizen, und bie Geſchichte beweist, daß auch ganz neue Regenten gewöhnlich mit mehr Kraft und Talent regieren, als die Nachkommen eines durch langen Genuß des höchſten

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Glüks entnervten und verweichlichten Geſchlechts, wobey wir zwar der Meynung beyſtimmen, daß die geprieſenen kraftvollen und gľáfzenden Regierungen für die Völker nicht immer die glüklichſten ſind. Auch die Stetigkeit der Regierungs, Maximen iſt nicht allemal mit der Erh. lichkeit verbunden; ſie liegt mehr in den Umgebungen, ben Arbeitern und Gehülfen, die nur allmählig änderen, als in der Perſon des Landesherren ſelbſt. Vielmehr ſieht man oft, wie in Privat,-Familien, zwiſchen Vater und Sohn ganz entgegengeſezte Grundſäze und Geſinnungen, gewaltſame Sprünge vom Guten zum Schlechten und vom Schlechten wieder zum Guten; alldiemeil hinge⸗ gen in Republiken, ſogar bis zur ermüdenden Monotonie, alles ſtets im nemlichen Geleiſe fortgeht. Was die bey einer Thron⸗Vacanz zu beſorgenden Unruhen und inneren Kriege betrifft: ſo könnte man einwenden, theils daß ſich denſelben durch kluge Wahlformen vorbeugen laſſe, theils daß oft über die Erbfolge ſelbſt eben fo viele Streitigkei— ten und Kriege entſtanden ſind. Man hat zu allen Zeiten in Republiken mächtige Vorſteher, und in geiſtlichen Staa⸗ ten ſelbſt Fürſten gewählt, ohne daß deßwegen der Staat beunruhiget worden ſey. Aber da waren dann auch die Wählenden, die Wahlfähigen und die Wahlformen des ſezlich beſtimmt und allgemein anerkannt. In den ſoge⸗ nannten Wahlreichen hingegen (die alle aus urſprüngli— chen Erbreichen durch Mißbrauch hervorgegangen) ſind bie Unruhen und Kriege nicht wegen der Natnr einer

8) 3- ©. von der Irreligion zur Gottesfurcht, Verſchwendung zur Sparſamkeit, von der Kriegs⸗ zur Sriebensliebe, von der Neuerungsſucht zur adtuns des Herkoͤmmlichen und umge⸗ kebrt. |

mweyter Band, 9 h

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Wahl an und fúr ſich, ſondern vielmehr deßwegen ent⸗ ſtanden, weil dieſe Wahl ſelbſt eine Ungerechtigkeit, eine uſurpirte Anmaßung war, daher dann weder Formen noch Bedingungen beſtimmt ſeyn konnten, die Minorität ſich der Majorität nicht unterwarf, und einzelne Präten⸗ denten ſelbſt, die ſich auf eigenes Recht beriefen, an jene unbefugte Wahl ſich gar nicht gebunden glaubten, ſondern gegen die ſich ſelbſt aufdringenden Wähler einen rechtmäßigen Krieg führten. 9) Daf endlich bie Unter⸗ thanen, aus angewöhnter Ehrfurcht, lieber einem alten bekannten Fürſten⸗Geſchlecht als einem neuen gehorchen, iſt im Allgemeinen freylich richtig: aber bisweilen könn⸗ ten auch Gründe vorhanden ſeyn, entweder unter den Gliedern deſſelben den würdigſten zu wählen, oder gar von dem ganzen Geſchlecht abzugehen, wenn es durch eine Reihe von Fehlern und ſelbſt verſchuldeter Erniedri⸗ gungen, die Ehrfurcht verlohren hat. Sodann iſt zu be⸗ trachten, daß gerade durch die natürliche Erbfolge und die Heyrathen der Töchter, ſo wie durch alle anderen Veräußerungs⸗-Arten, die Unterthanen febr oft das Be. ſchlecht ihrer alten Herren mit einem neuen verwechſeln müßen, an welches ſie nicht gewöhnt ſeyn können, mit⸗ bin auch dieſer Vortheil der angewöhnten Ehrfurcht nicht immer durch die Erblichkeit erreicht wird. |

Mit ſolchen und ähnlichen Gründen läßt ſich alfo die Erblichkeit der Fürſtenthümer nicht rechtfertigen, daher ſie and von allen conſequenten Anhängern ded pſeudo⸗ pphiloſophiſchen Staats⸗Syſtems, als nach ihrer Voraus⸗

9 Hievon wird ſeiner Zeit im Abſchnitt von den militaͤriſchen GStaaten mehr geredet werden.

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ſezung ungereimt und widerſinnig vermovfen wird. X0) An⸗ dere übergehen in ihrem ſogenannten allgemeinen Staats⸗ recht die Frage von der Erblichkeit der Fürſten ganz, gerade als ob ſie gar keiner Betrachtung verdiente, oder aus innerem Gefühl daß ſie nach den angenommenen Prineipien nicht zu behaupten ſey, und noch andere ſuch⸗ ten ſie nur deßwegen mit jenen gebrechlichen Stüzen kümmerlich empor zu halten, weil ſie, als in Monar⸗ chien lebend, nach ihren perſonlichen Verhältniſſen nicht anders ſprechen durften, und entweder aus Ehrlichkeit die Conſequenzen nicht zu weit treiben wollten, oder aus Alugheit ihren aufgeſtellten Grundſäzen ſelbſt widerſpre⸗ chen mußten. Da wo die Erblichkeit exiſtirt, da beſteht file von natürlichen Rechtens wegen, meil die Fürſtliche Würde nicht auf einem anvertrauten Amt, ſondern auf eigenthümlichen Gütern und Beſizungen beruht, welche

von dem lezten Beſizer nothwendig auf ſeinen Erben über⸗

gehn. Wenn daher auch einige Nationen, oder vielmehr

io) Siedes 3. V. nannte fie ciu outrage a la liberté et ua

scandale pour la raison. Andere (potten, tie als men

man ECrbárite, Erb - Vrofeffoven u. ſ. W. machen wollte. Allein dať iſt eben der Unterſchied, daß der Arzt im Grund fremde, der Fuͤrſt in ber Regel nur eigene Sade tes

giert. Und koͤnnten Talente und Kenntniſſe veraͤußert werden

wie materielles Eigenthum, fo daß der Abtreter ſie binfort nicht mehr beſaͤße, ſie wuͤrden ebenfalls erblich ſeyn, ja man wuͤrde ſie oft theuer bezahlt baben. Warum dociren div Her⸗ ven hingegen nicht, daß es auch Wablbauren, Wabls Hausváter, und Landbeſizer, Wabl⸗Handelsber⸗ ven und Fabriken⸗Chefſs, Wabl⸗Buchbändler u. ſ. w. geben ſolle: (ie herrſchen doch auch uͤber viele Leute und koͤnnten collektiv von ihrem untergegebenen Volt gewabu werden.

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die Großen und Mächtigen einer Nation, wie z. B. die Schwediſchen Stände im Jahr 1544 zu Gunſten des Hauſes Waſa, und die Hungariſchen im Jahr 1682 zu Gunſten des Hauſes Oeſtreich, dieſe Erblichkeit wieder einzuführen ſchienen: ſo haben ſie dieſelbige eigentlich nicht eingeführt, ſondern vielmehr als die ordentliche Rechts⸗Regel anerkannt, ausgeſprochen und hergeſtellt, entweder weil ſie ſolches ohnedem, gegen die Beſizer der höchſten Gewalt, nicht mehr zu hinderen vermochten und daš Gegentheil gar nicht in ihrer Willkühr ſtand, oder

weil ſie ſchon vorher unter einem erblichen Patrimonial⸗

Staat gelebt hatten, und aus Ermüdung von Uſurpatio⸗ nen und inneren Kriegen gern wieder zu jenen natürli⸗ chen Verhältniſſen zurükkehrten, zu welchen ohnehin der Drang der Natur am Ende allemal hinführt.

Auf welchem Grund beruht aber die Erbfolge ſelbſt? Auf keinem anderen als auf dem Willen bed Erblaſ⸗ ſers, in ſo fern dieſer Wille förmlich ausgedrükt iſt und der Erblaſſer ſelbſt ein vollkommenes Dispoſitions⸗Recht hat. Derſelbe war befugt ſein Eigenthum zu ſchenken und konnte bey dieſer Schenkung jebe beliebige Vedin⸗ gung machen, mithin auch den Zeitpunkt feſtſezen, von welchem an ſie in Wirklichkeit übergehen ſolle. Solch ausgedrükten Willen pflegen wir ein Teſtament zu nen⸗

nen, und dieſe Erbs⸗-Einſezung iſt daher gang gewiß die

älteſte, die natürlichſte, urſprünglich die einzig denkbare. Die Teſtamente giengen in der Zeit und gehen noch im Recht den Inteſtat⸗Geſezen vor, als welche nur auf dem

praſumirten Willen ded Erblaſſers beruhen, 1) jene Únd-

11) Successio ab intestato est tacitum teslamentum €x volun⸗

á85

natürlichen, dieſe poſitiven Urſprungs. Oder müßen tie auch noch die Erbfolge und die Teſtirungs-Freyheit, ſelbſt für Privat. Perfonen, aus natürlichen Gründen rechtfertigen? Was man doch in unſeren Tagen nicht alles beweiſen muß, und wie man ſelbſt die gemeinſte Wahrheit nicht mehr als ausgemacht vorausſezen kann! Wenn Erbfolge und Teſtamente dem Naturrecht zuwider ſeyn ſollen, woher dann dieſe Allgemeinheit derſelben in allen Zeiten und allen Ländern? Wo nahmen die Bez ſezgeber das Befugniß ber, ſie einzuführen und den übri⸗ gen Nenſchen ihr angebliches Zugretfungg Necht abzu⸗ ſprechen? Warum gelten ſie dann unter Unabhängigen die an keine poſitiven Civil⸗Geſeze gebunden ſind? Da. raus allein hätte man ſchon erkennen ſollen, daß die Teſta⸗ mente natürlichen Urſprungs find. Mad dem bloßen Ma turrecht oder dem göttlichen Geſez, welches jedem das Seine zu laſſen gebietet, iſt jeder Menſch vollkommener Herr über ſein eigenthüm liches Vermögen, d. b. über dasjenige, was er entweder ſelbſt erworben bat, oder was ihm von anderen, ohne weiteren Vorbehalt, Sum vollen Eigenthum übergeben worden iſt. Er kann daſſelbe ge. brauchen und verbrauchen, in andere Gegenſtände um⸗

tatis conjectura. Mad welchen Grundſaͤzen dieſer Wille praͤ⸗

„ſumirt wird, wie man von jedem Menſchen vorausſezt, ce werde ſein Vermoͤgen denjenigen die ihm am liebſten geweſen, zuwenden, mitbin ben naͤchſten, in fo fern ſie gewoͤhnlich tie liebſten ſind; mie hierauf das Repraͤſentatiens⸗Recht und der Vorzug der ehelichen Kinder beruht, wie aber bey Ermang⸗ lung von Kindern die Praͤſumtion immer ſchwieriger und zwei⸗ felhafter wird und daber auch die Gewohnheiten und Inte⸗ ſtat⸗Gefeze der Voͤller mehr verſchieden find: daruͤber iſt die ſchoͤne und klare Deduction ven Grotius j. b. et, p. Lib. II ©. 7. aͤußerſt merkwuͤrdig.

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wandlen, veräußeren und verſchenken nad ſeinem Beliee ben: warum nicht auch durch leztwillige Verordnung verſchenken, und zwar nicht nur unbedingt, ſondern auch bedingt, nicht nur auf der Stelle, ſondern auf eine ge⸗ wiſſe Zeit und einen gewiſſen Fall, nicht blos unwider⸗ ruflich, ſondern auch mit möglichem Widerruf. Alles das find lediglich verſchiedene Aeußerungen ſeiner redte mäßigen Freyheit, er disponirt dabey nur über ſeine ei⸗ gene Sache, beleidiget niemand, nimmt viemanden das Seinige hinweg. Die Teſtamente ſind aber nichts anders als eine Verſchenkung, die erſt auf de Fall des Abßer⸗ bens in Wirklichkeit übergeht und vor demſelben zurük⸗ genommen werden kann, weil ſie dem Beſchenkten unbe⸗ kannt, von ihm noch nicht angenommen worden iſt 120 und jeder Menſch ſeinen Willen änderen kann, inſofern er dadurch niemanden beleidiget. Man wendet gegen dieſt Teſtirungs⸗Freyheit, oder wenigſtens gegen die jezt übli— de Form der Teſtamente cín, daß kein Menſch über das Seinige zu einer Zeit disponiren könne, wo er ſelbſt keine Rechte mehr bat, wo er ſeinen Willen nicht mehr vollzie⸗ hen kann, und daß die Teſtamente nur eine einſeitige Willens⸗Erklärung, nicht aber cin wirklicher Erb. oder Veräußerungs⸗Vertrag ſeyen, der VON dem anderen Theil angenommen worden iſt, und durch welchen ihm hiemit cin vollkommenes Recht erwächst. 13) Lauter Sophiſte⸗

12) alienatio s. donatie in mortis eventum , ante cam revoca- bilis, retento interim jure possidendi et frnendi, Grotius L. II. c. 6. 6. 14.

13) ud (don Pufendorť if dieſer Meynung, bie ee mit vies fen Subtilitáten unterftúzt und damit den Grotius zu wis derlegen trachtet. J. n. et g. L. V. c. 10. Aus ihrer ent⸗

AST

reeyen. Es bat noch keiner cin Teſtament nad ſeinem Tode gemacht, ſondern bey Lebzeit, wo er über ſein Gut disponiren konnte; von dem Augenblik aber, wo er dieſen Wiilen geäußert bat, und fo lang derſelbe nicht verän⸗ dert wird, entſteht für den eingeſezten Erben, oder ſür die Legatarien ein Recht, oder wenigſtens cine Hofnung, die ben dem Tod ded Teſtators in wirkliches Recht Úder. geht, welches ihm vo niemand entriſſen werden darf, zumal da man auch unbewußt Rechte haben kann, und von jedem Menſchen präſumirt wird, er werde einen ihm zugedachten Vortheil annehmen, ſo lang er nicht das Ge⸗ gentheil erklärt hat. Warum ſoll der Teſtator nicht ei⸗ nen Willen äußeren dürfen, deſſen Wirkung ſich auch über ſeinen Tod hinaus erſtrekt? Iſt das nicht faſt bey allen anderen Verträgen, Handlungen und Willens⸗Aeu—⸗ ßerungen der Menſchen der nemliche Fall? Gelten die Käaͤufe, Verkäufe und Täuſche, die Schuldverpflichtungen und Ehecontraete nicht and) über das Leben ihrer Ur⸗ heber hinaus, für ſie und ihre Erben, d. b. für alle bie. jenigen die in den Beſiz ihrer Güter und in daherige Verpflichtungen treten? Mit wem würde man ſonſt noch contrahiren können, wenn alle Verbindlichkeit nach dem Tod aufhören ſollte? Wird man keinen Baum mehr pflanzen dürfen, darum weil er auch nach dem Tod des Pflanzers zu wachſen fortfáhyt? Und daurt die Wirkung der Fürſtlichen und Privat⸗-Geſeze nicht auch über den Tod ihrer Urheber hinaus, zumal wenn andere dadurch cin Recht erhalten haben? Oder ſoll das cin Grund mi.

gegengeſezten Meynung iſt offenbar ber Streit der Juriſten entſtanden, ob die Teftamente natuͤrlichen oder poſitiven Ur⸗ ſorungs ſeyen.

Ass | ber die Teſtamente ſeyn, daß der Verſtorbene ſeinen ge⸗ äuſſerten Willen nicht mehr ſebſt vollziehen kann? Selt— ſame Lehre, beſonders von denjenigen, die ſonſt unauf—⸗ hörlich ſchreyen, daß das Recht und die Verbindlichkeit nicht von der Gewalt abhänge. So müßte man auch kein Depoſitum reſpektiren, keine Schuld mehr bezahlen, zu deren der Gläubiger ſelbſt nicht zwingen kann, keinen rechtmäßigen Willen eines Kranken, eines Abweſenden, eines Schwachen mehr befolgen, darum meil er ihn nicht ſelbſt zu vollziehen vermag. Iſt nicht gerade deßwegen die Verbindlichkeit von allen Völkern für deſto größer und heiliger gehalten worden, weil ihre Erfüllung der religio⸗ ſen Treu von anderen aufgelegt wird, und rührt nicht eben daher die verdiente Verachtung, welche auf alle die. jenigen fällt, die Teſtamente und andere lezte Dispoſitio⸗ nen der Verſtorbenen nicht reſpektiren? "49 Daf endlich bie Teſtamente nur einſeitige Willens⸗Erklärungen ſeyen, iſt gar nicht richtig; und wären ſie es auch, ſo müßten ſie dennoch gehandhabet werden, ſintemal auch cin ein. ſeitiger rechtmäßiger Wille vollzogen werden ſoll. Es iſt aber jedes Teſtament immer ein Vertrag, zumal es ja von den Erben oder Legatarien angenommen werden muß, und man niemanden Vortheile, viel weniger Beſchwerden wider ſeinen Willen aufdringen kann. Ob aber die Ein⸗ willigung des anderen Theils zu gleicher Zeit oder zu un— gleicher Zeit, bey Leben des Teſtators oder erſt nad (cie nem Tode erfolge, macht keinen Unterſchied in dem Be. ſen, ſondern nur in der Form des Erbvertrages aus, und

14) Wenn die Erbseinſezung durch Teſtamente unrechtmaͤlig ſeyn ſoll: fe muͤßten aus gleichem Grund auch bie geringficn Vergabungen und Geſchenke ebenfalls unrechtmaͤßig ſeyn.

A69 iſt an und fir ſich vollkommen gleichgültig. Fallen nicht auch Donationen und Inteſtat-Erbſchaͤten an Abwe—⸗ ſende, werden nicht oft Aemter und Ehrenſtellen, Titel und Orden entfernten Perſonen ertheilt, von denen ſie erſt lange nachher, bisweilen ſelbſt nach dem Tod der Geber angenommen werden, und überhaupt wird man wenig Verträge finden, wo die Einwilligung beyder Theile geradezu in dem nemlichen Augenblik erfolgte. Dieſes iſt auch gar nicht nothwendig; ſobald der Wille des einen fortdaurt und der Wille des anderen, es ſey früher oder ſpäter, hinzukömmt: ſo iſt die Uebereinſtimmung immer als gleichzeitig anzuſehen. Es würde gar nicht ſchwer ſeyn, allenfallý jedes Teſtament in die Form eines Erb. vertrags oder Bilateral⸗Contrakts einzukleiden; allein unſere jezige Form der Teſtamente, mo die Willens⸗Er⸗ klärung des einen dem anderen Theil bey Leben des er⸗ ſteren unbekannt bleibt, und erſt nach ſeinem Tode an⸗ genommen wird: iſt in jeder Rükſicht kürzer, pernünfti⸗ ger und beyden Theilen vortheilhafter; einerſeits dem Te⸗ ſtator, weil ex ſeinen Erben nicht immer in ber Nähbe hat, und weil er ſeinen Willen änderen kann, ohne ſich von dem früher Begünſtigten Haß und Feindſchaft zuzu⸗ ziehen, anderſeits vorzüglich dem eingeſezten Erben, weil es ihm möglich wird auch abweſend Vortheile zu erwer⸗ ben, und weil er den Vertrag nicht eher anzunehmen braucht als in dem Zeitpunkt, wo er mit Bicherheit beur⸗ theilen kann, ob ihm derſelbe vortheilhaft ſey oder nicht. 15)

15) Ueber die Gruͤnde warum ſtatt der ebemaligen foͤrmlichen und oͤffentlichen Erbvertraͤge, die ſogenannt einſeitigen, erſt nach dem Tode bekannt werdenden Seſtamente eingefuͤhrt worden ſ. Pufendorf j. n. et g. L. IV. C. X. 6, 6.

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Daher find auch bie Veftamente (o alt alg bie Welt, allgemcin und in allen Ländern üblich. Auf die Formen, welche nach Geſezen und Gewohnheiten verſchieden ſeyn können, kömmt es gar nicht an, und die ſchöne Erbsein⸗ ſazung Jakobs von ſeinem Vater Iſaak 16) oder die Ver⸗ ordnung Davids zu Gunſten von Salomo 17) iſt fo gut ein Teſtament, als eines das nad) Römiſchen Formen ab⸗ gefaßt iſt. Keine menſchlichen Geſeze haben je das Recht der Teſtirung eingeführt, denn es exiſtirte ſchon vorher durch die natürliche Freyheit; ſondern ſie haben blos die Formen ſeiner Ausübung vorgeſchrieben, d. h. zu Behin⸗ derung möglichen Mißbrauchs, gewiſſe Kennzeichen feſt⸗ geſezt, an denen der Richter ein reelles Teſtament, einen wahren lezten Willen erkennen, und von einem falſchen, erſchlichenen oder unterſchobenen ſoll unterſcheiden koönnen. Ob daher die Teſtamente mundlich oder ſchriftlich, eigen⸗ händig oder von geſchwornen Schreibern abgefaßt ſeyn dürfen, ob ſie mit zwey, drey oder ſieben Zeugen veľa ſehen, öffentlich oder verborgen, bey gerichtlichen Behör⸗ den deponirt oder nicht deponirt werden müſſen u. ſ. w. das alles ziſt blos willkührlich, poſitiv und an und fúr ſich gleichgültig. Allzuviele Formen oder die ausſchließende Geſtattung von einzelnen, find jedoch auch hier ſchädlich, indem ſie vielen die Husúbung des natürlichen Befugniſ⸗ ſes unmöglich machen, und die Mißbräuche, welche ſie veranlaſſen, viel größer und häufiger find als die ſo da. durch verhindert werden. Andere poſitive Civil⸗Geſeze find freylich noch weiter gegangen; ſie haben wegen ein⸗ zelnen äußerſt ſeltenen Mißbräuchen, Uebereilungen oder

16) 1 S. Moj. XXVII, 29. 12) 1 Koͤn. 1, 29. $.

481 Liebloſigkeiten, bie Teſtirungs⸗Freyheit ſelbſt Be chránit, fie willkührlich in bie Sdranten fogenannter Billigkeit eingezielt, bald ben Vätern verboten Úber mehr als einen beſtimmten Theil ihres Vermögens zu Gunſten von Frem⸗ den oder von einzelnen Kindern zu diſponiren, bald den Teſtatoren unterſagt, ihren Erben gewiſſe Bedingungen der bloßen Nuznießung und weiteren Ueberlieferung zu machen, wenn auch dieſelben gern angenommen werden ſollten u. ſ, m. 75 Allein von ſolcher Beſchränkung, die dem reinen natürlichen Recht widerſtreitet, läßt fh allemal der Zeitpunkt ihres Urſprungs angeben; ſie hat nicht immer beſtanden, fie iſt nicht allgemein und noch viel weniger nöthig. Je weiter man in der Geſchichte zurükgeht, je näher die Völker ben der Einfalt der Natur geblieben und weniger durch falſche Doctrinen verdorben worden find, deſto unbeſchränkter ſindet man die Teftie rungs-Freyheit. 19) Sie exiſtirt noch heut zu Tag in

19) Verbot von Subſtitutionen, Majoraten, Sidel- Commiffcn u. ſ. w. Man hat in neueren Zeiten nur deßwegen gegen dieſe ſchoͤ⸗ nen und religioſen Inſtitute deklamirt, um alles in revolutios naͤre Freyheit und Gleichbeit zu zerſtreuen, bie begúterten Samilicn zu Grund zu richten und alles gleih ſchwach ju machen.

19) Uti paterfamilias super familia, pecuniave rei sus legas- set, ita jus esto. L.I, XII. tab. L.I. €. ff. de hered. instit.

disponat testator et erit lex. Novell 24. Cap, 3.

de libero homine ut potestatem habeat res snas dare "bicnngue voluerit. Balus L. IV. Cap. c. 19. f, Montag Geſch. ber D. ſtaatsbuͤrgerlichen Hrevbcit I, 542.

Nad dem Coutumier von Moudon (in der Waadt) 1359 mufte čin Water ſeinem Sohn nicht mebe geben al cin Brod mit einem weißen Stab. Muͤl ler Schweizer⸗Geſchichte II. ©. 365.

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Mebreren Ländern, beſonders im ehmals Brittiſchen Ame⸗ rika, und in England ſelbſt, worin ich nebenher eine der wefſentlichſten Urſachen ſeines Reichthums finde , weil man dort nicht jeden Augenblik das mühſam erworbne wieder zerſplittert, eben dadurch große Unternehmungen möglich macht, und mit größeren Capitalien auch größere Wir⸗ kungen hervorgebracht werden können. Das unbeſchränkte Diſpoſitions⸗Recht, welches noch tn den meiſten Ländern ben kinderloſen Eigenthümern gelaſſen wird, die Erthei⸗ lung von Prärogativen und Legaten, welche ſelbſt den Vätern, unter Vorbehalt des geſezlichen Kindtheils, (Le⸗ gitima) geſtattet bleibt, die mögliche Enterbung ſelbſt, welche nicht ganz unterſagt, ſondern nur auf gewiſſe bes ſtimmte Fälle eingeſchränkt iſt: alles das ſind noch Spu⸗ ren und Ueberbleibſel der urſprünglichen vollen Teſtirungs⸗ Freyheit. Ob aber dieſe Beſchränkungen nothwendig, oder gut und nüzlich ſeyen, dürfte nach meiner Meynung ſehr bezweifelt werden, wie dann genau genommen nie etwas gut iſt, was der natürlichen Gerechtigkeit widerſtreitet. Vorerſt ſind ſie ſtets leicht zu umgehen, indem es tauſend andere, durch kein Geſez zu verhindernde, Mittel und For⸗ men giebt, ſein Vermögen entweder bey Lebzeit oder auch nach dem Tod irgend jemand zuzuwenden; und wenn man die einfache natürliche Form verbietet, ſo werden dadurch nur alle verſtekten und unrechtmäßigen begünſti⸗ get, Betrug und Immoralität zum Intereſſe gemacht. Sodann veranlaſſen jene Beſchränkungen ſtets eine Menge von Schwierigkeiten und koſtbaren Weitläufigkeiten, weil man z. B. um den geſezlichen Kindstheil zu beſtimmen, das ganze Vermögen inventoriſiren und alles nach einem willkührlichen Maßſtab in Geld anſchlagen muß, über welches dann gerade zwiſchen den Erben Streit und Zank

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entítebt , da hingegen der Bater ſein Haus vieľ einfacher beſtellen, und ſein Vermögen zu allſeitiger Zufriedenheit unter ſeine Kinder vertheilen könnte. Billigkeitspflichten dürfen überhaupt nicht zwangsweiſe vorgeſchrieben wer⸗ den, und die Natur hat bereits den Eltern eine ſolche Liebe gegen ihre Kinder eingepflanzt, daß die fremden Geſezmacher es ihnen hierin nicht müſſen zuvorthun wol⸗ len. Niemand verſteht beſſer als der Vater ſelbſt, was das Beſte ſeines Hauſes iſt, welches von ſeinen Kindern am meiſten Begünſtigung verdient; und oft wäre z. B. einem Verſchwender, einem Bloödſinnigen, Kränkelnden, einem Offizier, einem Gelehrten u. ſ. w. mit einer fähr⸗ lichen Penſion viel beſſer geholfen, als mit einem Capi⸗ tal, das er nicht zu verwalten, nicht zu ſichern vermag, oder in wenigen Monaten wieder verzehrt hat, und da⸗ durch an den Bettelſtab gebracht wird. Mag es auch ein⸗ zelne äußerſt ſeltene Mißbräuche von übereilten, leiden⸗ ſchaftlichen, liebloſen Vätern geben: fo ſind die Miß⸗ bräuche von undankbaren, ungehorſamen, pflichtvergeßnen Súhnen, die des Vaters graue Haare beſchimpfen, ihn in Noth und Krankheit verlaſſen, noch viel größer und ärgerlicher. Es iſt der Ordnung der Natur angemeſſener, daß die Kinder von ihren Eltern, als daß die Eltern von ihren Kindern abhängen: und menu ber Mißbrauch mit eigener Sade nie gang vermieden werden kann, fo iſt es beſſer, er werde von demjenigen begangen, dem fe ge⸗ hört, als von demjenigen, dem ſie nicht gehört. Zulezt was iſt dann für ein großes Unglük dabey, wenn irgend ein Kind von ſeinen Eltern weniger als ein anderes, oder bisweilen außer der Erziehung, kein anderes Erb erhält, oder wenn ihm durch Bedingungen der Nuznie⸗ pung bie Oekonomie zur Pflicht gemacht, der Thorheit

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und der Verſchwendung cin Damm exntgegengefest wird. Ich wenigſtens kann darin keine Ungerechtigkeit (eben. Oder haben dann die Kinder oder Verwandten ein abſo⸗ lutes Recht auf ewas was nicht das Ihrige iſt, was ſie nicht mit ſich auf die Welt gebracht, nicht erworben ha⸗ ben, und was ihnen noch nicht gegeben worden iſt? Ihr Recht beruht auf dem ausgedrükten, odber in deſſen Er. manglung auf dem präſumirten Willen des Vaters, und weiter haben ſie keines: 20) font würden die Väter un⸗ ter die Vormundſchaft ihrer Kinder geſezt, auch bey Leb⸗ zeit fiber keinen Pfenning des Capitals oder der Ein—⸗ künfte mehr frey diſponiren dürfen, und man könnte von keinem Menſchen mehr ſagen, daß ce Eigenthümer ſeines Vermoͤgens fe, Sm Gegentheil, von allen Wirkungen des Eigenthums, von allen Aeußerungen menſchlicher Frey⸗ heit, ſcheint mir die der unbeſchränkten Teſtirung eine der ſchönſten, der tröſtlichſten, der für Moralität und Wohlſtand der Volker nüzlichſten zu ſeyn. Sie ermun⸗ tert Fleiß und Sparſamkeit, meil man auch Herr Úder ſein Vermögen iſt, und es ſeinen Liebſten zuwenden, für fortdaurend gute Zmefe gebrauchen kann; ſie allein giebt der Erwerbung ihren wahren Reiz, zumal für edle Ge⸗ müther, die ben Reichthum als eine Kraft zum Guten

betrachten und mehr an die Nachkommen als an egoiſti⸗ ſchen Selbſtgenuß denken; ohne ſie wären keine gemein⸗ nüzige Anſtalten für Kirchen und Schulen, für Kranke und Arme entſtanden. Sie iſt die einzige Macht ber Greife und des hülfloſen Alters, um ſelbſt ihre nächſten Umge⸗

a60) Auch Grotius deducirt dieſes ſehr ſcharfſinnig, und nennt ſelbſt die ſtandesmaͤßige Nabrung nur ein ofácium morale, guod nisi inhoneste omitti non potett.

495 bungen zu Erfüllung gemeiner Rechts⸗ und Liebespflich⸗ ten zu intereſſiren, Tugenden zu belohnen, Liebe mit Ge⸗ genliebe zu erwiedern, und ſelbſt nach ihrem Tode Gutes zu wirken. Sie knüpfet die Bande der Bluts-Freund⸗ ſchaft, hält die Familien bey einander, und iſt der Troſt derjenigen, die der Himmel nicht mit eigenen Kindern geſegnet, oder denen er ſie wieder entriſſen hat. Und wollet Ihr wieder einen wahren natürlichen Adel, d. b. eine Claſſe von angeſehenen und mächtigen Perſonen bil. den, die, im Vaterlande bleibend und eingewurzelt, die Pflegeväter und Beſchüzer ded übrigen Volks ſeyen, wol⸗ let Ihr die geſellige Moral herſtellen und beleben, den Segen der Tugend und 007 erworbnen Guts auf cine Reihe von Generationen fortpflansen, endlich den Wohl⸗ ſtand der Länder gründen, das Aufblühen aller großen Induſtrial⸗Unternehmungen und wohlthätigen Stiftungen befördern, mit einem Wort das Zerſtörte wieder aufbauen: ſo müſſet Ihr den Menſchen das volle Recht der Teſtirung laſſen.

Dem ſey indeſſen mie ib wolle: es mag bie Teſti, rungs⸗Freyheit der Privat⸗Perſonen wohl eder übel ein⸗ gezielt worden ſeyn: ſo iſt ſie wenigſtens bey den Fürſten, als unter keinem höheren Zwange ſtehend, unbeſchränkt geblieben. Kraft dieſer vollkommenen Freyheit ſind ſie nicht nur befugt, alle Verhältniſſe zu ordnen, die ſonſt unter Privat⸗Perſonen durch Verträge, Gewohnheiten und bisweilen auch durch Geſeze geordnet werden, 4. B. die Jahrs⸗Gehalte ihrer Wittwen, die Appanages der übrigen Kinder, oder die Mitgift der Töchter zu beſtim⸗ men, zu ihren Heyrathen, bey Straf der Erbloſig⸗ keit, ihre Einwilligung zu ertheilen, Legate und Ge⸗

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ſchenke zu marben, obne Rükſicht auf irgend ein aritbmés tiſches Verháltniý mit der Maſſe ded Vermögens; Bore münder fúr minderjährige Erben 44 beſtellen, die Epoche der Majorennität, d. b. der Freylaſſung oder Beſizneh⸗ mung feſtzuſezen u. ſ. w.: ſondern auch ihren Nachfol— ger oder Univerſal-Erben nad frenem Wil⸗ len zu ernennen, und ihm dazu beliebige Be— dingungen vorzuſchreiben, wofern ſie nemlich ſelbſt durch keine früheren Verträge gebunden, urſprüngliche Erwerber oder wenigſtens ganz freye Beſizer ſind. Da⸗ her ſehen wir auch in der ganzen Geſchichte, daß dieſes Recht in den älteſten Zeiten unbeſtrittener Weiſe von den Königen und Fürſten ausgeübt, und beſonders im Orient nicht immer der Aelteſte, ſondern der Liebſte unter den Söhnen gewählt wurde, cd (cy, daß ſie von gleicher Mut⸗ ter obeť von verſchiedenen Müttern geboren waren. 27) Iſaak machte den Jakob, 22) Jakob den Juda zu ſeinem Univerſal⸗Erben, 23) obgleich beyde nicht die Erſtgebor⸗ nen waren. David enterbt den Adonija und ernennt den Salomo zu ſeinem Nachfolger, 22) Rehabeam ſezt den Abia, den Sohn Maccha (der liebſten unter allen ſeinen Frauen) zum Haupt und Fürſten unter ſeinen Brü⸗

21) Hebræorum reges in designando successore liberrime ege- runt, Grotius,

22) z ©. Moſ. XXVII, 29.

23) 1 B. Moſ. XLIX, 8. Juda, bu biſts, dich werden deine Brúder loben 3e. J

24) 1 Koͤn. I, 29. Weil aber dieſes eine Abweichung von der ge⸗ woͤhnlichen Regel der Erſtgeburt war, ſo wurden auch ſchon viel mehrere Formalitaͤten fuͤr die Bekanntmachung die ſes Willens erfobert, als oͤffentliche Vorſtellung, prie⸗ ſterliche Salbung, Ausrufung unter Poſaunenſchall 36,

AST

dern. 25) Auch in der alten Perſiſchen und Mediſchen Geſchichte findet man mehrere dergleichen Beyſpiele. In China erwählt der Kayſer, noch heut zu Tag, unter ſei⸗ nen Kindern denjenigen zum Nachfolger, den er will, cin Recht, deſſen ſich der berühmte Rana-fi noch im 18ten Jahrhundert bediente: und findet er unter den Prinzen ſeines Hauſes keinen, der ihm würdig oder fähig ſcheint, ſo ſteht ihm frey ſeine Wahl ſogar auf Unter⸗ thanen zu lenken. 261 Der König von Tonquin übt es ebenfalls aus, und matt vermuthete (1814) ſogar, daß er ben Sohn einer Beyſchläferin ſeinem Sohns-Sohn vor⸗ ziehen wolle. 27) Auch in Europa beſtand vor Alters häu⸗ (1 die nemliche Uebung 28) und Peter I. von Rußland hat dieſes urſprüngliche Befugniß hergeſtellt und durch ein Geſez vorgeſchrieben, daß jeder Zaar die Krone hin⸗ terlaſſen köͤnne wem ex wolle. Man hat Beyſpiele in

35) 2 CEbron. XI, 23.

26) o Real Staatstunft T. I, 466.

47) Ami de la religion et du Roí. 1815. T. 5. No. 108. p. 52. Precis des Nouvelles des Missione de Sut - chum, du Ton- guin etc.

28) Lamlertus Schaffnaburgensis melbet ung Mo. 1071 von den Grafen 31 Slandern: in Comitatu Ralduwini ejusgue familia id multis jam seculis servabatur, guasi sancitum lege

perpetua, ut unus filiorum, qui patri potissimum placu- isseť , romen patris acciperet, et totius Flandris princi- patum solus hereditaria successione obtineret etc. Mud

" ven Deftrejch, Braudenbura, Koͤnigsegg sc. melbet Moſer in feinem D. Staats-Recht T. XII. p. 3608—369. dbnlicne Beyſpiele, und noch vermôge ded Mo. 1664 dem Hauſe Fuͤr⸗ fenberg ertheilten Fuͤrſtenbriefs, mar ein Vater befugt 115 ter ſeinen Kindern eines herauszuwaͤblen, und ſelbigem die Guecceſſion zuzuwenden.

Zivepter Vand. si

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mebreren Staaten, daß meni feine ehelichen Kinder vôd» handen waren, ſelbſt außer ber Eh erzeugte 2>) und adop⸗ tirte Súbne durch das Teſtament bed Vaters zur Krone gelangten. Und noch in unſeren Tagen hatte ſich der un⸗ längſt entthronte Beherrſcher von Frankreich, den man als einen neuen Erwerber betrachten konnte, das Recht vorbehalten, ſeinen Nachfolger, ſelbſt unter adoptirten Sohnen, auszuwählen, wo dann erſt unter derſelben Söh⸗ nen die Primogenitur in mannlicher Linie gelten ſollte.

Gleichwie nun der vollkommen freye VBatrimonial. Fürſt den Erben ſeiner Macht und ſeiner eigenthümlichen Beſizungen nach Gefallen einſezen fann: fo ſteht es auch an ihm zu entſcheiden, ob ce dieſelben einem al. lein zuwenden, oder aber unter mehrere +, V, unter Söhne und Tochter, oder unter die Súbne allein vertheilen wolle. Auch liefert die ganze Geſchichte bôufige Beyſpiele von beydem. Die Untheilbarkeit iſt freylich, wie wir bald zeigen werden, die gewöhnliche Re⸗ gel, und eine Gleich⸗Theilung zwiſchen Söhnen und Töch⸗ tern noch viel weniger üblich, aber beydes doch nicht ohne mannigfaltige Ausnahmen. Unter ben älteſten Griechi⸗ (den Königen vor Entſtehung der Republiken, war bie Theilung febr gewöhnlich, daher auch dort fo viele kleine Herrſchaften entſtuhnden. Unter den Ptolomäern, den Nachfolgern Alexanders des Großen, ward ten

29) Perſius Phbilippi V. in Macedonien natuͤrlicher Sobhn a. a. C. 178. Ptolomeus Auletes a. C. 65. Moloſſus in Evi⸗ vg, Jugurtóa in Numidien. Ferdinand I. von Neapel, Koͤ⸗ nia Alphons von Arragonien natuͤrlicher Sobn. Mo. 1455. ©. Guicciardini L. V. Spittler Eurep. Staaten ⸗Seſchichto II, 122.

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ſtets unter mebrere Söhne getheilt. Die Theilung ded Römiſchen Reichs unter den Söhnen Gonftanting ded Großen im J. 338 ift allgemeín bekannt. Auch die Súdne

bed Attila tbeilten (cin Reich nad) gleichen Bortioneny >

wie Jornandes de rebus Gothicis meldet. Die Brie. dife Kayſerin Frene, des Andronikus Paläologus Gemahlin, ſezte in ihrem Teſtament ausdrüklich feſt, daß das ganze Reich, ohne Unterſchied des Geſchlechts, un⸗ ter ihre natürlichen Erben und ſo auch in der Folge gleich einem Privat⸗Gut immerfort getheilt werden ſolle, wel⸗ ches aber freylich nicht gehalten worden iſt. Baſilius LI. und Conſtantinus 11. verordneten im J. 970 ebenfalls Theilungen des Griechiſchen Neichá. Walamir, Kö⸗ nig der Oſt⸗Gothen, theilte das pannoniſche Reich unter ſeine drey Söhne, 34) Gundioch, König der Burgun⸗ dionen das ſeinige unter vier Söhne, 3!) woher auch fo viele Kriege zwiſchen ihnen entſtanden. Unter ˖den älte⸗ ſten Fränkiſchen Königen aus dem Haufe der Vies rovinger, war dieſe Theilung, doch nur unter den Söh⸗ nen, ebenfalls üblich. Nach Chlodwig, dem Stifter der Monarchie, der Aus11 ſtarb, wurde bas Reich, obſchon es erobert war, unter ſeine vier Söhne vertheilt, und erſt von Chlotar 1. wieder vereinigt. Chlotar III. vergabete zwar Y? 628 faſt die ganze Fränkiſche Monarchie ſeinem Glteken Sohn Dagobert I., aber deſſen Söhne zerſtükel⸗ ten dieſelbe ſchon wieder. Carl der Große theilte ſein unermeßliches, meiſt durch Eroberungen erhaltenes Reich, unter drey Söhne, dod ſollten Krieg und Frieden ſtets

30) vor No. 455. ſ. Hurter Geſchichte Tbeoderichs I. ©. 79. 31) Hilperid), Godegiſel, Gondebald und Godemar. [ v. Ruͤller Schweizer⸗Geſch. T. I.

500 I

von dem Aelteſten abhangen, die jüngeren ibn jährlich mit Geſchenken verehren und obne felne Bewilligung nicht beyratýcn dlvfen, 33) Unter ſeinen Sohns⸗Söhnen gien⸗ gen weitere Theilungen vor, die Länder wurden wie in Privat⸗Familien nad der natürlichen Erbfolge bald ge⸗ treunt bald wieder vereinigt. 33) Sn Spanien fare den im 41ten und 12ten Jahrhundert mehrere Theilun⸗ gen ſtatt, 34) und das nemliche war auch in Dänne⸗ marí der ďal, 35) Rußland ward ſchon unter dem Zaar Swaloslaw unter drey Söhne und im Jahr 1015 von Wladimir unter ſeine vielen Söhne getheilt. Sn

Polen wollte Herzog Boleslaus III. im Jahr 1138 ſein Land ſo theilen, daß Krakau ſtets dem älteſten Sohn ge⸗ hören, und dieſer über alle übrigen cin Supremat⸗ Necht ausüben ſollte; allein weil die Begriffe daran noch nicht gewöhnt waren, oder weil jene Suprematie mißbraucht wurde, entſtanden die größten Unruhen daraus. 26) Bey ben älteſten Deutſchen Königen, welche bekannter⸗ maßen aus einem Theil der Fränkiſchen Monarchie her⸗ vorgegangen, waren die Theilungen ebenfalls üblich, und

pur unter Otto dem Großen im Jahr 936 findet man daš

—rr ——

32) v. Muͤller Schweizer⸗Geſch. 1, 210. und Charta divis Lu- dov. Pp 4— 15. 33) Mo. 814. Theilung ven Ludwig dem Frommen. 33 843. Theilungs⸗Vertrag von Verdun. » 855. Lothar, Zbejlung des Lotbrína. Reichs. v * Wiedervereinigung unter Carl dem Diten. 34) ©. Real Staatskunſt I, 459. ff. tvo uͤberbaupt ſebr viele Beyſpiele von Tbellungen angefuͤhrt find.

35) v. Martens Čurop. Gtaatý Nedt ©. 31. 36) ©, Spittler Europ. Staaten⸗Geſchichte.

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eríte Beyſpiel, daß er als älteſter Sohn Heinrichs I. aus⸗ ſchließend der jüngeren Brüder, ſeinem Vater im Reiche gefolget iſt, welches aber, mie Puͤtter richtig bemerkt, nur aug einer Art von allmähligem Herkommen geſchah, weil man ſeit vier Regierungen gewöhnt war, das deutſche Koönigreich nur unter einem Haupte su ſehen. 37 Die Beſizungen des Hauſes Oeſtreich wurden mehrmals ge⸗ theilt, wovon wir nur das bekannte Beyſpiel von den Söhnen Carls V. anführen wollen. Unter den großen Vaſallen oder Beamten, aus welchen in der Folge die beynahe unabhängigen Reichs⸗VFürſten entſtanden ſind, waren die Theilungen eine Zeit lang, wegen dem Ein⸗

dringen des Römiſchen Rechts, ſogar die allgemeine Re⸗

gel: und wie wir bald ſehen werden, iſt es noch gar nicht lange, daß mehrere Fürſtliche Häuſer in Deutſchland die Untheilbarkeit ihrer Beſizungen, und mit derſelben da€ Recht der Erſtgeburt eingeführt haben.

Inzwiſchen fo häufig dieſe Beyſpiele find, und fo viele ihnen noch beygefügt werden könnten: ſo war doch nach

der ganzen Geſchichte die Untheil barkeit der Reiche ſtet die gewöhnliche Regel, nicht meil die Völker es ſo gewollt haben, 38) noch meil es ſtets zu ihrem Vortheil gereicht, (denn oft könnte das Gegentheil ſtatt finden) ſondern weil die Fürſtlichen Häuſer ſelbſt dabey ihre Convenienz fanden, um nemlich die ſchönen Beſizun⸗

.

gen nicht zu st ſondern die Macht und bie da⸗

37) pite Entwiklung der. Staats · Verlatung des D. Reichs

„IT. p. zit.

48) tie Zohmer j. p. m. s 643- Sidned, Montes quien u. ar m. ſtatuiren.

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mit verbundene Unabhängigkeit, wenigſtens auf cinem Zweig ihres Geſchlechts, beyſammen zu erbalten, Die Theilungen waren nur Ausnahmen von der allgemeinen Uebung, und ſelbſt da, wo ſie ſtatt fanden, zogen ſie ſo viele Inconveniente nach ſich, es entſtanden daraus fo viele Brüderzwiſte und Kriege, das Reich ward da⸗ durch ſo ſehr geſchwächt, innerlich von ſeinen eignen Kin⸗ dern aufgerieben, oder der Beute des erſten Eroberers preisgegeben: daß um dieſe Nachtheile zu verhüten, die klügeren Fürſten nach und nach überall genöthiget wa⸗ ren, die Untheilbarkeit einzuführen, d. h. ihre Beſizungen nur AK einen einzigen Erben abzutreten, und ſolch uno getheilte Wiederabtretung auch dieſem lezteren zur Pflicht zu machen. Daher find heut zu Tag faſt alle Fürſten⸗ thümer Fidei-Commiſſe geworden, d. b. ſie find nicht mehr, wie urſprünglich, das vollkommene Eigenthum ib« ver Beßzer, ſondern denfelben von ihren Vorfahren tia er der Bedingung anvertraut, dať ſie dieſelben wohl lebenslaͤnglich nuznießen, aber nicht veräußeren noch ver⸗ theilen, ſondern nad der von dem Teſtator feſtgeſezten Succeſſions⸗Ordunng, wieder an einen einzigen Erben überliefern ſollen, gleichwie ſolches auch ben Privat⸗Gü—⸗ uern durch Subſtitutionen, Majorate und Fidei⸗Commiſſe häußg zu geſchehen pflegt.

er ſzll aber den Borzug haben, menn nur ein einziger erben kann? Es ſpringt in die Augen, daß, ſobald durch irgend ein Teſtament oder Haus⸗ geſez die Untheilbarkeit des Fürſtenthums eingeführt wor⸗ den, natürlicher und ordentlicher Weiſe bad Necht der Erſtgeburt gilt, welches daher ſtets zugleich mit der erſteren aufgekommen, und nicht ſowohl ein Recht des

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Erſtgebornen, als das Recht, d. b. das Befej oder die Ucbung ber Váter iſt, den erſtgebornen Sohn 31 ihrem Nachfolger einzuſezen. Die uralte und beynah allgemeine Herrſchaft der Untheilbarkeit und des damit verbundenen Rechts der Erſtgeburt, lüßt aber ſchon zum voraus ver⸗ muthen, daß ſie ihre Veranlaſſung tief in der Natur ded Menſchen und der Dinge haben müſſe, und die Gründe dieſer Gewohnheit laſſen ſich bey dem geringſten Nach⸗ denken leicht auffinden. Vorerſt liegt ſchon ein unaus⸗ tilgbarer conſervatoriſcher Hang in dem menſchlichen Ben müth, von de einmal errungenen höheren Glüt nicht mehr herabzuſinken, das erworbene möglichſt beyſammen zu erhalten, und das mit dem Reichthum verbundene Anſehen wenigſtens auf einem Theile ſeines Geſchlechts ungeſchwächt fortzupflanzen. Dafür if aber kein anderes Mittel als den Theilungen vorzubengen, einem allein, und in dieſem Fall am billigſten dem Erſtgebornen, die BANKE Succeſſion ded Vaters zuzuwenden, oder ihm we⸗ vigſtens große Vorzüge zu ertheilen. 322) Zum anderen

39) „Denn, wie es alle Primogenitur⸗Diſpoſitionen „beſagen, deſtehet bie causa finalis der Einfuüͤhruug des „Primog enitur⸗Rechté einig und allein darinn, daß die. Fa⸗ „.milie dadurch im Flor und die Lande ſamt ihren Kraͤften beyſammen erhalten werden, keineswegs aber iſt cin beſon⸗ „derer Privat⸗ Favor des Erfigebornen fuͤr ſeinen uͤbrigen „Bruͤdern der Zwek dapon.“ Moſer D. Staatsrecht T. XII. ©, 365. Die Verbalien der Fuͤrſtlichen Succeſſions⸗ Verordnungen und Primogenitur⸗Diſpoſitionen find hieruͤber aͤußerſt merkwuͤrdig. So. druͤkte ſich z. B. Herzog Cberbard von Wuͤrtemberg in ſeinem ſchoͤnen Teſtament von 1664. Art. $. folgendermaßen aus: „Sintemalen auch Ihro Fuͤrſtl. Durchl. se m genauern und tiefern Nachſinnen und trefflicher Berath⸗ sa iblagung. befunden, daß bie Trennungen, Abſchied und Zer⸗

U

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kömmt die Schwierigkeit, bisweilen ſogar die phyſiſche Unmöglichkeit der Theilung unbeweglicher Güter hinzu. Grundſtüke und große Induſtrial⸗AUnſtalten laſſen fh, ihrer Natur nach, ſchlechterdings nicht immer verſtükeln, ihre Gemeinſchaft iſt eine Mutter alles Zankes, und die Veräußerung derſelben bat etwas Herzzerreißendes, in⸗ dem fie alle Erinnerungen des freundlichen Familien⸗ Verbandes auslöſcht, alle Bande auflösſt, die nächſten Verwandten eitzander fremde macht. Dabey iſt ſie der Freyheit und dem Anſechen ded ganzen Geſchlechts nach⸗ theilig, und es ſindet ſich ſelbſt zu dem Verkauf nicht immer Gelegenheit. Ueberlaſſung der Güter an eines der Kinder und Ausgleichung der übrigen mit baarem Geld, iſt bey dem Mangel des lezteren nicht immer mög⸗ lich, ſie bat das für den Beſizer unerträgliche Inkon⸗ venient, das Gut mit erdrükenden Schulden zu belaſten,

„gliederungen, dem Herzogthum ſebr verkleinerlich und »disreputirlich, und dafern inskuͤnftig cin jeder primo- ss GeRItus ſeine nachgeborne Bruͤder dergeſtalten mit incorporiťs s ten Herrſchaften, Staͤdten und Aemtern appanagiren und »abfertigen ſolſte, endlich die kuͤnftigen Succeſſoren im Nes „giment Herzogen ohne Herzogthum werden muͤßten, ſolchem⸗ „nach ſezen und ordnen Ihro Fuͤrſtl. Durchl., daß fuͤr aus s Dero Fuͤrſtenthum und Lande, ſamt allen Graf⸗Herrſchaf⸗ vten, Staͤdten, Aemtern und anderen juribus et bomis do- s„ manialibus, fo bereits Dero Fuͤrſtl. KRammer geiſt⸗ und welt⸗ s lidjen Guͤthern und getreuer gehorſamſter Landſchaft einver⸗ leibt oder inskuͤnftige acquirirt oder ſonſten wieder zuruͤkfal⸗ „len und der Landſchaft incorporirt werden moͤchten, als ein tinig wohlbeſtelltes Corpus, in ſeinen vollkommenen Wuͤrden „gaͤnzlich und gay ohnerbrochen, beyeinander ſtehen und wohlverpfleglich verbleiben ſollen, alfo daß ꝛe.“ ©. von Moſer Beytraͤge zu be Staats⸗ und Stene T. II. ©. 739.

505 bie bey dem geringſten Unfall oder bey einer zweyten

Theilung ſeinen ſichern Ruin herbeyführen, und dann wird dazu, gleichwie zu jeder Real⸗Theilung, immer

noch ein neuer Vertrag erfordert, über deſſen Bedingun⸗

gen die theilenden Erben leicht unter einander in Streit

und Zank gerathen könnten, zumal ſie ſich gewöhnlich mehr über Kleinigkeiten als über wichtige Dinge, mehr über die proportionelle Gleichheit der Theilung, als über bie Theilung ſelbſt entzweyen. 40) Was tar alſo

natürlicher, auf welche Idee mußten die Menſchen zuerſt verfallen, als daß der erſtgeborne Sohn, derjenige

welcher dem Vater am nächſten und gewöhnlich am

liebſten iſt, der älteſte im Nange ſeiner Kinder, der das Haupt und die Stüze der übrigen ſeyn kann, auch

des Vaters Nachfolger werde, in Beſiz und Macht, in Rechten und Verpflichtungen an ſeine Stelle trete.

So hat das Haus immer einen Vater, es wird das

40) Wir bedenken nicht, welch ein ſchwieriger und kuͤnſtlicher Ver⸗

trag cine unſerer Erbtbeilungen if: wie da alles big auf bie. geringſten Kleiniakeiten aufgeſchrieben, in Geld angeſchlagen,

zur genauen Rechnung gebracht werden muß: Wie unmoͤg⸗ lich, wie willkuͤhrlich ſind oft ſolche Schaͤzungen? Wie vie⸗ les muß da nicht dem Loos oder fremden Perſonen einge⸗ raͤumt werden, was unſere Geſeze den Vaͤtern nicht anver⸗ trauen wollen! Ohne Liebe, ohne mannigfaitige Nachgiebig⸗ keit, kaͤme keine ſolche Theilung su Stand. Wenn aber die Nachgiebigkeit zu oft wiederholt werden muß, oder blos ein⸗ ſeitig Plaz findet: fo wird ſie am Ende beſchwerlich, beleidi⸗

get das Selbſtgefuͤhl, und eben daraus entſteht oft zwiſchen

Geſchwiſterten, die ſich ſonſt innig liebten, bittere Entfrem⸗ dung der Gemuͤther, weit mebr als wenn nur eines geerbt baͤtte und die uͤbrigen mit Geſchenlen abgefunden worden waten.

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freundliche Band erhalten, welches die Familienglieder an einander knüpfte, und die durch eine ſogenannte To d⸗ theilvung gänzlich würden zerſtreuet werden. Gerade um. keine Vorliebe eines Kindes vor dem anderen zu zeigen, wird in der Regel der Erſtgeborne vorgezogen, darum weil ſein Vorzug nicht in der bloßen Willkühr, ſondern in der Natur oder in einem zufällig glüklichen Schikſal liegt, durch welches die Nachgebornen ſich nicht beleidi⸗ get finden fónnen. Die übrigen Kinder gehen deßwegen nicht mit leeren Händen aus; ſie baben allerdina cin ſtandesmäßiges Auskommen zu forberen, und der Tod ded. Vaters kann ihren Zuſtand nicht ſchlimmer machen als ce vorher geweſen. Die väterliche Liebe wird auch für ſie beſorgt ſeyn, wenn ſie auch ſchon nicht zu gleichen Thei⸗ len erben. Sie werden mit Geſchenken oder jährlichen Einkünften, es ſey von Gütern oder beſtimmten Jahrs⸗ gehalten abgefunden, die in den Teſtamenten und Guc⸗ eeſſions⸗Orduungen feſtgeſezt find, oder fe bleiben als Kinder des Hauſes mit den nemlichen Rechten, wie ſie es unter dem Vater waren. Jene Einkünfte können ſo⸗ gar allmaͤhlig deſto reicher fließen, je mehr das Stamm⸗ Vermögen bey einander bleibt, mithin deſto leichter ver⸗ größert wird, und das Anſehen ded Familien⸗Haupt. wirft auf alle übrigen Glieder einen ſolchen Glanz zurük, daß ſie auf hundert anderen Wegen, im Dienſte der menſchlichen Geſellſchaft, bie hinwieder liebreich für fe ſorget, als Lehrer und Vertheidiger der Nationen, als Gehülfen der Fürſten und anderer mächtiger Menſchen ihr Fortkommen viel beſſer finden, als wenn die Güter ſtets waären vertheilt oder gar veräußert und verſchwendet worden.

Daher iſt auch das Recht der Erſtgeburt von einem

soT

fo undenklichen Alterthum, daß es fogar al allgemeine und natürliche Erbfolge galt, ſobald der Vater nicht cie was anders verordnet hatte. Wir finden daſſelbe ſchon 2000 Jahre vor Chriſti Geburt, ben den Arabiſchen Sce⸗ niten, nicht als eine neue, ſondern als eine ſchon damals alte und bekannte Sache einge⸗ führt. Abraham, der doch nur ein Hirtenkönig war und von Land zu Land wanderte, „gab alle ſein Gut Iſaak, aber den Kindern die er von den Kebsweibern hatte gab er Geſchenke.“ 41) JIſaak trug zwar, nad) vollem väter⸗ lichen Recht, den Vorzug der Erſtgeburt auf ſeinen jün⸗ geren Sohn Jakob über, aber doch ſezte er nur dieſen zum Univerſal⸗Erben ein, und der Geſchichtſchreiber be⸗ merkt ausdrüklich, daß dieſes Recht der Erſtgeburt die Herrſchaft über alle Brüder umfaßte, weil dieſe lezteren natürlicher Weiſe von demjenigen, der die Güter und Domainen beſaß, abhängig waren, ihm dienen oder ſich von ihm trennen, und eigene Länder, eigene Heerden und Weidpläze aufſuchen mußten. 4) So ſprach auch Sao kob zu ſeinem Sobn Ruben, den er zwar aus gutem Grund enterbte; doch um die gewoͤhnliche Regel anzuer⸗ kennen: Ruben, primogenitus mens, tu fortitudo mea prior in domo, major in imperio. 4) In

41) 1. ©. Moſ. XXVII. 5. 42) „Voͤlker múfen die dienen, und Leute muͤßen dir zu Sue fal⸗ ss len. Sep cin Here Úder deine Bruͤder und deiner Mutter Kinder múfen dir 4u Fuße falen." 1 S. Mof. XXVII. v. 29. UND v. 37. „Ich babe ibn zum Herren úber did ges vítzt und alle ſeine Bruͤder babe id ihm zu Knechten ges „macht, mit Korn und Wein Babe id ibn verícben.“

©) če B. Moj. XLIX, 34 wie Luther uͤberſeztz > Ruben, mein

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Vet ganzen Reibe der Iſraelitiſchen Könige, fehen wir immer nur einen und in der Regel allemal den erſtgebor⸗ nen Sohn nachfolgen. +4) Doch nicht nur bey den De. bräern oder Arabern, auch in der übrigen alten Welt

war das Recht der Erſtgeburt üblich. Herodot, der

älteſte unter allen Griechiſchen Geſchichtſchreibern, wel⸗ cher 450 Jahr vor Chriſti Geburt lebte, ſagt bereits, es ſey die Gewohnheit aller Völker, daß der Erſtgeborne die Herrſchaft erhalte. +) Juſtin nennt das Recht der Erſtgeburt das allgemeine Recht aller Volker 45) und Li⸗ vius die Ordnung des Alters und der Natur, wofern Der Pater nicht etwas anders befohlen babe. 47) In der ganzen alten Geſchichte der Babylonier, Aſſyrer, der Perſen und Meder, der alten Aegypter, der zahlreichen Könige in Klein Aſien vor den Perſiſchen Eroberungen, und wider nad ber Zerſplitterung der Macedoniſchen Mo⸗ narchie, finben wir überall, dať immerhin ohne allen Widerſpruch der erſtgeborne Sohn allein im Reiche ge⸗ folget iſt, es ſey dann, daß der Vater in außerordentli⸗ chen Fällen etwas anderes verordnet, nemlich entweder einem jüngeren Sohn den Vorzug gegeben, oder gar cine Theilung anbefohlen habe. Die nemliche Uebung galt

exſter Eohn, du biſt meine Kraft und meine erſte Macht. so deť oberſte im Opfer und der oberße im Neide" 44) ©. beſonders 2 Chron. XXI. 3. 45) Mos omnium populorum est, ut maximus natu likerorum. obtineat principatum, L. VII, c. s. 46) Quod jus et ordo naseendi et natara ipsa gentibus dadit. L. II. C. 10.

47) Ordinem #tatis atgue mature, nisi pater aliud jusserit, L. XL. €. 11. , Ň

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in Europa, und beſonders in den uralten deutſchen Lan⸗ des⸗Geſezen, die ſich hinwieder auf noch ältere undenkli⸗ che Gewohnheiten gründen, zeigt ſich überall, daß der älteſte Sohn des Vaters Hof und Güter erbte, die Töch⸗ ter nur auf billige, nach Nothdurft oder nach einem con⸗ ventionellen Wohlſtand, aber keineswegs nach dem Ver⸗ mögen abgemeſſene Ausſteuren, die Söhne aber auf ano dere Abfindung oder Verſorgung Anſpruch hatten, und entweder dem erſteren dienen, oder ihr Glük in der Fremde ſuchen mußten. Möſer, der berühmte Verfaſſer der pas triotiſchen Phantaſien und der Geſchichte von Osnabrük, welcher in dem alten deutſchen Recht und deſſen natürli⸗ chen Gründen eine bewundernswürdige Kenntniß hatte, ſagt ausdrüklich: „Wenn man die Geſeze und Urkunden

» bet Deutſchen aufs genaueſte prüft, (o findet ſich keine »Spur, daß dieſelben jemals an die Möglichkeit einer »Gleichtheilung, oder cin ſicheres Verhältniß zur Aus⸗ „íteuť ber Töchter oder dex jüngeren Söhne gedacht hät⸗ v ten, 48)

Die Römiſchen Geſeze, welche inner ben Mauren ct. ner Stadt, bey großem Geldreichthum und vielen beweg⸗ lichen Gütern entſtanden, fúr cine Bürgerſchaft gegeben und auf republikaniſche Verhältniſſe berechnet waren, in der Folge dann theils durch die Herrſchaft der Römer in Frankreich und Deutſchland, theils fpäterbin "aug frey⸗ williger faſt abergläubiſcher Bewunderung, ein weit ver⸗ breitetes Anſehen erhielten, gaben die erſte Veranlaſſung,

43) Vatriotiſche Phantaſien. T. I. c. cz. ©. 220, uͤber

"bie Abſteur der Koͤchter der t kLanddeſter ( cine ſehr merkwuͤr⸗ dige Abhandlung.) | |

$10 daß jenes fonft überall geľtende Erſtgeburtsrecht, audi in dem damals aus lauter Landbeſizern und Knechten beſte⸗ henden Deutſchland und Frankreich, unterbrochen wurde, und hier und dort Römiſche Pflichttheile, oder Römiſche Erbtheilungen, wenigſtens zwiſchen den Söhnen zu entſtehen anfiengen. Späterhin kamen irrig verſtandene Grundſäze der chriſtlichen Religion hinzu, kraft denen man forderte, daß wenn der Vater nichts verordnet habe, auch die Töchter den Söhnen gleich gehalten, oder we⸗ nigſtens nach einem gewiſſen Verhältniß des elterlichen Vermögens, erkleklicher ausgeſteurt werden ſollen. 49) Allein zum deutlichen Beweis daß nicht alle Geſeze für alle Länder gut ſind, waren die Folgen davon durch die Schwierigkeiten und die phyſiſche Unmöglichkeit der im⸗ merwährenden Theilungen, durch die Streitigkeiten die darüber entſtunden, die Verſchuldung und Verarmung aller Hofbeſizer, durch den Ruin ganzer Geſchlechter u. ſ. w. ſo nachtheilig, daß man bald wieder genöthiget wurde, ſich gegen das neu eingedrungene fremde Necht durch allerley Umwege in Sicherheit zu ſezen, und durch indirekte Mittel zu der alten Erſtgeburt zurükzukehren. Man half ſich daher, wie Möſer ſehr ſcharfſinnig erör⸗ tert, so) entweder durch Kayſerliche und Königliche Brie vilegien, oder durch Autonomie, d. b. durch Selbſtge⸗ ſezgebung, durch Hausgeſeze und durch Confoede—

49) Nach einer falſchen Auslegung des Spruches: „Sind wir dann Kinder fo find wir auch Erben.“ Wer bat dann je ge⸗ | laͤugnet, daß die Kinder Erben ibrer Eltern ſeyen, nur nicht

„tale gleich. Auch in geiſtigem Sinn, wovon in erfferem

Spruch allein bie Rede if, bat Gott nicht alle ſeine Kinder mit Tugenden und Weisheit gleich ausgeſtattet.

go) ©, eben No. 48.

511

rationen verſchiedener mächtiger grundherrlicher Fami⸗ lien, bie das nemliche Intereſſe hatten ſich ben gleichen Theilungen entgegenzuſezen; oder man foderte von den Töchtern ben ihrer Verheyrathung, Verzichtleiſtung auf das väterliche Erb; oder man errichtete, für einzelne große Güter, fortdaurende Subſtitutionen, Majorate und Fidei-Commiſſe, welch alles zuerſt von den Fürſtlichen und Gräflichen Häuſern geſchah, und

in ber Folge, aus ähnlichen Convenienz⸗Gründen, von“

den ritterſchaftlichen und gemeinen adelichen Häuſern, ja ſogar von anderen hofgeſeſſenen Leuten nachgeahmt wurde. *1 |

Die volľfommen gleichen Theilungen zwiſchen Allen Kindern baben in der That, Defonderý da wo daš Ver⸗ mögen in liegenden Gütern beſteht, fo unerträgliche In⸗ konveniente, ſie widerſtreiten ſo ſehr dem wirklichen oder

präſumirten Willen der Erblaſſer, dem Intereſſe des gan⸗

zen Hauſes und dem gemeinen Beſten ſelbſt, daß man noch heut zu Tag, táglích die Beyſpiele vor Augen ſieht, wie Nenſchen aller Claſſen ſich gegen den Zwang der ſol⸗

che Theilung vorſchreibenden Inteſtat⸗Geſeze, möglichſt

zu wehren, unter anderen Formen auf die natürlichere Erbfolge zurükzukommen, und dem Erſtgebornen oder

$1) Der Haß der Deutſchen gegen bas Roͤmiſche Recht ruͤhrte auch vorzuͤglich daber, weil es dem Recht der Erſtgeburt zuwider War. S, Ledergern de normis decidendi successionem fa- miliarum illustrium controversam 1758. beurtheilt in ben Goͤtt. Gel. Anzeigen 1759. ©. 73, und de Bostel Diss. jurid. de Origine renuntiationum filiarum illustrinm ex diploma- tibus medii svi erecta. Gieésen 1767. und Bôtt. el, Anzeigen 1767. ©. 609, -

g

612 doch ben Söhnen größere Bortbeile zuzuwenden trach⸗ ten. Gemeine Bauren treten ihre Güter bey Lebzeit cie nem ihrer Söhne um möglichſt geringen Preis käuflich ab, behalten ſich nur gewiſſe Nuznießungen vor, oder laſſen höchſtens den Ueberreſt der nicht bezahlten Kauf⸗ ſumme unter die übrigen Kinder vertheilen. Handelsleute und Fabrikanten können ihre Handels- und Induſtrial⸗ Unternehmungen ebenfalls nicht theilen, noch dadurch ih⸗ ten Vermögens- und Schuldenſtand jedermann bekannt werden laſſen; ſie pflegen daher gewöhnlich dieſe Anſtal⸗ ten, nebſt der ganzen Haupt⸗Erbſchaft, dem älteſten Sohn, oder doch den Söhnen gemeinſchaftlich zuzuwen⸗ den, und die Töchter mit einer beſtimmten Erbauskauf⸗ ſumme abzufertigen, welche nichts anders als cine an⸗ dere Form eines Geſchenkes oder einer billigen Verga⸗ bung iſt. So find in Florenz die Fidei⸗Commiſſe und die Vorzüge der Erſtgeburt aus dem Geiſt der Handlung, ſelbſt von den Zeiten der Republik her, entſtanden. Man wollte jeder Familie daš Haupt⸗Capital der Handlung erhalten, verhütete die Theilung durch Fidei⸗Commiſſe, und verpflichtete damit die jüngeren Brüder dem älteren in ber Handlung benzufteben. 52 So benuzen noch die meiſten begiiterten Hausväter den ihnen übergebliebenen Reſt der Teſtirungs⸗Freyheit, um ihren älteſten Söh⸗ nen, durch ſogenannte Prärogativen, einen größeren Erb⸗ theil zu verſchaffen, und die übrigen Kinder auf denjeni⸗ gen Theil zu beſchränken, der ihnen nach vorhandenen Geſezen nicht entzogen werden darf. Oder man errichtet auch unter Privat⸗Perſonen, fo weit es nur immer er⸗ laubt iſt, ſogenannte Subſtitutionen, Majorate und Fi⸗

52) G. Jagemanns geogr. Beſchreib VON Tostana.

813

De Commifľe, alled in der Abſicht, daß der Stame und das Geſchlecht bed Erblaſſers bey Anſehen und Vermögen bleibe, und die Nachkommen nicht ſo leicht zum Verkauf der Güter gezwungen werden. Selbſt ganze Familien, nicht nur etwa aus dem vornehmeren, ſondern auch aus dem bürgerlichen und Baurenſtand, deren Eltern ohne Teſtament verſtorben, und die mithin nach dem eingeführ⸗ ten Römiſchen Recht das hinterlaſſene Vermögen gleich zu theilen hätten, pflegen aus einem natürlichen Gefühl ber Billigkeit und Convenienz, die liegenden Güter gen dem älteſten Sohn oder einem der Brüder um einen mäßi⸗ gen Schazungs⸗Preis zu überlaſſen, und diefe leichte friedliche Theilungsart den ſchwierigen und unangeneh⸗ men Veräußerungen vorzuziehen. Alle Geſchwiſterte ſe⸗ hen es gern, wenn dergleichen väterliche Beſizungen in der Familie verbleiben, theils weil ſie ein Gegenſtand freundlicher Erinnerungen ſind, theils weil der Glanz des damit verbundenen Anſehens auch auf die Glieder derſelben zurükfällt, und endlich weil jebem die Anwart⸗ ſchaft bleibt, früher oder ſpäter auf ähnliche Art in die Succeſſion einzutreten. Iſt nun dieſes ſchon bey Private Perſonen der Fall: ſo ſind bey Fürſtlichen Geſchlechtern noch weit mehrere Gründe vorhanden, um das ausſchlie⸗ ßende Recht, oder doch die Vorzüge der Erſtgehurt ein⸗ zuführen. Dergleichen unabhängige Häuſer müßen ihren Schuz nur in ſich ſelbſt ſuchen, und haben daher ein weit dringenderes Intereſſe die Macht beyſammen zu er. halten, demnach wiederholten Theilungen und Sdtvi. chuugen vorzubeugen, als wodurch ſie bald von den Stande ber Unabhängigkeit in jenen der Knechtſchaft oder

Dienſtbarkeit herabſinken müßten.

Zwooter Made Kk

514

Daher waren auch die Fürſtlichen Häuſer (weil fe wegen ihrer Macht cher thun konnten) bie erſten, welche durch Hausgeſeze und beſtimmte Surceſſions⸗Ord⸗ nungen, oder durch Familien-Verträge, das alte Necht der Erſtgeburt wieder einführten und ſich dadurch ihre Gelbſtſtändigkeit ſicherten. Bon den meiſten iſt bie Epos che davon genau bekannt, und von anderen nur deßwegen nicht, weil vermuthlich dort niemals Theilungen beſtan⸗ den hatten, ſondern die Nachfolge ſtets auf den Erſtge⸗ bornen übergieng. Das Lehen/-Syſtem gab auch eine na. türliche Veranlaſſung dazu, indem die Lehen mit einer Kriegspflicht belaſtet waren und mithin die Inveſtitur nur vinem gegeben werden konnte. 53 Allein die Vortheile wa⸗ ren ſo groß und auffallend, daß bald mit den freyen oder ſogenannten Allodial⸗Gütern das nemliche vorgenommen wurde. In Portugall ward für bad Konigliche Haut die Untheilbarkeit nebſt dem damit verbundenen Recht ber Erſtgeburt, ſchon im Jahr 1184,, in Spanien 1232. von Ferdinand ILI. für Caſtilien, und für Arrago⸗ nien 1275. von Jakob I. eingeführt. Sn Frankreich, wo ſie unter den Merovingern nicht üblich geweſen, ward ſie, von den erſten Capetingern an, unvermerkt zur Re⸗ gel, theils aus Ehrfurcht für bad alte Saliſche Geſez, 54) theils weil die erſten Capetingiſchen Könige, meiſt noch bey ihrem Leben, ihrem erſtgebornen Prinzen den Eid der Treue ſchwören ließen, und ihn ſomit zu ihrem Nach⸗

55) Hervé Tnéoris des matičres féodales T. I. p. 203.

$4) welches zwar nur cín Erb: Befez unter Privat⸗Perſonen war, daß die Brundftúte den Maͤnnern vevbleíben follten, (Tit. Gz. $. 6.) und ſodann auf bie Krone angewendet wurde. ©. v. - Real Staatskunſt JI. 56, 8. 51,

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folger erklärten. Sy England fintet ſich kein Beno ſpiel, daß das Königreich getheilt worden märe. Sn Dänemark ward das Recht der Erſtgeburt durch das Königs⸗-Geſez von 1665, beſtätiget, und in Schweden erſt 1720, geſezlich, 5) wiewohl es auch vorber in fteter Uebung mar, Vom Haufe Savoy marb e8 nebít der Untheilbarkeit im Jahr 4450. eingeführt. In Deutſch⸗ land war es Hod bis auf die neueſten Zeiten nicht all⸗

gemein. Die goldene Bulle, welche 1356. von Kayſer Carl IV. gegeben wurde, fúbrte daſſelbe zuerſt für die vier weltlichen Kurfürſtenthümer ein, und zwar ſo, daß nur das eigentliche Kurfürſtenthum, d. h. das Lehen auf welchem die Kur beruhete, nicht aber die übrigen dem Kurhauſe zuſtehenden Fürſtenthümer und Grafſchaften, dem Erſtgebornen zufallen ſollten. Das Haus Bran⸗ denburg war das erſte, welches die weiteren Vortheile der Untheilbarkeit einſah, und feldige ſchon 1473., mít alleinigem Ausſchluß der Linien von Anſpach und Bay⸗ reuth, auf alle damaligen und künftig zu erwerbenden Beſizungen des Kurhauſes ausgedehnt bat. Ohngefähr eben ſo alt iſt die Erſtgeburts⸗Verordnung im Hauſe Würtemberg, 6 wiewohl erſt 4% 1664. durch Here zog Eberhards Teſtament verordnet wurde, daß die nach⸗ gebernen Prinzen nicht mehr mit Land oder Herrſchaften appanagirt, ſondern mit einem Jahrsgehalt in Geld ab. gefertiget werden ſollen. In Oeſtreich, ward die Un⸗ theilbarkeit mit dem RNecht ber Erſtgeburt, Y% 1576. von Maximilian TI. eingeführt, obſchon bereits vorher

55) ven Martens Europ. Staatsrecht ©. 93. 560) Hoffmann specimen juris publ. Wurtemberg. Tubing. 2755: ©. Goͤtting Bel, Anzeigen; Jahrs. 2755. Pe 1062,

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der Erſtgeborne ftetó einen großen Vortheil erhielt, um den zur Kayſerwürde nöthigen Rang deſto beſſer behaup⸗ ten zu können, auch das Erzherzogthum Oeſtreich ſelbſt, ſchon ſeit Kayſer Friedrichs I. Privilegio von 1156, nie vertheilt werden konnte. 57? Bon jener Zeit an folgten immer mehrere deutſche Fürſtenhäuſer dieſen Beyſpielen nach, SS) während es auf der anderen Seite noch im 16ten Jahrhundert Fürſten gab, die einen Fluch darauf legten, wenn je einer ihrer Nachkommen das Recht der Erſtgeburt einführen wollte. 59) Die Herzoglich Súdhfie ſchen Häuſer waren die lezten welche ſich dazu verſtun⸗ den, und zwar nothgedrungen zur Verhütung ihres ſonſt unvermeidlichen Ruins, so) daher ſie auch noch, von früheren Theilungen her, in ſo viele Linien getrennt find. Sn Sachſen-Eiſenach und Gotha beſteht es nur ſeit 4683, in Sachfen⸗Weimar ſeit 1724, zu Saalfeld ſeit 1736. Im Herzogthum Sachſen⸗Ko⸗ burg ward es Ao 4742. und in Sachſen-Meynun⸗ gen erſt jm Jahr 1804, eingeführt, wozu noch äberdieß, als Exemtion von dem Römiſchen Recht oder zur meh⸗ 57) S. Moſers ©. Staatsrecht T. XII, p. 379. ff. von der Succeſſions⸗Ordnung und dem Primogenitur— Recht im Hauſe Oeſtreich; einem trefflichen Werk, wo uuͤberhaupt von allen Erbfolggeſezen in den Deutſchen Kur⸗ u. a. Fuͤrſti. Haͤuſern gebandelt wird. 58) Bayern 1508. Meklenburg 1573- Braunſchweig⸗Wolfenb. 1582. Pfalzzweybruͤken 1591. Fippe 1593. Gain : Mittgentcín 1593. Heſſen-Darmſtadt 1606. Holſtein Gottory 1608. Naſſau⸗Oranien 1618. Wied 1624. Lothringen 1625. Heſſen⸗Caſſel 1628. te. 46.

59 ©. Puͤtter Staatsverfaſſ. des ©, Reichs. T. I. p. 247. 6o) Man ſehe bie merkwuͤrdigen Motive in ibren dießoͤrtigen Te⸗

ſtamenten key Moſer T. Staatsrecht XII. 483. ff.

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reren Sicherheit des Hauſes ſelbſt, ſtets die Kayſerliche Beſtätigung der dießörtigen Teſtamente nöthig war.

Gleichwie nun ber unabhängige Grundherr bad Recht hat, einen einzigen ſeiner Söhne oder Agnaten, mithin auch ben Erſtgebornen oder älteſten zu ſeinem Univerſal⸗ Erben einzuſezen: ſo verſteht ſich von ſelbſt, daß er auch befugt iſt, demſelben gewiſſe Bedingungen vorzu— ſchreiben, oder gewiſſe Fälle feſtzuſezen, unter denen er von der Erbfolge ausgeſchloſſen ſeyn ſolle. Derglei⸗ chen Bedingungen finden ſich auch in den meiſten Fürſt⸗ lichen Erbfolgsgeſezen. Die gewöhnlichen und natürliche⸗ ren derſelben ſind: daß derjenige, welcher zur Succeſſion berufen iſt, keinen weſentlichen Naturfebľer babe, weder wahnſinnig noch blödſinnig, folglich zur Verwaltung ſolch großer Güter geeignet ſey, daß er nicht ſo tief in den geiſtlichen Stand getreten ſey, um nicht wieder zurük⸗ kehren zu können, daß er aus rechtmäßiger Ehe geboren ſeyn müße, ſich ſelbſt ſtandesmäßig verheyrathe, und we⸗ der freywillig renuncirt noch ſich durch Verbrechen die väterliche Enterbung zugezogen babe. S Únter die min⸗ der gewöhnlichen, welche ſtets durch beſondere Umſtaͤnde und innere Entzweyungen veranlaſſet worden, gehören die Bedingungen, der Landes⸗Religion zugethan zu ſeyn, in dem Lande felbſt reſidiren, ſich zu einer gewiſſen Zeit einſtellen zu müßen, keine fremde Krone zu tragen u. ſ. V. Allein alle dieſe Bedingungen oder Ausnahmen beruhen, wie die Erbfolge ſelbſt, nicht auf ſogenannten Conſtitu⸗ tionen odber Reichſs⸗Grundgeſezen, ſondern auf den Fürſt⸗ lichen Teſtamenten und Hausgeſezen, nicht auf dem Wil⸗

61) ©, hieruͤber Roſers ©. Staatsrecht. T. XI. ©, 339 368.

18.

[en bed Volks, als welches hierüber nichts zu befehlen hat, ſondern auf dem Willen der Teſtatoren oder der Erbfolgsſtifter, und ihr nächſter Zwek iſt auch nicht der Nuze des Volks, dem dieſes ſehr oft gleichgültig ſeyn könnte, ſondern der Nuze und die Convenienz des Fürſt⸗ lichen Hauſes ſelbſt.

Um aber die Vortheile der Erſtgeburt zu erzielen und doch ihren möglichen Inkonvenienten vorzubeugen, oder aus einem Reſt früherer Theilungs⸗Gewohnheit, haben verſchiedene mächtigere Fürſten in ihren Häuſern audý (04 genannte Secundo-Genituren eingeführt: d. b. durch beſtimmte Succeſſions⸗Ordnungen feſtgeſezt, daß auch dem zweytgebornen Sohn ein unabhängiges, wiewohl un⸗ gleich kleineres, Land zugetheilt werde, damit cr als foie verainer Herr ſich deſto eher ſtandesmäßig verheyrathen könne, und die Fortpflanzung des Fürſtlichen Geſchlechts nicht auf einem einzelnen Zweig beruhe. Sn einer ſol⸗ chen Secundo⸗Genitur⸗Linie geht dann die Erbfolge wie⸗ der auf den Erſtgebornen. Stirbt dieſelbe aus, ſo fällt die Succeſſion auf die ältere Linie zurük, und wird, wenn mehrere Söhne vorhanden find, abermal zur Se⸗ cundo ⸗Genitur erhoben. Erlöſcht aber die ältere Linie, ſo tritt die jüngere an ihre Stelle, und beſizt entweder beyde Länder zuſammen, oder kann, wenn ſie will, das kleinere neuerdings zu einer Secundo⸗Genitur machen. Eine folche Secundo⸗Genitur war z. B. und iſt jezt wie⸗ der in Oeſtreich die Linie von Toskana, in Spanien die Linie von Neapel und noch vor etlich und zwanzig Jah⸗ ren, hat eine ähnliche in dem Hauſe Brandenburg durch die Linien von Anſpach und Bayreuth beſtanden. Die meiſten Fürſtlichen Häuſer aber, bie entweder nicht fa

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sieťe, odev nicht ſo eutlegene Beſizungen haben, begnü⸗ gen ſich bloß mit der vollkommenen Untheilbarkeit und deme Recht der Erſtgeburt.

Warum aber, könnte man fragen, wird bey derglei⸗ chen Erbfolgs⸗/Ordnungen immer nur auf das männliche Geſchlecht Rükſicht genommen, warum werden die Söhne den Töchtern vorgezogen, und findet man kein Beyſpiel, daß wo Söhne vorhanden geweſen, die Erbfolge etwa auf eine ältere und erſtgeborne Tochter ge⸗ fallen ſey? Der Grund davon iſt gar nicht derjenige, ben die meiſten Staatslehrer anführen, 62) bie präſumirte größere Fähigkeit zum Regieren, oder die vorgebliche Ue⸗ berlegenheit der Männer an Verſtand und Einſicht: denn oft koͤnnte auch das Gegentheil eintreten, bie Geſchichte weist viele Beyſpiele von großen Regentinnen auf, und dann würde durch die Verheyrathung der Weiber, oder durch ihre Nachkommen, die Regierung doch immer nur Männern zufallen. Der Vorzug des männlichen Geſchlechts liegt viel näher vor Augen, viel tiefer in dem menſchli⸗ den Gemüth, in dem erſten Zwek der Untheilbarkeit ſelbſt. Denn da vorerſt das ganze Recht der Erſtgeburt nur auf der Idee beruht, daß dem Vater cin Nachfol⸗ ger gegeben werde, der in Beſiz und Macht an ſeine Stelle trete: fo, folget ſchon hieraus, daß dieſer Sadie folger, wie der Vater ſelbſt, auch nur männlichen Se. ſchlechtes ſeyn kann; nicht zu gedenken, daß nach der Natur der Sache und der Ueberlegenheit des männlichen Geſchlechts, die jüngeren aber doch erwachſenen Brüder den Uebelſtand nicht dulden würden, einer Schweſter oder

63) 3. B. Grotius, Pufendorf, Boehmer u, A. ©

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einem Schwager 44 gehorchen, und das Erb ihres Baterý in fremde Hände kommen zu laſſen. Dazu kömmt die be. ſondere Liebe, welche die Natur ſelbſt allen Vätern für ihr Geſchlecht und ihren Namen eingepflanzet Bat. Der Vater ſieht ſich in ftinem Sohn gleichſam verjüngt und erneuert, er hofft in dem⸗ ſelben wieder aufzuleben, und hat den tröſtlichen Gedan⸗ fen, daß ſein Sohn und deſſen Nachlommen, bie den nem⸗ lichen Namen tragen, ſich auch ſeiner beſtändig erinnern, ſein Andenken in dieſer Melt fortpflanzen werden. 6) Es iſt gleichſam cin geheimer Wunſch nad irdiſcher Unſterb⸗ lichkeit, bie jeden Vater, zumal in Vertheilung der Gü⸗ ter, zur Begünſtigung der Söhne bewegt. Nicht ſo iſt es hingegen mit den Töchtern beſchaffen, die zwar auch Kinder des Vaters ſind, oft ſogar wegen dem Zauber den ſie um das Leben verbreiten, noch mehr geliebt werden, aber nicht die nemliche Hoffnung zur Fortpflanzung des Andenkens darbieten, durch ihre Verheyrathung bald cie nem anderen Geſchlechte zugehören, einen fremden Bas men tragen und fremde Intereſſen erhalten, die viel⸗ leicht mit denen des eigenen vaní in Widerſtreit kommen.

Wenn jedoch ein Fürſt keine männlichen Descendenten bat: fo ſueccediren in der Regel allerdings auch bie Töch⸗ ter oder ihre Nachkommen, es ſey dann, daß ſie durch frühere Teſtamente oder Hausverträge auf jeden Fall von der Succeſſion ausgeſchloſſen ſeyen. Und weil das Reich

63) Cicero nennt einen Eobn spem parentie, memoriam nomi- nis, subsidium geacris, hsredem familis , designatum rei- publice eivem. Orat. pro Cluent.

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nicht getbellt werden (0l, fo geht die Erbfolge auch un⸗ ter ben Töchtern, wieder nach dem“ Recht der Erſtgeburt. Auf dieſe Art find auch bekanntermaſſen febr oft Weiber, entweder als Erb⸗Töchter oder als Wittwen und Bore münderinnen ihrer Söhne, zur Regierung großer Länder gelangt, nicht weil man ihnen Gewalt übertragen hat, ſondern weil ie ſelbſt aus Ber Abhängigkeit getreten, mäch⸗ tig, begütert und frey geworden ſind. So ſehen wir in ber alten Geſchichte eine Königin Semiramis in Aſ⸗ ſyrien, Teucris in Troja, Olympias Alexanders Mutter, Athalia in Juda, Cleopatra in Egypten, die von Aurelien beſiegte Zenobta, Kinigin des Mor⸗ genlandes, und die Regentin der Sujonen in Schweden und Dánemarť, von deren Tacitus ſchreibt. In der mitt⸗ leren Geſchichte find dergleichen Beyſpiele eben ſo häu—⸗ fíg, und in der neueren diejenigen der Königinnen Va ve garita von Dänemark, Maria und Eliſabeth von England, Chriſtina und Ulrika von Schweden, der Kayſerinnen Anna, Eliſabeth und Catharina von Rußland, und der berühmten Maria Thereſia, der einzigen Erbin ded Hauſes Habſpurg, fo bekannt, daß man ſie unter den vielen anderen blos als die berühmte⸗ ren anführt. Der Beſiz von großen und unabhängigen Ländereyen iſt in ihren Händen, wenn auch ſeltener, doch eben ſo rechtmäßig als in denen der Männer; und ihre Regierung, der Erfahrung zufolg, wenigſtens eben ſo gut, theils weil ſie, nach dem ihrem Geſchlecht eigenen Scharf⸗ blik, die männlichen Arbeitsgehülfen oft beſſer auszuwäh⸗ len wiſſen, theils weil ſie noch ein Herz haben, und die Anſprüche deſſelben bey ihnen nicht ohne Einfluß in die Geſchäfte bleiben.

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Biel größer ſind die Schwierigkeiten der Erbfolge, wenn keine Kinder oder ganz nahe Verwandte vorhanden find, indem hier der Wille der Erblaſſer, fall er nicht ausgedrükt worden, ſchwerer zu präfumiren iſt, und oft Zweifel entſtehn, welcher Verwandte als der nächſte zu betrachten ſey? Hier find auch bie Fürſtlichen Succeſ⸗ ſions⸗Ordnungen, gleichwie die Civil⸗Inteſtat⸗Geſeze, ſehr verſchieden, je nachdem man bey denſelben dieſen oder jenen Zwek beabſichtigte; und eben dieſe Verſchieden⸗ heit iſt wieder ein Beweis, daß ſie blos von dem Willen oder der Convenienz ihrer Stifter abhangen. Gie laſſen ſich jedoch alle auf bie Bradual. und die Lineal— Folge zurükführen, in welcher leztern bie Weiber und. ihre Nachkommen entweder beſtändig von der Erbfolge aus⸗ geſchloſſen ſind, oder nur in gleicher Linie und gleichem Grad ben Männern nachgeſezt werden.

Die erſte Art von Succeſſions⸗Ordnung iſt alſo die ſogenannte Gradual⸗Erbfolge, $4) d. b. diejenige, wobey lediglich und im ſtrengen Siun, blos auf den. näch⸗ ften Grad der Bluts⸗Freundſchaft Rükßcht genommen, und nur unter Verwandten von gleichem Grad zuerſt auf das Geſchlecht und dann auf das Alter geſehen, aber keine ſogenannte Repräſentation der Verſtorbenen geſtattet wird. Dieſe Erbfolge, nad welcher z. B. der jüngere Bru⸗ der, oder in Ermanglung von lebenden Brüdern, ſogar die Schweſter des lezten Königs dem Sohn des älteren aber verſtorbenen Bruders vorgezogen werden müßte, iſt aber beynahe nirgends mehr gewöhnlich, theils weil ſie

zu mancherley Streitigkeiten und Inkonvenienten führt,

64) Successie hereditaria s. gradualis.

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theils weil es in ber That unbillig und dem präſumirten Willen des lezten Beſizers zuwider iſt, die Kinder desje⸗ nigen, der das nächſte Recht zum Thron gehabt hätte, dieſes Vortheils zu berauben, darum weil ihr Vater den Erbfall nicht erlebt hat. Sie galt bey den Ynkas in Peru, bey den Lehen im Königreich Jeruſalem, SS) und ſoll noch heut zu Vag ben den Türken üblich ſeyn, wo die Brüder des verſtorbenen Großherren ſogar deſſen ei⸗ genen Söhnen vorgezogen werden. Man giebt zu ihrer Rechtfertigung an, daß ſie den Inkonvenienten der vor⸗ mundfſchaftlichen Regierungen vorbeuge; cd entſteht aber auch daraus die barbariſche Gewohnheit, daß die Könige des Orients oft alle ihre Brüder ermorden laſſen, eine Gewohnheit welche ſo febr der Natur zuwider iſt, daß fc wohl keinen anderen Veranlaſſungs⸗Grund als dieſen ha⸗ ben kann. Wenn man aber, gleichſam aus Nothwehr die Brüder tödtet, um den Kindern die Succeſſion zuzuwen⸗ den: warum nicht lieber das leztere zur Regel machen, und hinwieder die Brüder am Leben laſſen?

Die zweyte weit gewoͤhnlichere Suceeffiong Met iſt daher die ſogenannte Lineal⸗Folge, deren Principium darin beſteht, daß die Nachkommen desfenigen, welcher

der nächſte Erb geweſen wäre, an ſeine Stelle treten,

und aus dieſem Grund alle noch lebenden näheren Ver⸗ wandten ausſchlieſſen: folglich z. B. der Sohn oder Sohns⸗Sohn des älteren Bruders einem noch lebenden jüngeren Bruder des lezten Königs vorgezogen wird, ob⸗ gleich eigentlich der Bruder näher als der Neffe verwandt iſt. Man nimmt nemlich hier auch auf das Recht der

65) ©, Wilke Seſchichte ber Kreuzzuge T. I. 556.

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Verſtorbenen Ruͤkſicht, und wenn ed das nádhlte geweſen wäre, ſo wird es auf ihre Nachkommen übertragen, ſie mögen noch fo entfernt ſeyn, und unter dieſen lezteren bat wieder vorerſt der Vorzug des maännlichen Geſchlechts und dann der des Alters ſtatt. Man heißt dieſe Erbfolge bie successio linealis cognatica oder auch bie Caſſti⸗ lianiſche Erbfosge, wenn bie Weiber und ihre männ⸗ lichen Nachkommen nicht ganz ausgeſchloſſen ſind, ſondern nur in der nemlichen Linie und dem nemlichen Grad den Männern nachgeſezt werden, ſo daß wegen dem Geſchlecht allein, oder wegey dem Alter, die Linie niemalen über⸗ ſprungen wird. Hieraus folgt z. B., daß die Tochter des Sohns dem Sohn der Tochter vorgeht, wenn gleich dieſer leztere maͤnnlichen Geſchlechtes iſt, daß die Bru⸗ ders⸗Tochter eher als der Schweſter Sohn, der Sohn oder Sohns⸗Sohn ded alteren Bruders vor dem jüngeren Bruder zur Nachfolge kömmt U. ſ. w.: darum weil jener Sohn oder dieſer ältere Bruder, wenn ſie den Erbfall erlebt hätten, das nähere Recht würden gehabt haben, und es von da nothwendig an ihre Kinder übergegangen wäre. Dieſe Succeſſions⸗Ordnung beſteht auch in vielen Reichen, z. B. in England, wo nad dem Tod bed: fee zigen Prinz Regenten, ſeine einzige Tochter mit Ausſchluß der vielen Oheime auf den Thron geſtiegen wäre; in Ruß⸗ land ſeit Kayſer Paul J., der die Erblichkeit nach dem Recht der Erſtgeburt wieder eingeführt bat: in Portu⸗ gall, wo jedoch den Weibern die Bedingung auferlegt iſt, ſich nicht an einen fremden Prinzen zu verheyrathen; in Ungarn und Oeſtreich ꝛc. Dieſe Erbfolge, zumal wenn ſie ſo weit geht, daß die Töchter nur in gleicher Linie und gleichem Grad den Söhnen nachſtehen, ſonſt aber gegen andere Linien und entferntere Grade den. Vor⸗

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zug haben, iſt jedoch dem präſumirten Willen ded Suc⸗ ceſſions⸗Stifters, dem Ziveť aller Untheilbarkeit und Erſtgeburts⸗Geſeze nicht angemeſſen; ſie bringt das Reich ſehr oft in Gefahr durch die Heyrath einer einzigen Toch⸗ ter in fremde Hände überzugehen, oder gar zur Provinz eines anderen zu werden: und da in frühern Generatio⸗ nen alle Schweſtern und ſogar die jüngeren Brüder nur deßwegen von dem Erb ausgeſchloſſen worden, oder dar⸗ auf freywillig renuncirt haben, damit das ganze Ge⸗ ſchlecht bey Macht und Anſehen verbleibe: ſo iſt es durch⸗ aus nicht billig, daß bie Tochter einer ſpäteren Genera⸗ tion, bey noch vorhandenen männlichen Descendenten des erſten Königs, dem nemlichen Geſchlecht ſein väterliches Erbgut entziehen, und ſolches durch ihre Heyrath einem Fremden zuwenden könne.

Die dritte und gewöhnlichſte Succeſſions⸗Ordnung iſt alſo die Lineal⸗Folge, aber blos in männli-⸗ dem Geſchlecht, $6? nad) welcher die Weiber in jes dem Fall den Mánnern nachgeſezt werden, und die Erba folge zwar nad) dem Recht der Erftgeburt in der Lineal⸗ Folge, aber ausſchließend auf den Mannsſtammen über⸗ geht, mithin wegen dem Vorzug des männlichen Geſchlechts ſogar die Linie überſprungen wird. Nach dieſer Succeſ⸗ ſions-Art muß alſo ſelbſt die einzige Tochter ded Königs, oder ihr Sohn, dem Bruder oder Neffen deſſelben wei⸗ chen; ja es wird ſogar der entfernteſte männliche Zweig, wofern er nur auf väterlicher Seite von dem erſten Kö⸗ nig abſtammt, dem nächſten weiblichen vorgezogen. Man heißt dieſe Erbfolge auch die Franzöſiſche, weil fe

66) Snccessie linealis agnatica, dumtaxat marium ex maribus.

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zuerſt in Frankreich eingeführt worden. Sie ift offenbar nach dem Geiſt der Untheilbarkeit und bed Erſtgeburt⸗ Rechts die billigſte und natürlichſte, für die Erhaltung der Reiche und ihrer Selbſtſtändigkeit, ſo wie für die Einigkeit unter den Gliedern der Fürſtlichen Familie ſelbſt, die zwekmäßigſte, die einzige, bey welcher (wenn einmal richtige genealogiſche Tabellen vorhanden find) über die Perſon des Nachfolgers nie ein gegründeter Zweifel entſte⸗ hen kann; daher ſie auch nach und nad faſt in allen Kö⸗ nigreichen und Fürſtenthümern eingeführt wird. Sie be. ſteht auch in Spanien ſeit 1713 wo das Haus Bour⸗ bon žen dortigen Thron beſtiegen, in Dúnemarť, 67) im Schweden, 63) in Sardinien u. ſ. w: doch kön⸗ nen faſt überall nach gänzlicher Auslöſchung des Manns⸗ ſtammes, billiger Weiſe auch die Weiber und ihre Nach⸗ kommen zur Thronfolge gelangen. $9? Sp dem revolutio⸗ nirten, nachher von Bonaparte wieder monarchifch or⸗ ganiſirten Frankreich hingegen, ſo wie in den von ihm geſtifteten ephemeren Koönigreichen, iſt derſelbe noch wei⸗ ter gegangen, und bat die Erbfolge im ſtrengſten Sinn par ordre de primogeniture, dans la ligne masculine, ä ľezclusion perpetuelle des femmes et de leurs descen- dans feitgefest, (o bab ſelbſt nad gänzlicher Erlöſchung ſeines Geſchlechts, keine Weiber noch ihre Nachkommen

67) KRonigs⸗Seſſez vo 1665. Art. 28 36, Martens Eu⸗ top. Staatsrecht T. I. p. 20.

68) Erbverein von 1743. Martens a. a. O. ©. 86.

69) ©, uͤber ale dieſe Succeffiený : Orbnungen Grotius de j. b. et p. L.II. c. ©. 6.7. Pufendorf j. n. et g. L. VII, c.7. $. 11. seg. befonderé aber Putter prime lines juris privati principu. Gôtting. 17608. 8.

Ma.

ša den Thron hátten befteigen dürfen, ſondern gewiſſe zum

voraus beſtimmte hohe Reichsbeamte einen neuen Kayſer

ernennen ſollten, bey welchem dann die Erbfolge neuer⸗ dings nach dem Recht der Erſtgeburt anzufangen habe. Es war dieſes noch ein Reſt der Revolution, eine ge. zwungene Vereinbarung widerſprechender Principien. Man ſah bie Erblichkeit als cin willkührliches Conſtitutions⸗ Geſez an, obgleich Bonaparte es allein gegeben hatte: und weil die Weiber nicht Bürger waren, ſo konnten ft auch nicht Amts⸗ oder wahlfähig ſeyn, wiewohl ſie hingegen nach einem ſeltſamen Widerſpruch, Vormünde⸗ rinnen und Regentinnen ſeyn durften. Allein dergleichen Inkonſequenzen gehören nicht in die Wiſſenſchaft; iſt die Fürſtliche Würde ein anvertrautes Amt, ſo kann ſie nie⸗ malen erblich ſeyn, weder für Männer noch für Weiber; beruht ſie aber, wie wir bewieſen haben, auf eigener Macht und eigenen Befizungen: fo iſt gar kein Grund vorhanden, warum dieſelbe, wenn auch der Vlannšítamm noch ſo ſehr begünſtiget wird, nach Auslöſchung deſſelben nicht auf die Töchter oder deren männliche Nachtommen udergeben könnte.

| Endlich iſt zum Schluſſe dieſes Capitels noch die wich⸗ tige Bemerkung su machen, dať, meil dergleichen poſi⸗ tive oder ſchriftliche Succeſſions⸗Ordnungen in Fürſtli⸗ hen Häuſern oft gänzlich mangeln, und nur durch unbe⸗ ſtimmte Gewohnheiten erſezt werden, oder auch weil ſie nicht vollſtändig genug ſind, nicht ale szmetfeľbaften Fälle vorhergeſehen, und insbeſondere nicht immer deutlih 904 nug feſtgeſezt haben, in wie weit die Gradual⸗ oder die Zineal⸗Folge (die Repräſentation der Verſtorbenen) gel. ten ſolle, oder wie lang und in welchem Grad die Wei⸗

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ber und ihre Rachkommen den entfernteren. mannlichen Descendenten nachzuſezen ſeyen: ſo iſt es nothwendig und unvermeidlich, daß auch unter Fürſten, wie unter Prís vat⸗Perſonen, bisweilen ErbfAAgs⸗Streitigkeiten entſtehen müſſen, wo jeder Prätendent in guten Treuen das nächſte Recht zu haben glaubt: und dergleichen Strei⸗ tigkeiten fónnen zwiſchen Unabhängigen, die keinen zwin⸗ genden Richter über ſich hahen, nur durch Vertrag, es ſey mit oder ohne vorhergegangenen Kampf, ausgemacht werden. Von ſolchen Verträgen, Erbvereinen, Erb. vergleichen u. ſ. w., wodurch der bedrohte Friede ben. behalten worden, iſt auch die Geſchichte aller Fürſtlichen Häuſer voll. Kann man ſich nicht vereinigen, und es bleibt der Streit blos im Inneren des Landes eingeſchloſ⸗ ſen: ſo giebt dieſes zu inneren Kriegen, Uſurpationen und Thron-Revolutionen Anlaß, wo jeder Prätendeyt ſich un⸗ ter den Mächtigen ded Landes den größtmöglichen An- hang zu verſchaffen, ſein Recht bald von dieſer bald von jener Partey anerkennen oder ausſprechen läßt: und ſolche Sprüche, die bisweilen gerecht und bisweilen ungerecht ſeyn können, auch nicht allemal mit Effekt begleitet find, werden dann fälſchlich eine Königswahl genannt. Oder wenn endlich die Erbs⸗Anſprecher zum Theil auswärtige Fürſten find: (o entſtehen daraus die langen und heſti⸗ gen Succeſſions⸗,Kriege, von denen die Geſchichte fo viele Beyſpiele liefert, 70) bie aber, in Vergleichung

70) Bevſpiele ber beruͤbmteſten Erbfolgs⸗Streitigkeiten in Koͤnig⸗ lichen Hauſern: in Perſien unter 4rtazerzes I. v. ©. 449. in Macedonien v. €. 4399— 360. ver Philipp II. und 5212 V. €. nad Alex. M. Tod; iu Egypten v. €. isI zwiſchen Bruͤdern, und v. ©. 81 zwiſchen Cleopatra 1. und Alexander 11. ihrem Vetter; in Syrien v. ©. 94 unter

$29

gegen bie rubigen und unbeſtrittenen Erbfälle, nur cine feltene Ausnahme von der allgemeinen Regel find, und am Ende dod wieder zu einem Mertrag fúhren, in wel. chem theils auf das ftrenge Recht, theils zu Bewirkung des Friedens, auf die Milderung deſſelben durch Bilig- keit und Klugheit gefehen wird.

Antiockus X.: in Gaftílien n. €. 1244— 1294 zwiſchen dem júngeten Sohn und den Soͤhnen des aͤlteren Sobný: in England Mo 1136 zwiſchen der Tochter und dem Sditves ſter Sobn K. Heinrichs I. it. 1421-1485 zwiſchen den Haͤuſern Lancaster unb York: in Frankreich Mo. 1317 zwiſchen

Jobanna, Tochter Ludwigs X. und Philipp V. ſeinem rus der ferner 1328 1350 zwiſchen Philipp VI. Vaters Bras ders Sohn und Edouard III. von England, Schweſter Sohn Carls IV. (ſtreitiger Vorzug des maͤnnlichen Geſchlechts in ent⸗ fernterem Grad) in Deutſchland bie Jüͤlichſche Er b⸗ folae 1609, cin Streit zwiſchen der Tochter der aͤlteren Schweſter und der noch lebenden júngeten Schweſter; im 1gten Sabrbundert 1700 1713 der Spaniſche Buccefs fionšsKrieg (augefochtene Rechtmaͤßigkeit eines Tefta⸗ ments) 1740— 1748 der Oeſtreich iſche Succeſſions— Krieg (gleichfalls) 1779 der Bayerſche Succeſſions— Krieg sc. vieler anderen nicht zu gedenken.

awedter Vgad. 81

Drey und vierzigſtes Capiteľ.

Mon der Erweiterung der Grund⸗ odev Lan⸗

J.

II.

desherrlichen Macht.

Urſpruͤngliche Lleinheit aler Staaten ohne Ausnabhm. Zwek⸗ maͤßigkeit dieſer kleineren Staaten. Rechttiche Moͤglichkeit ihrer Erweiterung.

Beſondere Mittel dazu:

1. Durch Einfuͤhrung der Untheilbarkeit und des Rechts der Erſtgeburt.

2. Durch allerley rechtmaͤßige Erwerbungs⸗ Arten, Kaͤufe, Taͤuſche, Schenkungen, Hevrarhen, Erbſchaften u. |. w.

5, Durch Eroberungen und darauf (ofgente Abtretungen. Sbre Rechtmaͤßigkeit unter gewiſſen Wntftánden. čin wie fern der Eroberer mehr Rechte erwerben fann, als dex

vorige Beſizer ihm abzutreten befugt war?

4. Durch allerley vortbeilbafte Bertrágey obne Er⸗ werbung von Territorial⸗Beſizungen:

a, gleiche und ungleiche Buͤndniſſe.

b. unbedingte und bedingte Unterwerfungen. Reunions-Vertraͤge, Infeudationen, Schuz⸗ und Schirmherrſchaften, Capitulationen 36, Ihre rechtliche Moͤglichkeit.

e. einzelne Servituten von Seite anderer GStaaten. Ihre Nuͤzlichkeit unter gewiſſen Umſtaͤnden.

111. Daf die Landesherrliche Macht freylich auch durch Miß⸗

brauch ber Gewalt oder ſogenannte Uſurpationen er⸗

weitert werden kann. Invaſionen, Spoliationen, Reunionen,

Gonfistartonen, Sekulariſationen, willkuͤhrliche Mediationen 36,

Staatsrechtliche Bemerkungen daruͤber:

1. Sie find zwar immer unrecht, aber, mie unter Privat⸗Ver⸗ ſonen, nicht immer zu hinderen moͤglich.

e 531 2. Einzelne Mißbraͤuche machen nicht alle úbrigen Befliungen | unrechtmaͤßig.

8. Die Uſurpation beziebt ſich unmittelbar nur auf den vori⸗ ge Beſizer, nicht aber auf deſſen Unterthanen. Leztere ſind zum Widerſtand gegen den Uſurpator zwar berechtiget, aber nicht abſolut verpflichtet. |

4. Langer, unwiderſprochener Beſiz, madt zulezt auch bie Uſurpation zum wirklichen Recht. Die Verjaͤbrung gilt auch zwiſchen Unabbaͤugigen, wenn ſchon ohne deſtimmten Zeitpunkt.

Že Patrimonial⸗Staaten, alle Königreiche und Für⸗ ſtenthümer find zwar urſprünglich klein geweſen, und es konnte auch nach der Natur der Sache nicht anders ſeyn, eben weil ſie nicht aus einer Vereinigung mehrerer Haus⸗ väter, ſondern aus einem einzelnen freyen Hausweſen her⸗ vorgegangen ſind. Der möglichen Erweiterungen und allmähligen Erwerbungen ungeachtet, beſtanden die Des ſizungen ded freyen Grundherren urſprünglich, doch nur in dem Raum den er occupirte, zu ſeinem und der Sei⸗ nigen Unterhalt bebaute, und gegen alle feine Nachbaren vertheidigen konnte. Daher lehrt uns auch die Geſchichte, wie der Erdboden vor alten Zeiten überall, 4. B. in Ara⸗ bien und Egypten, im Lande Canaan, in Syrien, Klein- Aſien und Oſt⸗Indien, in Griechenland vor den Repub⸗ liken, in Italien vor den alles verſchlingenden Römern, im alten Deutſchland, in Spanien, Gallien u. ſ. w. von einer unzählbaren Menge kleiner Herren oder Könige gleichſam beſäet war, die nichts anders als freye Grund⸗ Eigenthümer ſeyn konnten, und oft nur ein paar Hufen Landes beſaßen, auf denen ihre Leute ſich bald in zer⸗ ſtreuten, bald in an einanderhaͤngenden Wohnungen (Dör⸗

432 .

fern und Städten) anbauten. Die nemliche Erſcheinung ſehen wir noch heut zu Tage in manchen Gegenden der Welt. Und ſelbſt die größten Reiche ſind urſprünglich von fehr geringem Umfang geweſen. Von den alten Ba⸗ byloniſchen, Aſſyriſchen, Mediſchen und Per⸗ ſifchen Monarchien find zwar die erſten Anfänge nicht genau bekannt, aber ihre allmähligen Eroberungen bewei⸗ ſen deutlich, daß ſie urſprünglich klein geweſen ſeyn müſ⸗ ſen. Das Reich Alexanders des Großen, iſt aus dem kleinen Macedonien hervorgegangen, welches ſelbſt noch unter ſeinem Vater Philipp TI. in viele kleinere Für⸗ ſtenthümer vertheilt war. Rom hatte urſprünglich nichts als den kleinen Raum in Beſiz, worauf die Begleiter des Romulus ſich Häuſer bauten. Das Kalifat der Ara—⸗ ber, welches ſich von Oſt⸗Indien über Perſien, Sie rien, Aegypten, längs der ganzen Küſte von Afrika und über Spanien bis an die Gränze von Frankreich erſtrekte, iſt aus dem einzigen wenig begüterten Stammen Maho⸗ meds entſprungen. Carls ded Großen ungeheures Reich rührte von einem kleinen Heerſührer der Franken, eines deutſchen Furſten her. Der erſte Beherrſcher des neueren Frankre ichs war Hugo Capet, Graf von Pa⸗ ris, der ſelbſt ſeine damals befeſſenen großen Güter nur nad und nad erhalten hatte. Dag Reich der Mongos (en, welches faft gang Aſien und zmen Drittheile von Europa umfafte, entſtand au dem Anführer eines klei⸗ nen Nomaden⸗Volks im nordweſtlichen Aſien. Die Macht des Hauſes Oeſtreich, über deſſen Beſtzungen unter Carl V. bie Sonne niemals untergieng, >) beruhte ur⸗

2) Dieſe Floskel koͤnnte man zwar auch auf viele Privat⸗ Perfos uen anwenden, die in zwey Welttheilen, in den Brittiſchen

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ſprünglich auf bem kleinen Gut zum Eigen in Habſpurg; denn obgleich Rudolf J. ſchon ein großer Herr war, und in Helvetien ſowohl als im Breisgau viele Länder beſaß: ſo.waren auch dieſe Herrſchaften ihm oder ſeinen Bora fabreu nur nad) und nad) zugefallen. Dad unermeßliche Ruſſiſche Reich bat ebenfallš nur einen kleinen Ane fang gehabt, nemlich die Anführer dreyer Normänniſcher oder Schwediſcher Horden, die (id). am Newa⸗ und Wolcha⸗ Strom einzelner Länder bemächtigten. Und ſelbſt das grofe uralte Reich China, welches mehr Einwohner als ganz Europa zählt, war urſprünglich in viele kleine Staa⸗ ten vertheilt, bis Schiſcho⸗angti, ein Zeitgenoſſe Han⸗ nibals, ſie in einen Körper vereinigte.

Allein gering auch urſprünglich der Umfang jedes Fürſtenthums geweſen: ſo läßt ſich ſchon aus der bloßen Vernunft erkennen, was die philoſophiſchen Staatslehrer nie haben bemerken wollen, daß ſich cin ſolch unabhángie ges Haus- und Grundherrliches Verband, theils durch Erwerbung mehreren Grund-Eigenthums, theils durdh. günſtige Verträge, ohne Gewalt noch Unterdrükung, bis auf einen nicht zu beſtimmenden Grad erweiteren kann; daß nichts der Moöglichkeit im Wege ſteht, allmählig meh⸗ rere in eines zu vereinigen, und ſo zulezt ſelbſt große Reiche zu bilden. Dieſe Erweiterung der Herrſchaft wird durch das nemliche Geſez der Natur wie ihre Stiftung ſelbſt, bewerkſtelliget und rechtmäßiger Weiſe möglich ge⸗ macht. Denn gleichwie nüzliche Ueberlegenheit, Befriee digung von fremden Bedürfniſſen ſchon jene urſprünglich

oder Hollaͤndiſchen Colonien, Beſizungen haben. Nur find. (r nicht ſo greß noh fo maͤchtig.

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kleinen Staaten bildete, indem ſie dem fleiſſigen und wirth⸗ ſchaftlichen das Eigenthum, dem freyen und begüterten Hausvater die Herrſchaft über ſeine Familie und mancher⸗ ley von ihm lebende oder von ihm beſchüzte Leute gab: ſo herrſcht dieſes Geſez auch wieder unter den Mächtigen und Freyen ſelbſt. Vollkommene Gleichheit der Kräfte oder bed Vermögens, abfolute Unabhängigkeit, mo kei⸗ ner des anderen bedürfte, beſteht nie zwiſchen ihnen, und dann wechſelt auch die Natur den Beſiz der Glüksgüter ſelbſt. Tugenden, Verſtand, Reichthum und günſtige Um⸗ ſtände vergrößern das Anſehen, die Beſizungen, bie Macht und die Unabhängigkeit des einen, während Unverſtand, Laſter, Armuth und Unglüt einem anderen dieſe Güter rauben. Je mehr man beſizt, je leichter wird es noch mehreres zu erwerben, indem man auch weit mehreres und verſchiedenartiges dagegen anbieten kann. Ueberle⸗ genheit an Kräften, auch nur mit einigem Verſtande ver⸗ bunden, giebt tauſenderley Mittel in die Hände, um die einmal beſeſſene Landesherrliche Gewalt theils durch Ver⸗ größerung der eigenthümlichen Veſizungen, theils durch bloße Verträge rechtmäßig zu erweiteren. Wir wollen vor⸗ erſt von jenen Erwerbungsarten, ſodann von dieſen Ver⸗ trägen reden, und abermal zeigen, mie bie ganze Erfah— rung mit dieſer einfachen Idee übereinſtimmt.

Das erſte Mittel, oder vielmehr die erſte Bedingung und die Grundlage zur möglichen Erweiterung einer Pa⸗ trimonial⸗Herrſchaſt, iſt die Feſtſezung der Untheil⸗ barkeit und ded Rechts der Erſtgeburt. Máte daſſelbe nicht nach und nad) in allen Fürſtlichen Geſchlech⸗ tern eingeführt, oder auch nur nicht auf alle neuen Er⸗ werbungen ausgedehnt worden: (o würden die größten

835 Reiche, aller Kriege und Eroberungen ungeachtet, bald wieder in unendlich viele kleine Herrſchaften zerfallen, und ſtatt der ausgedehnten Monarchien, vor denen auch dem Verſtand ber Gelehrten ſchwindelt, würde das Aug überall nur das einfache natürliche Verhältniß eines un⸗ abhänigen Grundherren zu ſeinen Hörigen erbliken. Nie hätten alsdann jene falſchen Syſteme von einem willkühr⸗ lichen Urſprung und Zwek der Staaten, nie jene hohlen Ideen von einer (ih über alles erſtrekenden Regierungs⸗ Gewalt entſtehen können; die Wahrheit wäre jedem zu nahe vor Augen gelegen. Die Welt dürfte zwar durch fo viele kleine Staaten an Schönheit und Mannigfaltig⸗ keit gewinnen; bas koͤſtliche, Seelenerhebende But der Unabhängigkeit würde mehreren Menſchen zu Theil wer⸗ den; auch möchten ſie obľ der Freyheit und dem Glük der Unterthanen vortheilhafter ſeyn, nicht ſowohl weil allzugroße Macht leicht zum Mißbrauch verleitet, als weil man deren zu viele delegiren muß, das Ganze nicht zu überſehen vermag, in der Entfernung übel von den That⸗ ſachen unterrichtet iſt, nicht überall helfen, den Mißbrauch von anderen nicht ſo leicht hinderen kaun. Kleinere Staa⸗ ten ſind die wahre, einfache Ordnung der Natur, auf welche ſie durch verſchiedene Wege am Ende allemal mie. der zurükführt. Wie prachtvoll mar nicht Klein⸗-Aſien unter ſeinen vielen Königen vor den Perſiſchen Eroberun⸗ gen, und wieder nach der Zerſplitterung der Macedoni⸗ ſchen Monarchie: und was iſt ed geworden, ſeitdem unter der Herrſchaft der Römer, der Araber und ber Túru ken nur die kleine Provinz eines unermeßlichen Reiches iſt. Wann war die Heldenzeit, das goldne Alter von Griechenland, als wie in der einzigen Halb⸗Inſel WMorea, und von ba bis an bie Macedoniſchen Gebirge,

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fest cin kleiner Theil ded Osmanniſchen Reichs, 44 Kö⸗ nigreiche und in der Folge faſt eben ſo viele freye Städte blühten. Jezt ſind ſogar die Spuren jener Wunder der Welt verſchwunden, und das ganze Land trägt nicht ſo viete Einwohner als vorher eine einzige Stadt. Nicht kriegeriſche Verheerungen, nicht barbariſche Einfälle ſind der Grund dieſer Veränderung; denn das Zerſtörte hätte man noch ſchöner als vorher wieder aufbauen können, ſondern weil da kein ſelbſtſtändiger Herr, kein eigener Staat mehr iſt, der die Volksmenge anzieht, ſondern das ganze Land einem Fremden dient. Was gab Italien ſeine Herrlichkeit, als eben die vielen, ſeit dem 12ten Jahrhundert darin entſtandenen unabhängigen Fürſten⸗ zhümer und Republiken, deren unbedeutende Fehden nur die Kräfte übten und entwikelten, die aber ſonſt ſo lange Zeit hindurch friedlich neben einander lebten, und unge⸗ achtet ſie oft zum Schauplaz fremder Kriege dienten, be⸗ ſtändig wieder aufblühten, blos weil ihnen die Lebert⸗ kraft der Staaten, die Selbſtſtändigkeit nicht geraubt wurde. Welcher Zauber lag nicht ehmals in der Schweiz, gerade wegen der herzerfreulichen Mannigfaltigkeit ihrer etlich und zwanzig Staaten, bie gleich wie alle Himmels⸗ ſtriche und Produkte der Erde, ſo auch alle Arten von Geſezen und geſelligen Verknüpfungen in ihrem Schoos enthielt. Und was mar nicht DOeutſchland, von der Natur ſonſt wenig begünſtigt, eben durch ſeine 200 Staa- ten, in Vergleichung gegen das benachbarte eben ſo große Polen und ſelbſt gegen das Innere von Frankreich. Wo fand man ſo viele große und reiche Städte und Dörfer, ſo vielen Gewerbfleiß, ſo viele gemeinnüzige Anſtalten,

viele Bildung aller Art; wo lebte man ehmals rubie ger und freyer, als eben in jenen kleinen Fürſtenthümern

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und Reichsſtädton, wo jeder Fürſt beynahe alle ſeine Únie tergebenen kannte, mithin auch mehr liebte, und wo mit gewohnlichem Verſtand das Ganze überſehen werden konnte. Was wird aber jezt aus manchen Ländern werden, ſeit⸗ dem fo viele ehmalige Reſidenzſtädte ihrer eigenen Her⸗ ren beraubt, entvölkert und verödet, die Großen die ſie umgaben, und wieder viele andere Menſchen herbehꝛogen, zerſtreut oder ſelbſt verarmet find. +)

Allein alle dieſe Vortheile vieler und kleinerer Stane ten, heben erſtlich das Necht ded einzelnen Fürſten nicht auf, theils ſeiner Schwächung möglichſt vorzubeugen, theils ſogar den Grund zur Vergrößerung ſeines Hauſes zu legen; zweytens ſind ſie auch nicht unbedingt wahr und werden durch andere Nachtheile compenſirt. Wieder⸗ holte Theilungen, beſonders von liegenden Gütern, wer⸗ den erſtens nad) und nad phyſiſch unmöglich, ſie haben ihre Gränzen in der Natur der Dinge ſelbſt; dazu ver⸗ anlaſſen ſie fo viele Schwierigkeiten und Streitigkeiten, jeder einzelne wird dadurch ſo ſchwach, daß alle zuſam⸗ men dem erſten Abentheurer oder Flibüſtier Preis gege⸗ ben wären, der mit Hülf ſeiner Waffenknechte einen nach

2) Beruͤhmte Maͤnner haben laͤngſt die Vortbeile vieler kleinerer Staaten auerkannt, z. S. Hume Abhandlung uͤber ben Ur⸗ forung und Fortgang der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften Albr. von Haller Fabius und Cato, ates Buch Gibbon Geſch. ded Verfalls des Roͤmiſchen Reichs T. I. S. 134. Aus⸗ gabe von Wien. Joh. von, Muͤller Schweizer-Geſch. 1, 84— 83. Darſtellung des Fuͤrſtenbunds S. 35. it. ſeine Rede uͤber ben Untergang ber Freyheit alter Voͤlker. Berlín, 1806. 4. Gismondi Histoire des républ. ďItalie T. Y p.9— 10:

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dem anderen leicht überwältigen und ganze Welttheile ew. oberen könnte. Gerade um ſolche Calamitäten und Welt⸗ Monarchien zu hinderen, Gerechtigkeit und Freyheit zu handhaben, müßen nebſt den kleinen auch mehrere größere Maſſen vorhanden ſeyn, die den erſten Anſtoß auszuhalten, ihre nächſten Umgebungen zu ſchüzen, ſich wechſelſeitig die Wagſchale zu halten vermögen, und des ven Verbindung unter einander, wofern fc nur aufrich⸗ tig iſt, auch den Mächtigſten unter ihnen, der etwa die übrigen unterjochen wollte, leicht im Zaum halten, ja. gar vernichten kann. Die Menſchen brauchen dieſes Gleich⸗ gewicht nicht durch künſtliche Conſtitutionen zu bewerk⸗ ſtelligen; es bildet ſich durch die Natur der Dinge, bes ſonders aber durch die Untheilbarkeit von ſelbſt, und all⸗ fällige Störungen werden bala wieder durch billige Ver⸗ träge corrigirt.

Jenes Recht der Erſtgeburt, deſſen Alterthum, na⸗ türliche Veranlaſſung und weite Verbreitung wir in dem vorigen Capitel entwikelt haben, iſt aber deßwegen der Vergrößerung der Fürſtenthümer ſo vortheilhaft, weil dadurch nicht nur allen Theilungen vorgebeugt wird, ſon⸗ dern AK) faſt jeder Beſizer zu dem erworbenen noch ct. was hinzufügt. Denn im Allgemeinen iſt jeder Menſch ein guter Wirth und die Verſchwender können nur als Ausnahmen betrachtet werden. Der Hang das Seinige zu erhalten, zu vermehren und durch erhöhten Reichthum ſein Geſchlecht emporzuheben, iſt allgemeiner und herr⸗ ſchender tn dem menſchlichen Gemüth, als ber entgegen⸗ geſezte verzehrende Trieb durch übermäßigen Genuß ſein ganzes Vermögen zu verpraſſen, und ſich und ſeine Nach⸗ kommenſchaft in Armuth zu ſtürzen: indem lezteres ſtets

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einen düſteren Blik in bie Zukunft gewährt und cinen dem Menſchen nicht gewöhnlichen Leichtſinn vorausſezt. Dabey ſind die liegenden Güter unzerſtörbar, ſtets einer beſſeren Benuzug fähig, und nehmen bey wachſender Volksmenge und ſteigendem Wohlſtand beſtändig an Werth und Abtrag zu. Ein Fürſt gewinnt ſogar nicht nur durch eigene gute Wirthſchaft, ſondern auch durch den Fleiß und den Reichthum ſeiner Unterthanen, denen er unter dieſen oder jenen Bedingungen einen Theil ſeiner Domainen überlaſſen hat, und wodurch der Ertrag der ſich ſelbſt vorbehaltenen Gefälle, Abgaben und Regalien erhöhet wird. So lang alſo nicht außerordeutliche Thorheiten und Unglüksfälle, wie z. B. übergroße Verſchwendung, Kriege, fremde Invaſionen, gezwungene Abtretungen u. ſ. w. die⸗ fen natürlichen Ganga ber Dinge ſtören: fo muß der Reich⸗ thum unabhängiger, nach dem Recht der Erſtgeburt ſich forterbender Gutsbeſizer beſtändig wachſen, und eben die⸗ ſer Reichthum giebt ihnen wieder mannigfaltige Mittel an die Hand, durch allerley Erwerbungs⸗-Arten noch meh⸗ reres an ſich zu bringen, und ſo ihre Macht bis auf ei⸗ nen nicht zu beſtimmenden Grad auszudehnen.

Der Patrimonial⸗Fürſt kann alſo zweytens ſein Be. biet und ſeine Nacht dadurch erweitern, daß er durch mancherley Erwerbungs⸗Titel, als da find Käufe, Tänu—⸗ ſche, Schenkungen, Heyrathen, Erbſchaften u. ſ. w. allmählig mehrere Güter und Beſizungen an ſich bringt, und dadurch in die Nechte und Verhältniſſe ihrer früheren Herren eintritt. Viele Fürſtenhäuſer älterer und neuerer Zeit verdankten ihre Größe nur allein ſolchen fucceſſiven Erwerbungen, und man hat Beyſpiele, daß ſelbſt aus einzelnen Edelſizen, ohne Kriege noch unge⸗

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rechte Eroberungen, nach und nad) febr beträchtliche Staa⸗ ten entſtanden find. 3) Mit Káufen, Täuſchen und blos beläſtigten Bertrágen allein, gelaugt man ſelten zu ſehr großen Beſizungen, es mangeln dazu die Mittel und die Gelegenheit; unter Fürſten mie unter Privat-Perſonen giebt es kein ſchnelleres Mittel reich und mächtig zu wer⸗ den, als durch unerwartete Erbſchaften odber durch Hey⸗ rath von Erbtöchtern; ſo allein kann man durch ein blo⸗ ßes Wort oder ein Verſprechen mit einem mal erwerben, was andere in mehreren Generationen mühſam zufammetta gebracht haben. Die Rechtmäßigkeit ſolcher Erwerbungen if ſchon oben bewieſen worden, indem man nicht bie: Nenſchen, nicht die Völker, ſondern nur die Macht, die Güter, die eigenthümlichen Rechte des vorigen Befizers erwirbt: und was der cine veräußeren darf, das wird der andere wohl auch erwerben dürfen. Mehr als jener be⸗ ſaß, kann man freylich von ihm nicht acquiriren, und. daraus entſteht auch bie Mannigfaltigkeit der Rechts⸗ Verhältniſſe, in denen die Fürſten gegen die verſchiede⸗ nen Theile ihres Gebietes ſtehen; Mannigfaltigkeit, die cin Zeichen der Freyheit oder der Gerechtigkeit iſt, und. an deren Plaz unſere Sophiſten eine todte, deſpotiſche Gleichförmigkeit einführen wollen. Waren demnach die exkauften oder ſonſt neuerworbnen Beſizungen vorher ſelbſt unabhängig, niemanden dienſtbar, d. h. ded früheren Her⸗ ven vollkommenes Eigenthum und ein für ſich ſelbſt beſte⸗ hendes Ganzes: ſo beſizt der Erwerber nun mehrere Für⸗ ſtenthümer und herrſchet über beyde gleich unabhängig,

3) 3. B. das Haus Wuͤrtemberg. Auch Oeſtreich, von dem man zu ſagen pflegte: bella gerant alii, tu felix Austria nube.

a) Gap. 43. van der Veraͤußerung der Landesherrlichen Macht.

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daher auch große Monarchen von ibren Staaten in der mebreren Zabí 41 reden pflegen, und ſolche gewöhnlich in ben Titulaturen namentľich aufgezählt werden. Stand aber der vorige Beſizer, von wegen dieſer Güter, in cie nem abhängigen oder auch nur beſchränkten Verhältniß, wie z. B. vor kurzer Zeit noch die deutſchen Fürſten für ihre Reichsſslehen, waren ſie auch nur zu gewiſſen Dienſt⸗ barkeiten verpflichtet, oder gar gemeine Privat⸗Güter: fo wird auch der Fürſtliche Eigenthümer, in dieſer Rük⸗ ſicht, einem anderen hörig, und muß, weil er Drittmanns Rechte nicht beleidigen darf, die daherigen Pflichten er⸗ füllen, es ſey dann, daß er ſich von denſelben durch neue Verträge zu befreyen wiſſe. So beſaßen z. B. die mächtigen Könige von Spanien das Herzogthum May. land von 1544 bis 1707 als cin deutſches Reichslehen, die Könige von Schweden erwarben im Weſtphäliſchen Frieden untter gleichen Bedingungen daš Herzogthum Pom⸗ mern und wurden dadurch deutſche Reichsſtände. Unab⸗ hängige Fürſten beſizen oft gemeine Privat. oder dod) [es henspflichtige Güter in fremden Landen S) und während ab⸗ hängige Grundbeſizer, bloße Vaſallen durch Erwerbung unie abhängiger Lande in dieſer Hinſicht zu Souverainen werden: fo giebt es große Monarchen, bie wegen beſonderen Gütern, ſogar in dienſtbaren Verpflichtungen gegen ihre eigenen Un⸗ terthanen fleben. 6 Durch Macht und Verträge können freylich auch dergleichen Verbindungen aufgelösſst und dienſtbare Güter frey gemacht werden. So haben z. B.

6) 3. B. der Kayſer von Oeſtreich noch vor kurzem bie Herrſchaft | Nazúng in Graubuͤndten.

6) o (0l 3. B. der Erzberzog von Defireih, in Ruͤkſicht von Schoͤnbrunn, cin Grundhold des Kloſters Neuburg feon.

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die Häuſer Oeſtreich und Brandenburg, obgleich ſie noch die Formalität der Inveſtitur von dem Kayſer beobach⸗ teten, theils durch ihre eigene Hausmacht und erworbene Kronen, theils durch glüklich geführte Kriege und erhal⸗ tene Privilegien, ihre mannigfaltigen deutſchen Reichsle⸗ hen nach und nach von allen Verpflichtungen befreyt und zu unabhängigen Beſizungen erhoben. Eben ſo hat auch Frankreich ſeine ſucceſſiven Erwerbungen von jeder fri. heren Verpflichtung zu befreyen gewußt. Allein nicht alle haben dazu die Mittel oder die Gelegenheit, auch nicht immer den Willen; und ſo erklärt es ſich, warum oft die Fürſten nicht in allen Theilen ihres Gebiets die nem⸗ lichen Befugniſſe haben, in den einen unabhängig herr⸗ ſchen, in den anderen vertragsmäßig beſchränkt, in noch anderen ſelbſt wieder einem Hoheren dienſtbar und unter⸗ worfen find. So mannigfaltig und verſchlungen find die geſelligen Verhältniſſe, bie wechſelſeitigen Verpflichtun⸗ gen und Hülfleiſtungen der Menſchen unter einander, daß kein blos natürliches Staatsrecht ſie alle aufzuzählen veľ» mag ; die Natur zeigt auch hier ihren unermeßlichen Reich⸗ thum und giebt uns die wichtige Lehre, daß wenn man die Rechte oder die Schranken einzelner Fürſten genau kennen will, man mit der allgemeinen und blos philoſo⸗ phiſchen Theorie nicht auslangt, ſondern Geſchichte und Verträge kennen muß, und daß alſo das hieraus herge⸗ leitete, aber deßwegen dod) mit dem natürlichen überein⸗ ſtimmende, poſitive Staatsrecht nicht entbehrt werden kann. / |

Einer beſonderen Erwähnung verdient drittens die

Erwerbungsart durch Eroberungen, d. h. durch ge⸗ waltſame Oecupation und Zueignung fremder Länder, in

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k 543

Folge von Streitigkeiten, Kriegen und darauf folgenden Verträgen oder Abtretungen. Sie verlieren ebenfalls ih⸗ ren gehäſſigen Schein, ſobald man ſie unter dem wah⸗ ren ſtaatsrechtlichen Geſichtspunkt betrachtet, und vorzüg⸗ lich darauf Rükſicht nimmt, gegen wen Krieg geführt, was eigentlich erobert, und mit wem der allfällige Ver⸗ trag geſchloſſen werde. Es läßt ſich zwar allerdings den⸗ ken, daß in einem rechtmäßigen Krieg, wo man ſeinem Feinde zu ſchaden, ja ſogar ihn zu vernichten oder ihm doch die Mittel zu künftigem Unrecht zu entziehen befugt iſt: man auch ohne ſeine Einwilligung das Eroberte be⸗ halten könne, ſobald dieſer Feind nicht mehr exiſtirt oder den Kampf aufgegeben hat. Allein da das Recht nicht immer ſo klar iſt um vor den Augen der Welt die ge⸗ rechte Eroberung von der ungerechten Invaſion oder Spo⸗ liation zu unterſcheiden, und da gewöhnlich jede Strei⸗ tigkeit, jeder Krieg durch einen Frieden beendigt wird: ſo macht nicht die gewaltthätige Beſiznahme ſondern nur der darauf folgende Vertrag, (die Abtretung von Seite des früheren Eigenthümers) das Recht des neuen Befi⸗ zers vollkommen, daher man ſie auch ſogar von den ſchwächſten beſiegten Feinden zu verlangen pflegt. Eine ſolche Abtretung, ſo nachtheilig ſie auch immer vorkom⸗ men und durch Beſorgniß mehrerer Uebel veranlaſſet wor⸗ den ſeyn mag, muß immerhin als freywillig, mithin als verbindlich betrachtet werden: theils weil derſelben ſtets ein gegenſeitiger Vortheil nemlich der Friede und die Ret⸗ tung ber übrigen Exiſtenz entſpricht, theils weil man nie⸗ mand zur Einwilligung zwingen kann, wenn er lieber größere Uebel erdulden will, und endlich weil die entge⸗ gengeſezte Lehre alle Treu und Glauben aufheben, die Kriege verewigen und jeden Friedens/⸗Vertrag unmöglich

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machen würde. ) Dergleichen Verträge haben AU AK und für ſich gar nichts unbilliges, indem die Abtretung theils als Koſten-Erſaz und ſchuldige Genugthuung bee trachtet werden, theils auch nach Umſtänden beyden Thei⸗ len vortheilhaft ſeyn, zur künftigen Befeſtigung des Frie⸗ dens dienen kann, und am Ende der Streit zwiſchen Un⸗ abhängigen doch durch irgend einen Vertrag ausgemacht werden muß. Sole Abtretung iſt aber auch nicht unie rechtmäßig in Rükſicht des Gegenſtandes welcher abgetre⸗ ten wird, und die Bewohner des Landes können ſich dar⸗ über, ſo wie über jede andere Veräußerung, rechtmäßi⸗ ger Weiſe nicht beſchweren; denn der beſiegte Fürſt cedirt auch hier nicht die Völker, ſondern nur ſeine eigenen Rechte, Güter und Beſizungen, wenn er nach fruchtloſem Kampf entweder aus Ermüdung oder aus Klugheit dazu genöthiget wird. % Mas ibm aber nicht gehört, mie z. V. die Privat⸗Rechte ber Unterthanen, (c ſeyen Individuen oder Corporationen, ihre perſönliche Freyheit, ihr er⸗ worbnes Eigenthum, die zwiſchen ihnen beſtehenden Ver⸗ hältniſſe, eigentliche Civil⸗Geſeze, Conventionen und Ge⸗ wohnheiten u. ſ. w.: das Ťann ex freylich nicht abtreten, und es geſchieht auch wirklich nicht. Denn hier wie in jedem anderen Vertrag darf er nur über ſeine eigenen nicht über Drittmanns Rechte ſtipuliren, wenigſtens nicht zu ihrem Nachtheil, ſondern nur zu ihrem Vortheil. Hin⸗

7) Son der Verbindlichkeit der dne Furcht abgedrungenen Ver⸗ traͤge, und mie man ſich von denſelben rechtmaͤßig entledigen koͤnne: wird unten bey einer andern Gelegenheit mehr geban⸗ delt werden. | |

8) Ouicguid est nostri juris in hac vel illa ditione. Das Mať bie gewoͤhnliche aͤltere Formel, wenn die Fuͤrſten gewiße Laͤn⸗ der oder Provinzen abtraten.

545 gegen kann von ihm auch nicht gefordert werden, daß ce dieſe Rechte gegen entſchiedne Uebermacht garantieren ſolle. Denn zum unmöglichen iſt niemand verbindlich. Konnte der unglükliche Fürſt nicht einmal ſich ſelbſt (chia zen, wie viel weniger wird er Fremdes zu garantiren vermögen? und wenn überhaupt, auch im ruhigen Zu—⸗— ſtand, die Hülfleiſtung gegen fremdes Unrecht nur eine moraliſche Pflicht iſt, die von dem Beſiz hinreichender Macht abhängt: ſo verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Pflicht wegfällt, ſobald man ſie nicht mehr erfüllen kann. Frey⸗ lich ſoll ein Fürſt bey Abtretung ſeiner Beſizungen, ſei⸗ nes Landes, auch ber Bewohner desſelben gedenken. Die Verwendung für ſie und ihre Rechte iſt eine heilige Pflicht, ſie iſt die lezte Liebe die ein Fürſt ſeinen zerſtreuten nun alles Schuzes beraubten Unterthanen erweiſen kann, und die um deſto weniger vernachläßiget werden ſollte, da ein Wort der Empfehlung nichts koſtet, nie übel aufgenom⸗ men wird, und dennoch , ſelbſt in den nachtheiligſten Frie⸗ den » Mertrágen, ſelten ohne Erfolg bleibt. Hat aber der beſiegte Fürſt alles was von ihm abhieng gethan, red⸗ lich gekämpft, nur das ſeinige abgetreten, iſt ſelbſt ſeine Fürſprache fruchtlos geblieben, und es werden die Unter⸗ thanen des eroberten Landes nach erfolgter Abtretung gleichwohl ſchlechter als vorher behandelt, in ihren Rech⸗ ten gekränkt und verkümmert: fo iſt ſolches zwar von GSei⸗ ten des Eroberers immer unrecht, oder wenigſtens hart und lieblos; aber dem früheren unſchuldigen Beſizer kang

9) Dieſe ebmals fo beilig beobachtete Pflicht Dáfte in unſeren Ta⸗ gen haͤufig mit Nuzen beruͤkſichtiget werden koͤnnen, iſt aber meiſtentheils vernachlaͤßiget worden. Vergleiche oben Gap, 4%. G. AJ 2.

Awenter Vand. m

2

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hierüber nichts zur Laſt gelegt werden, und es bleibt den Beleidigten nichts anders übrig, als entweder ſich nach Möglichkeit ſelbſt zu helfen, oder ſich mit dem neuen Her⸗ ren zu vertragen, oder das Unglük der Gewalt des Stär⸗ keren (welches dod) nicht immer fortdaurt) gleich wie cin anderes Natur-Uebel zu erdulden, und überhaupt. diejenigen Mittel anzuwenden, die wir oben gegen den Mißbrauch höherer Gewalt angezeigt haben. 1e)

Inzwiſchen läßt ſich freylich die Frage aufwerfen, vb der ſiegende Eroberer nicht, durch das Faktum ſeiner Eroberung in gerechtem Krieg, mehr Rechte erwerben könne als der vorige Landesherr wirklich beſaß und mit⸗ hin abtreten fonnté? Wir halten dieſes allerdings für rechtlich möglich; aber man muß hier, wie bey der Selbſt⸗ hülfe und dem Strafrecht überhaupt, zwiſchen dem Be— fugniß ſelbſt, und der Menſchlichkeit oder auch der Klug⸗ heit ſeiner Ausübung unterſcheiden. 2) Das ſtrenge Necht des Siegers, welches unmöglich ganz geläugnet werden kann, beruht nemlich auf dem natürlichen Grund, daß er befugt iſt, auch die Unterthanen ſeines Gegners als Feinde, wenigſtens als Gehülfen und Bundesgenoſſen ſei⸗ nes Feindes, zu betrachten, wie ſie es auch meiſtentheils

10) Čap. ar.

11) So bebantelt auch Btotiuš diefe Frage, und zwar febr ſchoͤu und ſcharfſinnig. de j. b. et p. L. III. e. 8. de imperio iu victos verglichen mit c. IX. 15, remperamentum circa acgui- sítionem imperii. Wir treten bier nicht jn alle uͤbrigen das mit vetmandten voͤlkerrechtlichen Fragen cin, da es uné in diefem Capitel nur darum zu thun iſt, zu zeigen wie die alt“ desherrliche Macht durch Eroberungen, Bertráge M, fe We rechtmaͤbig erweitert werden koͤnne.

saT

wirklich find, indem fie ihn auf ale Art unterſtüzen, und zwar nicht immer gezwungen, ſondern auch freywillig, aus eigenem Jutereſſe, nach förmlichen Vertraͤgen und bisweilen ſelbſt aus Leidenſchaft. Demnach wird der Sie⸗ ger auch berechtiget ſeyn dieſen Feinden, ſobald ſie über⸗ wunden (ind, den Frieden nad ſeinem Gefallen zu dikti⸗ ren, und ihnen daher beliebige Bedingungen aufzulegen, entweder als Schadens-Erſaz und Loskauf von grö⸗ gßeren Uebeln, odev als Strafe zu ſeiner eigenen Selbſt⸗ erhaltung und künftigen Sicherheit. Sein Recht geht, wie das Recht des Beleidigten überhaupt, an und für ſich in infinitum, d. h. bis zur vollkommenen Genug⸗ thuung nad eigenem Ermeſſen. Sn dieſem Siunn pflegt man zu ſagen, daß nach dem ſtrengen Recht alles dem Sieger gehöre, und was er den Ueberwundenen úbrig laſſe, als eine Wohlthat zu betrachten ſey, daher man auch zu jeder Zeit von gnädigen und großmüthigen Sie—⸗ gern, ſo wie von harten und unmenſchlichen reden hörte. Alle alten Philoſophen und Juriſten ſcheinen dieſes Be⸗ fugniß anerkannt zu haben, wenn auch die meiſten es nur als allgemein übliches Geſez oder als allgemeines Faktum darſtellten, ohne in die Gründe und die Schranken feie ner Rechtmäßigkeit näher einzutreten. Die Autoritäten (nd zahllos die man darüber anführen könnte. i122ꝛ2 Es

12) Lex est inquit sempiterma inter homines, capta hostium - urbe, eorumdem res atgue pecunias victori cedere. Cyrus ap. Xenoph. 5. de Inst. Cyri. Bona gu» victus habuit, omnia victorís sunt. Hato de Legg. Ubi omniä ei gui armis plus potest dedita sunt, gus ex iis habere victor, guibus mulctari eos volet, ipsius jus atgue arbitrium est, kivius.

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fann auch wirklich Sále geben, wo dieſes Necht bed Sie⸗ gers, obrne Vorwurf von Härte, in ziemlichem Maaße ausgeübt wird; wenn nemlich dle Bewohner ded erober⸗ ten Landes, unauſgefordert und ohne Roth ſich äußerſt feindſelig betragen, von ihnen aus den Krieg fortſezen vder erneueren, dem Sieger jeden möglichen Schaden zuzufügen ſuchen, mithin fi) durch ihre Handlungen ſelbſt als Feinde erklären, folglich auch dafür gebüßt oder ge⸗ ſtraft werden können. Mit dieſer Regel wie mit der er⸗ ſteren ſtimmt ebenfalls bie ganze Erfahrung überein. Al⸗ lein da gewöhnlicher Weiſe weder Krieg noch Frieden von dem Willen der Unterthanen abhängt, da ſie nicht die urſprünglichen Beleidiger, die eigentlichen Feinde ſind; da die Hülfe, welche ſie ihrem Fürſten leiſten auf einer moraliſchen Verbindlichkeit beruht, welche ſelbſt der Feind nicht mißbilligen kann, weil er von ſeinen Unter⸗ thanen das nemliche fordert; da endlich der Gegenſtand des Streits urſprünglich nur die Fürſten unter ſich be⸗ traf, und der Friedens⸗Vertrag auch nur zwiſchen ih⸗ nen und über ihre Intereſſen geſchloſſen wird: ſo legt auf der anderen Seite die Billigkeit dem Sieger die Pflicht auf, von jenem Recht gegen Ueberwundene ent⸗ weder gar keinen oder nur einen ſehr gemäßigten Gebrauch zu machen, nemlich nicht mehr als die Sorge für ſeine

Arioviſt antwortete dem Caſar: Jus esse belli, ut qui vi- cissent lis quos vieissent, quem ad modum vellent impes rarent. Cas. b. B.

Alexander ſprach: Leges a victoribus dici, aecipi a victis. Curtius.

Mehrere aͤhnliche Gtellen ſ. bev Grotius j. b. et p. k, III. <. 9. M. 15,

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Sicherheit und Selbfterhaltung nothwendig erfordert. Dieſer Grundſaz wird auch im Allgemeinen wirklich beob⸗ achtet oder wenigſtens als Negel angenommen. Daraus folget nicht allein, daß man ſelbſt mitten im Krieg der unbewehrten ruhigen Einwohner, der Weiber und Kinder und ibres Eigenthums ſchont, meil man fe nicht als Feinde betrachtet: ſondern es iſt alleinal hart und tadelns⸗ würdig, wenn ein Fürſt die Einwohner des eroberten und an ihn abgetretenen Landes, auch nach hergeſtelltem Frie⸗ den immerfort als überwundne Feinde behandelt, ihr Vermögen gleichſam als das ſeinige betrachtet, ihnen un⸗ erſchwingliche Tribute auflegt, Verfaſſungen, Privat⸗Ge⸗ ſeze und privatrechtliche Verhältniſſe gewaltfam abän⸗ dert, die Tragung von Waffen verbietet, Stiftungen und Corporationen aufhebt, oder ihre Güter cinsicht u. ſ. w. Menſchlichkeit und Klugheit gebieten ihm ſich dergleichen Maßregeln ohne die äußerſte Noth nicht zu erlauben, ſon⸗ dern vielmehr die überwundenen Feinde ſich zu Freunden zu machen, zumal man am Ende doch in ein friedliches Verhältniß treten muß, und es leichter iſt große Provin⸗ zen zu erobern als die eroberten im Gehorſam zu erhal⸗ ten; fe werden oft durch Gewalt erworben, aber in bie Länge nur durch Gerechtigkeit Debauptet. 132 Die Regel der Natur bleibt immer die, auch bey eroberten Ländern nur in die Rechte des vorigen Fürſten zu ſuccediren und den Zuſtaud der Einwohner nicht zu verſchlimmern, wenn nicht das beſonders feindſelige Betragen der lezteren, zur Selbſterhaltung des Siegers, eine Ausnahme rechtferti⸗ get. Inzwiſchen iſt das Loos der Ueberwundenen wohl

x5) difficilius est provincias obtinere, quam facere viribu⸗ | parantur, jure retinentur. Fľarus Lib. IV, c. za. U..39.

550 ſelten oder niemalen wünſchenswerth; unfreundlicheres Verhältniß, ſorgfältigere Bewachung, ſtrengere Dienſtlei— ſtung bleiben, wenigſtens eine Zeit lang, immer die Folge davon, und nur aus dem Munde eines Franzoſen, der ſeine Geſeze für bie beſten der Erde hält, fonnte bie ſelt⸗ ſame Behauptung kommen, daß Eroberungen den beſieg⸗ ten Volkern vortheilhaft ſeyen, weil dadurch ihre veľa dorbne Regierung verbeſſert werde. 14)

Es läßt ſich viertens auch denken, und die Erfahrung liefert häufige Beyſpiele, daß ein Fürſt oder unabhängiger Grundherr durch allerley vortheilhafte Verträge ſeine Herrſchaft über andere ausdehnen, d. h. ſeine Macht und ſeine Befugniße vergrößeren und dadurch die eigene Unabhängigkeit befeſtigen kann, ohne daß er eben den Umfang ſeines Grund-Eigenthums vermehre. Durch dergleichen Verträge, welche wieder eine Menge von neuen Rechts-Verhältniſſen veranlaſſen, werden cie gentlich erſt die großen Reiche geſtiftet.

Sie beſtehen gewoöhnlich nicht mit einzelnen ſchwachen Privat⸗Perſonen, fondern mit geweſenen Fürſten und Re⸗ publiken, oder wenigſtens mit mächtigen Individuen oder Communitäten, und können natürlicher Weiſe auf ſehr derſchiedene Bedingungen, und unter mancherley Benen⸗ nungen geſchloſſen werden, von dem bloßen Bund und der beſchränkteſten Allianzähnlichen Schuz⸗ oder Schirm⸗

24) Montesquieu Esprit des Loix T. I. L. ro. Ch, 4. Die ſpaͤ⸗ teren Revolutionaͤrs ſcheinen ibm diefe Sentenz nachgeſchrie ben zu haben. an vergleiche dagegen Machiavelli de principe Cap, 3-

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herrſchaft, bis zur gänzlichen unbedingten Unterwerfung blos des Friedens wegen. Auf die üblichen Benennun— gen kömmt es hier gar nicht an; denn zur Schonung des Ehrgefühls und zu Verminderung ded Widerſtands auf der einen, oder zur Verſchleyerung der Uebermacht und des Unrechts auf der anderen Seite 19 kann auch bie ſtrengſte Capitulation, der vollkommenſte Suhžectlonée Vertrag, in die Form und den Namen einer Allianz, eines Friedens⸗-Traktats, einer Conſtitution u. ſ. w. ein⸗ gekleidet werden: 16) daher man, um das Spiel der Mae tur in Bildung und Erweiterung der Staaten, ſo wie bie Verhältniſſe der Fürſten unter einander oder der Šúr. ſten mit ihren eigenen Unterthanen, richtig zu erkennen, ſein Augenmerk nie auf die Benennung, ſondern nur auf die Bedingungen des Vertrages richten muß. Alle Verträge, wodurch man ſeine Macht und ſeine Befugniſſe erweitert, ſie mögen heiſſen wie ſie wollen, müſſen nothwendig auf Seite des anderen Theils entweder ungleiche Leiſtungen, oder eine bedingte oder unbedingte Unterwerfung, oder endlich einzelne, theils vorübergehende, theils bleibende Verpflichtungen (Servituten) enthalten.

15) Adeo. voeabula magis turpia quam res ipsas, aversari móa homnium est. Procop. L. IV. bist. goth,

16) Heut zu Tag bat mani ned andere Worte erfunden: Reu⸗ nions⸗Traktate, Conſtitutiont⸗Annahmen, Koͤ⸗ niaswablen, Königsforderungen, Protektorat, Confoederatien u. ſ. w. Ebmals pflegte man die Dinge mehr bey ihrem Namen zu nennen: heut zu Tag iſt man zum Sheil hoͤflicher, und man glaubt, dať dieſes eben nicht viel ſchade; id. aber finde, daß dadurch die Begriffe verwirrt werden, die ganze Sprache zwerdeutig, und der Abſcheu vor dem Boͤſen vermindert wird: Vera rerum vocabula ami- timus.

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a. Dergleichen Wortbeile werden oft (on durch bie bloßen Bündniſſe erzielt, befonderý wenn ſie auf un beſtimmte Zeit geſchloſſen werden und die Contrahenten ſehr ungleiche oder auch nur verſchiedenartige Macht be— ſizen. Ganz gleiche Bündniſſe, in welchen alle Bedin⸗ gungen reziprozirlich und materiell die nemlichen wären, giebt es wohl äußerſt wenige oder gar keine: indem die Par⸗ teyen ſich auf ſolche Art nichts nüzen könnten, und ſchon die Natur eines Vertrages es mit ſich bringt, irgend eine Leiſtung gegen eine andere einzutauſchen. Wären ſie auch in Worten vollkommen gleich, wie z. B. der ehmalige pacte die famille zwiſchen den beyden Zweigen ded Hauſes Bour⸗ bon in Frankreich und Spanien, ſo iſt doch das Reſultat, der Natur der Sache nach, immer mehr dem einen als dem anderen Theile vortheilhaft. Einer wird immer ber ſchwä⸗ chere ſeyn, mehr der Hülfe des anderen bedürfen, häufiger zur Erfüllung des Vertrags genöthiget ſeyn, und daher in eine Art von Abhängigkeit kommen. Man wird aber we⸗ nig Bünde finden, in welchen nicht der cine Theil etwas mehr als der andere erworben hätte, mithin die Befug⸗ niſſe ded erſteren vermehrt, die ded. lezteren vermindert worden wären. So wurden im Nittelalter unter ſchwa⸗ den Königen, Städte und Länder, Biſchöffe und Aebte genöthiget Schuz- und Schirmbundniſfe, d. b. un⸗ gleiche Bündniſſe aufzurichten, deren gemeinſtes Beding geweſen iſt, daß der ſchwächere dem mächtigeren mit ſei⸗ ner Mannſchaft auf Erforderniß zuziehen, dieſer aber jenen gegen alle Vergewaltigung ſchirmen ſolle. Solch ungleiche Bündniſſe find aber deßwegen keineswegs ungerecht, ſondern vielmehr oft beyden Theilen nüzlich; denn jeder giebt was ce leichter entbehren kann, und er⸗ hält daftir was (bm nöthiger oder unentbehrlicher iß.

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Inzwiſchen iſt nicht zu läugnen, daß diefeľócu beſonders

wenn ſie auf beſtändig dauren ſollen, für ben ſchwäche⸗ ten Contrahenten allemal gefährlich find, indem der Mäch⸗ tigere dadurch nach und nach leicht zur gänzlichen Ober⸗ herrſchaft gelangt. 17 Se klagten ſchon die Lateiner gegen die alten Römer, daß ſie unter dem Schatten des Römiſchen Bündniſſes cine wahre Knechtſchaft erdulden, 19) und die Aetolier, daß ihnen nur der eitle Schein und

ber leere Name der Freyheit gelaſſen werde. i) So be⸗

klagten ſich die Bataver gegen die nemlichen Römer, ſie werden von ihnen nicht mehr als Verbündete, ſondern als Leibeigene gehalten 20) und an einem anderen Ort, bie cľendejte Knechtſchaft werde fälſchlich Friede ge⸗ nannt. 2 Bon den Rhodiern hieß cd gleichfalls, ihre Bundesgenoſſen ſeyen nur dem Namen nad, verbúndet, in der That aber Unterthanen; und Polybius erzählt, daß die Theſſalier dem Scheine nach frey, in der Wirk⸗ lichkeit aber den Macedoniern unterworfen ſeyen. Aehn⸗ liche Beyſpiele hat die mittlere und neuere Geſchichte leider in Menge aufzuweiſen; 22) denn zu allen Zeiten bat man die Kunſt verſtanden, die Herrſchaft unter ſchönen Na⸗

17) ©. Crotius j b. et p. L. HI. c. 3. $. 21. segd. 18) Haälie. Lib. VE, SA

19) Liv. Lib. XXXIV. c. 45.

20) Tacitus hist. IV. c. 14.

31) ibid. c. 17. miserrimam servitutem falso pacem vocari. 22) Ruſſiſcher Allianz⸗Traktat mit Pohlen 1793 eine bennab voll⸗

kommene Unterwerfung Franzoͤfiſche Friedens⸗ und Allianz⸗ Traktate: 1795 mit Holland 1797 mit Piemont 1798 mit

der revolutionirten Schweij mit Spanien bis 1308 und

ſelbſt der Bund mit Preußen 1212.

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men zu verbergen, odber 48 Allen Zeiten mußten ſich die ſchwächeren im Vertrag mit mächtigeren Feinden oder Nachbaren beſchwerliche Bedingungen gefallen laſſen, und ſchäzten ſich noch glüklich, daß wenigſtens dabey ihre Exi⸗ ſtenz gerettet, und durch mildere Benennung ihr Selbſt⸗ gefühl geſchonet ward.

b. Seltener als die ungleichen Bündniſſe ſind die un» bedingten oder bedingten Unterwerfungen, wenigſtens dem Namen nach. Die erſteren, bey welchen man gar nichts vorbehält, ſondern gleichſam auf Snad. und Ungnad ſich der Herrſchaft eines anderen übergiebt, ſind wohl von keinem Fürſten, keiner Communität je ganz freywillig geſchehen. Die Liebe zur vollkommenen Freyheit, beſonders wenn man ſie einmal genoſſen hat, iſt zu ſtark in dem menſchlichen Gemüth, als daß man dieſes höchſte Glüksgut je ohne dringende Noth aufgeben könnte. Auch beweist die ganze Geſchichte, daß freyge⸗ weſene Fürſten oder Nationen, ſo lang noch immer ein Kampf möglich iſt, ſich lieber zum Krieg als zur Unter⸗ würſigkeit entſchlieſſen, und soft ſogar den Tod einer un⸗ gewohnten, wenn auch erträglichen, Dienſtbarkeit vorzie⸗ pen. Die Subjektions⸗Verträge erfolgen allemal nur dann, wenn entweder der Kampf bereits fruchtlos verſucht worden iſt, oder doch jeder Widerſtand unnüz und unmöglich wäre, wenn mit einem Wort die bereits verlorne Unabhängigkeit doch nicht gerettet werden, die Einwilligung oder Unterwerfung aber den Sieger be. ſänftigen, und noch ein leidlich günſtiges Schikſal er⸗ wirken kann. Unbedingt ſich an jemand zu unterwerfen, alles dahinzugeben blos des Friedens oder der Erhaltung des Lebens wegen, iſt zwar niemand ſchuldig, und wenn

555 cin anderer, obne vorangegangene ihm zugefügte Beleia digungen, ſolche Unterwerfung verľangt oder mit Ueber⸗ macht erzwingen will, fo iſt ſolches an ihm immer un⸗ recht. Sich ſolcher Anmaßung entgegen zu ſezen, kann rechtlich nie getadelt werden, ſondern iſt vielmehr rühm⸗ lich und ehrenvoll; aber den Beſiegten, den Schwächeren iſt nach ihrem Befugniß eben ſo gut erlaubt, allenſalls ‚auch auf daš Glüksgut einer vollkommenen Unabhängig— keit, wie auf jedes andere, Verzicht zu thun: und es kann allerdings Umſtände geben, wo ihnen ſolches von der Klugheit gerathen wird, um größere Uebel zu ver⸗ meiden. Dieß iſt z. B. der Fall bey jeder belagerten Stadt, die ſich zulezt auf Gnad und Ungnad dem Sie⸗ ger übergiebt, um ihren gänzlichen Ruin zu verhüten; nicht minder kann es geſchehen aus Ueberdruß von bür⸗ gerlichen Unruhen 23) oder zur Sicherheit gegen einen dritten, von welchem man ſonſt mehr Uebels beſorgt, oder and Bedürfniß von Lebensmitteln, die cin mächtíe gerer Nachbar fperren kann, und vo welchem man alfo fon der phyſiſchen Exiſtenz wegen abhängig iſt. Man pflegt, ſagte Ariſti des, das Schiff durch Wegwerfung der Sachen, aber nicht durch Wegwerfung der Menſchen zu erhalten. 24) Die Unabhängigkeit iſt freylich das höchſte Gut, die Krone, der Gipfel des menſchlichen Glüks; aber nicht das einzige und nach der weiſen Einrichtung der Natur nicht das unentbehrlichſte; man kann auch ohne dieſelbe noch ein ſehr beneidenswerthes Leben führen. Daher iſt es erlaubt, und bisweilen klug

23) Vejenti tedio annum ambitionie et discordiarum regem creavere. Liv. V, 1.

24) Orat, Plat. tr.

556 ſie aufzugeben, um größere Uebel 41 vermeiden, und an⸗ bere weſentlichere Güter, mie 4. B. Leben, Eigenthum, Ruhe u. f. w. zu retten: fo. wie der Privatmann oft eine ſchuz⸗ und nahrungsloſe (ihm nicht zu behaupten mög⸗ liche) Freyheit verläßt, um in dem Dienſt eines anderen eine beſſere Exiſtenz zu ſuchen. 25? Das frappanteſte Ben ſpiel einer unbedingten Unterwerfung iſt das der kleinen Koönige und Fürſten von Syrien, Meſopotamien, Soral, Libien und Cilicien an Nebucadnezar, von welchem im Buch Judith geſprochen wird, und wo mit kindlicher Einfalt ſogar bie bazu bewegenden Klugheitsgründe ana geführt werden. 26) So haben ſich auch die Campa—⸗ nier unbedingt ben Rimern mit folgender Formel una

æ5) Schoͤn laͤßt Günther den Guido Blandiatensis in oratione. ad Madiolanenses ſprechen: Omnia securi pro libertate feremu⸗ Sed libertatem comtemta nemo salute Sanus amat negue enim certw susceptio eľadie: Quam vitare gueae, nísi cum ratione salutis Libertatis amor, sed gloria vana putanda est.

26) ©. Judith II, z —5. Die Kônige und Fuͤrſten von Syrien, Mefopotamien, Syrien und Soral, #ibien und Cilicien ſaud⸗ ten ibre Botſchafter zu Holofernes und ſprachen:

Wende deinen Zorn von uns:

Denn es iſt beſſer, daß wir Nebutadnezar, dem großen Könige, dienen und. bie gehorſam ſeyn, und lebendig blei⸗ ben, denn daß ir umkommen und gewinnen aleichwobl nichts.

Alle unſere Staͤdte, Guͤter, Berge, Huͤgel, Aeker, Och⸗ fen, Schafe, Ziegen, Roſſe und Mamecle, und mag wir nur haben, dazu auch unſer Geſinde, iſt alles dein; ſchaffe damit was du willſt.

a auch tit ſamt unſern Kindern ſind deine Knechte. Komm zu uns und ſey unſer gnaͤdiger Herr und brauche un⸗ act Dienſts wie dir gefállt.

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terworfen: Quandoquidem nostra tueri adversus vim atgue injuriam Justa vi non vultis, vestra certe de- fendetis. Ttague populum Campanum, urbemque Ca- puam, agros, delubra deum, divina humanague om- nia in vestram, Patres čonšcripti, populigue Roma- ni ditionem dedimus. 27) Eine ähnliche vollkommene Untermerfung war die des Herzog von Kurland und der Kurländiſchen Stánde, welche durch cine förmliche Wcte vom 17ten März 1795 allem Verband mit dem vernich⸗ teten Königreich Polen entſagten, und ſich unmittelbar und unbedingt dem Zepter von Rußland unterwarfen, auch der damaligen Kayſerin die Beſtimmung ihres künf⸗ tigen Schikſals überließen. Uebrigens verlieren auch die unbedingten Unterwerfungen ihr ſchrekhaftes Ausſehen, ſobald man natürliche Pflichten und deren Verbindlichkeit anerkennt. Der vollkommenſte Gubjektions⸗Vertrag ver⸗ äußert das angeborne Eigenthum nicht, und kann auch den neuen Herren nicht von dem natürlichen Geſez der Gerechtigkeit und des Wohlwollens diſpenſiren; er wird im Gegentheil, vermittelſt des Appels an ſeine Großmuth, durch eine Art von Ehrenzwang verbunden, ſeine Ge⸗ walt weniger als ſonſt zu mißbrauchen. Die Unterwer⸗ fung iſt im Grund nichts anders als eine Erklärung, daß man die Herrſchaft anerkenne, und ferner keinen Wider⸗ ſtand thun wolle, welcher ohnehin gegen entſchiedne Ue⸗ bermacht thöricht wäre. Oft iſt daher ihr Reſultat nicht beſchwerlicher, als wenn dieſer oder jener Vorbehalt be⸗ ſtimmt wäre zugeſagt und ausgeſprochen worden. In⸗ zwiſchen find bie gang unbedingten Unterwerfungen me merhin äußerſt felten, theils meil fe den Widerſtand ver⸗

27) Liv. Hist. VII. ©. 31.

i

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längeren, und bie Menſchen faſt zur Verzweiflung brine gen, theils weil der Mächtigere ſelbſt gern den Schein der Billigkeit haben will, und daher ſich nicht leicht wei⸗ gert, den Beſiegten einige ihnen nüzliche, ihm ſelbſt aber gleichgültige Bedingungen zuzuſichern, um das übrige ru hig beſizen zu können.

Deſto mehr giebt es hingegen bedingte Unterwer— fungen, als ben denen beyde Theile ihren Vortheil fine den, und die in ſehr verſchiedene Formen eingekleidet werden können. Der Schwächere erwirbt Schuz: und Si⸗ cherheit von der Macht die ihm ſonſt gefährlich werden könnte, und deren er nicht zu widerſtehen vermöchte; der Stärkere hingegen vermehrt die Zahl ſeiner Freunde und die Maſſe der Hülfsmittel, wodurch ex ſeine Unabhän⸗

gigkeit gegen anderweitige Feinde behaupten kann. Nüz⸗

licher Gebrauch ſeiner Macht, Schuz der Schwachen, Hülfleiſtung in gerechten Dingen, trägt erſtaunend viel zur Erweiterung der Herrſchaft ben, und zieht bie An. ſchlieſſung oder Unterwerfung der minder Mächtigen oft freywillig nach ſich. So ſagte Cicero von den ſchönen Zeiten Roms: „Itaque illud patrocinium orbis terra magis quam imperium poterat nominari.“ 28) Se waren AU) die alten Vaſallſchaften oder Infeuda⸗

28) Ich liebe zwar dieſen Selbſtruhm der Roͤmiſchen Schriftſte ller nicht, und babe ſtets cin gebeimes Gefuͤhl, es moͤchte in der Wirklichkeit gerade Dad Gegentheil beſtanden haben. Mir

ſcheint id hoͤre die revolutionaͤren Franzoſen reden. Wahr⸗ haft gerechte Menſchen pflegen ſich nicht ſelbſt zu ruͤhmen. Aber gewiß iſt, daß ein Dienſt den anderen nach ſich ziebt, und daß alſo gerechte Huͤlfleiſtung unglaublich viel zur Erwei⸗ terung der Macht beytraͤgt.

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tionen (feuda oblata) ein mildes, ben Frieden beför⸗ derndes Berband, wodurch ber Schwächere, blos gegen zu leiſtende Treu und Hülf, ſeine ganze übrige Exiſtenz ret⸗ tete, ſich den Feind zum Freunde machte, und gegen andere Feinde Ruh uud Sicherheit erhielt. Es war cine fried⸗ liche, beyde Theile zufriedenſtellende Fiction, ſein Eigen⸗ thum dem mächtigeren Nachbar, welchem man nicht wi⸗ derſtehen Ťonnte, de Scheine NA) abzutreten, und gleich wieder von demſelben als erbliches Lehen zurükzuerhalten. Da wurden wenigſtens die Freygeweſenen, die vorher im höchſten Glük gelebt hatten, nicht von Land und Einkünf⸗ ten verdrängt, nicht von Haus und Hof getrieben, noch in Armuth und Sklaverey geſtürzt. Die ſtehenden Ar⸗ meen, die heutige gewaltſame Rekrutirungsart, die gro⸗ ßen Fürſtlichen Schulden und das dadurch veranlaßte Ab⸗ gaben-Syſtem, vorzüglich aber die herrſchenden falſchen Staats⸗Grundſäze, haben in unſern geiſtloſen Zeiten auch dieſen freundlichen Ausweg beynah unmöglich gemacht. Man wollte kein Mittel mehr zwiſchen vollkommener Un⸗ abhängigkeit und vollkommener Unterjochung anerkennen, und ſchien zu vergeſſen, daß billige Verträge alle Colli⸗ ſionen heben, beyde Theile befriedigen, die Herrſchſucht des Mächtigen, (der oft nicht fowohl Land und Einkünfte als andere Vortheile ſucht) und die weſentlichen Rechte oder Wünſche des Schwächeren mit einander vereinbaren können. So liefert ferner die alte und neuere Geſchichte häufige Beyſpiele von mancherley anderen bedingten Un⸗ terwerfungen, erbetenen Schuz⸗- und Schirmherr⸗ ſchaften, Advokatien u. ſ. w., 29? wobey der ſchwä⸗

29) Sie hießen auch Notbvňagte defensores ecclesia Ad- vocati Advocati armati. Carl der Große rieth den Kloͤ⸗ ſtern ut potentes seculi sguitatis-et fidelitatig amatoras eli-

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chere Theil ſich bald dieſe bald jene zu ſeiner guten" Etfo ſtenz nothwendigen Rechte, z. B. Freyheit von Steuren und Abgaben, oder von Rekrutirung, eigene Gerichtsbar⸗ keit, Domainen und Regalien, Fortdauer der inneren Landes⸗Verfaſſung, Handels-Freyheit u. ſ. w. vorbehielt, alles übrige aber, was ihm nicht ſo weſentlich war, dem anderen abtrat, und hinwieder von ihm geſchüzt wurde. 30) So wollte Alexander der Große bisweilen dem überwun⸗ denen Darius die Bedingung auflegen, daß er, Darius, anderen wie vorher befehlen möge, ſelbſt aber dem Ale⸗ rander gehorchen ſolle; und Evagoras, König von Cypern, ſagte, er wolle ſich dem Perſeus unterwerfen, aber wie cin König einem König. 31) Unter eben dieſe bedingten Unterwerfungen gehören die Anſchliefſungs- und Reunions⸗Verträge, Conſtitutions Annah⸗ men ꝛc. deren wir in unſeren Tagen fo viele geſehen bas ben, welche die Unterjochung verſchleyern ſollten, in de⸗ nen aber doch bald die Ausnahm von gewiſſen Beſchwer⸗ den, bald dieſe oder jene Begünſtigung verlangt oder 411- geſtanden worden iſt. 32) Die wichtigſten Subjektions⸗ Verträge ſind aber diejenigen, mo ganze Nationen oder

gant: Montag Seſchichte der D. ſtaatsbuͤrgerlichen Freyheit T. I, 252.

30) Siehe 3. V. bie bedingte Unterwerfung des Liviner⸗Thals an Uri und Obwalden von 1402. Muͤller Schweizer⸗Geſch. T. II, 662. ff. und die der Stadt Freyburg au den Herzog von Saboyen VÝR 14652. Ebend. T. IV. S29. Bepde find außerordentlich merkwuͤrdig, weil dabey den Unterworfenen durchaus nichts von dem Ihrigen genommen wurde.

31) Diodor. L. XV. c. 9.

32) Muͤllbauſen 1797. Genf 1798. Cisalpinien 1802, Genua und Lukka 1806, Rheiniſcher Bund 1306.

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fvenigftený die Großen und Mächtigen einer Nation, bey abgegangenem Königsſtamm, oder nad inneren Streitige feiten u. ſ. w. einen fremden, mädtigen, mit ibnen bes reits durch andere Verhältniſſe verbundenen Fürſten zu ihrem Oberhaupt anrufen, und ſich von demſelben durch Wahl-Capitulationen, pacia conventa u, ſ. w. die Zuſicherung und Beſchwörung gewiſſer Grund-Artikel ausbedingen; ein Ereigniß, welches man aber, genau zu reden, nicht cine freye Königswahl, ſondern nut eine bes dingte Unterwerfung an einen bereits vorhandenen König nennen kann. |

c. Von den Behdingten Unterwerfungen find, der Deut⸗ lichkeit der Begriffe megen, nod die (ogenanuten Set. vítuten oder. Staats⸗Dienſtbarkeiten zu unter. ſcheiden, wodurch cin Fürſt in bem Sand eines anderen zwar nicht bie Oberherrſchaft, aber dod) einzelne Nedte und Befugniffe erwirbt, obne im úbrigen die Unabhän⸗ gigleit dedfenigen zu ſchmäleren, ber ſich zu dieſer Ver⸗ pflichtung einverſteht. Dergleichen Servituten können bey Anlaß von Bündniſſen, Friedens-Traktaten und allen anderen Verträgen übernommen, und ſowohl förmlich als auch ſtillſchweigend durch lange unwiderſprochne Zulaſ⸗ ſung eingeräumt werden. So ſieht man häuſfig, daß cin mächtigerer Fürſt in dem Rand eines ſchwächeren Nach⸗ baren, das Durchmarſch⸗, Vefazungý-, Mann⸗ ſchafts- obeť Zuzugs- und daš Rekrutirungs⸗ Recht erhält. Bisweilen werden aus ähnlichen Conve⸗ nienz-Gründen die peinliche Gerichtsbarkeit, bie oberſte Appellation u. ſ. w. eingeräumt. Dahin ge» hören auch die ehmals von Staat zu Staat mehr als jest üblichen jährlichen Tribute, mittelſt welchen man

Aveyter Riad, A

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oft ſeine gar“e Úbrige Exiftený rettete , 33) das Befugniß in einem benachbarten Rand Poften, Zölle, Geleite u. ſ. w. anzulegen, die Verträge, wodurch der Schwä—⸗ chere ſich verbindet ohne Vorwiſſen des anderen keinen Krieg anzufangen, keinen Frieden oder andere Bündniſſe zu ſchließen, und wodurch hiermit der Mächtigere dieſes Befugniß erwirbt, endlich die ehmals von ben geiſtlichen Ständen und einzelnen freyen Städ⸗ ten an mächtigere Herren ſo oft zugeſtandenen Schuz⸗ rechte, bie jura circa sacra ut Aufrechthaltung cine verwandten Religions⸗Partey u. ſ. w. 34)" Es laſſen ſich ſolcher Servituten noch unendlich mehrere denken, und die Römer insbeſondere waren äußerſt ſcharfſinnig um dergleichen ihren beſiegten Feinden in Friedens⸗Trakta⸗ ten oder Bündniſſen aufzulegen, und zwar ſowohl vor⸗ übergehende als fortdaurende, zum Theil ſehr erniedri⸗ gende. 25) Auf ähnliche Art kann cin ſchon file ſich un⸗

.33) ©, febr bôufige Beyſpiele davon in Bokmer jus publ. univ. sp. 250, |

$4) Ueber die Staatsdienſtbarkeiten im Allgemeinen ſ. Grotius j b. et p. L. II. c. 15. 6.7. Bahmer jus publ. univ. p. 336. und von Deutſchland ins beſondere Pútteré Diftor. Entwik⸗ lung ber d. Staats-Verfaſſung 1, 277.

55) Onera transitoria: de solvendo stipendio, de manibus di- rucndis ut locis guíbusdam decedatur ut ďentur ob- sides, egui, naves ete. Onera manentia: de imperio ac mMajestate comiter colenda ut hostes et amici habeantur guos velit partium ahera ne cui exercitu bestili per fines transitus commeatuéve detur ne arceš certiš loci mdificare ne exercirúm ducere, ne naves babere ultra numorum definitum ne urbem condere, ne navigare, ne militem“ certis locigs conscribere ne socios oppagnare, ne comineatu hostes juvare liceat ut fozdera. prius facta

Ň | | 563 abhängiger Fürſt bobe Aemter in einer Republik oder freyen Communität erhalten, dadurch ſeine Befugniſſe vermehren und anvertraute Macht mit eigener verejnie gen: wie z. B. in der alten Geſchichte Philipp V. von Maccdonien und Demetrius Poliorcetes die Ober⸗ Feldherren⸗Stelle in den Griechiſchen Staaten, und in der neueren die Fürſten von Naffau Oranien bie erbliche Statthalter-Würde in ben ſieben Provinzen ber vereinigten Niederlande, vieľ andere die Großmeiſterſchaften in mächtigen und begüterten Orden u. ſ. w. erhielten. 300 Weit entfernt nun, daß jene Staats⸗Dienſtbarkeiten an und für ſich gehäſſig, un. gerecht oder ſchädlich wären: ſind ſie im Gegentheil eine natürliche Folge der ungleichen Macht und der nachbar⸗ lichen Verhältniſſe, freundſchaftliche Dienſtleiſtungen und Gefälligkerten, wie ſie oft auch unter Privat⸗Perſonen ſtatt finden, Mittel zur Erhaltung oder Befeſtigung des Friedens, oft ſogar für den Verpflichteten ſelbſt vo gro⸗ ßem Nuzen, 37) und wenn ſie auch bisweilen zu weit

cum aliis dirimentur etc. ete. ©. Crotius l. c. L. II. c. 15. $. 7.

36) Hier bat man bod ben Unterſchied zwiſchen eigener und bes legittet Madt, zwiſchen Fuͤrſten und Beamten neben ein⸗ ander vor Augen. Es iſt unbegreiflich, daß die Staatsrechts⸗ lehrer dergleichen Beyſpiele nicht aufgefaßt haben, um die Theorie zu verbeſſeren.

37) Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel mie nuͤzlich dergleichen Servituten ſeyn koͤnnen, iſt das ſogenannte Burgrecht, welches der Graf von Neuchatel auf Georgi 1406 mit der Stadt Bern zum Schirm gegen jede unrechtmaͤßige Gewalt ſchloß. Gleichen Tags ſchloß auch bdie Stadt Neuchatel ein ganz aͤhnliches Burgrecht mit Bern, welches bereits die große Freyheit der

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ausgedehnt, mithin nachtheilig werden mögen: ſo ſind ſie doch wenigſtens der heutigen Uebung weit vorzuziehen, wo man zu Ausgleichung von Streitigkeiten oder Hebung von Colliſionen, nichts anders mehr als gänzliche Unter⸗ jochung oder Einverleibung zu kennen ſchien.

So ähnlich aber dergleichen Servituten den bedingten Unterwerfungen find und daher oft mit ihnen verwechſelt werden, ſo beſteht doch zwiſchen beyden ein weſentlicher Unterſchied. Die Unterwerfung iſt eine Abtretung, die Servitut nur cine Beſchränkung ber Souverainität. 38) Dort tritt der Schwächere im Grund alles ab und bes hält ſich nur einzelne Rechte oder Befugniſſe vor, die daher auch Privilegien genannt werden; hier aber räumt er dem Mächtigeren nur einzelne Befugniſſe ein, er verpflichtet úd blos zu einer beſtimmten Nenſtbarkeit,

damaligen Verbáltniffe bemeilgt. Beyde, der Braf und die Stadt Neuchatel, famen uͤberein: in Streitigkeiten zwiſchen ihnen ven Schultheif und Natô su Bern Urtheil zu nehmen, und geſtatteten and, dať die Macht von Bern den Behorſamen wider deſſen Widerpart ſchirme. Dieſem Burgrecht verdankten die Grafen ben vierhundertjaͤhrigen rubigen Befiz ihrer rechtmaͤßi⸗ gen Herrſchaft, waͤhrend faſt alle uͤbrigen alten Fuͤrſten ded Helvetiſchen Landes zu Grunde giengen: und das Volf ſeiner Seits nebſt beſtaͤndigem Frieden, den ungetruͤbten Genuß al“ ler ſeiner Rechte und Freyheiten, die nur deßwegen ſo groß waren, weil hier das alte natuͤrliche Staatsrecht rein und unverfaͤlſcht geblieben iſt. Selten trat der Fall jener Gerichts⸗ barkeit cin, nie ik fle mißbraucht worden, mehreremal dem Fuͤrſten, oft and den Untertbanen nuͤzlich geweſen. S. Muͤl⸗ üer Schweiler ˖Geſchichte T. II. ©, 642. ff.

58, imminutio imperii non translatio.

368.

entweder etwas nicht thun zu dürfen, was er ſonſt thun konnte, oder etwas leiden zu müſſen, was er ſonſt zu lei⸗ den nicht ſchuldig war, behält aber in allem übrigen ſeine bisherige vollkommene Freyheit. Dort bey der be⸗ dingten Unterwerfung iſt die Regel, daß die Souveraini— tät oder das Gebiet ſelbſt abgetreten ſey, und die zuge⸗ ſtandenen Privilegien ſind nur cine Ausnahme; hier aber beſteht die Regel in der Unabhängigkeit des verpflichteten Theils, und die Ausnahme nur in der Servitut zu dex ren er ſich verſtanden hat. Wenn daher über den Sinn oder die Ausdehnung von dergleichen Verträgen Zweifel entſtehen: ſo müßten ſie in erſterem Falle zu Gunſten des Mächtigeren, der die Oberherrſchaft erworben hat, in lezterem hingegen zu Gunſten des Schwächeren, der nur einen Theil ſeiner Freyheit aufgab, entſchieden werden. Wohl mag es bisweilen geſchehen ſeyn, daß aus ſolch einzelnen Befugniſſen, welche einem mächtigen Nachbar urſprünglich aus Noth oder aus Freundſchaft eingeräumt worden, in der Folge eine gänzliche Oberherrſchaft oder ſogenannte Landeshoheit entſtanden, daß die von dem Schwächeren erwieſene Gefälligkeit der erſte Schritt zu ſeiner künftigen Unterjochung geweſen iſt. Man weiß z. B. wie viele freye Städte, Abteyen, Bisſthümer, auch einzelne Grafſchaften und Herrſchaften des deutſchen Reichs, ihre Unmittelbarkeit verloren haben und unter dem Vorwand von Beſazungs- oder Mannſchafts-Recht Kaſten⸗Vogteyen, Schuzgerechtigkeiten u. ſ. w. zu ſoge⸗ nannten Landſaßen eder gar zu Unterthanen gemacht wor⸗ den ſind. Allein dergleichen Ereigniſſe gehören dann blos zu denjenigen Mißbräuchen der Macht, die nun einmal von der menſchlichen Natur unzertrennlich, aber doch nie⸗ malen allgemein ſind; oft waren ſie auch, ohne Wider⸗

566

ſpruch, cine allmählige Folge ded unwiderſtehlichen Drangs der Umſtände, wodurch die Unterwerfung gleichſam frey— willig von ſelbſt entſtand, und bisweilen, zumal in ume ſeren Tagen, mögen ſie eben ſo gut aus Unwiſſenheit, d. b. aus verkehrten, in der Schul erlernten Staats⸗ Grundſäzen (nach welchen man keine Verſchiedenheit, keine poſitiven Verträge mehr anerkennen, ſondern alles abgerundet, abgeſchloſſen und gleichförmig haben wollte) als aus wiſſentlich herrſchſüchtigen Abſichten geſchehen ſeyn.

Sind nun gleich alle dieſe Verträge dem einen Theil vortheilhaft, dem anderen bigweilen nachtheilig und von Seiten des lezteren mehrentheils eine Folge der Unklug⸗ heit, der Noth oder der natürlichen Uebermacht: ſo kann dennoch ihre Verbindlichkeit nicht geläugnet werden. Denn erſtlich iſt es ein abſolutes Gebot, daß man recht⸗ mäßige Verträge und Verſprechungen halten ſoll ſo lang der andere ſie auch hält, weil ohne dieſes kein Vertrag, kein Friede auf Erden möglich wäre: und was man ein⸗ mal abgetreten hat, das kann man nicht mehr als ſein Eigenthum anſprechen. Der Vorwand, daß die Einwil⸗ ligung nur durch Furcht und Noth abgedrungen worden ſey, kann im Allgemeinen unmöglich zur Nichthaltung des Verſprechens berechtigen, und ſelbſt die von einigen Juriſten gemachte Unterſcheidung, zwiſchen einer Fuxcht die mit Recht, und einer, die mit Unrecht eingejagt wor⸗ den ſey, reicht dazu nicht hin. Denn wer ſoll darüber zwiſchen Unabhängigen entſcheiden? Genau zu reden kann die Gewalt wohl rauben und ſchaden, aber den Wil⸗ len ber Menſchen vermag ſie nicht zu nöthigen: 30) und

39) Voluntas nihil vincere potest nisi ipsa se se. Arrian L.I. b. 29.

: 567 wer de phyſiſchen Schmerz, ben Tod und bie Verban⸗ nung nidht fúrdtet, der kann zu feiner Einwilligung 4e. zwungen werden, ja unter Fürſten kömmt es gewöhnlich gar nicht einmal zu ſolchen Extremitäten. Wollte man zugeben, daß durch Furcht abgenöthigte Verträge nicht gehalten werden müſſen, ſo würde ſich bald jeder unter dieſem Vorwand von ſeinen Verſprechungen zu entledigen ſuchen; er wäre der alleinige Richter, ob er ſich gefürch⸗ tet babe oder nicht. Man koönnte mit keiner belagerten Stadt mehr kapituliren, 10) keinen Krieg mehr durch ci. nen Frieden beendigen, wenn der beſiegte Theil nachher einwenden dürfte, daß man ihm die Bedingungen durch Furcht abgedrungen babe, und daß er alſo zu ihrer Er— füllung nicht verpflichtet ſey. Ein Verſprechen aus Furcht geleiſtet verbindet demnach allerdings den Verſprecher, wo⸗— fern er einmal zu der verſprochenen Handlung berechtiget war; wer aber ohne Befugniß und ungerechter Weifſe zu der Furcht Anlaß gegeben hat, der iſt auch ehrlicher Weiſe ſchuldig, den anderen ſeines Verſprechens zu entledigen, (ihm ſolches gleichſam zurükzugeben) und kann allenfalls dazu angehalten werden, nicht nur von dem Beleidigten, ſondern auch von anderen die ihm Hülfe leiſten. Zudem entſpricht aber ſelbſt dem nachtheiligſten Vertrag immer noch ein gegenſeitiger Vortheil, den man ſonſt nicht würde erhalten haben, und welcher mithin das Verſprechen ur deſto verbindlicher macht. Denn außer der vollkommer

40) Seni 4. B. (ſagten die Soͤttingiſchen Bel, Bin: fchon 1760 ben Anlaß von Genua) eine Stadt eine [ pitulation zu bredden die Freybeit hat: fo muf ma! tig zerſtoͤren, um vor den erfaubten Bemäbunoc! žu ſtellen, die fie anwenden wird, den cingenany winder auszutreiben. Jahrg. 1760, S. 1294.

508

Unabhängigkeit giebt es noch vieľe andere weſentliche Gü⸗ ter zu retten, wie z. B. das Eigenthum, die perſönliche Freyheit, der ganze übrige Spielraum einer freyen und glüklichen Exiſtenz: und wären es am Ende auch nur das Leben oder Ruhe und Frieden, was man durch ben Bero trag zu erhalten ſucht, ſo kann ſich der Menſch aus Liebe zu dieſen Gütern, zur Abhängigkeit oder freywilligen Dienſtbarkeit bequemen; ſeine Einwilligung beweist im⸗ mer, daß er ohne dieſelbe größere Uebel befürchtete, und daß er alſo dasjenige, maš ihm mittelſt des Vertrages blieb, für beſſer oder nothwendiger hielt, als dasjenige was er abgetreten bat. +7) Mauche und ſogar die mei⸗ fen der obberiibrten Verträge können aber durchaus frey⸗ willig und zu gegenſeitigem Vortheil geſchloſſen werden. Warum ſollte z. B. cin von den Beſizungen eines mäch⸗ tigeren Nachbaren umgebener Fürſt dem lezteren nicht bad beſtändige Durchmarſch⸗, Beſazungs⸗, oder Rekruti⸗ rungs⸗Recht, die Anlegung von Poſten u. ſ. w. geſtatten dürfen, wenn er ſolches ohnedem nicht zu hinderen ver⸗ mag, oder vielleicht gar für ſich ſelbſt nüzlich ſindet, und ſich dadurch zugleich ben Schuz und die Freundſchaft je⸗ nes Maͤchtigen erwerben kann? Was nüzt einem 'ſande⸗ ren das Befugniß Krieg zu führen und Bündniſſe zu ſchlieſſen, wenn die Lage ſeines Landes und die Umſtände ſo beſchaffen ſind, daß er daſſelbe ohne Einwilligung und Mitwirkung ded mächtigeren Nachbaren doch nicht aus⸗

41) Ueber die Verbindlichkeit ber durch Furcht abgedrungenen Ver⸗ traͤge ſind doch die meiſten gruͤndlichen Juriſten einverſtanden. G. vorzuͤglich Grotius j. b. et p. L. III. c. 11. S. 7. Cap. 17. $. 18. Cap. 19. $. 4. Pufendorf j. n. et g. L. III. Csp. 6.

, Behmer jus publ. univ. p. 337 33%. Bodin de republ L.V. ir. Groß Naturrecht 8. 189.

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üben fann? Es ift daher keinem Zweifel unterworfen, daß ale dergleichen Unterwerfungs⸗ und Dienſtbarkeits⸗ Verträge an und für ſich vollkommen rechtmäßig ſind, und von demjenigen deſſen Unabhängigkeit vermindert wor⸗ ben iſt, in fo lange gehalten werden müſſen, bis ent⸗ weder Der andere paciscirende Theil nicht mehr exiſtirt, oder ihn ſeines Verſprechens entlediget, oder endlich den Vertrag ſelbſt nicht beobachtet oder überſchreitet, und in dieſem Fall etwa durch einen gerechten und glüklichen Krieg günſtigere Bedingungen erwirkt werden können. +2)

Dagegen verſteht ſich aber auch, daß bey allen die⸗ ſen vertragsmäßig erworbenen bedingten Oberherrſchaften oder einzelnen Befugniſſen, die Autorität eines ſolchen Oberherren nicht nad) dem grundherrlichen Recht, viel⸗ weniger nach der willkührlichen Idee einer ſogenannten Staatshoheit, ſondern einzig nach dem Vertrag beurtheilt werden kann. Er iſt hier nicht Grundherr, er beſizt we⸗ der Domainen noch Regalien, und hat alſo nicht die

Rechte welche aus dieſem Eigenthum fließen, ſondern nur

42) Sehr gruͤndlich und durchaus naturrechtlich wurde dieſe leztere Frage, wenn die Vertraͤge aufhoͤren verbindlich zu ſeyn, auch in ber Allocution des Pabſtes Pius VII. (m geheimen Conſiſtoris am aten September 1815, oder vielmehr in der Note ded Car⸗ dinal Conſalvi an dem Wiener⸗Congreß vom z4ten Jund 1215 behandelt bey Anlaß des ihm wegen Avignon und den drey Legationen entgegengeſezten Traktate ven Tolentino. Der Hauptgrund beſtand darin, dať Frankreich die Bedingung die⸗ ſes Vertraas, nemlich die Belaſſung der uͤbrigen Provinzen

des Kirchenſtaats, auch nicht gehalten Babe, ja ſogar in ſeinen

Feindſeligkeiten bi zu gaͤnzlicher Zerſtoͤung des Kirchenſtaats vorgeſchritten ſey, welches den lezteren offenbar ſeiner Ver⸗ pflichtung entlediget.

970

fo vieľe, als in den Bedingungcn bed Vertrages enthal⸗ ten find. Daraus erklärt ſich wieder, 1006 wir (hon oben bemerkt haben, daß die meiſten nur etwas größeren Fürſten nicht in allen Theilen ihres Gebiets die gleichen Rechte beſizen, ſondern bald durch zugeſtandene Privile⸗ gien, bald durch andere Verträge beſchränkt ſind: und es bleibt daher immerhin deſpotiſch und widerrechtlich, wenn einzelne Fürſten oder republikaniſche Regierungen, ohne Rückſicht auf die Rechtsverhältniſſe, nach welchen ſie in dieſen oder jenen Provinzen herrſchen, aus ſogenannten Staatszweken alles gleichförmig einrichten und überall bie nemlichen Befugniſſe ausüben wollen. Nicht zu ge⸗ denken, daß dieſe Gleichmacherey, wenn man auch dazu berechtiget wäre, der Natur der Dinge widerſtreitet, und allemal dem Wohl der Völker nachtheilig iſt.

Endlich und fünftens muß der Vollſtändigkeit wegen angeführt werden, daß die Landesherrliche Macht nicht blos durch rechtmäßige Erwerbungen und freywillige Ver⸗ träge, ſondern freylich auch durch Mißbrauch der Be. walt, durch ſogenannte Uſurpationen oder unrecht⸗ mäßige Erwerbungs⸗-Titel vergrößert werden kann: und dieſer Mißbrauch iſt zwar immer unrecht, aber doch nur cine Ausſsnahme von der Regel und, mie jede Beleidi⸗ gung, nicht immer zu hinderen möglich. Dazu reidýen , wie ſchon oft bemerkt worden, die menſchlichen Geſeze und Gerichte nicht einmal unter Privat⸗Perſonen hin, +3). und man bat Beyſpiele genug, daß der lezteren Vermö⸗ gen eben auch nicht immer auf rechten Wegen erworben wird. Mithin iſt ſich nicht zu verwunderen, daß jener

A

43) V, I. G, 311. 833“ 436 ff.

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Mißbrauch bisweilen auch unter Unabhängigen ſtatt fine det, als die unter keiner höheren Macht, ſondern nur unter den natürlichen Geſezen ſtehen. Dergleichen un⸗ rechtmäßige Länder- und Herrſchafts-Erwerbungen heißen Uſurpationen in Bezug auf denjenigen der ſich fremde Rechte anmaßt, und Unterjochungen oder Spolia⸗ tionen in Bezug auf den beleidigten, ſeiner Freyheit oder ſeines Eigenthums beraubten, Theil. Dahin gehö—⸗ ren z. B. die bewafneten Invaſionen eines benachbar⸗ ten Landes ohne allen vorhergegangenen Streit oder nach einer Streitigkeit, die gleich jener ded Wolfs in der Fa⸗ beľ blos zum Dekmantel der Herrſchſucht abſichtlich ber» beygezogen iſt; die Behauptung eines ſolchen überfallenen Landes, die Unterwerfung eines Freyen ohne allen Ver⸗ trag, welche im eigentlichen Sinn Únterfodung oder Spoliation genannt wird, fe mag nun von einem al. lein oder von mehreren zugleich geſchehen, die ſich zur Theilung einverſtanden haben; die, Reunionen oder Einverleibungen kleiner, von dem Lande eines Mäch⸗ tigen umſchloſſener Beſizungen, wobey man im Vertrauen auf die Unmoͤglichkeit des Widerſtands nicht einmal die Gewalt der Waffen gebraucht; die Confiskationen oder ſogenannten Setularifatienen geiſtlicher oder Ordens-Güter aus angeblicher Landeshoheit, Reforma⸗ tions- oder Simplifizirungs⸗Sucht; die aufgedrunge—⸗ nen Mediationen, d. h. die unbefugten Anmaßungen richterlicher Rechte zwiſchen einem Fürſten und ſeinen Unterthanen oder zwiſchen verſchiedenen Fürſten ſelbſt, welche man nicht zur Ehre der Gerechtigkeit ſondern zu eigenem Nuzen ausübt; ferner die Machtſprüche, wodurch cin Gewaltiger dieſem oder jenem das But eines Drite ten zuſpricht, und deſſen Annahme von Seiten des begün⸗

572 ſtigten Theils immerhin cin unrechtmäßiger Erwerbungs⸗ Titel iſt. Von Abfällen oder ghlüklichen Rebellio— nen, d. h. von ſiegreicher Widerſezlichkeit gegen höhere rechtmäßige Gewalt, und von den Uſurpationen in Republiken, wo oft ein mächtiger Bürger oder ein kühner Feldherr ſich am Ende zum Herren ſeiner Mitbür⸗ ger und zum Eigenthümer ihrer gemeinſamen Beſizungen macht, werden wir anderswo ſprechen; denn durch dieſe Art von Mißbräuchen wird eigentlich die Unabhängigkeit erſt erworben, das Reich auf eine widerrechtliche Weiſe gegründet, hier aber iſt nur von den unbefugten Er⸗ weiterungen einer bereits beſtehenden rechtmäßigen Ge⸗ walt die Rede.

Alle dieſe und ähnliche Uſurpationen geben freylich kein wahres Recht; ſie ſind Mißbräuche der Gewalt, wel⸗ che man zwar durch die den Fürſten einzupflanzende Re⸗ ligioſität und allgemein verbreitete gute Doctrin, durch treue Bündniſſe zu ihrer Handhabung, durch werkthätige Freundſchaft, kraft welcher andere Mächtige dem Bea drängten zu Hülfe kommen, möglichſt zu hinderen ſuchen ſoll und ehmals auch zu hinderen ſich bemüht hat, die man aber, wie ſchon bemerkt worden, nie ganz wird verbannen können, fo wenig als man alles Unrecht, alle Gewaltthätigkeiten zwiſchen Privat⸗Perſonen zu hinderen vermag. Indeſſen ſind dod zur Berichtigung des allge⸗ meinen Staats⸗ und Fürſten⸗Rechts und zur Beruhigung derjenigen die immer alles in der Welt fr ungerecht bale ten, über gedachte Uſurpationen folgende drey Becerkun⸗ gen zu madýen : ©

12, Der Mißbrauch ber Gewalt bebt ben

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wahren Gebrauch nidt auf: alles iſt nicht Uſur⸗ pation, und wenn auch cin großer Fürſt einzelne Beß⸗ zungen auf eine unrechtmäßige Weiſe erworben hätte, ſo kann man ihm deßwegen nicht ſein Recht auf alle übrigen abſprechen. Dieſes wollten z. B. die politiſchen Sophiſten bed 18ten Jahrhunderts thun, indem ſie be. haupteten, daß alle Reiche durch Mißbrauch und Ge. waltthätigkeit gegrindet worden ſeyen, und deßwegen auch mit Gewalt wieder umgeſtürzt werden dürften. Allein theils iſt jene Behauptung nicht wahr, indem viele Staa⸗ ten durchaus rechtmäßig entſtanden ſind, theils würde auch die mißbräuchliche Erwerbung einzelner Theile des Gebiets, ihnen kein Recht geben ſich gegen einen ſolchen Fürſten aufzulehnen, weil die Uſurpation wenigſtens nicht gegen ſie geſchehen war, ſie nicht der beleidigte Theil waren, noch von irgend jemand zum RNichter geſezt oder angeſprochen worden ſind.

20. Denn hier ſchlägt die zweyte wichtige Betrachtung ein: Die Uſurpation eines Staats bezieht ſich nur auf den vorigen Beſizer, der in ſeiner Unab⸗ hängigkeit oder in ſeinem Eigenthum beleidiget worden, nicht aber auf deſſen Angehörige oder Unter⸗ thanen. Wer ſich von dem Haus und. Rand eines ande—⸗ ren gewaltſam und widerrechtlich bemächtiget, alle Ein. wohner deſſelben aber bey dem ihrigen läßt: (welches freylich ſelten begegnet) der bat eigentlich nur den ex fieten, nicht die lezteren beleidigt. Jener allein behält ewig ſeine gerechten Anſprüche, (o lang er ſelbige nicht aufgegeben bat, dieſe haben für ſich ſelbſt keine; ſie find zum Ungehorſam und zum Widerſtand gegen den urſprüng⸗ lichen Uſurpator šat wohl berechtiget aber nicht vera

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pflichtet, und auch erſteres nicht unter allen Umſtänden, noch auf ewige Zeiten. Schoön iſt es zwar, wenn Freunde und Unterthanen eines unbillig verdrängten Fürſten, deme ſelben, ſo lang noch eine Hoffnung übrig bleibt, Hülfe leiſten und nicht ſogleich mit willfährigem Gehorſam un⸗ ter jeden Uſurpator den Naken beugen. Das Unrecht ſoll wenigſtens moöglichſt erſchwert werden: dieß erfordert die Liebe, bie ſchuldige Treu und Dankbarkeit. Daurt da— bey der Kampf noch fort und kömmt die Aufforderung ded alten rechtuäßigen Herren hinzu: fo wird die mora. liſche Verbindlicheit deſto größer. Auch bat es die Na⸗ tur bereits alſo geordnet, daß ſich in dergleichen Fällen mit ber natürlichen Pflicht meiſt noch das eigene Inte⸗ reſſe verbindet, theils weil die Exiſtenz vieler Diener und angeſehener Unterthanen von jener des Fürſten abhängt, theils weil es gewöhnlich nicht blos bey der Beleidigung des Fürſten bleibt, ſondern auch die Unterthanen in ih⸗ ven Rechten gekränkt und mißhandelt werden. 0 Allein dieſe Hülfleiſtung iſt, wie alle Liebespflichten, durch den Beſiz hinreichender Kräfte bedingt und kann nicht ſtets blos einſeitig ſeyn. Daß alſo jener Widerſtand ewig fort⸗ dauren ſolle, daß die Unterthanen allein, ſelbſt ohne Aufforderung und ohne Mitwirkung ded verdrängten Für⸗ ſten, unaufhörlich gegen den Uſurpator zu kämpfen verpflichtet ſeyen, daß ſie ſich eher den gröſten unver⸗ meidlichen Uebeln ausſezen, und ſich z. B. der Verban⸗ nung, dem Hunger und dem Tod Preis geben ſollen, für einen Fürſten, der zwar die Uſurpation durch keinen Ver⸗ trag legitimirt, aber doch den Kampf ſelbſt aufgegeben

OE. OOOPS. ——— A

44) Vergl. oben ©. $2. von dex Huͤlfleiſtung im Kriege uͤber⸗ baupt. |

$75 bat: daß keine Verträge geſchloſſen werden dürfen oder die geſchloſſenen nicht zu halten ſeyen u. ſ. w.: das kann von ihnen unmöglich gefordert werden. Auch bat noch kein unterdrükter Souverain je dergleichen Anſprüche ge⸗ macht; ſelbſt in unſeren Zeiten fo vieler Uſurpationen und verdrängter Landesherren, hat keiner behauptet, daß gezwungener paſſiver Gehorſam gegen den Räuber des Reichs cin Verbrechen der Unterthanen oder cine Verle⸗ zung der Treu gegen ihren rechtmäßigen Herren ſey. Denn eine ſolche Forderung wäre gegen alle Menſchlichkeit und könnte aus keinem Rechtsgrund hergeleitet werden. Man fordert ja nicht einmal, daß die von einem Feind über⸗ fallenen Völker demſelben ſortwährenden Widerſtand lei⸗ ſten, obgleich hier cin ſolcher Kampf während dem für⸗ daurenden Krieg noch rechtmäßiger und gewiſſermaßen pflichtmäßiger wäre. Die Verhältniſſe, woraus die ge⸗ genſeitigen Rechte und Verbindlichkeiten entſpratggen, ſind während der entſchiedenen Herrſchaſt eines Uſurpa⸗ tors wenigſtens faktiſch aufgelöſt; cin Fürſt, der ſein Rand nicht mehr beſizt, ſeine Rechte nicht ausüben, ſeine Pflichten nicht erfüllen, ſeine Unterthanen weder nähren noch ſchüzen kann, iſt in der That nicht mehr Fürſt, ſondern hat nur rechtliche Anſprüche es zu ſeyn: und wenn die Unterthanen das ihrige gethan haben, um dem⸗ ſelben ſein Eigenthum zu erhalten oder wieder zu ver⸗ ſchaffen, ſo haben ſie gewiß alles erfüllt, was Treu und Redlichkeit ihnen je auflegen können. Am Ende tritt aber auch die Pflicht der Selbſterhaltung ein, welche jeden Menſchen berechtiget, nach ohnehin zerriſſenen Banden, doch für ſich und die Seinigen, für die Erhaltung ſei—⸗ nes Lebens, ſeines Eigenthums und ſeiner Ruhe zu ſor⸗ gen, wenn fernerer Kampf bod) nichts mehr fruchten

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kann und ihm ohne Nuzen fúr den Fürſten nut noch grö— ßere Uebel zuziehen würde. »

Endlich iſt drittens zu bemerken, daß langer, un. geſtörter, unwiderſprochener Beſiz zulezt auch die urſprüngliche Uſurpation zum wirť. lichen Rechte macht, theils meil et die Derelinqui⸗ rung oder Verzichtleiſtung von Seite des früheren Eigen⸗ thümers vermuthen läßt, theils weil während demſelben neue freywillige Verhältniſſe und Verträge ſich bilden, die ohne Ungerechtigkeit nicht wieder umgeſtürzt werden können. Es verhält ſich in der moraliſchen wie in der phyſiſchen Welt. Die Natur heilet alle Wunden und bringt nach und nach alles wieder ins Geleiſe; ihre un⸗ begreiflich herſtellende Kraft corrigirt zulezt alle Thorhei⸗ ten, alle Gewaltthaten der Nenſchen: ſonſt würde die Ordnung der Welt, welche der menſchliche Unverſtand ſtets zu verlezen droht, längſt zu Grunde gegangen ſeyn. Die ſogenannte Verjährung iſt zuverläßig, ſo wenig als das Eigenthum ſelbſt, blos durch den Willen der Men⸗ ſchen eingeführt worden: denn ſie beruht auf nichts an⸗ ders als auf dem natürlichen Recht, ein derelinquirtes verlaſſenes Gut in Beſiz zu nehmen oder als das ſeinige

45) Grotius bat bicie Frage de bello subditorum adversus ine vaserem alieni imperii bebanvelt. j. b. et p. L. 1. c. 4, $. 15 10. (9 aud Pufendorf. L. VII, c. 8. 6. 9. und v, Neal Etaatsfunít IV. 484. Uber alle, mie mir ſcheint, aug viel zu weit Dergebolten Srúnden und mit alliuvielen Subti⸗ litáten. Barum nicht ganz kurz ſagen, daß die Unterthanen zu ſolchem Krieg berechtigt, aber nicht abſolut verpflichtet ſeyen, und daß es von ibrer Klugheit und von Umſtaͤnden abhaͤngt, ob ſie jenes Befugniß ausuͤhen wollen.

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3% behalten, welches 41 allen Zeiten und in allen Bane dern als ein rechtmäßiger Eigenthums⸗Titel betrachtet worden iſt. Nur mußte zu Vermeidung entſtandenen Mißbrauchs unter Privat⸗Perſonen ein gewiſſer Zeit⸗ punkt feſtgeſezt werden, von welchem an ein Gut vor dem Richter als derelinquirt anzuſehen ſey, damit nicht jedes verlorne oder einen Augenblik vernachläßigte Eigenthum unter dieſem Vorwand von einem anderen in Beſiz genommen werden könne. Dabey iſt es auch der Natur und der Billigkeit angemeſſen, theils die Menſchen für lange willkührliche Sorgloſigkeit mit dem Verluſt ih⸗ rer Sache zu ſtrafen, theils auch einen rechtmäßigen Ei⸗ genthümer in ſeinem Beſiz zu ſicheren, indem man oft außer dem langen ungeſtörten Beſiz keine anderen Er⸗ werbungs⸗Titel aufweiſen kann, und ben der Ermang⸗ lung oder dem zufälligen Verluſt von ſchriftlichen Ur⸗ kunden, Kaufbriefen, Teſtamenten, Theilungs⸗Libellen u. ſ. w. man nie vor Anſprüchen geſchüzt wäre. Dieſer durch menſchliche Geſeze beſtimmte Zeitpunkt iſt allein poſitiven Urſprungs, blos willkührlich, und daher auch, ije nach ben Ländern oder den Gegenſtänden, ſehr verſchie⸗ den, kürzer für bewegliche, länger für unbewegliche Gü⸗ tee, kürzer für Anweſende, länger für Abweſende die nicht reclamiren konnten; aber ſeine Beſtimmung gründete ſich dennoch auf die präexiſtirende Gewohnheit und allgemeine | Billigkeit.

Die Verjährung, inſofern ſie natürlichen Nechtes iſt, oder vielmehr langer, ungeſtörter, unwiderſprochener Be⸗ ſiz, gilt mithin allerdings auch unter Unabhängigen, wie⸗ wohl nicht nach dem durch die poſitiven Civil⸗Geſeze be⸗ ſtimmten Zeitpunkt, ſondern in jedem einzelnen Fall nach

Zivepter Vand. DU I.

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dem allgemeinen Urtheil und Gefühl, welches deßwegen nicht willkührlich, ſondern auf die Umſtände und That. ſachen begründet iſt, aus welchen einerſeits auf die Rechte des dießmaligen Beſizers, anderſeits auf die ſtillſchwei⸗ gende Verzichtleiſtung von Seite des früheren Cigentbú. mers geſchloſſen wird. Die gröſten Juriſten haben dieſes anerkannt, und der Ausſpruch der Vernunft wird auch hier von der allgemeinen Erfahrung beſtätiget. Oft ha⸗ ben zwar einzelne Fürſten für ihre Unterthanen das Ge⸗ ſez gegeben, daß die Fürſtlichen oder ſogenannte Herr⸗ ſchafts-Rechte unverjährbar ſeyn ſollen, und obgleich ein ſolches Geſez etwas hart und lieblos ſcheint, ſo kann es doch nicht für ganz ungerecht gehalten werden: denn es iſt im Grunde nichts anders als eine Erklärung des Für⸗ ſten, daß ex die Anſprüche auf ſein Eigenthum, welches er nicht fo ˖leicht ſelbſt beaufſichtigen kann, nie durch bloſ⸗ ſes Stillſchweigen aufgeben wolle, und daß man alſo daſſelbe auch nie als derelinquirt ſolle betrachten können. Allein theils werden dergleichen Geſeze, wie alles was der Natur zuwider iſt, ſelten ſtrenge vollzogen, und in tauſend Fällen ſieht man täglich Beyſpiele, daß die Un⸗ terthanen ſelbſt gegen ihren Landesherrn durch bloße Ver⸗ jährung Rechte erwerben. Theils konuten auch jene Für⸗ ſten es niemals hinderen, daß die Verjaͤhrung nicht von underen Sonverainú, die ihren Geſtzen nicht unterſtan⸗ den, auch gegen ſie anerkannt und ſelbſt der urſprüng⸗ liche Uſurpator zulezt als rechtmäßiger Eigenthümer bee trachtet wurde. So iſt bekannter maßen die Unabhän⸗ gigkeit ber Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, im Weſt⸗ phäliſchen Frieden nur durch cine Art von Verjährung anerkannt worden, indem man vermuthete, daß langer, unwiderſprochener, ruhiger Beſiz einer Verzichtleiſtung

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von Sejte des deutſchen Reiches gleichzuſezen ſey. So ſind viele andere Fürſten und Stände blos durch Verjäh⸗ rung theils zur voll kommenen Freyheit, theils zu Domai⸗ nen und Regalien gelanget, und andere haben ſie wieder auf ähnliche Art verlohren, ohne daß es irgend jemand in den Sinn ſtieg, die Rechtmäßigkeit ihres Beſizes oder Verluſtes bezweifeln zu wollen. Denn es kömmt hier noch ein anderer Hauptgrund hinzu, den jedermann fühlt, wenn er auch ſchon nicht immer deutlich gedacht wird; nemlich daß langer ungeſtörter Beſiz nothwendig die Na⸗ tur der Sade verändert. Während dem Verlauf einer ſo langen Zeit geſchehen ſo viele Veränderungen, daß es unmöglich wird die Dinge in ihren vorigen Stand zurük⸗ zuſtellen; eine Menge neuer Verhältniſſe ſind angeknüpft, neue Verträge geſchloſſen worden, die von niemand wi⸗ derſprochen, an und für ſich ganz erlaubt waren, und die ohne neues Unrecht, ohne zahlloſe Beleidigung vieler Un⸗ ſchuldigen, nicht wieder umgeſtürzt werden können. Hat man nothwendig zwiſchen zwey Uebeln zu waͤhlen, fo iſt es beſſer, daß eine alte längſt vernarbte und vergeſſene Ungerechtigkeit mit ihren Folgen ſtehen bleibe, als daß neue Ungerechtigkeiten verübt werden, die viel größere Uebel herbeyziehen würden. Die Nachfolger des urſprüng⸗ lichen Uſurpators, die das Gut vielleicht unter beſchwer⸗ lichen Titeln erworben haben, Ánd nicht mehr diejenigen, denen man die Beraubung fremden Eigenthums vorwerfen kann, und den Nachkommen des Beleidigten, falls ſie nicht etwa deſſen unmittelbare Erben ſind, iſt gar kein Unrecht zu⸗ gefügt worden. Hat alſo Dad Gut z. B. ſeit dem urſprüng⸗ lichen Uſurpator mehrere mal in guten Treuen Hand ge⸗ ändert, iſt es durch Kauf und rechtmäßige Verträge oft an andere Beſizer übergegangen: fo können dieſe lezteren

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unmõglich tebe als Uſurdatoren betrachtet, folglich auch in ihrem Beſize nicht geſtört werden. Und wenn gar dek urſprüngliche rechtmäßige Eigenthümer nicht mehr exi⸗ ſtirt, wie es 4. B. ben aufgelöſten oder erloſchenen birch⸗ lichen und anderen Corporationen der Fall iſt, oder wenn er gar ausſtirbt, wie z. B. Die Kron⸗Prätendenten ver⸗ Iriebener koͤniglichen Familien: fo bat doch niemand cin näheres und beſſeres Recht als der wirkliche Beſtzer, der ſeit langen Jahren in unwiderfprochenem Genuß, boreits vieles auf das Gut verwendet, ſolches vielleicht für ſeine Perſon vechtmaͤßig erworben, mit ſeinem übrigen Gigen⸗ thum innig verflochten hat, und dem es ohne neue Uſur⸗ pation von keinem Dritten entriſſen werden kann. So wa⸗ ren 4. V. die Conſiscation der Vempelherren⸗Güter dn Frankreich, tie Einziehung ber Kirchen⸗Güter bey der Reformation, Ter Beſizungen des Jeſnuiten⸗Ordens, +6) der Deutfch⸗Herren und Johanniter⸗Ritter, die Selula⸗

riſationen (o vieler geiſtlichen Staaten ben dem Weſtphä⸗

liſchen Frieden und nach den Franzöſiſchen Revolutions⸗ Kriegen, damals gewiß wahre Uſurpationen und vor dem Nichterſtuhl der Gerechtigkeit nicht zu entſchuldigen. Aber wenn der einzig begründete Anſprecher nicht mehr exiſtirt, wenn inzwiſchen die Sache durch mehr hundertiaährigen unwiderſprochenen Beſiz, durch viele Mutationen und Ne. liorationen, durch tauſend neu angeſponnene Verbältniſſe Natur geändert hat, wenn mit einem Wort die Reſtitu⸗

46) Sn ben Laͤndern wo der Jeiuiten · Orden dergeſtellt wird, (def: fen Aufhebung id als eine Calamitaͤt bie Wiſſenſchaften betrachte) ſollten ihm die noch vorhandenen Guͤter von Rech⸗ tent wegen zuruͤkgeſtellt werden, es ſey dann Sade, daß ee ſelbſt darauf Verzicht leiße welches leicht zu dewerkſtelligen moelich waͤre.

g81.

non an ben urſprünglichen Eigenthümer unmöglich iſt und andere gar keinen Anſpruch zu machen haben: wer wird das Recht bed. wirklichen Beſizers nech beſtreiten können? Demnach iſt es leinem Zweifel unterworfen, daß cine Art von Verjährung auch unter unabhängigen Fürſten wie unter Privat⸗Perſonen Plaz ſindet, und daß mittelſt ded, langen, ungeſtörten und unwiderſprochenen Beßzes, ſelbſt urſprünglich uſurpirte Länder am Ende zum rechtmäßigen Eigenthum werden. 47)

47) Vebee bie Verjaͤhrumg. und: ihre Güuͤltigkeit auch unter den Staaten: ſ. Grotius j b. et p. E. ll. e. 4. Puféndesf j. n. et g. L. PV. c. 13.. 9. z1. UNO beſonders ZVenlhof Vindicia Grotiani dogmatis. de prescríptione inten geates liberas. Dam auch Martens droie des gens mederne $: 70 71, welber fe zwar beſtreitet, und die daſelbſt angefuͤhrten Gchriftſie ler. >

58% Vier und vierzigſtes Gate

Von dem Verluſt ber Unabhaͤngigkeit oder dem Untergang der Staaten.

I. Čie erkolgt úberbaupt durch abſolute oder relative Sqhwachuna der Macht.

1. Durcch allnviele Dbeilungen des ſeeben Grand + Eigen⸗ thums.

2. Durch freowillige Veraͤußerungen des Laudes.

> Durch aaͤnzliche Ausldſchung bes Fuͤrſtlichen Geſchlecht, obne nataͤrliche oder teſtamentlich eingeſezte Nachfolger.

| * Durch Streitigkeiten, ungluͤklich aefubrte Sira und nach⸗

- Sbellige Friedensvertraͤge. |

S. Durch bedingte oder unbedingte Unterwerkung.

. Due) Uebernahm allzuvieler einzelner Servituten.

7. Durch unrechtmaͤßige Gewalt.

2. Durch den Verluſt der relativen Macht.

11, Dagegen es nicht richtig, daß der Staat bloß durch den moͤglichen Untergang des Volks, i ©. durch Auswanderung oder Zerſtreuung ber Unterthanen žu Grund gebe. Ev febt und faͤllt mit dem Fuͤrſten und ſeiner Unabbaͤngigkeit.

Da jeder Staat nichts weiter als ein ſelbſtſtändiges ge⸗ ſelliges Verband und durch die Unabhängigkeit ſeines Oberhaupss gegeben iſt: fo folget von ſelbſt, daß ex mit dem Verluſt dieſer Unabbängigkeit auch nothwendig zu Grunde gehen muß. Gleichwie daher überall ein neuer Staat entſteht, wo ein einzelner Menſch oder eine So⸗ cietát von Menſchen úd sur Unabhängigkeit emporſchwingt: (o ſehen mie auch allemal einen Staat veríchminden, ſobald ein vollkommen freygeweſener entweder vernichtet wird eder dienſtbar werden muß. Die Zeiten in denen wir

883,

leben, waren und Ánd beſonders reich am derdleichen Staatenzerſtöruugen. Venedig und Genua, die Repub⸗ lik der vereinigten Niederlande, verſchiedene ehmalige Stände in der Schweiz, ſo viele geiſtliche und weltliche Staaten in Deutſchland, Polen und Kurland find keine Staaten mehr: und bod) wurden weder das Land, toh bie Einwohner, noch die vorigen Herren ſelbſt vernichtei, ſondern nur ihrer Unabhängigkeit oder ihres Eigenthums beraubt. Einige die bereits vernichtet waren, wie Pie⸗ mont, Parma, Heſſen, Braunſchweig und Hannovet ſind wieder 31 Staaten geworden, nicht weil man einen büt⸗ gerlichen Contrakt gemacht, ſondern weil man die recht⸗ mãßigen Herren wieder in ihre Beſizungen eingeſezt und fe als frey und unabhängig anerkannt bat. Andere, de. nen man Land und Eigenthum ließ, tragen kaum den Namen Staaten noch, darum weil (le dienſtbar geworden ſind, und wenn auch nicht geſezlich, doch in der Wirk⸗ lichkeit einen bôberen Herren úder ſich erkennen müßen. Nad) dem nemlichen Geſez der Natur welches Herrſchaf⸗ ten und Staaten bildet, werden fe auch wieder aufge⸗ löst. Denn gleichwie die Unabhängigkeit durch überle⸗ gene Macht erworben und befeſtiget wird, ſo erfolgt auth ihr Berluſt durch abſolute oder relative Sch tut. chung; es ſey nun Schwächung der Geiſteskraft und Eha⸗ rakter⸗Stärke, welche gewöhnlich ben Verluſt von allen übrigen Glüksgütern nach ſich zieht, oder durch Vermia⸗ derung ded: Landes, bed Vermögens, ded Anſehens, oder durch fremde Gewalt, oder auch nur durch übergroße

Verſtärkung eines mächtigeren Nachbaren und durch den Verluſt der Etiſtenz, mit welcher von ſelbſt alle Bert.

ſchaft und Unabhängigkeit dahin fällt. Mir können uns

hier um deſto kürzer faſſen, ha die Entwiklung dieſe

B8Ú

Wahrheiten nur in dem Gegenſaz vo demjenigen beſte⸗ ben muß, was in dem vorigen Capitel über die Erweite⸗ rung der Landesherrlichen Macht geſagt worden iſt.

Der Untergang der Patrimonial⸗Reiche oder der Erb⸗ und Grundherrlichen Staaten, wird daher vorzüglich durch folgende Umſtände veranlaſſet:

)

4, Durch allzuviele Theilungen bed freyen Grund-Eigenthums. Denn dergleichen Theilungen ſchwächen bie Macht, durch welche allein die Unabhän⸗ gigkeit erhalten werden kaun. Die neuen Beſizer, obgleich fe aufänglich immer noch Fürſten, d. b. freye Eigenthü⸗ mer freyer Grundſtüke ſind, vermögen ſich nicht mehr zu ſchüzen, ihre Rechte nicht mehr mit Gewalt zu behaup⸗ ten; ſie zerfallen entweder unter cinander ſelbſt in Streit, oder werden die Beute eines mächtigeren Nachbaren, der fie zur Dienſtbarkeit oder wenigſtens zu nachtheiligen Ver⸗ trägen zwingt. Wird ihnen dabey auch nicht ihre ganze Exiſtenz genommen, behalten ſie auch das Land und ei⸗ nige Herrſchaft: fo ſinken ſie bod) in ben Stand der blo⸗ ßen Privat Cigentbúmer herab, und werden in der Reihe ber Staaten, d. b. der ftenen und unabhängigen, der durch fi) ſelbſt beſtehenden nicht mebr gezählt. Viele, ſelbſt mächtige, Staaten hatten ihren Ruin blos derglei⸗ chen Theilungen zu verdanken, und eben um dieſes Un⸗ glük zu verhüten, iſt auch, wie wir oben bemerkt haben, „in allen Fürſtenhäuſern bad Recht der Erſtgeburt nebſt einer beſtimmten Succeſſions⸗Ordnung entweder von ur⸗ alten Zeiten ber eingeführt, oder, ſelbſt da wo cs unterbrochen war, nach und nach wieder hergeſtellt worden. | | | |

W

——

985 Ň 2. Durch alle möglichen Veräußerungen des Landes und der Domainen, worauf die Macht und Unaqbhängigkeit beruht. Dena ſchwächen (hon die Thei⸗ lungen und führen den Ruin bed Staates herbey: fo iſt es klar, daß die gänzliche Veräußerung des Laudes, es nitgſtens ben vorigen Beſizer ſeiner Selbſtſtändigkeit, mit⸗ „bin ſeines Färſten⸗Rechts beraubt. Geſchiebt dieſelbe an zjemand, ber vorher kein unabhüngiges Gebiet beſaß, oder in dem neuerworbnen ſeine Neñdenz aufſchlägt; (o daurt zwar, nA) der gewöhnlichen Art zu ſprechen, ber KÔMe liche Staat fort, d. h. das Land trägt den nämlichen Na⸗ men und bat nur einen nenen Herren, fo wie z. B. in den meificn bekannten Königreichen nach und NA. andere Oynaſtien auf den Thron gekommen ſind. Genau zu reden, iſt aber durch cin ſolches Ereigniß immerhin der Patrimonial » Štaat bed früberen Beſizers zu Hrund ge⸗ gangen; das vorige Geſchlecht bat ſeine Beſuungen, ſeine Unabhangigkeit oder gar ſeine Exiſtenz verloren, und ein neues iſt dagegen emporgelommen. Auch werden dabey gewoöhnlich bie Perſonal⸗ und Real⸗Verhältniſſe, die Bed ſeze, Bertráge u. ſ. w. geändert. Wird aber dad Land an jemand veraäußert, der bereits cin größeres beſizt, und erſteres mit: dem lezteren vereiniget: fo geht ber Staat ˖ auch dem Namen nach zu Grund; denn er iſt fortan kein ſelbſtſändiges Ganzes mehr, ſondern nur cin Theil eines anderen geworden. Wie viele ehmals blühende König⸗ reiche und Fürſtenthümer ſind nicht auf dieſe Art durch Käufe, Heyrathen und entfernte Erbſchaften aus der Reihe der Staaten verſchwunden! die Zahl dieſer lezteren wird immer kleiner, weil bey der eingeführten Untheilbarkeit nicht fo leicht wieder neue ertſtehen köͤnnen. Bon Ver⸗ käufen, Täuſchen, Verpfändungen, Schen⸗

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kungen U. ſ. w. lieferte bie ältere Geſchichte häuſige Bey⸗ ſpiele; es verſchwanden dadurch eine Menge unabhängiger Herrſchaften, von welchen noch Ruinen zeugen, deren Ramen aber kaum mehr bekannt ſind, weil ſie längſt mit anderen Staaten vereiniget worden. Noch in den neue⸗ ſten Zeiten haben wir z. B. geſehen, daß der lezte Mark⸗ graf von Anſpach und Bayreuth dieſe beyden Fürſtenthü⸗ met, b. h. ſeine Beſtzungen und die damit verbundenen Rechte, durch einen Leibrenten-Contrakt an den SKúnig von Preußen abgetreten hat. Indeſſen find derglei⸗ chen Verkäufe heut zu Tage ſelten, meil bey der Menge des eireulirenden Geldes und den ausgedehnten Verbin⸗ dungen, ſelbſt verſchwenderiſche oder ſonſt geldbedürftige Fürſten lieber Schulden eontrahiren, als ſich zur Veräu⸗ ßerung ihrer Länder entſchließen. Auch iſt das erſtere allerdings klüger, indem die Schulden ſpäterhin durch gute Wirthſchaft leicht wieder getilget werden können, bod einmal hinweggegebene Fürſtenthum aber und die da⸗ mit verbundene Unabhängigkeit beynahe nie wieder erwor⸗ ben werden kann. Die Dereliktion oder die frey⸗ ‚willige Verlaſſung eines Fürſtenthums, wodurch daſſelbe gleichfam in die Claffe der herrenloſen Dinge zurükkehrt und zum Eigenthum ded erſten Beſtiznehmers wird, iſt heut zu Tage nicht wohl zu vermuthen: doch mag ſie ehmals durch die Kreuzzüge und Bölkerwande⸗ rungen, wo man größere und beſſere Lander gewann, Díterg geſchehen und dadurch viele Staaten oder Herr⸗ ſchaften zu Grund gegangen ſeyn. Häufiger aber können noch hent zu Tag Sänder aus der Reihe der Staaten verſchwinden, wenn ſie durch Erbtöchter und ihre Verhey⸗ rathung in ein anderes Geſchlecht übergehen, und ſofort mit Ben Beſizungen dieſes leztern vereiniget werden, M

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wie 3. B. HY 4478 bie. großen Burgundiſchen Staaten durch bie Berbenratbung der einzigen Erbtochter Carls des Kühnen mit dem Erzherzog und nachmaligen Kayſer Maximilian, blos zu Provinzen der Oeſtreichiſchen Mo⸗ narchie geworden ſind und als cigene Staaten zu exiſti⸗ ren aufgehort haben.

Die dritte Art wodurch Fürſtenthümer oder Monar⸗ chien zu Grund gehen können: iſt durch gänzliche Auslaäſchung des Fürſtlichen Geſchlechts, obne natürliche oder teſtamentlich eingeſezte Nada folger; 1) denn mit dem Verluſt der Exiſtenz fällt auch die Unabhangigkeit, mie mit dem Leben alles übrige Glüt hinweg. Zwar iſt dieſer Fall freylich außerordentlich ſel⸗ ten, indem durch bie friheren Heynrathen der Weiber und durch entfernte Verwandte ſich faſt immer Anſprecher für ein vacantes Fürſtenthum finden. Indeſſen gehört ee dod). in die Reibe der Möglichkeiten, und iſt auch bis⸗ weilen in der Geſchichte vorgekommen, weil manchmal die Anſprüche gar zu entfernt ſind, oder vo anderen nicht auerkannt werden, oder wegen Mangel an Macht und Gelegenheit nicht geltend gemacht oder auch freywil⸗ lig vernachläßiget werden. 2) Was nun unter folchen Umſtänden natürlichen Rechtens fen, und welche Folgen daraus entſtehen: iſt cine pôd intereſſante Frage, die in unferen. Zeiten oft mit Nuzen hätte aufgeworfen wer⸗ ben konnen, und deren Beantwortung beweisſt, wie un⸗ zerſtörbar bie geſelligen Verhältniſſe der Menſchen find, wie aus dem Tod bed einen ſtets das Leben des anderen

x) sublato subjecto: in quo éesſt imperiam. Grotius. 2) Beral. B. I. ©. 491. 1. bon Erwerbung ber Unabbaͤngigkeit.

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hervorgeht. Wird nemlich irgend cin Landesherr, durch welches Ereigniß es auch ſeyn mag, ohne Nachfolger vernichtet: ſo werden dadurch nicht alle Bande der menſch⸗ lichen Geſellſchaft aufgelöſt, alſo daß jeder einzelne im Volk vollkommen frey und unabhängig würde, oder ſich einen neuen Herren ſuchen müßte: ſondern es fällt nur das höchſſte Verband, der oberſte Ring von ber Kette weg. Die Gewalt kehrt keineswegs zu dem Volk zurük, wie diejenigen behaupten welche dieſelbe and der Grille ded bürgerlichen Contrakts hervorgehen laſſen. Sie kaun nicht dahin zurükkehren woher ſie nicht gekommen iſt, ſondern die höchſte Gewalt oder die volkommene Freyheit fallt natürlicher Weiſe denſenigen zu, die vorher unmit⸗ telbar⸗dem Fürſten und nur ihm allešn verpflichtet wa⸗ ren. Demnach werden die erſten Diener und Vaſallen, oder auch die Communitäten die außer dem weggefallenen Fürſten keinen anderen Oberen erkannten, unabhôngia odev ſouverain, und es köommt nur darauf 08, daß ſie dieſes Glük zu erhalten wiſſen. Die übrigen Einwohner bleiben alle in ihren vorigen Verhältniſſen, ihren unmit⸗ telbaren Herren dienſtbar oder untergeben, in ihren Rech⸗ ten und Verpftlichtungen gegen dieſelben wird nichts ge⸗ andert. Was dann die eigenthümlichen Güter und Ein⸗ künfte des erloſchenen Fürſtlichen Geſchlechts betrifft, ſo werden dieſelben gleichſam zur herrenloſen Sade. und das

Eigenthum des erſten Beſiznehmers. Hieraus entſtehen

dann freylich bisweilen vorühergehende Streitigleiten und Kriege, Anſprüche auf die frühere Oberherrſchaft u. ſ. w. bie durch poſitive Verträge und Verkomnmiſſe, einzelne Anerkennungen, bedingte Unterwerfungen, Uebernahm gewiſſer Dienſtbarkeiten u. ſ. w. beendigt werden. tto deſſen bat man jenen Fall eines durch daš. gänzliche

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RBegfallen bes Fuͤrſtlichen Geſchlechts erloſchenen Reiches und ſeiner natürlichen Aufloſung Ws mehrere kleinere StaNen , in der Geſchichte noch ziemlich oft eintreten ge⸗ ſehen: 4. B. ben dem Verfall ded Aſſyriſchen Reichs, 3) bey der Zerſplitterung des Macedoniſchen nach dem Tode Alexanders des Großen, bey der Auslöſchung der Arabi⸗ ſchen Dynaſtie Abdoluahman in Spanien Ao. 1038, bey dem Untergang der Huuniſchen und Mongoliſchen Monar⸗ chien, bey der Auflöſung der Herzogthümer Sachſen und Schwaben in Deutſchland, woraus die vielen freyen Gra⸗ fen, Aebte, Biſchöffe, Städte u. ſ. w. hervorgegangen, endlich ſogar in unſeren Tagen bey dem allmähligen Er⸗ ſchlaffen deň Deutſchen König⸗ oder Kayſerthums.“ Ue⸗ berall entſtanden ſo viele unabhängige Fürſten und Re⸗ publiken als vorher hohe Beamte, unmittelbare Vaſallen, oder freyere nur dem König verpflichtete Städte oder Ge⸗ meinden geweſen. Es wurden deßwegen weder buͤrger⸗ liche Contrakte geſchloſſen noch Conſtitutionen gemacht; die rechtlichen Verhältniſſe exiſtirten bereits oder ergaben ſich von ſelbſt aus der Satur der Umſtände, und allfäl— lige Lüken wurden durch einzelne Verträge ergänzt und vervollſtändigt.

3) v. Muͤller Weltgeſch. I. e5.

4) Ein merkwuͤrdiger Fall eines vacanten kleineren Fuͤrſtenthums tam auch in der Schweiz ver, bey Erloͤſchung des Manns⸗ fammes det Brafen von Toggenburg ím Jabr 2436. woraus wegen den verwikelten Verhaͤltniſſen, den nicht eriftirenden oder beſtrittenen Teſtamenten und frúberen Dos nattonen, ber Vermiſchung von eigenthuͤmlichen und Leben⸗ Súterm, ber geographiſchen Lage u. ſ. w. der alte Zuͤr⸗

cherkrieg cntfand, ©. ven Muͤller Eoneisee:Befáh, 111. Cap. 3. ff.

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Ein aͤhnlicher natürlicher Untergang eines Staats ließe ſich dadurch denken, wenn das ganze Land eines Fürſten durch große Natur⸗Calamitäten zu Grunde gienge, z. B. iný Meer verſinken oder durch Erdbeben verſchlun⸗ gen, oder von Vulkanen und Bergſtürzen überſchüttet wer⸗ den ſollte. Denn da die Unabhängigkeit auf dem Befiz ei⸗ nes freyen Landes beruht: ſo verſteht ſich von ſelbſt, daß ſie mit dem Verluſt deſſelben nicht mehr ſtatt finden kann. Allein theils iſt dieſes Unglük, von welchem Grotius redet, 5) wohl nie einem ganzen Staat, ſondern nur einzelnen Theilen ſeines Gebiets widerfahren, theils ik auch der leztere Fall ſo weit hergeholt und ſo außeror⸗ dentlich ſelten, daß er beynahe keiner Anführung verdient, und am Ende würde er doch nur in die Categorie von dem Verluſt des Grund⸗Eigenthums gehören, welches freylich einem Fuͤrſten nicht nur durch Verträge oder durch die Ge⸗ walt der Menſchen, ſondern auch durch die Macht der Na⸗ tur ſelbſt entriſſen werden kann.

A“, Die Staaten können ferner zu Grunde gehen und gehen auch ſehr oft zu Grund durch Streitigkei— ten, unglüklich geführte Kriege und nachthei— lige Friedens/ Verträge, es ſey, daß mittelſt der lezteren das ganze Gebiet an den Sieger abgetreten, oder eine Wet von Unterwerͤfung ſtipulirt, oder auch nur durch ſucceſſive Abtretungen und Uebernahm weſentlicher Servituten, das Land und das Vermögen ſo ſehr ge⸗ ſchwächt werde, daß die Unabhängigkeit ohnehin nicht mehr behauptet werden kann. Dergleichen Kriege kön⸗

5) de jure belli et pacis. L. II, c. 9, ſ. auch Scheidemantels GStaatsrecht T. 3. S, 271:

594 nen ſowohl innere als aäußere ſeyn. Wenn z. B. ein Fürſt ſeine Gewalt ſo ſehr mißbraucht, daß er die eige⸗ nen Rechte der Unterthanen auf eine gewaltſame und un⸗ erträgliche Weiſe beleidigt, ſich gleichſam als einen of⸗ fenbaren Feind ſeiner Unterthanen beträgt und dieſe lezte⸗ ren am Ende zur gerechten Nothwehr, zum bewafneten Widerſtande reizt: 6) fo iſt es möglich, daß durch einen ſolchen mit Erfolg begleiteten Widerſtand, der Fürſt am Ende zu gewiſſen Capitulationen oder Verträgen genöthi⸗ get wird, welche die Schmälerung oder gar den Verluſt ſeiner Rechte nad fi) ziehen, und dagegen die ihm wi—⸗ Verftrebente Macht sur Unabhängigkeit aufkeimt, mithin ein neuer Staat entſteht. So ſind bekannter maßen ver⸗ ſchiedene Republiken, z. B. die vereinigten Niederlande und die Nordamerikaniſchen Staaten entſtanden, indem die Sieger ſich zur Unabhängigkeit emporſchwangen, und weil ſie als Verbündete einander gleich an Rechten wa⸗ ren, folglich unter ihnen keiner das Recht zur Oberherr⸗ ſchaft hatte: ſo mußten ſie auch die errungene Macht und Unabhängigkeit gemeinſamlich ausüben, mithin eine Re⸗ publik bilden. Hätte hingegen nur cin einziger vorheri⸗ ger Vaſall oder mächtiger Unterthan, mit Hülf ſeiner Leute, gegen den Fürſten Krieg geführt und denſelben zu überwältigen vermocht, oder ihm doch einen Theil ſei⸗ nes Gebiets entzogen: ſo würde auch nicht eine Nepu⸗ blik, ſondern ein neuer Fürſt entſtanden ſeyn, wie dieſes ebenfalls in der Geſchichte búufig begegnet if. Denn fo ie durch jeden ſiegreichen Abfall eines mächtigen ene. rals obeť Statthalters cin neues Reich entſteht; ſo geht auch durch denſelben der vorige Staat oder doch cin Theil

ONO ON V SE

6) Vergl. oben S. 450 ff.

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deffelben zu Grund. Auf ähnliche Art werden aber auch Republiken vernichtet und in Fürſtenthümer verwandelt, wenn ein mächtiger Bürger, der ſich beleidiget glaubt, cín commandirender General u. ſ. w. ſich gegen die frey⸗ geweſene Geuoſſenſchaft auflehnt und dieſelbe entweder auflóst oder ſich dienübar zu machen weiß: wie dieſes z. B. von Piſiſtratus in Athen, von Sylla, Cäſar und Auguſtus in Dom, von Dyoniſius, Soſiſtra⸗ tus und Agathokles in Syrakuſa, und in den Ita⸗ lieniſchen Republiken ded Mittelalters häuftg geſchah. Allein in allen dieſen Fällen verliert der Fürſt ſein Land und ſeine Rechte immer nur durch den auf den inneren Krieg folgenden Vertrag, und wenn er den Kampf zwar aufgegeben hat, aber das Recht des Siegers doch nicht anerkennt, am Ende durch verjährte Zulaſſung, welche einer förmlichen Einwilligung gleich geachtet wird. 7) Nie⸗ mals aber wird er ſeiner Anſprüche durch die bloße Auf⸗ kündigung des Gehorſams oder den ſogenannten Willen ded Volts verluſtig: denn da er ſeine Rechte nicht von demſelben erhalten hat, ſo kann er ſie auch nur durch ei⸗ genen Willen abtreten oder beſchränken laſſen.

Was dann den Untergang der Staaten durch äu⸗ ßere, unglüklich geführte Kriege und die darauf erfolg⸗ ten Abtretungs- oder Unterwerfungs⸗Verträge betrifft: ſo liefert die alte und neue Geſchichte ſo viele Beyſpiele davon, daß es überflüſſig wäre auch nur ein einziges derſelben anzuführen. So viele Staaten und Länder durch Eroberungen erworben und mit anderen ver⸗ einiget werden: fo viele gehen natürlicher Weiſe auch auf

7) ©. oben pag. 577 ff.

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der anderen Seite verľobren und hören auf als cigene Stante zu exiſtiren. Selbſt die grôften Monarchien mie % B. das Römiſche Reich, daš Arabiſche Galifat, daš Griechiſche Kayſerthum u. ſ. w. giengen am End auf dieſe Weiſe zu Grund; jedoch erfolgt dieſes gewöhnlich nicht auf einmal, ſondern nur nad vielen vorhergegan⸗ genen Schwächungen, (ie mögen nun aus innerer Zer⸗ rüttung, oder aus früheren Kriegen und nachtheiligen Sriedený » Vertrágen entſtanden ſeyn.

5“, Gleichwie fúnftený die einen Fürſten ibre Macht und ibre Unabhängigkeit durch allerley Vertväge erwei—⸗ teren können, ohne daß ſie deßwegen den Umfang ihres

Grund⸗Eigenthums vermehren: 9 fo wird ſie von ande⸗

ren auf eben dieſe Art beſchränkt oder verlohren. Der Patrimonial⸗Fuͤrſt ſinkt alſo zum bloßen Privat⸗Eigen⸗ thümer herab und verſchwindet aus der Reihe der Staa⸗ ten, wenn er ſich durch bloße Verträge, ces ſey mit obet ohne vorhergegangenen Krieg, zur bedingten oder unbedingten Unterwerfung an einen anderen Für⸗ ſten verſteht, es mag nun dieſelbe wirklich den Namen einer Capitulation, eines Subjeltions⸗Vertrags u. ſ. tv, tragen, oder in irgend cine andere mildere Benennung eingekleidet werden. 9) Der Deutſche Orden in Liefland und bie Herzoge von Kurland waren keine Staaten mehr, ſeitdem jener ſich an Polen, dieſe an Rußland unterwor⸗ fen hatten, wiewohl ihnen noch Eigenthum, Einkünfte nd mannigfaltige Herrſchafts⸗Rechte gelaſſen wurden. Müllhauſen, Venedig, Genua, Lukka u. ſ. tv, werden

s) Vergl. oben ©. 550 ff 9) Berg. oben ©, 554 ff. Aweyter Vand.

wa nicht mebr in der Reihe der Staaten gezählt, obaľcich diefe Städte zum Theil noch ihre innere Merfaffung, Gü⸗ ter und Einkünfte behalten baben, oder doch behalten konnten; aber ſie erkennen jezt einen Obern über ſich, und find durch Die Unterwerfung dienſtbar geworden Auch die ehemaligen Infeudationen, ſo nüßlich ſie auch bisweilen ſeyn mochten, heben die rechtliche Exiſtenz eines Staates auf: denn wiewohl ein Fürſt odber König, der ſich zum Vaſall eines anderen macht, dadurch die ganze Nuznießung ſeines Landes nebſt allen herrſchaftli⸗ chen Rechten beybehält: fo wird bod ím Grund, nach der Natur ded Bertrags, das Eigenthum an einen ande⸗ ren abgetreten, mithin allem Recht der Veräußerung ent⸗ ſagt, und dem Ober⸗Lehenherren das Befugniß einge⸗ räumt einen nenen Nuznießer zu ernennen, wen Der Le⸗ hen⸗Eid nicht erfüllt werden oder der Mannsſtamme ded Vaſallen ausſterben ſollte.

60, Einzelne Servituten richten zwar den Staat nicht unmittelbar zu Grund; denn man kann noch Fürſt und Souverain bleiben, wenn man ſich ſchon zu einer gewiſſen Dienſtbarkeit gegen einen anderen verpflichtet hat. Auch durften wohl wenig Staaten zu finden ſeyn, welche nicht, wenigſtens in Rükſicht gewiſſer Theile ih⸗ res Gebiets, durch frühere Bünde, Friedens⸗Verträge u. ſ. w. zu eint und anderen ihnen nad) bloß natürli⸗ chem Necht nicht obliegenden Pflichten oder Zulaſſungen verbunden wären. Allein zu viele ſolcher Dienſtbarkei⸗ sen, beſonders von einem Schwächeren gegen einen Mäch⸗ tigeren, führen am Cube beynahe nothwendig den Un⸗ tergang ded Staats herbey. Denn find dieſe Servituten su mannigfaltig oder zu beſchwerlich und pon ſchwächen-

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bet Natur, tie 3. V. die Verpflichtungen frembe Beſa⸗ zung einzunehmen, An einen Hoberen von ſich appelliren zu laſſen, Tribute zu entrichten, die gleichen Freunde und die gleichen Feinde zu haben, keinen Krieg anzufan⸗ gen, keine Bündniſſe zu ſchließen oder gar die früher ge⸗ ſchloſſenen aufzugeben, keine Feſtungen zu bauen oder be⸗ ſtehende niederzureiſſen, nur eine beſtimmte Anzahl Trup⸗ pen oder Kriegsſchiffe zu halten u. ſ. w.: fo bat cin (ole der Fürſt eigentlich nur noch ben Sdhatten und den [ces ren Namen eines Súrften mebr: er iſt feiner Unabhän⸗ gigkeit in ben weſentlichſten Selbſterhaltungs⸗Mitteln be⸗ raubt und mehr beſchränkt als mancher Privat⸗Mann. Ihm bleibt keine Macht um auch den Reſt der ihm übrig gebliebenen Freyheit zu behaupten, und in allen Colliſio⸗ nen wird er denjenigen, gegen welchen er ſich ſolcherge⸗ ſtalt verpflichtet hat, bey Gefahr ded Untergangs als feie nen Obern erkennen müßen. Dabey werden dergleichen Servituten, wenn ſie auch ſchon nicht (o weſentlich (ind, gewöhnlicher Weiſe zu weit ausgelegt, darauf ſernere Anſprüche begründet, denen daun ſchwer zu entgehen iſt, und ſo die künftige Unterwerfung oder Einverleibung theils vorbereitet, theils erleichtert. Inzwiſchen laſſen ſich dieſelben, wie wir ſchon oben bemerkt haben, nicht immer vermeiden, und wenn aus Mangel an Kräften oder an fremdem Schuz, kein anderes Rettungs-Mittel übrig bleibt: fo können ſie oft ſogar von der Klugheit geboten werden. 30)

70. Gleichwie ferner unrechtmäßige Gewalt die

10) Vergl. oben S. 561 ff.

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einen Staaten vergrößeren kann: 10 fo richtet ſie natür⸗ licher Weiſe auch diejenigen zu Grund, gegen welche dieſer Mißbrauch ausgeübt wird. Der Patrimonial⸗ Fürſt kann auch ungerechter Weiſe, ohne vorhergegangenen Streit und ohne nachfolgenden Vertrag, durch gewalt⸗ ſame Uebermacht um Land und Unabhängigkeit ťommeny und es iſt möglich daß eine ſolche Unterjochung oder Ver⸗ nichtung ſowohl von inneren als von äußeren Feinden bewerkſtelliget werde. So hört der Patrimonial⸗Staat auf zu exiſtiren, wenn der Fürſt durch eine gegen ihn unternommene, zwar ungerechte aber mit glüklichem Er⸗ folg begleitete Rebellion von ſeinem Lande vertrieben, und gezwungen wird anderswo als Privatmann ſeine Zu⸗ flucht zu ſuchen; es mögen nun die Empörer ſich einem anderen Herren vertragsmäßig unterwerfen, oder die er⸗ rungene Macht ſelbſt behauptet haben und in den Venuj der dem Fürſten entriſſenen Güter getreten ſeyn. Das Reſultat iſt das nemliche mie bey denjenigen inneren Kriegen die man ihrer Veraulaſſung und ihrem Zweke snad nicht ganz ungerecht nennen kann; 22) der vorige Staat bleibt dadurch immer vernichtet und es iſt dagegen cin never emporgekommen. Judeſſen geſchehen derglei⸗ chen Uſurpationen oder Unterjochungen viel öfterer nad don äußeren als von inneren Feinden. So verſchwan⸗ den zu allen Zeiten eine Menge kleinerer Staaten durch gewaltſame Invaſionen und Spoliationen von Seite eines Mächtigeren, durch gezwungene Reunio⸗ „nen und ſogenannte Sekulariſationen, kraft wel⸗ chen man was einer geiſtlichen Btiftung gehört, ſich ſelbſt

11) ©. $61 ff. a2) Betgl. oben ©. 569 ff

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oder einem anderen Weltlichen zueignet; durch Thei— lungs⸗ und Friedens-⸗Verträge zwiſchen zwey oder mehreren Mächtigen, die zur Ausgleichung ihrer Strei⸗ tigkeiten über das Gut eines dritten disponiren und ge⸗ waltthätig einnehmen, oder einem anderen zuerkennen; mit einem Wort durch jede Entreiſſung des freyen Ei— genthums, worauf das Fürſtenthum beruht, es ſey nun, daß dem. vorigen Fürſten dieſes Kand und Gebiet ganz weggenommen, oder daß ihm ein Theil deſſelben gelaſſen, und cv nur ſonſt wider ſeinen Willen zur Unterwerfung gezwungen, "2 mithin um ſeint Unabhängigkeit gebracht werde.

Alle dieſe Unterdrükungen und Unterjochungen gehö⸗ gen unter diejenigen Mißbräuche der Gewalt, von denen wir anderswo ſchon mehr geredet haben, und die zwar immerhin ungerecht ſind, aber nach der Einrichtung der Welt nicht immer gehindert werden können. Gleichwie fe dem Uſurpator kein wahres Recht geben, fo. nehmen ſie auch dem Unterdrükten ſeine rechtlichen Anſprüche nicht, als bis entweder in der Folge mittelſt eines Ver⸗ trags ſeine Einwilligung hinzu kömmt, oder bis durch langes und ſelbſt in günſtigen Umſtänden beobachtetes Stillſchweigen, die Dereliction d. h. die Verzichtleiſtung auf die verlohrnen Beſizungen rechtlich vermuthet werden kann. Indeſſen dürfen ſie doch, ſelbſt in der Theorie, nicht übergangen werden, theils um das Gerechte von dem Ungerechten zu unterſcheiden und erſteres nicht mit lezterem zu verwechſeln, theils weil ſie ſtets unter die moglichen Fälle gehören, und endlich zur Beſtätigung der

23) BReviatifirt, mie man (id heut zu Tag ausbrútt.

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allgemeinen Wahrheit, daß bie Unabhängigkeit odeť die Fürſtliche Würde durch höhere Macht erworben wird, durch Schwäͤchung hingegen verloren geht, es mag nun jene Macht mißbraucht oder nicht mißbraucht, rechtmä⸗ ßig oder unrechtmäßig angewendet werden, und dieſe Schwächung freywillig oder gezwungen, verſchuldet oder unverſchuldet ſeyn. |

8%. Die bisher aufgezählten Todes-Urſachen der Staa⸗

ten haben alle das mit einander gemein, daß entweder die Territorial·Beſizungen, worauf die Macht und Un⸗ abhängigkeit beruht, verloren gehn, oder daß dieſe Unab⸗ hängigkeit ſelbſt durch irgend einen Vertrag abgetreten oder zu ſehr beſchränkt wird. Allein es läßt ſich auch der Untergang eines Staates denken, ohne daß ſein Be⸗ ie cine reelle Verminderung an ſeinen Gütern oder an ſeinen Beſizungen leide, d. h. die Unabhängigkeit oder das Leben bed Staats kann auch durch relative Schwä⸗ chung verlohren werden. Wenn z. B. ein Nachbar ge⸗ gen welchen man ſich vorher, wegen ungefähr gleicher Macht, leicht behaupten konnte, durch Glük oder Talente zu febr: an Kräften anwächst, der andere aber nur ſeine vorigen Kräfte beybehält, mithin ſich ſelbſt überlaſſen und von allen Freundeun entfernt, zulezt von dem Gebiet des Mächtigeren ganz umgeben wird: ſo iſt dieſes ein Ver⸗ luſt der relativen Macht, d. h. eine natürliche Ver⸗

S änderung der Umſtände und. Verhältniſſe durch welche die

Unabhängigkeit gegeben war, und es wäre thöricht unter ſolchen Umſtänden noch auf ihre volle Beybehaltung 400- len zu wollen. Wenn man ſchon mit dieſem übermächti⸗ gen Nachbar im Frieden lebt, wenn auch keine gewalt⸗ ſante Unterjochung, kein förmlicher Unterwerfungs⸗ Ver⸗

NA | 59g trrag binstsťómnt + fo wird matt doch durch die Natur der Dinge in mancherley Rükſicht von ihm abhängig; der klei⸗ nere Fürſt kann ſeine weſentlichſten Souverainitäts⸗Rechte, die er zwar von Rechtens wegen noch beſizt, nicht mehr ausüben, z. B. keinen Krieg mehr führen, keine Bünd—⸗ niſſe ſchließen, keinen fremden Schuz ſuchen, und in fee dem Colliſtons⸗Fall wird ce, bey Gefahr eines unver⸗ meidlichen Untergangs, dem übermächtigen Nachbar will. fährig und dienſtbar ſeyn müßen. Auf dieſe Art ſind zu allen Zeiten viele kleinere in größeren eingeſchloſſene Staaten nad) und nach unvermerkt um ihre Unabhängig⸗ keit gekommen, ſo daß man ihre Namen kaum aus der Ge⸗ ſchichte mehr kennt. So verſanken z. B. die kleineren unmittelbaren Vaſallen in daš Gebiet der Groͤßeren, die ehmaligen ſogenannten Gemeinfreyen in das der Edel⸗ freyen, der niedere Adel ward dem höheren, d. b. mädhti. geren, dienſtbar gemacht. So wurden auch in unſeren, ſo viel von Freyheit prahlenden Zeiten, eine Menge klei⸗ ner Fürſten, Städte und Ritterſchaften in Deutſchland von größeren Nachbaren verſchlungen oder mediati—⸗ ſirt, b. b. unterthänig gemacht, und hätte dieſes Schik⸗ ſal zwar durch billige Verträge wohl gemildert, aber im weſentlichen ſchwerlich vermieden werden können, darum weil ſie von dem Gebiet eines anderen ganz umſchloſſen, und durch das Hinfallen des Deutſchen Königthums von jedem fremden Schuz beraubt waren. Wir werden auch in der Folge zeigen, daß gegen ſolche Umſtände, wenn ſie einſt vorhanden ſind, zwar kein vollſtändiges Rettungs⸗ mittel mehr übrig bleibt, daß ſie aber leicht vorhergeſe⸗ hen, in dieſem Fall oft durch kluge Politik verhindert wer⸗ ben können, und dať überhaupt cin Štaat, der ſeine Un⸗ abhängigkeit behaupten will, weit mebe um Erhaltung der

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relativen als 4M M Vermehrung der abſeluten Macht beſorge ſeyn muß.

Zulezt möchte man freylich glauben, daß der Staat. auch durch den Untergang des Volks, d. h. durch mögliche Auswanderung, Ausrottung oder Zerſtreuung ſämmtlicher Unterthanen zu Grund gehen müße, weil dann, wie man ſagt, nichts weiter ſey was regiert wer⸗ ben könne. Allein dieſe von einigen Staatslehrern ge⸗ aäußerte Meynung "4 jſt gleichwohl durchaus falſch, wird durch Vernunft und Erfahrung gleich widerlegt, und fließt nur aus der Fiction ded pſeudophiloſophiſchen Staats⸗ Syſtems, nach welchem der Staat nur in der Geſamt⸗ heit aller Untergebenen beſtehen ſoll. Da er aber, wie wir genug bewieſen haben, durch die Beſizungen und die Unabhaängigkeit bed Herrſchenden ſelbſt gegeben iſt: fo. kann er auch nicht bloß durch das zufällige, ohnehin ſtets wechſelnde Aggregat der Dienenden und Untergebenen wegfallen. Laßt alle Zweige und Blätter eines Baumes vom Froſte zerſtöͤrt, oder vom Wind zerſtreut werden: der Gtamm in der Erde eingewurzelt, wird ſtets wieder neue hervortreiben. Entwurzelt aber den Stamm ſelbſt, ſo iſt auch der ganze Baum mit allen Zweigen und Blättern dahin. So ſezet auch meinetwegen, daß durch irgend ein Ereigniß, welches vielleicht nie begegnet und kaum denk⸗ bar iſt, alle Unterthanen eines Fürſten auswandern ſoll⸗ ten, oder von der Peſt aufgerieben, oder durch Krieg aus

14) Grotius bat dieſen ſeltſamen Fall, welcher vielleicht nie begeg⸗ net iſt, de cessante imperio per internecionem, eversionem, dispersionem , discessionem populi behandelt, welches auch der einzige Grund iſt, warum ich ibn dier anfuͤhre und midera, lege. L. II. c. 9.

604 gerottet und zerſtreut würden, dabey aber der unabhän—⸗ gige Grundherr ſelbſt nebſt ſeinem Land übrig bleibe: ſo wird ev bald wieder andere Menſchen ſinden, die ihres Vortheils wegen in feine Dienſte treten oder ib durch ähnliche Verhältniſſe mie die vorigen hörig werden. Der Gtaat wird alſo wohl eine vorübergehende Schwächung erfahren haben, aber dennoch unter der nemlichen Form fortdauren können. 15) Bleiben hingegen auch alle Unter⸗ thanen unverſehrt übrig, und cd fällt nur der unabhän⸗ gige Herr, d. h. der Fürſt ſelbſt weg: ſo geht mit ihm der ganze bisherige Staat unfehlbar zu Grund, wie ſol⸗ ches von der täglichen Erfahrung bewieſen wird. Man fann dagegen nicht einmal einwenden, daß dod) Repub⸗ liken auf ſolche Art verſchwinden könnten, wenn nem. lich bdie freye Communität ſich entweder ſelbſt auflösſt, oder auseinander geht, oder zerſtreut und ihre Vereini⸗ gung durch Gewalt aufgehoben werden ſollte; 16) denn in dieſem Fall wird wieder nicht die Menge der Unter⸗ thanen (welche in Republiken fo gut als in Fürſtenthü⸗ mern exiſtirt) ſondern die freygeweſene Bürgerſchaft, der ecollektive Souverain ſelbſt zerſtört, und dann hört der Staat freylich auf, ſo wie dieſes bey der Vernichtung oder Auslöſchung eines Fürſtlichen Stammes der Fall iſt. Der Untergang der Staaten geſchieht überhaupt, (0 we⸗

15) Auch Cocceiji iſt dieſer Mednung in ſeinen Anmerkungen zu Grotius.ꝰ L. II. c. 9.

1€) sublata forma gua populus adunatur. MWenn hier das dop⸗ pelfinnige Port populus fúv eine Buͤrgerſchaft oder freye Ge⸗ meinde genommen wied, mie die Roͤmer es braudten: fo bat ber Saz ſeine Richtigkeit, nicht aber wenn man unter popu- lus das Aggregat (die multitude soluta ) von Dienern und Untergebenen verſteht

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nig als ibre Stiftung, durch ben Willen der Úntertba. nen (alš welche, mie man glaubt, eine ſogenannt bür⸗ gerliche Geſollſchaft zu errichten und wieder aufzulsſen berechtiget wären) ſondern es bleibt vielmehr eine ewige Wahrheit, daß der Staat oder das ſelbſtſtändige geſel⸗ lige Verband blos mit der Unabhängigkeit des Herrſchen⸗ den entſteht, und wieder aufhört ſobald der Freygeweſene vernichtet oder dienſtbar gemacht wird.

Ende des zweyten Bandes.

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